WEISSES KREUZ - Trans... Fakten, Fragen, Menschen
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WEISSES KREUZ Zeitschrift für Sexualität und Beziehung Ausgabe 4 | 2018 | #75 EINZELPREIS 3 EUR Trans... Fakten, Fragen, Menschen Transsexualität wahrnehmen Bibel ernst nehmen Herausforderungen annehmen
Editorial Trans... Fakten, Fragen, Menschen Liebe Leserinnen und Leser, Kai Mauritz in den letzten Monaten erreichten uns immer wieder Fragen zum Thema Transsexualität. Fachreferent Menschen, die sich selbst in den Konflikt gestellt sehen zwischen ihrer biologischen Ge- Weißes Kreuz e. V. schlechtsidentität auf der einen und ihrem seelischen Geschlechtsempfinden auf der an- deren Seite: Jugendliche, Alleinlebende, Verheiratete, Familienväter und -mütter. Zumeist leiden sie bereits seit Jahren oder Jahrzehnten unter der quälenden Frage, ob sie mit den falschen Geschlechtsmerkmalen geboren worden sind. Bei manchen wird diese Frage irgend- wann zur inneren Gewissheit. Und es melden sich Eltern bei uns, deren Kinder das Geschlecht wechseln möchten, oder Gemeinden, die das Phänomen Transsexualität besser verstehen wollen und nun Orientie- rungshilfen suchen. Christinnen und Christen ringen um ein biblisches Verständnis. Hat der Schöpfer seine Menschen nicht eindeutig als Mann oder Frau geschaffen, die das ihnen zugewiesene Geschlecht annehmen sollten? Es gibt keine einfachen Antworten. Kein Richtig oder Falsch, das für alle gilt. Wir erleben Impressum uns in dem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, dem biblischen Herausgeber: Zeugnis und dem seelsorgerlich angemessenen Umgang mit Menschen, die sich in einer Weißes Kreuz e.V. schweren Identitätskrise befinden. Weißes-Kreuz-Straße 3 34292 Ahnatal Die deutsche Sexualwissenschaftlerin und Dipl. Psychologin Dr. Sophinette Becker erforscht Störungen der Geschlechtsidentität und begleitet in ihrer therapeutischen Praxis seit vie- Tel. 05609/8399-0 Fax: 05609/8399-22 len Jahren u. a. auch Transsexuelle. In dem Interview, das Martin Leupold mit ihr geführt hat, gibt sie einen differenzierten Einblick in die medizinische wie therapeutische Dimen- info@weisses-kreuz.de sion von Transsexualität. Sie hinterfragt kritisch die politisch häufig propagierte Allgemein- www.weisses-kreuz.de lösung „Geschlechtsangleichung“ und plädiert stattdessen für individuelle Lösungen. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Der Artikel und die Theologischen Notizen von Martin Leupold beleuchten das Thema human- Bezugspreis: wissenschaftlich wie biblisch-theologisch. Er erklärt die entscheidenden Begriffe und Sach- 12 Euro jährlich verhalte. Zudem stellt er uns als Leserinnen und Leser zusammen mit transsexuellen (Ausland 18 Euro) Christen in den Riss zwischen der mit der Schöpfung verheißenen Eindeutigkeit der Ge- schlechter und der – jenseits des Paradieses – von manchen erlebten und erlittenen Dis- Konto: harmonie im Bereich der eigenen Geschlechtsidentität. Weißes Kreuz e.V. Evangelische Bank eG IBAN: Eine Auflösung dieser Spannung gibt es nicht. Zumindest nicht, wenn wir fachlich sowie DE22 52060410 0000 001937 biblisch redlich mit Transsexualität umgehen wollen. All unsere Erkenntnisse, die wir bis BIC: GENODEF1EK1 heute gewonnen haben, sind Stückwerk. Dessen sind wir uns bewusst. Wir sind noch auf dem Weg. Mit dieser Zeitschrift laden wir Sie ein, mit uns auf dem Weg zu sein. Schriftleitung: Martin Leupold Titelbild: Tyler Nix, Joanna Nix / unsplash.com Auflage: Dezember 2018, Kai Mauritz, 10.000 Exemplare Pastor und Lebensberater Weißes Kreuz e. V. 2 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018
Titelthema Fotos: Hassan Khan, Ludvig Wiese / unsplash.com Transsexualität Martin Leupold W as wir unter dem Begriff Transsexualität zusammenfassen, wirft tiefe Fragen auf: Beobachtungen, Fragen, Warum erleben Menschen sich in Bezug auf ihr Geschlecht so? Welche Möglichkei- ten haben sie, damit umzugehen, und wie Perspektiven begegne ich ihnen? Auch der Glaube ist betroffen: Hat Gott nicht den Menschen als Mann oder als Frau geschaffen? Wir spüren, wie ernst und tiefgehend diese Fragen sind. Zugleich sehen wir, wie vielschichtig das Thema ist und wie wenig bisher dazu sicher gesagt werden kann. Ich selbst bin auf diesem Gebiet kein Experte. Als Theologe kann ich nur versuchen, das mir zugängliche Fachwissen 3
sowie Eindrücke aus persönlichen Gesprächen wahrzu- Geschlecht verbunden wird, entwickelt sich entscheidend nehmen und aus biblischer Perspektive zu betrachten. anhand von Vorbildern in der Umwelt des Kindes. Jungen Aber da wir immer wieder daraufhin angesprochen wer- und Mädchen scheinen dabei – mit großen individuellen den, will ich Sie dahin mitnehmen, wo ich vorläufige Ant- Unterschieden – jeweils die Rollenangebote zu wählen, worten gefunden habe oder ihnen wenigstens auf der Spur die ihnen aufgrund vorhandener Tendenzen am nächsten bin. Und ich wage es, als Seelsorger einige Impulse zum liegen.3 Wie das Geschlecht erlebt und gelebt wird, bildet Umgang miteinander in persönlichen Beziehungen, in sich aller Wahrscheinlichkeit nach also in der Interaktion Seelsorge und Gemeinde zu geben. zwischen Anlage und Umwelt heraus. Bei transsexuellen Menschen besteht eine Differenz Wovon reden wir eigentlich? zwischen den körperlichen Merkmalen und der eigenen Geschlechtswahrnehmung. Ist dieser Konflikt einmal auf- Zuerst: Wir reden von Menschen! Wir reden davon, wie sie gebrochen, wird er als dauerhaft und oft massiv erlebt. sich selbst und ihre Lebenswelt erleben. Wir reden von ih- Nicht selten ist geradezu von Hass auf den eigenen Ge- ren Befürchtungen und ihren Hoffnungen. Und wir reden schlechtskörper die Rede. Wenn das Lebensumfeld darauf von Menschen, die Gott – wie alle anderen Menschen auch irritiert oder ablehnend reagiert, wird dieser Leidens- – bedingungslos liebt. druck noch verstärkt. In der Regel wird mit hoher Intensi- Oft begegnet mir eine recht einfache Vorstellung: tät nach einer Lösung gesucht. Transsexuelle sind Frauen im Körper eines Mannes oder umgekehrt. Wollen sie diesen Konflikt auflösen, bleibt ih- Was sagt die Medizin dazu? nen nur, den Körper an die Seele anzupassen, bis hin zur geschlechtsangleichenden Operation. Die Wirklichkeit ist Im gegenwärtig gültigen Krankheitsregister der Weltge- komplizierter. So gibt es Menschen, die zwar äußerlich und sundheitsorganisation WHO, dem ICD-10, wird Transse- in der Lebensweise das jeweils andere Geschlecht leben xualität als Störung geführt.4 Deshalb können medizini- wollen, auf die operative Geschlechtsangleichung jedoch sche Maßnahmen von den Krankenkassen übernommen verzichten. Manche haben die transsexuelle Geschlechts- werden. Zu diesen Maßnahmen gehören: überzeugung bereits im Kindesalter, andere entdecken sie • psychotherapeutische Behandlung mit dem Ziel, das erst jenseits der Lebensmitte. So verschieden wie die Men- Leiden des Patienten zu mildern. Zunächst werden das schen selbst sind die bevorzugten Begriffe, um die übrigens Erleben und die Ziele des Patienten geklärt. Bei einem heftig gestritten wird: transsexuell, transgender, transi- dauerhaften Wunsch nach einem Geschlechtswechsel dent, trans*. Ich verwende hier den Begriff „transsexuell“ soll die Psychotherapie die damit verbundenen psychi- – nicht, weil ich ihn für den geeignetsten halte, sondern schen Belastungen begleiten. Im Rahmen der therapeu- weil er den meisten Menschen geläufig zu sein scheint. tischen Begleitung kann dieser Wunsch aber auch in den So verschieden das individuelle Erleben ist, transsexu- Hintergrund treten. Dem Wechselwunsch selbst hat die elle Menschen sind überzeugt, nicht dem Geschlecht an- Psychotherapie neutral gegenüberzustehen. Sie soll ihn zugehören, das ihnen aufgrund ihrer körperlichen Merk- weder forcieren noch zu verhindern suchen. male zugewiesen wird. Auch wenn die Übergänge fließend • Hormongaben, die zu körperlichen und mentalen Verän- sein können, ist Transsexualität deshalb abzugrenzen von derungen in Richtung des Wunschgeschlechtes führen. dem zeitweiligen Wunsch, das jeweils andere Geschlecht Bei Heranwachsenden können außerdem Hormone einge- vorübergehend darzustellen und z. T. dabei sexuelle Erre- setzt werden, die das Einsetzen der Pubertät blockieren. gung zu erleben (Transvestitismus). • Operationen, welche die körperlichen Merkmale so Transsexualität ist auch zu unterscheiden von Interse- weit wie möglich an die des Wunschgeschlechts anglei- xualität, bei der die physischen Merkmale nicht eindeutig chen. Allerdings kann lediglich eine Annäherung und auf ein Geschlecht verweisen. Das können die Geschlechts- keine vollständige Umwandlung erreicht werden. Auch chromosomen, aber auch die Geschlechtsorgane oder an- der genetische Code bleibt unverändert. Die Vorstellung, dere körperliche Merkmale sein. Ob der Wunsch nach ei- man könne sich in naher Zukunft das Geschlecht aussu- ner Geschlechtsveränderung auf Intersexualität oder chen oder sogar beliebig dazwischen wechseln, ist illuso- Transsexualität beruht, lässt sich für Außenstehende nicht risch und kann gerade bei transsexuellen Menschen sicher unterscheiden. überzogene Erwartungen wecken, die nach erfolgter Ge- schlechtsangleichung tiefe Enttäuschungen nach sich Was meinen wir eigentlich mit ziehen können. „Geschlecht“? Wie ist die Rechtslage? Mit „Geschlecht“ verbinden wir verschiedene Merkmale, zu denen körperliche Voraussetzungen, aber auch Be- Das seit 1. Januar 1981 in Deutschland geltende Transse- wusstseinsentwicklungen gehören. So entwickelt der xuellengesetz (TSG) regelt die Bedingungen, unter denen Mensch in den ersten Lebensjahren sowohl eine eigene eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtsein- Überzeugung, welchem Geschlecht er angehört (core gen- trags im Personenstandsregister möglich sind. Vorausset- der identity1 oder kurz identity), als auch Verhaltenswei- zung ist, dass sich eine Person „auf Grund ihrer transsexu- sen, die diesem Geschlecht entsprechen (gender role be- ellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag haviour2 oder kurz expression). Was konkret mit diesem angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Ge- 4 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018
Titelthema Fotos: Savs, Ramy Kabalan/unsplash.com schlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei tische Unterschiede zwischen dem männlichen und dem Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen ent- weiblichen Gehirn. Derzeit werden die Wurzeln von sprechend zu leben“, sowie „mit hoher Wahrscheinlichkeit Transsexualität überwiegend in diesem so genannten „ze- anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden rebralen Geschlecht“ vermutet. Bei Transsexuellen wür- zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.“ 5 den dann das körperliche Geschlecht und das Hirnge- Gegenwärtig werden dafür zwei voneinander unab- schlecht differieren. Es lässt sich aber derzeit nicht hängige Gutachten von Sachverständigen gefordert, „die beweisen, dass Transsexualität damit vollständig und in auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfah- jedem Fall angeboren ist. Zudem setzt sich die Entwick- rung mit den besonderen Problemen des Transsexualis- lung des Gehirns auch nach der Geburt entscheidend fort. mus ausreichend vertraut sind.“ 6 Für die Änderung des Andere Beobachtungen legen nahe, dass das ge- Geschlechtseintrags wurde im Gesetz außerdem eine dau- schlechtliche Erleben und Verhalten entscheidend von ernde Fortpflanzungsunfähigkeit sowie die vollzogene ge- den Beziehungen mitgeprägt wird, die der Mensch in sei- schlechtsangleichende Operation vorausgesetzt. Das hat nen ersten Lebensjahren entwickelt: zu sich selbst, zu das Bundesverfassungsgericht als nicht vereinbar mit dem Mutter, Vater, Geschwistern und anderen wichtigen Be- Grundgesetz erklärt und eine Änderung des TSG gefor- zugspersonen. Eine Rolle könnte z. B. spielen, ob und wie dert. Für die Kostenübernahme von medizinischen Maß- sich Jungen mit ihren Vätern, Mädchen mit ihren Müttern nahmen verlangen Krankenkassen oft ebenfalls Gutach- identifizieren und ob das Geschlecht des Kindes positiv ten. Von Interessenverbänden Transsexueller werden oder negativ wahrgenommen wird. Meines Wissens gibt sowohl die Forderung nach Gutachten wie auch die Emp- es aber keine allgemein anerkannte Theorie, mit der man fehlung einer Psychotherapie als pathologisierend und be- bestimmte Verhaltensweisen eindeutig aus konkreten Ur- vormundend kritisiert. sachen ableiten könnte. Menschen können mit gleichen Lebensumständen ganz verschieden umgehen. Deutun- Was sind die Ursachen? gen, in denen sich die einen ziemlich gut wiederfinden, treffen auf andere überhaupt nicht zu. Sicher scheint zu Über die Ursachen von Transsexualität wird intensiv dis- sein, dass die Entwicklung des geschlechtlichen Erlebens kutiert. Eine genetische Ursache ist nach meiner Kenntnis und Verhaltens ein komplexer Prozess ist, der sich aus vie- bisher nicht nachgewiesen worden. Bereits während der len Faktoren speist und auch im Erwachsenenalter keines- vorgeburtlichen Entwicklung bilden sich erste charakteris- wegs abgeschlossen ist. 5
Fotos: Jacoblund, Ridofranz / istockphoto.com Wie verläuft ein Wechsel Auch Angehörige werden durch einen solchen Prozess des Geschlechts? stark herausgefordert. Bei verheirateten Transsexuellen führt er zusätzlich zu dem Konflikt, dass mit dem Ge- Ein Geschlechtswechsel ist ein längerer Prozess. In den schlecht eine wesentliche Voraussetzung der Ehe verän- 90er Jahren wurden dazu von einer Expertenkommission dert wird. Häufig werden solche Ehen geschieden. Es gibt Empfehlungen für die psychotherapeutische Begleitung aber auch Partner, die nach dem Geschlechtswechsel bei- entwickelt.7 Zunächst sollte eine Diagnose klären, wie das einander bleiben. transsexuelle Erleben mit der körperlichen und seelischen Wenn das transsexuelle Erleben bei Minderjährigen Gesamtverfassung zusammenhängt. Möglicherweise liegt auftritt, liegt die Last der Verantwortung bei den Eltern. hinter dem transsexuellen Wunsch eine nicht erkannte In- Besonders drängend ist die Situation, wenn sich bereits tersexualität, eine andersgeartete seelische Störung, die die Pubertät ankündigt. Da spätere operative Angleichun- sich auf die Geschlechtsüberzeugung auswirkt oder eine gen an das Wunschgeschlecht deutlich eingeschränkter von dem Betreffenden nicht akzeptierte homosexuelle möglich sind als vorher, werden zunehmend Hormone Orientierung. Sichergestellt werden sollte auch, dass der eingesetzt, die die Pubertät hinauszögern (Pubertätsblo- Wunsch selbstbestimmt und dauerhaft ist. cker). Mögliche langfristige Folgen sind jedoch meines Wird die Transsexualität bestätigt, lebt der/die Betref- Wissens kaum erforscht. fende zunächst eine Zeit lang im gewünschten Geschlecht Gegenwärtig erscheint der Geschlechtswechsel meist („Alltagstest“). In diesem Zusammenhang kann auch als einzig mögliche Option. Nach Alternativen auch nur zu schon die Änderung des Vornamens vorgenommen wer- fragen gilt als Ausdruck einer feindseligen Haltung gegen- den. Bestätigt sich in dieser Zeit der Veränderungswunsch, über transsexuellen Menschen bzw. als Angriff auf ihre wird durch Hormongaben die körperliche und mentale Selbstbestimmung. Aber die Radikalität und Endgültig- Annäherung an das Wunschgeschlecht begonnen. Diese keit dieses Weges erfordern m. E. eine sorgfältige Prüfung. sind auch Voraussetzung einer geschlechtsangleichenden Die Entscheidung trifft selbstverständlich der betreffende Operation. Die Hormonbehandlung muss nach der Opera- Mensch selbst. Viele wollen mit dieser Entscheidung aber tion lebenslang fortgesetzt werden. gar nicht allein gelassen werden, sondern wünschen sich In der Vergangenheit wurde für diesen Gesamtprozess einfühlsame und zugleich unabhängige Begleitung. ein Zeitraum von mindestens drei Jahren veranschlagt. Diese Zeiten haben sich zum Teil inzwischen erheblich Was bedeutet Transsexualität für unser verkürzt. Einerseits ist es nachvollziehbar, wenn Men- Verständnis von Geschlecht? schen einen solchen Weg möglichst rasch „hinter sich bringen“ wollen. Andererseits legen die Tiefe des Eingriffs Von den Gendertheorien wird Transsexualität als einer in die Persönlichkeit und die Unumkehrbarkeit einer sol- der Gründe ins Feld geführt, die Polarität der beiden Ge- chen Entscheidung nahe, sie mit aller Sorgfalt und ohne schlechter Mann und Frau grundsätzlich in Frage zu stel- Handlungsdruck zu erwägen. len. Nur wenn diese so genannte Geschlechterdichotomie 6 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018
Titelthema überwunden werde, könnten Transsexuelle einen gleich- Gott, ein Gräuel.“ (5. Mose 22,5) Offenbar sollen auch da- berechtigten Platz in der Gesellschaft finden. Die medizi- durch Ehe und Familie und damit die Existenz des Gottes- nischen Möglichkeiten, durch Hormongaben und Operati- volkes geschützt werden. Auf welche konkreten Verhal- onen körperliche und mentale Geschlechtsmerkmale zu tensweisen das Gebot im alten Israel zielte, lässt sich verändern, werden aber auch als Weg wahrgenommen, allenfalls vermuten. allen – und nicht nur transsexuellen – Menschen im Blick Wenn Transsexualität dazu in Spannung steht, dann auf ihr Geschlecht einen immer weiter gehenden Gestal- wird diese von transsexuellen Menschen auf jeden Fall tungsspielraum zu verschaffen. Ob das überhaupt wün- nicht hervorgerufen, sondern sie finden sich bereits darin schenswert ist, sollte gesellschaftlich offen diskutiert wer- vor. Auch etwas so Grundlegendes wie das Geschlecht ist den können. Ich möchte mich hier auf die Frage offensichtlich von dem Verlust der Harmonie und Eindeu- beschränken, ob wir – wie weithin gefordert wird – diese tigkeit mitbetroffen, den die Schöpfung nach dem Zeugnis Theorien unkritisch übernehmen müssen, wenn wir trans- der Bibel durch den Sündenfall erlitten hat. Dass sich sexuellen Menschen gerecht werden wollen. Menschen ohne ihr Zutun nicht in dem Geschlecht wieder- Tatsache ist, dass die verschiedenen Ebenen, auf de- finden können, auf das ihr Körper verweist, thematisiert nen wir unser Geschlecht wahrnehmen, bei transsexuel- die Bibel an keiner Stelle. Grundsätzlich tritt sie aber dem len Menschen differieren. Transsexuelle Menschen bewe- Effekt entgegen, dass das Leitbild von Ehe und Familie gen sich gewissermaßen zwischen den beiden ausgrenzend gegenüber den Menschen wirkt, denen seine Geschlechtern. Aber auch sie bewegen sich in dieser Verwirklichung in ihrer individuellen Lebensführung ver- grundlegenden Polarität. Obwohl die meisten Menschen wehrt bleibt. sich relativ klar als einem der beiden Geschlechter zuge- Das Neue Testament öffnet die Gemeinschaft mit dem hörig erleben, hat jeder Mensch auch Merkmale, die in Gott der Bibel über das Volk Israel hinaus. Auf Leben und Tendenz eher beim anderen Geschlecht zu finden sind. Erhalt dieses Volkes bezogene Gebote werden dabei für die Männer können auch weibliche, Frauen männliche Züge anderen Völker nicht verpflichtend gemacht. Das Leitbild haben. Es gibt also eine Vielfalt, diese Polarität individuell von Ehe und Familie als solches ist jedoch in der Schöpfung zu gestalten. Aber nichts nötigt uns, eine Vielfalt anstelle verankert, deshalb ist es auch für die christliche Ethik nicht dieser Polarität anzunehmen. verzichtbar. Diese Ethik ist aber nicht Voraussetzung, son- Dennoch wirkt sich diese Polarität auf transsexuelle dern immer Folge der Gemeinschaft mit Gott, die durch Menschen in besonderer Weise aus. Denn in unserer Ge- Christus ohne unser Verdienst hergestellt wird. Gott nimmt sellschaft ist es für die ungehinderte Teilhabe am Leben nicht erst die an, die es irgendwie geschafft haben, seinem oft entscheidend, eindeutig als Mann oder als Frau er- Bild zu entsprechen. Sondern er nimmt die an, die ihn su- kennbar zu sein. Wenn Menschen das nicht so einfach chen, gerade weil sie erkannt haben, dass ihr Leben seinem möglich ist, finden sie innerhalb dieser Polarität nicht Bild nicht entspricht. Und das gilt nach dem Zeugnis der selbstverständlich ihren Platz. Damit kann eine erhebliche Bibel ausnahmslos für alle (Rö 3,23). Benachteiligung verbunden sein. Es gibt keinen Grund, Das erste, was dieses Evangelium jedem Menschen zu die Frage, welche Toiletten transsexuelle Menschen wohl sagen hat, ist also: „Du darfst sein!“ Nicht, weil alles an dir benutzen sollten, irgendwie witzig zu finden. Manche ris- in Ordnung oder stimmig ist, sondern weil Gott dich liebt. kieren lieber gesundheitliche Schäden, weil sie die öffent- Würde Gott nur das an uns annehmen, was seinem Willen liche Toilette aus Angst möglichst ganz meiden.8 entspricht, er dürfte niemanden von uns annehmen. Aber Wenn wir von Transsexualität reden, reden wir von er nimmt uns an, auch mit all dem, was in unserem Leben Menschen, die sich diesen Konflikt nicht selbst gesucht ha- seinem Entwurf widerspricht. Egal, ob es uns schicksal- ben. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Gender- haft widerfahren oder durch uns selbst verschuldet wor- theorien für viele transsexuelle Menschen etwas enorm den ist. Transsexuelle Menschen erleben sich oft beson- Befreiendes haben. Sie fußen jedoch auf einem Welt- und ders ausgeprägt als falsch, nicht dazugehörig, Menschenbild, das nach unserer Überzeugung mit dem ausgeschlossen schon dadurch, dass sie sind, wie sie sind. christlichen Glauben nicht vereinbar ist.9 Gleichzeitig Deshalb dürfen wir gerade ihnen gegenüber diese Bot- kann die reale Bedrängnis, in der transsexuelle Menschen schaft nicht relativieren: „Du darfst sein!“ sind, Christen nicht gleichgültig sein. Deshalb wollen wir Weil wir alle nur durch diese Gnade von Gott ange- nun das biblische Zeugnis auf diese Thematik hin sichten. nommen sind, ruft er uns nun auch gegenseitig auf: „Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat Wie können wir Transsexualität in zu Gottes Lob.“ (Rö 15,7) Wir müssen dazu nicht alles an biblischer Perspektive verstehen? einem Menschen gut finden oder allen seinen Entschei- dungen zustimmen. Das „Du darfst sein!“ bedeutet nicht Das biblische Zeugnis vom Miteinander der Geschlechter gleichzeitig ein „Du darfst alles machen.“ Wir wollen ge- wird in den Theologischen Notizen auf S. 16 dieser Zeit- meinsam dem Bild, das Gott entspricht, näher kommen. schrift näher entfaltet. Danach gehört die Polarität der Ge- Aber Gottes Ja zu uns hängt nicht davon ab, wie viel davon schlechter zum biblischen Menschenbild. An einer Stelle in diesem Leben Wirklichkeit wird und wo wir an unüber- fordert die Bibel, dass das jeweilige Geschlecht eines Men- steigbare Grenzen gelangen. Deshalb kann auch unser Ja schen klar erkennbar sein soll: „Eine Frau soll nicht Män- zueinander nicht davon abhängen. Vollkommenheit ist nersachen tragen, und ein Mann soll nicht Frauenkleider uns auf dieser Welt nicht verheißen (Phil 3,12), deshalb anziehen; denn wer das tut, der ist dem HERRN, deinem können wir sie auch nicht voneinander fordern. 7
Der Konflikt eines transsexuellen Menschen mit sei- nem Geschlechtskörper bedeutet die Erfahrung einer tie- fen Disharmonie. Sie sollte m. E. weder ignoriert noch ba- gatellisiert werden. Menschen, die sie an sich selbst erfahren, dürfen darin nicht allein gelassen werden. Aber auch die, die ihnen nahe stehen, brauchen Unterstützung. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand können wir nicht vor- aussetzen, dass es eine für alle gleichermaßen geltende oder gar vollständige Lösung gibt. Umso wichtiger ist es, Leitlinien zu formulieren, wie wir gemeinsam mit dieser Wirklichkeit umgehen und gangbare Wege in die Zukunft finden können. Was ist in der Begegnung mit transsexuellen Menschen wichtig? Atmosphäre der Wertschätzung und Offenheit schaf- fen: Das Ja zum biblischen Menschenbild darf nicht in ein Nein gegenüber Menschen und Menschengruppen kip- pen. Denn dann werden Menschen entmutigt, sich in ih- ren Fragen und Konflikten anderen anzuvertrauen und Hilfe zu suchen. Dem Evangelium entspricht eine Atmo- sphäre, in der jeder wagen kann, sich in geeigneter Weise zu offenbaren. Dinge, die die Harmonie stören, werden Fotos: Caleb Lucas, Nik Macmillan / unsplash.com nicht verschwiegen, sondern offen und respektvoll ange- sprochen. Wo dagegen Klagen oder Anklagen vorherr- schen, werden Menschen verstummen, die sich nicht si- cher sind, wie die anderen auf ihr Erleben reagieren werden, oder sogar Ablehnung befürchten. Selbstverständlich annehmen: Kaum etwas wird von transsexuellen Menschen mehr thematisiert als das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und nicht dazuzugehören. Offensichtlich bedrängt die allgegenwärtige und selbst- verständliche Einteilung aller in Männer und Frauen diese Menschen sehr viel stärker, als es den anderen zunächst einleuchtet. Wenn das so ist, genügt nicht die verbale Ver- sicherung, dass man ja grundsätzlich nichts gegen Trans- sexuelle habe. Die Annahme will nicht nur behauptet, son- dern erfahren werden. Das heißt nicht, allen Zielen und Entscheidungen des anderen von vornherein zuzustim- men. Aber es bedeutet, dass auch Fragen, die vielleicht im Raum stehen, die Beziehung zueinander nicht in Frage stellen. Irritationen eingestehen: Das Geschlecht ist ein für die Identität entscheidendes Merkmal. Deshalb kann es zutiefst verunsichern, wenn wir einen Menschen hier nicht eindeutig zuordnen können. Diese Verunsicherung muss nicht verdrängt werden. Sie wird auch durch den er- hobenen Zeigefinger einer wohlfeilen Toleranzforderung nicht überwunden. Es gilt vielmehr, diese innere Abwehr einzugestehen, sie Gott hinzulegen und sich von ihm die Liebe schenken zu lassen, die er selbst zu allen Menschen hat. Nicht ausweichen: Wenn wir eine Spannung schwer aushalten, neigen wir dazu, auf Distanz zu den Menschen zu gehen, die uns damit konfrontieren. Oder wir verlan- gen, dass der Betreffende schnell etwas dagegen tut. Aber auch die Bagatellisierung, das sei doch alles ganz normal, kann ein Versuch sein, sich der Spannung zu entledigen und einer Auseinandersetzung damit aus dem Weg zu ge- 8 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018
Titelthema hen. Eine wirkliche Hilfe sind Menschen, die die Kraft fin- blieben schwankend oder sind ins Geburtsgeschlecht zurückge- den, sich selbst mit in die Situation hineinzustellen und kehrt.10 Vielleicht bleibt jeder Weg ein Kompromiss, der auch ein die damit verbundenen Lasten mitzutragen (Gal 6,2). Stück Verzicht erfordert, z. B. auf letzte Eindeutigkeit oder auf den Unvoreingenommen anschauen: Wenn Dinge irri- perfekten Körper. Nach allem, was wir wissen, ist die gewünschte tierend oder beängstigend sind, sind wir versucht, sie gar Lösung nicht in jedem Fall zu erreichen. Auch vom Glauben her nicht erst an uns heran zu lassen. Doch dann können wir dürfen wir zwar vieles erhoffen und erbitten. Aber wir können nie- mit ihnen nicht umgehen. Sie werden immer größer und mals etwas versprechen oder ausschließen. Ganz sicher dürfen immer schwerer zu handhaben. Weil Gott da ist, können wir uns aber darauf verlassen, dass Gott den Weg auch dann noch wir ohne Angst alles anschauen, was uns begegnet. Wir kennt, wenn wir keinen mehr sehen oder er uns ganz und gar können gemeinsam davor stehenbleiben und zunächst fremd und unheimlich wird. einfach fragen: Was erlebst du? Was bedeutet es für dich? Wie immer sie sich entscheiden, transsexuelle Menschen ge- Was verstehst du daran, was nicht? Was bringt dir Erleich- hen einen langen Weg. Sie brauchen Begleiter, die nicht nur gele- terung, was macht dir Angst? Voreilige Schlüsse und Ur- gentlich einen guten Rat geben, sondern die mitgehen, die gerade teile können uns dagegen hindern, gangbare Wege zu ent- in Krisen da sind und selbst dann, wenn sie eine Entscheidung decken und einzuschlagen. nicht teilen können, zugewandt bleiben. Weil auch Gott selbst sein Mitbetroffene im Blick haben: Transsexuelle Men- Ja zum Menschen niemals zurücknimmt (Rö 11,29; 2. Tim 2,13). schen konzentrieren sich nicht selten stark auf ihr eigenes Erleben. Sie haben mitunter nicht im Blick, dass es auch Angehörige, vor allem Ehepartner und Kinder, vor eine oft Martin Leupold ist evan- extreme Herausforderung stellt. Gemeinde hat gerade in gelischer Theologe und dieser Hinsicht die Chance, zu unterstützen, die Interes- Seelsorger und Leiter des sen aller im Blick zu behalten und vielleicht sogar in Kon- Weißen Kreuzes e. V. flikten zu vermitteln. Geeignete Hilfe und Begleitung suchen: Transsexu- alität berührt elementar die Frage nach der eigenen Iden- tität. Sie stellt in der Regel mindestens zeitweise eine gro- ße psychische Belastung dar. Menschen brauchen dann einen Raum, in dem sie sich ohne Angst und Handlungs- druck über ihre Wahrnehmung klar werden können. Über 1 dt. Kerngeschlechtsidentität, Begriff von Robert Stoller 1978 2 dt. Geschlechtsrollenverhalten, Begriff bei Robert T. Francoer 1991 die Begleitung durch Angehörige, Freunde oder Mitchris- 3 Doris Bischof-Köhler (3/2006): Von Natur aus anders. Die Psycholo- ten hinaus sollte fachkundige, professionelle Hilfestellung gie der Geschlechtsunterschiede, Stuttgart, S. 40f gesucht werden. Sachgerechte Beratung oder Psychothe- 4 http://www.icd-code.de, Zugriff am 25.07.2018. Ein erneuertes ICD-11 befindet sich in Erarbeitung. rapie wird dabei die eigenen Wahrnehmungen und Ziele 5 Zitiert nach www.gesetze-im-internet.de/tsg/__1.html, Zugriff am des Klienten respektieren und ihn nicht in eine bevorzugte 10.09.2018 Richtung drängen. 6 Ebenda. 7 Zeitschrift für Sexualforschung 10, 1997, S. 147-156. Dr. Sophinette Zeit lassen: Immer wieder wird berichtet, dass trans- Becker, mit der ich für dieses Heft ein ausführliches Interview führen sexuelle Menschen auf einen Geschlechtswechsel gerade- durfte, hat an diesen Empfehlungen maßgeblich mitgewirkt. zu drängen. Vielleicht ist das ein Ausdruck der starken 8 Es gibt natürlich ernsthafte Gründe, bei Toiletten oder auch Umkleideräumen zwischen den Geschlechtern zu trennen. Diese Spannung, in der sie stehen, und der Hoffnung, ihr durch können nicht diskussionslos beiseitegeschoben werden. Vielmehr eine Veränderung endlich entgehen zu können. Zugleich müssen Lösungen gefunden werden, die die berechtigten Bedürfnisse ist es ein tiefer Einschnitt, der das gesamte Leben radikal aller berücksichtigen. 9 Ausführlich dazu bei Nikolaus Franke: Sexuelle Vielfalt im Unterricht verändert. Das gilt nicht erst für eine geschlechtsanglei- (Denkangebot 4), Ahnatal 5/2017 chende Operation. Auch Hormone verändern nicht nur 10 Dazu liegt mir eine bewegende Lebensgeschichte vor. den Körper, sondern auch die Persönlichkeit. Manche hochgespannten Erwartungen bleiben unerfüllt. Und Pro- bleme, die anderswo in der Persönlichkeit liegen, erledi- gen sich auch nicht mit einem Wechsel des Geschlechts. Besonders herausgefordert sind Eltern, deren Kinder sich als transsexuell erleben. Denn sie entscheiden ja nicht für sich, sondern für einen anderen Menschen. Deshalb sollte Zeit sein, alles in Ruhe und ohne äußeren Druck zu beden- ken, was bedacht werden muss, um den bestmöglichen Weg zu finden. Mehr erfahren Gangbare Wege entdecken: Zurzeit scheint oft der Sie würden sich gern näher über ein Thema im Weg eines Geschlechtswechsels einschließlich aller mögli- Bereich Sexualität und Beziehungen informieren? chen geschlechtsangleichenden Operationen der einzig Stöbern Sie einfach in der Mediathek des Weißen richtige zu sein. Es gibt jedoch auch Transsexuelle, die im Kreuzes unter Wunschgeschlecht leben, auf operative Eingriffe aber ver- zichtet haben. Manchen hat der Geschlechtswechsel auf www.weisses-kreuz.de/mediathek Dauer nicht die ersehnte Verbesserung gebracht, manche 9
10 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018 Fotos: Randy Jacob, David Marcu / unsplash.com
Titelthema Trans* – Einblicke in ein kontroverses Thema Martin Leupold im Interview mit Dr. phil. Sophinette Becker Trans* scheint in aller Munde zu sein. Und im Gespräch spüren Sie erst mal nur: Früher hat man sehr feste Vorstellun- Aber wovon reden wir eigentlich? Was ist Sie fühlen sich ganz unwohl als Mann. gen gehabt: Ein echter Transsexueller will Trans* wirklich und wie geht es den Oder als Frau. Aber Sie spüren zunächst alle Operationen, die möglich sind. Und er Menschen, die sich als Trans* erleben? gar nichts davon, dass sie sich dem ande- ist, wenn er das Geschlecht wechselt, wie- Da gibt es keine einheitliche Antwort. Es ren Geschlecht zugehörig fühlen. Bei man- der heterosexuell. Ist jemand, der von gibt die Vorstellung, Trans* sei immer chen ist es zutiefst verborgen, weil es mit Mann zu Frau wechselt, nachher weiterhin gleich: Da sind Menschen, die fühlen sich Scham verbunden ist oder weil sie Mob- sexuell an Frauen interessiert, ist er nicht im falschen Körper und wollen in einem bingerfahrungen gemacht haben, und echt. Es gab sehr normative Vorstellungen anderen Körper leben. Wenn man sich je- kommt dann im Lauf der Zeit erst heraus. und die Patienten haben sich angepasst doch die einzelnen Entwicklungen an- Es gibt auch Menschen, die bleiben und haben genau das erzählt, was die Leute schaut, sind die sehr verschieden. Es sind hin- und hergerissen. In der Öffentlichkeit hören wollten. Wenn Sie offener sind, ist es schon große Unterschiede, ob jemand von scheint meist alles klar, jemand weiß: Ich komplizierter. Die einen leben sehr gut mit klein auf das Gefühl hat: Ich bin nicht rich- bin immer schon Frau gewesen. Früher ha- einem sozialen Geschlechtswechsel und tig als Junge oder Mädchen. Oder ob das ben die Patienten gemeint, einem sagen zu Hormonen, aber wollen sich nicht operie- viel später im Leben erst jemandem be- müssen: Ich fühlte mich schon als Baby als ren lassen, weil sie das ihrem Körper nicht wusst wird und der Wunsch sich entwi- Frau. Kein Mensch fühlt sich als Baby als zumuten wollen. Sie leben ganz gut sozial ckelt. Man sollte sich nicht eine einheitli- Frau. Als Kinder haben wir ziemlich gut als Frau und finden unter Umständen einen che Sache vorstellen, genauso wie man beide Möglichkeiten. Es gibt Jungen, die Partner, der damit umgehen kann. nicht sagen kann: die Heterosexuellen. haben auch was süß Mädchenhaftes an sich, und es gibt Mädchen, die zeitweilig Nun ist Trans* ja auch eine medizinische Ist das eigentlich ein neues Thema? als Lausbub erscheinen und sich trotzdem Diagnose. Das heißt, es gibt auch Kriteri- Geschlechtswechsel hat es in allen Jahr- in der Pubertät, wenn die sekundären Ge- en dafür, wann sie gegeben ist. hunderten gegeben. Natürlich ohne die schlechtsmerkmale kommen, in die eine Manche sind von klein auf wirklich un- heutigen Möglichkeiten der Medizin. Und oder andere Identität finden. heimlich klar in diese Richtung gegangen. wie darüber gesprochen wird, hat natür- Es gibt viele Frauen, die nicht gern mit Ich habe jemanden gesehen, der vor der lich immer damit zu tun, wie die jeweilige Puppen gespielt haben, aber nicht trans* Hormonbehandlung schon eindeutig wie Geschlechterlage in einer Gesellschaft aus- werden. Also sind diese Zeichen nicht alle ein junger Mann wirkte und das von klein sieht. Da ist ja bei uns eine Menge in Bewe- notwendiges „Wenn das so ist, wird es so.“ auf auch vertreten hat. Er hat sich einen gung geraten. Natürlich wirkt sich das auf Es gibt aber andere Personen, von denen Namen gegeben, der eindeutig männlich diejenigen, die das Geschlecht wechseln man in der Kindheit nichts sehen kann, ist und das auch unter seinen Freunden wollen oder sich dem anderen zugehörig obwohl sie innerlich vielleicht schon sol- durchgesetzt. In fremder Umgebung ist er fühlen, auch aus. che Empfindungen hatten oder sich diffus immer als Junge durchgegangen. Solche unwohl fühlten, wo es sich später so ent- Leute gibt es. Es gibt aber welche, wo das Aber es geht immer irgendwie um eine wickelt. nicht so ist. Viele sagen: Und dann habe ich Differenz zwischen dem Geschlecht, das einen Film gesehen. Oder ich habe im In- der Körper zeigt, und dem, als was sich Also muss man immer wieder individuell ternet recherchiert und dann habe ich der Mensch selbst erlebt? schauen: Wie geht’s dem Menschen, wie plötzlich Schilderungen gesehen und habe Das eine ist das Unbehagen an dem körper- erlebt er sich und wo will er hin? gesagt: Das bist ja du. Das ist für viele ein lich gegebenen Geschlecht. Also: Ich bin Ja, und deshalb kann ich sagen, nach drei- Auslöser. Es ist zunächst eine Selbstdiag- kein Junge, ich will kein Junge sein, ich ßig Jahren Beschäftigung mit dem Thema: nose. kann kein Junge sein. Oder kein Mädchen. Ich habe schon lange aufgehört zu sagen: Und obwohl es immer wieder von an- Das ist die eine Seite. Und das andere ist: Ist das eine echte Transsexualität oder deren Experten kritisiert wird: Ich erlebe Ich fühle mich dem anderen Geschlecht nicht? Sondern ich sage eher: Geht es je- häufig, dass die Patienten möchten, dass zugehörig. Es gibt Menschen, die sagen: mandem auf diesem Weg Schritt für ich sie für transsexuell halte, weil sie das Ich will eine Geschlechtsumwandlung. Schritt besser oder nicht? Gefühl haben: Dann stimmt es. 11
Fotos: Nik Shuliahin, Anthony Tran/stocksnap.io Und wie geht das aus? Ist es dann unter- Objektive Kriterien sind bei Psychodia- Operation gemacht haben muss, die in schiedlich? Oder weisen Sie es ganz zu- gnosen immer ein Problem. Bedingungen etwa das Erscheinungsbild dem anderen rück, sagen Sie: Musst du selber wissen? werden zwar immer wieder formuliert, Geschlecht annähert, und dass man sterili- Irgendwas dazwischen. Je nach Verlauf. aber doch immer vorsichtiger. Und letzt- siert sein muss, damit man keine Kinder im Ich habe z. B. oft die Leute nicht sofort so lich sagt man heute: Es ist eine Verlaufsdi- Ausgangsgeschlecht kriegen kann, und angesprochen, wie das Wunschgeschlecht agnostik. dass, wenn man verheiratet ist, man sich war, sondern gesagt: Es wird sich entwi- scheiden lassen muss. ckeln. Sie haben mehr davon, wenn ich Ih- Und wie ist dieser Verlauf? Seitdem ich mich mit dem Thema be- nen spiegle, wie ich es wahrnehme. Man muss die juristische Ebene und die fasse, soll das Transsexuellengesetz refor- Die diagnostischen Kriterien in der Me- medizinische und therapeutische Ebene miert werden, wurde es aber nicht. Nur dizin haben sich sehr verändert. Früher trennen. Das wird häufig verwechselt. das Bundesverfassungsgericht hat Stück galt: Transsexuell ist, wer im andern Kör- Wenn man den Vornamen und den Perso- für Stück bestimmte Teile des Transsexuel- per leben möchte, sich dem anderen Ge- nenstand ändern will, bedarf es nach dem lengesetzes kassiert. Erst mal, dass Auslän- schlecht zugehörig fühlt und operiert wer- Transsexuellengesetz zweier voneinander der es nicht benutzen konnten. Zweitens, den will. Und dann hieß es: Wer unabhängiger Gutachten. Dann sagen viele dass der Operationszwang wegfiel. Der transsexuell ist, muss operiert werden. Das Leute: Ja, die Hormonbehandlung darf Sterilisierungszwang. Der Scheidungs- ist natürlich ein Zirkelschluss. Davon ist nach dem Gesetz dann und dann stattfin- zwang. Das ist alles weg, so dass mittler- man später abgekommen und hat den Ope- den. Das steht gar nicht im Gesetz. Das Ge- weile die Voraussetzungen für die Ände- rationswunsch nicht mehr als ein Kriterium setz beschäftigt sich ausschließlich mit den rung des Personenstandes dieselben sind genommen, sondern hat eher gesagt: Der Voraussetzungen für die Vornamens- und wie für die Vornamensänderung, nämlich Wunsch muss längere Zeit bestanden ha- Personenstandsänderung und überhaupt die Begutachtung durch zwei voneinander ben, und er muss lebbar sein. Ich habe auch nicht mit den Behandlungen. Das ist Sozi- unabhängige Gutachter. Menschen gesehen, wo ich sagen würde: algesetzgebung. Es wird aber durcheinan- Das andere ist die medizinische Seite. Ja, die sind transsexuell, stimmt für sie. dergebracht, weil auch die Krankenkassen Da gab es Standards der Behandlung, an Aber in ihrem Umfeld, z. B. in einem Mig- oft die Gerichtsgutachten haben wollen. denen ich auch mitgewirkt habe. Natürlich rantenmilieu, wo das vollkommen abge- Den Vornamen kann man relativ leicht sind die nach 20 Jahren überholt. Trotz- lehnt ist, ist es für sie nicht lebbar, weil es ändern. Aber für den Personenstand hatte dem würde ich dieses stufenweise Vorge- mit dem Verlust der Familie verbunden ist. das Gesetz vorgesehen, dass man eine hen empfehlen: Man kommt in Kontakt 12 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018
Titelthema mit jemandem, man versucht mit ihm das Früher haben die Patienten das brav hatten, aber noch mal wissen wollten, was zu klären. Er probiert es allmählich aus, gelernt und haben gesagt: Es hat mich nie mit ihnen ist. Ich finde immer interessant, klärt sein Umfeld auf und nimmt wahr, wie erregt, es hat mich immer nur beruhigt. dass manche hinterher sich mit dem abge- die Reaktionen sind, ob er damit leben Damit sie in die Schablone passen. Ich legten Teil ein bisschen versöhnen. Ich kann. Dann kommt die Hormonbehand- merke: Je offener ich für Widersprüche al- habe das Gefühl, es ging ihnen besser, lung. Da gab es auch zeitliche Fristen, die ler Art bin, je mehr erzählen mir die Pati- wenn das andere nicht vernichtet werden aber auch nicht völlig starr sind. Wir haben enten die Widersprüche. Oder jemand hat- muss. Man hat ja auch Erfahrungen in die- damals anderthalb Jahre bis zur Hormon- te irgend sonst eine Perversion, sem Körper gemacht, die ja nicht alle nur behandlung empfohlen, in der Regel. masochistisch oder sonst was. Das haben schlimm waren. Meistens erfolgt es heute nach einem hal- die nicht gesagt, weil sie wussten: Aha, ben Jahr. dann kommt: Sie sind ja gar nicht richtig Nun gibt es ja auch unter Kindern und Und dann kommt irgendwann die Fra- transsexuell. Und je mehr Sie das machen, Teenagern solche, die sich als trans* er- ge: Ist die Operation für die Person hilf- je mehr Schablonenhaftes erfahren Sie. leben. Woran erkennen Eltern, dass die reich und wichtig oder nicht? Aber gestuft, Frage im Raum steht, und was würden damit man auch wieder zurückgehen kann, Lassen sich in der Therapie auch Ursa- Sie denen raten? wenn man merkt: Es geht einem nicht gut chen finden und bearbeiten? Das ist eine wirklich komplizierte Angele- damit. Sagen wir mal: Jemand bekommt Manche Selbsthilfegruppen und Transse- genheit, weil es da auch Kontroversen zwi- Hormone. Er hofft, es wird ihm sehr viel xuellenverbände sind stramme Lobbyis- schen den Fachleuten gibt. Früher war es besser gehen, merkt aber, dass er so depres- ten, die mich auch nur sehr zum Teil mö- ziemlich klar, dass man die Diagnose siv bleibt wie zuvor. Oder alle Probleme gen, weil ich dagegen bin, so mit Verboten Transsexualität eigentlich vor sechzehn bleiben bestehen. Dann muss man natür- zu arbeiten. Die wollen, dass man da gar nicht stellen sollte und wo ziemlich klar lich überlegen, ob das sinnvoll ist. nichts erkundet. Ich kenne durchaus Pati- war: Hormone allerfrühestens mit sieb- enten, wo ich eine Idee habe, woher das zehn und operative Eingriffe erst später. Da Also ist die Operation nicht immer die vielleicht kommen könnte. Wo ich mir aber hat sich in den letzten zehn Jahren etwas Lösung. sage: Das ist ein Ausweg, mit dem sie leben massiv geändert. Und zwar wurde damit Es wird immer in der Literatur gesagt, es können. Beispiel: Früher hat man gesagt, begonnen, dass man die Diagnose früher gebe niemanden, der es bereue. Das wenn eine biologische Frau mit transsexu- stellt und dass man den Kindern zu Beginn stimmt nicht. Ich allein habe vielleicht ellem Wunsch einen sexuellen Missbrauch der Pubertät Pubertätsblocker gibt. Das zwanzig Leute gesehen, die es bereuen. in der Kindheit erlebt hat, dann muss man sind Antihormone, die die sexuelle Ent- Die melden sich nicht in der Öffentlichkeit, den bearbeiten und dann ist sie nicht mehr wicklung, die Entwicklung der sekundären weil sie zutiefst beschämt sind. Es gibt so- transsexuell. Ich kann sagen, ich hatte eine Geschlechtsmerkmale, aufhalten. Dadurch genannte Regretter (vom engl. regret – be- Reihe schwerst missbrauchter Frauen, mit wird natürlich auch die Sexualität unter- dauern, d. Red.), wo der Weg zu schnell Gewalt und sexuellem Missbrauch und drückt. Dann heißt es: Das ist reversibel, gegangen wurde. Jemand hatte sich so viel Vernachlässigung, also der schlimmsten wird ja nur unterdrückt. Was es längerfris- erhofft an Identität und Selbstsicherheit Trias, die es gibt, für die der transsexuelle tig für die Entwicklung bedeutet, kann man und hat unheimlich Druck gemacht und Weg tatsächlich ein Ausweg aus dem überhaupt noch nicht beurteilen. man hat dem nachgegeben. Jetzt ist er Nichtbewältigbaren war. Wo sie eine ande- Ich gehöre zu denen, die das kritisie- operiert und vermännlicht, aber er hat das re, bessere Identität entwickeln konnten. ren. Ich bin immer noch nicht davon über- Gefühl: Ich weiß immer noch nicht, wer Es lässt sich nicht alles behandeln, was zeugt, dass es gut ist, die Pubertät so zu ich bin. Das gibt es durchaus. man versteht. unterdrücken. Die Leute, die das befür- Also wenn ich eine Ursache vermute, worten, und die sind in der Mehrheit und Kann etwas wie Trans* aussehen, aber heißt das nicht: Damit ist der transsexuelle haben sich auch faktisch durchgesetzt, die etwas anderes sein? Weg automatisch falsch. Die Frage ist im- sagen: Dadurch ermöglichen wir ihnen ein Es gab die klassische Differentialdiagnos- mer: Stabilisiert es die Person – oder nicht? besseres Passing (Übergang ins Wunschge- tik. Hat jemand das Tragen der Kleidung Andere würden Ihnen allerdings sagen: schlecht, d. Red.), sie bleiben kleiner oder des anderen Geschlechts als sexuell erre- Das ist alles schon von Geburt an festge- sie entwickeln nicht die starken männli- gend empfunden, dann ist er Transvestit legt, das ist das Hirngeschlecht, das kann chen Geschlechtsmerkmale und es geht und kann nicht transsexuell sein. Nun gibt man alles nur bestätigen und darüber psy- ihnen deshalb in Zukunft besser. Natürlich, es die Gruppe, die ich immer die Spätberu- chodynamisch nachzudenken ist Men- fenen nenne. In der Fachliteratur heißen schenrechtsverletzung. sie late-onset, also die Mann-zu-Frau- Transsexuellen, die relativ spät in ihrem Leben damit herauskommen. Wir wissen Also sind die Ursachen auf jeden Fall komplex. Beratung finden von dieser Gruppe, dass es da relativ viele Ja. Unsere eigene geschichtliche Entwick- Sie suchen eine Beratungs- gibt, die einen Transvestitismus in der Vor- lung ist ja auch nicht etwas, was einfach da stelle in Ihrer Nähe? geschichte hatten. Es gibt Leute, wo ein war, und – Bingo! – haben wir’s gefühlt. Geben Sie einfach Ihre Post- Transvestitismus irgendwann in eine Jeder hat männliche und weibliche Antei- leitzahl ein unter transsexuelle Entwicklung mündet. Des- le, das ist ja auch Entwicklung. Ich habe in halb hat man die Differentialdiagnose den letzten Jahren viele Therapien ge- www.weisses-kreuz-hilft.de Transvestitismus weitgehend aufgegeben. macht mit Leuten, die das alles hinter sich 13
wenn Sie 1,97 m groß sind und riesige Darf man eigentlich Mühe mit so einem täuscht sind. Deshalb gehört für mich zur Hände haben und heißen Chantal, ist es Wunsch haben oder damit, von heute auf guten Psychotherapie bei Transsexuellen nicht so einfach. morgen einen anderen Namen zu sagen? etwas, das ich aktive Desillusionierung Das verstehe ich als Argument. Ich fin- Man kann auch durchaus sagen: Es fällt nenne. D. h. vor der Operation die Grenzen de allerdings in der Abwägung den Eingriff mir schwer. Die Patienten unterscheiden der Möglichkeiten mit dem Patienten bear- in die Entwicklung sehr groß. Das ist kont- sehr fein, ob die Eltern sich Mühe geben, beiten, so dass sie realistische Erwartungen rovers in der Fachwelt, aber die Mehrheit aber sich versprechen, oder ob sie’s einfach haben, weil sonst eine maßlose Enttäu- denkt inzwischen schon, dass das eine nie machen und so tun, als sei es nicht. Ich schung erfolgt. Es ist eine Geschlechtsan- gute Methode ist. Sie sei ja reversibel. Na- kenne jemanden, der lebt jetzt schon jah- gleichung. Jemand sagte mal: „Irgendwie türlich kann man die Pubertätsblocker ab- relang vollkommen als Mann, ist total sind wir Kunstfiguren.“ Es gibt Grenzen der setzen, aber im Großen und Ganzen, wenn überzeugend. Der Vater ist in einer evan- Medizin. Auch wenn man heute immer man die Behandlung mal angefangen hat, gelischen Sekte – die können ja manchmal mehr machen kann. Es ist wichtig, dass die geht sie auch weiter. sehr strikt sein – und der ignoriert das ein- Leute sich damit auseinandersetzen. Jetzt ist ja Ihre Frage: Was sagt man El- fach. tern? Mich rufen relativ viele Eltern an und Also es ist auf jeden Fall ein langer und sagen dann: Wir wollen nicht, dass das Immer wieder wird darauf hingewiesen, strapaziöser Weg. Kind in die Uniklinik kommt, weil wir wis- dass Trans*Menschen sehr verletzlich Deshalb sagen auch manche Leute: Ich will sen, dann geht’s schnell los. Und andere sind und die Gefahr der psychischen In- Psychotherapie, weil ich weiß, dass das gehen in einer Geschwindigkeit vor, dass stabilität da ist. schwierig ist, und ich will die anderen Din- mir selber manchmal die Ohren schla- Es hat immer auch etwas mit deren Vorer- ge in meinem Rucksack, die Steine, die da ckern. Es gibt beides. Mein Vorschlag ist fahrungen zu tun. Es gibt Leute, die haben noch lasten, loswerden, damit ich diesen eigentlich immer: Es ist gut, das Kind hat überhaupt keine negative Erfahrung ge- Weg auch in voller Stärke gehen kann. eine Therapie, in der es das alles auspro- macht. Die kommen gut damit zurecht, bieren kann. So viel Freiraum und Mög- sind in ihrem Umfeld akzeptiert. Es gibt Zurzeit scheint es mir aber fast eine Eu- lichkeiten, sich auszuprobieren, wie mög- andere, die haben Mobbingerfahrungen phorie zu geben: Es gibt eine Vielfalt, du lich und so wenig somatische Eingriffe wie gemacht und sind natürlich ganz anders kannst dir aussuchen, ob du Mann oder möglich. Da würden aber andere wider- verletzlich. Man muss nicht alle wie ein ro- Frau sein willst oder noch was anderes. sprechen. hes Ei behandeln. Es gibt auch welche, die Ich war kürzlich zu einer Tagung, da wur- Sozial, denke ich, kann man viel aus- das relativ offensiv vertreten: Ab jetzt habt de eine Gruppe Jugendlicher interviewt. probieren. Es gibt Leute, die vertreten in- ihr mich soundso zu nennen. Und man Die haben alle gesagt, sie sind Trans*. zwischen, man sollte – wenn die das schon muss sich dem auch nicht immer sofort „Also jetzt nehme ich Hormone, und dann im Vorschulalter sagen – sie schon in der beugen. später nehme ich mal keine, und dann wer- neuen Rolle in die Schule einschulen, ohne Ich nehme jetzt mal Ehepaare. Diese de ich schwanger, und dann werde ich wie- dass die andern das wissen. Ich glaube, es Spätberufenen, late-onset, sind oft verhei- der welche nehmen.“ Man kann alles ma- ist besser, die Mitschüler erfahren das ir- ratet und haben Kinder. Jetzt gibt es Frau- chen. Ich habe nur für mich gedacht: Das gendwann und gehen damit um, da habe en, die sagen: Kein Problem! Und dann ist die ganz normale jugendliche Omnipo- ich auch ganz gute Erfahrungen. Sie sollen merken sie: Es ist doch ein Riesenproblem. tenz, wo man alles kann und gar nichts. alles sozial ausprobieren können, aber sich Ich finde immer am günstigsten, wenn die Firmiert aber unter dem Label „Trans*“. nicht gleich festlegen: Jetzt ist man trans- Ehefrau sagt: Es ist für mich ein Problem. Es gibt auch Lobbyistinnen, die sagen: sexuell. Ich glaube nicht, dass man mit elf Bitte lass mir Zeit, dass ich rausfinde, ob Warum nicht mehrfach im Leben hin und die Diagnose Transsexualität stellen kann. ich damit zurechtkomme. Es gibt manche, her? Würde ich sagen: Sozial habe ich Andere Leute sagen, sie können das. die ihren Partnerinnen genügend Zeit las- nichts dagegen, wenn die Leute gern ein sen, und es gibt manche, die so damit be- Jahr Günther, ein Jahr Maria sind, mich Gibt’s denn Begleitungsmöglichkeiten schäftigt sind, das jetzt durchzuziehen, stört es nicht. Wenn sie aber körperliche eigentlich für die Familie, für Eltern? dass sie die Frau überrennen. Eingriffe vorgenommen haben, dann ist es Viel zu wenig. Es gibt Gruppen, wo die was anderes. Oder Hormone, die ja auch Leute selbst so was gegründet haben für Stichwort Suizidalität? seelisch wirken. Angehörige, aber eigentlich gibt es zu we- Es sind nicht alle suizidgefährdet. Und Es ist so ein bisschen „Anything goes“ nig Angebote. Es gibt auch Eltern, die ganz wenn jemand suizidgefährdet ist, dann aus und „Alles ist easy“. Es gibt ein Buch von verzweifelt sind, weil sie das Gefühl haben, ganz unterschiedlichen Gründen, z. B. einer Medizinhistorikerin, das heißt „Trans das Kind geht jetzt in diese Richtung, und wenn jemand eine lange Leidensgeschich- im Glück“. Das liest sich wirklich so: Wenn sie haben das Gefühl, es hat mit was ganz te hinter sich hat. Ich hatte einen Patien- Sie alles richtig machen, Ihre Kollegen ver- anderem zu tun. Denen sag ich aber auch: ten, den die Familie mit dem Leben be- nünftig aufklären – die Trennung von der Wenn Sie sich nur dagegen stellen, dann droht hat, wenn er nicht aufhört, als Mann Ehefrau ist ein halber Satz – ist alles prima. passiert gar nichts. Am wichtigsten ist, zu leben. Es gibt Leute, wo man sagen Und da denke ich an die Leute, die ich so dass Sie im Kontakt bleiben und den kann, es sind Folgen der sozialen Ausgren- gesehen habe, wie mühsam es ist, auch bei Wunsch nicht als solches ablehnen. Son- zung, die sie suizidgefährdet machen. denen, wo es gutgegangen ist. Oder es gibt dern sagen, o.k., lass uns mal gucken, wie Es gibt aber auch Leute, die illusionäre Verheiratete, die Angst haben, die Frau zu das geht und wie du damit leben kannst, Erwartungen haben an das, was die Medi- verlieren. Und gleichzeitig immer stärker und das ausprobieren usw. zin kann und in der Folge furchtbar ent- das Gefühl haben, sie müssen ganz als Frau 14 Weißes Kreuz Zeitschrift 4 | 2018
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