Was vom Transhumanismus übrigbleibt - medien & zeit

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m&z      2/2020

Was vom Transhumanismus übrigbleibt
Virus, Naturbeherrschung und Technikphilosophie

Mona Singer
Institut für Philosophie, Universität Wien

   Abstract
   Am Anfang dieses Jahrtausends sprach Jürgen Habermas (2001) von den Transhumanisten
   noch als eine „Hand voll ausgeflippter Intellektueller“, deren Menschenzüchtungsphantasien
   „einstweilen nur zum Medienspektakel“ reichen. 2017 warnen Ethiker*innen in einem Mani-
   fest vor den großen Gefahren, die vom Transhumanismus ausgehen würden. Sie sehen ihn als
   mittlerweile weit verbreitete technophile Weltanschauung, die in Forschungslaboratorien und
   Universitäten Einzug gehalten habe, und ein Menschenbild transportiere, das „das Mensch-
   Sein grundsätzlich“ missverstehe.
   In diesem Artikel untersuche ich den Transhumanismus technikphilosophisch und erörtere
   aus dieser Perspektive grundlegende Fragwürdigkeiten seiner Vorannahmen und Visionen. Der
   Transhumanismus proklamiert Menschenverbesserung durch Human Enhancement, hierin
   liegt nicht nur der politisch autoritäre Charakter dieses Ansatzes begraben, sondern hierin lie-
   gen auch technikphilosophisch seine Missverständnisse im Hinblick auf die Beherrschbarkeit
   der biologischen Naturhaftigkeit des Menschen.
   Der Coronavirus zeigt uns aktuell, dass wir weit davon entfernt sind, „to control our body“,
   wie die Transhumanisten das Fortschreiten unserer Spezies mit Technik nun als dem Motor der
   Evolution imaginieren.

U     nter dem Titel Transhumanismus versam-
      meln sich eine Reihe von Ansätzen, deren
gemeinsamer Nenner die Vision ist, den Men-
                                                     gien formuliert. Es geht hierbei weniger ethisch
                                                     um die Frage, was es heißt, auf die Idee zu kom-
                                                     men, technologisch als „erweitert“ vorgestellte
schen technologisch zu verbessern – gefasst un-      Menschen mit gesellschaftlich „besseren Men-
ter dem Begriff Human Enhancement – und ihn          schen“ oder gar mit Weltverbesserung zu assozi-
auf eine höhere – zuerst transhumane und dann        ieren, als darum, die Idee der Überwindung von
posthumane – Stufe zu heben. Der Transhuma-          „old humans“ technikphilosophisch zu befragen.
nismus ist philosophisch weder eine ausgefeilte      Der Coronavirus stellt Sichtweisen um, es ist
noch eine einheitliche Position, gemäß dem           zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar,
Oxford English Dictionary, in welches das Wort       was vom Transhumanismus und seinen Ver-
transhumanism 2008 Eintrag gefunden hat, wird        sprechen übrig bleiben wird, nachdem gerade
er schlicht definiert als „a belief that the human   ein Virus die Idee von Naturbeherrschung am
race can evolve beyond its current limitations,      menschlichen Körper so radikal in Frage stellt,
esp. by the use of science and technology.“          dass der Ausnahmezustand gesellschaftspolitisch
                                                     vernünftig erscheint, um im buchstäblichen
In diesem Artikel will ich Transhumanismus als       Sinne „old humans“ zu schützen. Der Virus
eine, im letzten Jahrzehnt medial virulent gewor-    bringt den Transhumanismus in Bedrängnis,
dene Theorie technikphilosophisch untersuchen,       technikphilosophisch gesehen ist er das immer
seine Vorannahmen wie Visionen im Hinblick           schon gewesen.
auf better humans diskutieren und schließlich in
Zusammenhang mit dem aktuell pandemisch              „Ein Gespenst geht um, nicht nur in Euro-
grassierenden Coronavirus stellen. Es geht dabei     pa – das Gespenst des Transhumanismus”.
darum, wie der Transhumanismus das Verhältnis        Seine „Priester und Auguren“ hätten bereits
von Mensch und Technik argumentiert und sein         Forschungslaboratorien, Universitäten, glo-
Menschenbild im Hinblick auf Cyborgtechnolo-         bale Unternehmen und politische Instituti-

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  onen besetzt, so warnen 2017 in einem Ar-           nistische Idee, Menschen in ihrer biologischen
  tikel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)            Ausstattung technisch modifizieren zu wollen, das
  Medienphilosoph*innen (Franck, Spieker-             „Mensch-Sein“ missverstehen würde.
  mann, Hampson, Ess, Hoff & Coeckelbergh
  2017), die darauf hinweisen, dass der Trans-        Philosophische Anstrengungen des
  humanismus den Menschen bloß dahingehend            Transhumanismus
  sieht, wie er technowissenschaftlich verbessert
  werden könne, er sich dabei durch blindes Ver-      1998 gründeten Nick Bostrom und David Pearce
  trauen in wissenschaftliche Heilsversprechen        die World Transhumanist Association (WTA). Ge-
  auszeichne und durch eine „empathielose Ver-        mäß der WTA-Deklaration sei der Transhuma-
  achtung derjenigen Eigenschaften, die uns als       nismus zu verstehen als „jedes auf rationalem
  Menschen auszeichnen“. Neuerdings, d.h. im          Gebrauch von Wissenschaft, Technik, Kreativi-
  digitalen Zeitalter, würde das heißen, dass der     tät und anderen Mitteln basierende Denk- oder
  Transhumanismus Wirklichkeit auf Informa-           Aktionsschema, das menschliche Grenzen zu
  tion und Menschen auf Informationsobjekte           überwinden sucht durch Verlängerung der ma-
  reduziere. Das Manifest will „die Irrationali-      ximalen Lebenserwartung, Erhöhung der Intel-
  tät transhumanistischer Ideen“ aufzeigen und        ligenz sowie physische und psychische Verbesse-
  auf die Gefahr hinweisen, die von ihnen aus-        rung des Menschen.“ (Bostrom 2003) Das Ziel
  gehe, wendet sich gegen Künstliche Intelligenz      sei eine durch Wissenschaft und Technik gesteu-
  als neue Rationalität, die mit einem algorith-      erte Entwicklung des Menschen. Das mensch-
  mischen Begriff von Rationalität das Mensch-        liche Potential sei kaum ausgeschöpft, Wissen-
  Sein einfangen und zugleich unterlaufen wolle,      schaft und Technik als den Motor menschlicher
  womit im digitalen Zeitalter der Transhuma-         Entwicklung zu verstehen, verspreche, die Na-
  nismus das „Mensch-Sein grundsätzlich miss-         turhaftigkeit der Menschen in ihren Beschrän-
  verstehe“.                                          kungen zu überwinden. Die humane biologische
                                                      Ausstattung sollte nicht mehr als Schicksal, son-
  Mit dieser ethischen Kritik aber erscheint mir      dern als wissenschaftlich-technologische He-
  der Transhumanismus zum Teil technikphilo-          rausforderung hin zu einer posthuman condition
  sophisch gesehen missverstanden. Der Trans-         begriffen werden.
  humanismus war von Beginn an ein Projekt            Entscheidend für die transhumanistischen Vi-
  der Naturbeherrschung, ein Unternehmen, das         sionen ist, dass diese Mittel nun in Reichweite
  auf Cyborgtechnologien zielte und nicht auf KI      erscheinen. Der Mensch sei in der Geschichte
  und Robots. Er war von Beginn an auch ein eu-       gegenwärtig an einem entscheidenden Punkt
  genisches Projekt, wiewohl, wie er hervorhebt,      angelangt. Aufgrund der wissenschaftlich-tech-
  ein Projekt „liberaler Eugenik“. Mit Cyborg-        nischen Möglichkeiten kann er nun zum Gestal-
  technologien sind Technologien gemeint, die         ter seiner selbst werden, er kann und er soll seine
  am menschlichen Körper zu Gange sind, und           Entwicklung selbst in die Hand nehmen, um sich
  im Unterschied zu Robotik und KI-Forschung          auf eine nächste Stufe zu heben. Wissenschaft
  geht es dabei nicht um die Herstellung von          und Fortschritt seien die leitenden Prinzipien
  künstlichen Wesen, von neuen Sklaven und in-        und insofern sei der Transhumanismus nicht
  telligenten Systemen, sondern um die technische     als anti-humanistisch zu verstehen, sondern im
  Modifizierung von menschlichen Körpern, die         Gegenteil, Transhumanismus sei radikaler, denn
  der Transhumanismus als Transformation von          er befördere nicht nur die traditionellen Mittel,
  old humans hin zu transhumans vorstellt und         um die menschliche Natur zu verbessern, „but
  als erreichbar sieht durch Human Enhancement.       also direct application of medicine and techno-
  Die eugenische Dimension macht einen ent-           logy to overcome some of our basic biological
  scheidenden Unterschied, der Transhumanismus        limits“ (Bostrom 2003). Während der Humanis-
  bewarb von Anfang an Technologien im Einsatz        mus auf die Verbesserung des Menschen durch
  für better humans, ob er damit Technik und Na-      Aufklärung, Erziehung, Bildung und Kultivie-
  turbeherrschung am menschlichen Körper falsch       rung zielte, plädiert der Transhumanismus da-
  versteht oder ethisch gesehen das „Mensch-Sein      für, die Verbesserung des Menschen mit Mitteln
  grundsätzlich missverstehe“, sind nicht dieselben   der Wissenschaft und Technik weiter zu treiben,
  Fragen der Kritik. Technikphilosophisch kann        das Potential des Menschen hin zu posthumans
  man jedenfalls nicht sagen, dass die transhuma-     auszuschöpfen („We believe that humanity’s po-

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tential is still mostly unrealized“; Transhumanist                 nik zusteuern – wollen – sollten, wie es Bostrom
Declaration 2009).                                                 in The History of Transhumanist Thought (2005)
Der Transhumanismus versteht sich demgemäß                         expliziert. Philosophiegeschichte wird dabei von
als die nächste Stufe des Humanismus, als eine                     Bostrom fortschrittslogisch aufbereitet. Philoso-
Fortsetzung des Humanismus mit wissenschaft-                       phiegeschichtlich ist jedoch darauf hinzuweisen,
lich-technischen Mitteln. Er versteht sich als der                 dass seine Erzählung auf gewichtigen Ausblen-
bessere Humanismus, als der Humanismus, der                        dungen, allein schon in der von Bostrom aus-
nun – technologisch möglich – an der Zeit sei.                     schließlich dafür bemühten westlichen Philoso-
                                                                   phiegeschichte beruht, nämlich von einer langen
In diesem Sinne ist er ein Gegenspieler posthu-                    Reihe von Ansätzen, die Monismus und Kon-
manistischer Ansätze, die keinen besseren Hu-                      tingenz in den Vordergrund schieben und die
manismus anstreben, sondern, im Gegenteil,                         cartesianische Unterscheidung von Geist und
den Humanismus philosophisch als Anthropo-                         Körper in Frage stellen. Bostrom hingegen fin-
zentrismus kritisieren, ausgeführt von Donna                       det in der westlichen Philosophiegeschichte eine
Haraway in Companion Species Manifesto (2003)                      Reihe von transhumanistischen Meilensteinen,
bis hin zu Bruno Latours Terrestrisches Manifest                   von Fancis Bacon bis Immanuel Kant, und zi-
(2018). Latours Kernaussage wie Buchtitel Wir                      tiert als solchen auch Giovanni Pico della Miran-
sind nie modern gewesen (1998) und Haraways                        dola mit seiner christlich inspirierten Aussage in
Fokus auf Cyborgs als Reinvention of Nature                        seiner Rede über die Würde des Menschen (1486),
(1991) haben bereits in den 1990er-Jahren vor-                     dass „der Mensch“ – Adam, in seiner Diktion
weg das kritisiert, wodurch sich der Transhu-                      – durch Gott ermächtigt wurde, sich über alle
manismus philosophisch in Szene gesetzt hat.                       anderen Geschöpfe hinweg setzen zu können,
Der Transhumanismus ist Anthropozentrismus                         also gleichsam von Gott die Lizenz zur Naturbe-
in technologischer Höchstform, der Posthuma-                       herrschung verliehen bekam1 (Bostrom 2005, 2,
nismus in dieser Hinsicht sein philosophischer                     vgl. ausführlicher Singer 2015b).
Opponent (Singer 2015b).
                                                                   Die transhumanistischen Visionen können
Transhumanismus als Philosophie und „Bewe-                         als eine weitere „große Erzählung“ (François
gung“, wie es heißt (More 2013), ist um philo-                     Lyotard) betrachtet werden, die im 21. Jahrhun-
sophische Rechtfertigung bemüht, er wollte sich                    dert nun den Menschen als „Held der Erkennt-
zur Jahrtausendwende in den USA im ethischen                       nis“ oder als „Held der Geschichte“ gegen den
Streit um die Stammzellenforschung als philo-                      Menschen als „Held der Evolution durch Technik“
sophischer Mitspieler aufrüsten und als solcher                    austauscht – wie es Ray Kurzweil imaginiert: Der
wahrgenommen werden, und er möchte von da-                         Mensch habe nun die Evolution in die Hand ge-
her eine lange Geschichte des Denkens erzählen,                    nommen, was dann gelungen wäre, wenn „hu-
gemäß der „wir Menschen“ immer schon auf                           mans have beaten evolution“ (Kurzweil 1999).
der Spur gewesen wären, „uns“ über unsere na-                      Vorgestellt wird von Transhumanisten2, dass
türlichen Bedingtheiten hinweg setzen und uns                      Technik die Fortsetzung der Evolution mit bes-
als Spezies transformieren zu wollen, und daher                    seren Mittel wäre, wir sollten die menschliche
nun auf eine transhumane Existenz durch Tech-                      Entwicklung in den Griff kriegen, indem wir

1
    Pico della Mirandola lässt den christlichen Gott sagen: „Ich   2
                                                                      Feministisch von Interesse ist, dass sich kaum Frauen
stellte dich in die Mitte der Welt, damit du von dort aus alles,   als Transhumanistinnen deklarieren, insofern spreche ich
was ringsum ist, besser überschaust. Ich erschuf dich weder        hier also empirisch korrekt von Transhumanisten. Warum
himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich,          kaum Frauen und schon gar nicht Feministinnen in der
damit du als dein eigener, gleichsam freier, unumschränkter        Auseinandersetzung an argumentativ vorderster Front
Baumeister dich selbst in der von dir gewählten Form aufbaust      dieser Bewegung stehen, sehe ich nicht als Theoriezufall,
und gestaltest. Du kannst nach unten in den Tierwesen              sondern als eine feministische Frage an die Sache, und
entarten; du kannst nach oben, deinem eigenen Willen               beantwortet durch ein offensichtlich genuin massives
folgend, im Göttlichen neu erstehen“ (Pico della Mirandola,        Desinteresse von feministischen Theoretikerinnen an
[1486] 1983, 65f ). Dass das Christentum philosophisch             Menschenverbesserungsideologien. Feministinnen mit
legitimatorisch für den Transhumanismus eine Rolle spielt,         dem Fokus auf sozialer Ungleichheit liegt politisch wohl
ist eine interessante philosophische Pointe, zumal Max More        nichts ferner, als mit technologischen Modifikationen von
(2003) unterstreicht, dass Transhumanismus als Projekt der         Menschen die Welt eugenisch verbessern zu wollen.
Wissenschaft, Technik und Vernunft genuin als Gegenspieler
zu Religionen zu begreifen ist.

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  uns technologisch an die Verbesserung des Men-                 der Raumfahrt eingeführt. Der Neologismus
  schen machen.                                                  Cyborg wurde vorgeschlagen, um selbst regulie-
  Mit dem Coronavirus rücken aber nun auch                       rende Mensch-Maschinen-Systeme zu benennen
  gegenteilige, apokalyptische Menschheitserzäh-                 (Clynes & Kline 1995). Ausgangspunkt war die
  lungen in den Vordergrund. Wie Laurie Pen-                     Prämisse, dass es erfolgversprechender wäre, den
  ny (2020) unterstreicht3, könne man philoso-                   menschlichen Körper technologisch umzubauen
  phisch genau so gut sagen, dass Erzählungen der                und ihn so an die Erfordernisse außerirdischer
  Menschheitsgeschichte sich immer schon auch                    Umwelten (Raumschiff) anzupassen, als diese so
  durch Visionen ihres Endes auszeichneten. Klar                 zu gestalten, dass sie den Körperfunktionen des
  wird dabei, dass Menschheitserzählungen tech-                  Menschen entgegenkämen. Aus diesen kriegs-
  nikphilosophisch betrachtet untauglich sind, sie               technischen Überlegungen für die US-ameri-
  haben als große anthropologische Erzählungen                   kanische Fitness im Krieg im Weltall heraus
  immer schon unterschiedliche Geschichten und                   wurde dann sozusagen „zivil“ weitergedacht.
  gesellschaftliche Verhältnisse ausgeblendet, und               Der menschliche Körper und seine Aktualität
  sie ignorieren das Zusammenspiel von Technik                   wurden im Hinblick auf die Erfolge in der Be-
  und Gesellschaft.                                              herrschung der äußeren Natur in Frage und zur
                                                                 Disposition gestellt. Technik sollte in Zukunft
  Cyborgtechnologien und Human                                   der Motor der menschlichen Entwicklung wer-
  Enhancement                                                    den und die Rolle der Evolution entgegen deren
                                                                 Zufälligkeit übernehmen. Nicht zuletzt deswe-
  Der Transhumanismus knüpft an die Idee des                     gen, weil andernfalls, wie Clynes zehn Jahre spä-
  „Cyborgs“ an, spricht aber nicht von Cyborg-                   ter monierte, der menschliche Körper mit den
  technologien, sondern von Human Enhance-                       technologischen Entwicklungen in der äußeren
  ment. Mit dem Begriff Human Enhancement                        Naturbeherrschung nicht mehr Schritt halten
  lehnt er sich wissenschaftshistorisch gesehen an               könnte (Clynes 1995). Technik sollte nicht
  eugenische Ideen an und impliziert mit diesem                  mehr nur die äußere Natur bezwingen, sondern
  Begriff Fortschritt, während hingegen der Be-                  im Zeitalter einer weithin bezwungenen äuße-
  griff Cyborgtechnologien, in Anlehnung an Don-                 ren Natur nun mit der Vorstellung brechen, dass
  na Haraways Analysen, nicht in den Rahmen                      der menschliche Körper sakrosankt sei und tech-
  eines Fortschrittsparadigmas einzuordnen ist.                  nisch nicht radikal zu verbessern wäre.
  Dass sich das technowissenschaftliche Interes-                 Im Kontext der Militärforschung begann also
  se zunehmend und in einem immer systema-                       nicht nur die – politisch ambivalente – Karriere
  tischeren Ausmaß dem menschlichen Körper                       der Figur des Cyborgs, sondern auch die syste-
  zuwandte, dieser Weg hat gemäß der Cyborg-                     matische Entwicklung von Technologien unter
  Geschichtsschreibung (Hables, Figueroa-Sar-                    dem Terminus Human Enhancement.4 Technik-
  riera & Mentor 1995; Haraway 1985) mit der                     philosophisch entscheidend bleibt dabei die
  Geburt des „Cyborgs“ im Kalten Krieg begon-                    Vorstellung übrig, dass transhumanistisch die
  nen. Der Begriff Cyborg wurde von Manfred                      Anpassung der menschlichen Körper an tech-
  E. Clynes und Nathan S. Kline in einem Vor-                    nisch veränderte Umwelten als Fortschritt pro-
  trag im Rahmen eines Symposiums der NASA,                      klamiert wird, eine Idee aus den 1960er-Jahren,
  1960, zu den psycho-physiologischen Aspekten                   die nun, angesichts von Umweltzerstörung und

  3
     „The idea of imminent annihilating catastrophe has          Leistungsfähigkeit, wie sie am Programm US-amerikanischer
  been part of the collective unconscious for as long as we’ve   Forschungspolitik stand, machte dabei kein Hehl daraus, auf
  had one. From the end date of the Mayan calendar to the        nationale Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet zu sein (Roco
  Epic of Gilgamesh, from the Genesis flood to the Book of       & Bainbridge 2002).
  Revelation, humans have been haunted by the idea of the        Human Enhancement stand ebenso auf der Agenda der
  end of everything for a very, very long time.“ (Penny 2020)    Forschungsprogramme der EU und beschäftigt damit ist
  4
     2001 wurde von der US-National Science Foundation,          STOA (The Assessment of Scientific and Technological
  dem US-Handelsministerium und unterstützt von der              Policy Options for the European Parliament). Der
  Militärforschung die erste Converging Technologies for         europäische Ansatz betonte von Anfang an im Unterschied
  Improving Human Performance Initiative gesetzt, die auf        zu US-amerikanischen Strategien, dass technologische
  die Konvergenz von Nanotechnologien, Biotechnologien,          Innovationen im Verbund mit sozialen und demokratisch
  Informationstechnologien und Cognitive Science (NBIC)          orientierten Interventionen zu realisieren seien.
  abstellte. Die Absicht der Steigerung menschlicher

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Klimawandel, in einem reichlich anderen Licht                  schafts- und gesellschaftstheoretisch analysierte,
erscheint.                                                     thematisierte die Cyborgisierung politisch und
Was den Transhumanismus allererst auf die                      hinsichtlich überkommener Denkverhältnisse
philosophische Bühne gebracht hat, war, dass                   bezüglich Technik und Technowissenschaf-
er die Verschiebung technowissenschaftlicher                   ten mit ihrem feministisch emanzipatorischen
Forschungsinteressen von der äußeren Naturbe-                  Cyborg-Konzept. Entscheidend ist dabei unter
herrschung hin zur Beherrschung der mensch-                    anderem ihre technikphilosophische Einsicht,
lich biologischen Ausstattung so euphorisch                    dass eine „Natur des Menschen“ im Sinne seines
begrüßte. Gegenspieler der Transhumanisten,                    Wesens, wenn sie so philosophisch definiert wer-
in der philosophischen Diskussion und in der                   den will, immer auch als eine technische zu ver-
einschlägigen Literatur als „Biokonservative“                  stehen ist, und es von daher keine philosophisch
bezeichnet, haben sich formiert und sehen in                   prinzipiellen Einwände gegen Cyborgtechnolo-
diesen Technologien radikal neue Gefahren: ei-                 gien gäbe6 – aber eben Biotechnologien, wie alle
ner liberalen Eugenik (Habermas 2001; 2008),                   neuen Technologien, missverstanden werden,
Gefahren der Menschenzüchtung (Fukuyama                        wenn Technik technikdeterministisch als Selbst-
2004) oder eines Perfektionierungswahns neoli-                 läufer betrachtet wird.
beraler Gesellschaften (Sandel 2008).5
                                                               Technikdeterminismus
Bedauernswert dabei ist, dass sich Biokonserva-
tive dabei in ihrer Kritik an Cyborgtechnologien               Mit Technikphilosophie ist hier ein Zugang
von Anfang an, das heißt seit der Diskussion                   gemeint, der neue Technologien nicht technik-
um Gentechnik und insbesondere Stammzel-                       deterministisch verhandelt, also nicht davon aus-
lenforschung um die Jahrtausendwende, vor-                     geht, dass Technologien so kommen, als ob sie
nehmlich auf transhumanistische Vorstellungen                  kommen müssten, sondern diese vornehmlich
konzentrierten, und sie ethisch kritisierten, als              und immer auch politisch zu verhandeln und
ob Cyborgtechnologien ganz überraschend nun                    auf ihren gesellschaftlichen Nutzen bzw. cui
wahrgenommen werden müssten, während hin-                      bono hin zu befragen sind. Mit Robert L. Heil-
gegen technikphilosophische, und das heißt po-                 broner gesagt gilt es, Technikdeterminismus als
litische Ansätze, wie die von Donna Haraway,                   Ideologie des Kapitalismus herauszustellen, also
die seit Mitte der 1980er-Jahre, angefangen mit                als Ideologie, die darauf zielt, technische Ent-
ihrem Cyborgmanifest (1985), diese Verschie-                   wicklungen als Fortschritt und gleichsam als
bungen gesellschaftspolitisch und in emanzi-                   Selbstläufer zu behaupten, d.h. als technisch
patorischer Absicht thematisierte, von beiden                  immanente Weiterentwicklung, und sie darü-
Seiten, Biokonservativen wie Transhumanisten,                  ber hinaus als sozialen Fortschritt anzupreisen
ignoriert wurden. Haraway, die als Gegenspie-                  (Heilbroner 1967). Mit Langdon Winners tech-
lerin transhumanistischer Vorstellungen die Ver-               nikphilosophisch einschlägigem Artikel Do Ar-
schiebungen durch Cyborgtechnologien wissen-                   tifacts Have Politics? (Winner 1987) ist weiters zu

5
   Einschlägig biokonservativ Argumentierende waren            Ausstattung und die Natur des Menschen als seine faktische
in den USA Berater im President’s Council on Bioethics,        Beschaffenheit im Sinne der faktischen Verhaltensweisen
etabliert 2001 in der Zeit der Präsidentschaft von George      von Individuen (Birnbacher 2009, 222). Sich auf eine
W. Bush, so Francis Fukuyama, Leon Kass und Michael            „Natur des Menschen“ bzw. auf ein „grundsätzliches
Sandel. Transhumanisten waren hingegen von Anfang              Mensch-Sein“ zu verständigen, wie anfangs mit der Kritik
an ökonomisch im Spiel, sie waren und sind mit diesen          von Medienphilosoph*innen Bezug genommen, kann kein
Technologien im Geschäft, wie Ray Kurzweil als Leiter der      Stoppschild gegenüber Cyborgtechnologien sein, es ist nicht
technischen Entwicklung bei Google, Max More als Leiter        aussichtsreich und muss alleine deswegen scheitern, weil
des weltweit größten Kryonik-Unternehmens oder die             wie am transhumanistischen Programm expliziert, dieses
Wissenschaftler Manfred Clynes und Nathan Kline, die eine      nachgerade als Argument für deren exzessive Förderung
Reihe von psychopharmakologischen Patenten halten.             verstanden werden kann, wie sie die Transhumanisten in
6
   Dieter Birnbacher argumentiert überzeugend, warum das       ihren anthropologischen Versuchen proklamieren: „der
Konzept einer „Natur des Menschen“ kein Stoppschild für        Mensch“ sei immer schon auf dieser Spur gewesen, immer
Cyborgtechnologien sein kann. Eine solche Bestimmung           schon sei Selbsttransformation auf „seinem Programm“
scheitere alleine daran, dass die „Natur des Menschen“ dabei   gestanden. Die „Natur des Menschen“ besteht für
im dreifacher Hinsicht verstanden und in diesen Hinsichten     Transhumanisten also gerade in der Überwindung biologisch
gemeinhin vermengt wird: die Natur des Menschen als sein       menschlicher Ausstattung.
Wesen, die Natur des Menschen im Sinne seiner biologischen

                                                               9
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  fragen, inwiefern technologische Artefakte und                       zeichnete, old humans hin zu transhumans tech-
  Systeme Politik machen, und insofern Technik                         nologisch transformieren zu wollen. Es nimmt
  und Politik zusammen zu denken sind (Singer                          der Kritik am Transhumanismus gerade ethisch
  2015a). Mit Wolfgang Deutsch ist im Anschluss                        den Stachel, ihn nun auch mit Forschung zu
  an Winner das Schlafwandlerische im gängigen                         starker KI und robotics zu identifizieren, denn
  Technikverständnis zu problematisieren, näm-                         er setzt auf better humans, auf Kryonik und
  lich die paradoxe Situation, dass technische Ent-                    Mind-uploading, auf Cyborgtechnologien in
  wicklungen uns und die Welt fortlaufend und                          liberal eugenischem Einsatz. Und so wird auch
  nachhaltig verändern, aber das Bedenken dieser                       verständlich, warum der Transhumanismus in
  fortlaufenden Selbsttransformierungsprozesse                         der Person eines seiner gewichtigsten Vertre-
  in einem Fortschrittsdenken aufgehoben wird                          ter, nämlich Nick Bostrom, sich nun als großer
  (Deutsch 2015, 18). In diesem Modus der tech-                        Gegner einer starken KI bzw. Superintelligence
  nikphilosophischen Kritik gilt es, Technowis-                        (Bostrom 2014) in Stellung bringt. In dieser
  senschaften und neue Technologien immer auch                         Gegnerschaft kann man Anthropozentrismus
  politisch zu denken – und voraus zu bedenken,                        und eine narzisstische Kränkung vermuten,
  d.h. Gedankenexperimente anzustellen, wohin                          nämlich in der Befürchtung, dass eine Super-
  technische Entwicklungen gehen könnten und                           intelligenz transhumans entmächtigt zurücklas-
  die Forschung gehen sollte (Singer 2016). Das                        sen würde.7 Das Silicon Valley als Zentrum des
  heißt, dass nun KI und Robotik als die gegen-                        Hightech-Kapitalismus setzt nun auf Künstliche
  wärtigen Profitquellen des Hightech-Kapitalis-                       Intelligenz und technisch autonome Systeme,
  mus herauszustellen sind, sie sind es nun, die                       seine Futurist*innen wollen nun mit KI als neue
  technikdeterministisch angepriesen werden, als                       Quelle des Profits die Welt verbessern, wie sie
  technisch unausweichliches Fortschreiten und                         sagen (siehe Singularity University), und nicht
  gleichsam als „menschlicher“ Fortschritt. Im                         mehr, wie die alten Transhumanisten, old hu-
  Kontext der Corona-Krise traten technikdeter-                        mans technologisch verbessern.
  ministische Argumentationen verstärkt auf und
  ihre Fortschrittslogik gebärdete sich als noch                       Liberale Eugenik und better humans
  plausibler, obschon nachgerade gegenteilig zu
  argumentieren wäre, nämlich dass die Corona-                         Die politischen Vorstellungen im Trans-
  Digitalisierungs-Not zeigte, dass technisches                        humanismus        reichen   von     neoliberalen
  Fortschreiten kein immanentes oder gar per se                        Konsument*innen-Visionen, dass unsere Kör-
  fortschrittliches ist. Es erscheint leicht absurd,                   per nun zu Mode-Statements werden können,
  wie Digitalisierung vor allem für Schulen und                        wie Natasha Vita-More dem Journal WIRED
  Universitäten als unausweichlicher und endlich                       erzählt: „Our bodies will be the next fashion
  in Angriff zu nehmender Fortschritt angeprie-                        statement, we will design them in all sorts of in-
  sen wurde, als ob die Corona-Krise den Weg für                       teresting combinations of texture, colors, tones,
  neue Technologien gleichsam wie eine List der                        and luminosity“ (Vita-More 2000); bis zu Nick
  Vernunft geebnet hätte.                                              Bostrom und seinem liberalen Beharren darauf,
                                                                       dass es keinerlei – moralischen wie rechtlichen
  Von daher halte ich es, nochmals unterstrichen,                      – gesellschaftlichen Zwang zu Enhancement ge-
  als kritisch nicht weiterführend, wenn der Trans-                    ben dürfe, Enhancement soll dementsprechend
  humanismus nun darauf reduziert und gleichzei-                       eine individuelle Entscheidung sein. Weiters fin-
  tig verallgemeinert wird, ein schlicht technophiles                  det sich in diesem Spektrum der Ethiker Julian
  Projekt zu sein, das jede Art von Technologien                       Savulescu, der ethisch nachdrücklich wird, wenn
  euphorisch begrüßt. Denn das würde in den                            er Human Enhancement als eine neue Form der
  Hintergrund stellen, dass sich die Ideologie des                     Verbesserung der Individuen sieht, die zu be-
  Transhumanismus vorweg durch seine Idee aus-                         werten wäre wie Verbesserung durch Erziehung

  7
     So lautet es im Klappentext von Bostroms Buch                     general intelligence, then this new superintelligence could
  Superintelligence (2014): „The human brain has some                  become extremely powerful – possibly beyond our control.
  capabilities that the brains of other animals lack. It is to these   As the fate of the gorillas now depends more on humans than
  distinctive capabilities that our species owes its dominant          on the species itself, so would the fate of humankind depend
  position. If machine brains surpassed human brains in                on the actions of the machine superintelligence.“

                                                                  10
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und Bildung, und er daher gentechnologische                  So noch 1962 auf dem Ciba-Symposium Man
Tests und verbessernde Manipulationen am Em-                 and His Future, einem wissenschaftlich hoch-
bryo als eine moralische Pflicht der Eltern ge-              rangigen Expertentreffen inklusive sechs No-
genüber den Nachkommen vertritt; bis hin zu                  belpreisträgern in London, bei dem der Zweite
James Hughes, der Cyborg Citizenship als eine                Weltkrieg nicht zuletzt so analysiert wurde, dass
rechtliche Gleichstellung von old humans und                 es an dem „schlechten Menschenmaterial“ ge-
posthumans in einer „transhumanistischen De-                 legen hätte, dass es überhaupt zu diesem Krieg
mokratie“ (2004) ansteuert.                                  gekommen sei, und z.B. angesichts der atoma-
                                                             ren Bedrohung nach dem Zweiten Weltkrieg
Ein zentraler ethischer Vorwurf an den Transhu-              gemäß Joshua Lederberg (Nobelpreis für Me-
manismus ist, dass es sich dabei um ein euge-                dizin 1960) das Hauptproblem wäre, dass „die
nisches Projekt handle (vgl. dazu besonders die              meisten von uns [Wissenschaftlern] die Weltbe-
Kritik von Habermas 2004). Proponent*innen                   völkerung nicht für intelligent genug halten, als
des Transhumanismus heben hingegen hervor,                   dass sie eine allgemeine Vernichtung verhindern
dass es sich mit ihrem Projekt keinesfalls um ein            könnte“ (zitiert nach Kegler 2002, 11). Und da-
eugenisches Programm alter Sorte handle, son-                her sei gemäß Hermann Muller (Nobelpreis für
dern um ein neues Projekt in liberaler, demokra-             Medizin 1946) die Lösung eine Vergrößerung
tischer Absicht. Der eugenische Gedanke als die              der menschlichen Intelligenz, eine genetische
Grundeinstellung, dass es gelte Menschen tech-               Züchtung von intelligenteren, besseren Men-
nologisch zu verbessern – bezüglich Intelligenz,             schen, es gelte daher, wissenschaftlich „einen
bezüglich ihrer Wahrnehmungsfähigkeiten, be-                 gesunden genetischen Fortschritt einzuleiten“,
züglich ihrer emotionalen Unordnungen – um                   genetische Checks des „Samenmaterials“ vorzu-
einer politisch besseren Welt willen, findet sich            nehmen und so bessere Menschen zu züchten
im Transhumanismus in den verschiedenen                      (Muller in Kegler 2002, 10f ).
Ansätzen, die sie mit Vorstellungen einer li-
beralen Eugenik (Agar 1998; Van Camp 2014;                   Wie Lewis Mumford in seiner technikphiloso-
Harris 2007) teilen. Eine liberale Eugenik soll              phischen Auseinandersetzung Mythos der Maschi-
sich aber grundlegend von alter Eugenik – von                ne. Kultur, Technik und Macht (1984) über solch
staatlich dirigierten Zwangsmaßnahmen und                    „treue Knechte der Megamaschine“ schreibt,
Züchtungsprogrammen – durch die Freiwillig-                  wird die Megamaschine bedient und verkörpert
keit der Maßnahmen am individuellen Körper                   durch eine „militärisch-industriell-wissenschaft-
unterscheiden, wie auch durch die Freiheit der               liche Elite“, die, wie es der Nobelpreisträger
Eltern, ihre ungeborenen Kinder nach ihren                   Muller formulierte, auch ohne diejenigen aus-
Vorstellungen zu enhancen. Das Ziel liberaler                kommen kann, die technologisch „nicht imstan-
Eugenik sei es, so der Tenor, die reproduktiven              de sind, bewußt am großen Unternehmen der
Wahlmöglichkeiten zu erhöhen, statt sie, wie in              Menschheit teilzunehmen“, „die Minderheit,
verfemten historisch eugenischen Programmen,                 die über ihn herrscht, wird schließlich Mittel
zu reduzieren (Agar 2004).                                   und Wege finden, ohne ihn auszukommen“. Für
                                                             Mumford ist dies „also die letzte Forderung des
Die Idee von Menschenverbesserung ist jedoch                 Organisationsmenschen: das Recht, die Welt
immer eine autoritäre Idee gewesen. Eugenische               nach seinem eigenen verkümmerten Ebenbild
Menschenverbesserung als Lösung für politische               umzugestalten“ (Mumford 1984, 657).
Probleme wurde ausgehend vom späten 19.                      Technologisch verbesserte Menschen würden
Jahrhundert (Galton 1909) bis in die 1960er-                 bessere politische Verhältnisse versprechen, die-
Jahre wissenschaftlich prominent diskutiert.                 ser eugenische Grundgedanke ist bei den Trans-

8
   Bostroms Gründe Why I want to be A Posthuman When         Pub betrinken und sich über die letzten Fußballergebnisse
I Grow up (2006) sind, dass wir nicht nur in all unseren     unterhalten, sie würden nüchtern zu Hause sitzen, Proust
Wahrnehmungen und unserem Sinneserleben verbessert und       oder die Zeitschrift Nature lesen, Saxophon spielen lernen
sehr viel älter werden würden, wir würden auch kritischer    und mit neuen Freunden sich bei Amnesty International
und vorurteilsfreier werden und uns dann zum Beispiel        einschreiben – „by any reasonable criteria, your life improves
nicht mehr billigem Entertainment zuwenden. Männer           as you take these initial steps towards becoming posthuman“
würden sich dann nicht mehr mit ihren Kumpanen im            (Bostrom 2006, 5).

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  humanisten jedenfalls verblieben, und ist einer               Ausschlaggebend für die technikphilosophische
  der Gründe für Nick Bostrom Why I want to                     Rekonstruktion des Transhumanismus ent-
  be A Posthuman When I Grow up (2006).8 Der                    lang der Prämisse der Koproduktion von Tech-
  zutiefst autoritäre Gestus eugenischen Denkens                nik und gesellschaftlicher Verhältnisse ist, dass
  liegt darin, dass sich Individuen oder Gruppen                transhumanistische Visionen ihren Entstehungs-
  als Elite verstehen, die sich berechtigt fühlen,              kontext in den USA haben und damit in einem
  anderen Menschen Maßnahmen nahezulegen,                       gesellschaftspolitischen Zusammenhang eines
  sich zu verbessern. Ob es entscheidend weni-                  Gesundheitssystems eingebettet sind, in dem
  ger autoritär wird, wenn man Enhancement                      die medizinisch-technischen Fortschritte nicht
  auf „freiwilliger Basis“ im Sinne einer liberalen             egalitär distribuiert werden, sondern, wie sich
  Eugenik vorschlägt, bleibt die zentrale politische            augenscheinlich mit dem Virus herausstellt, das
  Frage an den Transhumanismus.9                                Gesundheitssystem entlang der Achsen sozialer
                                                                Ungleichheit ausgerichtet ist, und das heißt, dass
  Technik und Gesellschaft als                                  medizinisch-technische Fortschritte entlang der
  Koproduktion                                                  Bruchlinien Klasse und race einer Vielzahl von
                                                                US-Amerikaner*innen verschlossen bleiben. Die
  Es ist nicht absehbar, was vom Transhumanis-                  USA sind der Ort der Spitzenmedizin weltweit
  mus nach der Corona-Pandemie übrig bleiben                    und nun gleichzeitig der politische Ort, der sich
  wird, jedenfalls denke ich, dass er danach inso-              bezüglich Coronavirus, aus der Sicht von Juni
  fern in einem neuen Licht erscheinen wird, als                2020, statistisch einreiht mit den durchschnitt-
  der Scheinwerfer wohl auf eine seiner größten                 lich meisten Toten der westlichen, hochtechni-
  Schwachstellen gerichtet sein wird, nämlich, die              sierten Welt.10
  Einsicht in die Koproduktion von Technik und
  Gesellschaft (Singer 2013) systematisch ausge-                Es ist daher naheliegend, dass der Transhuma-
  blendet zu haben. Damit werden transhuma-                     nismus seine technikeuphorischen Visionen um
  nistische Visionen von Human Enhancement,                     eine gesellschaftliche Situation gestrickt hat, in
  wie sie zum Beispiel Stefan Sorgner (2018)                    der, so scheint es, was andernorts sozialstaat-
  vermittelt („Allen Transhumanisten gemein ist                 lich realisierte, demokratisierte Medizin ist, für
  die Annahme, dass mit neuesten Techniken die                  Transhumanisten bereits „Human Enhance-
  Chancen auf ein erfülltes Leben erhöht werden“,               ment“ bedeutet, d.h. dass Transhumanisten das,
  Der Standard, 02.06.2018) sich ob ihrer politi-               was in Kontexten sozialstaatlicher Verhältnisse
  schen Naivität nachträglich und wohl nachhaltig               ein demokratisches Gesundheitssystem aus-
  disqualifizieren, und anderen Einsichten Platz                macht, nämlich Gesundheitspolitik, Gesund-
  machen, nämlich gesellschaftspolitisch orien-                 heitsvorsorge und damit Lebensverlängerung,
  tierten, wie von Judith Butler, nämlich dass „So-             sie an diesem spezifischen politischen Ort zu
  cial and economic inequality will make sure that              einem transhumanistischen Programm stilisie-
  the virus discriminates“, wie sie gegenwärtig mit             ren. Mit dem Coronavirus wird nun klar, dass
  dem Blick auf die Situation in den USA anmerkt                Transhumanisten aus spezifischen gesellschaft-
  (Butler 2020).                                                lichen Kontexten heraus gesprochen haben,

  9
     Die Betonung der Selbstbestimmtheit bezüglich              of Capitalism (2020) stellten Anne Case und der
  individueller Modifizierung kollidiert, wie Jürgen Habermas   Nobelpreisträger Angus Deaton – vor dem Coronavirus
  (2004) nachdrücklich herausstellt, mit Visionen, die          – die Gründe heraus, warum in den USA gegenwärtig die
  Nachkommen gentechnologisch verbessern zu wollen, wofür       Lebenserwartung nicht steigt, sondern sinkt. In einem
  sich besonders Julian Savulescu als Ethiker stark macht.      der reichsten Länder der Welt, in dem eine allgemeine
  Es gelte, „die genetischen Möglichkeiten zu erhöhen, die      Sozialversicherung und Gesundheitsversorgung seit Jahren
  unseren Kindern ein gutes Leben ermöglichen“ (Ranisch         politisch scheitert, und in dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt
  & Savulescu 2009, 31ff). Eine moralische Pflicht der          in etwa 27 Millionen Menschen keine Krankenversicherung
  Eltern, den Kindern eine bestmögliche Ausstattung zu          haben und durch medizinische Behandlungskosten jährlich
  gewähren, wird hochgehoben, was zuvor humanistisch in         Hunderttausende Menschen in den Bankrott getrieben
  Kategorien der Erziehung und Bildung definiert wurde, soll    werden, erscheint es politisch absurd, wenn gerade in diesem
  nun optimierend als medizinisch-technisches Versprechen       Kontext situierte Transhumanisten davon sprechen, dass
  realisiert werden: „Können wir aber die Biologie unserer      die Zukunft als eine transhumane mit dem Versprechen
  Kinder positiv beeinflussen, tragen wir die Verantwortung     von höherer Lebenserwartung durch neue Technologien zu
  für absehbare Folgen einer Unterlassung“ (ebd.).              visionieren sei.
  10
     Mit ihrem Buch Deaths of Despair and the Future

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nichtsdestotrotz aber den Anspruch erheben,            andererseits medizinisch-technikgeschichtlich
mit ihren Visionen von transhumans über den            gesehen willkürlich zieht. Willkürlich deswegen,
Menschen zu sprechen. In diesem Sinne sehe ich         weil er so argumentiert, als ob Humanmedizin
den Transhumanismus als kein akutes, vor sozi-         nun verstärkt im Verbund mit neuen Technolo-
alstaatlich europäischen Hintergründen zu be-          gien neues Terrain betreten würde und daher, als
trachtendes Problem, wie es, eingangs erwähnt,         ob Medizin nicht immer schon die Gegenspielerin
Medienphilosoph*innen sehen, vielmehr sehe             der Evolution gewesen wäre. Der Transhuma-
ich hierzulande die Gefahr der Kritik darin, sich      nismus argumentiert, als ob erst er uns darauf
am Transhumanismus als verortete Ideologie ge-         aufmerksam machen müsste, dass neue Tech-
sellschaftlich ortlos aufzuhängen und in der Fol-      nologien und daher neue Möglichkeiten nun
ge mit diesem Fokus, gerade Cyborgtechnolo-            im Spiel sind, und die Medizin diese nützen
gien politisch undifferenziert hinblicklich ihres      sollte, als ob Medizin nicht immer schon auch
gesellschaftlichen Kontexts zu verhandeln. Das         ein technisches Unternehmen gewesen wäre, um
„Gespenst des Transhumanismus“ geht so gese-           mit neuen Technologien das zu tun, wozu sie seit
hen vornehmlich nicht in Europa um (Franck,            jeher als Wissenschaft und Kunst angetreten ist,
Spiekermann, Hampson, Ess, Hoff & Coeckel-             nämlich Menschen zu heilen, zu reparieren und
bergh 2017), wohl aber sind technikdeterminis-         deren Leben zu verlängern. Willkürlich wird
tische Vorstellungen das Problem.                      wissenschaftshistorisch gesehen die Grenze ge-
                                                       zogen, als ob erst transhumanistische Ideen uns
Eine Gesellschaft wie die US-amerikanische             die Medizin als nunmehr technowissenschaft-
krankt offensichtlich daran, gesundheitspoli-          liches Unternehmen nahebringen müssten – als
tisch unsolidarisch zu sein, und es politisch nicht    ob vorher der menschliche Körper im Terminus
zu Stande zu bringen, eine demokratisierte Ge-         von „old humans“ gleichsam medizinisch tech-
sundheitsvorsorge und -versorgung zu schaffen.         nikfrei der Evolution und den darwinistischen
Der Transhumanist James Hughes sieht jedoch            Kriterien des Lebens und Überlebens überlassen
demokratische Verhältnisse als unerlässliche Be-       worden wäre.
dingung für den Einsatz von Cyborgtechnolo-
gien („technology and democracy complement             Der Begriff Human Enhancement ist technikphi-
one another, ensuring that safe technology is          losophisch gesehen ein höchst fragwürdiges Kon-
generally accessible and democratically accoun-        zept, mit ihm wird eine Grenze gezogen, die aber
table“; Hughes 2004, 3). Seine Idee geht dahin,        medizinisch-technologisch zu sehen ist und im-
dass Human Enhancement die Ungleichheiten              mer gesellschaftlich im Zusammenspiel mit Ge-
in der individuellen biologischen Ausstattung          sundheitspolitik zu ziehen ist. Was gestern als Hu-
ausgleichen und so für mehr Gleichheit sorgen          man Enhancement bezeichnet wurde, kann heute
könnte. Dieses Argument, dass wir biologisch           zur Maßnahme einer Gesundheitspolitik im sozi-
unterschiedlich ausgestattet sind – die einen          alstaatlichen Rahmen werden. Was also bleibt von
werden alt, die anderen sterben jung, die einen        transhumanistischen Zielen, wenn man davon
sind gesund, die anderen werden bereits krank          medizinische Ziele in sozialstaatlichen Kontexten
geboren, und warum sollte man sich mit dieser          abzieht? Was bleibt vom Transhumanismus als
Ungleichheit abfinden angesichts von medizi-           Philosophie, die Medizin und neue Technologien
nisch-technischen Möglichkeiten, sie auszuglei-        cyborgtechnologisch anleiten will in Richtung
chen? – wäre wohl eines der gewichtigsten Argu-        Human Enhancement? Ich würde sagen, was da-
mente des Transhumanismus in demokratischer            von bleibt, ist wenig bis nichts. Außer eben Vor-
Absicht – aber die Frage ist, wozu bräuchte man        stellungen liberaler Eugenik, die neoliberal dort
dazu den Transhumanismus?                              greifen, wo sozialstaatlich wenig ist.
                                                       Medizin im Verbund mit Technik ist ein Unter-
Human Enhancement und Medizin                          nehmen, das mit Wissenschaft und neuen Tech-
                                                       nologien darwinistischen Gesetzen im Humanen
Technikphilosophisch gesehen ist weiters der           entgegenwirkt. Technik im Blick auf Human-
Transhumanismus fragwürdig, weil er die Gren-          medizin so zu sehen, Technik und Gesellschaft
ze zwischen Vorstellungen von Human Enhan-             als Koproduktion zu verstehen, bedeutet einen
cement und der Medizin als die Grenze zwi-             entscheidenden Unterschied im Hinblick auf die
schen Heilung und Vorsorge einerseits und der          Ideen des Transhumanismus. Dieser müsste he-
Erweiterung von „old humans“ zu transhumans            rausstellen können, was er leisten könnte, wozu

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  er philosophisch antritt, nämlich demgemäß,                   Evolution zu verstehen, ist technikphilosophisch
  was er „evolutionär“ über die medizinische Dis-               eine nicht haltbare Annahme, denn Evolution ist
  ziplin hinaus versprechen will, denn „Evolution“              als ein Zusammenspiel zu betrachten, als Welt,
  mit dem Motor Technik ist sein Programm.                      die dadurch funktioniert, so im Zusammen-
                                                                spiel geworden zu sein. Der transhumanistisch
  Evolution und Zoonosen                                        lose Gebrauch des Begriffs Evolution, wie bei
                                                                Kurzweil in Verwendung11, ist wissenschafts-
  Der Transhumanismus mit seinen Visionen hat                   theoretisch nicht akzeptabel; er verwendet den
  das Problem, höchst fragwürdig zu sein in sei-                evolutionstheoretischen Begriff fortschritts-
  ner unausgesprochenen Idee, den menschlichen                  logisch inkorrekt und theoretisch inflationär,
  Körper als Maschine zu verstehen, als immer                   und er verwischt damit transhumanistisch visi-
  reparierbare und zu erweiternde Maschine. Phi-                onäre Unstimmigkeiten. Wie Andrew Askland
  losophisch wird immer wieder die Neuzeit mit                  (2011) herausstellt, suggerieren Kurzweil und
  der Hegemonie der Idee des Anthropozentrismus                 andere Transhumanisten mit ihrem Einsatz des
  gleichgesetzt, die nicht zuletzt fundiert sei in der          Begriffs „Evolution“, dass die Evolutionstheorie
  christlichen Unterscheidung zwischen Mensch                   die theoretischen Voraussetzungen bereitstellen
  und Tier, wie erwähnt mit Pico della Mirandola,               würde, für Evolution nun durch Technik fort-
  und philosophisch formuliert und weiter getragen              schrittslogisch legitimiert zu argumentieren, mit
  durch René Descartes. Aber auch hieran kann der               einem teleologischen Hintergrund, den aber die
  Transhumanismus nicht anknüpfen mit seiner                    Evolutionstheorie nicht bereitstellt. Die These
  Idee, dass der Mensch in seiner Körperlichkeit als            der Fortsetzung der Evolution durch Technik
  zu verbessernde Maschine zu verstehen sei. Denn               scheint, so Friedrich Rapp, vielmehr eine an-
  der Transhumanismus versteht philosophiege-                   thropozentristische Idee zu sein, die die Krän-
  schichtlich nicht, dass von Descartes ebenso wie              kungen, die das animal rationale „im Zuge des
  von seinem zeitgenössischen Gegenspieler bezüg-               Wissenschaftsfortschritts hat hinnehmen müs-
  lich der Geist-Körper Unterscheidung, nämlich                 sen“, zu überwinden sucht (Rapp 1981, 147).
  Julien Offray La Mettrie, der Körper nicht zuletzt            Evolutionstheorie wird also teleologisch miss-
  als „göttliche Maschine“ gedacht wurde (Sutter                verstanden, wenn Transhumanisten den Zusam-
  1998). Den Menschen als göttliche Maschine                    menhang von Evolution und Technik umbiegen
  zu verstehen, heißt einmal, dass der Mensch als               zur Weiterentwicklung des Menschen durch
  Produkt sich nicht selbst in seiner Gemachtheit               Technik als Fortschrittsgeschichte.
  reproduzieren kann, weil nämlich Gott gleichsam
  als der Superingenieur verstanden wurde. Erset-               Naturbeherrschungsvorstellungen in diesem
  zen wir nun Gott naturwissenschaftlich aufgeklärt             transhumanistischen Imaginären aber schei-
  durch die Evolution, dann wird es philosophisch               tern, und das nicht erst mit dem Coronavirus
  sicherlich nicht argumentativ einfacher für trans-            als quasi-evolutionäre Überraschung, die als Zo-
  humanistische Vorstellungen des Verständnisses                onose keine ist. Als Zoonose benennt die WHO
  von menschlichen Körpern und deren Machbar-                   Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und
  keit. Es wird vielmehr noch viel komplizierter.               Mensch – in beide Richtungen – übertragen
  Denn gehen wir mit der Evolutionstheorie ein-                 werden können, und der Erreger Sars-CoV-2
  her, dann ist Ray Kurzweils transhumanistische                ist nur einer davon, der in diesem Fall vom Tier
  Vision von „humans have beaten evolution“ als                 auf den Menschen übersprang (Johnson, Hit-
  wissenschaftliche Aussage unhaltbar („The evo-                chens, Pandit, Rushmore, Evans, Young & Do-
  lution of technology has been a continuation of               yle 2020). Die Evolution nun mit dem Motor
  the evolutionary process that gave rise to us – the           Wissenschaft und Technik transhumanistisch
  technology-creating species – in the first place“,            geleitet zu verstehen, insinuiert, als ob die „Evo-
  Kurzweil 1999, 3).                                            lution des Menschen durch Technik“ gleichsam
  Technik als Fortsetzung bzw. neuen Motor der                  ohne Tiere – und der Mensch nicht selbst als

  11
     „The evolution of biological life and the evolution of     entering that explosive part of the technological evolution
  technology have both followed the same pattern: they take a   curve right now“ (Kurzweil 1999, 2).
  long time to get going, but advances build on one another,
  and progress erupts at an increasingly furious pace. We are

                                                           14
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Tier verstanden – in evolutionär gewordener na-                   als Praxis kein Unternehmen, dass den Trans-
türlicher Umwelt gedacht werden könnte. Das                       humanismus als Idee von dem Menschen als zu
transhumanistische Versprechen, Krankheiten                       verbessernder unterstützt. Einen Menschen zu
auszurotten, müsste demnach im Fall des Co-                       enhancen, wäre evolutionstheoretisch gesehen
ronavirus auch heißen, Zoonosen verhindern                        nur sinnvoll, wenn sich dieser auch durch Re-
zu können, was aber nicht der Fall sein kann,                     produktionserfolg bewährt, aber auch tech-
denn man müsste dann, übertrieben gesagt, aber                    nologisch hoch aufgerüstete Transhumanisten
logisch gesehen, sämtliche Tiere, die Überträger                  werden das nicht bewerkstelligen, sofern sie ihre
sein könnten, ausrotten – oder man versteht                       durch Human Enhancement erworbenen Modi-
den Menschen mehr als ein Tier, das mit Tieren                    fizierungen nicht weitergeben können.12 Denn
anders umgehen muss, um das zu verhindern.                        evolutionär erfolgreich wäre man darwinistisch
Dann wären wir bei dem Klimawandel als He-                        gesehen nur durch Reproduktionserfolg, aber so
rausforderung für Wissenschaft, Technik und                       spielt sich Erfolg im Humanen nicht ab, Technik
Politik, und die Frage ist dann im Falle von Zo-                  widerspricht insofern der Evolution, und Medi-
onosen, warum sie heutzutage als so bedrohlich                    zin ist cyborgtechnologisch die leitende Wissen-
für „old humans“ stattfinden. Damit kommen                        schaft. Medizin als Kunst und Wissenschaft ist
wir an den Punkt, dass die Frage der Beherr-                      der Modus, der Transhumanismus als Ideologie
schung der äußeren Natur durch Technik und                        überflüssig macht in gesellschaftlichen Kontex-
die Einsichten in die Situation der Menschen als                  ten, die Gesundheit demokratisch als ein hohes
biologische und demnach sterbliche Wesen nun                      Gut institutionalisiert haben.
mit dem Virus und dem Klimawandel gerade
den Transhumanismus technologisch in Verruf                       Im Sinne der transhumanistischen Idee, dass „der
bringen könnten.                                                  Mensch die Evolution durch Technik“ überneh-
Denn der Transhumanismus ist philosophisch                        men soll, liefert nun der Philosoph S. Matthew
gesehen ein Anthropozentrismus der besonderen                     Liao von der New York University13 mit seinen
Art, er strebt nach einer posthuman condition –                   Kolleg*innen Anders Sandberg und Rebecca
und dabei trifft ihn nun der Corona-Virus wie                     Roache, beide akademisch ansässig am von Nick
eine Zecke, die vom Baum der wissenschaftlichen                   Bostrom an der Oxford University gegründeten
Erkenntnis auf die Körper der Ingenieure fällt.                   Future of Humanity Institute, philosophisch, wie
                                                                  sie es sehen, einen produktiven Beitrag zu Stra-
Transhumanismus und nicht zuletzt der                             tegien gegen den Klimawandel. Sie schlagen vor,
Klimawandel                                                       Menschen nicht nur zu enhancen, sondern sozu-
                                                                  sagen nun auch zu disenhancen. Sie wollen beim
Die transhumanistische Idee vom Körper als                        Menschen als „den größten Treiber des Klima-
Maschine, der problemlos zu enhancen wäre,                        wandels“ ansetzen, und dementsprechend die
widerspricht einerseits den Bedingungen der                       Menschen technologisch so verändern, dass sie
Möglichkeiten der Medizin, und davon ist nicht                    weniger Ressourcen verbrauchen, um damit die
zuletzt evolutionstheoretisch auszugehen. Die                     Erderwärmung einzudämmen. Liao hat mit sei-
Medizin als ärztliche Kunst und Wissenschaft                      nen Kolleg*innen vier große Lösungsansätze als
ist, wie gesagt, andererseits aber auch als Gegen-                Gadgets parat: Menschen sollen technologisch so
spielerin der Evolution zu verstehen. Medizin                     modifiziert werden, dass sie gegen rotes Fleisch
ist der Eingriff von Wissenschaft und Technik                     allergisch werden, darüber hinaus sollen sie, gen-
in biologische Bedingtheiten der Menschen,                        technisch modifiziert, kleiner werden, und intelli-
und vor allem zu sehen ist, praktiziert am in-                    genter und altruistischer werden durch „pharma-
dividuellen Körper. Die Medizin ist von daher                     cological enhancement of altruism and empathy“.

12
   In ihrem Artikel Transhumanism Is Tempting – Until You         und er begreift nichts, was darüber hinausgehen könnte.
Rember Inspector Gadget stellt Rose Eveleth (2019) comichaft      Der mit allerlei Gadgets erweiterte Regierungsbeamte hat
heraus, dass die Idee von body-as-machine so fragwürdig ist       eigentlich nur Erfolg, weil seine kleine Nichte und deren
wie das gesamte transhumanistische Programm. Inspector            Hund ihm aus der Patsche helfen, in die er sich selbst
Gadget ist eine technophile Fantasie, die in diesem Comic         dauernd bringt.
immer wieder scheitert, allen Enhancements zum Trotz              13
                                                                     Wie er jüngst in einem Interview mit Der Standard
scheint er wie ein Schweizermesser durch die Welt zu stolpern.    berichten durfte (Sommavilla 21.02.2020).
Er betrachtet die Welt wie Daten, die in ihn hineinscheinen,

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  Besonderen Fokus legen die Transhumanisten                         Andrew Sandbergs „long term solution“2, näm-
  auf Frauen und die Geburtenrate: indem wir als                     lich auf eine post-biologische humane Existenz
  Frauen gebildeter werden, würden wir uns hof-                      hinzuarbeiten, erscheint in diesem transhuma-
  fentlich nicht mehr so ungebremst vermehren                        nistischen Denkmodus folgerichtig, aber unter
  („In fact, there seems to be a link between cogni-                 anderem demokratisch so attraktiv wie eine Exi-
  tion itself and lower birth-rates“ ), und sie emp-                 stenz am Mars.
  fehlen daher Cognitive Enhancement für Frauen                      Technikphilosophisch gesehen bleibt mit dem
  als Strategie gegen den Klimawandel.                               Coronavirus vom Transhumanismus als wissen-
  Liao, Sandberg und Roache werden dabei, wie                        schaftlich fundiertes Unternehmen wenig übrig.
  alle Transhumanisten im liberalen Modus, da-                       Der Coronavirus zeigt, dass der Mensch bei aller
  bei nicht müde, die Freiwilligkeit aller etwaigen                  Technik auch Tier ist. Wie Hegel sagte, ist der
  Eingriffe zu betonen – liberale Eugenik –, das                     Mensch Tier, aber in dem er weiß, dass er es ist,
  heißt sich aus freien Stücken nun zu Human                         ist er es auch nicht mehr. Technikphilosophisch
  Engineering im Sinne von Strategien gegen den                      heißt das, dass er das aber nur in dem Ausmaß
  Klimawandel zu entscheiden.                                        weiß, als er darum weiß, immer auch biolo-
  Ihre Vorstellungen beinhalten in Karikatur alles,                  gisches Wesen zu sein – und das verdeutlicht uns
  was den Transhumanismus als autoritäre Ideolo-                     der Klimawandel.
  gie auszeichnet.

  14
      „At least in the US, women with low cognitive ability are      15
                                                                        Wie es Andrew Sandberg in seinem Blog euphorisch
  more likely to have children before the age of 18 year […]         formuliert: „My favourite long-term solution is simply to
  So, another possible human engineering solution is to use          aim for not just a post-industrial civilization but a post-
  cognition enhancements to achieve lower birth rates. Like          biological one. We can currently roughly foresee how we
  education, there are many other, more compelling reasons to        could go about it. We would fixate our brains (presumably
  improve cognition, but the fertility effect may be desirable       when near biological death), scan them in detail, reconstruct
  as a means of tackling climate change. Even if the direct          the functional structure and recreate it as software. The
  cognitive effect on fertility is minor, cognition enhancements     successor version would then go on living in virtual reality,
  may help increase the ability of people to educate themselves,     with occasional visits to the physical world using a robot,
  [....] which would then affect fertility, and indirectly climate   android or just remote controlled human body.“ (Sandberg
  change“ (Liao, Sanders & Roache 2012).                             2009).

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