Work-Life-Balance Ein neuer Blick auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben?
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Zeitschrift für Arbeits- u. Organisationspsychologie (2005) 49 (N. F. 23) 4, 171 ± 175 Hogrefe Verlag, Göttingen 2005 Work-Life-Balance ± Ein neuer Blick auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben? Marianne Resch und Eva Bamberg Zusammenfassung. Work-Life-Balance ist eine ± populär gewordene, jedoch schlecht gewählte ± Bezeichnung verschiedener Frage- stellungen, die Qualität und Verhältnis verschiedener Arbeits- und Lebensbereiche zueinander betreffen. Zum Teil gibt es in diesem Gebiet bereits Forschungstraditionen, zum Teil ergeben sich neue Problemstellungen und Perspektiven. Vermehrt erforderlich sind An- sätze, die sich Fragen des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und anderen Lebensbereichen allgemein zuwenden, gesellschaftliche sowie betriebliche Ursachen für Imbalancen einbeziehen und hierbei z. B. auch prekäre Arbeitsverhältnisse in den Blick nehmen. Schlüsselwörter: Vereinbarkeit, berufliches und auûerberufliches Handeln, Work-Life-Balance Work-life balance ± A new view on the compatibility of work and private life Abstract. The term work-life balance is an increasingly popular, yet poorly chosen label for different subject areas which concern the quality of the various different work and life areas and their relationship to one another. Concerning this field of interest, for some parts scientific tradition prevails, while for others there is the emergence of new problem constellations and perspectives. Increasingly need- ed are approaches that deal with questions about the relationship between occupation and general spheres which integrate societal as well as operational causes of imbalance and which take into account precarious labour conditions. Key words: compatibility, occupational and non-occupational action, work-life balance Ein Schwerpunktheft hat die Funktion, zentrale und aktu- (vgl. z. B. Frone, 2003; Kastner, 2004; Ulich, 2004). Die elle Forschungsarbeiten innerhalb eines Themengebiets, Bandbreite der Fragestellungen sowie die Vielfalt der die damit verbundenen Perspektiven, aber auch Lücken Zugänge machen deutlich, dass WLB kein einheitlich und Grenzen aufzuzeigen. Die zunehmende Aufmerk- verwendeter Begriff, sondern eine ± populär gewordene, samkeit, die Fragen des Verhältnisses beruflicher und au- jedoch schlecht gewählte ± Bezeichnung eines Themen- ûerberuflicher Lebensbereiche unter dem Schlagwort gebiets ist. Zu diesem zählen Problemstellungen und Fra- Work-Life-Balance (WLB) geschenkt wird, war Anlass gen zur Abgrenzung, Koordination und Integration für eine solche Bilanzierung ± nicht zuletzt in der Hoff- verschiedener Lebensbereiche, die zurzeit vermehrt nung, dass in einem solchen Zusammenhang vermehrt aufgegriffen werden. Die Bedeutung dieses Gebiets in- Problemstellungen bearbeitet werden, deren Berücksich- nerhalb der Arbeitspsychologie liegt in der expliziten Be- tigung innerhalb des Faches schon lange als dringlich rücksichtigung der auûerberuflichen Lebensbereiche. eingestuft wird (vgl. z. B. Resch, Bamberg & Mohr, Konflikte (oder Imbalancen) zwischen diesen und der 1994, 1997). Hierzu gehören der Einbezug von Arbeit Berufstätigkeit scheinen sich aktuell zu verschärfen und im Alltag, d. h. Arbeitsformen auûerhalb der Erwerbsar- hierdurch neue Fragen aufzuwerfen, die unter dem beit, die Thematisierung der Teilung bezahlter und unbe- Schlagwort WLB behandelt werden. Als Gründe für die zahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern sowie Kon- vermehrte Aufmerksamkeit und Popularität dieser The- zepte zur Untersuchung des Arbeits- und Lebenszusam- matik werden denn auch zunehmende Vereinbarkeits- menhangs. probleme für Frauen wie Männer, steigende und neue Viele aktuelle Veröffentlichungen mit Bezug zum Belastungen in der beruflichen Arbeit, die beispielsweise Thema WLB beginnen mit der Feststellung, die Populari- infolge prekärer Beschäftigungsverhältnisse oder neuer tät des Themas stünde in keinerlei Beziehung zur Klar- Steuerungs- und Kontrollmechanismen entstehen (vgl. heit des Begriffs. Zudem wird häufig und zu Recht die z. B. Gliûmann & Peters, 2001), sowie ein allgemeiner irreführende Bezeichnung kritisiert, mit der Arbeit als Wandel der (Lebens-)Ansprüche und Werte genannt ein dem Leben gegenübergestellter Bereich gefasst wird (z. B. Guest, 2001). DOI: 10.1026/0932-4089.49.4.171
172 Marianne Resch und Eva Bamberg Ein Blick in die Praxis Familienserviceleistungen, Gisela Erler, gab ihrem Unter- nehmen denn auch den Titel pme Familienservice ± ihr Partner für mehr Mitarbeitereffizienz. In der betrieblichen Praxis findet man unter dem Titel WLB eine Vielfalt von Einzelmaûnahmen und Program- men, angefangen von flexiblen Arbeitszeiten über Sport- angebote, Stress- und Entspannungsseminare, Ernäh- Alte Forschungstraditionen rungsberatung bis hin zu Serviceeinrichtungen zur Un- und neue Themen terstützung bei der Bewältigung von Betreuungs- oder Haushaltspflichten. Vieles hierbei ist nicht grundsätzlich Die mit Blick auf die praktischen Maûnahmen im Be- neu. Einrichtungen für Belegschaftsangehörige gibt und reich WLB deutlich werdende strukturelle Dominanz gab es schon immer, entsprechende Angebote wie Be- der Erwerbsarbeit ist eine Begleiterscheinung der Indu- triebskindergärten, Betriebswohnungen mit Schrebergar- striegesellschaft: Bereits Friedrich Engels schildert in ten, Sportvereine oder Freizeitheime würden vermutlich Die Lage der arbeitenden Klasse in England Auswirkun- heute zu Maûnahmen der Verbesserung der WLB umbe- gen der Industriearbeit nicht nur auf die Arbeitenden, nannt. Sie sind zugleich Beleg dafür, dass Unternehmen sondern auch auf ihre Familien. Die Beschäftigung mit schon immer nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch den Folgen der Erwerbsarbeit für andere Lebensbereiche die Lebenszeit im Blick hatten, wenn es darum ging, die der Beschäftigten und ihrer Familie sowie mit der Unter- Produktivität zu sichern. ordnung des restlichen Lebens unter die Erwerbsarbeit hat somit eine lange Tradition. Auch in der Arbeits- und Wenn wir heutige populäre Vorschläge im Kontext Organisationspsychologie gibt es seit vielen Jahren ein- von WLB-Programmen mit diesen früheren Angeboten schlägige Forschungsarbeiten. Im Folgenden sollen bei- vergleichen, so hat sich das zugrunde liegende Anliegen spielhaft einige dieser Arbeiten benannt werden, die als nicht verändert. Viele Strategien richten sich nach wie Teile einer möglichen arbeitspsychologischen Perspekti- vor darauf, in der Freizeit Erholungsmöglichkeiten zu ve innerhalb des Themengebiets WLB anzusehen sind. schaffen, Konflikte zwischen Anforderungen der Er- Hierzu zählen die Arbeitszeitforschung, Untersuchungen werbsarbeit und der Familie zu vermeiden sowie Beleg- zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit sowie Arbeit und schaftsmitglieder bei der beruflichen Entwicklung zu un- Familie sowie Forschungsarbeiten zu beruflichen Lauf- terstützen. Verändert hat sich die konkrete Ausgestaltung: bahnen und Biografien. Was früher der Betriebssportverein war, ist heute der Ver- trag mit dem Fitnessstudio. Erweitert hat sich ferner der Gegenstand: Mehr als früher werden auch Familienmit- glieder einbezogen. Die Berücksichtigung von Aufgaben Erwerbsarbeitszeitforschung und Anforderungen der Familie sowie der Familienarbeit erfolgte in der Vergangenheit ± wenn überhaupt ± unter Die Auseinandersetzung um die Länge und Lage der Er- der Perspektive verbesserter Erholungsmöglichkeiten werbsarbeitszeit geht weit in das 19. Jahrhundert zurück. und betraf beispielsweise die Ausbildung von Hausfrauen Die Reihe derjenigen, die sich bereits sehr früh mit dem oder Kampagnen zur sparsamen und dennoch ernäh- Thema Grenzen der Arbeitszeit beschäftigen, ist lang und rungsphysiologisch ausgeglichenen Beköstigung. So ver- umfasst bekannte Persönlichkeiten wie Ernst AbbØ, Fre- traten frühe Verfechter einer Unterweisung in Haushalts- derick Taylor, Henry Ford oder Hugo Münsterberg. Da- führung die Auffassung, ¹dass die mangelnde hauswirt- mals wie heute sprachen sich die Wissenschaftler für schaftliche Tüchtigkeit der Arbeiterfrau unzählige Arbei- eine Verkürzung der Arbeitszeit oder für ein freies Wo- ter um den Segen der Häuslichkeit bringt, sie ins Wirts- chenende aus und können damit als frühe Gegner der ak- haus treibt, ihnen die .... Antriebe zu einem frohen, auf- tuellen Diskussion um Arbeitszeitverlängerung gesehen strebenden Erwerbsleben raubtª (Woyker, 1908, zit. nach werden: ¹Noch heute gilt nach tausendfachen weiteren Tornieporth, 1979, S. 125 f.). Die heute angebotenen Experimenten auf dem Erdenrund, dass die Verkürzung Maûnahmen sollen demgegenüber mehrheitlich eine Ver- von 9 auf 8 Stunden¼. keine Minderung der Tagesleis- einbarung von beruflichen sowie familiären Aufgaben er- tung herbeiführtª (Münsterberg, 1912, S. 127). Begrün- möglichen. Diskutiert werden wirtschaftlich nützliche det wurde diese Position unter anderem mit einer erhöh- oder zumindest vertretbare Möglichkeiten einer familien- ten Leistungsfähigkeit, mit Kulturinteressen oder mit gerechten Gestaltung der Arbeitswelt, familienorientierte notwendiger Zeit für Konsum. Personalpolitik oder betriebliche Unterstützungsangebote bei der Bewältigung von Familienaufgaben. Im Vorder- In den wissenschaftlichen Arbeiten zur Erwerbsar- grund stehen neue Möglichkeiten bzw. Anpassungsleis- beitszeit sowie in gesetzlichen und tarifvertraglichen Re- tungen für Beschäftigte mit Familienpflichten, den ± gelungen ging es um Chronometrie und Chronologie der kaum infrage gestellten und weitgehend unangetasteten ± Arbeitszeit sowie um spezifische Vorgaben für be- beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Eine der stimmte Bevölkerungsteile, die nicht nur dem Schutz Hauptanbieterinnen und Protagonistin von so genannten des Einzelnen, sondern auch der Familie und der Kinder
Work-Life Balance ± Ein neuer Blick auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben? 173 dienen sollten. In diesem Kontext sind etwa die Gesetze Erwerbsarbeit wurde als zentrale Kategorie betrachtet, zur Begrenzung der Kinderarbeit und zum Verbot der deren Wirkungen weit über das Erwerbsleben hinausge- Frauennachtarbeit zu sehen. Im Blick war hiermit immer hen. Dass in den anderen Lebensbereichen ebenfalls An- schon sowohl die individuelle Reproduktion als auch die forderungen bestehen, wurde dabei weniger thematisiert. Sicherung der nachwachsenden Generationen. Zum anderen wurden Annahmen über den Zusam- Erwerbsarbeitszeit gehört also zu einem traditionsrei- menhang zwischen den verschiedenen Arbeits- und Le- chen Themenfeld, das vor dem Hintergrund zunehmen- bensbereichen formuliert. Die in diesem Kontext entwi- der zeitlicher Belastungen an Bedeutung gewinnt. Fle- ckelten Modelle ± Generalisation, Kompensation, Kon- xiblere Arbeitszeitmodelle, die zu neuen Zeitproblemen gruenz, Identität und Unabhängigkeit ± finden sich auch im Privatleben führen, längere Arbeitszeiten, aber auch in den aktuellen Veröffentlichungen zu WLB. Hierbei höhere Arbeitsintensität und Zeitdruck sind einige Bei- wird an die Auffassung angeknüpft, dass sich die Mo- spiele, die im Kontext der Diskussion um WLB aufge- delle nicht ausschlieûen, sondern unterschiedliche griffen werden. Aspekte des Zusammenhangs zwischen Lebensberei- Während es in früheren Arbeiten jedoch vor allem chen thematisieren, die gleichermaûen differenziert Ge- um die Frage ging, welche Grenzen der Arbeitszeit (im genstand der Betrachtung sein sollten. Zunehmend be- Hinblick auf Produktivität und Leistungsfähigkeit) ange- tont werden Wechselwirkungen zwischen verschiedenen messen sind und entsprechend gesetzt werden sollen, Lebenssphären (insbesondere zwischen Erwerbsarbeit geht es heute auch um die Frage, welche Folgen die Auf- und Familie). lösung der von auûen gesetzten Grenzen hat und wie die Individuen die hiermit verbundenen Probleme bewälti- Eine Erweiterung der Untersuchung auf solche gen. Aufgezeigt werden Chancen und Risiken, die mit Wechselwirkungen findet sich auch in den Ansätzen, die entgrenzten Arbeitssituationen wie z. B. Vertrauens- Be- und Entlastungsprozesse über den Tagesverlauf ana- arbeitszeit, Telearbeit oder zunehmend orts- und zeit- lysieren (vgl. z. B. Rau, 1998; Richter, 1997). In den ungebundener Nutzung von Informationstechnik verbun- Blick genommen werden somit Belastungen, Anforde- den sind. Untersucht wird u. a., wie ausgeprägt, durchläs- rungen und Ressourcen aller Arbeits- und Lebensberei- sig oder flexibel Grenzen zwischen den unterschiedli- che. Da die Merkmale dieser Lebensbereiche auûerhalb chen Arbeits- und Lebensbereichen sind, wie Menschen der Erwerbsarbeit durch die jeweiligen Lebenspartner/in- Grenzen zwischen verschiedenen Bereichen ziehen, in- nen mit beeinflusst sind, werden in arbeitspsychologi- wieweit sie diese integrieren oder segmentieren und wel- schen Studien etwa ab den 80er-Jahren des letzten Jahr- chen Einfluss hierbei die gewandelten betrieblichen hunderts zunehmend Partnerschaft und Familienmitglie- Steuerungs- und Kontrollmechanismen haben. der einbezogen. Hierzu zählen etwa Untersuchungen über Bezüge zwischen den Arbeitsbelastungen der Part- Der Bezug zu dem populären Schlagwort WLB liegt nerin und Wohlbefinden des Partners (z. B. Jones & Flet- auf der Hand: Es geht vielen Ansätzen um die Frage der cher, 1996). Damit trifft sich diese Forschungstradition Balance zwischen Erwerbsarbeitszeit und restlicher Le- mit rollentheoretischen Konzepten, die in der Vergangen- benszeit, aber auch zwischen den Anforderungen und heit eher getrennt von Untersuchungen zu Arbeit, Frei- Bewältigungsmöglichkeiten eines Individuums oder zwi- zeit und Familie gesehen wurden, jedoch im Kontext schen Anspannung und Erholung. Eine neue arbeitspsy- von Themen der WLB häufig aufgegriffen werden (vgl. chologische Perspektive kann darin gesehen werden, z. B. Frone, 2003). nicht ausschlieûlich den Zustand einer Balance, sondern vermehrt den Prozess des Balancierens, die Gestaltung Die genannten Fragen werden für Frauen und für und Schaffung von Balancen, zu untersuchen. Männer bzw. Väter gestellt. Deutlich wird hiermit die Bedeutung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, ins- besondere die Rolle geschlechtlicher Arbeitsteilung: In Arbeitsbedingungen, der häufig zitierten Veröffentlichung von Beck-Gerns- heim zum geschlechtsspezifischen Arbeitsmarkt wurde Freizeit und Familie bereits in den siebziger Jahren am Konzept der Andert- halb-Personen-Karriere aufgezeigt, dass der im Beruf ge- Spätestens seit der viel zitierten Publikation von Meiss- forderte Einsatz einer Person die Zuarbeit einer weiteren ner The long arm of the job wurde der Zusammenhang Arbeitskraft ± in der Regel die der Frauen ± unterstellt zwischen Arbeit und Freizeit sowie Arbeit und Familie (vgl. Beck-Gernsheim, 1981). Diese und weitere Arbei- verstärkt diskutiert (vgl. Bamberg, 1991; Hoff, 2001). ten im Rahmen der feministischen Frauenforschung ver- Die einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten beschäf- weisen darauf, dass die geschlechtsspezifische Teilung tigten sich mit unterschiedlichen Aspekten: Zum einen des Arbeitsmarkts ein struktureller Hinderungsgrund für ging es um die Folgen der Erwerbsarbeit für die nicht nä- eine ausgewogene Aufteilung von Berufs- und Familien- her definierte oder beschriebene Freizeit und Familie. pflichten beider Geschlechter ist.
174 Marianne Resch und Eva Bamberg Darüber hinaus ist ein neuer Gesichtspunkt in der ge. Stichworte wie Arbeitskraft-Unternehmer, Arbeitsfä- Auffassung zu sehen, dass es bei dem Zusammenspiel higkeit oder Beschäftigungsfähigkeit verweisen darauf, von Erwerbsarbeit und anderen Lebenstätigkeiten nicht dass die Einzelnen nicht nur am Anfang ihrer Biografie (nur) um Fragen der zeitlichen Verteilung geht, wie es zentrale Entscheidungen treffen, sondern sich fortlau- frühere Vorstellungen zur so genannten Doppelbelastung fend um die Ausgestaltung des beruflichen Werdegangs berufstätiger Mütter nahe legten. Offensichtlich spielt kümmern müssen. Auffällig ist hierbei ± wie in anderen die Qualität der Tätigkeitsbereiche ± im Sinne der jewei- Bereichen der Diskussion um WLB ± die Betonung der ligen Ausprägungen der Belastungen, Ressourcen und subjektiven Verantwortung, d. h. eine im Lebenslauf her- Anforderungen ± eine mindestens ebenso wichtige, wenn gestellte, mehr oder weniger gelungene Verbindung zwi- nicht sogar bedeutsamere Rolle. Aus arbeitspsychologi- schen Berufswelt und Privatleben wird vorrangig als per- scher Sicht wäre somit danach zu fragen, wie berufliche sönliche Leistung (oder persönliches Versagen) gesehen, Arbeit zu gestalten ist, um die Wahrnehmung von Mög- und strukturelle Restriktionen werden nicht oder nur un- lichkeiten in den und die Bewältigung der Anforderun- genügend beachtet. gen aus den unterschiedlichen Lebensbereichen zu unter- stützen. Nicht zuletzt bietet eine solche Perspektive die Mög- WLB im vorliegenden lichkeit, bislang eher getrennt verfolgte Fragestellungen Schwerpunktheft zusammenzuführen. So wird in der Forschungstradition, die sich mit dem Zusammenhang von Arbeit und Freizeit WLB ist ± wie einleitend betont ± kein klar abgegrenzter beschäftigt, auch der Frage nachgegangen, wie dieser Begriff, sondern bezeichnet ein Gebiet verschiedener Zusammenhang von den Arbeitenden wahrgenommen und z. T. traditionsreicher Fragestellungen, die Qualität wird, wie die verschiedenen Lebensbereiche subjektiv und Verhältnis der verschiedenen Arbeits- und Lebens- gewichtet werden und ob gewünschte Präferenzen mit bereiche zueinander betreffen. Im vorliegenden Schwer- den realisierten Gewichtungen übereinstimmen. Inner- punktheft werden einige der hiermit verbundenen neu- halb des Themengebiets WLB erscheint es sinnvoll, die eren Fragestellungen, Perspektiven und Methoden aufge- Untersuchung solcher subjektiven Wahrnehmungs- und griffen. Bewertungsprozesse in Verbindung zu bringen mit der Analyse der jeweiligen Spielräume für die Gestaltung Die Untersuchung von (Arbeits-)Tätigkeiten in unter- und Gewichtung der Arbeits- und Lebensbereiche. schiedlichen Lebensbereichen setzt eine differenzierte Analyse nicht nur der Erwerbsarbeit, sondern aller Le- bensbereiche voraus. Hierfür ist die Entwicklung geeig- Berufliche Entwicklung neter theoretischer Konzepte und entsprechender Unter- suchungsmethoden erforderlich (vgl. den Beitrag von und Lebenslauf Fenzl & Resch). Das Verhältnis der verschiedenen Arbeits- und Lebens- Fragen der Vereinbarkeit oder der Konflikte zwischen bereiche wurde immer schon auch mit Blick auf den Le- Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit werden nicht län- benslauf und damit verbundene längerfristige Prozesse ger als spezifisches Problem weiblicher Beschäftigter be- der Integration oder Segmentierung thematisiert. Studien trachtet, sondern betreffen beide Geschlechtergruppen zu Lebensplänen, Berufswahl und beruflicher Entwick- (vgl. den Beitrag von Jacobshagen, Amstad, Semmer & lung blicken auf eine lange Tradition zurück: Vorstellun- Kuster). Die Beschäftigung mit beruflichen wie auûerbe- gen der Jugend über ihre Zukunft wurden etwa von Buse- ruflichen Merkmalen ist für die Untersuchung von Frau- mann (1926) untersucht, Hetzer (1931) beschäftigt sich en geläufig. Für Männer demgegenüber wurde häufig mit den Zukunftsvorstellungen junger Mädchen, Bühler angenommen, dass die Merkmale des privaten Lebens- (z. B. 1978, Erstausgabe 1929) mit Berufs- und Familien- bereichs kaum Einfluss haben. Die in der Diskussion orientierung. um WLB vorgenommene Ausweitung der Fragestellun- gen auf die Arbeits- und Lebenssituation von Männern Das Interesse an dieser Thematik ist im Rahmen der erlaubt es, diese Annahme entsprechend zu prüfen (vgl. Diskussion um WLB wieder gestiegen. Hierzu haben den Beitrag von Beblo & Ortlieb). ¾nderungen im beruflichen Verhalten von Frauen sowie die gröûere Vielfalt der Familienformen beigetragen. Im Kontext der Forschung zu Arbeit, Freizeit und Fa- Ebenso spielt die höhere Unsicherheit der beruflichen milie wird der Frage, wie das Verhältnis zwischen diesen Laufbahnen eine Rolle: Die in den beruflichen Lebens- Lebensbereichen gestaltet wird, eine besondere Bedeu- wegen von Frauen seit langem bekannten Patchwork- tung zugemessen (vgl. den Beitrag von Hoff, Grote, Dett- Biografien finden sich vermehrt auch in männlich domi- mer, Hohner & Olos). In diesem Zusammenhang sind nierten Berufsfeldern und stellen die Orientierung am nicht (nur) aktuelle, sondern auch lebenslaufbezogene männlichen Normalarbeitsverhältnis zunehmend infra- Fragen wichtig (vgl. den Beitrag von Abele).
Work-Life Balance ± Ein neuer Blick auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben? 175 Wir hatten einleitend darauf verwiesen, dass die ver- Frone, M. R. (2003). Work-family balance. In J. Campbell stärkten Bemühungen um das Themengebiet WLB sich Quick & L. E. Tetrick (Eds.), Handbook of occupational auch darauf gründen, dass in der beruflichen Welt Belas- health psychology (pp. 143 ± 162). Washington: APA. tungen zunehmen, während im privaten Bereich Erho- Gliûmann, W. & Peters, K. (Hrsg.). (2001). Mehr Druck durch mehr Freiheit. Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre lungsmöglichkeiten eingeschränkt oder sogar bedroht Folgen. Hamburg: VSA. werden. Dennoch überwiegen in den Diskussionen um Guest, D. E. (2001). Perspectives on the study of work-life bal- WLB Ansätze, in denen die Rolle und Wahrnehmung ance. Verfügbar unter: http://www.ucm.es/info/Psyap/enop/ der Beschäftigten bei der (Wieder-)Herstellung von Ba- guest.htm lancen betont und dem Abbau etwa von Belastungen ge- Hetzer, H. (1931). Der Einfluss von Begabung und sozialem ringere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Zudem stehen Milieu auf die Zukunftswünsche junger Mädchen. In P. F. überwiegend hoch qualifizierte und gut verdienende Per- Lazarsfeld (Hrsg.), Jugend und Beruf (S. 140 ± 156). Jena: sonengruppen im Vordergrund aktueller Veröffentlichun- Fischer. gen ± dies zeigt sich auch an den Beiträgen des vorlie- Hoff, E.-H. (2001). The psychology of leisure. In International encyclopedia of the social and behavioral sciences (Vol. 13, genden Hefts. S. 8714 ± 8717). Oxford: Pergamon. Arbeits- und organisationspsychologische Beiträge Jones, F. & Fletcher, B. (1996). Taking work home: A study of im Gebiet der WLB-Forschung sind aus unserer Sicht ge- daily fluctuations in work stressors, effects on moods and impacts on marital partners. Journal of Occupational and fragt, eine Erweiterung der Perspektive sowie eine fun- Organizational Psychology, 69, 89 ± 106. dierte Bewertung der aktuell vorgelegten Maûnahmenka- Kastner, M. (2004). Work Life Balance als Zukunftsthema. In taloge zu leisten. Sinnvoll hierfür ist der Bezug auf sol- M. Kastner (Hrsg.), Die Zukunft der Work Life Balance. che Forschungstraditionen, die sich bereits sehr lange Wie lassen sich Beruf und Familie, Arbeit und Freizeit mit- mit der Untersuchung des Zusammenwirkens beruflicher einander vereinbaren? (S. 1 ± 65). Kröning: Asanger. und auûerberuflicher Lebensbereiche befasst haben und Münsterberg, H. (1912). Psychologie und Wirtschaftsleben. die gesellschaftliche sowie betriebliche Ursachen für Im- Leipzig: Barth. balancen aufzeigen. Darüber hinaus sind vermehrt An- Rau, R. (1998). Ambulantes psychophysiologisches Monitoring sätze gefragt, die sich Fragen des Verhältnisses von Er- zur Bewertung von Arbeit und Erholung. Zeitschrift für Ar- werbsarbeit und anderen Lebensbereichen allgemein zu- beits- und Organisationspsychologie, 42, 185 ± 196. wenden und hierbei z. B. auch prekäre Arbeitsverhält- Resch, M., Bamberg, E. & Mohr, G. (1994). Frauentypische Ar- beitsbedingungen: Ein blinder Fleck in der Arbeits- und Or- nisse in den Blick nehmen. Mit dem Schlagwort WLB ganisationspsychologie. In S. Greif & E. Bamberg (Hrsg.), verbinden sich präskriptiv zumeist positive Assoziatio- Die Arbeits- und Organisationspsychologie (S. 113 ± 118). nen eines ausgeglichenen Lebens, in dem vieles seinen Göttingen: Hogrefe. Platz hat, aber dennoch kein Bereich übermäûige Domi- Resch, M., Bamberg, E. & Mohr, G. (1997). Von der Erwerbs- nanz erhält. Die Diskrepanz zwischen diesen Vorstellun- arbeitspsychologie zur Arbeitspsychologie. In I. Udris gen und den gegebenen Verhältnissen, insbesondere dem (Hrsg.), Arbeitspsychologie für morgen. Herausforderun- erzwungenen Müûiggang des einen und der gleichzeiti- gen und Perspektiven (S. 37 ± 52). Heidelberg: Asanger. gen Zeitnot des anderen Teils der erwerbsfähigen Bevöl- Richter, P. (1997). Arbeit und Nicht-Arbeit: Eine notwendige Perspektivenerweiterung in der Arbeitspsychologie. In kerung, ist unübersehbar und weist Konzepte in ihre I. Udris (Hrsg.), Arbeitspsychologie für morgen. Herausfor- Schranken, die WLB alleinig als Aufgabe des Selbstma- derungen und Perspektiven (S. 17 ± 36). Heidelberg: Asan- nagements oder der Selbstführung begreifen. ger. Tornieporth, G. (1979). Studien zur Frauenbildung. Ein Beitrag zur historischen Analyse lebensweltorientierter Bildungs- Literatur konzeptionen. Weinheim: Beltz. Ulich, E. (2004). Erwerbsarbeit und andere Lebenstätigkeiten ± eine arbeitspsychologische Perspektive. In Eidgenössische Bamberg, E. (1991). Arbeit, Freizeit und Familie. In S. Greif, E. Koordinationskommission für Familienfragen (Hrsg.), Zeit Bamberg & N. Semmer (Hrsg.), Psychischer Stress am Ar- für Familien. Beiträge zur Vereinbarkeit von Familien- und beitsplatz (S. 201 ± 221). Göttingen: Hogrefe. Erwerbsalltag aus familienpolitischer Sicht (S. 53 ± 71). Beck-Gernsheim, E. (1981). Der geschlechtsspezifische Ar- Bern: BBL, Vertrieb Publikationen. beitsmarkt. Zur Ideologie und Realität von Frauenberufen (2. Aufl.). Frankfurt a. M.: Campus. Bühler, C. (1978). Beruf und Familienorientierung. Entwick- Prof. Dr. Marianne Resch lungsprobleme junger Mädchen. In G. Brinker-Gabler (Hrsg.), Zur Psychologie der Frau (Erstveröffentlichung Universität Flensburg 1929; S. 169 ± 177). Frankfurt a. M.: Fischer. Auf dem Campus 1 Busemann, A. (1926). Die Jugend im eigenen Urteil. Langen- 24943 Flensburg salza: Beltz. E-Mail: m.resch@uni-flensburg.de
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