Virushepatitis B und D im Jahr 2020 - Robert Koch-Institut
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Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 3 Virushepatitis B und D im Jahr 2020 Infektionen mit Hepatitis-B-Viren (HBV) gehören wiegend sexuell und durch Kontakt mit kontami- zu den häufigsten Infektionskrankheiten weltweit. niertem Blut oder anderen Körperflüssigkeiten (z. B. Im Fall eines chronischen Verlaufs zählen sie zu Sperma und Vaginalsekret). Eine HBV-Infektion ver- den bedeutendsten Ursachen von Leberzirrhose läuft bei Erwachsenen häufig asymptomatisch oder und Leberzellkarzinom. Der Tod infolge eines Le- mit unspezifischen Beschwerden. Nur in etwa ei- berzellkarzinoms rangiert weltweit auf Platz zwei nem Drittel der Fälle entsteht das klinische Bild ei- der krebsbedingten Todesursachen. Nach Schätzun- ner akuten ikterischen Hepatitis. In 0,5 – 1% der Fäl- gen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ster- le verläuft die Infektion fulminant mit akutem Le- ben weltweit jährlich 820.000 Menschen an Hepa- berversagen. Über 90 % der akuten Hepatitis-B- titis B.1 Deutschland zählt in Bezug auf die Allge- Erkrankungen bei Erwachsenen heilen aus und füh- meinbevölkerung zu den Niedrigprävalenzregio- ren zu einer lebenslangen Immunität. Jedoch kann nen, dennoch sind vulnerable Gruppen besonders das Virus auch bei Personen mit nachweisbaren An- betroffen. Das Bundesministerium für Gesundheit tikörpern gegen das Hepatitis-B-Surface-Antigen (BMG) hat sich mit der „Strategie zur Eindämmung (anti-HBs) lebenslang als covalently closed circular von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell DNA (cccDNA) persistieren und zu einer Reaktivie- übertragbaren Infektionen (STI) bis 2030“ die nach- rung des Virus (z. B. bei Immunsuppression) füh- haltige Eindämmung dieser Infektionskrankheiten ren.4 Bei 5 – 10% der HBV-infizierten Erwachsenen zum Ziel gesetzt.2 Auch die WHO hat durch ihren entwickelt sich eine chronische Verlaufsform. Im Aktionsplan gegen Virushepatitis die Aufmerksam- frühen Kindesalter verläuft die Infektion hingegen keit für Hepatitis B erhöht.3 Ziel des Plans ist die in ca. 90% chronisch, bei immunkompromittierten Eliminierung der Virushepatitis als eine Bedrohung Personen in 30 – 90% der Fälle. Unter den chronisch der öffentlichen Gesundheit bis 2030. Aktuell ent- HBV-Infizierten entwickeln 20 – 30% eine Leberzir wickelt die WHO einen neuen Strategieplan für die rhose oder ein Leberzellkarzinom.5 Jahre 2022 – 2030. Zur Diagnostik und Therapie der HBV-Infektion Am 28. Juli 2021 findet der diesjährige Welt-Hepa- verweisen wir auf die neu veröffentlichte S3-Leit titis-Tag unter dem Motto „Hepatitis kann nicht linie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der warten!“ statt, welches sich an das Motto der World Hepatitis-B-Virusinfektion.6 Hepatitis Alliance (WHA) anlehnt und als politische Forderung gemeint ist, dass mehr Anstrengungen Seit 1982 stehen zum Schutz vor Hepatitis B Impf- zur Eindämmung dieser Infektionen unternommen stoffe mit hoher Wirksamkeit und guter Verträglich- werden müssen. keit zur Verfügung. Internationalen Studien zufolge kann nach erfolgreicher Grundimmunisierung von einem langjährigen, möglicherweise sogar lebens- 1. Hintergründe zu Infektionen mit langen Schutz vor einer Hepatitis-B-Erkrankung Hepatitis B und D ausgegangen werden. Die Ständige Impfkommis sion (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) emp- 1.1 Hepatitis B fiehlt seit 1995 eine generelle Schutzimpfung gegen Hepatitis B ist eine durch HBV ausgelöste Leberent- Hepatitis B im Säuglingsalter, mit Nachholung ver- zündung. Das HBV ist ein DNA-Virus aus der Fami- säumter Impfungen bis zum 18. Lebensjahr. Darü- lie der Hepadnaviridae. Die Übertragung erfolgt vor- ber hinaus empfiehlt die STIKO eine Hepatitis-B-
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 4 Impfung Angehörigen bestimmter Risikogruppen, 2. Epidemiologische Situation weltweit wie Patientinnen und Patienten mit Immunsup- pression oder Personen mit erhöhtem Expositions- 2.1 Hepatitis B risiko (unter anderem intravenös (i.v.) Drogenge- Hepatitis B ist eine der häufigsten Infektionskrank- brauchenden, Gefängnisinsassen, Personen mit heiten. Weltweit lebten im Jahr 2019 nach Angaben Sexualverhalten mit hohem Infektionsrisiko sowie der WHO 296 Millionen Menschen mit einer chro- expositionsgefährdetes Personal in medizinischen nischen Hepatitis B.1 Die WHO geht davon aus, Einrichtungen), s. hierzu die aktuelle STIKO- dass etwa 65 Millionen Frauen im reproduktiven Al- Empfehlung. In Deutschland stehen monovalente ter chronisch mit HBV infiziert sind (Schätzung für Hepatitis-B-Impfstoffe, bivalente Kombinations- das Jahr 2015) und damit das Risiko für eine Mutter- impfstoffe gegen Hepatitis A und B und hexavalen- Kind-Übertragung besteht.15 Trotz der Verfügbarkeit te Kombinationsimpfstoffe mit Hepatitis-B-Kompo- einer wirksamen Schutzimpfung infizieren sich je- nente für Kinder zur Verfügung. In Abhängigkeit des Jahr schätzungsweise 1,5 Million Menschen mit vom verwendeten Impfstoff und Impfschema be- Hepatitis B und im Jahr 2019 starben etwa 820.000 steht eine vollständige Grundimmunisierung aus 3 Menschen weltweit an den Folgen einer HBV-Infek- bzw. 4 Impfdosen. Seit Juni 2020 wird bei Kombi- tion.1 Die WHO geht davon aus, dass weltweit nur nationsimpfstoffen im Säuglingsalter statt des 10 % der chronisch mit Hepatitis B Infizierten diag- 4-Impfdosen-Schemas nun ein 3-Dosen-Schema nostiziert sind und 22 % von ihnen eine Therapie empfohlen.7 Für weitere Informationen zur Präven- erhalten.1 tion von HBV-Infektionen verweisen wir auf den RKI-Ratgeber zu Hepatitis B und D.8 Die Hepatitis-B-Prävalenz war im Jahr 2015 in der West-Pazifik-Region und in Afrika mit etwa 6 % 1.2 Hepatitis D weltweit am höchsten. In der Mittelmeerregion, Das Hepatitis-D-Virus (HDV), ist ein RNA-Virus, Südostasien und der Europäischen Region schätzte das HBV zur Replikation benötigt. die WHO eine Prävalenz von 3,3 %, 2,0 % und 1,6 %. Demgegenüber sind weniger als 1 % der Bevölke- Die Übertragung des HDV erfolgt wie beim HBV rung in der amerikanischen Region infiziert.16,17 Die sexuell oder durch kontaminiertes Blut oder konta- Transmission folgt zwei epidemiologischen Mus- minierte Blutprodukte. Eine HBV-Koinfektion mit tern: Während die Übertragung in Niedrigpräva- HDV kann in 70 – 90 % der Fälle zu schweren chro- lenzgebieten wie Westeuropa überwiegend über Ri- nischen Verläufen führen. Es wurde geschätzt, dass sikoverhalten wie Sexualverkehr und i. v.-Drogen HDV für 18 % der Leberzirrhosen und 20 % der gebrauch erfolgt, wird das Virus in Hochprävalenz- Leberzellkarzinome, die mit Hepatitis B assoziiert gebieten wie Subsahara-Afrika häufig perinatal sind, verantwortlich ist.9,10 Die Infektion kann so- übertragen.4 wohl gleichzeitig mit einer Hepatitis B erfolgen (Simultaninfektion) als auch als Infektion einer be- WHO-Schätzungen zufolge waren in der Europäi- reits bestehenden chronischen Hepatitis B auftreten schen Region im Jahr 2015 etwa 15 Millionen Men- (Superinfektion). Das klinische Krankheitsbild und schen mit HBV infiziert.15 Laut Schätzungen des der Krankheitsverlauf sind abhängig von der Art der European Centre for Disease Prevention and Control Infektion (Simultan- oder Superinfektion). Im Falle (ECDC) anhand Prävalenzstudien der Jahre 2005 – einer Superinfektion sind fulminante Verläufe häu- 2015 leben etwa 4,7 Millionen Menschen mit einer fig und die Progression zur Leberzirrhose wird be- chronischen Hepatitis B in den Ländern der EU und schleunigt. Jahrzehntelang stand keine wirksame des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Aller- antivirale Therapie gegen HDV zur Verfügung.9,11,12 dings existieren auch in Europa ausgeprägte Unter- Im Juli 2020 erhielt Bulevirtid eine bedingte Markt- schiede in der regionalen Verbreitung.18 Die Präva- zulassung in der Europäischen Union (EU). Weitere lenz der chronischen HBV-Infektion (HBs-Antigen Substanzen werden zur Zeit in klinischen Studien nachweisbar) in der Allgemeinbevölkerung variiert der Phase II und III erforscht.13,14 von 0,1% in Irland bis zu über 4% in Rumänien und ist höher in den östlichen und südlichen Ländern als
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 5 in den nördlichen und westlichen.18 Die Prävalenz ist 3.1 Situation auf Basis der Meldedaten nach höher in vulnerablen Gruppen, wie z. B. Migrantin- Infektionsschutzgesetz nen und Migranten, Männer die Sex mit Männern haben (MSM) und injizierende Drogengebrauchen- 3.1.1 Anpassung des Infektionsschutzgesetzes de, was auf Impflücken und Notwendigkeit einer und der Falldefinitionen zielgerichteten Prävention hindeutet.18,19 In Deutschland bestehen für Hepatitis B und D ge- mäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) namentliche 2.2 Hepatitis D Labor- und Arztmeldepflichten. Am 25. Juli 2017 ist Hepatitis D kommt weltweit vor. In einem im Jahr das Gesetz zur Änderung der epidemiologischen 2020 durchgeführtem systematischen Review wur- Überwachung übertragbarer Krankheiten in Kraft de berechnet, dass 4,5 % (95 %-Konfidenzintervall getreten. Seither besteht eine Meldepflicht nach § 6 (95 %-KI) 3,6 – 5,7) der HBsAg-positiven Personen IfSG für die feststellenden Ärztinnen und Ärzte bei eine Infektion mit HDV aufweisen.9 Insgesamt sind Verdacht auf bzw. Erkrankung oder Tod durch eine circa 12 Millionen Personen weltweit mit HDV infi- akute Virushepatitis. Nach § 7 IfSG besteht eine Mel- ziert.9 Zu den Hochprävalenzgebieten gehören unter depflicht für Laborleiterinnen und -leiter bei allen anderem: Mongolei, Republik Moldau und West- Nachweisen einer Hepatitis B sowie Hepatitis D, und Zentralafrika.9 Aus vielen Ländern fehlen jedoch unabhängig vom klinischen Bild (symptomatisch belastbare Daten. Die HDV-Prävalenz ist bei Men- oder asymptomatisch) und Stadium der Erkrankung schen, die Drogen injizieren und mit Hepatitis C (akut oder chronisch).24 Allerdings müssen hier die (HCV) oder mit dem Humanen Immundefizienz- Nachweise auf ein Vorhandensein des Erregers Virus (HIV) infiziert sind, höher.9 gerichtet sein, also auf eine aktive (replikative) akute oder chronische HBV-Infektion der betroffenen Person hinweisen. Hierzu veröffentlichte das RKI 3. Epidemiologische Situation in Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ). Deutschland Deutschland gehört zu den Niedrigprävalenzlän- Die Anpassung der Falldefinition seit dem 1. Januar dern für Hepatitis B. Die „Studie zur Gesundheit 2015 wurde ausführlich im Jahresbericht 2016 er- Erwachsener in Deutschland“ ergab für den Zeit- läutert.25 Seit 2015 erfüllen auch Fälle, die die Krite- raum 2008 – 2011 eine HBsAg-Prävalenz von 0,3 % rien des klinischen Bildes nicht zeigen oder bei de- in der Allgemeinbevölkerung. 5,1 % der Erwachse- nen diese nicht ermittelbar sind, die Referenzdefi- nen wiesen Marker für eine HBV-Infektion in der nition.26 Vergangenheit oder aktuell (Hepatitis B Core-Anti- körper, anti-HBc) auf.20 In der Kinder- und Jugend- In den Meldedaten wurden folgende Datenkorrek- gesundheitsstudie, die von 2003 – 2006 durchge- turen vollzogen: Ab dem Meldejahr 2019 erfüllen führt wurde, lag die HBsAg-Prävalenz bei Kindern alle als „chronisch“ übermittelten Fälle die Refe- und Jugendlichen bei 0,2 %. 0,5 % wiesen anti-HBc renzdefinition sowie ab dem Meldejahr 2015 alle Fäl- auf.21 le in den Falldefinitionskategorien D und E, die bis- her nicht die Referenzdefinition erfüllten. Die epidemiologische Datenlage zu Hepatitis B und C wurde durch das RKI in einem breit angelegten 3.1.2 Hepatitis B Scoping-Review von Publikationen der Jahre 2005 – Für das Jahr 2020 wurden insgesamt 6.798 Hepa- 2017 systematisch untersucht.22,23 Die Gesamtpräva- titis-B-Fälle an das RKI gemäß Falldefinition und lenz von HBsAg in der Allgemeinbevölkerung lag nach Referenzdefinition übermittelt. Dies entsprach zwischen 0,3 und 1,6 %. Unter vulnerablen Grup- einer bundesweiten Inzidenz von 8,2 gemeldeten pen lag die Prävalenz zwischen 0,2 % (bei Personen Infektionen pro 100.000 Einwohnern (Einw.). Von mit rheumatologischen Erkrankungen) und 4,5 % den übermittelten Fällen waren 375 als akut (0,5 pro bei HIV-positiven Personen.23 100.000), 3.071 als chronisch (3,7 pro 100.000) und 3.352 als Stadium unbekannt (4,0 pro 100.000) übermittelt. Die akuten Fälle wurden am häufigsten
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 6 2020 Ingesamt Akute Infektion Chronische Infektion Stadium unbekannt Kategorie Anzahl Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil klinisch-labordiagnostisch (C) 930 263 70 % 484 16 % 183 5% labordiagnostisch bei nicht erfülltem klinischen Bild (D) 3.160 110 29 % 2.581 84 % 469 14 % labordiagnostisch bei unbekanntem klinischen Bild (E) 2.708 2 0,5 % 6 0,2 % 2.700 81 % Referenzdefinition (C+D+E) 6.798 375 100 % 3.071 100 % 3.352 100 % Tab. 1 | Übermittelte Hepatitis-B-Fälle nach Kategorie der Falldefinition und Infektionsstatus, Deutschland, 2020 in der Falldefinitionskategorie C übermittelt (70 %, 2019 sowie IfSG-Änderung im Jahr 2017 haben die 263), die chronischen Fälle in der Falldefinitionska- Fallzahlen deutlich zugenommen. Im Jahr 2020 tegorie D (84 %, 2.581) und die Fälle mit unbekann- wurden 2.148 (24 %) weniger Infektionen als im tem Infektionsstadium in Falldefinitionskategorie E Vorjahr übermittelt. Die Reduktion der Fallzahlen (81 %, 2.700). Ein Überblick über die übermittelten betraf alle drei Infektionsstadien (s. Abb. 1). Hepatitis-B-Fälle nach Kategorie der Falldefinition und Infektionsstatus ist in der Tabelle 1 dargestellt. Eine Differenzierung der Hepatitis-B-Fälle nach In- fektionsstatus zeigt, dass seit 2006 die Anzahl über- Zeitlicher Verlauf mittelter akuter Infektionen relativ konstant blieb. In Insgesamt wurde zwischen den Jahren 2001 und den Jahren von 2015 – 2018 wurden die meisten Fälle 2009 ein Rückgang der übermittelten HBV-Infek nach Falldefinitionskategorie E übermittelt. Der An- tionen beobachtet. Dieser Trend stagnierte mit ge- stieg in Kategorie E in den Jahren ab 2015 kann ringen Schwankungen zwischen den Jahren 2009 durch vermehrte Testung (z. B. Screening von Asyl- und 2014. Mit Änderung der Falldefinition 2015 und suchenden) sowie mit der IfSG-Änderung erklärt Anzahl der Infektionen Chronische Fälle 10.000 werden veröffentlicht Referenzdefinition nicht erfüllt* 9.000 chronisch unbekannt 8.000 akut 7.000 Änderung Meldepflicht 6.000 Änderung der Meldepflicht 5.000 FD-Änderung 4.000 3.000 2.000 1.000 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Meldejahr Abb. 1 | Übermittelte Hepatitis-B-Virus-Infektionen nach Meldejahr und Infektionsstadium, Deutschland, 2001 – 2020 * Fälle, die die Referenzdefinition nicht erfüllen, ohne chronische Fälle (FD = Falldefinition)
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 7 werden.27,28 Seit dem Jahr 2019 werden auch chroni- ergab sich ein Rückgang der übermittelten akuten sche Infektionen29 veröffentlicht, was zu einem wei- HBV-Infektionen von 31 % (95 %-KI: –42 %; –16 %). teren starken Anstieg der übermittelten Infektionen Bei übermittelten HBV-Infektionen mit chroni- führte. In den Vorjahren, insbesondere nach dem schem oder unbekanntem Stadium zeigten sich Jahr 2015, wurden die chronischen Fälle zwar zum Veränderungen von –24 % (95 %-KI: –29 %; –19 %) Teil übermittelt, können jedoch nicht interpretiert und –28 % (95 %-KI: –32 %; –23 %). Die COVID-19- werden, da die Vollständigkeit dieser Übermittlung Pandemie kann für das Jahr 2020 in drei Phasen unbekannt ist. In Abbildung 1 werden auch Fälle, die eingeteilt werden: Phase I (Kalenderwoche (KW) die Referenzdefinition nicht erfüllen, gezeigt. Diese 10 – 20; erste COVID-19-Welle), Phase II (KW 21 – 39; Kategorie umfasst Fälle, die in den Falldefinitions Sommer) und Phase III (ab KW 40; Herbst-Winter- kategorien D und E übermittelt wurden und nicht als Saison, zweite COVID-19-Welle).30 Der stärkste „chronisch“ gekennzeichnet waren. Rückgang bei den übermittelten HBV-Infektionen mit akutem Stadium wurde in Phase III beobachtet Mittels einer Quasi-Poisson-Regression wurde der (–40 %, 95 %-KI: –55 %; –19 %) im Vergleich zu Einfluss der Coronavirus Disease 2019 (COVID-19)- Phase I (–25 %, 95 %-KI: –25 %; –4 %) und Phase II Pandemie auf die Veränderung der Anzahl der über- (–31 %, 95 %-KI: –44 %; –13 %). Die Reduktion der mittelten, wöchentlich aggregierten Hepatitis-B- übermittelten Infektionen mit chronischem Stadium Fälle analysiert. In das Modell wurde zusätzlich zu unterschied sich zwischen den drei Phasen nur we- einer Variable, die das Vorliegen von Maßnahmen nig voneinander, war aber mit –21 % (95 %-KI: im Rahmen der Pandemiebekämpfung anzeigt, der –27 %; –14 %) in Phase II am geringsten. Auch die Trend einbezogen.29 Die relative Veränderung der Veränderungen der übermittelten HBV-Infektionen Fallzahlen im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vor- mit unbekanntem Stadium fielen in Phase II (–23 %, jahren ab 2018 konnte so berechnet werden. Im Ver- 95 %-KI: –28 %; –17 %) weniger stark aus als in gleich zu den modellbasierten erwarteten Fallzahlen Phase I und Phase III. Bundesland Mecklenburg-Vorpommern akut chronisch unbekannt Brandenburg Thüringen Sachsen-Anhalt Sachsen Hamburg Niedersachsen Saarland Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Hessen Bayern Berlin Baden-Württemberg Bremen 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Akut Gesamtinzidenz Infektionen/100.000 Einwohner Bundesweit 0,5 Bundesweit 8,2 Abb. 2 | Übermittelte Hepatitis-B-Virus-Infektionen pro 100.000 Einwohner nach Bundesland und Infektionsstatus, 2020 (n = 6.798)
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 8 Geografische Verteilung mittelten Fällen mit chronischem Infektionsstatus Die Meldeinzidenzen in den Bundesländern betru- lagen die Inzidenzen in den Bundesländern zwi- gen 2020 zwischen 2,1 Infektionen (akut, chronisch schen 0,8 in Sachsen und 12,2 pro 100.000 Einw. in und unbekannt) pro 100.000 Einw. in Mecklen- Bremen. burg-Vorpommern und 18,4 in Bremen. Für 2020 waren die Bundesländer Mecklenburg-Vorpom- Infektionsland mern, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt Bei 1.589 (23 %) der insgesamt 6.798 Infektionen und Sachsen mit unter 5 übermittelten Infektionen wurde das wahrscheinliche Infektionsland angege- pro 100.000 Einw. die Bundesländer mit den nied- ben (Mehrfachnennungen möglich). Auf Deutsch- rigsten Inzidenzen in Deutschland (s. Abb. 2). Bun- land entfielen 62 % der Nennungen (n = 1.007), ge- desländer mit einer Inzidenz über 9 Infektionen folgt von Rumänien (n = 74), Türkei (n = 51), Syrien pro 100.000 Einw. waren Bremen (18,4), Baden- (n = 33), Vietnam (n = 29) und der Russischen Föde- Württemberg (12,0), Berlin (10,6), Bayern (9,7) und ration (n = 27). Hessen (9,6). Seit der IfSG-Novellierung werden Angaben zu Ge- Nach Infektionsstadium differenziert betrugen in burtsland und Staatsangehörigkeit übermittelt. Für den Bundesländern die Inzidenzen akuter Infektio- 3.761 (55 %) der Fälle wurden die Angaben zum Ge- nen zwischen 0 im Saarland und einer akuten In- burtsland und für 3.117 (46 %) zur Staatsangehörig- fektion pro 100.000 Einw. in Bremen. keit übermittelt. Deutschland wurde bei 32 % (1.183) der Infektionen als Geburtsland angegeben. Häufig Die Inzidenzen für Infektionen mit unbekanntem wurden auch die Türkei (8,6 %; 324), Rumänien Infektionsstatus lagen zwischen 0,5 in Thüringen (6,9 %; 258), Vietnam (3,7 %; 138) und die Russische und 6,2 pro 100.000 Einw. in Bayern. Bei den über- Föderation (3,4 %; 126) genannt. 0,2 % · Länder der WHO-Region Amerika Länder der WHO-Region Südostasien · 2 % 1 % · Ausland (Land unbekannt) Länder der WHO-Region West-Pazifik · 7 % andere Länder der WHO-Region Östliches Mittelmeer · 4 % Afghanistan · 3 % 31 % · Deutschland Syrien · 3 % Länder der WHO-Region Afrika · 10 % 9 % · Türkei andere Länder der WHO-Region Europa · 23 % 7 % · Rumänien Abb. 3 | An das RKI übermittelte Hepatitis-B-Fälle mit Angaben zum Geburtsland bzw. WHO-Region (n = 3.761)
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 9 Infektionen/100.000 Einwohner 18 unbekannt 16 chronisch akut 14 12 10 8 6 4 2 0 < 15 15 – 19 20 – 24 25 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 + Altersgruppe Abb. 4 | An das RKI übermittelte Hepatitis-B-Fälle pro 100.000 Einwohner nach Altersgruppe und Infektionsstadium bei Frauen, Deutschland 2020 Betrachtet nach Regionen werden am häufigsten ten Infektionen als akute Infektion übermittelt. Länder der WHO-Region Europa als Geburtsland Hierbei wiesen 30 – 39-jährige (0,6), 40 – 49-jährige angegeben (69 %; 2.613), gefolgt von der WHO- (0,5) Frauen sowie 30 – 39-jährige (1,0), 40 – 49- Region Afrika (10 %, 391) und der WHO-Region jährige (0,9) und 50 – 59-jährige (1,0) Männer die Östliches Mittelmehr (10 %; 376). Eine Darstellung höchsten Inzidenzen akuter Infektionen pro der an das RKI übermittelten Hepatitis-B-Fälle nach 100.000 Einw. auf. Die Hepatitis-B-Fälle pro 100.000 Geburtsland ist Abbildung 3 zu entnehmen. Einw. nach Altersgruppe und Infektionsstadium sind in den Abbildungen 4 (Frauen) und 5 (Männer) Demografische Verteilung: Die Meldeinzidenz für dargestellt. Hepatitis B lag bei Jungen und Männern mit 9,4 In- fektionen pro 100.000 Einw. höher als bei Mädchen Infektionsrisiken und Frauen (6,8 pro 100.000 Einw.). Bei beiden Ge- Nur bei 259 (4 %) der 6.798 übermittelten Infektio- schlechtern waren die Altersgruppen der 30- bis nen wurden Angaben zum wahrscheinlichen Über- 39-Jährigen am stärksten betroffen. Hier lag die In- tragungsweg gemacht. Mehrfachnennungen wur- zidenz aller übermittelten Infektionen (akut, chro- den bei der Auswertung auf den wahrscheinlichsten nisch und unbekannt) für Frauen bei 16,7 pro Übertragungsweg reduziert. 100.000 Einw. und für Männer bei 17,7 pro 100.000 Einw. Die Inzidenz im Kindesalter (< 15 Jahre) war Der am häufigste übermittelte Übertragungsweg mit 0,3 pro 100.000 Einw. insgesamt niedrig. Drei war 2020 die Wohngemeinschaft mit einem HBV- von 31 Infektionen entfielen jedoch auf Kinder im Träger (95 Fälle, 37 %). Als zweithäufigster Übertra- ersten Lebensjahr (0,4 pro 100.000 Einw.). gungsweg wurde i. v.-Drogenkonsum bei 74 Infekti- onen (29 %) angegeben, darunter 8 Infektionen Sowohl bei Männern als auch bei Frauen wurde nur während eines Haftaufenthaltes. Als dritthäufigster ein kleiner Teil (6,6 % bzw. 4,1 %) aller übermittel- wahrscheinlicher Übertragungsweg wurde sexuelle
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 10 Infektionen/100.000 Einwohner 20 unbekannt 18 chronisch akut 16 14 12 10 8 6 4 2 0 < 15 15 – 19 20 – 24 25 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 + Altersgruppe Abb. 5 | An das RKI übermittelte Hepatitis-B-Fälle pro 100.000 Einwohner nach Altersgruppe und Infektionsstadium bei Männern, Deutschland 2020 Transmission bei 51 Infektionen (20 %) genannt, da- Für 70 (38%) der 184 geimpften Fälle lagen ausrei- runter 32 Infektionen durch heterosexuellen Kon- chende Angaben zur Anzahl der Impfstoffdosen, takt mit einem mit HBV infizierten Partner und zum Datum der letzten Impfung sowie zum verab- 19 Infektionen durch gleichgeschlechtliche Kontak- reichten Impfstoff für eine Bewertung vor. Bei ins- te unter Männern. Des Weiteren wurde bei 34 Infek- gesamt 50 Personen wird angenommen, dass sie tionen (13 %) der Erhalt von Blutprodukten, bei 3 In- zum Zeitpunkt der Infektion unvollständig geimpft fektionen (1 %) Dialyse und bei 2 Infektionen (1 %) waren: Bei 40 dieser Infektionen waren lediglich perinatale Übertragung als wahrscheinlichster eine oder 2 Impfdosen angegeben; bei 3 Infektionen Übertragungsweg genannt. fehlte die 4. Impfdosis bei Impfung mit einem hexavalenten Kombinationsimpfstoff. Weitere 7 Per- Impfstatus sonen wurden nicht zeitgerecht geimpft, ihr Erkran- Bei 2.791 (41 %) der 6.798 übermittelten HBV-Infek- kungsbeginn war < 14 Tage nach der letzten Imp- tionen lagen Angaben zum Impfstatus vor. Von die- fung. Insgesamt 20 Infizierte hatten einen als aus- sen 2.791 Infektionen wurden 2.607 (93 %) als un- reichend anzunehmenden Impfschutz mit mindes- geimpft übermittelt. Bei 184 Infektionen mit Anga- tens 3 Impfungen erhalten und infizierten sich ben zum Impfstatus wurde eine HBV-Infektion zwischen 3 Monaten und 30 Jahren nach der letzten trotz Impfung angegeben. Von diesen 184 fehlten Impfung. Die vorliegenden Informationen könnten bei 114 Infektionen ausreichende Angaben zur Be- bei diesen Fällen für einen Impfdurchbruch spre- wertung des anzunehmenden Impfschutzes: So la- chen, wobei beachtet werden muss, dass die über- gen von 71 Infektionen keine Angaben zur Anzahl mittelten Angaben für eine solche Einschätzung nur der erhaltenen Impfdosen vor; bei 29 Infektionen unzureichend sind. So werden in der Regel keine fehlten Angaben zum Abstand der letzten Impfung Angaben zu einem Ausschluss einer bereits beste- zum Erkrankungsbeginn und bei 14 Infektionen henden HBV-Infektion vor Impfung, keine Angaben fehlten Angaben zum verabreichten Impfstoff bei zur Kontrolle des Impferfolges nach 4 bis 8 Wochen 3-maliger Impfung. und keine Angaben zum Abstand zwischen den ein-
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 11 zelnen Impfungen übermittelt. Des Weiteren wer- Die 41 Infektionen wurden aus 11 Bundesländern (je den nur Angaben zum zuletzt verwendeten Impf- ein bis 13 Infektionen) übermittelt. Bei 7 Infektionen stoff übermittelt. Vorherige Impfungen mit einem wurden Angaben zum wahrscheinlichen Infek abweichenden Impfstoff werden nicht erhoben. tionsland gemacht. Als Infektionsland wurde sechs- mal Deutschland und einmal Georgien genannt. Datenqualität Von den 41 HDV-Infektionen betrafen 26 (63 %) Seit Änderung des IfSG im Juli 2017 sind alle labor- Männer und 15 (37 %) Frauen. Die meisten Infektio- diagnostischen Nachweise einer Hepatitis B melde- nen (63 %) wurden bei 30- bis 49-Jährigen übermit- pflichtig, wodurch alle aktiven (akuten oder chroni- telt. Der kontinuierliche Anstieg in den Jahren schen) Infektionen erfasst werden. Zusätzlich konn- 2015 – 2017 ist durch die Änderung der Falldefinition ten Angaben über das Infektionsstadium werden. zu erklären. Es ist nicht auszuschließen, dass es Seit 2019 erfüllen übermittelte Fälle mit chroni- sich auch um nachgemeldete Fälle handelt, die seit schem Infektionsstadium die Referenzdefinition. längerer Zeit eine chronische HDV-Infektion auf- Dadurch wurden im Jahr 2020 2.290 Fälle mehr weisen. Dies betrifft insbesondere die Falldefiniti- übermittelt als 2018. 3.071 der im Jahr 2020 über- onskategorien D und E. Hierbei ist zu beachten, mittelten Fälle waren chronische Fälle. Nicht er- dass sich bei niedrigen Fallzahlen bereits leichte kannte chronische Fälle könnten sich auch weiter- Schwankungen stärker auswirken. Der Anstieg seit hin in dem hohen Anteil der übermittelten Fälle mit den letzten 2 Quartalen 2017 ist vermutlich vor al- unbekanntem Infektionsstadium verbergen. Dop- lem durch die Änderung der Meldepflicht gemäß pelmeldungen bereits bekannter Hepatitis-B-Fälle IfSG im Juli 2017 bedingt. Im Vergleich zum Vor- können nicht komplett ausgeschlossen werden und jahr wurden im Jahr 2020 24 HDV-Infektionen we- könnten ebenfalls einen Einfluss auf die Anzahl niger übermittelt (Reduktion um 37 %). Mögliche neu übermittelter Infektionen haben. Ursachen der im Jahr 2020 niedrigeren Zahlen können u. a. eine veränderte Inanspruchnahme von Die Verbesserung der Datenqualität spielt hinsicht- Gesundheitsleistungen und ein verändertes Kon- lich des Infektionsstadiums eine wichtige Rolle. taktverhalten während der COVID-19-Pandemie Aufgrund der Änderung der Falldefinition 2015, der sein. IfSG-Novellierung 2017 und dem Einschluss chro- nischer Fälle in die Referenzdefinition 2019 sind die 3.2 Epidemiologische Situation und Impfquo- übermittelten Fallzahlen nur bedingt mit den Fall- ten auf der Basis von Projekten und Studien zahlen der Vorjahre vergleichbar. Trendauswertun- gen aller übermittelten Infektion ohne Berücksich- 3.2.1 Allgemeinbevölkerung tigung des Infektionsstadiums sind noch nicht Die DEGS1-Studie (DEGS – Studie zur Gesundheit möglich. Erwachsener in Deutschland) ergab für den Zeit- raum 2008 – 2011 eine HBsAg-Prävalenz in der All- Zusätzlich zu den Angaben zum wahrscheinlichen gemeinbevölkerung von 0,3 %.20 Die gern-Studie Infektionsland werden seit der IfSG-Novellierung (gern – Gesundheits- und Ernährungsstudie in im Juli 2017 bei Hepatitis B Angaben zum Geburts- Deutschland), ein Survey zur Gesundheit von Er- land erfasst. Damit wird es zukünftig möglich sein, wachsenen in Deutschland, war für 2020 geplant aus den Meldedaten bessere Hinweise auf die und ist aber aufgrund der COVID-19-Pandemie auf Krankheitslast bei verschiedenen Migrationspopu- unbekannte Zeit verschoben. Die 2. Welle des Kin- lationen zu erhalten. Der Anteil von Fällen mit In- der- und Jugendgesundheitssurveys KiGGS wurde formationen zum Geburtsland (55 %) ist im Ver- 2017 abgeschlossen und wird derzeit ausgewertet. gleich zum Vorjahr (59 %) leicht gesunken. In der 1. Welle von 2003–2006 zeigte sich bei 3- bis 17-Jährigen eine HBsAg-Prävalenz von 0,2 %. 66 % 3.1.3 Hepatitis D der Kinder im Alter über 2 Jahre waren vollständig Im Jahr 2020 wurden in Deutschland insgesamt gegen Hepatitis B geimpft.21,31 Die ersten Ergebnisse 41 Infektionen mit HDV übermittelt, 24 Fälle weni- der KiGGS Welle 2 zeigten für die vollständige ger als im Vorjahr (s. Abb. 6). Grundimmunisierung gegen Hepatitis B eine zur
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 12 Anzahl der übermittelten HDV-Infektionen 80 Referenzdefinition nicht erfüllt - 70 Referenzdefinition erfüllt FD-Änderung 60 50 36 40 6 1 42 27 26 61 65 30 19 14 6 20 21 24 20 39 41 11 18 36 14 9 16 31 10 21 20 22 15 17 17 8 12 10 9 8 10 7 7 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Meldejahr Abb. 6 | An das RKI übermittelte Hepatitis-D-Fälle nach Meldejahr, Deutschland, 2001 – 2020 (FD = Falldefinition) Schuleingangsuntersuchung vergleichbare gesamte chend.29 Die Spannweite der Hepatitis-B-Impfquo- Impfquote von 84,4 %.32 Bei den 3- bis 17-Jährigen ten zwischen den Bundesländern ist groß (78,4 – in Deutschland zeigte sich kein Unterschied in der 94,1 %).35 Die Impfquoten für Hepatitis B bei Schul Impfquote zwischen Kindern mit oder ohne Migra- eingangsuntersuchungen lagen in den neuen Bun- tionshintergrund. Zudem zeigten die Ergebnisse desländern mit 88,2 % höher als in den alten Bun- aus KiGGS Welle 2, dass Kinder und Jugendliche in desländern (87,1 %).35 Ostdeutschland (88,8 %) häufiger gegen Hepatitis B geimpft sind als in Westdeutschland (83,4 %) und Das Projekt RKI-Impfsurveillance (vormals: KV- dass die Hepatitis-B-Impfquote für alle Altersgrup- Impfsurveillance) wertet Abrechnungsdaten der pen niedriger war als die Impfquoten gegen Diph Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zur Abschät- therie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis und Hämo- zung von Impfquoten auch von jüngeren Kindern philus influenzae Typ b. Eine besonders niedrige vor Schuleintritt auf Kreisebene aus.29 Die STIKO Impfquote von 77,9 % wurde bei Jugendlichen im empfiehlt, dass die Grundimmunisierung gegen Alter von 14 – 17 Jahren festgestellt.32 Etwa die Hälfte Hepatitis B vor Beendigung des 15. Lebensmonats der in KiGGS Welle 2 eingeschlossenen 3- bis 17-Jäh- abgeschlossen sein sollte (s. hierzu die aktuelle rigen erhielt die 1. Dosis der Hepatitis B Impfung STIKO-Empfehlung). Die RKI-Impfsurveillance für wie von der STIKO empfohlen (s. hierzu die aktuelle das Jahr 2018 hat gezeigt, dass 75,5 % der 2-Jährigen STIKO-Empfehlung) zeitgerecht im Alter von zwei vollständig geimpft sind (Spannweite zwischen den Monaten.33 Bundesländern 68,1 – 81,0 %). Die Impfquote steigt bis zum Alter von 36 Monaten auf 82,2 %.29 In den Schuleingangsuntersuchungen des Jahres 2018 hatten bundesweit, ähnlich wie in den Vorjah- Eine Zusammenschau der Ergebnisse der Schulein- ren, 87,2 % der Kinder mit vorliegendem Impfpass gangsuntersuchungen und der RKI-Impfsurveillance eine vollständige Grundimmunisierung gegen 2018 zeigt, dass die Hepatitis-B-Impfung nicht im- Hepatitis B.29 Eine Studie ergab, dass Kinder mit mer zeitgerecht erfolgt. Bis zum Alter der Schulein- Migrationshintergrund vergleichbar gut geimpft gangsuntersuchung werden Impfungen zwar nach- sind (84,5 % im Jahr 2008) wie Kinder ohne Migra- geholt, jedoch zeigen sich auch bei Kindern in die- tionshintergrund.34 Basierend auf den Schulein- sem Alter noch Impflücken. Es besteht weiterer gangsuntersuchungen sind die Impfquoten für He- Handlungsbedarf bei der Verbesserung des Impf- patitis B ähnlich wie in KiGGS Welle 2 unzurei- schutzes.
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 13 3.2.2 Besonders betroffene Gruppen latenter tuberkulöser Infektion und Tuberkulose bei wohnungslosen Menschen in Berlin. Pilotstudie“ Injizierende Drogengebrauchende (POINT) vom RKI in Zusammenarbeit mit Fix- In der DRUCK-Studie (Drogen und chronische In- punkt e. V. und Berliner Sozialprojekte gGmbH eine fektionskrankheiten in Deutschland) zeigte sich bei Querschnittsstudie zu Infektionskrankheiten bei injizierenden Drogengebrauchenden eine Präva- wohnungslosen Menschen in Berlin gestartet. lenz von 1,1 % für eine aktive Hepatitis B (Datener- 200 Studienteilnehmende wurden durch Studien- hebung 2011 – 2014). Eine durchgemachte Infektion teams in niedrigschwelligen medizinischen Ein- wurde bei 25 % der Studienteilnehmenden gefun- richtungen der Wohnungslosenhilfe auf HIV, HBV, den. Einen Impfschutz wiesen 32 % auf. Der Infek- HCV, Syphilis, Chlamydien, Gonorrhoe, Tuberkulo- tionsstatus war bekannt bei 71 % der Teilnehmen- se und COVID-19 getestet. Zusätzlich wurden durch den, der Impfstatus bei 45 %.36 einen Interview-assistierten Fragebogen soziodemo- graphische, Verhaltens- und Gesundheitsdaten er- Seit dem 1. April 2020 fördert das BMG das DRUCK hoben. Anschließend an die Datenerhebung wur- 2.0-Pilotprojekt des RKI. Ziel ist es, zunächst in den durch Diskussionsgruppen mit den Studienteil- zwei Bundesländern (Bayern und Berlin) eine wie- nehmenden, den Studienteams und den teilneh- derkehrende Datenerhebung zu Blut- und STI und menden Einrichtungen die Akzeptanz und assoziierten Verhaltensdaten bei Drogengebrau- Machbarkeit des Studiendesigns beurteilt. Im Som- chenden zu etablieren. Die gewonnenen epidemio- mer 2021 wird das Studiendesign für eine bundes- logischen Daten auf regionaler und nationaler Ebe- weite Ausrollung der Studie angepasst. ne sind wichtige Entscheidungskriterien zur Anpas- sung von Präventionsstrategien. Zum Abschluss Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) des Pilotprojektes soll eine bundesweite Ausrollung In einer prospektiven Kohortenstudie, die von des Monitorings mit einer Minimierung der Ar- 1996 – 2012 in Deutschland durchgeführt wurde, beitslast für rekrutierende Einrichtungen vorberei- waren trotz umfangreicher Impfkampagnen weni- tet werden. ger als die Hälfte der untersuchten MSM mit HIV gegen Hepatitis B geimpft. So erklärt sich auch die Um die Übertragung von Infektionskrankheiten vergleichsweise hohe Rate an Koinfektionen mit wie Hepatitis B zu minimieren, spielt die Vergabe HBV.39 von Konsumutensilien (Spritzen, Nadeln, Filter, Löffel) eine wichtige Rolle. Die Deutsche Beobach- Basierend auf Fragebogenangaben und den Ergeb- tungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) nissen der serologischen Proben in der HIV-1-Sero- hat in Kooperation mit dem RKI und der Deutschen konverterstudie zeigte sich bei HIV-koinfizierten AIDS-Hilfe (DAH) für das Jahr 2018 erstmals MSM ein Rückgang der Hepatitis-B-Inzidenz von deutschlandweit die Vergabe von Konsumutensilien 6,9/100 Personenjahre für den Zeitraum 2004 – über Spritzenautomaten oder in Einrichtungen der 2007 auf 0,58/100 Personenjahre für den Zeitraum Suchthilfe erfasst. Die Ergebnisse sind im Reitox- 2016 – 2019. Damit einher geht ein Rückgang der Bericht, dem Jahresbericht der DBDD für Deutsch- Prävalenz ausgeheilter HBV-Infektionen von 43% im land 2020, veröffentlicht37 und im Bericht Virus Zeitraum 1996 – 1999 auf 19% im Zeitraum 2016 – hepatitis C im Jahr 202038 kurz dargestellt. 2019. Außerdem ist ein Anstieg des Anteils der HBV-geimpften MSM in der Studie von 21 % für den Wohnungslose Menschen Zeitraum 1996 – 1999 auf 65 % für den Zeitraum Wohnungslose Menschen gelten aufgrund ihrer 2016 – 2019 zu sehen (unveröffentlichte Daten). prekären Lebensverhältnisse als besonders häufig von Infektionskrankheiten betroffen. Nichtsdesto- In der 2017 durchgeführten EMIS Studie (European trotz sind belastbare Daten aus Deutschland dazu MSM Internet Survey) mit 23.107 Teilnehmenden nicht vorhanden. Im Frühjahr 2021 wurde daher im aus Deutschland gaben 56,1 % an, vollständig gegen Rahmen des Pilotprojektes „Prävalenz von sexuell Hepatitis B geimpft zu sein. Der selbst berichtete und durch Blut übertragene Infektionen sowie von
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 14 Impfschutz hat sich im Vergleich zu der EMIS- Patienten mit Migrationshintergrund (Patient/Pati- Studie von 2010 mit 52,5 % nur leicht erhöht.40 – 42 entin selbst oder deren/dessen Eltern) untersuchte, wurde eine HBsAg-Prävalenz von 3,6 % und eine Personen mit Migrationshintergrund anti-HBc-Prävalenz von 32,5 % beobachtet. Die In einer Studie zu Präventionsbedürfnissen und Ergebnisse zeigen, dass insgesamt 87,3 % der Pati- -bedarfe bezüglich Virushepatitiden, HIV und ande- entinnen und Patienten aus der östlichen Mittel- ren STI bei Migrantinnen und Migranten aus Sub- meerregion stammen, 12% aus Osteuropa und sahara-Afrika (MiSSA) von 2014 – 2016 zeigten sich 0,7 % aus anderen Ländern.45 Die Autorinnen und Wissensdefizite in Bezug auf Virushepatitiden. Nur Autoren kamen zu dem Schluss, dass unter Perso- 23 – 57 % gaben an, von diesen Infektionen gewusst nen mit Migrationshintergrund eine deutlich höhe- zu haben. Mehrheitlich wurde der Wunsch nach re Hepatitis-B-Prävalenz zu finden ist und gezielte mehr Informationen zu den Übertragungsrisiken Screeningmaßnahmen in dieser vulnerablen Grup- von Hepatitis B und C geäußert (www.rki.de/ pe zu empfehlen sind. missa).43,44 40 % der Befragten gaben an, geimpft und 35 % nicht geimpft zu sein. Die restlichen 25 % Berufsbedingte HBV-Infektionen konnten diese Frage nicht beantworten. Obwohl seit mehreren Jahrzehnten eine Impfemp- fehlung für medizinisches Personal besteht, gehört Aktuelle Studien aus Deutschland zeigen für Perso- Hepatitis B, wie auch Tuberkulose oder Hepatitis A nen mit Migrationshintergrund Prävalenzen einer und C, zu den weiterhin berufsbedingt vorkommen- aktiven Hepatitis B von 2,3 – 3,6 %.45 – 48 Laut ECDC den Infektionskrankheiten im Gesundheitswesen. variiert in Europa die Prävalenz der aktiven Hepati- Insgesamt kommen Verdachtsmeldungen und An- tis B bei Migrantinnen und Migranten von 0 – 17,4 %. erkennungen von berufsbedingten HBV-Infektio- Die höchste Prävalenz zeigte sich bei Migrantinnen nen in Deutschland heute nur noch selten vor. Die und Migranten aus Südostasien.18 Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) weist in ihrer deutschlandweiten Statistik hinsicht- Zwei Studien haben die Screenings auf HBV-Infek- lich Hepatitis B für das Jahr 2019 25 und für das tionen von Asylantragsstellenden im Jahr 2015 in Jahr 2020 20 Entscheidungen zu Verdachtsmel- Bayern ausgewertet.49,50 Hier zeigte eine Analyse dungen aus, wovon 9 für das Jahr 2019 und 15 für von Krankenakten chronische HBV-Infektionen bei das Jahr 2020 als Berufskrankheit anerkannt wur- 3,9 % der gescreenten Personen. Höchste Raten den. Dies bezieht sich nach BK-Nr. 3101 der Berufs- wurden bei Menschen aus Ost-Afrika (5,5 %), krankheiten-Verordnung auf „Infektionskrankhei- West-Afrika (6,5 %) und Südosteuropa (6,8 %) ge- ten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in funden, was die bestehenden Prävalenzen in den der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium Herkunftsländern widerspiegelt.49 Eine weitere Stu- tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infek die untersuchte Daten des Screenings bei Asyl tionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausge- antragsstellenden aus dem Meldesystem und fand setzt war.“ In diesen Zahlen sind die Einrichtungen eine HBsAg-Positivrate getesteter Proben von 3,3 %. der gewerblichen Wirtschaft als auch des öffent Die höchsten Positivraten wurden bei Geflüchteten lichen Dienstes erfasst. aus Sierra Leone, Senegal und Mali gefunden (17,6 %, 16,2 % und 15,4 %) – Länder, in denen Mehrere Studien haben gezeigt, dass 64 – 90 % des Hepatitis B hoch endemisch vorkommt.50 Personals im Gesundheitswesen eine vollständige Grundimmunisierung vorweisen.51 – 53 Das RKI er- Nach Geburtsland stratifizierte Daten zur Hepa hebt anhand einer Online-Befragung von Kranken- titis-B-Prävalenz sind kaum verfügbar. Beispiels- hauspersonal zur Influenza-Impfung (OKaPII- weise wurde in einer Studie zu Geflüchteten, die Projekt) regelmäßig den Impfstatus zu beruflich in- nach Screening in einer Notaufnahme eine Präva- dizierten Impfungen bei Krankenhauspersonal.54 In lenz von HBsAg und anti-HBC von 2,3% bzw. 14% der Studie 2019 gaben 96,5 % des medizinischen aufwiesen, das Geburtsland nicht näher erläutert.48 Personals (nur Ärzteschaft und Pflegepersonal, In einer anderen Studie, die Patientinnen und nicht jedoch Verwaltungspersonal etc.) an, gegen
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 15 Hepatitis B geimpft zu sein. Von ihnen waren 2008 bis 2019 ausgewertet.57 Es wurde ein Anstieg 94,2 % vollständig und 1,6 % nicht vollständig grun- der Anzahl der Therapierten im gesamten Zeitraum dimmunisiert. Es gaben zwar 4,2 % an, geimpft zu von 14.453 pro Monat im Jahr 2008 auf 24.868 pro sein, wussten aber nicht, ob sie vollständig grund Monat im Jahr 2019 (im Durchschnitt 4,9 % pro immunisiert sind.55 Jahr) mit relativ stabiler Auswahl an Medikation be- obachtet.57 Die Verordnungen pro 100.000 Einw. Im Jahr 2020 sind die aktualisierten Empfehlungen stiegen in fast allen Bundesländern über den Beob- der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der achtungszeitraum an, verhielten sich allerdings sta- Viruskrankheiten (DVV) e. V. zur Prävention der bil in Berlin.57 Die Kosten der Therapie bis zur Ein- nosokomialen Übertragung von HBV und HCV führung der Generika zu Tenofovir und Entecavir durch im Gesundheitswesen Tätige erschienen.56 im Jahr 2017 nahmen zu (6,7 % pro Jahr).57 Ab 2017 reduzierten die Kosten sich um 31 % pro Jahr.57 Vor- läufige Ergebnisse aus dem Jahr 2020 ergaben eine 4. Hochrechnung zur Anzahl weitere Zunahme der Anzahl der Therapierten pro von mit Hepatitis B und C Monat, die dem Trend der Vorjahre folgt. Im Jahr infizierten Personen in Deutschland 2020 wurden pro Monat durchschnittlich 26.035 Für das Monitoring der Eliminierung von Virus Personen therapiert (unveröffentlichte Daten). hepatitiden ist eine Schätzung der Gesamtanzahl von infizierten Personen notwendig. Das RKI hat für das Jahr 2013 die Gesamtzahl der mit Hepatitis B 6. Hepatitis-Eliminierungsstrategie und C infizierten Personen geschätzt, um eine der WHO Grundlage für das Monitoring zu erstellen und Prä- Im Mai 2016 verabschiedete die WHO die erste ventionsmaßnahmen besser planen zu können. Da- Strategie zur Eliminierung der Virushepatitis als bei wurden die Populationsgrößen und Seropräva- Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis zum lenzdaten der Allgemeinbevölkerung, von Migran- Jahr 2030.3 Diese ist an die nachhaltigen Entwick- tinnen und Migranten, injizierenden Opioidgebrau- lungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable chenden und HIV-positiven Personen in Betracht Development Goals) angelehnt.58 Die Länder der gezogen. Für 2013 schätzen wir 252.000 (190.000 – europäischen WHO-Region haben im September 334.000) HBsAg-seropositive Personen. Ein Manu- 2016 einen entsprechenden Aktionsplan mit einer skript ist in Vorbereitung. Strategie für die Jahre 2016 – 2021 verabschiedet.59 Mit der „Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragba- 5. Therapie der Hepatitis B ren Infektionen BIS 2030“ zielt das BMG auf die Eine Therapieindikation besteht für Patientinnen nachhaltige Eindämmung dieser Infektionskrank- und Patienten mit chronischer Hepatitis B sowie heiten in Deutschland ab.2 Die globalen Eliminie- mit schwerer akuter oder fulminanter Erkrankung. rungsziele bis 2030 beinhalten unter anderem eine Gemäß den deutschen Leitlinien kommen Inter Reduktion der Inzidenz von HBV-Infektionen um feron α bzw. pegyliertes Interferon α (PEG-Inter 90% (oder eine sehr niedrige Prävalenz der Infek- feron α) sowie die Nukleos(t)id-Analoga (NUKs) La- tion) und eine Reduktion der Todesfälle durch Spät- mivudin, Entecavir, Telbivudin und Tenofovir bei folgen von chronischer HBV-Infektion um 65%.3 der Therapie der Hepatitis B zur Anwendung.7 Ade- Dies soll durch einen ausreichend guten Zugang zu fovir wird aufgrund seiner Toxizität nicht mehr Prävention, Testung und Therapie erreicht werden. empfohlen. Generika für Lamivudin, Entecavir und Es sollen 95% der Kinder vollständig gegen Hepa- Tenofovir stehen jeweils seit März 2012, Mai 2017 titis B geimpft sein, 90% der schwangeren Frauen und August 2017 zur Verfügung. In einer Studie zur sollen während der Schwangerschaft auf HBsAg Abschätzung der Anzahl der mit NUKs therapierten gescreent werden und 95% der Kinder, die von Personen in Deutschland und Darstellung der The- HBV-positiven Müttern geboren werden, sollen rapiekosten wurden Apothekenverkaufsdaten von eine Post-Expositions-Prophylaxe bekommen.3 Es NUKs unter gesetzlich Krankenversicherten von sollen 90% der mit HBV chronisch infizierten Per-
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 16 sonen diagnostiziert werden und 80% der Thera- durch die Pandemie beeinträchtigt, auch die Prä- piebedürftigen eine Therapie bekommen.3 Von der vention und Versorgung von Infektionskrankhei- WHO wurden Kern- und Zusatzindikatoren defi- ten.64,65 So berichteten in einer von der WHO durch- niert, die für die Beschreibung der Ausgangssitua geführten Befragung 43% der teilnehmenden Län- tion und die Überwachung im zeitlichen Verlauf zu der, dass sowohl die Diagnose als auch die Behand- erheben sind.60 lung von Hepatitis B und C durch die Pandemie eingeschränkt wurden. Als Gründe für die Beein- Aktuell entwickelt die WHO eine neue Strategie für trächtigung der Gesundheitsdienste wurden am die Eliminierung von HIV, Hepatitis und STI für die häufigsten eine Personalknappheit und Ängste in Jahre 2022 – 2030. Die Beratungen sollen bis Herbst Zusammenhang mit dem Aufsuchen gesundheit 2021 abgeschlossen werden. licher Versorgungsleistungen genannt.65 Für die Erhebung der Indikatoren für Deutschland Die COVID-19-Pandemie stellt auch die Präven können epidemiologische Daten aus verschiedenen tionsangebote in vulnerablen Gruppen vor große Datenquellen genutzt werden, die dem RKI bereits Herausforderungen. So hat die COVID-19-Pandemie vorliegen, z. B. aus Prävalenzstudien, den Meldeda- in Deutschland zu einer Einschränkung der niedrig- ten und den Schuleingangsuntersuchungen. Zu- schwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe hin- sätzlich kann der publizierte Scoping-Review zur sichtlich Präventionsangeboten für durch Blut und Datenlage von Hepatitis B und C in Deutschland22 sexuell übertragene Infektionskrankheiten geführt.66 herangezogen werden. Um zu eruieren, welche Da- Im Jahr 2020 wurde nach Wohngemeinschaft mit tenquellen für die Konstruktion der Indikatoren re- einem HBV-Träger der i. v.-Drogenkonsum als zweit- levant sind und um Ansätze für die Schließung der häufigster Übertragungsweg angegeben. Datenlücken zu erarbeiten, wurde im November 2019 ein Arbeitstreffen am RKI mit Akteuren aus Studien, Sekundärdaten, sowie Surveillancedaten verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversor- sind wichtig zur Überwachung der Eliminierungs- gung und -berichterstattung durchgeführt.61 ziele. Die Surveillance der HBV-Infektionen nimmt hier eine entscheidende Rolle ein.28,67 Zwischen Die erste Berichterstattung zu den Indikatoren aus 2001 und 2009 wurde ein Rückgang der übermit- Deutschland erfolgte 2018 (für die WHO) und 2019 telten HBV-Infektionen beobachtet, der vermutlich (für das ECDC). Die WHO und das ECDC haben vorwiegend auf einen verbesserten Impfschutz 2019 ihre erste Datenerhebung in den Mitglieds- durch die Einführung der generellen Impfempfeh- staaten durchgeführt. Ein ausführlicher Bericht des lung für Säuglinge im Jahr 1995 zurückzuführen ist. ECDC zur ersten Datenerhebung bei den Mitglieds- Dieser Trend stagnierte mit geringen Schwankun- staaten sowie der „Progress report on HIV, viral gen von 2009 – 2014. Seit 2015 ist eine starke Zu- hepatitis and sexually transmitted infections“ der nahme der gemeldeten Fallzahlen zu verzeichnen, WHO sind publiziert.62,63 Aktuell erhebt das ECDC was mit den oben beschriebenen Änderungen im erneut die Daten zu den vordefinierten Indikatoren. Meldewesen (siehe 3.1.1.) zusammenhängt. In Deutschland wurden im Jahr 2020 2.148 weniger 7. Zusammenfassende Einschätzung HBV-Infektionen übermittelt als im Vorjahr (Re- Die internationale und nationale Bedeutung von duktion um 24 %). Gründe für die Reduktion über- viralen Hepatitiden ist weiterhin hoch. So haben so- mittelter Fallzahlen sind vielfältig. Die COVID-19- wohl die WHO als auch das BMG Strategien zur Pandemie hat die Gesundheitsversorgung, den öf- Eindämmung von Hepatitis B veröffentlicht. fentlichen Gesundheitsdienst aber auch das Kon- Deutschland hat sich den Eliminierungszielen vira- taktverhalten der Bevölkerung drastisch verändert. ler Hepatitiden der WHO bis 2030 verschrieben.2 Die Reduktion der Fallzahlen 2020 im Vergleich Die COVID-19-Pandemie stellt eine große Heraus- zum Vorjahr könnte neben oben genannten Grün- forderung beim Erreichen dieser Eliminierungs den auch durch die Änderungen im IfSG im Jahr ziele dar. Gesundheitsdienste weltweit wurden 2017 begründet sein. Nachmeldungen alter chroni-
Epidemiologisches Bulletin 29 | 2021 22. Juli 2021 17 scher Infektionen, ggf. auch Mehrfachmeldungen, HBsAg-seropositiven Personen in Deutschland die in den ersten Jahren erfolgten, könnten im Be- (s. 4.) und trotz bestehender Limitationen bei der richtsjahr 2020 nun nicht mehr ins Gewicht fallen, Ermittlung der Anzahl der Therapierten eine Ver- sodass die Fallzahlen sich normalisieren. sorgungslücke in Deutschland zu geben. Es müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um Anhand modellbasierter erwartbarer Fallzahlen Personen mit einer HBV-Infektion, die für eine Be- wurde für alle drei Stadien der übermittelten HBV- handlung in Frage kommen, zu identifizieren sowie Infektionen im Jahr 2020 eine Reduktion der Fall- die Adhärenz von Therapierten sicherzustellen. zahlen ermittelt. Der stärkste Rückgang wurde beim Eine besondere Herausforderung besteht bei beson- akuten Stadium berechnet. Der Rückgang der Fall- ders gefährdeten oder schwer zu erreichenden zahlen scheint also nicht alleine auf eine veränderte Gruppen. Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und einer Reduktion der Meldungen zurückzugehen, Die Prävalenzdaten in unterschiedlichen Bevölke- die vermutlich bei als chronisch und unbekannt rungsgruppen deuten darauf hin, dass vulnerable übermittelten Infektionsstadien eine stärkere Rolle Gruppen stärker betroffen sind. Zielgerichtete Maß- spielen, sondern auch auf eine Reduktion der Über- nahmen zur Prävention sind daher essentiell. Dar- tragungen durch verändertes Kontaktverhalten. Da- über hinaus wurden in einem systematischen Re- für spricht auch, dass der Rückgang von akuten In- view Datenlücken in bestimmten Bevölkerungs- fektionen am Anfang der Pandemie in Phase I we- gruppen, wie z. B. Personen in Haft, identifiziert so- niger stark ausgeprägt war als während der zweiten wie die Datenlage als veraltet eingeschätzt, z. B. COVID-19-Welle in Phase III. Zwischen der ersten repräsentative Daten in der Allgemeinbevölkerung und der zweiten COVID-19-Welle in Phase II fielen betreffend.22 Daher ist es von großer Bedeutung, die Veränderungen der chronischen Infektionen neue Studien zu konzipieren, um die identifizierten und Infektionen mit unbekanntem Infektionssta Datenlücken zu schließen. dium geringer aus als während der ersten und zwei- ten COVID-19-Welle. Die Entlastung des öffent Die aktuellen Surveillance- und Forschungsdaten lichen Gesundheitsdienstes sowie eine höhere Inan- deuten darauf hin, dass immer noch neue Infektio- spruchnahme von Gesundheitsleistungen während nen auftreten und dass die Krankheitslast erheblich Phase II könnten hierfür ursächlich sein. größer in vulnerablen Gruppen ist. Die Hepatitis-B- Impfquoten sind weiterhin unzureichend. Um die Die Hepatitis-B-Impfquoten sind nicht nur in der Anzahl der Neuinfektionen zu senken, sind zielge- Allgemeinbevölkerung, sondern auch in den Risiko- richtete Präventionsmaßnahmen sowie die Identifi- gruppen unzureichend. Strategien zur Erhöhung zierung von akuten und chronischen Infektionen der Impfquoten sollten für die Allgemeinbevölke- von großer Bedeutung. rung und die unterschiedlichen Risikogruppen eva- luiert werden. Es wird dringend empfohlen, alle Säuglinge, Kinder und Jugendliche konsequent zu impfen. Zudem sollten die Impfquoten in definier- ten Risikogruppen, insbesondere bei solchen mit Sexualverhalten mit hoher Infektionsgefährdung oder injizierendem Drogengebrauch, gesteigert werden. Die Anzahl der mit NUK Therapierten stieg seit 2008 stetig an, wohingegen sich die Behandlungs- kosten reduzierten.57 Trotz des stetigen Anstiegs der Anzahl der mit NUK Therapierten (26.035 pro Mo- nat im Jahr 2020) scheint es weiterhin unter Be- rücksichtigung einer geschätzten Zahl von 252.000
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