Vergänglicher Reichtum - Die Golf-Staaten bereiten sich auf das Ende des Erdöl-Zeitalters vor - Internationale Politik
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Vergänglicher Reichtum Vergänglicher Reichtum Die Golf-Staaten bereiten sich auf das Ende des Erdöl-Zeitalters vor Jan Willmroth | Dass das Zeitalter fossiler Brennstoffe irgendwann enden wird, ist bekannt. Die arabischen Ölstaaten haben ihren Reichtum mit dem Export von Erdöl – und auch von Erdgas – geschaffen; jetzt geht es darum, andere Wohlstandsquellen zu erschließen. Für die Welt hängt viel davon ab, ob die Energie- und Gesellschaftswende in der Region gelingen kann. Für den Machterhalt ist die Revolu- Und sie birgt Überraschungen. tion der einzige Weg. Erst wenn si- Kaum eine Stimme hatte je einen der- cher ist, dass es eine Zeit nach dem Öl art großen Einfluss auf die Ölmärkte gibt, wenn die Menschen sehen, dass wie die von Ali Al-Naimi, dem lang- Wachstum und Fortschritt auch ohne jährigen saudischen Ölminister und Petrodollars möglich sind, erst dann Architekten des Ölbooms der 2000er hat das saudische Königshaus lang- Jahre. Im März 2015 überraschte er fristig eine Chance. Jenes Königshaus, mit folgendem Statement: „In Sau- das von einem jahrzehntealten Gesell- di-Arabien erkennen wir, dass wir schaftsvertrag legitimiert wird: Ihr, eines Tages vielleicht keine fossilen das Volk, lasst uns herrschen, und wir Brennstoffe mehr brauchen“, sagte subventionieren euren wirtschaftli- Al-Naimi. Der vielleicht mächtigs- chen Aufschwung mit Ölmilliarden. te Erdölstratege des Planeten sprach So etwa lautet der Deal, mit des- plötzlich über Solarstrom. „Hoffent- sen Hilfe Saudi-Arabien innerhalb lich, eines Tages, werden wir anstatt von zehn Jahren von 2003 bis 2013 auf fossiler Rohstoffe elektrische Energie Platz 19 der größten Volkswirtschaf- exportieren. Wie klingt das?“ ten der Welt aufgestiegen ist. Jetzt ist Der auf Jahrzehnte angelegte Wan- der Boom vorerst vorbei, der Ölpreis del deutet sich also schon länger an. Es weniger als halb so hoch wie vor zwei ist ein Wandel, dem sich alle Ölexpor- Jahren, der Überschuss im Haushalt teure am Persischen Golf stellen müs- schmilzt dahin und die Herrscher- sen. Das Zeitalter fossiler Brennstof- familie ist unter Druck. Sie muss die fe wird irgendwann enden; Ölquel- Wirtschaft des Landes modernisieren len in der Wüste werden versiegen. und weniger abhängig machen vom Öl. Die Ölnachfrage steigt weiter, doch Die Geschichte der saudischen Revolu- die Bedeutung von Erdöl im weltwei- tion hat begonnen. ten Energiemix geht seit Jahren zu- IP • Juli / August 2016 105
Energiepolitik rück. Neue Technologien stehen be- Handel, Tourismus und Gesundheits- reit, sie werden günstiger, effizienter wirtschaft sollen gestärkt werden. Bis und verlässlicher, Strom aus erneuer- 2020 sollen 450 000 neue Arbeitsplät- baren Quellen wird konkurrenzfähig. ze in der Privatwirtschaft entstehen. Nachdem die Stromversorgung schon Kleine und mittlere Unternehmen, weitgehend ohne Öl aus- die in vielen westlichen Ländern ei- Die Bedeutung von kommt, wird zumindest nen Großteil zur Wirtschaftsleistung in den Industrieländern beitragen, sollen gezielt gefördert wer- Erdöl geht weltweit künftig auch die Nach- den. In Saudi-Arabien unterhält der seit Jahren zurück frage nach Erdölproduk- Staat die Wirtschaft, der Mittelstand ten im Verkehrssektor ab- trägt nur 20 Prozent zur Wirtschafts- nehmen. Für die arabischen Ölstaaten leistung bei. geht es darum, andere Wohlstands- Der Handel wächst seit Jahren mit quellen zu erschließen. zweistelligen Raten, beschäftigt 1,5 In Saudi-Arabien nimmt dieser Millionen Arbeitskräfte – aber nur Umbau jetzt Gestalt an. Der 30-jährige jeder Fünfte ist Saudi. „Unser Ziel ist Vize-Kronprinz Mohammed Bin Sal- es, zusätzliche Jobs für eine Million man, der sich als Visionär inszeniert, Saudis zu schaffen“, schreibt die Re- ersetzte al-Naimi im Frühjahr durch gierung. Bis 2020 sollen 90 000 zu- den bisherigen Chef des Staatskon- sätzliche Arbeitsplätze für den Ab- zerns Saudi Aramco, Khalid Al-Falih. bau von Aluminium, Phosphat, Gold, Es war die prominenteste Personalie Kupfer und weiteren Rohstoffen ent- in einer Zeit des Um- und Aufbruchs. stehen. Der Ölkonzern Saudi Aramco Das Königshaus baut die Zivilgesell- wird teilprivatisiert und soll künftig schaft um, es reformiert das Steuer- auch außerhalb des Ölgeschäfts tätig und Subventionssystem, es setzt Mi- werden. Man glaube daran, dass Sau- nisterien neu zusammen und verteilt di Aramco „auch in anderen Sekto- Kompetenzen neu. Das bisherige Mi- ren führend sein kann“, heißt es in nisterium für Erdöl und mineralische der „Saudi Vision 2030“. Rohstoffe heißt künftig „Ministerium Vor einigen Jahren hatte das Land für Energie, Industrie und minerali- angekündigt, bis 2030 umgerechnet schen Wohlstand“. Das hat mehr als 110 Milliarden Dollar in einen So- nur symbolischen Charakter. Die in- lar-Kraftwerkspark mit einer Leistung dustrielle Entwicklung, so hofft man von 41 Gigawatt zu investieren – das in Riad, soll die Abhängigkeit von der Äquivalent zu 41 mittelgroßen Atom- Ölindustrie und zugleich die Arbeits- kraftwerken. Bis 2030, so die damali- losigkeit reduzieren. gen Pläne, sollte die Hälfte des Ener- giebedarfs aus erneuerbaren Quellen Saudi Vision 2030 stammen. Derzeit hat Erdöl noch ei- Im Mai stellte Mohammed Bin Sal- nen Anteil von ca. 50 Prozent. Jetzt man die „Saudi Vision 2030“ vor, ei- hat die Regierung ihren Plan überar- nen mit viel Pathos unterlegten Strate- beitet: Man setzt stärker auf Erdgas als gieplan zur Diversifikation der Wirt- Stromquelle, die Sonne soll bis 2030 schaft. Dazu gehört die Entwicklung nur noch 10 Prozent zum Energiemix von Sektoren außerhalb der Ölförde- beitragen. „Unser Energiemix hat sich rung: Bergbau, Industrieproduktion, zugunsten von Gas verschoben, also 106 IP • Juli / August 2016
Vergänglicher Reichtum Bild nur in Printausgabe verfügbar brauchen wir keine so hohen Ziele für baren in seinem Strom-Mix an. Klei- erneuerbare Quellen mehr“, sagte Mi- ne Auszüge aus einer langen Liste, die nister Al-Falih. Die Erdgasprodukti- eine ganze Weltregion verändern wird. on solle sich mittelfristig verdoppeln. Katar ist auf diesem Weg schon Auf diese Weise könnte Saudi-Arabi- ziemlich weit gekommen. Das Emirat en mehr Erdöl exportieren, wenn es hat vor acht Jahren zum ersten Mal weniger im eigenen Land verbraucht. eine Zukunftsstrategie veröffentlicht: Bin Salman sagte in einem Interview „Katar Vision 2030“. Teil davon ist die mit dem Fernsehsender Al-Arabiya so genannte Katarisierung: Bis 2030 gar, die Strategie werde es dem Land sollen Katarer die Hälfte aller Beschäf- ermöglichen, schon 2020 „ohne Öl zu tigten im Industrie- und Energiesek- leben“. Das ist zwar unwahrschein- tor ausmachen. Immer mehr im Aus- lich, zeigt aber den Anspruch. land geschulte Katarer besetzen ein- Mit derart ambitionierten Plänen flussreiche Positionen im Staatssektor ist Saudi-Arabien nicht allein. In wel- und in der Privatwirtschaft. Sie wer- che Richtung die Ölexporteure der den gezielt bevorzugt. Die Infrastruk- Region langfristig steuern, lässt sich tur wird weiter ausgebaut. Die Öl- an den Ausbauzielen für erneuerbare dollars fließen über den katarischen Energien ablesen. Katar will bis 2020 Staatsfonds in die Welt, in Immobili- eine Kapazität von 1,8 Gigawatt Solar- en oder in Konzerne wie VW. Wenn kraft installieren; bis 2030 sollen Er- das Öl schwindet, bleiben immer noch neuerbare 30 Prozent des Bedarfs de- die drittgrößten Gasreserven der Erde cken. Der Staatsfonds von Abu Dha- und der lukrative Düngemittelexport. bi investiert etwa 15 Milliarden Dollar Inzwischen ist Katar gemessen am in Solarstrom. Kuwait peilt bis 2030 Pro-Kopf-Einkommen (140 000 Dollar einen Anteil von 15 Prozent Erneuer- pro Jahr) das reichste Land der Erde. IP • Juli / August 2016 107
Energiepolitik Im Vergleich zu seinen Nachbarn Sozialleistungen und Sondersubventi- zieht Saudi-Arabien viel weniger Geld onen für Stammesgruppen waren die aus dem Ausland an. Der Tourismus Instrumente dieser erkauften Herr- beschränkt sich weitgehend auf die schaftsgarantie, Korruption und Vet- Pilgerreise nach Mekka, die Hadsch, ternwirtschaft ihre Folgen. die Industrieproduktion liegt auf Etwa zwei Drittel aller saudischen niedrigem Niveau, die Arbeitslosig- Berufstätigen arbeiten im öffentli- keit jenseits der 11 Pro- chen Sektor. Saudi-Arabien unter- Die Summen aus zent. Wenn der Umbau hält den drittgrößten Verteidigungse- erfolgreich werden soll, tat der Welt; die Petrodollars finanzie- dem Ölexport wurden muss das Land für auslän- ren etwa 250 000 Saudis unter Waf- zum sozialen Kitt dische Investoren deutlich fen und sichern so Einfluss und Macht attraktiver werden und in der Region. Das Herrscherhaus ver- die vielen jungen Arbeitskräfte müs- stand es immer, internen Streiterei- sen Lust auf die Privatwirtschaft be- en vorzubeugen, indem jeder rangho- kommen. Steffen Hertog, Saudi-Ara- he Prinz unabhängig über ein eige- bien-Experte an der London School of nes Budget bestimmen darf. Der An- Economics, prophezeit dem Land ei- spruch des Wandels wird mit dieser nen „langen und schmerzvollen Weg“. Gewissheit deutlich: Für das heutige Saudi-Arabien hängt nahezu alles – in- Erkaufte Herrschaftsgarantie nen- wie außenpolitisch – vom Öl ab. Um die Dimension der saudi-ara- Das macht den Staat verwund- bischen Wende zu verstehen, muss bar, denn es setzt das System des öl- man weit zurückgehen in ein Land, finanzierten Gesellschaftsvertrags das einst nur aus Wüste und land- den schwankenden Weltmarktpreisen wirtschaftlich geprägten Siedlun- aus. Nachdem die Dekade rekordver- gen bestand. Bevor Amerikaner erst- dächtiger Ölpreise im Sommer 2014 mals Erdöl fanden, war Saudi-Arabi- endete, entstand eine enorme Lücke en ein bitterarmes Gebiet. 1938, im im Staatshaushalt. Etwa 90 Prozent ersten Jahr des Ölzeitalters, verdiente dieses Haushalts finanziert das Land der Staat 340 000 Dollar an Förderge- mit Öleinnahmen. Das ist in den an- bühren. Ende der siebziger Jahre wa- deren Golf-Staaten ähnlich. ren es bereits 84 Milliarden Dollar pro Prinz Salman ist nicht der erste, Jahr – zu einer Zeit, als die Ölquellen der die Rohstoffabhängigkeit des Kö- noch immer teilweise in der Hand der nigreichs kritisiert. Kronprinz Abdul- Amerikaner lagen. Erst 1980 brachten lah sagte 1998 während einer Kon- die Saudis den Staatskonzern Aramco ferenz: „Die Regierungen im Golf- vollständig unter ihre Kontrolle. Kooperationsrat sollten einsehen, dass Die gigantischen Summen aus die Boomperiode vorüber ist. Wir alle dem Ölexport wurden zum sozialen müssen uns an einen Lebensstil ge- Kitt eines Landes, das in einer unru- wöhnen, der sich nicht ausschließlich higen Region intern stets stabil blieb. auf den Staat verlässt.“ Kurz zuvor war Mit den Geldern gelang es, nahezu der Ölpreis auf etwa zehn Dollar gefal- alle sozialen Gruppen zu begünsti- len, in heutigen Preisen etwa 14 Dol- gen. Niedrige Steuersätze, subventi- lar pro Fass. Die Ursachen waren an- onierte Energiepreise, umfangreiche dere, die Folgen des damaligen Preis- 108 IP • Juli / August 2016
Vergänglicher Reichtum verfalls die gleichen: Es fehlte mit ei- rend rund zehn Millionen Arbei- nem Mal das Geld für die großzügigen ter aus Ländern wie Pakistan und Staatsleistungen. Die Herrscher wis- Bangladesch die einfachen Jobs aus- sen seit mehr als zwei Jahrzehnten, üben. Der saudische Arbeitsmarkt dass sie die Wirtschaft diversifizieren sei ein „Insider-Outsider-System“, in sollten. Doch sie taten wenig. Ist Öl dem manche Zugang zu den Privilegi- billig, fehlen die Mittel, den Umbau zu en von Staatsjobs haben und andere finanzieren. In Zeiten hoher Ölpreise nicht, sagt Steffen Hertog. Die ande- ist es leichter, unangenehme Entschei- ren, das seien üblicherweise die Jün- dungen aufzuschieben. geren. Es wird nicht leicht, genügend Mohammed Bin Salman will die- Jobs zu schaffen, und noch schwerer, sen Zyklus durchbrechen. Der saudi- solche zu schaffen, die nicht vom Öl- sche Zukunftsplan sieht vor, Teile von geschäft abhängen. Saudi Aramco an die Börse zu brin- Die anderen Staaten des Golf- gen – der Ölkonzern wäre schlagar- Kooperationsrats stehen vor ähnli- tig das mit weitem Abstand wertvolls- chen Herausforderungen. Für die Welt te Unternehmen der Welt. Universitä- wird viel davon abhängen, ten, Flughäfen und Kliniken werden ob die Energie- und Gesell- Die Zeit war noch privatisiert, neue Steuern eingeführt, schaftswende in der Regi- nie so reif für Refor- der Tourismus soll gestärkt werden. on gelingt. Bahrain, Ku- Der staatliche Investitionsfonds soll wait, Oman, Katar, Sau- men wie heute auf 2000 Milliarden Dollar anwach- di-Arabien und die Verei- sen. Es wäre der größte Staatsfonds nigten Arabischen Emirate halten ein der Welt. Ohne Petrodollars wird Drittel aller verfügbaren Öl- und etwa auch dieser Plan scheitern. ein Fünftel der Erdgasvorkommen. Es Und doch war die Zeit für Refor- bricht eine Zeit an, in der Solarparks men vielleicht noch nie so reif wie heu- neben Fördertürmen entstehen, in der te. Ein gutes Jahrzehnt des Ölbooms aus Sonnenlicht immer mehr Strom hat die Staatskasse gefüllt; mehr als und aus Erdöl weiterhin Benzin wird. 570 Milliarden Dollar stehen dem Kö- Ohne die Gewissheit, noch sehr lan- nigshaus zur Verfügung, wenngleich ge vom Rohstoffexport zu profitie- das Geld wegen der ausbleibenden ren, würden die Volkswirtschaften Öleinnahmen rasch schwindet. Der am Persischen Golf schon jetzt nicht 30-jährige Prinz Salman versteht sich mehr funktionieren. Die entscheiden- als Sprachrohr der jüngeren Generati- de Frage ist, ob sie den vergänglichen onen, die inzwischen die Mehrheit der Reichtum klug genug nutzen, um die Gesellschaft bilden. Sein Einfluss auf Zukunft nach dem Öl zu gestalten. die Wirtschaftspolitik ist immens – westliche Diplomaten in Riad nennen Jan Willmroth ihn bereits „Mr. Everything“. ist Redakteur im Wirt- Aber die Hürden bleiben hoch. schaftsressort der Süd- deutschen Zeitung. 250 000 junge Saudis drängen je- des Jahr auf den Arbeitsmarkt, zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als dreißig. Die Jugendarbeitslosig- keit liegt bei etwa 30 Prozent, wäh- IP • Juli / August 2016 109
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