VERRÄTERISCHE BLASEN - BFR
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SCHUTZ VON VERSUCHSTIEREN Leuchtendes Leben. Fluoreszierende Zellen werden mit dem „E-Morph“-Test ausgewertet. Verräterische Blasen Hormone sind lebenswichtig, eigentlich. Aber ein Zuviel kann schaden. BfR-Wissenschafler Dr. Sebastian Dunst und sein Team haben einen tierversuchsfreien Test entwickelt, mit dem unerwünschte hormonelle Efekte von Chemikalien erkannt werden können. © Alle Bilder: BfR 38 BfR 2 GO
ZELLTEST ENDOKRINE SUBSTANZEN W enn man genau hinsieht, erkennt man sie. Winzige Waben, eingezwängt zwischen fei- nen grünschimmernden Linien. „Die Waben erinnern mich an die Blasen in einer Lufpolsterfolie“, beschreibt Dr. Sebastian Dunst das mikroskopische Bild. Wir sind im abgedunkelten Mikroskopie-Raum des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstie- ren am BfR in Berlin-Marienfelde. Er ist vollgestellt mit Computern und modernen, elektronisch gesteuerten Mikroskopen, mit denen man selbst kleinste Details ei- ner Zelle sichtbar machen kann. Eine mikroskopische Aufnahme ist auf den Bildschirm projiziert. Die zarten grünen Linien sind die Außen- hüllen von menschlichen Zellen, die Zellmembranen. Dicht an dicht pfastern die Zellen den Bildschirm. Sie verknüpfen sich zu einem Gewebe, das nur durch die „Lufpolster“ zwischen den Zellen unterbrochen wird. Für den Biologen Dunst und sein Team stehen diese blasenartigen Veränderungen der Zellmembran im Mittelpunkt eines neuen, von ihnen entwickelten Tests, Mikroskopische Aufnahmen: Dr. Sebastian Dunst und den sie „E-Morph“ genannt haben. E-Morph prüf ge- sein Team untersuchen am Deutschen Zentrum zum Schutz wissermaßen, ob das Zellgewebe zusammenhält oder von Versuchstieren Veränderungen der Zellmembran. zu lufig oder gar ausgefranst ist. Molekulare Taue Das klingt theoretisch, hat aber ganz praktische Bedeu- Um das Prinzip von E-Morph zu verstehen, muss man tung. In der Umwelt kommen etliche künstlich herge- etwas weiter ausholen. Die Kontakte zwischen den Zel- stellte oder natürliche Substanzen vor, die hormon- len stellt hauptsächlich das fadenförmige Eiweiß (Pro- ähnlich wirken und etwa östrogenartige Efekte haben tein) E-Cadherin her, das gleichmäßig in den Zellmem- können. Diese Stofe können in ungünstigen Fällen zum branen jeder Zelle verankert ist. Wie molekulare Taue Beispiel die Furchtbarkeit beeinträchtigen oder Krank- verknüpfen nun die E-Cadherin-Proteine die Zellhüllen heiten wie Krebs begünstigen. benachbarter Zellen fest miteinander. Bringt man die Zellen jedoch mit bestimmten chemischen Substanzen Auf Hormonwirkung geprüf in Kontakt, verändern die E-Cadherine ihre Anordnung. Sie lagern sich stärker zusammen, wodurch jene Ausspa- In der EU müssen deshalb Chemikalien und Pestizide rungen der Zellmembranen entstehen, die als „Lufpols- daraufin geprüf werden, ob sie schädliche hormon- ter“ oder Blasen im mikroskopischen Bild erscheinen. ähnliche Wirkungen haben. In der Fachsprache werden solche Substanzen als endokrine Disruptoren bezeich- Überraschenderweise werden die Verbindungen zwi- net. Der E-Morph-Test kann helfen, sie aufzuspüren. schen den Zellen dadurch nicht schwächer. „Sobald sich die Blasen bilden, werden die Zellen stabiler und hafen Dunsts Verfahren zur Erkennung hormoneller Efekte viel stärker aneinander“, erläutert Dunst den Vorgang. von Chemikalien ist weitgehend automatisiert. Einge- „Das kann im Fall von Krebszellen bedeuten, dass in setzt werden menschliche Brustkrebszellen. Das hat diesem Zustand die Bildung von Absiedlungen, Metas- zwei Gründe. Zum einen besitzen diese Zellen typische tasen, erschwert wird, weil die Zellen nicht mehr aus Eigenschafen intakter Zellen der Brustdrüse, sind also dem Tumorgewebe auswandern können.“ Das Gewebe empfänglich für die Wirkung von Östrogen. Zum ande- bleibt also fest verknüpf. ren lassen sich Krebszellen anders als gesundes, „norma- les“ Gewebe leicht im Labor vermehren. Der E-Morph-Test untersucht, wie verschiedene Che- mikalien oder Wirkstofe den Zusammenhalt der Zel- Östrogen macht Zellen locker len – und damit das Risiko von Metastasen (Tochter- geschwülsten) – beeinfussen. Im Zentrum stehen das Die Zellen werden zunächst mithilfe einer chemischen weibliche Geschlechtshormon Östrogen und Substan- Östrogenblockade durch das Krebsmedikament Fulvest- zen, die seine Wirkung nachahmen oder abschwächen. rant in einen Zustand versetzt, in dem die Zellen die cha- Östrogen macht das Gewebe „lockerer“, es kann die Bil- rakteristischen Blasen zwischen den Zellmembranen bil- dung von Metastasen fördern. Ihm verwandte östrogen- den. Dann wird die zu prüfende Substanz hinzugegeben. ähnliche Stofe sind damit ein Risiko. Chemische Ver- Nun wird nachgesehen, ob sich die Zellkontakte wie un- bindungen, die Östrogen hemmen, senken dagegen das ter Östrogeneinfuss lockern und die Blasen verschwin- Risiko und werden deshalb auch in der Behandlung von den. Das kann darauf hindeuten, dass die Prüfsubstanz Krebserkrankungen eingesetzt. hormonähnlich wirkt und das Tumorrisiko erhöht. 02/2020 39
SCHUTZ VON VERSUCHSTIEREN Die robotergestützte Testauswertung erfolgt rasch und GEBÄRMUTTERHALSKREBS ermöglicht das Überprüfen vieler Stofe in kurzer Zeit. BESSER VERSTEHEN Sebastian Dunst hof, dass das Verfahren hilf, Chemi- kalien sicher anzuwenden und neue Wirkstofe für die Gebärmutterhalskrebs ist weltweit der Krebsbehandlung zu erproben. Dass der Test am Deut- vierthäufgste bösartige Tumor der schen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren am BfR Frau. Um den Krankheitsverlauf besser entwickelt wurde, ist dabei kein Zufall. Denn er ist eine zu verstehen und neue Therapien zu mögliche Alternativmethode zu bislang vorgeschriebe- testen, entwickelt Juniorprofessor Peter nen Tierversuchen bei Chemikalien- und Medikamen- Loskill von der Eberhard Karls Univer- tentests. „Wann wir diese Tierversuche vollständig erset- sität Tübingen mit menschlichen Zellen zen können, ist eine andere Frage“, schränkt Dunst ein. aus dem Gebärmutterhals (Cervix) „Mi- „Zurzeit ist das noch nicht möglich.“ ni-Organe“. Sie ahmen die Krankheit und ihre Vorstufen im Menschen auf Dunst und sein Team haben den E-Morph-Test zu- einem „Gewebechip“ nach und ermög- nächst weltweit zum Patent angemeldet. „Das Verfahren lichen es, Immunzellen im Kontakt mit gibt Auskunf darüber, wie sich Zellen und Gewebe un- dem Krebs zu studieren. ter dem Einfuss von Hormonen oder hormonähnlichen Substanzen tatsächlich verändern“, sagt Dunst. „Es ist damit wirklichkeitsnäher als Tests, die unter stark ver- einfachten Bedingungen nur einzelne wenige Aspekte BARRIEREFREI? BESSER der Hormonwirkung registrieren.“ E-Morph kann für NICHT IM GEHIRN zwei Anwendungen interessant sein – zum einen für Das Gehirn ist ein empfndliches Organ. den Test von neuen Arzneimittel-Wirkstofen, und zum Es wird durch eine biologische Barriere, anderen für die Prüfung von Chemikalien, die auf den genannt Blut-Hirn-Schranke, vor schäd- Markt kommen sollen. lichen Substanzen und Krankheitserre- gern geschützt. Welche Nachteile eine Ein Test für Pharmazie und Chemie durchlässige Blut-Hirn-Schranke hat, untersuchen Dr. Petra Hundehege von Damit das Patent letztlich auch tatsächlich wirksam der Westfälischen Wilhelms-Universität wird, muss es noch separat in jedem einzelnen Land Münster und ihre Arbeitsgruppe. Sie zugelassen werden. Ein aufwendiger Prozess, denn stets arbeiten an einer – tierversuchsfreien – muss ein eigener Patentanwalt beaufragt werden, der Computersimulation, mit der Schäden der Landessprache kundig ist und die Patentansprüche an der Blut-Hirn-Schranke untersucht durchsetzt. Deshalb muss ausgewählt werden, wo der werden können, wie sie etwa nach Test angeboten werden soll. „Infrage kommen in erster einem Schlaganfall oder einer Schädel- Linie Staaten mit einer starken chemischen oder phar- verletzung auftreten können. mazeutischen Industrie“, erläutert der Wissenschafler. Und damit Länder wie die USA, Deutschland, Frank- reich oder Japan. WENIGER TIERVERSUCHE, Dunst arbeitet seit rund vier Jahren am BfR, zuvor stu- BESSERE ERGEBNISSE dierte er in Dresden Biologie und promovierte dort auch. Er forschte an Taufiegen und entdeckte dabei sei- Mangelhafte Statistik-Kenntnisse kön- ne Liebe zur Mikroskopie. Am BfR gefällt ihm, dass sei- nen die Qualität wissenschaftlicher Er- ne Arbeit wichtig für Mensch wie Tier ist. „Es ist keine gebnisse etwa in der biomedizinischen abgehobene Wissenschaf, man kann viel bewirken“, sagt Forschung schmälern. Fragwürdige er. „Dabei ist es mir ganz besonders wichtig, im Team Resultate wiederum können überfüs- zu arbeiten – gemeinsam lässt sich viel erreichen.“ Der sige Studien – und damit überfüssige E-Morph-Test ist ein Beispiel dafür – womöglich ein Tierversuche – zur Folge haben. Das sehr patentes. ◘ Team von Professor Daniel Hofmann von der Universität Duisburg-Essen will Abhilfe schaffen. Die Gruppe entwi- Mehr erfahren: ckelt die (frei zugängliche) Software Mitteilung Nr. 023/2020 des BfR vom 20. Mai 2020 „BASTA“ (das steht für „Bayes statistics for animal research“). Mit BASTA soll es leichter werden, Tierzahlen zu planen, Versuche auszuwerten und Ergebnisse zu veröffentlichen. 40 BfR 2 GO
PROJEKTFÖRDERUNG ZEBRAFISCHE SCHÜTZEN FRISCHE LUFT FÜR DIE ALTERN UNTER DEM MIKRO- GEHIRNENTWICKLUNG ASTHMAFORSCHUNG SKOP Schädliche Stoffe können die Entwick- Asthma ist eine chronische Entzündung Die Idiopathische Lungenfbrose ist ein lung des Gehirns im Mutterleib beein- der Atemwege, die häufg allergische chronisches Leiden, das nach einigen trächtigen. Chemikalien und Medika- Ursachen hat. Um den Ausbruch und Jahren meist zum Tod führt. Dabei wird mente müssen deshalb darauf getestet den Verlauf dieses verbreiteten „Volks- die Lunge durch wucherndes Bindege- werden, ob sie giftig für das Nervensys- leidens“ besser zu verstehen, entwickelt webe (Fibrose) eingeengt. Vermutlich tem (neurotoxisch) sind. Diese gesetz- das Team um Professor Holger Garn ist vorschnelles Altern am Entstehen der lich vorgeschriebene Prüfung erfolgt von der Philipps-Universität Marburg Krankheit beteiligt. Am Helmholtz-Zen- zurzeit an Mäusen und Ratten. Eine eine „Miniaturausgabe“ der Lunge in trum München entwickelt die Arbeits- mögliche Alternative anstelle der Nager der Petrischale, Organoid genannt. Als gruppe um Dr. Mareike Lehmann nun sind die Embryonen des Zebrafschs Grundlage der Organoide dient den Methoden, die auf mikroskopischen (Danio rerio). Die Forschergruppe um Forscherinnen und Forschern Gewebe Gewebeschnitten aus der menschli- Dr. Stefan Scholz vom Helmholtz-Zen- aus den Atemwegen von Maus und chen Lunge beruhen. An ihnen will das trum für Umweltforschung in Leipzig Mensch. Team das vorschnelle Altern und die prüft, ob sie als Modellorganismen Fibroseentstehung studieren, einen Test geeignet sind. entwickeln und Wirkstoffe testen. Damit können belastende Tierversuche ersetzt werden. Mikro-Organ statt Tierversuch MIT DER TAUFLIEGE GEGEN Ob Taufiege, Zellkultur EMBRYO 2.0 NIERENLEIDEN oder Sofware – es gibt Verborgen vor der Außenwelt wächst Die Nieren reinigen das Blut. Ein Zuviel der Embryo heran. Das macht es des blutzuckersenkenden Hormons viele Ansätze, um her- schwierig, seine Entwicklung im Detail Insulin im Blut (wie beim Typ-II-Diabetes kömmliche Experimente zu verstehen. Embryonale Stammzellen oder „Alterszucker“) kann jedoch die der Maus können jedoch Licht in das Filtersysteme der Nieren, Glomeruli an Tieren zu verringern. Dunkel bringen, hoffen Dr. Jesse Veen- genannt, schädigen und ein Nieren- Ein Überblick über Vorha- vliet und sein Team vom Max-Planck-In- versagen fördern. Um diese Vorgänge stitut für Molekulare Genetik in Berlin. besser zu verstehen und Nierenversa- ben, die im Jahr 2019 eine Diese ursprünglichen Zellen sind gen vorzubeugen, erforschen Dr. Lucas Förderzusage durch das imstande, alle Arten von Gewebe zu Kühne und sein Team vom Universi- bilden. Unter bestimmten Bedingungen tätsklinikum Köln die „Nierenzellen“ der Deutsche Zentrum zum können sie zu Gebilden heranwach- Taufiege (Drosophila melanogaster). Schutz von Versuchstie- sen, die frühen Embryonen ähneln. Mit Das hat nicht nur wissenschaftliche modernen Untersuchungsmethoden will Vorzüge, da die Tiere leicht zu züchten ren am BfR erhielten. man der Vielfalt dieser Entwicklungspro- sind und sich rasch vermehren, son- zesse nachspüren. dern kann auch helfen, die Zahl der bislang verwendeten Versuchstiere wie Mäuse oder Ratten zu verringern. Mehr erfahren: www.bfr.bund.de > Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren > Kompetenzbereiche > Bf3R-Forschungsförderung (Die nächste Ausschreibung der Forschungsförderung erfolgt im Frühjahr 2021.) 02/2020 41
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