Was haben Namen mit Geschlecht zu tun? - Damaris Nübling Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Passau, 24.05.2012 Ringvorlesung "Wissenschaft ist ein Beruf für Frauen“ Was haben Namen mit Geschlecht zu tun? Damaris Nübling Johannes Gutenberg-Universität Mainz nuebling@uni-mainz.de
Gliederung 1. Rufname und Geschlecht 1.1 Sexusneutrale Namen in den USA 1.2 Androgynisierung deutscher Rufnamen 2. Spitzname und Geschlecht 3. Familienname und Geschlecht
► Erste Differenzierung des Menschen: Zuteilung zu einer Geschlechtsklasse … ► … direkt gefolgt von der Einordnung in eine von zwei Namenklassen, ► … deren Grenze scharf bewacht wird: In Deutschland (und anderen europ. Ländern) juristische Vorschrift zu sog. "Geschlechts- offenkundigkeit" bei RufN ► Verstöße werden medial sanktioniert; ► Sexusambige Namen verboten; müssen ersetzt bzw. durch einen 'eindeutigen' zweiten Rufnamen erweitert ('geheilt') werden (Eike Thorsten bzw. Eike Leah). ► Nur bei fremdsprachlicher Namen kommt es – meist durch MigrantInnen – zu Ausnahmen (Ethnizität bzw. Nationalität toppt Geschlecht): ► Fall der indischstämmigen Familie, die ihre Tochter Kiran nennen wollte (www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ rk20081205_1bvr057607)
Sexusneutrale Name 2009 Boy's 2009 Girl's Avg. Score Namen in den USA Rank Rank Riley 107 38 73 Peyton 147 43 95 Jordan 45 150 98 Die häufigsten Jayden 8 188 98 US-amerikanischen Alexis 186 13 100 Unisex-Namen 2009 Angel 37 176 107 Hayden 91 131 111 Avery 223 32 128 Taylor 298 22 160 Payton 330 84 207 Cameron 59 356 208 Logan 17 453 235 Morgan 457 56 257 Dakota 251 276 264 Kayden 138 441 290 Dylan 29 556 293 Parker 96 502 299 Ryan 19 581 300
Woher kommen sexusneutrale Namen (Unisex-Namen)? Barry/Harper (1982): "Evolution of Unisex Names" ► In den USA gibt es RufN für beide Geschlechter, auch wenn faktisch nur selten davon Gebrauch gemacht wird (Studie 1980 zu Studieren-den: 5% der weibl. und 1,5% der männl. Studierenden); ► Sexusneutrale Namen sind diachron instabil, d.h. sie tendieren langfristig dazu, exklusiv an ein bestimmtes Geschlecht vergeben zu werden (Sexusspezifizierung); umgekehrt entstammen die meisten Unisex-Namen sexusspezifischen Namen (oder fremden Kulturen, bei deren Namen der Sexus nicht bekannt ist). ► Hypothese: Unisex-Namen entstammen öfter männlichen RufN und entwickeln sich zu weiblichen weiter – seltener umgekehrt:
Überprüfung anhand der Auswertung von unisex names in 6 ameri- kanischen Namenratgebern für Eltern: 3 vor 1950 ("early sources") und 3 nach 1965 ("recent sources"); Neuere unisex names, die in früheren Namenbüchern als männlich, weiblich oder weder/noch angegeben waren. Das heißt: Die meisten heutigen unisex names speisen sich aus früheren männli- chen RufN
Frühere unisex names, die später entweder zu weiblichen oder männ- lichen wurden, oder die unisex (sexusneutral) blieben ("neither"). Das heißt: unisex names tendieren, wenn sie denn später sexus- spezifisch gebraucht werden, dazu, langfristig eher zu weiblichen RufN zu werden: Die Hypothese hat sich bestätigt. männlich > > unisex > > weiblich
► Pflicht zur "Geschlechtsoffenkundigkeit", d.h. zum onymischen „Doing Gender“. Aus der Badischen Zeitung 2009: "Euro wollte ein Freiburger Elternpaar sein neugeborenes Mädchen nennen. Kein Problem, wäre es ein Junge gewesen. Stattdessen einigte sich die zuständige Standesbeamtin mit den Eltern auf die eindeutig weibliche Version Eurone." ► Das Deutsche leistet sich zwei riesige, segregierte Namen- inventare, nur um Gender zu markieren. ► Eltern vergeben Kindern heute RufN primär aus euphonischen Gründen (früher wirkten andere Gründe: Nachbenennung nach Familie, nach Paten etc.); freie Rufnamenvergabe erst seit 19. Jh.! ► Jungen wurden noch lange intrafamilial nachbenannt, Mädchen bekamen früher und häufiger neue Namen, da sie a) heiraten sollten (Name als Werbung) und b) bei Heirat ohnehin ihre Familie verließen → bei Mädchen bis heute mehr Namenfluktuation und ein größeres Inventar, aus dem geschöpft wird als bei Jungen:
Kleinteich 1992: FrauenN schöpfen aus einem größeren Inventar als MännerN
Drei Möglichkeiten der Sexus-Markierung an Personennamen nach Oelkers (2003) "Naming Gender" (~ Doing Gender) a) semantisch (z.B. Chinesisch, Türkisch, Germanisch) b) formal c) konventionell (Italienisch, teilw. Deutsch) (Deutsch) a) semantisch (über wörtliche Bedeutung): Anemone, Heide, Eberhard b) formal (z.B. über Movierungssuffixe): Michael-a, Berhard-ine, Christian-e c) konventionell (phonosemantisch, Laut-/Silben-/Akzentstrukturen): Janina vs. Horst, Lilly vs. Günther
Geschlechtsspezifische Strukturmerkmale nach Oelkers 2003: 1. 2. 3. 4. 5.
► Trotz onymischer Geschlechtertrennung gibt es unterschiedliche Grade an "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" bei Rufnamen: Lilli oder Janina wirken "weiblicher" als Heike, Ute oder Ruth. Horst, Ralf oder Günther wirken "männlicher" als Julian, Elias oder Luca.
Offiziell: Zwei segregierte, undurchlässige Nameninventare Frauennamen Männernamen Beate, Ruth, Janina Klaus, Benjamin Susanne, Christina Uwe, Elias, Wolfgang Kerstin, Gertrud Luca, Bernhard Lea, Jana Manfred, Sebastian Elke, Mechthild … Markus, Noah …
Aber: Hinter den Kulissen (auf phonologischer Ebene) wird die Segregation unterminiert: phonologisch weibliche Strukturen (Nichterstsilbenakzent, a-Auslaut, volle Vokale, viele Silben …) Frauennamen Männernamen Janina Noah Christina Luca Jana Sebastian Lea Benjamin Susanne Elias Beate Uwe Kerstin Markus Elke Wolfgang Gertrud Bernhard Mechthild Manfred Ruth Klaus phonologisch männliche Strukturen (Erstsilbenakzent, kons. Auslaut, viele Konsonanten, wenige Silben …)
Aber: Hinter den Kulissen (auf phonologischer Ebene) wir die Segregation unterminiert: phonologisch weibliche Strukturen (Nichterstsilbenakzent, a-Auslaut, volle Vokale, viele Silben …) Frauennamen Männernamen Heute werden Janina Noah bei Mädchen- Christina Luca und Jana Sebastian Jungennamen so Lea Benjamin ähnliche Laut- Susanne Elias Strukturen wie Beate Uwe noch nie zuvor Kerstin Markus gewählt! Elke Wolfgang Gertrud Bernhard Mechthild Manfred Ruth Klaus phonologisch männliche Strukturen (Erstsilbenakzent, kons. Auslaut, viele Konsonanten, wenige Silben …)
"weiblich" "männlich" Janína Lílly Janína Nicóle Sándra Íngrid Úte Gértrud Ruth Liliáne Sabrína Mélanie Ivónne Kárin Dóris Péter Günther Mark Klaus Léa Angélika Níco Júlian Léon Bóris Thórsten Hans Bernd Nóah Maximílian Jónas Lúca Lúkas Gérhard Max Rolf Horst viele Silben 1 Silbe Akzent weit hinten Akzent vorne vokalreicher wenig Vokale helle Vokale dunkle Vokale vokalischer Auslaut konsonant. Auslaut viele Nasale/Liquide, [j] viele Obstruenten viele offene Silben geschlossene Silben kaum Konsonantenverbindungen Konsonantenverbindungen
"weiblich" "männlich" Janína Lílly Janína Nicóle Sándra Ingrid Ute Gértrud Ruth Liliáne Sabrína Mélanie Ivónne Kárin Dóris Peter Günther Mark Klaus Lea Angélika Nico Júlian Léon Bóris Thórsten Hans Bernd Nóah Maximílian Jónas Lúca Lúkas Gérhard Max Rolf Horst Frage: Auf welche konkreten Namen in diesem breiten Spektrum (Types) greifen die Eltern zu welcher Zeit vermehrt zu (Tokens)? Und: Konvergieren, insbesondere ab 1968, Mädchen- und JungenN bzgl. struktureller Merkmale? (Reaktion auf Jürgen Gerhards' Untersuchung, die dies verneint hat) ► Untersuchung der Top 20 in Fünfjahresschritten von 1945- 2005 (bzw. 2008);
1 Renate Hans 2 Monika Peter 3 Karin Klaus 4 Ursula Wolfgang 5 Brigitte Jürgen 6 Bärbel Uwe Top 20 im Jahr 1945 7 Elke Bernd 8 Ingrid Karl 9 Helga Horst 10 Christa Dieter 11 Gisela Günther 12 Hannelore Heinz 13 Jutta Rainer 14 Barbara Michael 15 Heike Manfred 16 Christel Rolf 17 Marion Gerhard 18 Erika Werner 19 Angelika Gerd 20 Anke Helmut
1 Sandra Christian 2 Stephanie Markus 3 Nicole Michael 4 Kathrin Stefan 5 Tanja Andreas 6 Anja Thomas Top 20 im Jahr 1975 7 Ivonne Alexander 8 Julia Sven 9 Claudia T(h)orsten 10 Melanie Jan 11 Katja Matthias 12 Nadine Frank 13 Silke Martin 14 Andrea Jens 15 Sonja Sebastian 16 Susanne Marco 17 Bettina Oliver 18 Daniela Andre/André 19 Sabine Mark/Marc 20 Alexandra Daniel
1 Leonie Leon 2 Hanna(h) Lukas/Lucas 3 Mia Luka/Luca 4 Lena Tim(m) 5 Anna Finn 6 Lea(h) Jonas Top 20 im Jahr 2008 7 Emily Felix 8 Lara Luis 9 Emma Paul 10 Sara(h) Maximilian 11 Laura Julian 12 Lilli Niclas 13 Lina Max 14 Marie Ben 15 Sophie Elias 16 Ne(e)le Jan 17 Johanna Philipp 18 Sofia Noa(h) 19 Lisa Jannick 20 Maja David
Die Laute des Deutschen: Klassen und Sonoritätswerte 10 9 8 7,5 7 6 5 4 3 2 1 e i ´ j l m v f b p a ø y å N z s/S d t o u n  X/ç g k Vokale Sonoranten Frikative Plosive + sonor ‐ sonor max. Klangfülle min. Klangfülle
Mädchen Jungen 2005 < 1945 2005 < 1945 10 9 8 7,5 7 6 5 4 3 2 1 e i ´ j l m v f b p a ø y å N z s/S d t o u n  X/ç g k Auslaut/Wortende: Sonoritätsmessung Fazit: Mädchennamen lauten durchschnittlich deutlich sonorer aus als Jungennamen, und beide sind in den letzten 60 Jahren sonorer geworden
0,1 Silbe Differenz 1 ganze Silbe! 0,25 S. Silbenzahl=Namenlänge: starke Konvergenz ab ca. 1970, maximale Ähnlichkeit 1980; insgesamt deutliche Androgynisierung
Anzahl (abs.) unbetonter Vokale (korreliert mit Silbenzahl): Androgynisierung; 1945 divergent, bis 1980 starke Konvergenz, danach gemeinsame Entwicklung (leichter Rückgang, da kürzere Namen)
Hans Díeter Tobías Míchael Dreisilber, Akzent vorne (Míchael) – Dreisilber Akzent hinten (Tobías) Zweisilber Akzent vorne (Díeter) – (2-Silber Akz. hinten) – Einsilber (Hans)
Nadíne Íngrid, Léa Mariánne Mónika Dreisilber, Akzent vorne (Mónika) – Dreisilber Akzent hinten (Mariánne) Zweisilber Akzent vorne (Íngrid) – Zweisilber Akzent hinten (Nadíne)
2. Spitzname und Geschlecht
Noch einmal die deutlichsten Sexusindikatoren: ► Auslaut (Mädchen: -a, -e, Jungen: Konsonant); ► Konsonantenanteil bei JungenN insgesamt höher; ► Akzent (Mädchen: nichterstsilbenbetonte Vielsilber; Jungen: Einsilber + erstsilbenbetonte Zweisilber), ► und Länge (MädchenN länger als JungenN). → Ermittlung eines Genderindexes Bis jetzt nicht fürs Deutsche entwickelt, doch fürs Englische (das – insgesamt – ähnliche Rufnamenstrukturen wie das Deutsche hat): 31
Zur Ermittlung des onymischen Geschlechtsindexes (phonetic gender score) nach BARRY/HARPER (1995:812) ‐ zwei Berechnungen: +2: Der Akzent liegt nicht auf der ersten Silbe (Damáris, Sebástian). +1: Der Akzent liegt auf der ersten Silbe von drei oder mehr Silben (Jéssica, Fábian). 0: Der Akzent liegt auf der ersten von zwei Silben und der Name hat weniger als 6 Phoneme (Elke, Udo). ‐1: Der Name ist einsilbig (Ruth, Björn). ‐2: Der Akzent liegt auf der ersten von zwei Silben und der Name hat 6 Phoneme oder mehr (Mirjam, Thorsten). ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ +2: Das letzte Phonem ist unbetont und besteht aus [ə] oder [a] (Elke, Uwe). +1: Das letzte Phonem ist ein unbetonter Vollvokal außer [a], z.B. [o] (Udo). 0: Das letzte Phonem ist ein Sonorant (Liquid oder Nasal) (Mirjam, Björn). ‐1: Das letzte Phonem ist ein Frikativ (Damaris, Rolf). ‐2: Das letzte Phonem ist ein Plosiv (Birgit, Helmut). abnehmende Sonorität 32
Diese beiden Werte werden jeweils addiert. Mögliche Summen: Maximalwerte + 4 bzw. ‐4 + 4: max. weiblich Martína ?? +3 Gísela Roberto +2 Stefanie Sylvio +1 Marion Mario 0 Sylvia Rainer ̶ 1 Annegret Eckehard ̶ 2 Christel Christian ̶ 3 Marlies Rudolf ̶ 4: max. männlich Birgit Siegfried 33
Korpus (Naumann 1976): Studie zu inoffiziellen Namen = Spitznamen < Rufnamen ● Befragung von 2.200 Schülern in 17 Orten im Süden der DDR 1968/1970 (28 X 5. Klassen, 34 X 8. Klassen, 20 X 10. Klassen) ● Von der 5.-8. Klasse nimmt die Zahl der Spitznamen zu; sie stagniert bis zur 10. Klasse, danach Abfall. ● 85% der SchülerInnen haben mind. einen Spitznamen (auf Rufnamenbasis) 34
Kürzung und/oder Modifikation bei Kosenamen < Rufnamen (nach Naumann 1976) – folgende Verfahren bei der KoseN-Bildung: 1. Kurzform durch Weglassen eines Bestandteils (Gerlinde > Linde, Renate > Nate, Wolfgang > Wolf, Norbert > Norb, Birgit > Birgi etc.), auch Kontraktionen (Angela > Anga, Matthias > Mats) 2. Kurzform wird suffigiert: Sigrun > Sigi, Rudolf > Rudi, Birgit > Birge, Gotthard > Gotte, Dagmar > Daggel, Dietmar > Dietel, Günter > Güntex, Steffen > Steffkus, Steffi > Steffka etc. 35
Mädchen (Beispiele) Jungen (Beispiele) Vollform G‐Index Kurzform G‐Index Vollform G‐Index Kurzform G‐Index Michaéla +4 Micha +2 Míchael +1 Micha +2 Christína +4 Chris ‐2 Chrístoph ‐3 Chris ‐2 Gruppe 1 Gísela +3 Gis ‐2 Síegfried ‐4 Sig ‐3 Mónika +3 Moni +1 Róland ‐4 Rol ‐1 Ramóna +4 Ramon 0 Férdinand ‐1 Ferdi +1 Édith ‐2 Edi +1 Matthías +1 Mats ‐3 Ø +2,8 Ø +1,0 Ø -1,15 Ø -1,06 Heidrun ‐2 Heidi +1 Sígmar ‐2 Sigi +1 Roswítha +4 Rosi +1 Síegfried ‐4 Sigi +1 Andréa +4 Andi +1 Andréas +1 Andi +1 Gruppe 2 Stéfanie +2 Steffi +1 Stéfan ‐2 Steffi +1 Manuéla +4 Mannus ‐1 Détlev ‐3 Detti +1 Cármen ‐2 Carmchen ‐2 Ráiner 0 Reinex ‐3 Bettína +4 Bettsche +2 Wólfgang ‐2 Wolle +2 Ø +2,3 Ø +0,8 Ø -1,7 Ø +0,3 36
Gruppe 1: 90 MädchenN 33 JungenN Vollform: + 2,8 ‐ 1,15 Kurzform: + 1,0 ‐ 1,06 (viele Einsilber!) Erklärung: Die bloße Kürzung ohne Suffigierung erzeugt viele Einsilber und damit "männliche " Strukturen (oft sogar identische KurzN: Chris, Micha, Steff) Gruppe 2: 141 MädchenN 117 JungenN Vollform: + 2,3 ‐ 1,7 Kurzform: + 0,8 + 0,3 (viele Suffixe) Erklärung: Kürzung + Suffigierung 37
Begründung – und Diskussion: Sexusinformation bei Spitznamen obsolet, da Person bereits bekannt ist; Spitznamen kodieren primär die soziale Relation zwischen Namenträger und Namenverwender, und diese überlagert die Sexusinformation – gerade im Auslaut, wo sehr häufig verniedlichendes, aber sexusambiges -i verwendet wird…. … oder "männliche" Strukturen entstehen: Ev-a > Ev-i Carmen > Carm Ann-a > Ann-i Jutta > Jutt Konrad> Kon-i Christina > Chris Olaf > Ol-i auch: Michael > Micha ► Die Sexusinformation wird der kosenden (hypokoristi- schen) Funktion geopfert! 38
► Übernamen als Spitznamen sind sprechende Namen; ► Übernamen werden (auch!) meist reziprok gebraucht : Schatz(i), Herz(chen), Liebling, Maus(i) etc., d.h. auch hier wird die soziale Relation über Gender gestellt; ► Wird Sexus in Kosekontexten generell vernachlässigt bzw. abgestuft? Soziologische Untersuchungen: Geschlechterspiel tritt in der Paarbeziehung zurück (man weiß zuviel über sich). Stattdessen tritt die höhere Komplexität der individuellen Personenwahrnehmung in den Vordergrund (nur in der ersten Werbungsphase erlebt Gender Hoch- konjunktur; hierzu HIRSCHAUER 2001, 2007). Diese Genderrückstufung korreliert mit Kleidung, Attitüden und KoseN. ► KoseN werden meist nur adressierend verwendet, man referiert damit kaum auf andere Personen; Adressatenkontext ist immer sexusdefinit, vgl. die deshalb sexusindefiniten Adressatenformen du, ihr, Sie (sexusdefinite Ausdrücke nicht nötig, da Sexus evident). 39
3. Familienname und Geschlecht
Beobachtung, die noch nicht untersucht wurde: Spitznamen von Frauen werden eher aus ihrem (inti- meren) RufN generiert (Steffi < Stefanie Graf, Franzi < Franziska von Almsick) - Spitznamen von Männern dagegen aus ihren (distan- zierteren) Familiennamen (Schumi < Michael Schu- macher, Poldi < Podolski, Schweini < Schweinsteiger, Gorbi < Gorbatschov) Aus der F.A.Z vom 03.05.12
Kürschner 2011: Untersuchung der Personensteckbriefe von Sportmannschaften im Internet: ↓ basierend auf …↓ FrauenspitzN: 86 MännerspitzN: 88 … dem RufN 78 46 … dem FamN 8 42 ► Erklärung?
Neues Familiennamengesetz von 1994: ► Entweder behalten beide Ehepartner ihren Geburtsnamen (getrennte Namen) oder sie wählen einen der beiden Namen als gemeinsamen Ehe- und Familiennamen (Verbot der bisher möglichen Doppelnamen) → Kinder sind namentlich nur éinem Elternteil zugeordnet ► Wie wird mit dieser neuen Freiheit umgegangen? → Untersuchung von Matthias-Bleck 2000:
Die EheN-Wahl 1997 (nach Matthias-Bleck 2000:109) getrennte gemeinsamer gem. EheN gem. EheN Namen EheN ist MannesN ist FrauenN Großstadt 1.624 8.907 8.530 377 (> 100.000) (14%) (86%) (96%) (4%) Mittelstadt 284 2.746 2.634 112 (> 40.000) (9%) (91%) (96%) (4%) Kleinstadt 84 927 876 51 (> 20.000) (8%) (92%) (95%) (5%) (Spätere Studien bestätigen diese Ergebnisse)
Fazit: ► Ca. 10% getrennte Namenführung, ca. 90% gemeinsame; ► Wenn gemeinsame Namenführung, dann "gewinnt" zu über 95% der Mannesname. ► Gründe: Traditionelles (= patriarchalisches) Verhalten ist unmarkiert und muss sich nicht legitimieren; Abweichende stehen unter Rechtfertigungsdruck – was die qualitative Untersuchung bestätigte: Ein Mann mit EheN < FrauenN begründet dies über viele Seiten hinweg, während im (häufigeren) umgekehrten Fall der Name des Mannes meist für "schöner" und "passender" befunden wurde.
Vielen Dank! Zum Nach- und Weiterlesen:
Literatur: Barry, H./Harper, A. (1995): Increased choice of female phonetic attributes in first names. In: Sex Roles 32, 11/12, 809-819. – (1998): Phonetic differentiation between first names of boys and girls. In: Nicolaisen, W. (ed.): Proceedings of the XIXth ICOS. Scope, Perspectives and Methods of Onomastics, Vol. 3, 40-46. Gerhards, J. (2003): Die Moderne und ihre Vornamen. Wiesbaden. Hirschauer, S. (2001): Das Vergessen des Geschlechts. Zur Praxeologie einer Kategorie sozialer Ordnung. In: Heintz, B. (ed.): Geschlechtersoziologie. Sonderheft 41 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 208-235. – (2007): Arbeit, Liebe und Geschlechterdifferenz. Über die wechselseitige Konstitution von Tätigkeiten und Mitgliedschaften. In: Biebl, S. et al. (eds.): Working Girls. Zur Ökonomie von Liebe und Arbeit in der Moderne. Berlin, 23-41. Kleinteich, B. (1992): Die Vornamen in der DDR 1960-1990. Berlin. Naumann, H. (1976): Vorname – Rufname – Übername. In: Namenkundliche Informationen 29, 1-25. Nübling, D. (2009a): Zur lexikografischen Inszenierung von Geschlecht – Ein Streifzug durch die Einträge von Frau und Mann in neueren Wörterbüchern. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 37.3, 593-633. – (2009b): Von Monika zu Mia, von Norbert zu Noah: Zur Androgynisierung der Rufnamen seit 1945 aus prosodisch-phonologischer Perspektive. In: Beiträge zur Namenforschung 44, 2009, 67-110.
Nübling, D. (2012): Von Elisabeth zu Lilly, von Klaus zu Nico: Zur Androgynisierung und Intimi- sierung der Rufnamen von 1945 bis heute. In: Günthner, S. et al. (eds.): Genderlinguistik. Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität. Berlin/New York, 319-357. Matthias-Bleck, H. (2000): Empirische Ergebnisse zur Anwendung des neuen Ehenamens- rechts. In: Deutsches und Europäisches Familiennamenrecht 2, 108-112. Oelkers, S. (2003): Naming Gender. Empirische Untersuchungen zur phonologischen Struktur von Vornamen im Deutschen. Frankfurt. Oelkers, S. (2004): Warum Adam und Eva? Vornamengebung und Geschlecht. In: Eichhoff- Cyrus, Karin (ed.): Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung. Thema Duden Bd. 5. Mannheim, 133-147. Sacksofsky, U. (1995): Das eheliche Namensrecht – der unendlichen Geschichte dritter Akt. In: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 78, 94-111. – (2002): Grundrechtsdogmatik ade – Zum neuen Doppelnamen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In: Familie, Partnerschaft, Recht 4, 121-125. – (2004): Das Ehenamensrecht zwischen Tradition und Gleichberechtigung – zum neuen Ehenamensurteil des BVerfG. In: Familie, Partnerschaft, Recht 7, 371-375. Seibicke, W. (1982/2008): Die Personennamen im Deutschen. Berlin/New York. www.beliebte-vornamen.de
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