Was vom Transhumanismus übrigbleibt - medien & zeit
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m&z 2/2020 Was vom Transhumanismus übrigbleibt Virus, Naturbeherrschung und Technikphilosophie Mona Singer Institut für Philosophie, Universität Wien Abstract Am Anfang dieses Jahrtausends sprach Jürgen Habermas (2001) von den Transhumanisten noch als eine „Hand voll ausgeflippter Intellektueller“, deren Menschenzüchtungsphantasien „einstweilen nur zum Medienspektakel“ reichen. 2017 warnen Ethiker*innen in einem Mani- fest vor den großen Gefahren, die vom Transhumanismus ausgehen würden. Sie sehen ihn als mittlerweile weit verbreitete technophile Weltanschauung, die in Forschungslaboratorien und Universitäten Einzug gehalten habe, und ein Menschenbild transportiere, das „das Mensch- Sein grundsätzlich“ missverstehe. In diesem Artikel untersuche ich den Transhumanismus technikphilosophisch und erörtere aus dieser Perspektive grundlegende Fragwürdigkeiten seiner Vorannahmen und Visionen. Der Transhumanismus proklamiert Menschenverbesserung durch Human Enhancement, hierin liegt nicht nur der politisch autoritäre Charakter dieses Ansatzes begraben, sondern hierin lie- gen auch technikphilosophisch seine Missverständnisse im Hinblick auf die Beherrschbarkeit der biologischen Naturhaftigkeit des Menschen. Der Coronavirus zeigt uns aktuell, dass wir weit davon entfernt sind, „to control our body“, wie die Transhumanisten das Fortschreiten unserer Spezies mit Technik nun als dem Motor der Evolution imaginieren. U nter dem Titel Transhumanismus versam- meln sich eine Reihe von Ansätzen, deren gemeinsamer Nenner die Vision ist, den Men- gien formuliert. Es geht hierbei weniger ethisch um die Frage, was es heißt, auf die Idee zu kom- men, technologisch als „erweitert“ vorgestellte schen technologisch zu verbessern – gefasst un- Menschen mit gesellschaftlich „besseren Men- ter dem Begriff Human Enhancement – und ihn schen“ oder gar mit Weltverbesserung zu assozi- auf eine höhere – zuerst transhumane und dann ieren, als darum, die Idee der Überwindung von posthumane – Stufe zu heben. Der Transhuma- „old humans“ technikphilosophisch zu befragen. nismus ist philosophisch weder eine ausgefeilte Der Coronavirus stellt Sichtweisen um, es ist noch eine einheitliche Position, gemäß dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar, Oxford English Dictionary, in welches das Wort was vom Transhumanismus und seinen Ver- transhumanism 2008 Eintrag gefunden hat, wird sprechen übrig bleiben wird, nachdem gerade er schlicht definiert als „a belief that the human ein Virus die Idee von Naturbeherrschung am race can evolve beyond its current limitations, menschlichen Körper so radikal in Frage stellt, esp. by the use of science and technology.“ dass der Ausnahmezustand gesellschaftspolitisch vernünftig erscheint, um im buchstäblichen In diesem Artikel will ich Transhumanismus als Sinne „old humans“ zu schützen. Der Virus eine, im letzten Jahrzehnt medial virulent gewor- bringt den Transhumanismus in Bedrängnis, dene Theorie technikphilosophisch untersuchen, technikphilosophisch gesehen ist er das immer seine Vorannahmen wie Visionen im Hinblick schon gewesen. auf better humans diskutieren und schließlich in Zusammenhang mit dem aktuell pandemisch „Ein Gespenst geht um, nicht nur in Euro- grassierenden Coronavirus stellen. Es geht dabei pa – das Gespenst des Transhumanismus”. darum, wie der Transhumanismus das Verhältnis Seine „Priester und Auguren“ hätten bereits von Mensch und Technik argumentiert und sein Forschungslaboratorien, Universitäten, glo- Menschenbild im Hinblick auf Cyborgtechnolo- bale Unternehmen und politische Instituti- 5
m&z 2/2020 onen besetzt, so warnen 2017 in einem Ar- nistische Idee, Menschen in ihrer biologischen tikel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Ausstattung technisch modifizieren zu wollen, das Medienphilosoph*innen (Franck, Spieker- „Mensch-Sein“ missverstehen würde. mann, Hampson, Ess, Hoff & Coeckelbergh 2017), die darauf hinweisen, dass der Trans- Philosophische Anstrengungen des humanismus den Menschen bloß dahingehend Transhumanismus sieht, wie er technowissenschaftlich verbessert werden könne, er sich dabei durch blindes Ver- 1998 gründeten Nick Bostrom und David Pearce trauen in wissenschaftliche Heilsversprechen die World Transhumanist Association (WTA). Ge- auszeichne und durch eine „empathielose Ver- mäß der WTA-Deklaration sei der Transhuma- achtung derjenigen Eigenschaften, die uns als nismus zu verstehen als „jedes auf rationalem Menschen auszeichnen“. Neuerdings, d.h. im Gebrauch von Wissenschaft, Technik, Kreativi- digitalen Zeitalter, würde das heißen, dass der tät und anderen Mitteln basierende Denk- oder Transhumanismus Wirklichkeit auf Informa- Aktionsschema, das menschliche Grenzen zu tion und Menschen auf Informationsobjekte überwinden sucht durch Verlängerung der ma- reduziere. Das Manifest will „die Irrationali- ximalen Lebenserwartung, Erhöhung der Intel- tät transhumanistischer Ideen“ aufzeigen und ligenz sowie physische und psychische Verbesse- auf die Gefahr hinweisen, die von ihnen aus- rung des Menschen.“ (Bostrom 2003) Das Ziel gehe, wendet sich gegen Künstliche Intelligenz sei eine durch Wissenschaft und Technik gesteu- als neue Rationalität, die mit einem algorith- erte Entwicklung des Menschen. Das mensch- mischen Begriff von Rationalität das Mensch- liche Potential sei kaum ausgeschöpft, Wissen- Sein einfangen und zugleich unterlaufen wolle, schaft und Technik als den Motor menschlicher womit im digitalen Zeitalter der Transhuma- Entwicklung zu verstehen, verspreche, die Na- nismus das „Mensch-Sein grundsätzlich miss- turhaftigkeit der Menschen in ihren Beschrän- verstehe“. kungen zu überwinden. Die humane biologische Ausstattung sollte nicht mehr als Schicksal, son- Mit dieser ethischen Kritik aber erscheint mir dern als wissenschaftlich-technologische He- der Transhumanismus zum Teil technikphilo- rausforderung hin zu einer posthuman condition sophisch gesehen missverstanden. Der Trans- begriffen werden. humanismus war von Beginn an ein Projekt Entscheidend für die transhumanistischen Vi- der Naturbeherrschung, ein Unternehmen, das sionen ist, dass diese Mittel nun in Reichweite auf Cyborgtechnologien zielte und nicht auf KI erscheinen. Der Mensch sei in der Geschichte und Robots. Er war von Beginn an auch ein eu- gegenwärtig an einem entscheidenden Punkt genisches Projekt, wiewohl, wie er hervorhebt, angelangt. Aufgrund der wissenschaftlich-tech- ein Projekt „liberaler Eugenik“. Mit Cyborg- nischen Möglichkeiten kann er nun zum Gestal- technologien sind Technologien gemeint, die ter seiner selbst werden, er kann und er soll seine am menschlichen Körper zu Gange sind, und Entwicklung selbst in die Hand nehmen, um sich im Unterschied zu Robotik und KI-Forschung auf eine nächste Stufe zu heben. Wissenschaft geht es dabei nicht um die Herstellung von und Fortschritt seien die leitenden Prinzipien künstlichen Wesen, von neuen Sklaven und in- und insofern sei der Transhumanismus nicht telligenten Systemen, sondern um die technische als anti-humanistisch zu verstehen, sondern im Modifizierung von menschlichen Körpern, die Gegenteil, Transhumanismus sei radikaler, denn der Transhumanismus als Transformation von er befördere nicht nur die traditionellen Mittel, old humans hin zu transhumans vorstellt und um die menschliche Natur zu verbessern, „but als erreichbar sieht durch Human Enhancement. also direct application of medicine and techno- Die eugenische Dimension macht einen ent- logy to overcome some of our basic biological scheidenden Unterschied, der Transhumanismus limits“ (Bostrom 2003). Während der Humanis- bewarb von Anfang an Technologien im Einsatz mus auf die Verbesserung des Menschen durch für better humans, ob er damit Technik und Na- Aufklärung, Erziehung, Bildung und Kultivie- turbeherrschung am menschlichen Körper falsch rung zielte, plädiert der Transhumanismus da- versteht oder ethisch gesehen das „Mensch-Sein für, die Verbesserung des Menschen mit Mitteln grundsätzlich missverstehe“, sind nicht dieselben der Wissenschaft und Technik weiter zu treiben, Fragen der Kritik. Technikphilosophisch kann das Potential des Menschen hin zu posthumans man jedenfalls nicht sagen, dass die transhuma- auszuschöpfen („We believe that humanity’s po- 6
m&z 2/2020 tential is still mostly unrealized“; Transhumanist nik zusteuern – wollen – sollten, wie es Bostrom Declaration 2009). in The History of Transhumanist Thought (2005) Der Transhumanismus versteht sich demgemäß expliziert. Philosophiegeschichte wird dabei von als die nächste Stufe des Humanismus, als eine Bostrom fortschrittslogisch aufbereitet. Philoso- Fortsetzung des Humanismus mit wissenschaft- phiegeschichtlich ist jedoch darauf hinzuweisen, lich-technischen Mitteln. Er versteht sich als der dass seine Erzählung auf gewichtigen Ausblen- bessere Humanismus, als der Humanismus, der dungen, allein schon in der von Bostrom aus- nun – technologisch möglich – an der Zeit sei. schließlich dafür bemühten westlichen Philoso- phiegeschichte beruht, nämlich von einer langen In diesem Sinne ist er ein Gegenspieler posthu- Reihe von Ansätzen, die Monismus und Kon- manistischer Ansätze, die keinen besseren Hu- tingenz in den Vordergrund schieben und die manismus anstreben, sondern, im Gegenteil, cartesianische Unterscheidung von Geist und den Humanismus philosophisch als Anthropo- Körper in Frage stellen. Bostrom hingegen fin- zentrismus kritisieren, ausgeführt von Donna det in der westlichen Philosophiegeschichte eine Haraway in Companion Species Manifesto (2003) Reihe von transhumanistischen Meilensteinen, bis hin zu Bruno Latours Terrestrisches Manifest von Fancis Bacon bis Immanuel Kant, und zi- (2018). Latours Kernaussage wie Buchtitel Wir tiert als solchen auch Giovanni Pico della Miran- sind nie modern gewesen (1998) und Haraways dola mit seiner christlich inspirierten Aussage in Fokus auf Cyborgs als Reinvention of Nature seiner Rede über die Würde des Menschen (1486), (1991) haben bereits in den 1990er-Jahren vor- dass „der Mensch“ – Adam, in seiner Diktion weg das kritisiert, wodurch sich der Transhu- – durch Gott ermächtigt wurde, sich über alle manismus philosophisch in Szene gesetzt hat. anderen Geschöpfe hinweg setzen zu können, Der Transhumanismus ist Anthropozentrismus also gleichsam von Gott die Lizenz zur Naturbe- in technologischer Höchstform, der Posthuma- herrschung verliehen bekam1 (Bostrom 2005, 2, nismus in dieser Hinsicht sein philosophischer vgl. ausführlicher Singer 2015b). Opponent (Singer 2015b). Die transhumanistischen Visionen können Transhumanismus als Philosophie und „Bewe- als eine weitere „große Erzählung“ (François gung“, wie es heißt (More 2013), ist um philo- Lyotard) betrachtet werden, die im 21. Jahrhun- sophische Rechtfertigung bemüht, er wollte sich dert nun den Menschen als „Held der Erkennt- zur Jahrtausendwende in den USA im ethischen nis“ oder als „Held der Geschichte“ gegen den Streit um die Stammzellenforschung als philo- Menschen als „Held der Evolution durch Technik“ sophischer Mitspieler aufrüsten und als solcher austauscht – wie es Ray Kurzweil imaginiert: Der wahrgenommen werden, und er möchte von da- Mensch habe nun die Evolution in die Hand ge- her eine lange Geschichte des Denkens erzählen, nommen, was dann gelungen wäre, wenn „hu- gemäß der „wir Menschen“ immer schon auf mans have beaten evolution“ (Kurzweil 1999). der Spur gewesen wären, „uns“ über unsere na- Vorgestellt wird von Transhumanisten2, dass türlichen Bedingtheiten hinweg setzen und uns Technik die Fortsetzung der Evolution mit bes- als Spezies transformieren zu wollen, und daher seren Mittel wäre, wir sollten die menschliche nun auf eine transhumane Existenz durch Tech- Entwicklung in den Griff kriegen, indem wir 1 Pico della Mirandola lässt den christlichen Gott sagen: „Ich 2 Feministisch von Interesse ist, dass sich kaum Frauen stellte dich in die Mitte der Welt, damit du von dort aus alles, als Transhumanistinnen deklarieren, insofern spreche ich was ringsum ist, besser überschaust. Ich erschuf dich weder hier also empirisch korrekt von Transhumanisten. Warum himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich, kaum Frauen und schon gar nicht Feministinnen in der damit du als dein eigener, gleichsam freier, unumschränkter Auseinandersetzung an argumentativ vorderster Front Baumeister dich selbst in der von dir gewählten Form aufbaust dieser Bewegung stehen, sehe ich nicht als Theoriezufall, und gestaltest. Du kannst nach unten in den Tierwesen sondern als eine feministische Frage an die Sache, und entarten; du kannst nach oben, deinem eigenen Willen beantwortet durch ein offensichtlich genuin massives folgend, im Göttlichen neu erstehen“ (Pico della Mirandola, Desinteresse von feministischen Theoretikerinnen an [1486] 1983, 65f ). Dass das Christentum philosophisch Menschenverbesserungsideologien. Feministinnen mit legitimatorisch für den Transhumanismus eine Rolle spielt, dem Fokus auf sozialer Ungleichheit liegt politisch wohl ist eine interessante philosophische Pointe, zumal Max More nichts ferner, als mit technologischen Modifikationen von (2003) unterstreicht, dass Transhumanismus als Projekt der Menschen die Welt eugenisch verbessern zu wollen. Wissenschaft, Technik und Vernunft genuin als Gegenspieler zu Religionen zu begreifen ist. 7
m&z 2/2020 uns technologisch an die Verbesserung des Men- der Raumfahrt eingeführt. Der Neologismus schen machen. Cyborg wurde vorgeschlagen, um selbst regulie- Mit dem Coronavirus rücken aber nun auch rende Mensch-Maschinen-Systeme zu benennen gegenteilige, apokalyptische Menschheitserzäh- (Clynes & Kline 1995). Ausgangspunkt war die lungen in den Vordergrund. Wie Laurie Pen- Prämisse, dass es erfolgversprechender wäre, den ny (2020) unterstreicht3, könne man philoso- menschlichen Körper technologisch umzubauen phisch genau so gut sagen, dass Erzählungen der und ihn so an die Erfordernisse außerirdischer Menschheitsgeschichte sich immer schon auch Umwelten (Raumschiff) anzupassen, als diese so durch Visionen ihres Endes auszeichneten. Klar zu gestalten, dass sie den Körperfunktionen des wird dabei, dass Menschheitserzählungen tech- Menschen entgegenkämen. Aus diesen kriegs- nikphilosophisch betrachtet untauglich sind, sie technischen Überlegungen für die US-ameri- haben als große anthropologische Erzählungen kanische Fitness im Krieg im Weltall heraus immer schon unterschiedliche Geschichten und wurde dann sozusagen „zivil“ weitergedacht. gesellschaftliche Verhältnisse ausgeblendet, und Der menschliche Körper und seine Aktualität sie ignorieren das Zusammenspiel von Technik wurden im Hinblick auf die Erfolge in der Be- und Gesellschaft. herrschung der äußeren Natur in Frage und zur Disposition gestellt. Technik sollte in Zukunft Cyborgtechnologien und Human der Motor der menschlichen Entwicklung wer- Enhancement den und die Rolle der Evolution entgegen deren Zufälligkeit übernehmen. Nicht zuletzt deswe- Der Transhumanismus knüpft an die Idee des gen, weil andernfalls, wie Clynes zehn Jahre spä- „Cyborgs“ an, spricht aber nicht von Cyborg- ter monierte, der menschliche Körper mit den technologien, sondern von Human Enhance- technologischen Entwicklungen in der äußeren ment. Mit dem Begriff Human Enhancement Naturbeherrschung nicht mehr Schritt halten lehnt er sich wissenschaftshistorisch gesehen an könnte (Clynes 1995). Technik sollte nicht eugenische Ideen an und impliziert mit diesem mehr nur die äußere Natur bezwingen, sondern Begriff Fortschritt, während hingegen der Be- im Zeitalter einer weithin bezwungenen äuße- griff Cyborgtechnologien, in Anlehnung an Don- ren Natur nun mit der Vorstellung brechen, dass na Haraways Analysen, nicht in den Rahmen der menschliche Körper sakrosankt sei und tech- eines Fortschrittsparadigmas einzuordnen ist. nisch nicht radikal zu verbessern wäre. Dass sich das technowissenschaftliche Interes- Im Kontext der Militärforschung begann also se zunehmend und in einem immer systema- nicht nur die – politisch ambivalente – Karriere tischeren Ausmaß dem menschlichen Körper der Figur des Cyborgs, sondern auch die syste- zuwandte, dieser Weg hat gemäß der Cyborg- matische Entwicklung von Technologien unter Geschichtsschreibung (Hables, Figueroa-Sar- dem Terminus Human Enhancement.4 Technik- riera & Mentor 1995; Haraway 1985) mit der philosophisch entscheidend bleibt dabei die Geburt des „Cyborgs“ im Kalten Krieg begon- Vorstellung übrig, dass transhumanistisch die nen. Der Begriff Cyborg wurde von Manfred Anpassung der menschlichen Körper an tech- E. Clynes und Nathan S. Kline in einem Vor- nisch veränderte Umwelten als Fortschritt pro- trag im Rahmen eines Symposiums der NASA, klamiert wird, eine Idee aus den 1960er-Jahren, 1960, zu den psycho-physiologischen Aspekten die nun, angesichts von Umweltzerstörung und 3 „The idea of imminent annihilating catastrophe has Leistungsfähigkeit, wie sie am Programm US-amerikanischer been part of the collective unconscious for as long as we’ve Forschungspolitik stand, machte dabei kein Hehl daraus, auf had one. From the end date of the Mayan calendar to the nationale Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet zu sein (Roco Epic of Gilgamesh, from the Genesis flood to the Book of & Bainbridge 2002). Revelation, humans have been haunted by the idea of the Human Enhancement stand ebenso auf der Agenda der end of everything for a very, very long time.“ (Penny 2020) Forschungsprogramme der EU und beschäftigt damit ist 4 2001 wurde von der US-National Science Foundation, STOA (The Assessment of Scientific and Technological dem US-Handelsministerium und unterstützt von der Policy Options for the European Parliament). Der Militärforschung die erste Converging Technologies for europäische Ansatz betonte von Anfang an im Unterschied Improving Human Performance Initiative gesetzt, die auf zu US-amerikanischen Strategien, dass technologische die Konvergenz von Nanotechnologien, Biotechnologien, Innovationen im Verbund mit sozialen und demokratisch Informationstechnologien und Cognitive Science (NBIC) orientierten Interventionen zu realisieren seien. abstellte. Die Absicht der Steigerung menschlicher 8
m&z 2/2020 Klimawandel, in einem reichlich anderen Licht schafts- und gesellschaftstheoretisch analysierte, erscheint. thematisierte die Cyborgisierung politisch und Was den Transhumanismus allererst auf die hinsichtlich überkommener Denkverhältnisse philosophische Bühne gebracht hat, war, dass bezüglich Technik und Technowissenschaf- er die Verschiebung technowissenschaftlicher ten mit ihrem feministisch emanzipatorischen Forschungsinteressen von der äußeren Naturbe- Cyborg-Konzept. Entscheidend ist dabei unter herrschung hin zur Beherrschung der mensch- anderem ihre technikphilosophische Einsicht, lich biologischen Ausstattung so euphorisch dass eine „Natur des Menschen“ im Sinne seines begrüßte. Gegenspieler der Transhumanisten, Wesens, wenn sie so philosophisch definiert wer- in der philosophischen Diskussion und in der den will, immer auch als eine technische zu ver- einschlägigen Literatur als „Biokonservative“ stehen ist, und es von daher keine philosophisch bezeichnet, haben sich formiert und sehen in prinzipiellen Einwände gegen Cyborgtechnolo- diesen Technologien radikal neue Gefahren: ei- gien gäbe6 – aber eben Biotechnologien, wie alle ner liberalen Eugenik (Habermas 2001; 2008), neuen Technologien, missverstanden werden, Gefahren der Menschenzüchtung (Fukuyama wenn Technik technikdeterministisch als Selbst- 2004) oder eines Perfektionierungswahns neoli- läufer betrachtet wird. beraler Gesellschaften (Sandel 2008).5 Technikdeterminismus Bedauernswert dabei ist, dass sich Biokonserva- tive dabei in ihrer Kritik an Cyborgtechnologien Mit Technikphilosophie ist hier ein Zugang von Anfang an, das heißt seit der Diskussion gemeint, der neue Technologien nicht technik- um Gentechnik und insbesondere Stammzel- deterministisch verhandelt, also nicht davon aus- lenforschung um die Jahrtausendwende, vor- geht, dass Technologien so kommen, als ob sie nehmlich auf transhumanistische Vorstellungen kommen müssten, sondern diese vornehmlich konzentrierten, und sie ethisch kritisierten, als und immer auch politisch zu verhandeln und ob Cyborgtechnologien ganz überraschend nun auf ihren gesellschaftlichen Nutzen bzw. cui wahrgenommen werden müssten, während hin- bono hin zu befragen sind. Mit Robert L. Heil- gegen technikphilosophische, und das heißt po- broner gesagt gilt es, Technikdeterminismus als litische Ansätze, wie die von Donna Haraway, Ideologie des Kapitalismus herauszustellen, also die seit Mitte der 1980er-Jahre, angefangen mit als Ideologie, die darauf zielt, technische Ent- ihrem Cyborgmanifest (1985), diese Verschie- wicklungen als Fortschritt und gleichsam als bungen gesellschaftspolitisch und in emanzi- Selbstläufer zu behaupten, d.h. als technisch patorischer Absicht thematisierte, von beiden immanente Weiterentwicklung, und sie darü- Seiten, Biokonservativen wie Transhumanisten, ber hinaus als sozialen Fortschritt anzupreisen ignoriert wurden. Haraway, die als Gegenspie- (Heilbroner 1967). Mit Langdon Winners tech- lerin transhumanistischer Vorstellungen die Ver- nikphilosophisch einschlägigem Artikel Do Ar- schiebungen durch Cyborgtechnologien wissen- tifacts Have Politics? (Winner 1987) ist weiters zu 5 Einschlägig biokonservativ Argumentierende waren Ausstattung und die Natur des Menschen als seine faktische in den USA Berater im President’s Council on Bioethics, Beschaffenheit im Sinne der faktischen Verhaltensweisen etabliert 2001 in der Zeit der Präsidentschaft von George von Individuen (Birnbacher 2009, 222). Sich auf eine W. Bush, so Francis Fukuyama, Leon Kass und Michael „Natur des Menschen“ bzw. auf ein „grundsätzliches Sandel. Transhumanisten waren hingegen von Anfang Mensch-Sein“ zu verständigen, wie anfangs mit der Kritik an ökonomisch im Spiel, sie waren und sind mit diesen von Medienphilosoph*innen Bezug genommen, kann kein Technologien im Geschäft, wie Ray Kurzweil als Leiter der Stoppschild gegenüber Cyborgtechnologien sein, es ist nicht technischen Entwicklung bei Google, Max More als Leiter aussichtsreich und muss alleine deswegen scheitern, weil des weltweit größten Kryonik-Unternehmens oder die wie am transhumanistischen Programm expliziert, dieses Wissenschaftler Manfred Clynes und Nathan Kline, die eine nachgerade als Argument für deren exzessive Förderung Reihe von psychopharmakologischen Patenten halten. verstanden werden kann, wie sie die Transhumanisten in 6 Dieter Birnbacher argumentiert überzeugend, warum das ihren anthropologischen Versuchen proklamieren: „der Konzept einer „Natur des Menschen“ kein Stoppschild für Mensch“ sei immer schon auf dieser Spur gewesen, immer Cyborgtechnologien sein kann. Eine solche Bestimmung schon sei Selbsttransformation auf „seinem Programm“ scheitere alleine daran, dass die „Natur des Menschen“ dabei gestanden. Die „Natur des Menschen“ besteht für im dreifacher Hinsicht verstanden und in diesen Hinsichten Transhumanisten also gerade in der Überwindung biologisch gemeinhin vermengt wird: die Natur des Menschen als sein menschlicher Ausstattung. Wesen, die Natur des Menschen im Sinne seiner biologischen 9
m&z 2/2020 fragen, inwiefern technologische Artefakte und zeichnete, old humans hin zu transhumans tech- Systeme Politik machen, und insofern Technik nologisch transformieren zu wollen. Es nimmt und Politik zusammen zu denken sind (Singer der Kritik am Transhumanismus gerade ethisch 2015a). Mit Wolfgang Deutsch ist im Anschluss den Stachel, ihn nun auch mit Forschung zu an Winner das Schlafwandlerische im gängigen starker KI und robotics zu identifizieren, denn Technikverständnis zu problematisieren, näm- er setzt auf better humans, auf Kryonik und lich die paradoxe Situation, dass technische Ent- Mind-uploading, auf Cyborgtechnologien in wicklungen uns und die Welt fortlaufend und liberal eugenischem Einsatz. Und so wird auch nachhaltig verändern, aber das Bedenken dieser verständlich, warum der Transhumanismus in fortlaufenden Selbsttransformierungsprozesse der Person eines seiner gewichtigsten Vertre- in einem Fortschrittsdenken aufgehoben wird ter, nämlich Nick Bostrom, sich nun als großer (Deutsch 2015, 18). In diesem Modus der tech- Gegner einer starken KI bzw. Superintelligence nikphilosophischen Kritik gilt es, Technowis- (Bostrom 2014) in Stellung bringt. In dieser senschaften und neue Technologien immer auch Gegnerschaft kann man Anthropozentrismus politisch zu denken – und voraus zu bedenken, und eine narzisstische Kränkung vermuten, d.h. Gedankenexperimente anzustellen, wohin nämlich in der Befürchtung, dass eine Super- technische Entwicklungen gehen könnten und intelligenz transhumans entmächtigt zurücklas- die Forschung gehen sollte (Singer 2016). Das sen würde.7 Das Silicon Valley als Zentrum des heißt, dass nun KI und Robotik als die gegen- Hightech-Kapitalismus setzt nun auf Künstliche wärtigen Profitquellen des Hightech-Kapitalis- Intelligenz und technisch autonome Systeme, mus herauszustellen sind, sie sind es nun, die seine Futurist*innen wollen nun mit KI als neue technikdeterministisch angepriesen werden, als Quelle des Profits die Welt verbessern, wie sie technisch unausweichliches Fortschreiten und sagen (siehe Singularity University), und nicht gleichsam als „menschlicher“ Fortschritt. Im mehr, wie die alten Transhumanisten, old hu- Kontext der Corona-Krise traten technikdeter- mans technologisch verbessern. ministische Argumentationen verstärkt auf und ihre Fortschrittslogik gebärdete sich als noch Liberale Eugenik und better humans plausibler, obschon nachgerade gegenteilig zu argumentieren wäre, nämlich dass die Corona- Die politischen Vorstellungen im Trans- Digitalisierungs-Not zeigte, dass technisches humanismus reichen von neoliberalen Fortschreiten kein immanentes oder gar per se Konsument*innen-Visionen, dass unsere Kör- fortschrittliches ist. Es erscheint leicht absurd, per nun zu Mode-Statements werden können, wie Digitalisierung vor allem für Schulen und wie Natasha Vita-More dem Journal WIRED Universitäten als unausweichlicher und endlich erzählt: „Our bodies will be the next fashion in Angriff zu nehmender Fortschritt angeprie- statement, we will design them in all sorts of in- sen wurde, als ob die Corona-Krise den Weg für teresting combinations of texture, colors, tones, neue Technologien gleichsam wie eine List der and luminosity“ (Vita-More 2000); bis zu Nick Vernunft geebnet hätte. Bostrom und seinem liberalen Beharren darauf, dass es keinerlei – moralischen wie rechtlichen Von daher halte ich es, nochmals unterstrichen, – gesellschaftlichen Zwang zu Enhancement ge- als kritisch nicht weiterführend, wenn der Trans- ben dürfe, Enhancement soll dementsprechend humanismus nun darauf reduziert und gleichzei- eine individuelle Entscheidung sein. Weiters fin- tig verallgemeinert wird, ein schlicht technophiles det sich in diesem Spektrum der Ethiker Julian Projekt zu sein, das jede Art von Technologien Savulescu, der ethisch nachdrücklich wird, wenn euphorisch begrüßt. Denn das würde in den er Human Enhancement als eine neue Form der Hintergrund stellen, dass sich die Ideologie des Verbesserung der Individuen sieht, die zu be- Transhumanismus vorweg durch seine Idee aus- werten wäre wie Verbesserung durch Erziehung 7 So lautet es im Klappentext von Bostroms Buch general intelligence, then this new superintelligence could Superintelligence (2014): „The human brain has some become extremely powerful – possibly beyond our control. capabilities that the brains of other animals lack. It is to these As the fate of the gorillas now depends more on humans than distinctive capabilities that our species owes its dominant on the species itself, so would the fate of humankind depend position. If machine brains surpassed human brains in on the actions of the machine superintelligence.“ 10
m&z 2/2020 und Bildung, und er daher gentechnologische So noch 1962 auf dem Ciba-Symposium Man Tests und verbessernde Manipulationen am Em- and His Future, einem wissenschaftlich hoch- bryo als eine moralische Pflicht der Eltern ge- rangigen Expertentreffen inklusive sechs No- genüber den Nachkommen vertritt; bis hin zu belpreisträgern in London, bei dem der Zweite James Hughes, der Cyborg Citizenship als eine Weltkrieg nicht zuletzt so analysiert wurde, dass rechtliche Gleichstellung von old humans und es an dem „schlechten Menschenmaterial“ ge- posthumans in einer „transhumanistischen De- legen hätte, dass es überhaupt zu diesem Krieg mokratie“ (2004) ansteuert. gekommen sei, und z.B. angesichts der atoma- ren Bedrohung nach dem Zweiten Weltkrieg Ein zentraler ethischer Vorwurf an den Transhu- gemäß Joshua Lederberg (Nobelpreis für Me- manismus ist, dass es sich dabei um ein euge- dizin 1960) das Hauptproblem wäre, dass „die nisches Projekt handle (vgl. dazu besonders die meisten von uns [Wissenschaftlern] die Weltbe- Kritik von Habermas 2004). Proponent*innen völkerung nicht für intelligent genug halten, als des Transhumanismus heben hingegen hervor, dass sie eine allgemeine Vernichtung verhindern dass es sich mit ihrem Projekt keinesfalls um ein könnte“ (zitiert nach Kegler 2002, 11). Und da- eugenisches Programm alter Sorte handle, son- her sei gemäß Hermann Muller (Nobelpreis für dern um ein neues Projekt in liberaler, demokra- Medizin 1946) die Lösung eine Vergrößerung tischer Absicht. Der eugenische Gedanke als die der menschlichen Intelligenz, eine genetische Grundeinstellung, dass es gelte Menschen tech- Züchtung von intelligenteren, besseren Men- nologisch zu verbessern – bezüglich Intelligenz, schen, es gelte daher, wissenschaftlich „einen bezüglich ihrer Wahrnehmungsfähigkeiten, be- gesunden genetischen Fortschritt einzuleiten“, züglich ihrer emotionalen Unordnungen – um genetische Checks des „Samenmaterials“ vorzu- einer politisch besseren Welt willen, findet sich nehmen und so bessere Menschen zu züchten im Transhumanismus in den verschiedenen (Muller in Kegler 2002, 10f ). Ansätzen, die sie mit Vorstellungen einer li- beralen Eugenik (Agar 1998; Van Camp 2014; Wie Lewis Mumford in seiner technikphiloso- Harris 2007) teilen. Eine liberale Eugenik soll phischen Auseinandersetzung Mythos der Maschi- sich aber grundlegend von alter Eugenik – von ne. Kultur, Technik und Macht (1984) über solch staatlich dirigierten Zwangsmaßnahmen und „treue Knechte der Megamaschine“ schreibt, Züchtungsprogrammen – durch die Freiwillig- wird die Megamaschine bedient und verkörpert keit der Maßnahmen am individuellen Körper durch eine „militärisch-industriell-wissenschaft- unterscheiden, wie auch durch die Freiheit der liche Elite“, die, wie es der Nobelpreisträger Eltern, ihre ungeborenen Kinder nach ihren Muller formulierte, auch ohne diejenigen aus- Vorstellungen zu enhancen. Das Ziel liberaler kommen kann, die technologisch „nicht imstan- Eugenik sei es, so der Tenor, die reproduktiven de sind, bewußt am großen Unternehmen der Wahlmöglichkeiten zu erhöhen, statt sie, wie in Menschheit teilzunehmen“, „die Minderheit, verfemten historisch eugenischen Programmen, die über ihn herrscht, wird schließlich Mittel zu reduzieren (Agar 2004). und Wege finden, ohne ihn auszukommen“. Für Mumford ist dies „also die letzte Forderung des Die Idee von Menschenverbesserung ist jedoch Organisationsmenschen: das Recht, die Welt immer eine autoritäre Idee gewesen. Eugenische nach seinem eigenen verkümmerten Ebenbild Menschenverbesserung als Lösung für politische umzugestalten“ (Mumford 1984, 657). Probleme wurde ausgehend vom späten 19. Technologisch verbesserte Menschen würden Jahrhundert (Galton 1909) bis in die 1960er- bessere politische Verhältnisse versprechen, die- Jahre wissenschaftlich prominent diskutiert. ser eugenische Grundgedanke ist bei den Trans- 8 Bostroms Gründe Why I want to be A Posthuman When Pub betrinken und sich über die letzten Fußballergebnisse I Grow up (2006) sind, dass wir nicht nur in all unseren unterhalten, sie würden nüchtern zu Hause sitzen, Proust Wahrnehmungen und unserem Sinneserleben verbessert und oder die Zeitschrift Nature lesen, Saxophon spielen lernen sehr viel älter werden würden, wir würden auch kritischer und mit neuen Freunden sich bei Amnesty International und vorurteilsfreier werden und uns dann zum Beispiel einschreiben – „by any reasonable criteria, your life improves nicht mehr billigem Entertainment zuwenden. Männer as you take these initial steps towards becoming posthuman“ würden sich dann nicht mehr mit ihren Kumpanen im (Bostrom 2006, 5). 11
m&z 2/2020 humanisten jedenfalls verblieben, und ist einer Ausschlaggebend für die technikphilosophische der Gründe für Nick Bostrom Why I want to Rekonstruktion des Transhumanismus ent- be A Posthuman When I Grow up (2006).8 Der lang der Prämisse der Koproduktion von Tech- zutiefst autoritäre Gestus eugenischen Denkens nik und gesellschaftlicher Verhältnisse ist, dass liegt darin, dass sich Individuen oder Gruppen transhumanistische Visionen ihren Entstehungs- als Elite verstehen, die sich berechtigt fühlen, kontext in den USA haben und damit in einem anderen Menschen Maßnahmen nahezulegen, gesellschaftspolitischen Zusammenhang eines sich zu verbessern. Ob es entscheidend weni- Gesundheitssystems eingebettet sind, in dem ger autoritär wird, wenn man Enhancement die medizinisch-technischen Fortschritte nicht auf „freiwilliger Basis“ im Sinne einer liberalen egalitär distribuiert werden, sondern, wie sich Eugenik vorschlägt, bleibt die zentrale politische augenscheinlich mit dem Virus herausstellt, das Frage an den Transhumanismus.9 Gesundheitssystem entlang der Achsen sozialer Ungleichheit ausgerichtet ist, und das heißt, dass Technik und Gesellschaft als medizinisch-technische Fortschritte entlang der Koproduktion Bruchlinien Klasse und race einer Vielzahl von US-Amerikaner*innen verschlossen bleiben. Die Es ist nicht absehbar, was vom Transhumanis- USA sind der Ort der Spitzenmedizin weltweit mus nach der Corona-Pandemie übrig bleiben und nun gleichzeitig der politische Ort, der sich wird, jedenfalls denke ich, dass er danach inso- bezüglich Coronavirus, aus der Sicht von Juni fern in einem neuen Licht erscheinen wird, als 2020, statistisch einreiht mit den durchschnitt- der Scheinwerfer wohl auf eine seiner größten lich meisten Toten der westlichen, hochtechni- Schwachstellen gerichtet sein wird, nämlich, die sierten Welt.10 Einsicht in die Koproduktion von Technik und Gesellschaft (Singer 2013) systematisch ausge- Es ist daher naheliegend, dass der Transhuma- blendet zu haben. Damit werden transhuma- nismus seine technikeuphorischen Visionen um nistische Visionen von Human Enhancement, eine gesellschaftliche Situation gestrickt hat, in wie sie zum Beispiel Stefan Sorgner (2018) der, so scheint es, was andernorts sozialstaat- vermittelt („Allen Transhumanisten gemein ist lich realisierte, demokratisierte Medizin ist, für die Annahme, dass mit neuesten Techniken die Transhumanisten bereits „Human Enhance- Chancen auf ein erfülltes Leben erhöht werden“, ment“ bedeutet, d.h. dass Transhumanisten das, Der Standard, 02.06.2018) sich ob ihrer politi- was in Kontexten sozialstaatlicher Verhältnisse schen Naivität nachträglich und wohl nachhaltig ein demokratisches Gesundheitssystem aus- disqualifizieren, und anderen Einsichten Platz macht, nämlich Gesundheitspolitik, Gesund- machen, nämlich gesellschaftspolitisch orien- heitsvorsorge und damit Lebensverlängerung, tierten, wie von Judith Butler, nämlich dass „So- sie an diesem spezifischen politischen Ort zu cial and economic inequality will make sure that einem transhumanistischen Programm stilisie- the virus discriminates“, wie sie gegenwärtig mit ren. Mit dem Coronavirus wird nun klar, dass dem Blick auf die Situation in den USA anmerkt Transhumanisten aus spezifischen gesellschaft- (Butler 2020). lichen Kontexten heraus gesprochen haben, 9 Die Betonung der Selbstbestimmtheit bezüglich of Capitalism (2020) stellten Anne Case und der individueller Modifizierung kollidiert, wie Jürgen Habermas Nobelpreisträger Angus Deaton – vor dem Coronavirus (2004) nachdrücklich herausstellt, mit Visionen, die – die Gründe heraus, warum in den USA gegenwärtig die Nachkommen gentechnologisch verbessern zu wollen, wofür Lebenserwartung nicht steigt, sondern sinkt. In einem sich besonders Julian Savulescu als Ethiker stark macht. der reichsten Länder der Welt, in dem eine allgemeine Es gelte, „die genetischen Möglichkeiten zu erhöhen, die Sozialversicherung und Gesundheitsversorgung seit Jahren unseren Kindern ein gutes Leben ermöglichen“ (Ranisch politisch scheitert, und in dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt & Savulescu 2009, 31ff). Eine moralische Pflicht der in etwa 27 Millionen Menschen keine Krankenversicherung Eltern, den Kindern eine bestmögliche Ausstattung zu haben und durch medizinische Behandlungskosten jährlich gewähren, wird hochgehoben, was zuvor humanistisch in Hunderttausende Menschen in den Bankrott getrieben Kategorien der Erziehung und Bildung definiert wurde, soll werden, erscheint es politisch absurd, wenn gerade in diesem nun optimierend als medizinisch-technisches Versprechen Kontext situierte Transhumanisten davon sprechen, dass realisiert werden: „Können wir aber die Biologie unserer die Zukunft als eine transhumane mit dem Versprechen Kinder positiv beeinflussen, tragen wir die Verantwortung von höherer Lebenserwartung durch neue Technologien zu für absehbare Folgen einer Unterlassung“ (ebd.). visionieren sei. 10 Mit ihrem Buch Deaths of Despair and the Future 12
m&z 2/2020 nichtsdestotrotz aber den Anspruch erheben, andererseits medizinisch-technikgeschichtlich mit ihren Visionen von transhumans über den gesehen willkürlich zieht. Willkürlich deswegen, Menschen zu sprechen. In diesem Sinne sehe ich weil er so argumentiert, als ob Humanmedizin den Transhumanismus als kein akutes, vor sozi- nun verstärkt im Verbund mit neuen Technolo- alstaatlich europäischen Hintergründen zu be- gien neues Terrain betreten würde und daher, als trachtendes Problem, wie es, eingangs erwähnt, ob Medizin nicht immer schon die Gegenspielerin Medienphilosoph*innen sehen, vielmehr sehe der Evolution gewesen wäre. Der Transhuma- ich hierzulande die Gefahr der Kritik darin, sich nismus argumentiert, als ob erst er uns darauf am Transhumanismus als verortete Ideologie ge- aufmerksam machen müsste, dass neue Tech- sellschaftlich ortlos aufzuhängen und in der Fol- nologien und daher neue Möglichkeiten nun ge mit diesem Fokus, gerade Cyborgtechnolo- im Spiel sind, und die Medizin diese nützen gien politisch undifferenziert hinblicklich ihres sollte, als ob Medizin nicht immer schon auch gesellschaftlichen Kontexts zu verhandeln. Das ein technisches Unternehmen gewesen wäre, um „Gespenst des Transhumanismus“ geht so gese- mit neuen Technologien das zu tun, wozu sie seit hen vornehmlich nicht in Europa um (Franck, jeher als Wissenschaft und Kunst angetreten ist, Spiekermann, Hampson, Ess, Hoff & Coeckel- nämlich Menschen zu heilen, zu reparieren und bergh 2017), wohl aber sind technikdeterminis- deren Leben zu verlängern. Willkürlich wird tische Vorstellungen das Problem. wissenschaftshistorisch gesehen die Grenze ge- zogen, als ob erst transhumanistische Ideen uns Eine Gesellschaft wie die US-amerikanische die Medizin als nunmehr technowissenschaft- krankt offensichtlich daran, gesundheitspoli- liches Unternehmen nahebringen müssten – als tisch unsolidarisch zu sein, und es politisch nicht ob vorher der menschliche Körper im Terminus zu Stande zu bringen, eine demokratisierte Ge- von „old humans“ gleichsam medizinisch tech- sundheitsvorsorge und -versorgung zu schaffen. nikfrei der Evolution und den darwinistischen Der Transhumanist James Hughes sieht jedoch Kriterien des Lebens und Überlebens überlassen demokratische Verhältnisse als unerlässliche Be- worden wäre. dingung für den Einsatz von Cyborgtechnolo- gien („technology and democracy complement Der Begriff Human Enhancement ist technikphi- one another, ensuring that safe technology is losophisch gesehen ein höchst fragwürdiges Kon- generally accessible and democratically accoun- zept, mit ihm wird eine Grenze gezogen, die aber table“; Hughes 2004, 3). Seine Idee geht dahin, medizinisch-technologisch zu sehen ist und im- dass Human Enhancement die Ungleichheiten mer gesellschaftlich im Zusammenspiel mit Ge- in der individuellen biologischen Ausstattung sundheitspolitik zu ziehen ist. Was gestern als Hu- ausgleichen und so für mehr Gleichheit sorgen man Enhancement bezeichnet wurde, kann heute könnte. Dieses Argument, dass wir biologisch zur Maßnahme einer Gesundheitspolitik im sozi- unterschiedlich ausgestattet sind – die einen alstaatlichen Rahmen werden. Was also bleibt von werden alt, die anderen sterben jung, die einen transhumanistischen Zielen, wenn man davon sind gesund, die anderen werden bereits krank medizinische Ziele in sozialstaatlichen Kontexten geboren, und warum sollte man sich mit dieser abzieht? Was bleibt vom Transhumanismus als Ungleichheit abfinden angesichts von medizi- Philosophie, die Medizin und neue Technologien nisch-technischen Möglichkeiten, sie auszuglei- cyborgtechnologisch anleiten will in Richtung chen? – wäre wohl eines der gewichtigsten Argu- Human Enhancement? Ich würde sagen, was da- mente des Transhumanismus in demokratischer von bleibt, ist wenig bis nichts. Außer eben Vor- Absicht – aber die Frage ist, wozu bräuchte man stellungen liberaler Eugenik, die neoliberal dort dazu den Transhumanismus? greifen, wo sozialstaatlich wenig ist. Medizin im Verbund mit Technik ist ein Unter- Human Enhancement und Medizin nehmen, das mit Wissenschaft und neuen Tech- nologien darwinistischen Gesetzen im Humanen Technikphilosophisch gesehen ist weiters der entgegenwirkt. Technik im Blick auf Human- Transhumanismus fragwürdig, weil er die Gren- medizin so zu sehen, Technik und Gesellschaft ze zwischen Vorstellungen von Human Enhan- als Koproduktion zu verstehen, bedeutet einen cement und der Medizin als die Grenze zwi- entscheidenden Unterschied im Hinblick auf die schen Heilung und Vorsorge einerseits und der Ideen des Transhumanismus. Dieser müsste he- Erweiterung von „old humans“ zu transhumans rausstellen können, was er leisten könnte, wozu 13
m&z 2/2020 er philosophisch antritt, nämlich demgemäß, Evolution zu verstehen, ist technikphilosophisch was er „evolutionär“ über die medizinische Dis- eine nicht haltbare Annahme, denn Evolution ist ziplin hinaus versprechen will, denn „Evolution“ als ein Zusammenspiel zu betrachten, als Welt, mit dem Motor Technik ist sein Programm. die dadurch funktioniert, so im Zusammen- spiel geworden zu sein. Der transhumanistisch Evolution und Zoonosen lose Gebrauch des Begriffs Evolution, wie bei Kurzweil in Verwendung11, ist wissenschafts- Der Transhumanismus mit seinen Visionen hat theoretisch nicht akzeptabel; er verwendet den das Problem, höchst fragwürdig zu sein in sei- evolutionstheoretischen Begriff fortschritts- ner unausgesprochenen Idee, den menschlichen logisch inkorrekt und theoretisch inflationär, Körper als Maschine zu verstehen, als immer und er verwischt damit transhumanistisch visi- reparierbare und zu erweiternde Maschine. Phi- onäre Unstimmigkeiten. Wie Andrew Askland losophisch wird immer wieder die Neuzeit mit (2011) herausstellt, suggerieren Kurzweil und der Hegemonie der Idee des Anthropozentrismus andere Transhumanisten mit ihrem Einsatz des gleichgesetzt, die nicht zuletzt fundiert sei in der Begriffs „Evolution“, dass die Evolutionstheorie christlichen Unterscheidung zwischen Mensch die theoretischen Voraussetzungen bereitstellen und Tier, wie erwähnt mit Pico della Mirandola, würde, für Evolution nun durch Technik fort- und philosophisch formuliert und weiter getragen schrittslogisch legitimiert zu argumentieren, mit durch René Descartes. Aber auch hieran kann der einem teleologischen Hintergrund, den aber die Transhumanismus nicht anknüpfen mit seiner Evolutionstheorie nicht bereitstellt. Die These Idee, dass der Mensch in seiner Körperlichkeit als der Fortsetzung der Evolution durch Technik zu verbessernde Maschine zu verstehen sei. Denn scheint, so Friedrich Rapp, vielmehr eine an- der Transhumanismus versteht philosophiege- thropozentristische Idee zu sein, die die Krän- schichtlich nicht, dass von Descartes ebenso wie kungen, die das animal rationale „im Zuge des von seinem zeitgenössischen Gegenspieler bezüg- Wissenschaftsfortschritts hat hinnehmen müs- lich der Geist-Körper Unterscheidung, nämlich sen“, zu überwinden sucht (Rapp 1981, 147). Julien Offray La Mettrie, der Körper nicht zuletzt Evolutionstheorie wird also teleologisch miss- als „göttliche Maschine“ gedacht wurde (Sutter verstanden, wenn Transhumanisten den Zusam- 1998). Den Menschen als göttliche Maschine menhang von Evolution und Technik umbiegen zu verstehen, heißt einmal, dass der Mensch als zur Weiterentwicklung des Menschen durch Produkt sich nicht selbst in seiner Gemachtheit Technik als Fortschrittsgeschichte. reproduzieren kann, weil nämlich Gott gleichsam als der Superingenieur verstanden wurde. Erset- Naturbeherrschungsvorstellungen in diesem zen wir nun Gott naturwissenschaftlich aufgeklärt transhumanistischen Imaginären aber schei- durch die Evolution, dann wird es philosophisch tern, und das nicht erst mit dem Coronavirus sicherlich nicht argumentativ einfacher für trans- als quasi-evolutionäre Überraschung, die als Zo- humanistische Vorstellungen des Verständnisses onose keine ist. Als Zoonose benennt die WHO von menschlichen Körpern und deren Machbar- Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und keit. Es wird vielmehr noch viel komplizierter. Mensch – in beide Richtungen – übertragen Denn gehen wir mit der Evolutionstheorie ein- werden können, und der Erreger Sars-CoV-2 her, dann ist Ray Kurzweils transhumanistische ist nur einer davon, der in diesem Fall vom Tier Vision von „humans have beaten evolution“ als auf den Menschen übersprang (Johnson, Hit- wissenschaftliche Aussage unhaltbar („The evo- chens, Pandit, Rushmore, Evans, Young & Do- lution of technology has been a continuation of yle 2020). Die Evolution nun mit dem Motor the evolutionary process that gave rise to us – the Wissenschaft und Technik transhumanistisch technology-creating species – in the first place“, geleitet zu verstehen, insinuiert, als ob die „Evo- Kurzweil 1999, 3). lution des Menschen durch Technik“ gleichsam Technik als Fortsetzung bzw. neuen Motor der ohne Tiere – und der Mensch nicht selbst als 11 „The evolution of biological life and the evolution of entering that explosive part of the technological evolution technology have both followed the same pattern: they take a curve right now“ (Kurzweil 1999, 2). long time to get going, but advances build on one another, and progress erupts at an increasingly furious pace. We are 14
m&z 2/2020 Tier verstanden – in evolutionär gewordener na- als Praxis kein Unternehmen, dass den Trans- türlicher Umwelt gedacht werden könnte. Das humanismus als Idee von dem Menschen als zu transhumanistische Versprechen, Krankheiten verbessernder unterstützt. Einen Menschen zu auszurotten, müsste demnach im Fall des Co- enhancen, wäre evolutionstheoretisch gesehen ronavirus auch heißen, Zoonosen verhindern nur sinnvoll, wenn sich dieser auch durch Re- zu können, was aber nicht der Fall sein kann, produktionserfolg bewährt, aber auch tech- denn man müsste dann, übertrieben gesagt, aber nologisch hoch aufgerüstete Transhumanisten logisch gesehen, sämtliche Tiere, die Überträger werden das nicht bewerkstelligen, sofern sie ihre sein könnten, ausrotten – oder man versteht durch Human Enhancement erworbenen Modi- den Menschen mehr als ein Tier, das mit Tieren fizierungen nicht weitergeben können.12 Denn anders umgehen muss, um das zu verhindern. evolutionär erfolgreich wäre man darwinistisch Dann wären wir bei dem Klimawandel als He- gesehen nur durch Reproduktionserfolg, aber so rausforderung für Wissenschaft, Technik und spielt sich Erfolg im Humanen nicht ab, Technik Politik, und die Frage ist dann im Falle von Zo- widerspricht insofern der Evolution, und Medi- onosen, warum sie heutzutage als so bedrohlich zin ist cyborgtechnologisch die leitende Wissen- für „old humans“ stattfinden. Damit kommen schaft. Medizin als Kunst und Wissenschaft ist wir an den Punkt, dass die Frage der Beherr- der Modus, der Transhumanismus als Ideologie schung der äußeren Natur durch Technik und überflüssig macht in gesellschaftlichen Kontex- die Einsichten in die Situation der Menschen als ten, die Gesundheit demokratisch als ein hohes biologische und demnach sterbliche Wesen nun Gut institutionalisiert haben. mit dem Virus und dem Klimawandel gerade den Transhumanismus technologisch in Verruf Im Sinne der transhumanistischen Idee, dass „der bringen könnten. Mensch die Evolution durch Technik“ überneh- Denn der Transhumanismus ist philosophisch men soll, liefert nun der Philosoph S. Matthew gesehen ein Anthropozentrismus der besonderen Liao von der New York University13 mit seinen Art, er strebt nach einer posthuman condition – Kolleg*innen Anders Sandberg und Rebecca und dabei trifft ihn nun der Corona-Virus wie Roache, beide akademisch ansässig am von Nick eine Zecke, die vom Baum der wissenschaftlichen Bostrom an der Oxford University gegründeten Erkenntnis auf die Körper der Ingenieure fällt. Future of Humanity Institute, philosophisch, wie sie es sehen, einen produktiven Beitrag zu Stra- Transhumanismus und nicht zuletzt der tegien gegen den Klimawandel. Sie schlagen vor, Klimawandel Menschen nicht nur zu enhancen, sondern sozu- sagen nun auch zu disenhancen. Sie wollen beim Die transhumanistische Idee vom Körper als Menschen als „den größten Treiber des Klima- Maschine, der problemlos zu enhancen wäre, wandels“ ansetzen, und dementsprechend die widerspricht einerseits den Bedingungen der Menschen technologisch so verändern, dass sie Möglichkeiten der Medizin, und davon ist nicht weniger Ressourcen verbrauchen, um damit die zuletzt evolutionstheoretisch auszugehen. Die Erderwärmung einzudämmen. Liao hat mit sei- Medizin als ärztliche Kunst und Wissenschaft nen Kolleg*innen vier große Lösungsansätze als ist, wie gesagt, andererseits aber auch als Gegen- Gadgets parat: Menschen sollen technologisch so spielerin der Evolution zu verstehen. Medizin modifiziert werden, dass sie gegen rotes Fleisch ist der Eingriff von Wissenschaft und Technik allergisch werden, darüber hinaus sollen sie, gen- in biologische Bedingtheiten der Menschen, technisch modifiziert, kleiner werden, und intelli- und vor allem zu sehen ist, praktiziert am in- genter und altruistischer werden durch „pharma- dividuellen Körper. Die Medizin ist von daher cological enhancement of altruism and empathy“. 12 In ihrem Artikel Transhumanism Is Tempting – Until You und er begreift nichts, was darüber hinausgehen könnte. Rember Inspector Gadget stellt Rose Eveleth (2019) comichaft Der mit allerlei Gadgets erweiterte Regierungsbeamte hat heraus, dass die Idee von body-as-machine so fragwürdig ist eigentlich nur Erfolg, weil seine kleine Nichte und deren wie das gesamte transhumanistische Programm. Inspector Hund ihm aus der Patsche helfen, in die er sich selbst Gadget ist eine technophile Fantasie, die in diesem Comic dauernd bringt. immer wieder scheitert, allen Enhancements zum Trotz 13 Wie er jüngst in einem Interview mit Der Standard scheint er wie ein Schweizermesser durch die Welt zu stolpern. berichten durfte (Sommavilla 21.02.2020). Er betrachtet die Welt wie Daten, die in ihn hineinscheinen, 15
m&z 2/2020 Besonderen Fokus legen die Transhumanisten Andrew Sandbergs „long term solution“2, näm- auf Frauen und die Geburtenrate: indem wir als lich auf eine post-biologische humane Existenz Frauen gebildeter werden, würden wir uns hof- hinzuarbeiten, erscheint in diesem transhuma- fentlich nicht mehr so ungebremst vermehren nistischen Denkmodus folgerichtig, aber unter („In fact, there seems to be a link between cogni- anderem demokratisch so attraktiv wie eine Exi- tion itself and lower birth-rates“ ), und sie emp- stenz am Mars. fehlen daher Cognitive Enhancement für Frauen Technikphilosophisch gesehen bleibt mit dem als Strategie gegen den Klimawandel. Coronavirus vom Transhumanismus als wissen- Liao, Sandberg und Roache werden dabei, wie schaftlich fundiertes Unternehmen wenig übrig. alle Transhumanisten im liberalen Modus, da- Der Coronavirus zeigt, dass der Mensch bei aller bei nicht müde, die Freiwilligkeit aller etwaigen Technik auch Tier ist. Wie Hegel sagte, ist der Eingriffe zu betonen – liberale Eugenik –, das Mensch Tier, aber in dem er weiß, dass er es ist, heißt sich aus freien Stücken nun zu Human ist er es auch nicht mehr. Technikphilosophisch Engineering im Sinne von Strategien gegen den heißt das, dass er das aber nur in dem Ausmaß Klimawandel zu entscheiden. weiß, als er darum weiß, immer auch biolo- Ihre Vorstellungen beinhalten in Karikatur alles, gisches Wesen zu sein – und das verdeutlicht uns was den Transhumanismus als autoritäre Ideolo- der Klimawandel. gie auszeichnet. 14 „At least in the US, women with low cognitive ability are 15 Wie es Andrew Sandberg in seinem Blog euphorisch more likely to have children before the age of 18 year […] formuliert: „My favourite long-term solution is simply to So, another possible human engineering solution is to use aim for not just a post-industrial civilization but a post- cognition enhancements to achieve lower birth rates. Like biological one. We can currently roughly foresee how we education, there are many other, more compelling reasons to could go about it. We would fixate our brains (presumably improve cognition, but the fertility effect may be desirable when near biological death), scan them in detail, reconstruct as a means of tackling climate change. Even if the direct the functional structure and recreate it as software. The cognitive effect on fertility is minor, cognition enhancements successor version would then go on living in virtual reality, may help increase the ability of people to educate themselves, with occasional visits to the physical world using a robot, [....] which would then affect fertility, and indirectly climate android or just remote controlled human body.“ (Sandberg change“ (Liao, Sanders & Roache 2012). 2009). 16
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