Vom Lieferkettengesetz zu einem internationalen Level Playing Field

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Treaty Alliance Deutschland

Vom Lieferkettengesetz
zu einem internationalen
Level Playing Field
Stellungnahme der Treaty Alliance Deutschland zum dritten
überarbeiteten Entwurf für ein verbindliches UN-Abkommen zu
Wirtschaft und Menschenrechten (»Third Revised Draft«)
Treaty Alliance Deutschland

Vom Lieferkettengesetz zu einem
internationalen Level Playing Field
Stellungnahme der Treaty Alliance Deutschland zum dritten überarbeiteten
Entwurf für ein verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und
Menschenrechten (»Third Revised Draft«, Stand 17.08.2021)

I. Einleitung                                                                 beteiligen, um nicht nur in Deutschland und der EU,
Im Jahr 2014 erteilte der Menschenrechtsrat der Vereinten                     sondern weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen für
Nationen (UN) einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe                         alle Unternehmen zu schaffen (sog. level playing field).
den Auftrag, ein internationales Abkommen zum Schutz
von Menschenrechten im globalen Wirtschaftsverkehr                            Während der zweite Entwurf wesentliche Änderungen
zu entwerfen. Seitdem verhandelt die zwischenstaatliche                       des Abkommens beinhaltet hatte, ist der dritte Entwurf
Arbeitsgruppe aus Vertreter*innen von Regierungen jähr-                       eine Fortführung der vorherigen Systematik. Die Vertrags-
lich über den aktuellen Stand des Entwurfs. Auch Vertre-                      staaten müssen demnach Unternehmen zu menschen-
ter*innen aus Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Wirt-                     rechtlicher Sorgfalt verpflichten und Menschenrechts-
schaftsverbänden nehmen an den Tagungen teil. Der nun                         verstöße wirksam sanktionieren. Wir begrüßen, dass
vorgelegte dritte überarbeitete Entwurf1 bildet die Grund-                    Unternehmen fortan nicht mehr die bloße Verantwortung
lage für die Verhandlungen während der siebten Tagung                         zur Achtung der Menschenrechte tragen, sondern hierzu
der Arbeitsgruppe vom 25. bis 29. Oktober 2021 in Genf.                       verpflichtet werden sollen. Zu begrüßen ist ebenfalls, dass
                                                                              der dritte Entwurf insbesondere hinsichtlich des Anwen-
Seit der letzten Verhandlungsrunde ist im Bereich Wirtschaft                  dungsbereichs, der Prävention und Haftung wichtige
und Menschenrechte insbesondere in der Europäischen                           Klarstellungen und Präzisierungen vornimmt, die sich
Union (EU) viel in Bewegung kommen. Nachdem EU-Jus-                           im Wesentlichen an den UN-Leitprinzipien für Wirt-
tizkommissar Didier Reynders bereits im letzten Jahr eine                     schaft und Menschenrechte (UNLP) orientieren. Diese
Regulierung menschenrechtlicher und umweltbezogener                           Stellungnahme bietet eine Analyse des aktuellen Vertrags-
Sorgfaltspflichten angekündigt hatte, legte das EU-Parla-                     entwurfs und bewertet die wesentlichen Änderungen im
ment im März 2021 seinen Vorschlag für eine Richtlinie zu                     Vergleich zum letzten Entwurf. Zugleich enthält die Stel-
Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten vor (2020/2129                    lungnahme Empfehlungen, die die Bundesregierung bei
(INL)). Die EU-Kommission wird auf der Grundlage noch                         den anstehenden Verhandlungen im Rahmen der EU und
in diesem Jahr einen Richtlinienentwurf präsentieren. Auch                    der zuständigen Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechts-
die Verabschiedung des deutschen Lieferkettensorgfalts-                       rats berücksichtigen sollte. Ziel der kommenden Verhand-
pflichtengesetzes (LkSG) war ein wichtiger Meilenstein im                     lungsrunde sollte sein, das Abkommen zügig voranzu-
Bereich Wirtschaft und Menschenrechte.                                        bringen und dabei insbesondere auf die Akzeptanz des
                                                                              Abkommens durch möglichst viele Staaten hinzuwirken.
Bisher hat sich die Bundesregierung nicht aktiv an dem
Prozess zum UN-Abkommen beteiligt und dies damit                              II. Anwendungsbereich
begründet, dass sie sich nicht für internationale Regeln                      Das Abkommen nimmt nun Bezug auf alle Menschen-
aussprechen könne, solange es auf nationaler Ebene keine                      rechtsabkommen und wesentlichen Erklärungen der
Grundsatzentscheidung für eine gesetzliche Regelung                           Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Der pauschale
gebe. Nun, da das nationale Gesetz beschlossen ist, sollte                    Verweis auf alle Menschenrechtsabkommen statt wie zuvor
sich die Bundesregierung aktiv an den Verhandlungen                           auf einzelne Abkommen stellt sicher, dass alle Szenarien

1
 OEIGWG Chairmanship Third Revised Draft 17.08.21, Legally Binding Instrument to regulate, in international human rights law,
the activities of transnational corporations and other business enterprises, abrufbar unter:
https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/WGTransCorp/Session6/LBI3rdDRAFT.pdf
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von Menschenrechtsverletzungen erfasst werden. Zudem          von Finanzinstitutionen und Investmentfonds explizit
erkennt das Abkommen die komplementäre Rolle                  durch das Abkommen erfasst.
der UNLP an. Begrüßenswert ist außerdem, dass das
Abkommen die Gender-Dimension durch Bezugnahme                Ein „Menschrechtsverstoß“ gemäß Artikel 1 Absatz 2 ist
auf das ILO-Übereinkommen Nr. 190 über Gewalt und             nun jede direkte und indirekte Schädigung im Zusam-
Belästigung in der Arbeitswelt und den Leitfaden zur          menhang mit einer Geschäftstätigkeit, die den vollen
Gender-Dimension der UNLP verstärkt hat.                      Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten beein-
                                                              trächtigt oder behindert. Das Abkommen stellt somit klar,
Das Abkommen betrifft zunächst die „Geschäftstätig-           dass auch Schäden, die indirekt durch eine Geschäftstätig-
keiten“ von Unternehmen, welche Artikel 1 Absatz 1 als        keit des Unternehmens beeinflusst wurden, erfasst sind.
wirtschaftliche und sonstige Tätigkeiten definiert. Artikel   Hierdurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass
1 Absatz 1 nennt konkrete Beispiele für Geschäftstä-          Geschäftstätigkeiten auch mittelbar zu einem Menschen-
tigkeiten, wie Produktion, Transport, Vertrieb, Marke-        rechtsverstoß führen können. So führen beispielsweise zu
ting und Einzelhandel. Das Abkommen gilt daher auch           niedrige Einkaufspreise mittelbar dazu, dass Arbeitneh-
für Lieferketten, die sich an die Produktion von Gütern       mer*innen keine existenzsichernden Löhne erhalten. Zu
anschließen – die sogenannten nachgelagerten Lieferketten.    den von Artikel 1 Absatz 2 geschützten Grundfreiheiten
Diese Klarstellung ist wichtig, da zahlreiche Menschrechts-   gehört nun ausdrücklich das Recht auf eine sichere,
verstöße und Missachtung von Umweltstandards nicht            gesunde, saubere und nachhaltige Umwelt. Dies ist ein
während der Produktion, sondern in den darauffolgenden        wesentlicher Fortschritt, da ein originäres Menschenrecht
Schritten erfolgen. Die Geschäftstätigkeit muss nun auch      auf eine saubere Umwelt im internationalen Völkerrecht
nicht mehr „gewinnbringend“ sein. Dadurch wird der            bisher nicht existiert. Eine internationale Anerkennung
Tatsache Rechnung getragen, dass auch ohne Gewinner-          dieses Rechts wird aktuell im UN-Menschenrechtsrat
zielung erhebliche Gefahren für Menschen und Umwelt           diskutiert. Schließlich ist es in einem Großteil der
drohen können. Zudem soll das Abkommen weiterhin              UN-Mitgliedsländer bereits rechtlich verankert.
für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe gelten.
Dies ist konsequent, da Unternehmen größenunab-               Um eine einheitliche und effektive Anwendung der
hängig Menschenrechte und Umweltstandards verletzen           genannten Normen durch die nationalen Gerichte und
können. Das Abkommen legt einen Schwerpunkt auf den           Behörden zu gewährleisten, sollte noch eine Bezugnahme
Schutz von Menschenrechten bei grenzüberschreitenden          auf die Auslegung der Abkommen in den Allgemeinen
Geschäftstätigkeiten. Dies ist zu begrüßen, da insbesondere   Bemerkungen der Fachausschüsse aufgenommen und fest-
transnationale Fälle durch internationale Verträge besser     gehalten werden, dass diese zur Bestimmung des Normge-
reguliert werden können als durch nationale Gesetze. Im       halts herangezogen werden sollen.
Einklang mit den UNLP schließt der Entwurf aber auch
national begrenzte Wirtschaftsaktivitäten ein.                Der Anwendungsbereich des Abkommens geht in
                                                              Teilen über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichten-
Neben der Geschäftstätigkeit erfasst der Vertragsentwurf      gesetz (LkSG) hinaus: Das deutsche Gesetz ist nur sehr
auch die „Geschäftsbeziehungen“ von Unternehmen. Dies         beschränkt auf nachgelagerte Lieferketten anwendbar.
sind Beziehungen zwischen natürlichen und juristischen        Dieses erfasst zunächst nur Unternehmen mit mehr als
Personen, die auf die Durchführung wirtschaftlicher Akti-     3.000 Mitarbeiter*innen, ab 2024 mit mehr als 1.000. Bei
vitäten gerichtet sind. Die Beziehung zwischen staatlichen    Geschäftsbeziehungen differenziert das deutsche Gesetz
und privaten Akteuren ist nun auch explizit als Geschäfts-    anders als der Vertragsentwurf zwischen unmittelbaren
beziehung definiert, wodurch dem Staat-Wirtschaft-            Zulieferern und mittelbaren Zulieferern und stuft die
Nexus verstärkt Rechnung getragen wird. Dies entspricht       Sorgfaltspflichten nach dem Grad der Beziehung ab. Der
UNLP Nr. 4-6. Außerdem sind nun auch die Aktivitäten          Vorschlag des EU-Parlaments sieht allerdings vor, dass
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die EU-Lieferketten-Regulierung für alle großen Unter-        lassen sich aber durch gute Vorsorge verhindern, insofern
nehmen (i.d.R. ab 250 Mitarbeitenden) sowie für kleinere      muss das Abkommen entsprechend der UNLP-Standards
und mittlere Unternehmen gelten soll, sofern diese in Risi-   auch regeln, was Unternehmen zur Beendigung und
kosektoren tätig sind. Überdies sollen Sorgfaltspflichten     Wiedergutmachung von bereits eingetretenen Verlet-
uneingeschränkt entlang der gesamten Liefer- und Wert-        zungen tun sollen. Statt einer detaillierten Regelung
schöpfungskette gelten. Insofern entspricht der aktuelle      könnte im Abkommen auch auf den Sorgfaltsstandard der
Entwurf des UN-Abkommens weitgehend dem aktuellen             UNLP verwiesen werden. So würde auch verhindert, dass
Stand der europäischen Debatte. Es ist zu erwarten, dass      wichtige Aspekte ausgelassen werden oder Regelungen
das deutsche Gesetz in den kommenden Jahren auch an           geschaffen werden, die Unternehmen dazu verleiten, nur
dieser Stelle nachgebessert werden muss.                      die aufgelisteten Anforderungen als Mindeststandard zu
                                                              erfüllen (tick box approach). Auch das LkSG verpflichtet
III. Prävention und Haftung                                   Unternehmen entgegen der UNLP nicht zur Wiedergut-
Zur Vermeidung von Menschenrechtsverstößen, sollen            machung. Von zivilgesellschaftlicher Seite wurde dies stark
Staaten die Unternehmen zur Einhaltung menschen-              kritisiert. Die Bundesregierung sollte sich für die Anglei-
rechtlicher Sorgfalt verpflichten (Artikel 6 Absatz 2).       chung des Entwurfs an die Standards der UNLP einsetzen
Das Abkommen sieht vor, dass die Unternehmen hierzu           und die diesbezüglichen Lücken des LkSG schließen.
regelmäßig Folgenabschätzungen erstellen, geeignete
Maßnahmen zur Prävention treffen, die Maßnahmen               Missachten Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten, müssen
regelmäßig überprüfen und mit den Betroffenen hierzu          sie angemessen sanktioniert werden (Artikel 6 Absatz 7).
kommunizieren. Begrüßenswert ist zunächst, dass die           Damit Unternehmen alle Einwirkungsmöglichkeiten im
Formulierungen in Artikel 6 an die UNLP angepasst             Rahmen ihrer Geschäftsbeziehungen ausschöpfen, sollte
wurden, sodass nun nicht mehr von „Operations“,               entsprechend UNLP Nr. 19 ergänzt werden, dass als letztes
sondern „Business activities and relationships“ die Rede      Mittel ein Abbruch der Geschäftsbeziehung erforderlich
ist. Außerdem werden die Unternehmen im Einklang mit          sein kann, wenn weitere Verletzungen nicht verhindert
UNLP Nr. 17 verpflichtet, angemessene Maßnahmen               werden können. Auch hierfür sollte die Bundesregierung
zu ergreifen, um auch solche Menschenrechtsverstöße           sich einsetzen.
zu verhindern oder zu verringern, mit denen es durch
Geschäftsbeziehung verbunden ist.                             Gemäß Artikel 8 müssen Staaten weiterhin effektive,
                                                              verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für
Die Vorgaben zur Prävention sollten allerdings in einigen     Sorgfaltspflichtenverstöße vorsehen. Sie müssen sicher-
Aspekten noch stärker an den UNLP orientiert werden.          stellen, dass ihr Rechtssystem angemessene und effektive
Dies gilt insbesondere für den Aspekt der Wiedergut-          Wege bereithält, auf denen Betroffene von den schädi-
machung, der in den UNLP eine zentrale Rolle spielt,          genden Unternehmen Schadensersatz erlangen können.
z.B. als Sinn und Zweck von Beschwerdemechanismen.            Zu begrüßen ist, dass in Artikel 8 Absatz 3 neben straf-
Im Vertragsentwurf ist dagegen weder eine Pflicht von         rechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen nun
Unternehmen zur Einrichtung von oder Beteiligung an           auch explizit die zivilrechtliche Haftung erwähnt wird.
Beschwerdemechanismen, noch zur Wiedergutmachung              Positiv ist in diesem Artikel ebenfalls, dass die im zweiten
vorgesehen, solange kein zivilrechtliches Verfahren die       Entwurf enthaltene missverständliche Begrenzung der
Schuld eines Unternehmens festgestellt hat (Artikel 8         Haftung auf Straftaten gestrichen und auf alle Menschen-
Absatz 4.). Stattdessen handelt es sich bei den einzelnen     rechtsverstöße explizit ausgeweitet wurde. Problematisch
vorgeschlagenen Sorgfaltsmaßnahmen ausschließlich             bleibt hingegen, dass auch verwaltungsrechtliche Sankti-
um Schritte, die Unternehmen zur Prävention von               onen nach der aktuellen Formulierung nur dann verhängt
Menschenrechtsverletzungen veranlassen sollten. Nicht         werden sollen, wenn ein Unternehmen Menschenrechts-
alle Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden             verstöße verursacht oder dazu beiträgt. Im deutschen
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Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird die Missachtung                       großflächigen Menschenrechtsverletzungen. Diese Schäden
von Sorgfaltspflichten auch dann sanktioniert, wenn                             treten jedoch zumeist nicht unmittelbar ein, sodass die
dadurch kein Schaden entsteht. Dies entspricht dem                              Verantwortlichkeit der schädigenden Unternehmen nur
Präventionsgedanken menschenrechtlicher Sorgfalt, der                           schwer zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Eine reine
in den UNLP angelegt ist.                                                       Anknüpfung an eintretende Menschenrechtsverletzungen
                                                                                ist daher nicht ausreichend, um umweltbezogene Sorgfalts-
Das Abkommen sieht in Artikel 8 Absatz 6 auch eine                              pflichten effektiv durchzusetzen. Ihre Bedeutung sollte im
Haftung von Unternehmen in sogenannten Dreiecksfällen                           Abkommen deutlich hervorgehoben und die Haftungsre-
vor. Verursacht ein Akteur, mit dem das Unternehmen eine                        gelung entsprechend ergänzt werden.
Geschäftsbeziehung führt, einen Menschenrechtsverstoß,
haftet das Unternehmen hierfür, wenn es den Verstoß nicht                       Die aktuellen Diskussionen auf Ebene der Organisation
verhindert hat, obwohl es den Akteur kontrolliert, leitet                       für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
oder beaufsichtigt. Alternativ haftet das Unternehmen                           (OECD) und der EU beziehen sich auch auf nachhaltige
auch für den Menschenrechtsverstoß eines Geschäfts-                             Lieferketten und Lieferkettenregulierung unter Berück-
partners, wenn das Risiko eines Menschenrechtsverstoßes                         sichtigung von Umweltaspekten. Genauso sind im deut-
innerhalb der Geschäftstätigkeit vorhersehbar war und das                       schen LkSG umweltbezogene Sorgfaltspflichten in Bezug
Unternehmen keine angemessene Präventionsmaßnahme                               auf drei von Deutschland ratifizierte Umweltabkommen
ergriffen hat. Die Haftung in Artikel 8 Absatz 6 knüpft an                      vorgesehen, die die Unternehmen entlang der Liefer-
das bestehende Haftungssystem in Großbritannien an. So                          kette einhalten müssen. In einer Zeit, in der Umwelt-
hat der Supreme Court in Großbritannien entschieden,                            und Klimaschutz weltweit ganz oben auf der politischen
dass eine Muttergesellschaft wegen der Verletzung eigener                       Agenda stehen, darf auch das UN-Abkommen nicht
Sorgfaltspflichten haften kann, wenn eine ausländische                          hinter diese Debatten zurückfallen.
Tochtergesellschaft, die sie kontrolliert oder beaufsichtigt,
gegen Menschenrechte verstößt.2                                                 V. Rechtsschutz von Betroffenen
                                                                                Um den Betroffenen die Rechtsdurchsetzung zu erleich-
IV. Schutz der Umwelt                                                           tern, bietet Artikel 9 möglichst viele Gerichtsstände, bei
Das Abkommen definiert nun, dass das Recht auf eine                             denen eine Klage erhoben werden kann. Unter anderem
sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt zu                             ist dies nun auch wieder am Wohn- oder Aufenthaltsort
den Grundfreiheiten gehört, dessen Missachtung einen                            der betroffenen Person möglich. Dies ist sachgerecht, da
Menschenrechtsverstoß im Sinne des Abkommens                                    die Betroffenen u. U. aufgrund der anhaltenden Schädi-
darstellt. Außerdem müssen Unternehmen in ihre regelmä-                         gung nicht mehr am Ort des Schadensfalls leben können
ßigen Folgenabschätzungen nicht nur die Auswirkungen                            und regelmäßig über geringere Ressourcen verfügen als das
auf die Menschenrechte und Arbeitsrechte, sondern auch                          schädigende Unternehmen. Ein Verfahren außerhalb des
auf Umwelt und nun ebenfalls auf das Klima einbeziehen.                         Wohn- oder Aufenthaltsortes kann eine erhebliche Belas-
Die Unternehmen haften jedoch nur, wenn sie das Recht                           tung darstellen, die geeignet ist, sie von der Klageeinrei-
auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt                       chung abzuhalten. Die beklagten Unternehmen dagegen
verletzen. Die Missachtung von umweltbezogenen Sorg-                            agieren in der Regel ohnehin international und können
faltspflichten begründet hingegen keine Haftung. Um eine                        ein Verfahren im Ausland ohne größere Nachteile effektiv
wirksame Durchsetzung der Sorgfaltspflichten zu gewähr-                         bewältigen.
leisten, sollte ausdrücklich normiert werden, dass auch
eine Missachtung der umweltbezogenen Sorgfaltspflichten                         Zudem ist die Auffangzuständigkeit in Artikel 9 Absatz
sanktioniert werden muss. Umweltschäden wie kontami-                            5 präzisiert worden. Demnach ist ein Gericht zuständig,
niertes Wasser oder verseuchte Böden führen häufig mittel-                      wenn kein anderes effektives Forum zur Verfügung steht,
und langfristig zur Zerstörung von Lebensräumen und zu                          in welchem ein faires Verfahren garantiert wäre, und eine

2
 https://www.business-humanrights.org/en/latest-news/
uk-supreme-court-in-okpabi-clarifies-parent-company-duty-of-care-toward-persons-allegedly-harmed-by-subsidiaries/
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Verbindung zum Forumsstaat vorhanden ist. Die Verbin-          die Pflicht der Staaten enthalten, einen wirksamen Zugang
dung wird nun in Artikel 9 Absatz 5 konkretisiert und          zu Wiedergutmachung zu schaffen. Das Abkommen sollte
liegt vor, wenn Kläger*in oder Beklagte*r im Gebiet des        aber eine Regelung enthalten, um die Unternehmen zur
Forumsstaats anwesend ist oder sich Vermögenswerte des         Wiedergutmachung zu verpflichten. Dies entspricht
Beklagten in dem Staat befinden oder wesentliche Aktivi-       UNLP Nr. 22 und dient einer schnelleren Rechtsdurch-
täten des Beklagten im Gebiet des Forumsstaats erfolgen.       setzung für betroffene Personen.
Durch diese Formulierung sollen Unklarheiten über
Zuständigkeiten vermieden werden.                              VI. Internationale Zusammenarbeit
                                                               Die Vorschriften zur internationalen Zusammenarbeit
Artikel 7 Absatz 5 verpflichtet die Staaten nun dazu, per      wurden mit wenigen Ergänzungen übernommen und
Gesetz Richter*innen eine Beweislastumkehr zu ermögli-         kommen einer effektiven Durchsetzung des Abkommens
chen. Zwischen Betroffenen und den schädigenden Unter-         zugute. Staaten sollen sich gegenseitige Rechtshilfe leisten
nehmen besteht ein Informationsgefälle, welches es für die     und die internationale Zusammenarbeit durch technische
Betroffenen meist unmöglich macht, alle Haftungsvoraus-        und finanzielle Unterstützung sowie Kapazitätsausbau
setzungen zu beweisen. Ihnen fehlt der Zugang zu unter-        stärken.
nehmensinternen Informationen, die notwendig wären,
um etwa das Verschulden oder die Zurechenbarkeit der           VII. Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Normen
Verletzung rekonstruieren zu können. Die Unternehmen           Durch eine Stärkung des Abkommens im Verhältnis zu
dagegen sind zur Dokumentation der getroffenen Sorg-           anderen völkerrechtlichen Normen wurde dessen überra-
faltsmaßnahmen verpflichtet, sodass der Gegenbeweis für        gender Bedeutung Rechnung getragen und sichergestellt,
sie leicht zu führen ist. Die Anpassung von Artikel 7 Absatz   dass die Regelungen nicht unter Verweis auf andere Normen
5 wird den Herausforderungen gerecht, die das Abkommen         unterlaufen werden können. So wird in Artikel 14 Absatz 4
für nationale Rechtssysteme darstellt, da die Frage der        geregelt, dass frühere Abkommen bezüglich der geregelten
Beweislast stark vom jeweiligen Rechtssystem abhängt. Die      Gegenstände entsprechend Artikel 30 des Wiener Überein-
offene Formulierung dient der leichteren Umsetzung ins         kommens über das Recht der Verträge nur anwendbar sein
nationale Rechte und ist daher zu begrüßen.                    sollen, soweit die Vorschriften mit denen des vorliegenden
                                                               Abkommens vereinbar sind. Nach Artikel 14 Absatz 5a
Auch darüber hinaus verpflichtet Artikel 7 die Staaten         sollen bestehende Abkommen, darunter auch Handels-
dazu, den Betroffenen den Zugang zu Rechtsmitteln zu           und Investitionsschutzabkommen, so ausgelegt und ange-
erleichtern. Zu begrüßen ist, dass hierbei nun auch die        wendet werden, dass die Möglichkeit der Staaten, ihre
besonderen Schwierigkeiten zu berücksichtigen sind, die        Verpflichtungen aus dem Abkommen sowie aus anderen
sich aufgrund des Geschlechts oder der Zugehörigkeit zu        relevanten Menschenrechtsabkommen zu erfüllen, nicht
einer vulnerablen oder marginalisierten Gruppe ergeben.        untergraben oder beschränkt wird. Künftige Handels-
Wie diese rechtliche Unterstützung weiter ausgestaltet         und Investitionsschutzabkommen sollen nach Artikel 14
werden kann, wird den Vertragsstaaten selbst überlassen.       Absatz 5b in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen
Im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wurde        aus dem Abkommen und anderen relevanten Menschen-
beispielsweise eine neue Form der Prozessstandschaft           rechtsabkommen stehen. Notwendig wäre allerdings eine
geschaffen, die es deutschen Nichtregierungsorganisati-        Konkretisierung, wie diese Übereinstimmung sicherge-
onen und Gewerkschaften ermöglicht, in eigenem Namen           stellt werden sollte. Bei der Überarbeitung des Entwurfs
die Ansprüche der Betroffenen einzuklagen, und so die          sollte daher eine staatliche Verpflichtung aufgenommen
Durchsetzung von Rechten erleichtern soll (§ 11 LkSG).         werden, vor und während der Verhandlungen menschen-
Die Betroffenen eines Menschenrechtsverstoßes haben            rechtliche und ökologische Folgenabschätzungen durch-
das Recht, von den Unternehmen Wiedergutmachung zu             zuführen. Zudem sollten Handelsabkommen eine
verlangen. Allerdings ist in Artikel 7 und 8 Absatz 4 nur      menschenrechtliche Ausnahmeklausel enthalten, welche
Treaty Alliance Deutschland

klarstellt, dass Handelsregeln die Achtung, den Schutz
und die Gewährleistung von Menschenrechten im In- und
Ausland nicht unterminieren oder einschränken dürfen.

VIII. Überwachung und Umsetzung des Abkommens
Die in Abschnitt 3 enthaltenen Vorschriften zur Über-
wachung und Umsetzung des Abkommens haben in der
Neufassung keine wesentlichen Änderungen erfahren.
Der in Artikel 15 vorgesehene Fachausschuss soll gemäß
Absatz 4 wie die Fachorgane anderer Menschenrechts-
abkommen für die Auslegung des Abkommens in Form
Allgemeiner Bemerkungen und Empfehlungen zuständig
sein. Zudem soll er Abschließende Bemerkungen und
Empfehlungen zu den Staatenberichten bereitstellen. Um
eine einheitliche und effektive Umsetzung des Abkom-
mens zu gewährleisten und den Betroffenen möglichst
weitreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen,
sollten die Funktionen des Ausschusses um eine Zustän-
digkeit für Individualbeschwerden ergänzt werden. Die
Möglichkeit der Individualbeschwerde ist auch für die
anderen UN-Menschenrechtsübereinkommen entweder
unmittelbar oder über Fakultativprotokolle eröffnet.
Eine Verankerung im Vertragstext wäre einem Fakultativ-
protokoll vorzuziehen, da eine zeitliche Verzögerung im
Interesse der Betroffenen vermieden werden sollte. Um
die Akzeptanz für das Abkommen nicht zu gefährden,
könnte auch eine vertragliche Regelung fakultativ ausge-
staltet werden. Wie etwa in Artikel 14 der Anti-Rassis-
mus-Konvention, könnte die Zuständigkeit für Individu-
albeschwerden von einer entsprechenden Erklärung der
Staaten abhängig gemacht werden.

Die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes, vor
dem Betroffene im Falle von Rechtsverletzungen und der
Erschöpfung nationaler Rechtsschutzmöglichkeiten die
beteiligten Unternehmen und/oder Staaten verklagen
können, sollte zusätzlich verfolgt werden.
Treaty Alliance Deutschland

Die Stellungnahme der Treaty Alliance                                 https://www.cora-netz.de/wp-content/
Deutschland zum zweiten überarbeiteten                                uploads/2020/09/2020-09_TreatyAllianz-
Entwurf des Abkommens ist abrufbar unter                              D_Stellungnahme_2ndRevisedDraft.pdf

Die Stellungnahme der Treaty Alliance                                 https://www.cora-netz.de/wp-content/
Deutschland zum überarbeiteten Entwurf                                uploads/2019/09/2019-09_Treaty-Alliance-
des Abkommens ist abrufbar unter                                      Dtl_Stellungnahme-Revised-Draft.pdf

Die Stellungnahme der Treaty Alliance                                 https://www.globalpolicy.org/de/publication/
Deutschland zum Null-Entwurf des                                      stellungnahme-zum-entwurf-fuer-ein-
Abkommens ist abrufbar unter                                          verbindliches-un-abkommen-zu-wirtschaft-und

Das ausführliche Positionspapier „Für eine                            https://www.cora-netz.de/wp-content/
menschenrechtliche Regulierung der globalen                           uploads/2020/02/2019_Positionspapier_
Wirtschaft“ der Treaty Alliance Deutschland                           TreatyAllianzDeutschland_Fassung2019.pdf
von Februar 2019 ist abrufbar unter

Ein Flyer mit Hintergründen zum Prozess                               https://www.cora-netz.de/wp-content/
von Mai 2021 ist abrufbar unter                                       uploads/2021/05/2021-05_Treaty-Flyer.pdf

In der Treaty Alliance Deutschland
(www.cora-netz.de/themen/un-treaty/treaty-alliance/)haben sich die folgenden
zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengeschlossen, um den Prozess
hin zu einem globalen Menschenrechtsabkommen zu transnationalen Konzernen
und anderen Unternehmen zu unterstützen. Die vorliegende Stellungnahme wird
von den Mitgliedsorganisationen im Rahmen ihres Mandats mitgetragen.

aktion ./. arbeitsunrecht | Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt | Attac Deutschland | Berliner Wassertisch | Brot für die Welt | BUND |
CIR - Christliche Initiative Romero | CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung | FEMNET | FIAN Deutschland | Forschungs-und
Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) | Forum Fairer Handel | Forum Umwelt und Entwicklung | Germanwatch | Global Policy
Forum | Goliathwatch | INKOTA-netzwerk | Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie (INFOE) | Mission EineWelt | medico international
| MISEREOR | PowerShift | SÜDWIND – e.V. | terre des hommes | WEED – Weltwirtschaft, Ökologie Entwicklung | Weltladen Dachverband |
Werkstatt Ökonomie | Women Engage for a Common Future

CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung
Stresemannstr. 72, 10963 Berlin
Tel. +49 (0)30-2888 356 989 • info@cora-netz.de • www.cora-netz.de

Berlin, September 2021

Layout & Grafik: www.peerneumann.com
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