VERRÄTERISCHE BLASEN - BFR

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VERRÄTERISCHE BLASEN - BFR
SCHUTZ VON VERSUCHSTIEREN

                                                                             Leuchtendes Leben.
                                                                             Fluoreszierende Zellen
                                                                             werden mit dem
                                                                             „E-Morph“-Test
                                                                             ausgewertet.

                       Verräterische Blasen
                      Hormone sind lebenswichtig, eigentlich. Aber ein Zuviel kann schaden.
                       BfR-Wissenschafler Dr. Sebastian Dunst und sein Team haben einen
                      tierversuchsfreien Test entwickelt, mit dem unerwünschte hormonelle
                                Efekte von Chemikalien erkannt werden können.
 © Alle Bilder: BfR

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VERRÄTERISCHE BLASEN - BFR
ZELLTEST ENDOKRINE SUBSTANZEN

          W
                    enn man genau hinsieht, erkennt man sie.
                    Winzige Waben, eingezwängt zwischen fei-
                    nen grünschimmernden Linien. „Die Waben
          erinnern mich an die Blasen in einer Lufpolsterfolie“,
          beschreibt Dr. Sebastian Dunst das mikroskopische
          Bild. Wir sind im abgedunkelten Mikroskopie-Raum
          des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstie-
          ren am BfR in Berlin-Marienfelde. Er ist vollgestellt mit
          Computern und modernen, elektronisch gesteuerten
          Mikroskopen, mit denen man selbst kleinste Details ei-
          ner Zelle sichtbar machen kann.

          Eine mikroskopische Aufnahme ist auf den Bildschirm
          projiziert. Die zarten grünen Linien sind die Außen-
          hüllen von menschlichen Zellen, die Zellmembranen.
          Dicht an dicht pfastern die Zellen den Bildschirm. Sie
          verknüpfen sich zu einem Gewebe, das nur durch die
          „Lufpolster“ zwischen den Zellen unterbrochen wird.
          Für den Biologen Dunst und sein Team stehen diese
          blasenartigen Veränderungen der Zellmembran im
          Mittelpunkt eines neuen, von ihnen entwickelten Tests,
                                                                                  Mikroskopische Aufnahmen: Dr. Sebastian Dunst und
          den sie „E-Morph“ genannt haben. E-Morph prüf ge-
                                                                            sein Team untersuchen am Deutschen Zentrum zum Schutz
          wissermaßen, ob das Zellgewebe zusammenhält oder
                                                                                  von Versuchstieren Veränderungen der Zellmembran.
          zu lufig oder gar ausgefranst ist.

          Molekulare Taue
                                                                      Das klingt theoretisch, hat aber ganz praktische Bedeu-
          Um das Prinzip von E-Morph zu verstehen, muss man           tung. In der Umwelt kommen etliche künstlich herge-
          etwas weiter ausholen. Die Kontakte zwischen den Zel-       stellte oder natürliche Substanzen vor, die hormon-
          len stellt hauptsächlich das fadenförmige Eiweiß (Pro-      ähnlich wirken und etwa östrogenartige Efekte haben
          tein) E-Cadherin her, das gleichmäßig in den Zellmem-       können. Diese Stofe können in ungünstigen Fällen zum
          branen jeder Zelle verankert ist. Wie molekulare Taue       Beispiel die Furchtbarkeit beeinträchtigen oder Krank-
          verknüpfen nun die E-Cadherin-Proteine die Zellhüllen       heiten wie Krebs begünstigen.
          benachbarter Zellen fest miteinander. Bringt man die
          Zellen jedoch mit bestimmten chemischen Substanzen          Auf Hormonwirkung geprüf
          in Kontakt, verändern die E-Cadherine ihre Anordnung.
          Sie lagern sich stärker zusammen, wodurch jene Ausspa-      In der EU müssen deshalb Chemikalien und Pestizide
          rungen der Zellmembranen entstehen, die als „Lufpols-       daraufin geprüf werden, ob sie schädliche hormon-
          ter“ oder Blasen im mikroskopischen Bild erscheinen.        ähnliche Wirkungen haben. In der Fachsprache werden
                                                                      solche Substanzen als endokrine Disruptoren bezeich-
          Überraschenderweise werden die Verbindungen zwi-            net. Der E-Morph-Test kann helfen, sie aufzuspüren.
          schen den Zellen dadurch nicht schwächer. „Sobald sich
          die Blasen bilden, werden die Zellen stabiler und hafen     Dunsts Verfahren zur Erkennung hormoneller Efekte
          viel stärker aneinander“, erläutert Dunst den Vorgang.      von Chemikalien ist weitgehend automatisiert. Einge-
          „Das kann im Fall von Krebszellen bedeuten, dass in         setzt werden menschliche Brustkrebszellen. Das hat
          diesem Zustand die Bildung von Absiedlungen, Metas-         zwei Gründe. Zum einen besitzen diese Zellen typische
          tasen, erschwert wird, weil die Zellen nicht mehr aus       Eigenschafen intakter Zellen der Brustdrüse, sind also
          dem Tumorgewebe auswandern können.“ Das Gewebe              empfänglich für die Wirkung von Östrogen. Zum ande-
          bleibt also fest verknüpf.                                  ren lassen sich Krebszellen anders als gesundes, „norma-
                                                                      les“ Gewebe leicht im Labor vermehren.
          Der E-Morph-Test untersucht, wie verschiedene Che-
          mikalien oder Wirkstofe den Zusammenhalt der Zel-           Östrogen macht Zellen locker
          len – und damit das Risiko von Metastasen (Tochter-
          geschwülsten) – beeinfussen. Im Zentrum stehen das          Die Zellen werden zunächst mithilfe einer chemischen
          weibliche Geschlechtshormon Östrogen und Substan-           Östrogenblockade durch das Krebsmedikament Fulvest-
          zen, die seine Wirkung nachahmen oder abschwächen.          rant in einen Zustand versetzt, in dem die Zellen die cha-
          Östrogen macht das Gewebe „lockerer“, es kann die Bil-      rakteristischen Blasen zwischen den Zellmembranen bil-
          dung von Metastasen fördern. Ihm verwandte östrogen-        den. Dann wird die zu prüfende Substanz hinzugegeben.
          ähnliche Stofe sind damit ein Risiko. Chemische Ver-        Nun wird nachgesehen, ob sich die Zellkontakte wie un-
          bindungen, die Östrogen hemmen, senken dagegen das          ter Östrogeneinfuss lockern und die Blasen verschwin-
          Risiko und werden deshalb auch in der Behandlung von        den. Das kann darauf hindeuten, dass die Prüfsubstanz
          Krebserkrankungen eingesetzt.                               hormonähnlich wirkt und das Tumorrisiko erhöht.

02/2020                                                                                                                            39
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SCHUTZ VON VERSUCHSTIEREN

     Die robotergestützte Testauswertung erfolgt rasch und
                                                                 GEBÄRMUTTERHALSKREBS
     ermöglicht das Überprüfen vieler Stofe in kurzer Zeit.
                                                                 BESSER VERSTEHEN
     Sebastian Dunst hof, dass das Verfahren hilf, Chemi-
     kalien sicher anzuwenden und neue Wirkstofe für die         Gebärmutterhalskrebs ist weltweit der
     Krebsbehandlung zu erproben. Dass der Test am Deut-         vierthäufgste bösartige Tumor der
     schen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren am BfR          Frau. Um den Krankheitsverlauf besser
     entwickelt wurde, ist dabei kein Zufall. Denn er ist eine   zu verstehen und neue Therapien zu
     mögliche Alternativmethode zu bislang vorgeschriebe-        testen, entwickelt Juniorprofessor Peter
     nen Tierversuchen bei Chemikalien- und Medikamen-           Loskill von der Eberhard Karls Univer-
     tentests. „Wann wir diese Tierversuche vollständig erset-   sität Tübingen mit menschlichen Zellen
     zen können, ist eine andere Frage“, schränkt Dunst ein.     aus dem Gebärmutterhals (Cervix) „Mi-
     „Zurzeit ist das noch nicht möglich.“                       ni-Organe“. Sie ahmen die Krankheit
                                                                 und ihre Vorstufen im Menschen auf
     Dunst und sein Team haben den E-Morph-Test zu-              einem „Gewebechip“ nach und ermög-
     nächst weltweit zum Patent angemeldet. „Das Verfahren       lichen es, Immunzellen im Kontakt mit
     gibt Auskunf darüber, wie sich Zellen und Gewebe un-        dem Krebs zu studieren.
     ter dem Einfuss von Hormonen oder hormonähnlichen
     Substanzen tatsächlich verändern“, sagt Dunst. „Es ist
     damit wirklichkeitsnäher als Tests, die unter stark ver-
     einfachten Bedingungen nur einzelne wenige Aspekte          BARRIEREFREI? BESSER
     der Hormonwirkung registrieren.“ E-Morph kann für           NICHT IM GEHIRN
     zwei Anwendungen interessant sein – zum einen für
                                                                 Das Gehirn ist ein empfndliches Organ.
     den Test von neuen Arzneimittel-Wirkstofen, und zum
                                                                 Es wird durch eine biologische Barriere,
     anderen für die Prüfung von Chemikalien, die auf den
                                                                 genannt Blut-Hirn-Schranke, vor schäd-
     Markt kommen sollen.
                                                                 lichen Substanzen und Krankheitserre-
                                                                 gern geschützt. Welche Nachteile eine
     Ein Test für Pharmazie und Chemie
                                                                 durchlässige Blut-Hirn-Schranke hat,
                                                                 untersuchen Dr. Petra Hundehege von
     Damit das Patent letztlich auch tatsächlich wirksam
                                                                 der Westfälischen Wilhelms-Universität
     wird, muss es noch separat in jedem einzelnen Land
                                                                 Münster und ihre Arbeitsgruppe. Sie
     zugelassen werden. Ein aufwendiger Prozess, denn stets
                                                                 arbeiten an einer – tierversuchsfreien –
     muss ein eigener Patentanwalt beaufragt werden, der
                                                                 Computersimulation, mit der Schäden
     der Landessprache kundig ist und die Patentansprüche
                                                                 an der Blut-Hirn-Schranke untersucht
     durchsetzt. Deshalb muss ausgewählt werden, wo der
                                                                 werden können, wie sie etwa nach
     Test angeboten werden soll. „Infrage kommen in erster
                                                                 einem Schlaganfall oder einer Schädel-
     Linie Staaten mit einer starken chemischen oder phar-
                                                                 verletzung auftreten können.
     mazeutischen Industrie“, erläutert der Wissenschafler.
     Und damit Länder wie die USA, Deutschland, Frank-
     reich oder Japan.

                                                                 WENIGER TIERVERSUCHE,
     Dunst arbeitet seit rund vier Jahren am BfR, zuvor stu-
                                                                 BESSERE ERGEBNISSE
     dierte er in Dresden Biologie und promovierte dort
     auch. Er forschte an Taufiegen und entdeckte dabei sei-     Mangelhafte Statistik-Kenntnisse kön-
     ne Liebe zur Mikroskopie. Am BfR gefällt ihm, dass sei-     nen die Qualität wissenschaftlicher Er-
     ne Arbeit wichtig für Mensch wie Tier ist. „Es ist keine    gebnisse etwa in der biomedizinischen
     abgehobene Wissenschaf, man kann viel bewirken“, sagt       Forschung schmälern. Fragwürdige
     er. „Dabei ist es mir ganz besonders wichtig, im Team       Resultate wiederum können überfüs-
     zu arbeiten – gemeinsam lässt sich viel erreichen.“ Der     sige Studien – und damit überfüssige
     E-Morph-Test ist ein Beispiel dafür – womöglich ein         Tierversuche – zur Folge haben. Das
     sehr patentes. ◘                                            Team von Professor Daniel Hofmann
                                                                 von der Universität Duisburg-Essen will
                                                                 Abhilfe schaffen. Die Gruppe entwi-
     Mehr erfahren:                                              ckelt die (frei zugängliche) Software
     Mitteilung Nr. 023/2020 des BfR vom 20. Mai 2020
                                                                 „BASTA“ (das steht für „Bayes statistics
                                                                 for animal research“). Mit BASTA soll es
                                                                 leichter werden, Tierzahlen zu planen,
                                                                 Versuche auszuwerten und Ergebnisse
                                                                 zu veröffentlichen.

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PROJEKTFÖRDERUNG

  ZEBRAFISCHE SCHÜTZEN                         FRISCHE LUFT FÜR DIE                       ALTERN UNTER DEM MIKRO-
  GEHIRNENTWICKLUNG                            ASTHMAFORSCHUNG                            SKOP
  Schädliche Stoffe können die Entwick-        Asthma ist eine chronische Entzündung      Die Idiopathische Lungenfbrose ist ein
  lung des Gehirns im Mutterleib beein-        der Atemwege, die häufg allergische        chronisches Leiden, das nach einigen
  trächtigen. Chemikalien und Medika-          Ursachen hat. Um den Ausbruch und          Jahren meist zum Tod führt. Dabei wird
  mente müssen deshalb darauf getestet         den Verlauf dieses verbreiteten „Volks-    die Lunge durch wucherndes Bindege-
  werden, ob sie giftig für das Nervensys-     leidens“ besser zu verstehen, entwickelt   webe (Fibrose) eingeengt. Vermutlich
  tem (neurotoxisch) sind. Diese gesetz-       das Team um Professor Holger Garn          ist vorschnelles Altern am Entstehen der
  lich vorgeschriebene Prüfung erfolgt         von der Philipps-Universität Marburg       Krankheit beteiligt. Am Helmholtz-Zen-
  zurzeit an Mäusen und Ratten. Eine           eine „Miniaturausgabe“ der Lunge in        trum München entwickelt die Arbeits-
  mögliche Alternative anstelle der Nager      der Petrischale, Organoid genannt. Als     gruppe um Dr. Mareike Lehmann nun
  sind die Embryonen des Zebrafschs            Grundlage der Organoide dient den          Methoden, die auf mikroskopischen
  (Danio rerio). Die Forschergruppe um         Forscherinnen und Forschern Gewebe         Gewebeschnitten aus der menschli-
  Dr. Stefan Scholz vom Helmholtz-Zen-         aus den Atemwegen von Maus und             chen Lunge beruhen. An ihnen will das
  trum für Umweltforschung in Leipzig          Mensch.                                    Team das vorschnelle Altern und die
  prüft, ob sie als Modellorganismen                                                      Fibroseentstehung studieren, einen Test
  geeignet sind.                                                                          entwickeln und Wirkstoffe testen. Damit
                                                                                          können belastende Tierversuche ersetzt
                                                                                          werden.

                    Mikro-Organ
                  statt Tierversuch
  MIT DER TAUFLIEGE GEGEN                      Ob Taufiege, Zellkultur                    EMBRYO 2.0
  NIERENLEIDEN
                                                oder Sofware – es gibt                    Verborgen vor der Außenwelt wächst
  Die Nieren reinigen das Blut. Ein Zuviel                                                der Embryo heran. Das macht es
  des blutzuckersenkenden Hormons
                                                viele Ansätze, um her-                    schwierig, seine Entwicklung im Detail
  Insulin im Blut (wie beim Typ-II-Diabetes    kömmliche Experimente                      zu verstehen. Embryonale Stammzellen
  oder „Alterszucker“) kann jedoch die                                                    der Maus können jedoch Licht in das
  Filtersysteme der Nieren, Glomeruli
                                               an Tieren zu verringern.                   Dunkel bringen, hoffen Dr. Jesse Veen-
  genannt, schädigen und ein Nieren-          Ein Überblick über Vorha-                   vliet und sein Team vom Max-Planck-In-
  versagen fördern. Um diese Vorgänge                                                     stitut für Molekulare Genetik in Berlin.
  besser zu verstehen und Nierenversa-
                                              ben, die im Jahr 2019 eine                  Diese ursprünglichen Zellen sind
  gen vorzubeugen, erforschen Dr. Lucas        Förderzusage durch das                     imstande, alle Arten von Gewebe zu
  Kühne und sein Team vom Universi-                                                       bilden. Unter bestimmten Bedingungen
  tätsklinikum Köln die „Nierenzellen“ der
                                               Deutsche Zentrum zum                       können sie zu Gebilden heranwach-
  Taufiege (Drosophila melanogaster).          Schutz von Versuchstie-                    sen, die frühen Embryonen ähneln. Mit
  Das hat nicht nur wissenschaftliche                                                     modernen Untersuchungsmethoden will
  Vorzüge, da die Tiere leicht zu züchten
                                                 ren am BfR erhielten.                    man der Vielfalt dieser Entwicklungspro-
  sind und sich rasch vermehren, son-                                                     zesse nachspüren.
  dern kann auch helfen, die Zahl der
  bislang verwendeten Versuchstiere wie
  Mäuse oder Ratten zu verringern.

Mehr erfahren: www.bfr.bund.de > Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren > Kompetenzbereiche > Bf3R-Forschungsförderung
               (Die nächste Ausschreibung der Forschungsförderung erfolgt im Frühjahr 2021.)

02/2020                                                                                                                          41
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