Wem nützt die Privatisierung öffentlicher Aufgaben? - Birgit Mahnkopf Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Vortrag bei der Stiftung ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Wem nützt die Privatisierung öffentlicher Aufgaben? Birgit Mahnkopf Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Vortrag bei der Stiftung Demokratie Saarland, Saarbrücken, 21. 09.2009 mahnkopf@hwr-berlin.de
Die Trias der Globalisierung Liberalisierung: sorgen dafür, Öffnung von Märkten für ausländische Waren dass so viel / Dienstleistungen und Direktinvestitionen wie möglich Öffnung von Staatsaktivitäten für privatwirtschaftliche den Konkurrenz Märkten Deregulierung: überlassen Rücknahme von Normen, Regeln, Gesetzen, die wirtschaft- wird liches Handeln in politisch gewünschte Bahnen lenken Privatisierung: • Verkauf öffentlicher Einrichtungen an die Privatwirtschaft • Langfristige Konzessionen / Verpachtung • Public-Private-Partnership (private Betreibertätigkeit) mahnkopf@hwr-berlin.de
Historische und praktische Gründe für die öffentliche Erbringung von Dienstleistungen 1. Angesichts der hohen Kosten für den Aufbau von Infrastrukturen und beschränkten Profitmöglichkeiten für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen fehlte es z.T. an interessierten privaten Unternehmen 2. Im Falle von Bildung, Gesundheitsversorgung. öffentl. Verkehr etc. handelt es sich um „öffentliche Güter“ die wichtige gesellschaftliche Funktionen erfüllen für die ein allgemeiner und gleicher Zugang daher wesentlich ist die deshalb nicht dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage überlassen werden können die daher unter öffentliche Kontrolle gebracht wurden durch öffentliche Subventionen oder durch eine Kombination von Subventionen und Gebühren finanziert wurden mahnkopf@hwr-berlin.de
Die private Bereitstellung öffentlicher Leistungen Wurde in der Vergangenheit in Verbindung gebracht mit: ruinösem Wettbewerb Nationale Betreibergesellschaften als zentrale Instrumente staatlicher Wirtschaftspolitik (im Post-, Telegraphen- Messlatte privater und Telefonwesen, bei der Energie- und oder öffentlicher Wasserversorgung, im öffentl. Nahverkehr Erbringung von Leistungen der etc.) Daseinsvorsorge: Ausführung sozialer und der öffentlich- infrastruktureller Maßnahmen durch rechtliche Zweck nicht-staatliche Akteure (nach des Gemeinwohls Subsidaritätsklausel) „Erlaubt ist, was dem Bürger nutzt“ mahnkopf@hwr-berlin.de
„Akkumulation durch Enteignung“: die Umwandlung von öffentlichen, kollektiven, staatlichen Eigentumsrechten in exklusive Privateigentumsrechte 1. Das Binnenmarktprojekt als institutioneller Rahmen für grenzüberschreitende A & M und die Entstehung von „European Champions“ Die neoliberale 2. Steigender Konkurrenzdruck für Gehirnwäsche Unternehmen durch neue Wettbewerber 3. Initialwirkung der Liberalisierung der Telekommunikationsbranche + Internet Die Fiskalkrise des Staates in Folge von 4. Die Deregulierung globaler Arbeitsmarktkrise und Finanzmärkte und der US-Export von demographischer „Finanzinnovationen“ Entwicklung 5. Durchsetzung von globalen Eigentumsrechten (TRIPs) 6. Absicherung von Liberalisierung und Deregulierung im Rahmen des GATS 7. Die Schocktherapie des IMF in OME mahnkopf@hwr-berlin.de
Die Lissabon Strategie – oder: eine Harmonisierung der Sozialordnungen steht nicht zur Debatte Die soziale Dimension wird in den Dienst des übergeordneten Wettbewerbsprinzips gestellt Sozial/ Familien/ Bildungs/Gesundheits/ Rentenpolitik werden auf ihren Beitrag zur Steigerung wirtschaftlichen Wachstums reduziert • Vorbild ist die “investive Sozialpolitk” US-amerikanischer Herkunft: Sozialausgaben sollen sich auszahlen • eine gezielte, sozial gestaltende Umverteilung zugunsten schwächerer Bevölkerungsgruppen ist nicht vorgesehen mahnkopf@hwr-berlin.de
Das alte “europäische Sozialmodell” unter dem Druck des Neoliberalismus De-Kommodifizierung der Gemeinsame Merkmale des „alten Lohnarbeit/ der sozialen ESM“: Existenz Universeller Wohlfahrtsstaat Staat als Instanz des Staatliche Intervention in das sozialen Ausgleichs wirtschaftliche Geschehen Anwendung des Mechanismen außermarktlicher Rechtsstaatsprinzips auch Koordination auf die Güter- und Öffentliches Eigentum von Arbeitsmarktordnung??? Schlüsselindustrien + Infrastruktureinrichtungen Gleicher Zugang zu Gütern und Institutionalisierte Diensten der Daseinsvorsorge Solidarität Angleichung von Die wichtigsten Säulen eines „ESM“: Unterschieden der Prinzip der Zwangsversicherung (meist Qualifikation, Branche, finanziert durch Umlagesysteme) Region = Lebenslagen Branchen- und Flächentarifverträge „Sozialohn-Bestandteile“ Dichtes Netz von öffentlichen Diensten als Voraussetzung des Massenkonsums mahnkopf@hwr-berlin.de
Argumente für die Privatisierung 1. Spareffekte durch Privatisierung weil die Einzelnen bestimmte Auf- gaben selbst finanzieren werden weil bei individueller (Kosten-) Verantwortung Risikosituation gemieden werden 2. Mehr Demokratie durch Entstaatlichung - weil die Bürger ihre Lebensräume eigenständig organisieren, gestalten und verantworten müssen 3. Bessere Wirtschaftlichkeit 4. Qualitätssteigerung bei den Dienstleistungen mahnkopf@hwr-berlin.de
Schritte zur Privatisierung 1. Einführung von Marktpreisen/ Erhöhung von Benutzergebühren 2. Beschneiden öffentlicher Mittel für die Aufrechterhaltung qualitativ hochwertiger öffentlicher Dienstleistungen (häufig einhergehend mit Deregulierung, die privatwirtschaftliche Beteiligung und Investitionen ermöglicht) 3. Verschlechterung der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen 4. Zunahme des Angebots privater Dienste – entsprechend der Nachfrage derjenigen Menschen, die sich die privaten Dienste leisten können mahnkopf@hwr-berlin.de
Charakteristika der Privatisierung und Liberalisierung Vermarklichung und Kommerzialisierung der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen Unterbinden von Quersubventionierung unprofitabler Geschäftsbreiche durch profitable Privatisierung der Gewinne bei Sozialisierung der Verluste Übergang zu Marktpreissetzung Entdemokratisierung der Regulierung mahnkopf@hwr-berlin.de
Befunde zur Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Leistungen Im Hinblick auf: Qualität und Versorgungssicherheit Leistbarkeit universelle Verfügbarkeit Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, Entlohnung: widersprüchlich bis negativ wo positive Effekte identifizierbar sind (Strom, Gas, Telekommunikation), lassen sich diese nicht auf die Privatisierung zurückführen Vgl. AK Wien, PRESOM.EU, PIQUE (FORBA, Wien) mahnkopf@hwr-berlin.de
Lehren aus der Liberalisierung und Privatisierung von Post und Stromversorgung in Europa 1. Die Liberalisierung führt zu Preisreduktionen v.a. für Großkunden 2. Einsparungen werden erzielt durch Rückgänge bei Investitionen, Wartung und Instandhaltung sowie durch den Ausverkauf von Investitionsgütern (Immobilien) und massiven Personalbbau 3. Es findet eine positive Diskriminierung von Großkunden (Stromversorgung) und Bewohnern von Ballungsräumen (Postdienste) statt 4. Nur durch aktive Einschaltung von Regulierungsbehörden lassen sich Verheerende soziale Auswirkungen entschärfen mahnkopf@hwr-berlin.de
Einige Schlussfolgerungen 1. Die Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen führt nicht generell aber sehr häufig zu einer Verschlechterung der Leistungen 2. Überall geht eine private Grundversorgung mit größeren Risiken für benachteiligte Gruppen 3. Bei Infrastrukturleistungen führt die Übertragung eines natürlichen Monopols auf einen privaten Betreiber häufig zu höheren Preisen 4. Grundsätzlich unterminieren Liberalisierung, Kommerzialisierung und Privatisierung der Grundversorgung die soziale Demokratie 5. Selbst schlechte Leistungen staatlicher Einrichtungen liefern keinen ausreichenden Grund für den Rückzug des Staates aus der Bereitstellung öffentlicher Güter – sondern verlangen nach erweiterten Partizipations- und Kontrollrechten der Bürger und nach einer Universalisierung solidarischer Umverteilungssysteme (bspw. in der Gesundheitsversorgung) mahnkopf@hwr-berlin.de
Die uneinlösbaren Versprechen der Privatisierung 1. Privatisierung= Überforderung des Einzelnen Selbstbestimmung/ • in finanzieller Hinsicht Freiheit des Einzelnen • weil individuelle Absicherungen gegen die Entwertung von finanziellen und Human-Ressourcen im Kapitalismus gar nicht möglich sind • weil private Anbieter Gewinne realisieren müssen, daher schlechte Risiken aussortieren • basiert auf der Kostenverlagerung zu Lasten 2. Privatisierung = schwächerer Marktteilnehmer Effizienzsteigerung • ist ein kurzfristiger Effekt • erweist sich aus einer volkswirtschaftlichern • Perspektive als nicht verifizierbar – wegen des Rückgangs positiver „externer Effekte“ mahnkopf@hwr-berlin.de
Privatisierung= Effizienzsteigerung? Am Beispiel: PPP im Infrastrukturbereich • Die Bundesregierung will künftig 15% aller Infrastrukturinvestitionen über sogenannte PPP umsetzen • Große Bauunternehmen, Investmentbanken, Beratungsfirmen und Kanzleien haben bereits große PPP-Abteilungen geschaffen • Bei den geplanten PPP im Autobahnausbau geht es um 600 km Asphalt und ein Gesamtvolumen von 5 Mrd €: private Konsortien sollen für den Bund die Fernstrassen bauen und dafür die dort anfallende LKW-Maut kassieren (meist 30 Jahre lang) • Der Bundesrechnungshof zweifelt die Wirtschaftlichkeit der Bündnisse an: der Bund kalkuliert mit (überschaubaren) Einnahmeverlusten – die privaten Betreiber errechnen aber riesige Einnahmeströme Wenn der Bund recht behält, droht den Privaten die Insolvenz, behalten die Privaten recht, ergibt sich für den Bund „ein erheblicher wirtschaftlichern Schaden“ (FTD 17.7.2009 nach „Capital“) mahnkopf@hwr-berlin.de
Längerfristige Folgen der „Akkumulation durch Enteignung“ Der öffentliche Dienst verliert Verschlechterung der Bedingungen für seine Vorreiterfunktion Beschäftigung, Entlohnung, Interessen- vertretung, Ausbildung, Gleichstellung und Qualität von DL Der soziale Zusammenhalt Verdrängung des Systems der zerbricht Zwangsversicherung durch ein 2(3)- Säulenmodell Qualitätsverlust von öffentlichen Gütern Rückzug des Staates auf eine Moderatorenrolle, die Entwicklung vom Steuer- zum Gebührenstaat, den Verzicht auf sozialen Ausgleich Die Demokratie wird „hohl“ – Verkümmerung des „homo politicus“ zum ohne substanzielle soziale „homo oeconomicus“ Bürgerrechte Entsolidarisierung und Entpolitisierung der Gesellschaft mahnkopf@hwr-berlin.de
Zwischenresümee Die Privatisierung ist alles andere als ein Sachzwang Damit werden mächtige Interessen bedient. Bei der noch nicht abgeschlossenen „inneren Landnahme des Kapitalismus (R. Luxemburg) handelt es sich um eine neue Etappe in einem globalen Verteilungskampf Nur geht es heute nicht mehr nur um Lohneinkommen vs. Gewinne - sondern um Lebensgüter, die für eine menschenwürdiges Leben, elementare Menschenrechte und menschliche Entwicklung von elementarem Interesse sind unverzichtbar sind Einmal in gang gesetzt können Privatisierungen nur unter großen Schwierigkeiten wieder rückgängig gemacht werden mahnkopf@hwr-berlin.de
Welche Strategien gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge in Europa ? Beibehaltung rein nationaler Daseinsvorsorge oder einheitlicher Rahmen für die rechtliche, finanzielle, organisatorische Gestaltung der Daseinsvorsorge in der EU ? Auf kommunaler Ebene sind Privatisierungen v.a. Folge budgetärer Zwänge -- Potential für breite Bündnisse ? Staat und zentrale Bürokratien sind nicht prinzipiell weniger effizient als private Anbieter - wie läßt sich mehr Einflussnahme seitens der Bürger/innen institutionalisieren ? Notwendig sind: höhere Nutzerfreundlichkeit, besserer Kundenservice, gute Betriebsführung - das kann in staatlicher Regie, in Genossenschaften, in Non-Profit- Organisationen verwirklicht werden Massives Engagement für eine Re-Verstaatlichung von Telekommunikation und Post z.Zt. wohl aussichtslos aber für eine Vergemeinschaftung /Verstaatlichugn der Banken stehen die Chancen deutlich besser Weitere Privatisierungen (bei Bahn, Gesundheitsversorgung, Bildung etc.) sollten unbedingt verhindert werden – und zwar so, dass sie auch bei einem erneuten Wirtschaftsaufschwung “tabu” sind Wo die Privatisierung schon weit vorangeschritten ist, geht es um die Verbesserung der regulativen Rahmenbedingungen mahnkopf@hwr-berlin.de
Eher ein Wunschtraum: Die Finanz- und Wirtschaftskrise als Chance… für eine Neuverhandlung der vertraglichen Grundlagen der EU? der Stabilitätspakt ist längst Makulatur die europäische Wettbewerbspolitik wird in der Krise ad absurdum geführt Für einen europäischen Sozialpakt ? der soziale Grundrechte auf Arbeit, Wohnen, Bildung, Gesundheitsversorgung etc. garantiert? Öffentliche Daseinsvorsrge als eigenständigen Pfeiler im EU-Vertrag verankert – und vom Binnenmarkt-, vom Wettbewerbs– und Vergaberecht ausgenommen wird? Einfügung einer Klausel im EU-Vertrag, die klarstellt, dass soziale Grundrechte und Gewerkschaftsrechte (insb. Versammungs- und Vereingungsfreiheit) im Konfliktfall Vorrang haben vor Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheiten ? mahnkopf@hwr-berlin.de
Der Diskurs über die Krise und die Rolle des Staates Die Krise als Amalgam aus: massenhaftem Konsumismus, „Leben auf Pump, laxer Geldpolitik, Aber: kulturell bedingtem Mangel an Eigenverantwortung • Ausblendung der und zukunftsorientierter Vorsorge + institutionelle politischen Zusammenhänge Regelungen, die Kurzfristorientierung in allen von Finanzmarkt- und Lebens- und Wirtschaftsbereichen verstärkt haben? Sozialstaatskrise Die Antwort auf die Krise: „Übertreibungen“ auf • keine Re-Regulierung ein „realistisches Maß“ zurückführen und eine der Arbeitsmärkte stärkere Verantwortung des Staates für neue regeln auf globalen Finanzmärkten! • keine Rücknahme von Privatisierung Hat nur im „Wallstreet-Washington-Korridor“ (S. Johnson) eine elitäre Finanzoligarchie in einem • keine Thematisierung „stillen Coup“ die Macht ergriffen – und sorgt der Regulierungen nun dafür, dass der „gekaperte Staat“ auch in der zugunsten der Krise nicht das tun kann, was nötig wäre? ´corporate interests´ und des Prinzips ´too bis to fall´ Die Hegemonie des Neoliberalismus ist nicht gebrochen mahnkopf@hwr-berlin.de
„Sand ins Getriebe“ der „Satansmühle“ der kapitalistischen Ökonomie ? • Versuche zur Regulierung der Finanzmärkte greifen zu kurz • Es müssen die Ansprüche von Geldvermögensbesitzern zurecht gestutzt werden • Akkumulierter Reichtum muss in neue rentable, aber zukunftsträchtige Investitionsmöglichkeiten umgelenkt werden • Die Haushaltsausgaben in den Industrieländern müssen vom Konsum zu sozialen und kulturellen Dienstleistungen umgelenkt werden • Entscheidend aber ist: die Faktoren Arbeit, Natur und Geld aus dem Markt heraus zunehmen und sie wieder in die Gesellschaft „einzubetten“ und eine Vielzahl von Maßnahmen, die in der wohl schwersten Krise des Kapitalismus nach wie vor nicht auf der Tagesordnung stehen! mahnkopf@hwr-berlin.de
Sie können auch lesen