Wenn MathematikerInnen Billard spielen...

Die Seite wird erstellt Angelika Schott
 
WEITER LESEN
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
                        J ÖRN S TEUDING (U NI W ÜRZBURG )

                              W ÜRZBURG , 21. M ÄRZ 2013

    Tübinger Studenten beim Billardspiel, frühes 19. Jahrhundert, Städtische Sammlungen Tübingen; Quelle: R.A. Müller, Geschichte der Universität, 1990 – p. 1
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
Worum geht es?

 §1. Mathematisches Billard
§2. Kombinatorik mit Wörtern
 §3. Ausblick: Ergodizität

                               Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 2
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
Eine Frage von König & Szücs aus dem Jahr 1913

  Wann ist die Bahn einer Billardkugel auf einem quadratischen
  (rechtwinkligen) Billardtisch periodisch?

                                                     Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 3
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
Eine Frage von König & Szücs aus dem Jahr 1913

  Wann ist die Bahn einer Billardkugel auf einem quadratischen
  (rechtwinkligen) Billardtisch periodisch?
  Die Kugel bewege sich reibungsfrei auf geradlinigen Bahnen,
  wird reflektiert mit Einfallswinkel=Ausfallswinkel ohne Effet
  und treffe niemals eine Ecke!

                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 3
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
Eine Frage von König & Szücs aus dem Jahr 1913

  Wann ist die Bahn einer Billardkugel auf einem quadratischen
  (rechtwinkligen) Billardtisch periodisch?
  Die Kugel bewege sich reibungsfrei auf geradlinigen Bahnen,
  wird reflektiert mit Einfallswinkel=Ausfallswinkel ohne Effet
  und treffe niemals eine Ecke!

  Satz:Ist der Tangens des Einfallswinkels rational, so ist die Bahn
  der Kugel auf dem Billardtisch periodisch.

  Die Kugelbahn sei anfänglich in der xy-Ebene beschrieben durch

                              y = y0 + αx.

  Die Steigung dieser Geraden ist der Tangens des Einfallswinkels
  oder dessen Kehrwert.

                                                        Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 3
Wenn MathematikerInnen Billard spielen...
Periodische Bahnen

Wir legen ein Gitter in die xy-Ebene durch die Geraden

      x = k,   y=j      für k, j ∈ 21 {. . . , −2, , −1, 0, 1, 2, . . .}

und denken uns den Billardtisch als die Masche mit den
Eckpunkten (0, 0), ( 21 , 0), ( 12 , 12 ), (0, 21 ).

                                                            Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 4
Periodische Bahnen

Wir legen ein Gitter in die xy-Ebene durch die Geraden

      x = k,   y=j      für k, j ∈ 21 {. . . , −2, , −1, 0, 1, 2, . . .}

und denken uns den Billardtisch als die Masche mit den
Eckpunkten (0, 0), ( 21 , 0), ( 12 , 12 ), (0, 21 ).
Statt die Kugelbahn an der Bande zu reflektieren, spiegeln wir den
Billardtisch an der berandenden Geraden...

                                                            Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 4
Periodische Bahnen

treten genau dann auf, wenn es eine ganzzahlige Translation
(x, y) 7→ (x + q, y + p) gibt;

                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 5
Periodische Bahnen

treten genau dann auf, wenn es eine ganzzahlige Translation
(x, y) 7→ (x + q, y + p) gibt;

in diesem Fall ist α = pq .
Also ist die Kugelbahn genau dann periodisch, wenn α rational ist.
                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 5
Nicht-periodische Bahnen

Was lässt sich über die Bahn sagen, wenn sie nicht periodisch ist?
wenn also α irrational ist?

                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 6
Nicht-periodische Bahnen

Was lässt sich über die Bahn sagen, wenn sie nicht periodisch ist?
wenn also α irrational ist?

Satz:Ist der Tangens des Einfallswinkels irrational, so kommt die
Bahn der Kugel jedem Punkt des Billardtisches beliebig nahe
(besucht aber nicht jeden Punkt!).

                                                     Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 6
Nicht-periodische Bahnen

Was lässt sich über die Bahn sagen, wenn sie nicht periodisch ist?
wenn also α irrational ist?

Satz:Ist der Tangens des Einfallswinkels irrational, so kommt die
Bahn der Kugel jedem Punkt des Billardtisches beliebig nahe
(besucht aber nicht jeden Punkt!).
Der Beweis basiert auf folgendem Resultat aus der diophantischen Approximationstheorie:

                        Sei α irrational. Zu jedem x mit 0 < x < 1
Satz von Kronecker (1884):
und jedem ǫ > 0 gibt es eine natürliche Zahl n, so dass

                               |nα − ⌊nα⌋ − x| < ǫ,
d.h. die gebrochenen Anteile von nα kommen jedem Punkt
x ∈ [0, 1) beliebig nahe; die Aussage ist falsch für rationale α.

                                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 6
Gleichverteilte Zahlenfolgen

Die Vielfachen der gebrochenen Anteile irrationaler Zahlen
kommen jedem Punkt des Einheitsintervalls beliebig nahe:

π − ⌊π⌋ = 0, 1415 . . . , 2π − ⌊2π⌋ = 0, 2831 . . . , 3π − ⌊3π⌋ = 0, 4247 . . . ,

                   . . . , 10π − ⌊10π⌋ = 0, 4159 . . . , . . .

                                                                 Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 7
Gleichverteilte Zahlenfolgen

Die Vielfachen der gebrochenen Anteile irrationaler Zahlen
kommen jedem Punkt des Einheitsintervalls beliebig nahe:

π − ⌊π⌋ = 0, 1415 . . . , 2π − ⌊2π⌋ = 0, 2831 . . . , 3π − ⌊3π⌋ = 0, 4247 . . . ,

                   . . . , 10π − ⌊10π⌋ = 0, 4159 . . . , . . .

                   Bei irrationalem α ist der Anteil der
Satz von Bohl (1909):
{nα} := nα − ⌊nα⌋ in einem vorgegebenem Intervall
proportional zu dessen Länge.

                                                                 Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 7
Gleichverteilte Zahlenfolgen

Die Vielfachen der gebrochenen Anteile irrationaler Zahlen
kommen jedem Punkt des Einheitsintervalls beliebig nahe:

π − ⌊π⌋ = 0, 1415 . . . , 2π − ⌊2π⌋ = 0, 2831 . . . , 3π − ⌊3π⌋ = 0, 4247 . . . ,

                   . . . , 10π − ⌊10π⌋ = 0, 4159 . . . , . . .

                   Bei irrationalem α ist der Anteil der
Satz von Bohl (1909):
{nα} := nα − ⌊nα⌋ in einem vorgegebenem Intervall
proportional zu dessen Länge.

Solche gleichverteilten Zahlenfolgen werden in so genannten Monte
Carlo-Methoden zur näherungsweisen Berechnung von Integralen
wie etwa exp(−x2 ) dx eingesetzt...
          R

                                                                 Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 7
Eine weitere Frage zum Billard:

Wie oft besucht eine Kugel ein gegebenes Gebiet auf dem
Billardtisch?

                                                 Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 8
Eine weitere Frage zum Billard:

Wie oft besucht eine Kugel ein gegebenes Gebiet auf dem
Billardtisch?

Im nicht-periodischen Fall vermutlich
proportional zur Größe des Gebietes...

                                                 Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 8
Eine weitere Frage zum Billard:

Wie oft besucht eine Kugel ein gegebenes Gebiet auf dem
Billardtisch?

Im nicht-periodischen Fall vermutlich
proportional zur Größe des Gebietes...

... dies lässt sich mit der Theorie der Gleichverteilung zeigen;

                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 8
Eine weitere Frage zum Billard:

Wie oft besucht eine Kugel ein gegebenes Gebiet auf dem
Billardtisch?

Im nicht-periodischen Fall vermutlich
proportional zur Größe des Gebietes...

... dies lässt sich mit der Theorie der Gleichverteilung zeigen;

Gleichverteilung ist eine einfache Form von Ergodizität...

                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 8
Eine Knobelaufgabe: Kreisbillard

Wie verhält sich eine Billardkugel im Inneren einer Kreislinie?

                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 9
Eine Knobelaufgabe: Kreisbillard

Wie verhält sich eine Billardkugel im Inneren einer Kreislinie?

Ein periodisches Beispiel mit Einfallswinkel                   π
                                                               5   = 36◦

Lewis Carroll,   der Schöpfer von Alice im Wunderland, erdachte ein rundes Kreisbillard.

                                                                           Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 9
Billard in Parabeln

Parabolantennen nutzen die Geometrie von Parabeln.

                                                Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 10
Billard in Parabeln

Parabolantennen nutzen die Geometrie von Parabeln.

Jeder Strahl wird so reflektiert, dass er durch den Brennpunkt geht!

(Die Bilder sind dem wikipedia-Artikel zu Parabolantennen entnommen.)

                                                                        Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 10
Irgendein Raum mit spiegelnden Wänden...

... kann man diesen stets vollends beleuchten? fragte Straus 195?.

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 11
Irgendein Raum mit spiegelnden Wänden...

... kann man diesen stets vollends beleuchten? fragte Straus 195?.
Roger Penrose gab 1958 das erste Beispiel eines nicht komplett
beleuchtbaren Raumes.

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 11
Irgendein Raum mit spiegelnden Wänden...

... kann man diesen stets vollends beleuchten? fragte Straus 195?.
Roger Penrose gab 1958 das erste Beispiel eines nicht komplett
beleuchtbaren Raumes.

Links ein Bild von Wolfram eines solchen Raumes; rechts ein Bild von
Penrose   auf dem nach ihm benannten Parkett; in den 1980er Jahren entdeckte man

Quasikristalle mit eben dieser Symmetrie! Mehr unter http://en.wikipedia.org/wiki/Penrose tiling

                                                                              Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 11
Verwandte Irrationalitätsphänomene

        (Dieses Bild ist von einer Webseite von Wolfram.)

            §1. Mathematisches Billard
           §2. Kombinatorik mit Wörtern
            §3. Ausblick: Ergodizität

                                                            Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 12
Sturmsche Wörter

Eine Gerade mit irrationaler Steigung durch den Nullpunkt – wie
          1
            √
etwa y = 2 ( 5 + 1)x – besitzt keine rationalen Punkte außer dem
Nullpunkt.

                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 13
Sturmsche Wörter

Eine Gerade mit irrationaler Steigung durch den Nullpunkt – wie
          1
            √
etwa y = 2 ( 5 + 1)x – besitzt keine rationalen Punkte außer dem
Nullpunkt.

                    1
                     √
Goldener Schnitt:   2(   5 + 1) → 010010100100 . . .
                                                       Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 13
Das Fibonacci-Wort f

ist Fixpunkt der Transformation 0 7→ 01, 1 7→ 0

               f = 0 1 0 0 1 0 1 0 0 ...
                 = 01 0 01 01 0 01 0 01 01 . . . ;

                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 14
Das Fibonacci-Wort f

ist Fixpunkt der Transformation 0 7→ 01, 1 7→ 0

               f = 0 1 0 0 1 0 1 0 0 ...
                 = 01 0 01 01 0 01 0 01 01 . . . ;

es ist nicht-periodisch und ist Grenzwert der Rekursion

            f0 := 0, f1 := 01    und      fn+1 = fn fn−1 .

                                                     Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 14
Das Fibonacci-Wort f

ist Fixpunkt der Transformation 0 7→ 01, 1 7→ 0

                      f = 0 1 0 0 1 0 1 0 0 ...
                        = 01 0 01 01 0 01 0 01 01 . . . ;

es ist nicht-periodisch und ist Grenzwert der Rekursion

                f0 := 0, f1 := 01                 und        fn+1 = fn fn−1 .

Die Fibonacci-Zahlen 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, . . . sind
rekursiv definiert durch F0 = 0, F1 = 1 und Fn+1 = Fn + Fn−1 ; die
Quotienten aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen konvergieren
gegen den goldenen Schnitt:
                                                                           √
        3             5             8             13                           5+1
1, 2,   2   = 1, 5,   3   = 1, 6,   5   = 1, 6,    8   = 1, 625, . . . →       2       = 1, 618 . . .
                                                                           Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 14
Und noch einmal
                               √
                                   5+1
schneiden wir die Gerade y =       2 x   mit dem Gitter:

                                                       Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 15
Und noch einmal
                                      √
                                          5+1
schneiden wir die Gerade y =              2 x   mit dem Gitter:

                √
                    5+1
Die Zahlen ⌊n       2 ⌋   für n = 1, 2, 3, . . . sind der Reihe nach

                                 1, 3, 4, 6, 8, . . .
                                                              Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 15
Beatty-Folgen

Sei α > 1 irrational, dann heißt

                    B(α) = {⌊nα⌋ : n = 1, 2, . . .}

die zugehörige Beatty-Folge.

                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 16
Beatty-Folgen

Sei α > 1 irrational, dann heißt

                    B(α) = {⌊nα⌋ : n = 1, 2, . . .}
                                                      1       1
die zugehörige Beatty-Folge. Sei β definiert durch    α   +   β    = 1,

                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 16
Beatty-Folgen

Sei α > 1 irrational, dann heißt

                     B(α) = {⌊nα⌋ : n = 1, 2, . . .}
                                                       1        1
die zugehörige Beatty-Folge. Sei β definiert durch     α   +    β    = 1, dann
ist auch β irrational und es gilt:
Satz von Beatty.

             B(α) ∪ B(β) = 1, 2, 3, . . .   B(α) ∩ B(β) = ∅;

d.h. die beiden Beatty-Folgen bilden eine disjunkte Zerlegung der
Menge der natürlichen Zahlen!

                                                        Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 16
Beatty-Folgen

Sei α > 1 irrational, dann heißt

                     B(α) = {⌊nα⌋ : n = 1, 2, . . .}
                                                            1        1
die zugehörige Beatty-Folge. Sei β definiert durch          α   +    β    = 1, dann
ist auch β irrational und es gilt:
Satz von Beatty.

             B(α) ∪ B(β) = 1, 2, 3, . . .       B(α) ∩ B(β) = ∅;

d.h. die beiden Beatty-Folgen bilden eine disjunkte Zerlegung der
Menge der natürlichen Zahlen!
                                      √
                                          5+1
Im Falle des goldenen Schnittes           2     ergibt sich beispielsweise

                           1,2,3, 4,5,6,7,8, 9, . . .
                                                             Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 16
Thue   1906 und 1912 und Marston Morse 1921 studierten...

                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 17
... eine weiteren Folge von Nullen und Einsen

             t = 0 1 10 1001 10010110 . . .

                                              Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 18
... eine weiteren Folge von Nullen und Einsen

                     t = 0 1 10 1001 10010110 . . .
Die Ziffern von t = t0 t1 t2 . . . sind definiert über

                  t0 = 0,   t2n = tn ,   t2n+1 = 1 − tn .

                                                            Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 18
... eine weiteren Folge von Nullen und Einsen

                     t = 0 1 10 1001 10010110 . . .
Die Ziffern von t = t0 t1 t2 . . . sind definiert über

                  t0 = 0,    t2n = tn ,   t2n+1 = 1 − tn .

t ist auch Fixpunkt der Transformation 0 7→ 01, 1 7→ 10

             t =      0     1 1   0   1   0   0    1     1 ...
                 = 01 10 10 01 10 01 01 10 10 . . . ;

                                                             Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 18
... eine weiteren Folge von Nullen und Einsen

                     t = 0 1 10 1001 10010110 . . .
Die Ziffern von t = t0 t1 t2 . . . sind definiert über

                  t0 = 0,    t2n = tn ,   t2n+1 = 1 − tn .

t ist auch Fixpunkt der Transformation 0 7→ 01, 1 7→ 10

             t =      0     1 1   0   1   0   0    1     1 ...
                 = 01 10 10 01 10 01 01 10 10 . . . ;

Thue zeigte u.a., dass t nicht periodisch ist und
keine dreimal direkt aufeinanderfolgenden Sequenzen enthält!

                                                             Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 18
Der Mathematiker und passionierte Schachspieler und spätere
Weltmeister Machgielis Euwe wiederentdeckte die Folge 1929 im
Zusammenhang mit dem Problem unendlicher Schachpartien...
                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 19
Die Deutsche Regel

besagte, dass eine Schachpartie mit einem Unentschieden endet,
wenn dieselbe Folge von Zügen – mit allen Figuren in denselben
Positionen – dreimal hintereinander vorkommt.

Euwebemerkte, dass trotzdem nicht erwünschte, unendlich
andauernde Schachpartien möglich sind!

                                                 Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 20
Arbeitet man nämlich die Thue-Morse Folge gemäß folgender
Vorschrift
0 : Sb1-c3, Sb8-c6; Sc3-b1, Sc6-b8
1 : Sg1-f3, Sg8-f6; Sf3-g1, Sf6-g8
in eine passende Schachstellung ein, so kann man nach den 1929
gültigen Regeln unendlich lange Schach spielen!

                                                Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 21
Arbeitet man nämlich die Thue-Morse Folge gemäß folgender
Vorschrift
0 : Sb1-c3, Sb8-c6; Sc3-b1, Sc6-b8
1 : Sg1-f3, Sg8-f6; Sf3-g1, Sf6-g8
in eine passende Schachstellung ein, so kann man nach den 1929
gültigen Regeln unendlich lange Schach spielen!

Die Deutsche Regel wurde im Nachhinein abgeschafft und

                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 21
Arbeitet man nämlich die Thue-Morse Folge gemäß folgender
Vorschrift
0 : Sb1-c3, Sb8-c6; Sc3-b1, Sc6-b8
1 : Sg1-f3, Sg8-f6; Sf3-g1, Sf6-g8
in eine passende Schachstellung ein, so kann man nach den 1929
gültigen Regeln unendlich lange Schach spielen!

Die Deutsche Regel wurde im Nachhinein abgeschafft und
Euwe 1935-1937 Weltmeister :-)

                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 21
Arbeitet man nämlich die Thue-Morse Folge gemäß folgender
Vorschrift
0 : Sb1-c3, Sb8-c6; Sc3-b1, Sc6-b8
1 : Sg1-f3, Sg8-f6; Sf3-g1, Sf6-g8
in eine passende Schachstellung ein, so kann man nach den 1929
gültigen Regeln unendlich lange Schach spielen!

Die Deutsche Regel wurde im Nachhinein abgeschafft und
Euwe 1935-1937 Weltmeister :-)

Dreimal dieselbe Stellung wäre ein hinreichendes Abbruchkriterium
für endliches Schach!

                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 21
Hintergrund

Satz (Thue, 1912):Die Thue-Morse Folge t = t0 t1 t2 . . . enthält keine
sich direkt hintereinander dreimal wiederholende Sequenz:

               . . . BBB . . . 6⊂ t   für alle B ∈ {0, 1}n .

                                                         Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 22
Hintergrund

Satz (Thue, 1912):Die Thue-Morse Folge t = t0 t1 t2 . . . enthält keine
sich direkt hintereinander dreimal wiederholende Sequenz:

               . . . BBB . . . 6⊂ t   für alle B ∈ {0, 1}n .

Ein Satz von Hedlund und Morse liefert sogar die Unmöglichkeit des
Auftretens von BBb, wobei b die erste Ziffer von B sei.
Beweisidee: Induktion nach der Anzahl ♯B der Ziffern in B. Die
Bausteine von t sind 01 bzw. 10, was das Auftreten von 000 bzw.
111 bereits unmöglich macht; Sequenzen wie 010101 bzw. 101010
korrepsondieren mit dem Morphismus 0 7→ 01, 1 7→ 10 mit 000 bzw.
111, sind also auch unmöglich...

                                                         Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 22
Hedlundund Morse begründeten mit einer Reihe von
Untersuchungen in den 1940ern das Gebiet der symbolischen
Dynamik (bzw. auch Kombinatorik von Wörtern).

                                                Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 23
Abschließend ein Problem der Physik...

Laplace, Boltzmann   und Maxwell (von der Webseite des MacTutor History of Mathematics archive)

                           §1. Mathematisches Billard
                          §2. Kombinatorik mit Wörtern
                           §3. Ausblick: Ergodizität

                                                                           Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 24
Ergodizität

findet man bei der Abbildung n 7→ nα − ⌊nα⌋ bei irrationalem α;

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 25
Ergodizität

findet man bei der Abbildung n 7→ nα − ⌊nα⌋ bei irrationalem α;
ergodische Abbildungen besitzen ein chaotisches (unstetes,
schwer vorhersagbares) Verhalten.

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 25
Ergodizität

findet man bei der Abbildung n 7→ nα − ⌊nα⌋ bei irrationalem α;
ergodische Abbildungen besitzen ein chaotisches (unstetes,
schwer vorhersagbares) Verhalten.

Die Physiker Boltzmann (1871) und Maxwell (1879) stellten
Vermutungen zu den Trajektorien von physikalischen Teilchen in
geschlossenen Systemen auf (z.B. die Hauptsätze zur
Thermodynamik);

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 25
Ergodizität

findet man bei der Abbildung n 7→ nα − ⌊nα⌋ bei irrationalem α;
ergodische Abbildungen besitzen ein chaotisches (unstetes,
schwer vorhersagbares) Verhalten.

Die Physiker Boltzmann (1871) und Maxwell (1879) stellten
Vermutungen zu den Trajektorien von physikalischen Teilchen in
geschlossenen Systemen auf (z.B. die Hauptsätze zur
Thermodynamik); der Physiker und Mathematiker Poincaré (1890)
widerlegte die Ergodenhypothese mathematisch und lieferte der
Physik ein neues statistisches Verständnis von Vorhersagbarkeit
entgegen dem vorherrschenden Determinismus (’Laplacescher
Dämon’).

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 25
Ergodizität

findet man bei der Abbildung n 7→ nα − ⌊nα⌋ bei irrationalem α;
ergodische Abbildungen besitzen ein chaotisches (unstetes,
schwer vorhersagbares) Verhalten.

Die Physiker Boltzmann (1871) und Maxwell (1879) stellten
Vermutungen zu den Trajektorien von physikalischen Teilchen in
geschlossenen Systemen auf (z.B. die Hauptsätze zur
Thermodynamik); der Physiker und Mathematiker Poincaré (1890)
widerlegte die Ergodenhypothese mathematisch und lieferte der
Physik ein neues statistisches Verständnis von Vorhersagbarkeit
entgegen dem vorherrschenden Determinismus (’Laplacescher
Dämon’). Ergodentheorie wurde weiter entwickelt von Weyl (1914),
Neumann und Birkhoff (1931)...

                                                   Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 25
Arnold’s Cat Map

”Arnold’s cat map” ist eine von Vladimir Arnold erdachte ergodische
Abbildung; hier zu sehen sind Iterationen eines Bildes von Felix
unter dieser Abbildung!

                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 26
Arnold’s Cat Map

”Arnold’s cat map” ist eine von Vladimir Arnold erdachte ergodische
Abbildung; hier zu sehen sind Iterationen eines Bildes von Felix
unter dieser Abbildung! Felix kehrt nach 135 Iterationen zurück!
                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 26
Wie die Abbildung funktioniert

”Arnold’s cat map” ist definiert durch
                                              
                 2        2        x        2 1   x
       A : [0, 1) → [0, 1)             7→            mod 1.
                                   y        1 1   y
Hierbei steht mod 1 für das Abschneiden des Ganzteils: x mod 1 = x − ⌊x⌋.

                                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 27
Wie die Abbildung funktioniert

”Arnold’s cat map” ist definiert durch
                                              
                 2        2        x        2 1   x
       A : [0, 1) → [0, 1)             7→            mod 1.
                                   y        1 1   y
Hierbei steht mod 1 für das Abschneiden des Ganzteils: x mod 1 = x − ⌊x⌋.

Aber wieso kommt Felix vollständig wieder?

                                                                  Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 27
Poincaré s Wiederkehrsatz

besagt, dass in autonomen hamiltonschen Systemen, deren
Phasenraum X ein endliches Maß hat, in jeder offenen Teilmenge
A ⊂ X im Phasenraum fast jedes Element x ∈ A eine Trajektorie
besitzt, die beliebig oft wieder nach A zurückkehrt.

Völlig neue Konzepte: die mengentheoretische Sichtweise und Sprache wie insbesondere
”fast jedes”. Probabilistische und maßtheoretische Methoden in der Physik!

                                                                      Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 28
Friedrich Nietzsche...

schrieb in seiner Fröhlichen Wissenschaft

    ” Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch
    einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts
    Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder
    Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines
    Lebens muß dir wiederkommen, und alles in derselben Reihe und
    Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den
    Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige
    Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr,
    Stäubchen vom Staube! ”

und bezog sich dabei auf namhafte Mathematiker und Physiker
seiner Zeit :-)
                                                               Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 29
Thermodynamik

Gegeben eine geschlossene Box mit leerer rechter Kammer und
mit einem Gas gefüllter linker Kammer. Wird die trennende Wand
entfernt, verteilen sich die Gasmoleküle in der ganzen Box. Wir
erwarten eine Gleichverteilung derselben!

             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦        •   ◦   •   •   ◦   ◦   •   ◦   •   •
             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦        •   ◦   ◦   •   ◦   •   ◦   •   ◦   ◦
             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦        ◦   •   •   ◦   ◦   ◦   •   ◦   •   ◦
             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦   −→   •   ◦   •   •   ◦   •   ◦   •   •   ◦
             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦        ◦   •   •   •   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦   •
             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦        ◦   ◦   ◦   ◦   •   ◦   •   •   ◦   •
             •   •   •   •   •   |   ◦   ◦   ◦   ◦   ◦        •   ◦   •   •   •   •   ◦   ◦   •   •

                                                                                              Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 30
Entgegen unserer Intuition zeigt der P OINCAR Ésche Wiederkehrsatz,
dass das System aus fast jeder Konfiguration heraus nach einer
gewissen Zeit nahezu in die Ausgangssituation zurückkehren wird!
Insofern ist eine deterministische Formulierung des zweiten
Hauptsatzes der Thermodynamik, dass die Entropie eines
geschlossenen Systems nicht abnehmen kann, falsch, vielmehr ist
dieser Satz statistischer Natur!

                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 31
Entgegen unserer Intuition zeigt der P OINCAR Ésche Wiederkehrsatz,
dass das System aus fast jeder Konfiguration heraus nach einer
gewissen Zeit nahezu in die Ausgangssituation zurückkehren wird!
Insofern ist eine deterministische Formulierung des zweiten
Hauptsatzes der Thermodynamik, dass die Entropie eines
geschlossenen Systems nicht abnehmen kann, falsch, vielmehr ist
dieser Satz statistischer Natur!

Beim Billard stellt sich auch fast sicher nahezu die
Ausgangssituation wieder ein, aber auch fast jede andere
Konfiguration...

                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 31
Murphy’s Law

 from the blog Discover at blogs.discovermagazine.com

Anything that can go wrong will wrong!

                                                        Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 32
Empfehlenswerter Lesestoff:

• M. B ETTINAGLIO, F. L EHMANN, Mathematisches Billard – Zwei Vorschläge zu projektartigem
Unterricht, Grüne Berichte an der ETH Zürich 1998,
www.educ.ethz.ch/unt/um/mathe/gb/Billard Text.DOC

• K. DAJANI , C. K RAAIKAMP, Ergodic Theory of Numbers, Carus Mathematical Monographs,
2002 — schlichtweg die beste Einführung in Ergodentheorie!

• F. H ERRLICH , G. S CHMITH ÜSEN, Mathematik auf Billardtischen, Karlsruhe 2008,
jdm.mathematik.uni-karlsruhe.de/herrlich/vortrag.pdf — sehr schöne Illustrationen und ungelöste
Fragen!

• J. S TEUDING, Ergodic Number Theory, http://www.mathematik.uni-wuerzburg.de/∼steuding/agzt.htm

• K.B. S TOLARSKY, Beatty sequences, continued fractions, and certain shift operators,
Canadian Math. Bull. 19 (1976), 473-482 — knüpft an den zweiten Teil des Vortrages an

• S. TABACHNIKOV, Geometry and Billiards, AMS Bookstore 2005 – sehr lesenswert und
informativ; enthält vieles mehr als das hier angesprochene und im internet frei verfügbar!

• die Webseiten von W OLFRAM M ATHWORLD http://mathworld.wolfram.com/ zu Billiard

                                                                            Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 33
Vielen Dank!
Die Folien gibt es auch auf meiner webseite
http://www.mathematik.uni-wuerzburg.de/∼steuding/

                                                    Forum für Begabtenförderung in Mathematik – p. 34
Sie können auch lesen