Unterschiedliche Forschungszugänge und ihre Ergebnisse zu einem höchst komplexen Arbeitsfeld - Die "qualitative" Seite der Medaille - oder: wie ...

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Unterschiedliche Forschungszugänge und ihre Ergebnisse zu einem höchst komplexen Arbeitsfeld - Die "qualitative" Seite der Medaille - oder: wie ...
Unterschiedliche Forschungszugänge
und ihre Ergebnisse zu einem höchst
komplexen Arbeitsfeld

Die „qualitative“ Seite der Medaille –
       oder: wie „Forschungslogik“ die
                   Ergebnisse determiniert…
   Professor Dr. phil. habil. Menno Baumann
Unterschiedliche Forschungszugänge und ihre Ergebnisse zu einem höchst komplexen Arbeitsfeld - Die "qualitative" Seite der Medaille - oder: wie ...
Erstens: Wer oder was könnte das sein, ein
„Systemsprenger“?

 „Du hast aber viele Foto-Alben“
 „Immer wenn ich irgendwo rausfliege, kriege ich eins…“
 (Micha (Albrecht Schuch) und Benni (Helena Zengel) in „Systemsprenger“)
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Pädagogisch sind besonders folgende
Verhaltensweisen als kritisch zu betrachten:

  Gewaltförmige Verhaltensweisen auch gegen körperlich
  deutlich unterlegene Kinder oder auch gegen Erwachsene/
  Mitarbeiter_innen (inkl. sexueller Übergriffigkeit)
  Drogenkonsum auch in den Einrichtungen inklusive
  Weitergabe/ Handel mit Substanzen und Einbezug anderer
  Jugendlicher
  Häufige Entweichungen verbunden mit riskanten
  Verhaltensweisen während der Abwesenheit
  Extreme Formen der Selbstverletzung, Para-Suizidalität

  Zündeln und Brandstiftung

         Baumann 2010, 2014
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Aber reicht der Blick aufs Kind (oder die Familie) wirklich aus?

Spielen nicht „unsere“ Delegationsmechanismen, die der
Logik des Hilfesystems immanent sind, mindestens eine
genauso gewichtige Rolle:

  - „Prinzip des Durchreichens“ i.d.R. bei Verschärfung der Maßnahmen

  - „Nicht-Zuständigkeits-Erklärung“

  - „Institutionelles Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom“

                             In der Konsequenz führt dies zu
                             Prozessen der
                             - Parallelität
                             - des Nacheinanders und
                             - des Gegeneinanders von Hilfen und
                                Helfersystemen

                                 Baumann 2010
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Störende Verhaltensweisen als Prozessgeschehen:

                                                            Entwicklungsbezogene Faktoren
                                                                      -   Familiendynamik/ -
                                                 ES                       rollen
Gesellschaftlicher Kontext
                                    Psychosoziale Beeinträchtigungen -    Psychische Faktoren
-   Kindheits- und Jugendkonzept                                     -    Organische
-   Was wird aktuell als                                                  Bedingungen
    „Störung“ definiert?                                              -   Traumatisierungen
-   Welchen Auftrag haben                                             -   Entwicklungslogik
    Institutionen?                                                    -   Biographisches
-   Welche „Instrumente“ der                                              Erleben
    Intervention werden                  „Störendes Verhalten“
    gesellschaftliche bevorzugt?
    (Hammer-Nagel-Problem)

                                 Ich                                  Wir
                  Pädagog*in/ Lehrkraft/ Therapeut*in   Gruppe/ Klasse/ soziales Bezugssystem
    Individuelle Zugänge
      -   Kompetenz/ Fachwissen/ Menschenbild                     -   Stabilität und Kontinuität
      -   Reflexive Professionalität                              -   Settingbedingungen
      -   Psychische und physische Voraussetzungen                -   „andere Problemlagen“
      -   Bisherige Erfahrungen mit „Störern“                     -   Toleranz ggü. „Anderem“
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ES

         Wirkung des
         Verhaltens auf                      Ängste und
         mich                                Irritationen

     Erschöpfung                               Verstärkende
                                               Gruppenfaktoren
Ohnmacht und                                       Akzeptanz des
Hilflosigkeit
                 „Störendes Verhalten“             „Problems"

   Ich                                                 Wir
             Schutz-         päd.       Kooperation
             auftrag      „Standing“    Pädagog*in/
                                          Gruppe

                                       Baumann, Albers & Bolz i.Vorb.
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Zweitens:
Von der Evidenz zur individuellen Passung
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Hypothese:
Um zu der Frage, welches Hilfesetting das
Kind/ den Jugendlichen (noch oder wieder)
erreichen könnte, eine Antwort zu geben,
müssen die Helfer verstehen, welchem
inneren Sinn das Verhalten, welches den
jungen Menschen zum „Systemsprenger“
macht, folgt!

  Die Beschäftigung mit dem Erleben
  junger Menschen in Hilfe!
Unterschiedliche Forschungszugänge und ihre Ergebnisse zu einem höchst komplexen Arbeitsfeld - Die "qualitative" Seite der Medaille - oder: wie ...
Entwertungs-
                                        erfahrungen

                                 Wut-Logik
                                                             Abbruch/
                                                          Ausschluss von
 Ultimativer Affekt               Angst-Logik
                                                           Gemeinschaft
                                 Depressions-Logik

                               Dehumanisierung
                               von emotionalen
                              (Kern-)Erfahrungen

In Anlehnung an Hardy/ Laszloffy (2007) und Ciompi 1999
Unterschiedliche Forschungszugänge und ihre Ergebnisse zu einem höchst komplexen Arbeitsfeld - Die "qualitative" Seite der Medaille - oder: wie ...
Welcher Sinn kann eskalierendem
 Verhalten zugeordnet werden?

                             Kontrolle

Kontrolle situativer                              Kontrolle über die
                       Kontrolle im Rahmen der
Unsicherheiten                                    Tragfähigkeit des
                       eigenen Biographie über/
                                                  umgebenen Netzes
                       gegen das Hilfesystem
Interventions-Grundsätze für Kategorien

Kontrolle situativer           Kontrolle im Rahmen der         Kontrolle über die
Unsicherheiten                 eigenen Biographie über/        Tragfähigkeit des
                               gegen das Hilfesystem           umgebenen Netzes
-   „Jemand, der an die        -    Nähe-Distanz-Verhältnis    -   Nähe-Distanz-Verhältnis
    Hand nimmt und die              muss in den Händen des         muss in den Händen der
    Welt erklärt…“                  jungen Menschen liegen         Pädagogen bleiben
-   Strategien werden nicht
    verlernt, gelernt wird     -    Autonomie und Tempo        -   Enge Begleitung und
    wenn, dann ein mehr an          akzeptieren                    Schutz der Mitarbeiter
    Orientierung                                                   wichtig
                                -   Regeln sachlogisch an
-   Enge, wiederkehrende            Realität orientiert        -   Zuständigkeiten und Bezug
    Struktur                        begründen und verhandeln       klar klären und transparent
                                                                   kommunizieren
-   Übergangssituationen
                               -    dranbleiben, wenn der
    begleiten, gestalten und                                   -   Zu enge Beziehung nicht
                                    junge sich auf etwas
    ritualisieren                                                  aushaltbar
                                    einlassen kann, da sein
-   In Krisensituationen            und handeln
    Sicherheit herstellen      -    Zwang wirkt
    (notfalls auch Zwang)           kontraproduktiv

-   Wenn möglich, personelle -      wichtig: Risiko-
    Kontinuität                     Management!
Drittens:
Wirkfaktoren in der Arbeit mit „schwierigem“
Klientel…
Welche Aufgaben haben erzieherische
Settings bezüglich dieser jungen Menschen?

Gewährleistung der Versorgung und des Schutzes des jungen
Menschen vor weiteren schädigenden Einflüssen (versorgende
Dimension).

Konfrontation des jungen Menschen mit gesellschaftlichen
Werten und Normen des Zusammenlebens (erzieherische
Dimension).
Unterstützung bei der Entwicklung einer Zukunftsperspektive
und Eröffnung möglichst vielfältiger Handlungsspielräume
(bildungsorientierte Dimension).

Etablierung tragfähiger Beziehungs- und Bindungsangebote,
mittels derer der junge Mensch Sicherheit gewinnen und seine
Identität „reiben“ kann (therapeutische Dimension).
Vier Prinzipien des Lernens (Tomasello 2019)

-   Lernen durch Handeln (self-regulated Learning)
    Voraussetzungen: durch Reafferenz gesteuerte
                     Homöostase, Bedeutsamkeit (emotive Vorläufer)

- Lernen durch beobachten und nachahmen (Imitation Learning)
    Voraussetzung: Andere als intentionale Wesen wahrnehmen
                   und verstehen
- Lernen durch Anleitung und Instruktion (instruction Learning)
    Voraussetzung: „Joint Attention“, erkennen können, dass der andere
                   mir gerade etwas beibringt
-   Lernen durch/ in Kooperation (collaborative Learning)
    Voraussetzung: gemeinsam geteilte Repräsentation des Problems,
                   Fähigkeit zur Mentalisierung, sozialer Prozess muss
                   eigenen positiven Wert bekommen
Was braucht Pädagogik für den Umgang
mit dieser Zielgruppe?
„Intensivpädagogische“ Angebote für „die Schwierigsten“ sind
(idealerweise) …

     … konfliktsicher, deeskalierend und präsent,
     … reflektiert bezüglich Nähe-Distanz, Bindung-Abgrenzung,
     … dranbleibend, haltend ausgerichtet und nicht (so schnell)
       abzuschütteln,
     … Kontinuität vermittelnd, auch über Phasenverläufe hinweg,
     … in ihrer Haltung verstehenden und traumasensiblen Ansätzen
       verpflichtet,
     … mit Konzepten des (emotionalen) Schutzes und der Sicherung
       der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausgestattet,

     … flexibel in der Umgestaltung des Settings, wenn nötig.
Kontakt: m.baumann@leinerstift.de
 Fort- und Weiterbildungen:            Lehrstuhl „Intensivpädagogik“:
 www.leinerstift-akademie.de           www.fliedner-fachhochschule.de

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Literaturempfehlungen:
Baumann, M. (2009): Verstehende Subjektlogische Diagnostik bei
Verhaltensstörungen; Hamburg: Tredition Verlag
Baumann, M. (2012): Kinder, die Systeme sprengen – Wenn Jugendliche und
Erziehungshilfe aneinander scheitern. Baltmannsweiler: Schneider Verlag
Hohengehrden
Baumann, M. (Hrsg.) (2015): Neue Impulse in der Intensivpädagogik. EREV:
Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe Band 11. Hannover
Baumann, M./ Bolz, T./ Albers, V. (2017): >>Systemsprenger
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