"Wie die Landwirtschaft die Biodiversität fördert" - Schweizer ...
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2 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung����������������������������������������������������������������������������������3 HERAUSFORDERUNGEN & LÖSUNGSANSÄTZE 15 Umweltziele Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 AUSGANGSLAGE BIODIVERSITÄT Agrarpolitische Ziele des Bundes für Biodiversitätsbeiträge. . . . . . . . 15 UND SCHWEIZER LANDWIRTSCHAFT 5 Ansätze für Verbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Definition von Biodiversität ��������������������������������������������������������������������5 Zustand der Biodiversität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 ZU BESUCH BEI KURT PETERHANS KEIN WIDERSPRUCH ZWISCHEN NAHRUNGSMITTELPRODUKTION UND BIODIVERSITÄT 18 WAS DIE LANDWIRTSCHAFT TUT 7 Vielfalt der Kulturen & Tiere������������������������������������������������������������������10 FAZIT21 Label-Programme & Ressourcenprojekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 ZU BESUCH BEI HEINZ UND MYRTA MÜLLER Quellenangaben������������������������������������������������������������������������������������22 WENDEHALS UND WIESEL IN DER NIEDERSTAMMANLAGE 12 Impressum ��������������������������������������������������������������������������������������������23
3 Zusammenfassung Die Biodiversität, also die Vielfalt der Lebewe- Das Engagement der Landwirtschaft sen, bildet die Grundlage für das Leben. Sie ist Die landwirtschaftliche Tätigkeit wirkt sich auf für eine nachhaltige Landwirtschaft unerläss- die Natur aus und spielt zugleich eine wichtige lich, da sie für diese zahlreiche Ökosystem- Rolle beim Naturschutz: Sei es über die Haltung dienstleistungen erbringt, wie etwa die Be- verschiedener Tierrassen oder über den Anbau stäubung. Die Landwirtschaft ist sich bewusst, diverser Pflanzenarten. Zudem stellt sie der Na- dass eine gesunde Biodiversität eine Zukunfts- tur zahlreiche Elemente zur Biodiversitätsförde- sicherung darstellt und nimmt ihre diesbezüg- rung bereit, wie Buntbrachen, extensive Wiesen, liche Verantwortung äusserst ernst. Blühstreifen oder Hochstamm-Feldobstbäume. Momentan dienen 18,8 Prozent der Landwirt- Der Zustand der Biodiversität schaftsflächen ausschliesslich zur Förderung Allerdings nimmt die Biodiversität stetig ab. der Artenvielfalt, d.h. schweizweit eine Fläche International ist die Häufigkeit der lokalen Ar- von über 190 000 ha. Über spezifische Label ten in den wichtigsten terrestrischen Lebens- und Programme haben die Bauernfamilien die räumen seit 1900 um 20 Prozent gesunken. Möglichkeit, einen noch grösseren Beitrag zur Gleichzeitig stellte eine deutsche Studie fest, Förderung der Biodiversität zu leisten. dass in den letzten 25 Jahren 75 Prozent der Insektenbiomasse in den Schutzgebieten ver- Herausforderungen für die Zukunft schwunden sind. Diese Erkenntnisse sind nicht Die Landwirtschaft ist sich ihrer direkten Wir- neu, weshalb 1992 eine Biodiversitätskonven- kungen auf die Umwelt bewusst und weiss, tion ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, die dass ihre Zukunft von einer intakten Biodi- lokale Biodiversität weltweit zu bewahren und versität abhängt. Daher nimmt sie ihre Ver- zu fördern. Diese Konvention wurde von über antwortung hinsichtlich der Bewahrung und 160 Ländern ratifiziert, auch von der Schweiz. Förderung der Biodiversität wahr. Zwar besteht Die Ziele dieser Konvention für den Zeitraum bei den landwirtschaftlichen Flächen, die für 2011–2020 wurden jedoch nicht erreicht. Über die Biodiversität genutzt werden, noch Ver- die Ziele für die Zeit nach 2020 wird noch dis- besserungspotenzial bei der Qualität. Genauso kutiert. Um dieser negativen Tendenz auf natio- wichtig ist jedoch Kontinuität im System der naler Ebene entgegenzuwirken, verabschiedete Förderung und Unterstützung von Biodiversi- die Schweiz 2018 den Aktionsplan Biodiversi- tät. Denn auch die Natur braucht Zeit, um sich tät. Dieser Aktionsplan umfasst verschiedene anzupassen. Gleichzeitig ist es unentbehrlich, konkrete Massnahmen zur Förderung der Bio- dass sich die Gesellschaft im Allgemeinen für diversität – etwa Massnahmen zum Erhalt und die Natur einsetzt – auch mit kleinen Schritten zur Instandsetzung von Naturschutzgebieten kann Grosses vorangetrieben werden. oder zur Förderung prioritärer Arten auf natio- naler Ebene.
5 Ausgangslage Biodiversität und Schweizer Landwirtschaft DEFINITION VON BIODIVERSITÄT nutzt, kommt ihr eine ganz besondere Rolle bei landwirtschaftliche Nutzung, die Ausdehnung der Erhaltung und Förderung der Biodiversität der Siedlungsfläche oder die Lichtverschmut- Der Begriff «Biodiversität» steht für die Vielfalt zu. Sie trägt aktiv zum Erhalt der Biodiversität zung werden für den Rückgang ihrer Arten- der Lebewesen. Und zwar auf den drei Ebenen bei, denn ohne Landwirtschaft nähme die Ver- vielfalt verantwortlich gemacht. Um wirksame Art, Genetik und Ökosystem. In der Schweiz buschung Überhand und die vielfältigen Öko- Lösungen zu erarbeiten, müssen dringend alle zählt man insgesamt über 45 000 Arten1. In- systeme müssten wieder dem Wald weichen. negativen Effekte berücksichtigt und die Ursa- nerhalb einer Art gibt es zusätzlich genetische Auf der anderen Seite ist sie auch stark von ihr chen des Insektenverlusts wissenschaftlich ge- Variationen. Weltweit sind zum Beispiel über abhängig: Ohne Biodiversität ist eine nachhal- klärt werden. Der Schweizer Bauernverband hat 20 000 Apfelarten registriert2 . Diese Sorten tige Landwirtschaft nicht möglich. deshalb zusammen mit Naturfreunde Schweiz, unterscheiden sich in Geschmack, Festigkeit Apisuisse und Dark Sky Switzerland im Septem- des Fruchtfleischs, Grösse der Früchte, Scha- ber 2018 eine entsprechende Petition lanciert lenfarbe, Resistenzen gegenüber Krankhei- ZUSTAND DER BIODIVERSITÄT und 100 Tage später mit über 165 000 Unter- ten oder bei ihren Bedürfnissen in Bezug auf schriften dem Parlament überreicht. Sie fordert Boden oder Klima. Genetische Vielfalt ist die Die Häufigkeit der lokalen Arten in den wich- dazu auf, die Gründe für den Insektenverlust zu Grundlage für das langfristige Überleben einer tigsten Lebensräumen der Welt hat seit 1900 klären, wirksame Massnahmen zu ergreifen und Population. Sie ermöglicht es, mit Veränderun- um 20 Prozent abgenommen. Das sagt der die nationalen Aktionspläne Pflanzenschutz gen wie neuen Krankheiten, Schädlingen oder letzte Bericht des «Intergovernmental Science- und Biodiversität unverzüglich umzusetzen. dem Klimawandel klarzukommen und sich ent- Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem sprechend anzupassen. Diversität zu erhalten Services» (IPBES), einem zwischenstaatlichen WIE WIRD DIE BIODIVERSITÄT ist daher nicht nur eine Frage des Bewahrens, Gremium, das Informationen zur Erhaltung und AKTUELL GESCHÜTZT? sondern stellt vielmehr auch eine Möglichkeit nachhaltigen Nutzung von biologischer Vielfalt 1992 haben 168 Länder in Rio de Janeiro der Zukunftsabsicherung dar. zur Verfügung stellt4. Gründe für die Abnahme (Brasilien) die Biodiversitätskonvention ver- sind Abholzung, Siedlungsdruck, Landwirt- abschiedet. Sie verpflichteten sich darin, die Alle Arten entwickeln sich und interagieren schaft, Jagd und Fischerei, Klimawandel, Um- biologische Vielfalt in ihrem Land zu schützen. miteinander in ihren unterschiedlichen Le- weltverschmutzung und invasive Arten. Entspre- Die ursprünglichen Ziele wurden allerdings in- bensräumen. Schweizweit gibt es 98 prioritäre chend bezeichnet der Bericht den weltweiten nerhalb der vereinbarten Frist nicht erreicht. Lebensräume wie z.B. die typische Fromental- Zustand der Biodiversität als ungenügend. Deshalb wurden an der Vertragsparteienkon- wiese, den Rebberg oder den Kastanienhain3. ferenz 2010 in Nagoya 20 neue Ziele (Aichi-Zie- Ohne die Artenvielfalt wären viele Ökosystem- INSEKTENSTERBEN le) für die Periode 2011–2020 ausgearbeitet. dienstleistungen, d.h. die Vorteile und der öko- 80 Prozent aller Tierarten weltweit zählen zu Das neue globale Rahmenwerk für die Biodi- nomische Nutzen der Natur für den Menschen den Insekten. Vom allgemeinen Verlust der versität post-2020 ist aktuell in Diskussion. nicht gewährleistet, wie zum Beispiel die Be- Biodiversität sind sie deshalb besonders stark Im Oktober 2021 soll das neue Rahmenwerk stäubung oder die Kohlenstoffspeicherung im betroffen. Eine deutsche Studie stellt fest, dass an der Konferenz COP-15 in Kunming (China) Boden. Die Biodiversität hat für die Menschheit 75 Prozent der Insektenbiomasse in den deut- finalisiert werden. Die Staaten sollen eigene also eine immense Bedeutung. Da die Land- schen Schutzgebieten über die letzten 25 Jahre Strategien erarbeiten, um die internationalen wirtschaft einen Drittel des Schweizer Bodens verschwunden sind5. Lebensraumverluste, die Ziele zu erreichen.
6 STRATEGIE UND AKTIONSPL AN BIODIVERSITÄT SCHWEIZ Der Bundesrat verabschiedete 2012 die Strate- gie Biodiversität Schweiz und 2018 den Aktions- plan. Die in diesem Zusammenhang erlassenen Massnahmen sollen die Biodiversität fördern, Brücken zwischen den verschiedenen Politikbe- reichen schlagen und die Entscheidungsträger hinsichtlich der Problematik sensibilisieren. Es wurden 26 Massnahmen verabschiedet, unter- teilt in Sofortmassnahmen, Synergiemassnah- men, Massnahmen mit Pilotprojekten für die Umsetzungsphase 2017-2023 und zu prüfende Massnahmen für die Umsetzungsphase 2024- 2027. Die Sofortmassnahmen sollen z.B. dafür sorgen, dass bestehende Schutzgebiete unter- halten und saniert werden oder national priori- täre Arten spezifisch gefördert werden. Im Rah- men der Synergiemassnahmen wurde z.B. eine Bodenstrategie erarbeitet6.
7 Was die Landwirtschaft tut Zur Förderung der Biodiversität auf Bauernbe- derungen des Ökologischen Leistungsnach- Für reine Spezialkultur-Betriebe wie z.B. Reben trieben sind die sogenannten Biodiversitätsför- weises (ÖLN) erfüllen. Neben Punkten wie bei- oder Obst liegt der vorgeschrieben Anteil BFF derflächen (BFF) von zentraler Bedeutung. Das spielsweise einer geregelten Fruchtfolge und bei 3,5 Prozent. BFF bereichern die Landschaft Anlegen und die fachgerechte Pflege der BFF dem Einhalten von Pufferstreifen entlang von mit Ökoelementen wie artenreichen Wiesen, werden mit Direktzahlungen abgegolten. Um Gewässern gibt der ÖLN vor, dass mindestens Hecken oder Hochstammobstbäumen (Tab.1). aber überhaupt Direktzahlungen zu erhalten, 7 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Sie dienen zahlreichen Tier- und Pflanzenarten muss ein Landwirtschaftsbetrieb die Anfor- zur Förderung der Biodiversität dienen müssen. als Lebensräume, Rückzugsgebiete oder zur Nahrungssicherung. Tabelle 1: Übersicht über die verschiedenen Typen von Biodiversitätsförderflächen Quelle: Biodiversitätsförderung in der Schweizer Landwirtschaft (2020) BFF-Typen Wissenswertes Q2 möglich a Extensive & wenig Werden Wiesen nur selten gedüngt und ge- ja intensive Wiesen schnitten, können sich dort 40 bis 70 seltene Arten erhalten. In extensiven Wiesen kann man z.B. Esparsetten, Skabiosen-Flockenblumen, Wiesensalbei oder Orchideen finden. Extensive Weiden Extensive Weiden sind meistens nährstoffarm ja mit einer an die Beweidung angepassten Flora. Es kommen z.B. Wiesenkammgras, Enziane oder Thymian vor. Viele Tierarten profitieren von den durch Weidetiere gestalteten Habitate (Trittlö- cher, Kotrückstände). Streuefläche Streueflächen befinden sich auf Feucht- und ja Nassstandorten. Obwohl sie nicht sehr arten- reich sind, gibt es Arten wie der Lungenenzian oder gewisse Heuschreckenarten, die nur in diesem Lebensraum vorkommen. Bei den Pflanzen kann man hier z.B. Pfeifengras oder Sumpf-Schachtelhalm finden.
8 BFF-Typen Wissenswertes Q2 möglich a Ackerschonstreifen Ackerschonstreifen sind angesäte Randstreifen, nein die ohne Düngung und Pflanzenschutzmittel bewirtschaftet werden. Hier wachsen beispiels- weise Kornraden, Mohn oder Kornblumen. Bunt- & Rotations- Buntbrachen sind mit einheimischen Wildkräu- nein brachen tern angesäte Flächen. Mit teilweise offenen Bodenstellen und verholzten Pflanzenteilen, z. B. von der Königskerze, bieten sie zahlreichen Tieren Lebensraum, z.B. Nützlingen wie Schweb- fliegen, Marienkäfern, Laufkäfern oder Spinnen. Blühstreifen Mit einheimischen Wild- und Kulturpflanzen an- nein gesäte Blühstreifen an Ackerrändern sollen die Nahrungslücken für pollen- und nektarsuchende Insekten im Sommer schliessen. Saum auf Ackerfläche Säume bestehen aus mehrjährigen einheimi- nein schen Wildkräutern. Sie dienen als Nahrungs- quelle, Rückzugs-, und Überwinterungsort für Nützlinge. Hochstamm- Hochstammbäume bieten für Vögel, Fledermäu- ja Feldobstbäume se und Insekten Lebensraum und Nahrung.
9 BFF-Typen Wissenswertes Q2 möglich a Hecken-, Feld- & Ufergehölze Hecken bestehen aus einheimischen Sträu- ja chern. Früchte- und dornentragende Pflanzen bieten Nahrung und Unterschlupf. Hecken dienen ausserdem der Vernetzung: Unsere Landschaften sind durch Strassen, Wege und intensiv bewirtschaftete Flächen mittlerweile stark zerstückelt. Rebfläche mit natürlicher Reben werden häufig auf Standorten mit hohem nein Artenvielfalt biologischem Potenzial angebaut. Mit Struktur- elementen wie Büschen, Einzelbäumen, Stein- und Asthaufen sowie benachbarten Lebens- räumen wie Hecken oder steinigen und kargen Flächen, bietet sich hier vielen Tieren und Pflanzen ein sehr vielfältiger Lebensraum. Wassergraben, Tümpel, Am Wasser ist Biodiversität häufig sehr hoch. nein Teich Hier treffen mehrere Lebensräume aufeinander: Manche Tiere und Pflanzen leben ausschliess- lich im Wasser (wie Krebstiere und Wasserinsek- ten), andere am Wasserrand, wiederum andere sind für bestimmte Phasen in ihrem Leben auf Wasser angewiesen (z. B. Amphibien und Libel- len für die Fortpflanzung). Trockenmauer Trockenmauern bestehen aus Natursteinen und nein werden ohne Mörtel gebaut. Dadurch finden Reptilien, Insekten, Spinnen und Schnecken Unterschlupf. Moose und Flechten können die Steine besiedeln. Ruderalfläche & Steinhaufen Ruderalflächen sind Aufschüttungen, Schutt- nein haufen und Böschungen, die mit krautigen Arten bewachsen sind. Wie Steinhaufen, bieten sie Reptilien und Kleintieren Unterschlupf und Schutz. a Einige Biodiversitätsförderflächen haben zwei Stufen der Biodiversitätsförderung: die Qualitätsstufe Q1 und die höhere Stufe Q2. Um Q2 zu erreichen, muss die Fläche eine beson- ders wertvolle Qualität aufweisen, z. B. mindestens 6 Indikatorpflanzen einer vorgegebenen Liste enthalten oder bestimmte Bewirtschaftungskriterien erfüllen.
10 VIELFALT DER L ABEL- PROGR AMME & Auf Schweizer Bauernbetrieben beträgt der KULTUREN & TIERE RESSOURCENPROJEK TE Anteil an Biodiversitätsförderflächen heu- te im Schnitt rund 18,8 %. Das macht eine 1992 verpflichtete sich die Schweiz mit der Zusätzlich zu den landwirtschaftlichen Grund- Gesamtfläche von 190 381 ha, auf denen Unterzeichnung der Biodiversitätskonvention leistungen bei den Biodiversitätsförderflächen gezielt die Artenvielfalt gefördert wird. von Rio, ihre pflanzen- und tiergenetischen setzen verschiedene Label wie Bio Suisse oder Rund 42 % davon weisen eine besonders Ressourcen zu erhalten. Der Nationale Ak- IP-Suisse Projekte um und legen Produktions- hohe ökologische Qualität auf. Etwas mehr tionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nut- standards fest, um die Artenvielfalt in den als drei Viertel der Flächen sind in Vernet- zung der pflanzengenetischen Ressourcen für landwirtschaftlich genutzten Flächen weiter zu zungsprojekten integriert7. Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) verbessern. Aber auch Bund und Kantone ver- trat 1999 in Kraft. Gemäss diesem Aktionsplan suchen im Rahmen von Ressourcenprogram- will die Schweiz Inventare führen, Genbanken men die Biodiversität noch stärker zu fördern. dem Ansatz «Von Bauern für Bauern», anderer- unterhalten und Sensibilisierungsmassnahmen seits durch spezifische einzelbetriebliche Bera- vornehmen. Pro Specie Rara ist eine der Orga- BIO SUISSE tungen durch Spezialistinnen und Spezialisten. nisationen, welche die Vielfalt des nationalen 2015 führte Bio Suisse eine Richtlinie ein, wel- Am Projekt beteiligten sich laut Bio Suisse über genetischen Erbgutes sicherstellen. Sie setzt che von den mittlerweile 7300 «Knospe-Betrie- 1300 Höfe, auf denen sich die Artenvielfalt in sich für den Schutz von alten Schweizer Sorten ben» die Erfüllung von mindestens 12 Förder- der Folge um bis zu 20 Prozent verbesserte 8. und Rassen ein (Tab. 2) und kann dabei auf die massnahmen verlangt. Zur Auswahl steht dabei Unterstützung eines ausgedehnten Netzes von ein Katalog mit über 100 Massnahmen. Vorher IP- SUISSE Freiwilligen zählen. Die Stiftung gewährleistet gab es das Förderprojekt «Knospe-Biodiversi- Auch das Label IP-Suisse verfolgt einen ähn- ausserdem den freien Zugang zu vom Ausster- tät für mehr Lebensqualität». Der Kern dieses lichen Ansatz. Die rund 18 500 Bauernbetriebe, ben bedrohtem genetischem Erbgut. Projektes bildete die Beratung. Einerseits mit welche IP-Suisse-Labelprodukte produzieren, Tabelle 2: Pro Specie Rara setzt sich für seltene Rassen ein und stellt damit die Vielfalt des nationalen genetischen Erbgutes sicher Kupferhalsziege (Pro Specie Rara) Rätisches Grauvieh (Pro Specie Rara) Engadinerschaf (Pro Specie Rara)
11 müssen einen Zielwert von 17 Punkten er- Fördermassnahmen in den Ackerkulturen und Biodiversität initiiert (Tab. 2). Das Besondere reichen, davon mindestens 15 Punkte im Be- im Raufutterbau10. an diesen Projekten ist die wissenschaftliche reich Biodiversität9. Im Zentrum stehen unter- Begleitung. Deren Ziel ist, Erkenntnisse für die schiedliche Massnahmen zur Förderung der RESSOURCENPROGR AMME Schweizer Landwirtschaft zu gewinnen, die Artenvielfalt, die kontrolliert und nach einem Der Bund fördert Massnahmen zur Verbesse- weit über die Region und Dauer der Projekte Punktesystem bewertet werden. Die Bauern- rung der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft hinausgehen11. familien können dabei aus einem Katalog von mit finanziellen Anreizen. Dabei steht primär möglichen Massnahmen auswählen. Diese rei- der schonende Umgang mit natürlichen Res- Die Tabelle 3 zeigt umgesetzte und laufende chen von weitergehenden Massnahmen im Be- sourcen im Vordergrund. Es wurden jedoch Ressourcenprojekte zur Förderung der Biodi- reich der Biodiversitätsförderflächen bis hin zu auch Ressourcenprojekte zur Förderung der versität (Liste nicht abschliessend). Tabelle 3: Ressourcenprojekte – Biodiversität Quelle: BLW. (2020). Agrarbericht 2020 – Ressourcenprogramm Projekt Projektgebiet Trägerschaft Projektziel Zeitraum Smaragdgebiet Kanton Bern Verein SMARAGD Neuschaffung oder Aufwertung von 2009-2014 Oberaargau selten gewordenen Landschaftsele- menten und Lebensräumen Schweizer Kantone AG, BL, GE, GR, Kantone Sicherung und Stärkung von seltenen 2011-2017 Ackerbegleitflora LU, VD, VS, ZH Begleitpflanzen im Kulturland Sol Vaud Kanton Vaud Service de l’agriculture (SAGR) Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit 2014-2019 et Direction générale de l’envi- und Förderung der Biodiversität in ronnement (DGE) den Böden Honig- und Wildbienenfördern- Kanton Aargau Verband Aargauischer Bienen- Förderung der Honig- und Wildbienen 2017-2022 de landwirtschaftliche Bewirt- züchtervereine, Bauernver- durch Massnahmen in der landwirt- schaftung im Kanton Aargau band Aargau und Landwirt- schaftlichen Produktion schaft Aargau Förderung gefährdeter Kantone AG, BL, SH, ZH Kantone und Fachpersonen Erhaltung und Förderung von 2020-2027 Rebbergflora aus der Rebberatung Rebbergflora durch Testen geeig- neter Bewirtschaftungsformen und -Strategien Agroforesterie Kantone VD, NE, GE, Kantone, Agridea, Bio Suisse Standortangepasste Planung und 2020-2027 JU, BE Realisierung von Agroforstsystemen Zielorientierte Kanton Zürich Kanton Zürich, Agridea, Zür- Zielorientierte und standortange- 2020-2027 Biodiversitätsförderung cher Bauernverband passte Förderung der Biodiversität
12 Zu Besuch bei Heinz und Myrta Müller Wendehals und Wiesel in der Niederstammanlage Dass Biodiversität und Lebensmittelproduktion Einen Viertel ihrer landwirtschaftlichen Nutz- Müller. Dazu gehören Rauchschwalbe, Haus- auf dem gleichen Betrieb Platz haben, zeigen fläche sind bei Müllers sogenannte «Biodiver- rotschwanz, Gartenrotschwanz, Wiedehopf, Heinz und Myrta Müller. Auf einem Viertel ihrer sitätsförderflächen». Dazu gehören extensive Wendehals, Turmfalke, Schleiereule, Meisen, Fläche fördern sie gezielt die Biodiversität. Sie Wiesen, Magerweiden mit vielen Strukturele- Buntspecht, Kleinspecht, Baumläufer, Wiesel machen bei Ansiedelungsprojekten mit. Und menten wie Felsen, Dornsträucher und Bäu- und Fledermäuse. Massnahmen sind dabei sie produzieren intensiv Gemüse und Obst. men, Streueflächen, zum Teil auch mit spora- Dornsträucher, Asthaufen und Totholz, um den disch überschwemmtem Schilf. Dazu kommen Vögeln und Säugetieren Nahrung und Lebens- Direkt am Rhein mit Blick auf Lichtenstein 68 Hochstammobstbäume wie Äpfel, Birnen, raum zu bieten. Die teilweise überschwemm- liegt der Betrieb von Heinz und Myrta Müller: Zwetschgen, Kirschen, Pflaumen und Edelkas- ten Schilfbestände werden nur jedes zweite 22 Hektaren, Ackerbau und Obst, ein paar tanien und rund 360 Walnussbäume. Zusätz- Jahr gemäht. «Weil wir nur einen kleinen Anteil Schafe, Ziegen und Pferde. «Im Ackerbau und lich pflegt der Betrieb Hecken, Blühstreifen intensive Wiesen bewirtschaften und diese im Obstbau produzieren wir intensiv», stellt sowie Teiche und Tümpel. häufig sehr klein parzelliert sind, mähen wir Heinz Müller klar. «Auf den Flächen, auf denen sie auch mit dem Motormäher, um die Insek- das standortbedingt nicht möglich ist oder es «Wir versuchen auf unserem Betrieb die Ar- ten zu schonen.» Ihnen kommt auch der Blüh- sich nicht lohnt, fördern wir gezielt die Arten- ten zu fördern, die typischerweise auf einem streifen zugute, der während der blütenarmen vielfalt.» Beim Grünland bezeichnet er die Nut- Bauernhof, in der halboffenen Landschaft und Sommermonate Nahrung für Insekten und die zung als «mittelintensiv». in Feuchtgebieten vorkommen», erklärt Heinz eigenen Bienenvölker bietet. Der Aufwand lohnt sich Mit so viel Fläche und Förderaufwand muss Herzblut drinstecken. «Die Natur hat mich schon als Kind fasziniert», bestätigt Heinz Müller. «Des- halb habe ich grosse Freude, wenn viele Arten auf den von uns bewirtschafteten Flächen vor- kommen.» Eine Herausforderung sei der zu- nehmende Druck des einjährigen Berufskrauts. «Durch die Flugsamen ist es sehr mobil und fliegt aus der Nähe immer wieder auf die gesäu- berten Flächen ein.» Es müsse aufwändig von Hand ausgerissen werden. Auch Schnecken und Mäuse nehmen entlang von Biodiversitätsförder- flächen häufig zu, weil sie hier besseren Lebens- raum und mehr Nahrung vorfinden. Der Effort trägt Früchte. «Wir haben mehr Heu- schrecken und Feldgrillen dank Messerbalken- Heinz und Myrta Müller bewirtschaften den Ackerbaubetrieb mit ihren zwei Kindern. schnitt und viel mehr blütensuchende Insekten.
13 ihren Beitrag für attraktive Landschaften und Oft würden auch schon Massnahmen genügen, Betriebsspiegel die Biodiversität», ist Heinz Müller überzeugt. die die Produktion nicht oder nur wenig ein- 22 ha Landwirtschaftliche Nutzfläche Sorgen bereitet ihm, dass vielen Menschen der schränken. «Auf den Mähaufbereiter verzich- 10 ha Ackerbau und Gemüse (Kartoffeln, Aufwand nicht bewusst sei, den hohen Nah- ten, Fluchtmöglichkeiten durch gestaffelten Saatmais, Chicorée, Blumenkohl, Brocco- rungsmittelstandards gerecht zu werden und Schnitt auch auf den intensiven Flächen und li, Spinat, Karotten, Getreide) dass dazu auch chemisch-synthetische Pflan- das Schaffen von Strukturen. Bei anhaltender Dauerkulturen: 1,4 ha Niederstammobs- zenschutzmittel eingesetzt werden müssen. Trockenheit genügt oft schon ein Eimer Wasser tanlagen (Kirschen, Zwetschgen), Christ- auf einem Viehtriebweg, damit die Schwalben bäume, 2 ha Walnussplantage, «Schädlinge und Krankheiten bedrohen die im- Schlamm für ihre Nester sammeln können.» 1.6 ha Grünland mens hohen Qualitätsstandards», erklärt der Auch Nisthilfen können Wunder wirken – und Tierbestand: 14 Ziegen, 10 Schafe, 2 Pferde Landwirt. Für ihn gibt es Flächen für die Pro- würden die Produktion nicht im Mindesten kon- duktion von Nahrungsmitteln und Flächen für kurrenzieren. Biodiversitätsförderflächen: total 5,4 ha (28 %) Streueflächen, Blühstreifen, ex- die Förderung der Artenvielfalt. Generell glaubt tensive Wiesen und Weiden, Hecken, Heinz Müller, dass sich die Schweizer Bauern- Noch mehr Biodiversitätsförderflächen möch- Hochstammfeldobstbäume, standortge- familien heute ihrer Verantwortung bewusst te Heinz Müller nicht ausscheiden. «Wir achten rechte Einzelbäume, Magerweise, Tümpel seien. «Wir wissen, wie wichtig die landwirt- grundsätzlich darauf, möglichst wenig Schaden und Ruderalflächen schaftliche Arbeit für die Biodiversität ist – wie anzurichten und wählen Pestizide, Sorte und Arbeitskräfte: Betriebsleiterpaar, Eltern, viel sie ausmachen oder zerstören kann.» Der Kulturen sorgfältig aus», erzählt er. Auch künf- bis 20 Aushilfen während der Ernte wichtigste Faktor bei der Förderung der Biodi- tig werden sie auf spezifische Massnahmen versität in der Landwirtschaft sei der Mensch setzen und eine grosse Strukturvielfalt anstre- Das zeigt sich nicht zuletzt im Honigertrag.» selbst, ist Heinz Müller überzeugt. «Wenn das ben. Aktuelles Ziel: Dass sich der Wiedehopf Der seltene, Ameisen verzehrende Wendehals Interesse da ist, ergibt sich der Rest», sagt er. auf dem Betrieb ansiedelt. brütet aufgrund der angebotenen Nisthilfen auf dem Betrieb. Zusätzlich verbessern die offen gehaltenen Baumstreifen in den Niederstamm- anlagen und Nussbäumen die Nahrungssuche. Da die Schilfflächen nur alle zwei Jahre gemäht werden, brütet auch die Rohrammer und selte- ne Pflanzen wie Sumpfgladiolen und Schwert- lilien konnten sich ansiedeln. Bauernfamilien leisten ihren Beitrag Die Landwirtschaft steht in letzter Zeit insbe- sondere in den Medien öfters am Pranger, weil sie für den Rückgang der Biodiversität verant- wortlich gemacht wird. «Landwirte produzieren heute nicht nur Nahrungsmittel, sondern leisten Die Streueflächen mit sporadisch überschwemmtem Schilf mäht Heinz Müller nur alle zwei Jahre.
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15 Herausforderungen & Lösungsansätze UMWELTZIELE Der Statusbericht 2016 zu den UZL hält fest, Bestäubung) feststellen. Dennoch moniert der L ANDWIRTSCHAFT dass Teilziel 1 teilweise, aber nicht vollständig Bericht einen pauschal negativen Einfluss der erreicht wurde. Auch bei den Lebensräumen ist Landwirtschaft auf die Ökosysteme und geht Die Bundesämter für Landwirtschaft (BLW) die Situation gemäss Statusbericht nach wie vor infolgedessen von einer Nichterreichung des und Umwelt (BAFU) haben 2008 im Rahmen ungenügend. Beim genaueren Betrachten sind Teilziels aus. der «Umweltziele Landwirtschaft (UZL)» kon- aber positive Trends auszumachen. So haben krete Zielvorgaben für 13 verschiedene Um- sich beispielsweise die Anteile von Flächen mit Zusammenfassend beurteilt der Statusbericht weltbereiche formuliert . Unter anderem 12 besonderer ökologischer Bedeutung (Q2) stetig von 2016 das Hauptziel Biodiversität als nicht auch für die Biodiversität. Diese basieren auf erhöht und in den letzten 15 Jahren mehr als erreicht, auch wenn die Grundlagen zum Teil den bestehenden rechtlichen Grundlagen und verdoppelt. Potenzial besteht diesbezüglich vor fehlen. Wo es keine Zielwerte und Indikatoren den Verpflichtungen im Rahmen der interna- allem in der Talzone. Damit zusammenhängen gibt, beurteilt der Bund die Ziele als «nicht er- tionalen Abkommen. Das Hauptziel im Bereich dürften die weiter rückläufigen Populationen reicht». Zudem ist zu beachten, dass bis heute, der Biodiversität wurde anschliessend in der diverser Ziel- und Leitarten und insbesondere 13 Jahre nach der Einführung der Umweltziele Strategie Biodiversität Schweiz vom Bundesrat von Brutvögeln, welche vor allem in Landwirt- für die Landwirtschaft, keine Umweltziele für verabschiedet: «Die Biodiversität ist reichhaltig schaftsgebieten im Talgebiet leben14 . die übrigen Sektoren in der Schweiz existieren. und gegenüber Veränderungen reaktionsfähig. Die Biodiversität und ihre Ökosystemdienstleis- Zum Teilziel 2 hält der Statusbericht 2016 fest, tungen sind langfristig zu erhalten»13 . dass Zahlen zum Zustand der genetischen Viel- AGRARPOLITISCHE ZIELE DES BUN- falt der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten DES FÜR BIODIVERSITÄTSBEITRÄGE Daraus wurden für die Landwirtschaft drei Teil- in der Schweiz spärlich sind. Dieser Umstand ziele abgeleitet: verunmöglicht eine seriöse Beurteilung dieses Der Bundesrat definierte in der Agrarpolitik (AP) Teilziel 1: Sicherung der Vielfalt von Arten, Teilziels. Weil Lebensräume zunehmend be- 2014-17 Etappenziele im Rahmen der Biodiver- welche auf landwirtschaftlichen Flächen einträchtigt und zerstückelt werden, geht der sitätsbeiträge für die Landwirtschaft. Die Ziele vorkommen sowie deren Lebensräume. Re- Bericht von einem negativen Einfluss auf die wurden in die AP 2018-21 übernommen. Sämt- levant dafür sind die vom BAFU selektionier- genetische Vielfalt innerhalb der wildlebenden liche Etappenziele wurden mittlerweile erreicht ten 1700 Ziel- und Leitarten. Populationen aus. Hinsichtlich der Sicherung (Tab. 4). Teilziel 2: Erhalt der genetischen Vielfalt einer genetischen Vielfalt innerhalb der Kultur- von einheimischen Wildpflanzen, die für die pflanzen und Nutztierrassen gilt das Teilziel 2 Landwirtschaft genutzt werden, sowie von hingegen als erreicht. ANSÄTZE anderen einheimischen, schwerpunktmäs- FÜR VERBESSERUNG sig auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche Zum Teilziel 3 fehlt in der Schweiz ein einheit- (LN) vorkommenden wildlebenden Arten. liches Klassifizierungssystem, das den Zustand Auch wenn die Ursachen für den Rückgang der Teilziel 3: Die Ökosystemdienstleistungen der Ökosystemdienstleistungen regelmässig Biodiversität nach wie vor nicht ganz klar sind: werden von der Landwirtschaft bewahrt und beurteilt. Zudem gibt es keine auf die Schweiz Die Landwirtschaft will Verantwortung über- gefördert. bezogenen wissenschaftlichen Belege, die ei- nehmen. Sie will den Zustand der Artenvielfalt nen Rückgang dieser Leistungen (wie z.B. der verbessern und gezielt fördern. Dazu haben die
16 Bundesämter für Umwelt und Landwirtschaft zusetzen, sondern auch die Natur. Die Pflan- Artenvielfalt. Eine Studie des Forschungsins- vier Handlungsfelder definiert. zenzüchtung ist ebenfalls gefragt, für unter- titutes für Biologischen Landbau (FiBL) zeigt, schiedliche Standorte geeignete Mischungen dass dieser Faktor sogar einen höheren Ein- QUALITÄT DER zu entwickeln. fluss auf viele Kleintiere aufweist als die BFF; BIODIVERSITÄTSELEMENTE insbesondere auf die Artenzahl von Heuschre- Der mit Abstand häufigste Typ von Biodiver- BFF INNERHALB cken und Käfern15. Potenzial besteht primär in sitätsförderflächen ist die extensive Wiese. DER OFFENEN ACKERFL ÄCHE der Grünlandbewirtschaftung und einer klein- Hier ist es sehr anspruchsvoll, die erwünsch- Gewisse Typen von Biodiversitätsförderflächen tierschonenden Mähtechnik. Der Balkenmäher te Pflanzenvielfalt und damit eine besondere sind in der Praxis wenig verbreitet. Vielfach ist besonders schonend. Er kommt topogra- Qualität zu erreichen. Die zentrale Herausfor- steht bei den guten Ackerböden der Aspekt phisch bedingt, z.B. in Steilhängen relativ oft derung ist der richtige Standort. Dieser ist die der Produktion von Lebensmitteln und Fut- zum Einsatz, insbesondere auf extensiv bewirt- Voraussetzung, um überhaupt die gewünsch- ter für Nutztiere im Zentrum. Gefragt sind im schafteten Wiesen. ten Zielarten und damit eine besonders hohe Ackerbaugebiet nicht maximal grosse, sondern Qualität (Q2) zu erreichen. Zudem ist es in der hochwertige Flächen, Kleinstrukturen und de- Daneben geht es darum, weniger Pflanzen- Regel nötig, spezielle Mischungen anzusäen. ren ökologische Vernetzung. Eine intakte Ar- schutzmittel einzusetzen und die Abdrift zu Die Landwirtschaftsbetriebe müssen deshalb tenvielfalt bringt erhebliche Vorteile, die sich reduzieren. Neue, präzisere Applikationstech- eine breite Abwägung zu den möglichen Typen auch positiv auf die Produktion auswirken (sie- niken kombiniert mit integriertem Pflanzen- und weiteren Massnahmen machen, um eine he Definition von Biodiversität, S. 5). schutz sowie selektiven Wirkstoffen können hohe Qualität auf der ausgewählten Fläche zu die damit verbundenen ökologischen Risiken erreichen. Dabei ist auch die Politik gefordert. MASSNAHMEN AUF deutlich reduzieren16. Auch der Zeitpunkt der Sie muss sicherstellen, dass Biodiversitätsbei- DEN PRODUKTIONSFL ÄCHEN Applikation ist wichtig. Landwirte und Land- träge verlässlich über mehrere Jahre zur Ver- Neben den Biodiversitätsförderflächen hat wirtinnen sollten Pflanzenschutzmittel bei fügung stehen. Denn nicht nur die Betriebe auch die Art der Bewirtschaftung des Kultur- Windstille und am frühen Morgen oder gegen benötigen Zeit, um Änderungen im System um- landes einen massgeblichen Einfluss auf die Abend ausbringen, wenn keine Bienen unter- wegs sind. Tabelle 4: Biodiversitätsziele in der Agrarpolitik VERNETZUNG Quelle: BLW (2020), Agrarbericht 2020 – Biodiversitätsbeiträge. ÖKOLOGISCHER FL ÄCHEN Für Wildtiere und -pflanzen muss eine Land- Etappenziele Stand 2020 Ziel erreicht im Jahr schaft vielschichtige Funktionen erfüllen: Le- AP 14-17 / AP 18-21 bensraum, Schutz, Futter, Fortpflanzung und Qualitätsstufe 1 65 000 ha im Talgebiet 79 000 ha 2013 Austausch zwischen verschiedenen Populatio- nen. Sind ökologisch wertvolle Lebensräume Qualitätsstufe 2 40 % der BFF mit Qualität 42 % 2017 zu stark zerstückelt oder zu klein, vermindert sich ihr Nutzen für die Biodiversität stark. Für Vernetzung 50 % der BFF vernetzt 77 % 2012 einen optimalen Nutzen ist eine Vielzahl an un- terschiedlichen, vernetzten Lebensräumen von
17 genügend grosser Fläche nötig17. Eine Vernet- zung besteht aus einem räumlichen Verbund- system von verschiedenen Lebensräumen und teilt sich in folgende Elemente auf18: Dauerlebensräume: Bestehen aus grossflä- chigen Biodiversitätsförderflächen wie zum Beispiel artenreichen extensiven Wiesen und bilden die Basis der Lebensraumvernetzung. Trittsteine: Einzelelemente innerhalb oder angrenzend an die Dauerlebensräume bie- ten Insekten und anderen Tieren zeitweise besiedelbare Lebensräume. Dazu zählen Ein- zelbäume, Ast- und Steinhaufen, Tümpel oder Trockenmauern. Korridorhabitate: Stellen Verbindungswe- ge zwischen verschiedenen flächigen BFF und/oder Trittsteinen dar. Als typische Kor- ridorhabitate zählen abgestufte Waldränder, Hecken, Buntbrachen, Krautsäume, Altgras- streifen oder Pufferstreifen entlang von Ge- wässern. Wenn diese drei Elemente wirksam verteilt in einem Raum vorkommen, ist er für Wildtiere und Insekten intakt vernetzt und der ökologi- sche Wert der einzelnen Elemente innerhalb dieses Vernetzungsgebietes steigt merklich an. Lokale Vernetzungsprojekte eignen sich, um diese Grundsätze auf der eigenen Fläche umzusetzen und damit die Artenvielfalt auf dem Betrieb zu fördern.
18 Zu Besuch bei Kurt Peterhans Kein Widerspruch zwischen Nahrungsmittelproduktion und Biodiversität Qualitativ gute Nahrungsmittel produzieren schiedliche Kulturen angebaut, darunter Kar- Auf dem Land der Bauernfamilie ist die Präsenz und gleichzeitig Tiere und Natur schützen, toffeln, Roggen, Sommerweizen, Zuckerrüben, von Tieren gut spürbar. Auf den extensiven das will Landwirt Kurt Peterhans auf sei- Sonnenblumen, Raps, Mais oder Kürbisse. Wiesen hat es mehrere Fuchsbaue. Kurt Peter- nem Betrieb. Auf wenig produktiven Flä- Auch Tiere – ein paar Ziegen und Kühe, Pen- hans erzählt, dass er häufig Feldhasen sieht. chen fördert er die Biodiversität mit gros- sionspferde sowie alte Legehennen – leben auf sem Engagement. dem Betrieb. Ein wichtiger Fokus liegt auf den Biodiversitätsflächen Elementen zur Förderung der Biodiversität. In von nationaler Bedeutung Der Betrieb von Kurt Peterhans und seiner Zusammenarbeit mit Biologen und Pro Natu- In den 35 Jahren auf dem Betrieb erlebte der Familie liegt in Fontaines-sur-Grandson am ra wurden Brachen, Blühstreifen, Hecken und Landwirt, dass sich der politische Rahmen im- Fusse des Waadtländer Juras und bietet einen Hochstammbäume sorgfältig auf der Fläche mer wieder verändert. Aber er liess sich davon wunderbaren Blick auf die Alpen und den angeordnet, um eine optimale Vernetzung der nie entmutigen. Während seiner Anfangszeit Neuenburgersee. Auf den rund 50 Hektaren Habitate für Kleintiere zu ermöglichen. Hinzu musste Kurt Peterhans auf Veranlassung des Landwirtschaftsfläche werden ganz unter- kommen einige Nistmöglichkeiten für Vögel. Bundes in seinem Kampf gegen den Alkoholis- mus seine Hochstamm-Feldobstbäume fällen. Inzwischen hat er nun über 80 neue Bäume gepflanzt, darunter verschiedene regionale Arten. Auch aus dieser Zeit stammt seine Ent- scheidung, sich dem Ackerbau zu widmen, da er die gewünschten Milchkontingente nicht erhalten hatte. Obwohl seine Felder nicht die produktivsten sind, baute er anfangs Raps, Kartoffeln, Weizen und Zuckerrüben an. Im Laufe der Zeit diversifizierte er seine Kulturen dank der Unterstützung seiner jüngsten Toch- ter Vanessa zwar. «Allerdings wollte ich die Fruchtfolge mit einer für den menschlichen Verzehr geeigneten Hülsenfrucht weiter ver- bessern», erklärt er. Leider fanden sich damals keine attraktiven Abnehmer dafür. Punkto Bio- diversitätsförderung konnte er dank seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Pro Natura einen Teich gegen Landwirtschaftsflächen im Dorf eintauschen. Der Teich ist heute als Am- phibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung klassifiziert. Gleichzeitig besitzt er noch Tro- «Meine Tochter Vanessa soll weiterhin qualitativ hochstehende Lebensmittel produzieren sowie ckenwiesen, die ebenfalls von nationaler Be- gleichzeitig Natur und Tiere schützen können», sagt Kurt Peterhans. deutung sind. Das Zusammenspiel zwischen
19 Kulturflächen und Naturschutzgebieten funk- sich bereits stark in den Betrieb einbringt, will er schützen können.» Denn ein wichtiges Motto für tioniert sehr gut. einen lebensfähigen Betrieb überlassen. «Sie soll Kurt Peterhans ist: «Wir haben die Erde nicht von weiterhin qualitativ hochstehende Lebensmittel unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kin- Für Kurt Peterhans stellen die Lebensmittel- produzieren sowie gleichzeitig Natur und Tiere dern geliehen.» produktion und die Förderung der Biodiversität keinen Widerspruch dar. Er sieht kein Problem Betriebsspiegel 6,3 ha extensive Weiden, 0,13 ha Blühstrei- darin, seine Flächen als Brachen und als Blu- fen), 78 Hochstamm-Feldobstbäume, menwiesen ruhen zu lassen, im Wissen, dass 50 ha landwirtschaftliche Nutzfläche 47 Nussbäume, 4 Einzelbäume er wenig produktive Parzellen besitze, die aber 38 ha Ackerfläche (8 ha Zuckerrüben, Andere: 0,20 ha Kürbisse, 0,04 ha Blumen reich an Biodiversität seien. Die Situation wäre 16 ha Sommerweizen, 3, ha Roggen, 1,6 ha Mais, 1,5 ha Kartoffeln, 6,5 ha Raps, Tiere: 3 Ziegen, 6 Kühe, 50 Legehennen, natürlich anders, wenn diese Flächen äus- 3 Pensionspferde 1,8 ha Sonnenblumen) serst produktiv wären. «Ich bin mir bewusst, Arbeitskräfte: Betriebsleiterpaar, Tochter 9,4 ha Biodiversitätsförderflächen (2 ha dass Betriebe mit grossen Viehbeständen ihre Buntbrachen, 0,95 ha extensive Wiesen, gesamte Fläche brauchen, um ihre Tiere mit Futter zu versorgen und dass es für sie daher schwieriger ist, Biodiversitätsförderflächen auszuscheiden», sagt Kurt Peterhans. Die Erde ist von unseren Kindern geliehen Er möchte sich auch in Zukunft dem Anbau von Raps oder Kartoffeln widmen und dabei den Ein- satz von Pflanzenschutzmitteln möglichst mini- mieren. Beim Getreide strebt er gar eine herbi- zidfreie Produktion an. «Meine Hoffnung ist, die herbizidfreie Methode für andere Kulturen wei- terzuentwickeln», sagt er. Gleichzeitig setzt Kurt Peterhans auf Blühstreifen und Buntbrachen, um Nützlinge zu fördern, die sich bei der Bekämp- fung gewisser Schädlinge als nützlich erweisen könnten. Ausserdem wecken diese blühenden Kulturen das Interesse der Wanderer und Wan- derinnen in der Region. «Das zahlt sich in unse- rem Gebiet besonders aus, in dem sich die Kom- munikation zwischen Stadt und Land noch mehr entwickeln sollte», erklärt Kurt Peterhans. Sein Alte Brachen bieten mit ihrem hohen Anteil an abgestorbenen Pflanzenteilen besonders wert- Ziel für die Zukunft? Seiner Tochter Vanessa, die vollen Lebensraum für Insekten. Auch Säugetiere schätzen den nahezu ungestörten Lebensraum.
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21 Fazit Die Landwirtschaft hat einen direkten Einfluss sicht viel geleistet. So sind die flächenbasierten auf die Artenvielfalt in den ländlichen Gebieten Ziele der AP 2018-21 bezüglich Biodiversität und ist gleichzeitig auf eine intakte Biodiversi- mittlerweile alle übertroffen. tät angewiesen. Die Bestäubung etlicher Kultur- pflanzen durch Insekten ist nur eine von vielen Statt auf die weitere Vergrösserung der Biodi- elementar wichtigen Dienstleistungen, welche versitätsförderflächen (BFF) zu setzen, sollte gesunde Ökosysteme mit sich bringen. Deshalb der Fokus auf die Verbesserung der Qualität nimmt die Landwirtschaft Berichte ernst, die gelegt werden. Auch lässt sich der ökologi- auf einen Rückgang der Artenvielfalt hinweisen. sche Mehrwert einer BFF für die Artenvielfalt besser und effizienter nutzen, wenn die Fläche Die Bauernfamilien tragen eine grosse Verant- vernetzt ist. Zudem braucht die Biodiversität wortung und müssen unterschiedliche und zum Kontinuität: Die Förderprogramme sollen nicht Teil widersprüchliche Anforderungen erfüllen. mit jeder Reform wieder grundlegend geändert Denn neben ihrem verfassungsrechtlichen Er- werden. Schliesslich ist ein gemeinsames Enga- nährungsauftrag gehört auch die Förderung der gement der Landwirtschaft, der urbanen Gebie- Biodiversität dazu. Die Agrarpolitik unterstützt te und der gesamten Gesellschaft erforderlich. diese Aufgabe mit Direktzahlungen. Die Betrie- Bei der Biodiversitätsförderung gilt: Auch viele be haben in den letzten Jahren in dieser Hin- kleine Schritte führen ans Ziel!
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23 Impressum Herausgeber Schweizer Bauernverband | Laurstrasse 10 | 5201 Brugg Telefon 056 462 51 11 | www.sbv-usp.ch | info@sbv-usp.ch Projektleitung Diane Gossin, Geschäftsbereich Energie & Umwelt Mitarbeit Florian Ellenberger, Tatjana Fina, Selina Fischer, Nejna Gothuey, Sandra Helfenstein, Albert Meier, Katharina Scheuner Druck ZT Medien AG | Henzmannstrasse 20 | 4800 Zofingen Telefon 062 745 93 93 | www.ztmedien.ch Erscheinung Juli 2021 Bildquellen Titelbild: Agroscope: Katja Jacot-Ammann Kopfbilder: Agroscope (S. 5, S. 7, S. 11, S. 16, S. 20, S. 22), Markus Bühler (S. 2), Selina Fischer (S.3, S. 9, S. 23), Diane Gossin (S. 4, S. 6, S. 14), Ivo Gutmann (S. 21), Andreas Meier (S. 10), B. Schmidiger (S. 15), Maya Vollenweider (S. 17), Alain Winterberger (S. 8) Tabelle 1: Agroscope (S. 8, S. 9), Simon Birrer (S. 7), Selina Fischer (S. 9), Diane Gossin (S. 7), Hannah Hofer (S. 8), Katja Jacot-Ammann (S. 8), M. Jenny (S. 9), Katharina Scheuner (S. 7, S. 8, S. 9) Tabelle 2: Pro Specie Rara
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