Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen

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Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Wie macht man Familien
               widerstandsfähiger?
    Förderung der familiären Resilienz an
ausgewählten Beispielen psychischer Störungen

Prof. Dr. Simone Munsch
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Departement für Psychologie
Universität Fribourg
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Drei Fragen

1. Gesundheit-Krankheit-Resilienz?

2. Was zeichnet widerstandsfähige Familien aus?

3. Was tun?
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Gesundheit-Krankheit-Resilienz
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Gesundheit: mehr als keine Krankheit
            WHO (1946)

 „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen
 körperlichen, geistigen und sozialen
 Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von
 Krankheit und Gebrechen.“
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Krank ist, was nicht Norm ist?
Statistische Norm:

Abnorm ist das Ungewöhnliche

Subjektive Norm:

Abnorm ist das persönlich Ungewohnte

Soziale Norm:

Abnorm ist das gesellschaftlich Abweichende

Funktionsnorm:

Abnorm ist das Schädliche

Idealnorm:

Abnorm ist das von der Idealvorstellung Abweichende
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Machen Belastungen krank?

Epiktet: Griechischer Philosoph, 50 n.Chr. bis 138 n.Chr. Ehemaliger
Sklave, kam in Rom mit Stoik in Kontakt.
Im Zentrum seiner Ethik stand die innere Freiheit und Autonomie jedes
Menschen.
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Der Umgang mit, die Menge, die Art, der
Zeitpunkt und der Umgang mit Belastungen
            machen es aus…

  Lazarus, 1984.

                              Mc Ewen, 2000.
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Kindheit, Familienzeit - eine
               unbeschwerte Zeit?
    Beginn psychischer
        Störungen:
      50% ≤ 14 Jahre
      75% ≤ 24 Jahre

                                                               Frühe      Späte
                                    Vorschule    Schule        Jugend     Jugend

0          10           20                      40                       60              80
    Kessler et al. 2005; Bradbury & Karney, 2010; Zemp et al. 2018; Zemp et al., 2016.
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Prävalenz
    psychischer
    Störungen in
       Europa

Jahresprävalenz 2005: 27.4%

Jahresprävalenz 2011: 38.2%;
164.8 Millionen Menschen
Anstieg durch Störungen im
Kindes- und im höheren
Lebensalter

                               Wittchen et al. 2011.
Wie macht man Familien widerstandsfähiger? - Förderung der familiären Resilienz an ausgewählten Beispielen psychischer Störungen
Widerstandsfähigkeit (Resilienz)

                                             Negative
                                             Lebens-
Fertigkeiten und Ressourcen, um mit         ereignisse,
                                             Trauma
Belastungen umzugehen und um sich
davon zu erholen
                                      Resilienz

                                           Psychische
                                           Gesundheit

De Graaff et al. 2018.
Was zeichnet widerstandsfähige
        Familien aus?
Schutzfaktor Bindung
    Negative
    Lebens-
   ereignisse,
    Trauma

Resilienz

  Psychische
  Gesundheit

                                  Harlow, H.F. (1958). The nature of love.
                                  American Psychologist, 13, 673-685.
Mütterliche und romantische Liebe:
         Deaktivierte Hirnregionen
   Bei mütterlicher (oben) und romantischer Liebe
   (unten) wird die Aktivität der gleichen
   Hirnregionen unterdrückt
    – Trauer und Depression (rechter präfrontaler Cortex)
    – Angst, Aggression (Amygdala)
    – Soziale Urteile (Amygdala, mesialer präfrontaler Cortex, pariotemporale
      Kreuzung, temporale Pole)
    – „Theory of Mind“ / „Mentalizing“ (mesialer präfrontaler Cortex,
      pariotemporale Kreuzung, temporale Pole)

Ø Bindungsgefühle aktivieren Regionen des Belohnungssystems und hemmen
  Regionen, die für negative Emotionen und kritische Bewertungen wichtig
  sind

 The neural correlates of maternal and romantic love,
 Bartels & Zeki, 2004.
Negative Emotionen Positive Emotionen
   § Steigern Sympathikus-               § Bremsen Sympathikus-
     Erregung                              Erregung
   § Engen Aufmerksamkeit ein            § Fördern neuartige Denk-
     (Gefahrenreize), fördern              und Verhaltensmuster,
     spezifische, vorgebahnte              Flexibilität, Offenheit
     Denk- und                           § Entstanden
     Handlungstendenzen                    entwicklungsgeschichtlich
     (Kampf, Flucht)                       bei Spiel, Exploration,
   § Entstanden entwicklungs-              Reproduktion, Pflege
     geschichtlich in lebens-
     bedrohlichen Situationen

Frederickson 2001, Tugade et al. 2004.
Darüber hinaus…
§ Fangen elterliches Engagement und familiäre Kohäsion die
  negative Wirkung von Belastung ab (Selbstbericht und
  psychophysiologische Daten de Graaff et al. 2018; Hostinar et al. 2014)
§ Verbessern positive elterliche Aussagen über die Kompetenzen
  ihrer Kinder deren Umgang mit Herausforderung und Stressoren
  (Heard-Garris et al. 2018)

§ Sind Eltern die wichtigsten Trainer ihrer Kinder beim Erwerb
  der Emotions- und Handlungskontrolle (u.a. Munsch et al. 2007, 2011)
Familiäre Atmosphäre bei Kindern mit
Essanfällen und ADHS

 N= 104 Kinder, 8-12 J.: 34 BED, 35 ADHD, 35 gesunde Kontrollkinder.
 Expressed Emotions: Five Minutes Family Speech Sample , FMSS
 Negative Urgency, (lack of) Premediation, (lack of) Perservance, Sensation Seeking-Positive Urgency Scale (UPPS)
 Emotional Eating: Dutch Eating Behavior Questionnaire (DEBQ)

                                                     Defizite in
                                                     Handlungs-                      Indirect
                                                                                     effect 0.57*
     Negative                                        steuerung
     familiäre
           Parental
     Atmosphäre                                            direct
           criticism
     (Kritik)
                                                           effect 0.99
                                                                                   Emotionales
                                     Total effect                                  Essen des Kindes
                                     1.56*

Munsch & Dremmel et al. 2016.
Schutzfaktor Lernen am Modell
           Negative
           Lebens-
          ereignisse,
           Trauma                                      Kinder mit Essanfällen
                                                                                                  .63
      Resilienz

         Psychische
         Gesundheit
                                                                             e2

                               .70                                                                                .57

                                                                                                 Food Intake
                                           Sex Child
                                                                                   .20             Mother
                                                                     .11

                                     .21                       .13                       .40

                                  Child                              Child Attentional                      Child
                        e1    Externalization                            Problems                       Internalization
                                                                                                                          e3

                                                       .38**                             .37**
                                                                           .45**
                                       .16 n.s.                            .32*]                        -.53***
                                       [.12 n.s.]                                                       [-.26*]

                                                                       Food intake
                                                                          Child

                                                                             e4
Munsch et al. 2011.
Elterliches Modell und Verhaltensinhibition,
Angstsymptome           § Interventionsstudie an
2.5                                              Vorschulkindern (3,5 - 4,5 Jahre)
                                               - Inhalte des Programms (6-
  2                                              Sitzumgen): elterliches
                                                   Überengangement, Modelllernen von
                                                   Angst, Reduktion elterlicher Angst,
1.5                                                Konfrontation der Angst für das Kind
                                 Edukation
                                               § Längsschnittstudie (Erstgeborene
  1                              Warteliste        und 2J. später)
                                               - Mütterliches Überengagement
0.5                                              sagt Angstsymptome nicht
                                                 voraus
  0
                                               - Fehlen väterlichen
        Baseline     12 Monate                   Explorationsverhaltens jedoch
                                                 schon!
Häufigkeit von “Angstproblemen” vor und
nach Kurzzeittrainng
                                          Rapee et al. 2005; Majdandzic et al. 2018.
Eltern: die wichtigsten Trainer ihrer Kinder

                                                    § Therapieende, 5-Jahresverlauf
 BMI-SDS

2.80                                                § 16% der Kinder
2.70              Nur-Mutter Behandlung               normalgewichtig
2.60
2.50
                  Mutter-Kind Behandlung            § 31% nicht länger adipös
2.40                                                § Nur-Mutter Behandlung:
2.30
                                                      deutlichere Effekte als in
2.20
2.10
                                                      Mutter-Kind Behandlung
                                                       (Interaktion Gruppe x BMI, p=.036)
2.00
       0         100             200          300   § Reduktion der Verhaltens-
              Wochen seit Therapiebeginn
                                                      auffälligkeiten um 30%

Munsch et al. 2008; Roth & Munsch 2010; Roth et al. 2011.
Schutzfaktor Erziehung und
       Negative
       Lebens-
      ereignisse,
       Trauma

   Resilienz
                           Umwelt: Verhaltensauffälligkeiten
      Psychische
      Gesundheit
                                   Baseline            1 yr-follow up        Baseline & Follow-up
                                    N=511             N=337                   N=328
                                      N         %       N          %             N          %
Gesamtscore
Verhaltensprobleme                     35       6.9     23          6.8           10             3

Emotionale Probleme                    22       4.3     30          8.9            6           1.8

Verhaltensprobleme                     39       7.6     25          7.4            8           2.4

Hyperaktivität                         27       5.3     21          6.2            7           2.1
Verhaltensprobleme mit
Gleichaltrigen                         42       8.2     25          7.4           10             3
Strengths and Difficulties Questionnaire, SDQ
                                                         Stülb et al., resubmitted; de Graaf et al. 2018.
   Beeinflussung durch:
   Inkonsistente Erziehungspraktiken, geringer sozioökonomischer Status: p
Negative
    Lebens-
   ereignisse,
    Trauma
                   Schutzfaktor Emotionsregulation:
Resilienz          Stresstoleranz und Depressivität
  Psychische
  Gesundheit

                 § Mangelnde Stresstoleranz: prädiktiv für Depressivität bei 10-
                   jährigen Kindern
                 § Elterliche Emotionsregulationsstrategien sind nicht direkt mit
                   Depressivität assoziiert, erhöhen jedoch die Stresstoleranz:
                 - Elterliche Emotionsregulationsstrategien wie „Reappraisal“
                   (Neuinterpretation) und selbstreflexive Strategien sind mit höherer
                   Stresstoleranz (Computertest) assoziiert
                 - Mütterliche Tendenz bei aversiven Erfahrungen Strategien der
                   Neuinterpretation/ Selbstreflexion zur Emotionsregulation
                   anzuwenden ist für Mädchen und Jungen relevanter als der
                   väterliche Emotionsregulationsstil

                                                   Cummings et al., 2013; Doan et al. 2018.
Fazit: Was tun?
Vermeiden, was Dissonanz erzeugt?

                      Francis Bacon
Alberto Giacometti
Umgang mit Belastung = Resilienz
          trainieren
    Leistungsfähigkeit,
    Wohlbefinden

             Distress               Positive                  Distress
                                    Stressoren
                                    Eustress

             Unter-                                               Über-
             forderung                                         forderung

                                                               Beanspruchung

                 Spitz (1976): Hospitalismushypothese
                 Patel et al. (2007): Stimulationshypothese
…eine Portion Schmutz pro Tag
Hygienehypothese: Zunahme allergischer Erkrankungen
durch Abnahme von Infektionen in der Kindheit (Strachan et
al. Br. Med. J., 1989; Lambrecht et al., Nat Immunol, 2017)

§ Allergische Erkrankung häufiger bei Erst- als bei Zweit- oder
  Drittgeborenen
§ Krippenaufenthalt assoziiert mit weniger Allergieerkrankungen
§ Hepatitis A, Toxoplasmose und Helicobacter pylori Infektionen reduzieren
  Risiko allergischer Erkrankung um >60%
§ Geringere Prävalenz allergischer Erkrankungen in 3. Welt
§ Zunahme von Autoimmunerkrankung in westlicher Welt: Diabetes Typ I,
  multiple Sklerose, entzündliche Darmerkrankungen
Bezugspersonen stärken, gegenseitiges
 Vertrauen fördern, Entwicklung fördern

   Positive                                               Negative
Gegenseitigkeit                                         Gegenseitigkeit
                      Bezugspersonen:
                      Sensitivität und
  Co-Regulation bei   Reziprozität
                                                               Dysregulation bei
  Entwicklungsauf-    Belastung der
                                                               Entwicklungsauf-
  gaben: Selbst-      Bezugspersonen
                                                               gaben, mangelnde
  vertrauen in eig.   Kinder/                                  intuitive
  Kompetenz           Jugendliche:                             Kompetenz
                      Temperament
                      Lebensereignisse

                                         Papousek & Cierpka, 2012.
Als Behandlungspersonen: Bezugspersonen
         TAKE - ein psychologisches Training für adipöse Kinder und ihre Eltern 317
unterstützen

 Abbildung 5: Katamneseverlauf des kindlichen BMI-SDS für hohe und niedrige BAI Werte der Mutter
 bei Therapiebeginn

 4            Diskussion
                                         Roth et al. 2011.
 Die vorliegenden Studienergebnisse weisen darauf hin, dass das verhaltensthera-
Als Behandlungsperson:
Emotionsregulation fördern = Resilienz fördern
     Stichprobe: Gesunde Kontrollgruppe: N= 120; Klinische Gruppe: N= 174

                      Exposure to landscapes    Thin ideal exposure

    Ø Schwierigkeiten mit Emotionsregulation verstärken den
      Effekt der Exposition mit Schlankheitsidealen

                                                                      (DERS kontinuierlich od.
                                                                      Quartilsplit F(1,247) = 13.202,
                                                                      p
Als Familie: Geschichten erzählen

§ Narrative von Bezugspersonen beeinflusst
  künftiges Verhalten:
- Je detaillierter und chronologischer die Aussagen
  über das Leben der Jugendlichen, desto besser
  deren Umgang mit Schwierigkeiten
- Neue Narrative? Kinder und Jugendliche
  „haben“ sie “sind“ nicht Schwierigkeiten

                              Friedman et al. 2007; Greco & Hayes, 2011.
Als Soziales Umfeld
§ 1. Schritt : Identifikation von Personen mit Risiko
  (Sensitivität)
   Einzelpersonen sind Teil sozialer Netzwerke
   Verhaltensauffälligkeiten, elterliche Belastung, sozioökonomische
   Faktoren
§ 2. Schritt: Allgemeine, präventive Massnahmen
  (Gelassenheit)
   Bewältigungsmöglichkeiten ausschöpfen, positive Gegenseitigkeit
   ermöglichen (mit der Giesskanne, täglich, viel)
   Training der Emotionsregulation (mit der Giesskanne, täglich, viel)
§ 3. Schritt: Einbinden der sozialen Umgebung und/ oder
  spezifische psychologisch-psychotherapeutische Angebote
  (Handeln)
   «One significant other»; kind-, jugendgerechte Materialien
Umfeld einbinden um Stigma zu reduzieren,
entwicklungsgerechte Medien verwenden: z.B.
Zurückweisungsempfindlichkeit erklären
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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