Wolfgang Amadeus Mozart Dominicus- und Spaur-Messe

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     Wolfgang Amadeus Mozart
    Dominicus- und Spaur-Messe
Mozarts Kirchenmusik ist „so geistlich   Mozart: „Unsere Kirchenmusik ist von
wie die heiteren, lichten Kirchenbau-    der in Italien sehr verschieden, umso
ten, die das 18. Jahrhundert in Bayern   mehr, da eine Messe … auch an den
und Österreich geschaffen hat. Sie at-   grössten Festen, wenn der Fürst{erz-
met eine natürliche, ungekünstelte,      bischof} selbst die Messe liest, nicht
von pathetisch-gewichtigen Zügen         länger als höchstens drey Viertelstun-
freie Frömmigkeit, sie dient gewissen-   den dauern darf. Da braucht man für
haft dem liturgischen Wort und kleidet   diese Art Composition ein besonderes
es in thematische Formulierungen von     Studium, und doch muss es eine Mes-
überzeugender Symbolkraft.“ (Re-         se mit allen Instrumenten seyn, auch
clam) Mozarts Kirchenmusik entstand      mit Kriegstrompeten!“
im Wesentlichen während seiner Salz-
burger Jahre, als er im Dienste von      Musik im Dienst des Wortes
Erzbischof Hieronymus Colloredo für      Die Begrenzung der Aufführungszeit
die musikalische Gestaltung des Got-     entsprang nicht einer Laune des Erz-
tesdienstes im Dom und in der Pe-        bischofs, sondern entsprach der nüch-
terskirche verantwortlich war.           ternen Frömmigkeit eines aufgeklärten
                                         und dem barocken Pomp abgeneigten
Seine Kompositionen waren an stren-      Kirchenfürsten. Er wollte damit einen
ge Vorgaben gebunden. 1749 hatte         musikalischen Wildwuchs auf Kosten
Papst Benedikt XIV. eine Enzyklika       des Gottesdienstes verhindern und die
erlassen, um opernhafte Auswüchse        Musik allein in den Dienst des Wortes
der Kirchenmusik zu unterbinden. Auf     stellen. Der Text der Messe sollte mu-
diese päpstliche Anordnung stützte       sikalisch vorgetragen werden, nicht
sich die Forderung Erzbischofs Collo-    aber als Vorwand zu einer breiten mu-
redo, wonach die gesamte Messe nicht     sikalischen Entfaltung dienen. Dieses
länger als eine Dreiviertelstunde dau-   Gebot der Kürze musste Mozart bei
ern sollte. Er verlangte damit vom       den zwei noch vor dem Amtsantritt
Komponisten eine streng auf das litur-   von Erzbischof Colloredo komponier-
gische Wort konzentrierte, auf jede      ten feierlichen Messen (Missae solem-
konzertante Ausweitung und Aus-          nes) anlässlich der Einweihung der
schmückung verzichtende Kurzmesse        Wiener Waisenhauskirche (Waisen-
(Missa brevis). In einem Brief an den    haus-Messe) und der Primiz seines Ju-
italienischen Musiker Giovanni Bat-      gendfreundes Cajetan Hagenauer (Do-
tista Martini schrieben Vater und Sohn   minicus-Messe) noch nicht beachten.
Werkeinführung                                                           5

Porträt des 14-jährigen Mozart. Ein Jahr zuvor hatte er die Dominicus-Messe
komponiert.
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Offiziell und persönlich                  in vokaler Besetzung, Taktart, Tempo
Die Dominicus-Messe in C-Dur (KV          und Tonart unterscheiden.
66) trägt ihren Beinamen nach Mo-
zarts Jugendfreund Cajetan Hage-          Wie dabei Soloarie und Fuge bevor-
nauer, der unter dem Ordensnamen          zugt werden, zeigt beispielhaft das
Dominicus Benediktiner-Mönch ge-          Gloria. Es wird von 15 Chortakten er-
worden war und am 15. Oktober 1769        öffnet, worauf zwei gleich lange Solo-
in der Salzburger Peterskirche seine      sätze (Laudamus te für Sopran und
erste Messe feierte. Dem Anlass ent-      Alt, 77 Takte, und Domine Deus für
sprechend handelt es sich um eine         Tenor, 76 Takte) folgen, zwischen die
Missa solemnis, in der sich ein offi-     mit nur elf Takten das Gratias agimus
zieller und immer wieder auch ein         des Chores tritt. Wiederum chorisch
ausgeprägt persönlicher Tonfall ergän-    ist das Qui tollis, mit 29 Takten bis
zen. „Die walzerartige Begleitung im      dahin längster Chorsatz des Gloria -
Kyrie kennzeichnet die familiär un-       aber nicht aus musikalischen Gründen,
beschwerte Haltung der Primizmesse,
die als Ausdruck der fröhlichen
Freundschaft des jungen Paters und
der Erinnerungen an Jugendspiele gel-
ten mag.“ (Karl Gustav Fellerer)

Reiche instrumentale Besetzung
Die musikalische Feierlichkeit wird
zum einen durch die viel reichere in-
strumentale Besetzung erzeugt. Wäh-
rend bei der kurzen Messe an gewöhn-
lichen Sonn- und Festtagen im Or-
chester das sog. Salzburger Kirchen-
trio (zwei Violinen mit Bass) und
Orgel genügten, wurde bei feierlichen
Anlässen das Orchester durch eine
umfangreiche Bläserbesetzung erwei-
tert. Zum anderen wird die Feierlich-
keit durch Textwiederholungen und
die freie Entfaltung solistischer Arien   Wolfgangs Jugendfreund Cajetan Hage-
und chorischer Fugen erhöht. Cha-         nauer nahm bei seinem Ordenseintritt
rakteristisch für diese komplexe Form     den Namen Dominicus an. Zu dessen
ist die Vertonung der einzelnen Teile     Primiz komponierte Wolfgang die Domi-
der Messe - vor allem der textreichen     nicus-Messe. Der zehn Jahre ältere Or-
Sätze Gloria und Credo - in mehreren,     densmann blieb dem Komponisten stets
in sich geschlossenen Sätzen, die sich    in Freundschaft verbunden.
Werkeinführung                                                                 7

sondern wegen der grossen Menge des       tieferer Tonlage, Chromatik, instru-
zu vertonenden Textes. Der Schluss        mentale Begleitung nur durch Strei-
wird mit dem längsten Solosatz vor-       cher in ruhigerer Bewegung.
bereitet (Quoniam für Sopran, 101
Takte); ihm folgt die Chorfuge Cum        Das ebenfalls aus einzelnen Sätzen zu-
sancto spiritu, die mit 111 Takten        sammengesetzte Credo ist durch ein
Länge nicht nur das Mass der übrigen      ostinates Orchestermotiv – eine gleich-
Chorsätze bei weitem übersteigt, son-     bleibende, ständig wiederholte musika-
dern auch das der vorausgehenden Ko-      lische Wendung – thematisch verbun-
loratur-Arie des Soprans. „Zwar hat       den. Auffällig in der insgesamt heite-
man einem solchen Rechenexempel           ren Messe ist das durch einen langsa-
stets mit Vorsicht zu begegnen, doch      men, abwärts gerichteten c-Moll-Drei-
es spiegelt auch die tatsächlichen mu-    klang eröffnete düstere Crucifixus.
sikalischen Sachverhalte wider. Ähn-
lich ‚feierlich’ gibt sich nur noch das   Das Wort Sanctus gestaltet Mozart
monumentale Gloria der c-Moll-Mes-        durch einen breiten Notenwert auf der
se von 1783“. (Konrad Küster)             ersten Silbe als langgezogenen chori-
                                          schen Ruf – so wie er bereits vor-
Wörter akzentuiert                        gängig die Worte Kyrie und Gloria
Bestimmte Wörter des Messetextes          durch wiederholt punktierten Rhyth-
werden von Mozart musikalisch ak-         mus scharf akzentuiert und damit den
zentuiert. Besonders hervorgehoben ist    akklamatorischen Charakter dieser
im Gloria nach Qui tollis peccata         Teile der Messe musikalisch aus-
mundi das Wort miserere durch den         drückt. Im Allegro- und Moderato-
silbenweisen Wechsel von piano zu         Teil wird der homorhythmische Text-
forte, der auch im folgenden Vers an      vortrag des Chores durch Solostim-
der entsprechenden Passage suscipe        men unterbrochen.
deprecationem erscheint. „Man kann
den Eindruck haben, dass Mozart hier      Im Benedictus entfaltet sich ein Solo-
das inständige Bitten klanglich in        quartett. Besonders reizvoll sind die
besonderer Weise zur Geltung bringen      gehaltenen Töne der Solostimmen, die
will.“ (Günther Massenkeil) Im Credo      von einer stakkatierten Sechzehn-
wird das Wort mortuorum durch den         telbewegung der Violinen begleitet
plötzlichen Wechsel von Allegro zu        werden. Zwei gegensätzliche Motive
Adagio bei gleichzeitigem Wechsel zu      bilden die Grundlage des Agnus Dei.
einer dissonanzhaltigen Harmonik ak-      Auf sie folgt ein ausdrucksvolles
zentuiert, während vivos et mortuos       Miserere, während das Dona nobis, in
bei gleichbleibendem Allegro gegen-       dem Soli und Chor in einen spielerisch
über dem vorhergehenden Text mehr-        und harmonisch gewitzten Dialog
fach einen Kontrast bildet: durch ein     treten, wieder in der heiteren Manier
subito piano, längere Notenwerte in       der Zeit fliesst.
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Kurze Messe für festlichen Anlass           entsprechender instrumentaler Be-
Die Spaur-Messe in C-Dur (KV 258)           gleitung geprägt. Auf das vom Chor
wird mit Domherr Friedrich Franz            forte gesungene Kyrie eleison folgt
Joseph Graf von Spaur in Verbindung         jeweils das von den Solisten piano
gebracht. Die Entstehung der Messe          vorgetragene Christe eleison. Im straff
lässt sich allerdings nicht genau da-       durchkomponierten und mit einem
tieren; es steht lediglich fest, dass sie   knappen Fugato endenden Gloria sind
Mozart in Salzburg noch vor seiner          die Singstimmen beherrschend. „Das
Abreise nach Mannheim und Paris im          Orchester beschränkt sich auf figura-
Jahr 1777 komponiert hat. Damit ist         tive Umspielungen, die in der Einheit
die übliche Bezeichnung fraglich, da        der Motive dem Streben nach Ge-
Spaur bereits vor der Entstehung des        schlossenheit entsprechen“. (Fellerer)
Werks im Salzburger Dom zum Bi-             Den chorischen Anfang mit dem Wort
schofskoadjutor von Brixen geweiht          Gloria gestaltet Mozart durch punk-
worden war. Die Orchesterbesetzung          tierten Rhythmus betont akklamato-
mit zwei Trompeten, drei Posaunen,          risch, so wie er in ähnlicher Weise
Pauken und Orgel nebst den üblichen         auch die Worte Gratias und Quoniam
Streichern lässt dennoch auf einen          akzentuiert und damit den hymnischen
festlichen Anlass schliessen.               Charakter des Satzes unterstreicht.

Auch wenn die Spaur-Messe der Be-           Kurzbericht auf engstem Raum
setzung nach zum Typus der Missa            Das Credo gliedert sich in drei Teile
solemnis gehört, entspricht sie in Be-      mit Et incarnatus est und Crucifixus
zug auf Dauer und Stil eher einer           als langsamen Mittelabschnitt. Das Et
Missa brevis. Sie entging dem               incarnatus est wird vom Solotenor ge-
Schicksal anderer Messen Mozarts,           sungen, während das anschliessende
die im 19. Jahrhundert wegen eines          Crucifixus nicht wie üblich rein cho-
angeblichen Mangels an Kirchlichkeit        risch ist. Vielmehr singt der Chorbass
kritisiert und aus dem Gottesdienst         allein viermal chromatisch aufsteigend
verbannt wurden. Dabei war es nicht         das drohend wirkende Crucifixus,
stilistische Strenge als vielmehr ihre      während die Worte Crucifixus etiam
Schlichtheit, die diese Messe für pu-       pro nobis den drei oberen Solostim-
ristische Eiferer unangreifbar machte.      men zugewiesen sind, bevor der Chor
Das solistische Element tritt beim Ge-      vierstimmig mit passus et sepultus est
sang wie bei den Instrumenten zu-           den Vers beschliesst.
gunsten der Entfaltung des Gesamten-
sembles deutlich in den Hintergrund.        Wie im Gloria wird auch im Credo
                                            die feierliche Kürze durch die im
Das lebhafte Kyrie läuft im Allegro         Vergleich zu den Missae solemnes
durch und ist durch den ständigen           deutlich geringere Zahl von Wort-
Wechsel von Chor und Soli mit               wiederholungen erzielt. „Das im Uni-
Werkeinführung                                                            9

Dieses Bild wurde 1777 für die Accademia von Bologna angefertigt. Kurz zuvor
hatte Mozart die Spaur-Messe komponiert.
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sono von Singstimmen und Instru-         dern behandelt das vollständige Quar-
menten absteigende Descendit de          tett wie einen zweiten kleinen Chor.
coelis, das von seufzenden Orches-       Die Streicher begleiten den Satz mit
terakzenten begleitete Et incarnatus,    Tonleiterfiguren in Achteltriolen. Der
das Crucifixus, in dem die leise Klage   Einsatz der Oboen, Trompeten und
der hohen Solostimmen von lauten,        Pauken verleiht dem sonst verhaltenen
chromatisch aufsteigenden Rufen der      Satz einen besonders feierlichen Cha-
Chor-Bässe kontrapunktiert wird, da-     rakter.
nach das Resurrexit im Unisono auf-
steigend als Umkehrung des Descendit     Das im Adagio durchkomponierte
– ein Kurzbericht vom Erdenwandel        Agnus Dei beginnt im strahlenden C-
des Heilands auf engstem Raum zu-        Dur-Tutti und wendet sich erst beim
sammengedrängt.“ (Reclam)                Einsatz des Soloquartetts kurzzeitig
                                         nach c-Moll. Bemerkenswert ist, dass
Dialog zwischen Solisten und Chor        Mozart im Chorsatz die Worte qui tollis
Das Wort Sanctus erklingt auf den        stets subito piano singen lässt, wodurch
beiden ersten Vierteln konform mit       das folgende Wort peccata im Forte
den Trompeten und Pauken mit an-         besonders betont wird. Auffallend ist
schliessender Halbepause, die von den    auch der Schluss, wo Mozart das Dona
Oboen und den Streichern in Sech-        nobis pacem nicht wie in anderen
zehntelbewegungen überspielt werden.     Messen fast wie ein auftrumpfender
Auf den langsamen, majestätischen        Kehraus dem Miserere nobis anhängt,
Beginn des Satzes folgt der schnellere   sondern aus dem Miserere hervor-
Teil. Das Hosanna ist ein Fugato und     wachsen und ohne Takt- oder Tempo-
geht in kurze Rufe über. Das Bene–       wechsel ausklingen lässt. Auch dieses
dictus ist ein ausgedehnter, tempera–    Ausklingen ist ungewöhnlich: „nicht
mentvoller Allegro-Satz, in dem sich     auf einer bekräftigenden Dominante-
Chor und Soli fortwährend abwech-        Tonika-Kadenz, sondern einem verhal-
seln, verschränken und verbinden. Es     tenen Subdominante-Tonika-Schluss,
findet eine Art Dialog zwischen dem      der beim ersten Hören durchaus den
Solistenensemble und dem Chor statt,     Eindruck erwecken mag, dass das
der in gewissen Abständen immer nur      Agnus hier noch nicht zu Ende, der
das Wort Benedictus wiederholt, bevor    Text bei weitem noch nicht erfüllt, die
es an zwei Stellen zu Doppelchörigkeit   Bitte zwar ausgesprochen aber noch
kommt. Mozart setzt keine der Solo-      nicht erhört sei: Dona nobis pacem.“
stimmen wirklich solistisch ein, son-    (Carus)                       Folco Galli
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