Wenn Kinder Krieg und Kata strophen in den Medien sehen

Die Seite wird erstellt Lennard Bauer
 
WEITER LESEN
FORSCHUNG
                 24/2011/2                                                                                              35

                                                     Dafna Lemish

          Wenn Kinder Krieg und Kata­
         strophen in den Medien sehen
     Der internationale Forschungsstand zur Kriegs- und Krisenberichterstattung für Kinder1

Aus einer Forschungsperspektive         wicklungsstufen, mit unterschiedli­           als bislang angenommen wurde. Die
wird die Rolle der Medien bei der       cher Medienkompetenz und Reife                Ergebnisse zeigen auch, dass sie sich
Kriegs- und Krisenberichterstat-        verfügen über unterschiedliche Fä­            bei der Aneignung von Wissen über
tung für Kinder beleuchtet. Es wer-     higkeiten und kognitive Schemata              Ereignisse in der Welt und in ihrer
den sowohl Aspekte der Rezeption        sowie Interessen und Erfahrungen,             eigenen Gesellschaft den Nachrich­
und Produktion von Medientexten         mithilfe derer sie Nachrichtenberichte        tenmedien aktiv zuwenden. Welche
durch Kinder als auch die Sicht-        verarbeiten können. Außerdem spielt           Rolle die Medien für Kinder bei der
und Vorgehensweisen von Produ-          ihr sozio-kulturelles und politisches         Verarbeitung von Katastrophen- und
zentInnen von Kindernachrichten         Umfeld sowie der Umgang der Er­               Kriegsbildern einnehmen, wird im
zusammengetragen.                       wachsenen mit den Themen zu Hause             Folgenden aus 2 sich ergänzenden
                                        und in der Schule eine wichtige Rolle         Blickwinkeln dargestellt: Zunächst

I
                                        für die Verarbeitung.                         wird die Rolle von Kindern als Re­
     n einer zunehmend globalisierten   Mehr und mehr Forschungsergeb­                zipientInnen dieser Bilder diskutiert,
     Welt werden Kriege und Kata­       nisse zur Nachrichtenrezeption und            anschließend werden die Standpunkte
     strophen, die in Tausenden von     zum Interesse von Kindern am Welt­            der ProduzentInnen von Krisenbe­
Kilometern entfernten Ländern ge­       geschehen deuten darauf hin, dass             richten für Kindersendungen unter­
schehen, durch die Medien Teil der      Kinder weit mehr über Konflikte und           sucht.
Alltagswelt von Kindern. Die Nach­      Katastrophen aufnehmen und wissen,
richten berichten von aktuellen Kon­
                                                                                         Kinder als RezipientInnen
flikten in Afghanistan, Ägypten, dem
Irak, Libyen, Palästina, Syrien und
dem Jemen, und Naturkatastrophen                                                      Kinder als Betroffene von Kriegen
wie Erdbeben, Tsunamis und Hur­                                                       und Katastrophen
rikane stehen auf der ganzen Welt im                                                  Kriege, bewaffnete Auseinanderset­
Fokus der medialen Aufmerksamkeit.                                                    zungen, Terroranschläge und Kata­
Was bedeutet diese technologische                                                     strophen stellen Krisenzeiten dar, in
und gesellschaftliche Entwicklung                                                     denen die BürgerInnen von Ländern
für Kinder? Kinder hören, sehen und                                                   in der ganzen Welt, Kinder inbe­
beschäftigen sich mit diesen beunru­                                                  griffen, verstärkt mit Chaos, einem
higenden, oft erschreckenden Ereig­                                                   Verlust der Kontrolle über das eige­
nissen, die einst Erwachsenen vorbe­                                                  ne Leben und einem großen Infor­
halten waren. Mühevoll nehmen sie                                                     mationsbedarf konfrontiert werden.
Informationsteile aus den Medien auf                                                  Sie wünschen sich Hilfe bei der Ein­
und versuchen, diese zu sinnvollen                                                    ordnung der Ereignisse und möch­
Erkenntnissen zusammenzufügen.                                                        ten über Entwicklungen informiert
Sie müssen sich zudem emotional                                                       werden, die eine bessere Zukunft in
mit dem Leid anderer Menschen und                                                     Aussicht stellen. Auch Kinder sind
                                        Bei Yariv aus Israel stehen die Staatsober-
Gräueltaten auseinandersetzen. Kin­     häupter George Bush und Saddam Hussein        inmitten einer Krise von den Medien
der verschiedener Alters- und Ent­      im Zentrum seines Bildes über den Irakkrieg   abhängig: Oftmals dürfen sie aus Si­
FORSCHUNG
36                                                                                                             24/2011/2

cherheitsgründen ihr Zuhause nicht        fliktparteien, politischen Bewegun­        nis und Angst zeigen. Berichte über
verlassen, die Familie konzentriert       gen, Entwicklungen und Konse­              Kriegs-, Konflikt- und Krisensituati­
sich stärker auf Nachrichten als in       quenzen etc. Außerdem analysierten         onen rufen bei jungen ZuschauerIn­
Friedenszeiten, die Eltern sind bei       sie die emotionalen Reaktionen der         nen Gefühle von Traurigkeit, Angst
der Kontrolle des Fernsehkonsums          Kinder (z. B. Furcht, Traurigkeit,         und Betroffenheit hervor, was sich
nachlässiger, und wie alle anderen        Ärger, Hass) auf die Berichterstat­        häufig in Weinanfällen, Albträumen
Familienmitglieder haben sie ihre in­     tung. Zum Irakkrieg 2003 wurde             und Schlafstörungen äußert. Die For­
dividuellen Bedürfnisse nach Infor­       weltweit recht viel geforscht. Eine        schungsliteratur legt auch nahe, dass
mation, Interpretation der Gescheh­       Studie wurde bei Kriegsausbruch in         das Alter eine zentrale Rolle bei die­
nisse, dem Abbau von Unsicherheit         3 Ländern gleichzeitig durchgeführt:       sen Prozessen spielt: Jüngere Kinder
und Anspannung.                           in den USA, die am Irakkrieg beteiligt     bis zum frühen Schulalter reagieren
Als Hauptinformationsquelle über ak­      waren, in Deutschland, das sich vehe­      stärker auf erschreckende Bilder und
tuelle Ereignisse stellen die Nachrich­   ment gegen den Krieg stellte, und in       starke Geräusche und fürchten um
ten komplexe kognitive Herausforde­       Israel, das sich auf einen möglichen       das Wohlergehen ihrer Angehörigen.
rungen für die Kinder dar: Durch die      Angriff durch den Irak vorbereite­         Mit zunehmendem Alter und fortge­
Nachrichten werden sie – auf Bild-        te (Lemish 2007; Götz 2007; Seiter         schrittener kognitiver Entwicklung,
und Textebene – mit einer Vielzahl        2007). In den 3 Fallstudien bekamen        etwa ab 9 Jahren, richten Kinder ihre
komplexer Themen konfrontiert,            8- bis 10-Jährige in Einzelinterviews      Aufmerksamkeit vermehrt auf die
mit Vertrautem und Unbekanntem,           und Zeichnungen die Gelegenheit,           Inhalte der Fernsehsendungen (z. B.
Inländischem und Internationalem.         ihre Meinung über den Krieg und            auf die Ursachen eines Konflikts oder
Charakteristisch für Nachrichtenbe­       die Frage, inwiefern die Medien ihre       künftige Bedrohungen) und äußern
richte sind die Kürze der Informa­        Meinung prägen, auszudrücken. Die          Besorgnis über abstraktere Gefahren
tionseinheiten, die zahlreichen Cuts      Studie belegt, wie stark sich die Kin­     wie politische oder strategische As­
und Szenenwechsel, ohne Pausen            der auf Nachrichtenberichte verlas­        pekte von Konflikten oder die Angst
oder Reflexionszeit zwischen den          sen und dass diese eine Rolle bei der      vor einem Atomkrieg (vgl. Cantor/
Einheiten. Audiovisuelle Einheiten        Sozialisierung in Richtung der vor­        Mares/Oliver 1993; Smith/Moyer-
sind häufig falsch zusammengestellt,      herrschenden Perspektive des Landes        Gusé 2006; Smith/Wilson 2002).
sodass eine verwirrende Diskrepanz –      spielen. US-amerikanische Kinder in­       Dabei zeigt sich, dass die Ängste
oft sogar ein Widerspruch – zwischen      terpretierten den Krieg vorwiegend         der Kinder mit zunehmendem Alter
Bild- und Textinformation entsteht.       als persönlichen Kampf zwischen            nicht weniger werden, sondern sich
Viele Bilder sind schockierend, chao­     den 2 Staatsoberhäuptern George            verändern, da sie in höherem Alter
tisch, zeigen Zerstörung und Leid und     Bush und Saddam Hussein; deutsche          anders auf verschiedene Stimuli re­
werden oft von lauten Geräuschen          Kinder übernahmen die ablehnende           agieren. Auch ist die emotionale Re­
und hastigen Stimmen begleitet. Die       Haltung gegenüber dem Krieg; isra­         aktion von Kindern, die sich mit den
Sprache der ReporterInnen ist meist       elische Kinder stellten den Irakkrieg      Opfern identifizieren und empathisch
sehr schnell und bedient sich vieler      in einen Zusammenhang mit dem              mitfühlen, erheblich stärker als die
unbekannter Abkürzungen und Kon­          (damit unverbundenen) israelisch-          von Kindern, die weniger Identifikati­
zepte, die prägnanten Zitate sind kurz,   arabischen Konflikt, wie er sich aus       on und Empathie zeigen (vgl. Walma
und es werden viele weitere Stimuli       ihrer Sicht darstellte. Die länger ange­   van der Molen/Konijn 2007).
wie Off-Töne, Hintergrundgeräu­           legte amerikanische Fallstudie zeigte
sche, Computergrafiken, Statistiken       auch, wie sich die Wahrnehmung der         Kinder als ProduzentInnen von
und Tabellen eingesetzt. Wie gehen        Kinder veränderte, als der allgemeine      Medientexten
Kinder mit diesen Medientexten um?        Mediendiskurs offener und diverser         Ein zweiter Forschungsschwerpunkt
Wie verstehen sie sie? Welchen Stel­      wurde.                                     richtet sich auf die Rolle von Kindern
lenwert haben sie für Kinder in Kri­      Eine der häufiger untersuchten Fra­        als ProduzentInnen von Medientexten
sen- und Kriegszeiten?                    gen in diesem Zusammenhang ist             über Krieg und Katastrophen: ihre
                                          die nach den emotionalen Auswir­           Briefe, die sie an Webseiten sende­
Kinder als Nachrichten­                   kungen beunruhigender Nachrich­            ten, ihre eigenen Videos und Repor­
rezipientInnen                            ten auf Kinder im Allgemeinen              tagen, ihr Feedback an erwachsene
Rezeptionsstudien zur Wahrnehmung         sowie die Entwicklung von Furcht           ProduzentInnen, welche Ideen sie für
konflikthaltiger Medientexte durch        und Angst im Speziellen. Die For­          attraktivere und sinnvollere Kinder­
Kinder untersuchten deren Wissen          schungsergebnisse belegen, dass ein        nachrichten haben usw. (vgl. Alon-
und Verständnis der Konflikt- oder        hoher Prozentsatz der Kinder nach          Tirosh 2011; Carter 2007; Carter/
Katastrophenhintergründe, der Kon­        dem Sehen von Nachrichten Besorg­          Messenger 2005). Diese Studien las­
FORSCHUNG
                  24/2011/2                                                                                            37

sen uns besser verstehen, wie Kin­
der sich in der Öffentlichkeit, von der
sie eigentlich ausgeschlossen sind,
positionieren, und tragen neue Per­
spektiven zur anhaltenden Debatte
über das Desinteresse von Kindern
an gesellschaftspolitischen Themen
bei (vgl. Buckingham 2000) .
Kinder nehmen sehr wohl eine aktive
Rolle ein, wenn sie, wie auf Websei­
ten deutscher und holländischer Kin­
derfernsehsender, die Gelegenheit be­
kommen, ihre Wahrnehmungen zum
Krieg zu diskutieren (vgl. Nikken/
Götz 2007). Auch hier zeigte sich,
dass die Kinder maßgeblich vom Dis­
kurs ihres Heimatlandes beeinflusst
werden, denn die Beiträge deutscher
Kinder richteten sich viel stärker ge­
                                          Sean aus den USA zeichnet die Gefangennahme Saddam Husseins
gen den Krieg als die der holländi­
schen. Diese Ergebnisse zeigen, wie
wichtig es ist, Kinder an aktuellen       die weder für sie bestimmt noch al­        Länder, die ein ziemlich einheitliches
sozialen und politischen Debatten         tersgerecht aufbereitet sind und oft       Bild davon liefern, welche Kinder­
teilhaben zu lassen, und gerade das       Unverständnis und Bestürzung bei           nachrichtensendungen sich bemühen,
Internet ist ein leicht zugängliches      ihnen hervorrufen. Um den Kindern          die Themen auf ihr junges Publikum
und geeignetes Mittel für politische      eine ihrer Entwicklung angemessene         zuzuschneiden, sowohl im Hinblick
Partizipation. Eine ähnliche Studie       Alternative anzubieten, riefen viele       auf den Inhalt wie auch die Form
analysierte die Diskussionsbeiträge       Sender Kindernachrichten ins Leben,        und Struktur. Das Kinderpublikum
der Webseite von Newsround, ei­           um auf die Bedürfnislagen von Kin­         wird als emotional verletzlich und
nem BBC-Nachrichtenprogramm               dern einzugehen. Das zweite Augen­         arglos angesehen und ist allgemein
für Kinder in Großbritannien (vgl.        merk in diesem Forschungsfeld liegt        mit schlechter entwickelten kogni­
Carter 2007). Die Autorin konn­           nun auf den Medien und untersucht          tiven Fähigkeiten ausgestattet als
te anhand von Onlinediskussionen          die Perspektive der ProduzentInnen.        Erwachsene. Folglich sind die Kin­
über den Irakkrieg sowie über die         Der Blick richtet sich dabei auf die       dernachrichten im Vergleich zu den
später folgenden Bombenanschläge          Erwartungen und Bedürfnisse der            Erwachsenennachrichten auf deren
von London zeigen, dass Kinder den        Kinder an Medientexte, die in Kon­         spezifische Fähigkeiten gemünzt und
Wunsch haben, informiert zu sein und      flikt- und Kriegszeiten für sie produ­     sollen ein Gefühl von Sicherheit und
ihre Meinung zu äußern, und nicht         ziert werden, die informativ und ver­      Lösbarkeit hervorrufen, indem sie
von den oft brutalen Tatsachen ab­        ständlich sein und ihnen helfen sollen,    z. B. die Bedrohung auf eine weit ent­
geschirmt werden wollen. Aktuellere       mit schwierigen Situationen umzu­          fernte Region verlagern, Spannungen
Studien z. B. aus Großbritannien und      gehen. Hierzu bieten sich 2 ergän­         entladen etc. Außerdem werden Mel­
Israel (vgl. Carter u. a. 2009) liefern   zende Wege an: eine Inhaltsanalyse         dungen direkt und ohne Umschweife
weitere Belege dafür, dass – entgegen     der speziellen Nachrichtenprogram­         präsentiert, Komplexitäten und Am­
der landläufigen Meinung – Kinder         me und Unterhaltungssendungen für          bivalenzen werden vermieden. Der
keineswegs naiv oder gleichgültig         Kinder sowie eine direkte Analyse der      Inhalt wird in einer behutsamen und
demgegenüber sind, was in der Welt        Meinungen, Erwartungen, Entschei­          ausgewogenen Weise dargeboten,
um sie herum passiert.                    dungsfindungsprozesse, Produktions­        sodass den Kindern keine schwere
                                          richtlinien etc. der ProduzentInnen.       emotionale Last aufgebürdet wird.
                                                                                     Das Einschließen von tröstenden
      ProduzentInnen von                                                             und beruhigenden (manchmal sogar
                                          Inhaltsanalyse von Kindernach­
        Kindermedien                                                                 optimistischen) Aspekten wird als un­
                                          richtensendungen
Wie bereits dargestellt sind Kinder       Es gibt diverse Inhaltsanalysen von        erlässlich für das Wohlbefinden der
häufig Mainstream-Medien und              Kindernachrichtensendungen über            Kinder erachtet. Besonderer Wert
Nachrichtenberichten ausgesetzt,          Kriege und Konflikte verschiedener         wird darauf gelegt, Bild und Text der
FORSCHUNG
38                                                                                                               24/2011/2

Nachricht gut zu verflechten und bru­        welcher Verantwortung und Rolle sie      Eine ähnliche Studie mit Produzen­
tale oder erschreckende Bilder sowie         sich während des Irakkriegs sahen        tInnen (vgl. Lemish 2007) war auf
dramatische Geräusche zu vermeiden.          und welche Praktiken sie anwen­          die Rolle fokussiert, die Programm­
Häufig werden die Beiträge aus dem           deten, um den Kindern weltweit zu        verantwortliche von 3 israelischen
Blickwinkel von Kindern präsentiert.         helfen (Strohmaier 2007). Hin- und       Kindersendern in den Wochen der
Dadurch erhalten sie eine emotionale         hergerissen zwischen dem Wunsch,         Ungewissheit vor dem Ausbruch des
Note, die die Geschichte für die Kin­        den Kindern einen Rückzugsort von        Irakkriegs einnahmen. Die Interviews
der relevanter machen soll, Identifi­        der Anspannung und Angst, die die        dokumentieren die speziellen Vorbe­
kationsmöglichkeiten schafft und den         Nachrichtenberichte hervorrufen, zu      reitungen, die die ExpertInnen für
Kindern ein Gefühl des »Dabeiseins«          bieten und dem Bedürfnis zu infor­       den Fall trafen, dass das Land erneut
vermittelt (vgl. Alon-Tirosh 2011;           mieren, waren ihre Ansichten dar­        von irakischen Raketen beschossen
Matthews 2005; Mendes/Carter/                über, ob und welche Kriegsinhalte        würde und Kinder in Häusern und
Messenger 2009; Messenger 2007;              dargestellt werden sollten, sowie die    Schutzräumen ausharren müssten.
Walma van der Molen/Valkenburg/              entwickelten Vorgehensweisen sehr        Es wurden Maßnahmen getroffen,
Peeters 2002; Walma van der Molen/           unterschiedlich (vgl. auch Schneid       um auch unter Raketenbeschuss eine
De Vries 2003).                              in dieser Ausgabe). Während nur          kontinuierliche Ausstrahlung sicher­
                                             wenige Sender »kriegsfreie« Kin­         stellen zu können, und es wurden
Analyse der ProduzentInnen­                  dernachrichten zeigen wollten, fühl­     innovative Formate getestet. Am
perspektive                                  te sich die Mehrheit verpflichtet, als   eindrucksvollsten jedoch ist, dass die
Inhaltsanalysen von Kindernach­              Informationsquelle und Vermittler zu     Studie das Dilemma deutlich machen
richtensendungen ermöglichen es,             fungieren. Sie passten die Informati­    konnte, in dem ProduzentInnen von
die angewendeten Strategien der              onen an das Alter und die Bedürfnis­     Kindermedien stehen, wenn sie mit
ProduzentInnen zu ergründen. In­             se der Kinder an und verwendeten         einer existenziellen Bedrohung kon­
terviews hingegen bieten Einblicke           viel Mühe darauf, den Kindern die        frontiert werden. Die größte Heraus­
in deren Entscheidungsfindungspro­           Gelegenheit zu geben, ihre eigene        forderung aller ProduzentInnen schien
zesse, Grundsätze und Einstellungen          Meinung über den Krieg zu äußern.        es, eine angemessene Balance zu fin­
hinsichtlich ihrer Rolle, das Informa­       Trotz dieses Enthusiasmus und dieser     den zwischen einer Sendungsroutine,
tionsbedürfnis der Kinder über die           erklärten Ziele hatten die Sender, so    mit der die Kinder vertraut sind, die
oft brutale Realität von Krieg und           scheint es, keine formalen Vorgaben      ihnen behagt und ihnen ein Gefühl
Konflikten in besonnener und kind­           oder Strategien, wie diese Kriegs­       von Sicherheit und Stabilität gibt, und
gerechter Weise zu stillen. Eine dieser      berichte aussehen sollten. Vielmehr      den brutalen Kriegsgeschehnissen. Sie
Studien befragte 31 ProduzentInnen           schien ihr Vorgehen von Intuitionen      trugen vor allem dem Bedürfnis der
aus 23 Ländern zu Beginn des Irak­           und Annahmen über die Wünsche und        Kinder nach Sicherheit, Information,
kriegs 2003. Es wurde untersucht, in         Bedürfnisse der Kinder geleitet.         Beschäftigung zu Hause sowie nach
                                                                                      einem Abbau der Beklemmung Rech­
                                                                                      nung – all dies sind Dinge, auf die
                                                                                      die Medien positiv einwirken können.
                                                                                      Größtenteils beschäftigte die Produ­
                                                                                      zentInnen die Frage: »Ja, Kinder müs­
                                                                                      sen informiert werden, aber wie viel
                                                                                      Information ist zu viel für sie?«

                                                                                                      Fazit
                                                                                      Zusammengefasst lässt sich feststel­
                                                                                      len, dass Kinder ein großes Interesse
                                                                                      an bedeutenden Weltereignissen ha­
                                                                                      ben, dass sie sehr motiviert sind, auf
                                                                                      eine ihnen angemessene Art mehr da­
                                                                                      rüber zu erfahren, und es ihnen wich­
                                                                                      tig ist, dass ihre Meinung gehört und
                                                                                      anerkannt wird. Gleichzeitig wurde
                                                                                      deutlich, dass Nachrichtensendungen
Linda aus Deutschland fühlt empathisch mit den irakischen Menschen mit                eine Vielzahl von Emotionen bei Kin­
FORSCHUNG
                      24/2011/2                                                                                                                             39

dern auslösen, besonders Angstreakti­              dern leistet einen wichtigen Beitrag                    Mendes, Kaitlynn; Carter, Cynthia; Messenger Dav-
                                                                                                           ies, Máire: Young citizens and the news. In: Allan,
onen. Jedoch scheint die Alternative,              zur Entwicklung einer demokratischen                    Stuart (Hrsg.): The Routledge companion to news
Kinder vor emotional belastenden                   Gesellschaft.                                           and journalism studies. New York: Routledge 2009,
                                                                                                           S. 450-459.
Konflikt- und Katastrophenbildern
                                                                                                           Messenger Davies, Máire: What good came of it
in den Medien abzuschirmen und zu
                                                                  ANMERKUNG                                at last? Ethos, style, and sense of audience in the
beschützen, auch ein zweischneidiges                                                                       reporting of war by children’s news programs. In:
Schwert zu sein, denn die Gefühle von              1
                                                       Dieser Artikel beruht, neben anderen Quellen, auf   Lemish/Götz 2007, S. 163-176.
                                                       Lemish/Götz (2007).                                 Nikken, Peter; Götz, Maya: Children’s writings on
Zorn, Kummer und Angst können so
                                                                                                           the internet about the war in Iraq: A comparison
nicht entschärft werden. Stattdessen                                                                       of Dutch and German submissions to guestbooks
                                                                      LITERATUR
werden die Bedürfnisse der Kinder                                                                          on children’s TV news programs. In: Lemish/Götz
                                                                                                           2007, S. 99-120.
nach Wissen und emotionaler Unter­                 Lemish, Dafna; Götz, Maya (Hrsg.): Children and
                                                   media in times of war and conflict. Cresskill, NJ:      Seiter, Ellen: U.S. children negotiating the protective
stützung in die Hände von Laien – oft              Hampton 2007.                                           silence of parents and teachers on the war in Iraq.
sogar bestimmter Interessensgruppen                Alon-Tirosh, M.: Children’s news in Israel: Texts,
                                                                                                           In: Lemish/Götz 2007, S. 37-56.
– oder der Eltern gelegt, die häufig               producers and audiences. Ph.D. dissertation, Tel        Smith, Stacy L.; Moyer-Gusé, Emily: Children and
                                                   Aviv University 2011 (in Hebrew).                       the war in Iraq: Developmental differences in fear
selbst schlecht informiert sind. Beson­                                                                    responses to television news coverage. In: Media
                                                   Buckingham, David: The making of citizens: Young
ders wichtig scheint es, den Kindern               people, news and politics. London: Routledge 2000.
                                                                                                           Psychology, 8/2006/3, S. 213-237.
Möglichkeiten zu bieten, ihre Furcht               Cantor, Joanne; Mares, Marie Louise; Oliver, Mary
                                                                                                           Smith, Stacy L.; Wilson, Barbara J.: Children’s com-
                                                                                                           prehension of and fear reactions to television news.
und ihren Zorn zu artikulieren, und                Beth: Parents and Children’s Emotional Reactions to
                                                                                                           In: Media Psychology, 4/2002/1, S. 1-26.
ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie damit              TV Coverage of the Gulf War. In: Greenberg, Bradley;
                                                   Gantz, Walter (Hrsg.): Desert Storm and the Mass Me-    Strohmaier, Petra: How TV producers dealt with the
umgehen können. Kinder sollten als                 dia. Cresskill, NJ: Hampton Press 1993, S. 324-340.     war in Iraq in their children’s programs. In: Lemish/
potenzielle Teilnehmer am öffentli­                                                                        Götz 2007, S. 143-162.
                                                   Carter, Cynthia: Talking about my generation: A cri-
chen Leben ernst genommen werden                   tical examination of children’s BBC Newsround web       Walma van der Molen, Juliette H.; Konijn, Elly A.:
                                                   site discussions about war, conflict, and terrorism.    Dutch children’s emotional reactions to news about
und brauchen – und verdienen – viel                In: Lemish/Götz 2007, S. 121-142.                       the war in Iraq: Influence of media exposure, identifi-
mehr von ihren Medien. Kinder mit                  Carter, Cynthia; Messenger Davies, Máire: A fresh
                                                                                                           cation, and empathy. In: Lemish/Götz 2007, S. 75-98.
angemessenen Sendungen anzuspre­                   peach is easier to bruise: children and traumatic       Walma van der Molen, Juliette H.; Valkenburg, Patti
                                                   news. In: Stuart, Allan (Hrsg.): Journalism: Critical   M.; Peeters, Allerd L.: Television news and fear:
chen, ist äußerst wichtig, weil sie sie zu         Issues. Maidenhead, New York: Open University           A child survey. In: Communications, 27/2002/10,
jeder Zeit in vielfältiger Weise auf das           Press 2005, S. 224-235.                                 S. 303-317.
Leben als zukünftige Bürger vorberei­              Carter, Cynthia; Messenger Davies, Máire; Allan,        Walma van der Molen, Juliette H.; De Vries, Marijn:
                                                   Stuart; u. a.: What do children want from the BBC?      Violence and consolation: September 11th 2001 cov-
ten, sie stärken und es ihnen besonders            Children’s content and participatory environments in    ered by the Dutch children’s news. In: Journal of
in Krisen- und Katastrophenzeiten er­              the age of citizen media. �������������������������
                                                                             AHRC/BBC, Cardiff Univer-     Educational Media, 28/2003/1, S. 5-19.
möglichen, die Entwicklung der Ereig­              sity 2009: http://www.bbc.co.uk/blogs/knowledgeex-
                                                   change/cardifftwo.pdf (letzter Zugriff: 12.9.2011)                    DIE AUTORIN
nisse zu verstehen. Außerdem bieten
                                                   Götz, Maya: I know that it is Bush’s fault: How
sie den Kindern die Chance, ihre Ge­               children in Germany perceived the war in Iraq. In:          Dafna Lemish,
fühle, Ängste, Sorgen und Hoffnungen               Lemish/Götz 2007, S. 15-36.                                 Ph.D., ist Pro­
auszudrücken, zu erfahren, was andere              Lemish, Dafna: This is our war: Israeli children            fessorin an der
                                                   domesticating the War in Iraq. In: Lemish/Götz
Menschen in ihrer und in anderen Ge­               2007, S. 57-74.
                                                                                                               Southern Illinois
sellschaften über die Krise denken, die                                                                        University, Car­
                                                   Lemish, Dafna: Israeli children’s television going
Lösungsmöglichkeiten zu verstehen                  to war with Iraq. In: Lemish/Götz 2007, S. 215-242.         bondale, USA, und
                                                                                                               Begründerin und
und eigene Handlungsmöglichkeiten                  Matthews, Julian: Out of the mouths of babes and
                                                   experts: Children’s news and what it can teach us           Herausgeberin des
zu erkennen. All dies trägt nicht nur              about news access and professional mediation. In:           Journal of Children and Media.
zum Wohl der Kinder selbst bei, son­               Journalism Studies, 6/2005/4, S. 509-519.

                                                                    IMPRESSUM

Herausgeber: Internationales Zentralinstitut       Satz: Text+Design Jutta Cram,                           Anschrift der Redaktion:
für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI)        Spicherer Straße 26, D-86157 Augsburg,                  Internationales Zentralinstitut für das Jugend-
beim Bayerischen Rundfunk                          www.textplusdesign.de                                   und Bildungsfernsehen (IZI)
                                                   Druck: Druckerei Joh. Walch GmbH & Co. KG,              Rundfunkplatz 1, D-80335 München
Redaktion: Dr. Maya Götz, Dr. Elke Schlote         Im Gries 6, D-86179 Augsburg                            Telefon: 089/5900-2991, Fax: 089/5900-2379
Redaktionsassistenz: Birgit Kinateder M. A.        ISSN 0943-4755                                          Internet: http://www.izi.de
                                                   Übersetzung der englischen Beiträge: Anja               E-Mail: IZI@br.de
                                                   Löbert und Dr. Timothy Wise (Textwork Trans­
                                                   lations), Birgit Kinateder (IZI)

»TelevIZIon« erscheint zweimal jährlich in deutscher und einmal jährlich in englischer Sprache im Selbstverlag des IZI. Der Bezug ist kostenfrei. Bitte
richten Sie Ihre Bestellung an die Redaktionsadresse. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Erlaubnis des Herausgebers.
Sie können auch lesen