Waldmikroben: von Borrelia burgdorferi zum Zeckenenzephalitisvirus - SULM
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P I P E T T E – S W I S S L A B O R AT O R Y M E D I C I N E | WWW. S U L M . C H NR. 4 | AUGUST 2019 E D U C AT I O N 11 Rahel Ackermann 1, 2 , Reto Lienhard 1, 3 , Gilbert Greub 1, 4, 5 Waldmikroben: von Borrelia burgdorferi zum Zeckenenzephalitisvirus Wir wandern im Wald, geniessen seinen Schatten im Sommer und die vielfältigen Farben im Herbst. Aber im hohen Gras des Unterholzes, auf Sträuchern, am Waldrand oder auf Waldlichtungen beobachtet uns ein kleiner Gliederfüssler. Er wartet auf eine Gelegenheit, sich an uns zu klammern und unser Blut zu sau- gen: die Zecke. Zecken sind besonders aktiv von März bis November. Blutrünstige Zecken sensu lato und das Frühsommer- Zecken gehören zu den Milben. Von Meningoenzephalitis(FSME)-Virus. den weltweit über 800 Zeckenarten stechen nur etwa 30 Spezies den Men- Borrelia burgdorferi und die schen regelmässig. In Europa sind vor Lyme-Borreliose allem Schildzecken der Gattung Ixo- Borrelia burgdorferi ist der Erreger der des, in erster Linie Ixodes ricinus, weit Lyme-Borreliose. Das Bakterium ge- verbreitet. I. ricinus durchläuft drei hört wegen seiner Spiralform zu den Entwicklungsstadien: Larve, Nymphe sogenannten Spirochäten (Abb. 2A). und adulte männliche oder weibliche Zu dieser Familie gehören verschie- Zecke (Abb. 1). Die für I. ricinus güns- dene weitere spiralförmige Bakterien tigen Habitate zeichnen sich durch wie zum Beispiel (i) andere Borrelien- eine hohe relative Luftfeuchtigkeit arten, welche Rückfallfieber verursa- aus; die Zeckenart wird bis zu einer chen; (ii) die von Nagetieren übertra- Abb. 2. Virus und Bakterien der Zecke. Höhe von 1500 Metern über Meer ge- genen Leptospira (Erreger der Borrelia burgdorferi gehört wegen seiner funden. Leptospirose); oder (iii) die sexuell Spiralform zu den sogenannten Spirochäten (Abb. 2A). Das FSME-Virus gehört zur Gat- übertragenen Treponema (Erreger der tung der Flaviviren (Abb. 2B). Das Bakte- Syphilis). Alle Spirochäten sind emp- rium Rhabdochlamydia helvetica gehört zur findlich gegenüber einer Antibiotika- Familie Chlamydiales (Abb. 2C). Das Bakte- therapie mit Penicillin, Ceftriaxon rium A. phagocytophilum (Abb. 2D). oder Doxycyclin; der kulturelle Nach- © KROBS weis ist schwierig, die Labordiagnos- tik basiert darum auf serologischen Methoden. achtet werden; wenn lokale, sich aus- Borrelia burgdorferi wird durch die in breitende Rötungen oder Gelenk- der Schweiz sehr häufig vorkom- schmerzen auftreten, muss ein Arzt mende Schafszecke (Ixodes ricinus) aufgesucht werden, da es sich dabei Abb. 1. Ixodes ricinus übertragen. Je nach Region sind 5 bis um erste Symptome der Borreliose Foto: O. Rais, Laboratoire 50% der Zecken mit B. burgdorferi in- handeln kann. d’Ecoépidémiologie, Universität Neuchâtel fiziert; beim Stich der Zecke findet je- In der Schweiz erkranken jährlich doch nicht immer eine Übertragung schätzungsweise 10 000 Menschen an I. ricinus spielt europaweit eine wich- der Bakterien statt. Es wird geschätzt, dieser Krankheit (0,1% der Bevölke- tige Rolle bei der Übertragung von dass von 100 Personen, die einem Ze- rung); die Erkrankungszahlen sind für Krankheitserregern auf den Men- ckenstich ausgesetzt sind, ungefähr 3 Europa vergleichbar. Die Hautrötung, schen. Die am häufigsten durch Ze- mit B. burgdorferi infiziert werden. die zu Beginn der Erkrankung auftre- cken übertragenen Erreger in der Das Risiko einer bakteriellen Übertra- ten kann, verschwindet spontan nach Schweiz sind Borrelia burgdorferi gung wird zusätzlich reduziert, wenn einigen Wochen. Unbehandelt entwi- die Dauer der Blutmahlzeit durch ra- ckeln manche Menschen das zweite sches Entfernen der Zecken begrenzt Stadium der Erkrankung, welches 1 Nationales Referenzzentrum für zeckenüber- wird. mehrere Monate oder sogar Jahre tragene Krankheiten, Spiez Es gibt keinen Grund, direkt nach ei- nach dem Zeckenstich auftreten kann. 2 LABOR SPIEZ, Bundesamt für Bevölkerungs- schutz, Spiez nem Zeckenstich einen Arzt aufzusu- In dieser zweiten Phase treten Symp- 3 Laboratoire Borrelia (NRZK), ADMED, chen oder ein Antibiotikum einzuneh- tome auf, die die Gelenke, das Nerven- La Chaux-de-Fonds men. Als Sofortmassnahme muss system (z.B. Gesichtslähmung) oder 4 Centre de recherche sur les bactéries intracellulaires, Institut de Microbiologie de lediglich die Zecke so schnell wie mög- die Haut betreffen. l’Université de Lausanne lich entfernt und die Stichstelle desin- B. burgdorferi ist eine von vier Borreli- 5 Service des maladies infectieuses, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), fiziert werden. Die Stichstelle sollte enarten, die die Lyme-Borreliose ver- Lausanne dann über einige Tage hinweg beob- ursachen. Je nach Bakterienart sind
12 E D U C AT I O N P I P E T T E – S W I S S L A B O R AT O R Y M E D I C I N E | WWW. S U L M . C H NR. 4 | AUGUST 2019 Das Nationale Referenzzentrum für z eckenübertragene K rankheiten NRZK Das Nationale Referenzzentrum für zeckenübertragene Krankheiten NRZK wird im Auftrag des BAG durch das LABOR SPIEZ, ADMED Microbiologie in La-Chaux-de- Fonds und das CHUV in Lausanne g eführt. Das BAG und das NRZK verfolgen im Bereich der Public-Health-Mikrobiologie folgende Ziele: – Referenzdiagnostik für FSME (LABOR SPIEZ) und Lyme-Borreliose (ADMED Microbiologie), Bestätigungsdiagnostik für Q-Fieber (CHUV) – Bezugsquelle für Referenzmaterialien – Qualitätssicherung und Forschung im Bereich der Testentwicklung – Wissenschaftliche Beratung, Vernetzung und Lehre auf internationalem Niveau – Überwachung, Frühwarnung und Unterstützung des Massnahmenvollzugs Weitere Infos und Kontakt: www.labor-spiez.ch, nrzk@babs.admin.ch Abb. 3: FSME-Impfempfehlungen des Bundesamts für Gesundheit BAG die Symptome leicht unterschiedlich. rum die Impfung, welche für Perso- bei etwa 1%. Im Jahr 2019 wurden Der Anteil der Haut-, Gelenk- oder nen, die in einem Risikogebiet wohnen 377 Fälle registriert; dies entspricht neurologischen Manifestationen vari- (alle Kantone ausser Genf und Tessin), der höchsten je registrierten Fallzahl iert also von Art zu Art (Tab. 1) und da- empfohlen wird (Abb. 3). Eine spezifi- [1, 3, 4]. mit von Region zu Region. sche Therapie ist bisher nicht möglich [1, 2, 3]. Rhabdochlamydia spp. und Das Frühsommer-Meningo Infektionen mit FSME-Viren verlaufen Anaplasma phagocytophilum enzephalitis (FSME)-Virus in 70–95% aller Fälle ohne Symptome. Neben B. burgdorferi und dem FSME- Das FSME-Virus (Abb. 2B) ist das Bei symptomatischen Infektionen mit Virus können Zecken auch andere Mi- wichtigste durch Zecken übertragene dem in der Schweiz vorkommenden kroben in sich tragen. Arbovirus in Europa und Asien. Europäischen Virussubtyp setzen un- Das Bakterium Rhabdochlamydia hel- FSME-Viren gehören zur Gattung der gefähr eine Woche (4–28 Tage) nach vetica gehört zur Familie Chlamydiales Flaviviren. Basierend auf antigeneti- einem Zeckenstich grippeartige Be- (Abb. 2C). Es wurde im Jahre 2017 schen Eigenschaften werden die schwerden ein. Diese dauern etwa eine durch Forscher des Instituts für Mik- FSME-Viren in drei Subtypen unter- Woche an und können ohne weitere robiologie der Universität Lausanne, teilt, die sich im Schweregrad und im Beschwerden abheilen. Es folgt ein be- in Zusammenarbeit mit dem LABOR Verlauf der verursachten Erkrankun- schwerdefreies Intervall von etwa SPIEZ, in I. ricinus-Zecken ent- gen unterscheiden. In Europa wird einer Woche. Bei etwa 10% der infi- deckt [5]. Da diese Zecken in der das Virus hauptsächlich durch I. rici- zierten Personen entwickelt sich Schweiz gesammelt wurden, trägt das nus-Zecken übertragen, während anschliessend eine zweite Krankheits- Bakterium in seinem Namen den I. persulcatus als wichtigster Vektor in phase mit neurologischen Manifesta Begriff «helvetica». Dieselben For- den fernöstlichen Gebieten gilt. Die Vi- tionen. In der Schweiz manifestiert scher haben etwa 63 000 Zecken von rusprävalenz in I. ricinus-Zecken in sich die FSME am häufigsten als Me- 172 Standorten aus der ganzen endemischen Gebieten der Schweiz ningoenzephalitis (55%), gefolgt von Schweiz untersucht und festgestellt, liegt bei 0,46%. Da sich die Viren in Meningitis (22%) und Enzephalomye- dass eine aus 400 (0,25%) Zecken Trä- den Speicheldrüsen des Vektors auf- litis (3%). Die Sterblichkeitsrate liegt ger von Bakterien der Gattung Rhab- halten und im Falle eines Stiches so- fort übertragen werden, verhindert auch eine rasche Entfernung der Ze- Spezies Hauptsymptome cke eine allfällige Infektion nicht [7]. B. burgdorferi sensu lato: Den zuverlässigsten Schutz bietet da- B. afzelii Acrodermatitis und der Grossteil der Erythema migrans Die Zeckenpräventions-App Die Zecken-App besteht aus einem B. garinii Neuroborreliose Warn- und einem Informationsteil. Die Warnfunktion zeigt das aktuelle Ze- B. burgdorferi sensu stricto Arthritis ckengefahrenpotenzial im Gelände an. Der Informationsteil zeigt, wie man B. bavariensis Neuroborreliose sich vor Zecken schützen kann. Mit- hilfe der App können Zecken zudem anonym eingeschickt werden; sie wer- Andere Borrelia-Spezies: den anschliessend am NRZK auf das Vorhandensein von Krankheitserregern B. miyamotoi Fieber hin untersucht. Alle Untersuchungen werden zu Forschungszwecken durch- Rückfallfieber-Borrelien Rückfallfieber geführt, die Analyseresultate werden (z.B. B. recurrentis, B. duttonii) den Einsendern nicht mitgeteilt. Tabelle 1. Borrelienarten und Hauptsymptome
P I P E T T E – S W I S S L A B O R AT O R Y M E D I C I N E | WWW. S U L M . C H NR. 4 | AUGUST 2019 E D U C AT I O N / N E W S 13 Les microbes de la forêt: de Borrelia burgdorferi au virus de l’encéphalite Referenzen à tiques 1. Lindquist L. Tick-borne encephalitis, in: 5. Pilloux L, Baumgartner A, Jaton K, Lien- Tselis, A. (Ed.), Handbook of Clinical hard R, Ackermann-Gäumann R, Beuret C, Neurology. Elsevier 2014, pp. 531–559 Greub G, Prevalence of Anaplasma phagocy- La population suisse prend progressivement 2. Gäumann R, Mühlemann K, Strasser M, tophilum and Coxiella burnetii in Ixodes rici- conscience du risque sanitaire dû aux maladies trans- Beuret CM. High-throughput procedure for nus ticks in Switzerland: an underestimated mises par les tiques. Parallèlement aux maladies tick surveys of tick-borne encephalitis virus epidemiologic risk. New Microbes New In- and its application in a national surveillance fect. 2018 Sep 6;27:22–26. doi: 10.1016/ connues, comme la borréliose de Lyme, avec jusqu’à study in Switzerland. Appl Environ Microbiol. j.nmni.2018.08.017. eCollection 2019 Jan 12 000 nouveaux cas déclarés chaque année, ou la 2010 Jul;78(13):4241–9 6. Pilloux L, Aeby S, Gaümann R, Burri C, Beu- 3. Bundesamt für Gesundheit. Frühsommer- ret C, Greub G. The high prevalence and méningo-encéphalite verno-estivale (MEVE), qui en Meningoenzephalitis (FSME): Ausweitung der diversity of Chlamydiales DNA within Ixodes comptabilise entre 100 et 300, la tique est porteuse Risikogebiete; BAG-Bulletin 6/2019, 12–14 ricinus ticks suggest a role for ticks as reser- avérée de bien d’autres microbes, comme les espèces 4. Bundesamt für Gesundheit. Frühsommer- voirs and vectors of Chlamydia-related bac- Meningoenzephalitis (FSME): Ausweitung der teria. Appl Environ Microbiol. 2015 Anaplasma phagocytophilum ou Rhabdochlamydia. Risikogebiete; BAG-Bulletin 6/2019, 12–14 Dec;81(23):8177–82 dochlamydia ist. Zudem waren 1,7% manifestieren. Eine 2003 in der Erreger von Ärzten immer noch selten der untersuchten Zecken Träger des Schweiz durchgeführte Studie zeigte, als Ursache für Fieber nach einem Ze- Bakteriums A. phagocytophilum [6]. dass 10% der Menschen, die nach ei- ckenstich vermutet. Die Anaplasmose kann sich durch Fie- nem Zeckenstich Fieber haben, Anti- ber, Kopfschmerzen oder eine Lym- körper gegen A. phagocytophilum ent- Korrespondenz phozytopenie oder Thrombozytopenie wickelt haben. Dennoch wird der gilbert.greub@chuv.ch Andreas Huber 1 Zukunftsorientierter Zertifikatskurs in Klinisch-Genomischer Medizin und Einführung in Genetic Counseling In der Schweiz sind die vielen genetischen Erkenntnisse und Errungenschaften noch nicht an der gesund- heitsberuflichen Basis angekommen; die Fort- und Weiterbildung verlief bislang zögerlich. Nun hat die Private Universität im Fürstentum Liechtenstein erfolgreich mit dem ersten Modul des neuen CAS in Klinisch-Genomischer Medizin und der Einführung in Genetic Counseling gestartet. Hierzulande fehlt es an medizinischen scher Medizin und Einführung in Ge- Das CAS ist praxisorientiert aufgesetzt. Genetikern, aber auch an vertieftem netic Counseling entwickelt hat. Der Offen ist dieser Kurs für Mediziner, genetischem Wissen in anderen Fach- Kurs kann berufsbegleitend absolviert aber auch Hochschulabsolventen an- disziplinen wie Neurologie, Kardiolo- werden. Er ist in drei Module eingeteilt derer Gesundheitsberufe nahestehen- gie, Hämatologie usw. Während es in und umfasst 17 Tage resp. 15 offizielle den Fakultäten wie Biochemiker, Bio- anderen Ländern den etablierten Be- Kreditpoints. Als Kursabsolvierender logen, aber auch für etablierte rufsstand Genetic Counseler gibt und kann man die Module einzeln belegen. Pflegefachpersonen oder Akademiker diese Fachpersonen in der Routine tä- Die Universität Liechtenstein und auch in der Pharmazeutik oder der Diagnos- tig sind, finden wir nur ganz wenige dieser CAS sind Bologna-akkreditiert tikindustrie. Personen in der Schweiz, die einen und haben demzufolge vollumfängli- Entwickelt und geleitet wird dieser entsprechenden «Rucksack» haben. che Gültigkeit. Kurs von Prof. Dr. med. Thomas D. Auch gibt es derzeit keinen Lehrgang Das Modul A umfasst die molekularen, Szucs, MPH, MBA, LMM, Europäi- zu diesem Thema. So konnten wir uns chemischen und funktionellen Grund- sches Zentrum für Pharmazeutische glücklich schätzen, dass die Private lagen der genomischen Medizin. Das Medizin (ECPM), Universität Basel, Universität im Fürstentum Liechten- Modul B widmet sich den klinischen Prof. Dr. med. Reto Stocker, Instituts- stein einen CAS in Klinisch-Genomi- Anwendungen der genomischen Medi- leiter Institut für Anästhesiologie und zin, und das Modul C befasst sich mit Intensivmedizin, Hirslanden Klinik, Grundlagen der personalisierten Ge- Zürich, und dem Autor. sundheit und Public Health Genomics 1 Prof. em. Dr. med. Andreas R. Huber, Senior Consultant, Institut für Labormedizin (www.ufl.li/weiterbildung/cas-klinisch- Korrespondenz Kantonsspital Aarau genomische-medizin). andreas.huber@ksa.ch
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