Intelligentes Tachymeter und Digitalkamera: Low-Cost aber High-Tech

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Intelligentes Tachymeter
                                          und Digitalkamera:
Prof. Dr.-Ing. Michael Scherer            Low-Cost aber High-Tech
                                                                Im Zusammenhang mit der intelligenten Tachymetrie tau-
 Als intelligentes Tachymeter wird eine motori-                 chen seit kurzem die Begriffe intelligentes Scannen und
 sierte, reflektorlos messende Totalstation be-                 intelligente Steuerung auf. Sie kennzeichnen zentrale
 zeichnet, die unter Verwendung von Iterations-                 Funktionalitäten der intelligenten Tachymetrie und wei-
 und Regelkreistechniken per Programm gesteu-                   sen zugleich auf den wesentlichen Gegensatz zur Funkti-
 ert wird. Eine zusätzliche Digitalkamera erwei-               onsweise des Laserscannens hin: Intelligentes Scannen ist
 tert die Messungsabläufe für Aufnahme und                    nämlich im Vergleich zu Laserscannen gekennzeichnet
 Absteckung erheblich. Diese „Photo-Tachyme-                    durch die hohe Bedeutung des Einzelpunktes, sei es
                                                                z. B. als markanter Raumeckpunkt oder Punkt eines Pro-
 trie“ lässt sich in Architektur, Denkmalpflege und            fils. Intelligente Tachymetrie ist punktorientiert; die Steu-
 Archäologie einsetzen. Das griffige Schlagwort                er- und Regelalgorithmen dienen dazu, genau die ge-
 High-Tech kennzeichnet das dargestellte Rüst-                 wünschten signifikanten Punkte vor Ort aufzusuchen
 zeug, während der Begriff Low-Cost insofern                   und nur diese. Beim Laserscannen hingegen werden ge-
 zutrifft als ein Tachymeter, z. B. im Gegensatz                rade keine fest definierbaren Punkte getroffen sondern be-
 zum Laserscanner, keinen zusätzlichen Investi-                liebige: Entweder werden so – und dazu ist das Laserscan-
 tionsaufwand darstellt.                                        nen prädestiniert – unregelmäßig geformte Oberflächen
                                                                abgebildet oder es werden Regelkörper (ebene, zylindri-
                                                                sche, kugelförmige usw.) aus der Punktwolke generiert
                                                                und objektbeschreibende relevante Punkte i. a. durch
                                                                Schnitte der Regelflächen festgelegt. Laserscannen ist
1 Was ist intelligente Tachymetrie?                             also flächenorientiert. Die Extraktion markanter Punkte
                                                                geschieht hier ebenso wie in der Photogrammetrie häus-
Im Jahr 1988 veröffentlichte der Verfasser dieses Artikels     lich, hingegen bei der intelligenten Tachymetrie im All-
einen Aufsatz mit dem Titel „Das elektronische Tachyme-         gemeinen vor Ort, in situ. Gerade die Möglichkeit der
ter – Universalinstrument der Gegenwart?“, ohne zu ah-          Punktextraktion vor Ort ist für viele Aufgaben in Archi-
nen, wie universell sich das Tachymeter in der Zukunft          tektur, Denkmalpflege und Bauforschung von vorrangiger
weiterentwickeln würde. Es ist – teils in engem Verbund        Bedeutung.
mit dem Satellitenempfänger – nach wie vor das Gerät für     Der bislang nicht definierte Begriff „intelligente Tachy-
die tägliche Praxis des Vermessungsingenieurs, des Archi-      metrie“ wurde zwar erst seit kurzem verschiedentlich be-
tekten und des Bauingenieurs. Aber es lässt sich, wie im       nutzt, die Funktionalitäten sind hingegen schon seit län-
Folgenden gezeigt wird, noch auf weitaus vielfältigere Art     gerem eingesetzt und beschrieben (Scherer 1995, Buch-
und Weise einsetzen, vorausgesetzt, es ist motorisiert, ver-    mann 1996; Leica Geosystems/Amberg, s. Intergeo
mag reflektorlos zu messen und wird – z. B. von einem           2000). Er sei definiert wie folgt:
Notebook – gesteuert. Im Gegensatz zu Spezialgeräten,          Intelligente Tachymetrie umfasst die Steuerung einer To-
wie Laserscannern, verursacht es als ohnehin vorhandenes        talstation über ein Programm zum Zweck der Aufnahme
Werkzeug keine nennenswerten Zusatzkosten und kann              und der Absteckung von ausgesuchten Objektpunkten,
bei voller Nutzung des „Intelligenzpotenzials“ durchaus         wobei die beiden Funktionalitäten Aufnahme und Abste-
als High-Tech-Gerät bezeichnet werden.                         ckung in Regelkreise und iterative Vorgehensweisen ein-
Die generelle Funktion der intelligenten Tachymetrie ist        gebunden sind. Dies ermöglicht den Aufbau automati-
so, dass über das Programm die Zielrichtung vorgegeben         scher Messungsabläufe.
wird, dass also die Strecke das alleinige Messelement ist.      Während man viele Ergebnisse einer tachymetrischen Ar-
Die Eingangsgrößen zu Bestimmung der Zielrichtung              chitekturaufnahme auch aus der Punktwolke des Laser-
können sehr unterschiedlich aussehen: Sie lassen sich          scannens oder der photogrammetrischen Erfassung ablei-
z. B. aus der Beurteilung der vorhergehend bestimmten           ten kann, ist die Absteckung am Objekt alleine der intel-
Koordinate ableiten oder aus der Verknüpfung mit Bild-         ligenten Steuerung vorbehalten.
pixeln. Dies, in Verbindung mit einer Vielfalt unterschied-
licher Programmtools, die teils vollautomatische Abläufe
ermöglichen, macht die Intelligenz aus. Während umfang-
reiche „intelligente“ Steuersoftware rar ist, sind die erfor-
derlichen Geräte der Anbieter Leica Geosystems und
Trimble inzwischen sehr verbreitet (s. auch Abb. 14).

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2 Tools zur Architekturaufnahme und zur                           merzielles Tachymeter handelt, das die „Intelligenz“ al-
  Absteckung an Objekten                                          lein durch das hier auf dem Notebook ablaufende Pro-
                                                                  gramm erhält. Die Nummern in Abb. 1 korrespondieren
Alle beschriebenen Funktionalitäten sind in dem an der           mit den in den nachfolgenden Abschnitten beschriebenen
Ruhr-Universität Bochum entwickelten Programm TO-                Funktionen.
TAL (Juretzko 2003) realisiert. Die Erarbeitung der
Grundlagen wurde gefördert von der Deutschen For-
schungsgemeinschaft (DFG), die Programmentwicklun-                2.1 Linien-Scannen
gen durch das Bundesministerium für Bildung und For-             Bei beliebigem Gerätestandort wird ein Schnitt durch das
schung (BMBF). Die Software programmierte Herr                    Objekt definiert, z. B. horizontal oder vertikal. Des wei-
Dipl.-Ing. Juretzko, der auch zahlreiche Tools entwarf.           teren muss die Toleranz angegeben werden, innerhalb
Die Ansteuerung ist derzeit für Leica-Instrumente reali-         der die Punkte im Schnitt liegen sollen – z. B. 5 mm –,
siert.                                                            um die Anzahl der Iterationsschritte zu minimieren (gro-
Abb. 1 zeigt eine Übersicht über die wichtigsten Werk-          ber Untergrund, größerer Wert, glatte Oberfläche, kleine-
zeuge. Es sei nochmals betont, dass es sich um ein kom-           rer Wert). Zusätzlich ist der gewünschte Abstand der auf-

Abb. 1: Die wichtigsten Werkzeuge

                                                                                        Abb. 2: Vom Linienscan zur
                                                                                        Profilansicht

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einander folgenden Punkte am Objekt, z. B. 3 cm, zu wäh-
len. Diese Methodik wurde erstmals 1996 vorgestellt
(Buchmann 1996) und wird seither in unterschiedlichen
Programmen eingesetzt (Wiedemann 2003; Wurm
2004). Bei einem Standortwechsel der Totalstation lässt
sich ein einmal definierter Schnitt im Bauwerkskoordina-
tensystem automatisch fortführen. Abb. 2 demonstriert
die Vorgehensweise bis zur fertigen Profilzeichnung.
In den Bereich des Profilscannens gehört auch die itera-
tive automatische Erkennung und Verifizierung von Ge-
bäudekanten. Verschiedene Strategien zur vollautomati-
schen Erfassung einfacher Raumstrukturen wurden er-
probt.

2.2 Präzise Erfassung nicht direkt anmessbarer Ecken
    und Kanten                                                  Abb. 4: Koordinaten-Extrapolation
Dieses Werkzeug ermöglicht es, über die Programmsteue-
rung Ecken- und Kantenpunkte zu bestimmen. Beim La-              2.4 Flächenhafte Aufnahme von 3D-Objekten
serscannen können sie nur aus umliegenden Flächenpunk-
ten geschätzt werden. Auch bei der herkömmlichen Arbeit        Diese Funktion kommt der des Laserscannens am nächs-
mit reflektorlosen Tachymetern sind sie nicht sauber zu          ten: Eine große Anzahl von Punkten innerhalb eines vor-
ermitteln: Da der zur Distanzmessung benutzte Laserfleck         her durch ein Polygon mit dem Laserfleck als Zeiger um-
beim Anzielen an der Kante geteilt wird, können Messun-         schriebenen Bereiches wird automatisch erfasst. Aller-
gen grob falsch werden. Abb. 3 zeigt das hier eingesetzte        dings werden hier, anders als beim Scannen, die Richtun-
Prinzip: Anzielung ! Steuerung auslösen ! automati-             gen zu den Rasterpunkten vorher berechnet, die Punkte
sche Messungen in „ungefährlicher“ Nachbarschaft !              dann gezielt angefahren und die Strecken gemessen.
Punktberechnung.                                                 Abb. 5 zeigt ein weitmaschiges Raster. Sollen ausge-
                                                                 dehnte Objekte auf diese Weise engmaschig erfasst wer-
                                                                 den, würde der Zeitaufwand zu groß: dann kommt allein
2.3 Erfassung verdeckter Punkte                                  das Laserscannen in Frage.
Häufig hat man bei praktischen Arbeiten – besonders auch        Dies mag anders aussehen, wenn nur sporadisch kleine
unter beengten Raumverhältnissen – nicht die Möglich-          Objekte mit guter Genauigkeit „mitgenommen“ werden
keit zur flexiblen Geräteaufstellung. Oder für die Aufnah-     sollen. Welche Genauigkeit ist dort zu erwarten, wie ist
me weniger verdeckter Punkte ist der Aufwand für die er-        die Auflösung von Einzelheiten? Bei dem hier eingesetz-
neute Aufstellung der Totalstation zu hoch. Für diese           ten Standardgerät (Leica TCRM) beträgt die Distanz-
Zwecke wurde das bekannte Prinzip des Extrapolations-            messgenauigkeit für benachbarte Punkte  1 mm bis
stabes weiterentwickelt (Abb. 4). Der patentierte Stab            2 mm. Bei Entfernungen um 20 m ist eine entsprechen-
lässt sich zur Anpassung an örtliche Verhältnisse stück-     de Querabweichung zu erwarten, d. h. eine lokale Punkt-
weise verlängern. Alle Segmente tragen Strichmarkierun-         genauigkeit besser  2 mm. Dies bedeutet aber nicht, dass
gen, die reflektorlos angezielt werden. Die Strichabstände      man eine Struktur auch mit dieser Genauigkeit auflösen
sind so gewählt, dass deren Differenzen eindeutig be-           könnte (s. Abb. 6); denn der Messfleck selbst hat einen
stimmten Markierungen zugeordnet werden können. Die-            Durchmesser von 6 bis 12 mm. Bevor also die tatsächliche
ser „Strichabstands-Code“ ist dem Programm bekannt, so           Messgenauigkeit ausgeschöpft werden konnte, waren
dass stets automatisch die richtige Stabspitzenposition er-      Maßnahmen zur Steigerung des Auflösungsvermögens er-
rechnet wird.                                                    forderlich. Hierzu wurde eine Blende von einigen Milli-
                                                                 metern Durchmesser in den äußeren Strahlengang ge-
                                                                 bracht, so dass ein kleiner, kreisrunder Messfleck ent-
                                                                 stand. Testmessungen zeigten, dass eine Stufe, in kleinen
                                                                 Schritten gescannt, so sehr viel besser abgebildet wird.
                                                                 Ein Spalt von 1 mm Breite wurde noch gut erfasst.
                                                                 Mit dieser Kombination wurde eine Büste gescannt
                                                                 (Abb. 7). Details kommen bei einem Punktabstand von ei-
                                                                 nigen Millimetern noch sehr gut heraus. Die einzelnen
                                                                 Aufnahmebereiche wurden über Passpunkte am Objekt
                                                                 aneinandergefügt.
                                                                 Wenn dieses tachymetrische „Präzisions-Scannen“ auch
                                                                 langsam ist, so mag dies im Einzelfall hinnehmbar
                                                                 sein, denn der Messvorgang für die Aufnahme eines ein-
                                                                 mal polygonal gekennzeichneten Bereiches läuft, nach-
Abb. 3: Präzise Erfassung von Unstetigkeitsstellen              dem er eingeleitet ist, vollautomatisch ab.

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                                                                                        einer Punktwolke

                                                                                        Abb. 6: Zum Auflösungsvermögen
                                                                                        bei der Erfassung kleiner Strukturen

                                                                                        Abb. 7: Komplettaufnahme kleiner
                                                                                        Objekte

2.5 Automatische Absteckung von Punkten und                       – Absteckung von Punkten, die auf einer Ebene definiert
    Linien                                                          sind. Im konkreten Fall galt es, genau festgelegte Hal-
                                                                    tepunkte für vorgefertigte Fassadenelemente auf einer
Von allen gebräuchlichen Methoden zur Architekturauf-
                                                                    unebenen Hausfassade abzustecken (Abb. 8).
nahme erlaubt nur die intelligente Tachymetrie eine ein-
                                                                  – Absteckung der Schnittkurven zwischen beliebigen, im
fache, unproblematische Absteckung, und dies auch bei
                                                                    Objektkoordinatensystem definierten Raumkörpern
vergleichsweise komplizierten Vorgaben. Hier einige Bei-
                                                                    mit einem natürlichen Objekt.
spiele:
                                                                  Die vorstehenden Beispiele für die Möglichkeiten der
– Absteckung von Schnitten einer Ebene mit dem Objekt:
                                                                  Aufmessung und der Absteckung mit intelligenter Steue-
  Bekanntestes Beispiel ist der Meterriss; gesucht ist da-
                                                                  rung lassen sich ganz erheblich erweitern, wenn man ein
  bei die Schnittlinie einer waagerechten Ebene in defi-
                                                                  Digitalfoto in die Arbeitsprozesse integriert. Im Gesamt-
  nierter Höhenlage mit dem Objekt. Die Absteckung er-
                                                                  konzept zur Architekturvermessung hat das Bild aber weit
  folgt mit den Regelmechanismen gemäß Abschnitt 2.1.
                                                                  darüber hinaus gehende Bedeutungen.
  Ähnliches gilt für das
– Aufsuchen des Schnittpunktes zweier Schnitte oder der
  Schnittebene mit einer Gebäudekante usw. und die

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Prof. Dr.-Ing. Michael Scherer – Intelligentes Tachymeter und Digitalkamera: Low-Cost aber High-Tech

                                                                                  Abb. 8: Absteckdaten bezogen auf
                                                                                  eine vertikale Rechenfläche

3 „Photo-Tachymetrie“                                          gen und Orthophotos ohne Kenntnis der äußeren Orientie-
                                                               rung der Kamera herstellen (projektive Entzerrung). Für
Die enge Synthese des Tachymeters mit einer Digitalka-         Flächenabwicklungen ist eine vorausgehende parametri-
mera wird in diesem Abschnitt beschrieben. Der Begriff         sche Entzerrung notwendig (s. Kap. 3.3). Da die Verknüp-
„Photo-Tachymetrie“ wird hier geprägt, um darauf hinzu-       fung von Bild und Koordinatensystem stets vorliegt, ent-
weisen, dass es sich dabei um weit mehr handelt als um         fallen die sonst erforderlichen Schritte der Referenzie-
die herkömmliche Verwendung von Koordinaten in der            rung. Auch die Kenntnisse über Parallelitäten und Recht-
Photogrammetrie. Er ist auch im Kontext zum später (Ka-       winkligkeit können zu einem enormen Rationalisierungs-
pitel 4) auftretenden Begriff der „Video-Tachymetrie“ zu       effekt genutzt werden.
sehen.
In der folgenden Tabelle (Abb. 9) wurde versucht, die          3.2 Dokumentation und Archivierung
vielfältigen Verknüpfungen zwischen Tachymeter und Di-
gitalkamera zu ordnen, wobei sich manche Funktionen            Dies umfasst neben der Dokumentation des photografisch
überlappen. Die durch Ziffern gekennzeichneten Punkte         festgehaltenen Ist-Zustandes des Objektes für spätere An-
werden in den nachfolgenden Abschnitten behandelt:             wendungen auch die Kennzeichnung von bereits definier-
                                                               ten Objektpunkten im Bild, ggf. mit der Punktnummer
                                                               und weiteren Informationen und Attributen im zugehöri-
3.1 Entzerrung und Orthophotos                                 gen Datenspeicher. So kann eine spätere Be- und Auswer-
Mit dem tachymetrisch zu messenden Koordinatengerüst          tung sehr erleichtert werden. Dies ist besonders für ein
lassen sich auf herkömmliche Art und Weise Entzerrun-         Monitoring von Interesse, aber auch für die Erstaufnahme

                                                                                                           Abb. 9: Verknüp-
                                                                                                           fung von Bild
                                                                                                           und Totalstation

AVN 10/2004                                                                                                              329
Prof. Dr.-Ing. Michael Scherer – Intelligentes Tachymeter und Digitalkamera: Low-Cost aber High-Tech

                                                                  3.3 Gerätesteuerung per Bild
                                                                  Die Arbeit vor Ort wird sehr erleichtert, wenn das Bild
                                                                  unmittelbar zur Steuerung des Gerätes eingesetzt wird,
                                                                  z. B. bei der Arbeit über Kopf oder im Zuge der Visuali-
                                                                  sierung (s. Kapitel 3.4). Die in Abb. 11 dargestellten Ar-
                                                                  beitsschritte sind vorzunehmen:
                                                                  a. Aufnahme des Objektes mit der Digitalkamera und
                                                                     Speicherung der Bilder im Notebook zur Tachymeter-
                                                                     steuerung.
                                                                  b. Passpunkte am Objekt per Tachymeter bestimmen und
                                                                     mit den entsprechenden Bildpunkten verknüpfen !
                                                                     Die parametrische Entzerrung liefert automatisch die
                                                                     Parameter der äußeren Orientierung, d. h. die Position
                                                                     und die Ausrichtung der Kamera.
                                                                  c. Anklicken eines Bildpunktes, dessen Koordinaten be-
                                                                     stimmt werden sollen In Iterationsschritten wird der
                                                                     Messfleck von seiner momentanen Position automa-
                                                                     tisch zum realen Objektpunkt hin gesteuert, der dem
                                                                     angeklickten Bildpunkt entspricht, und die 3D-Koordi-
                                                                     naten werden bestimmt. Da hierbei gewisse Toleranzen
                                                                     zu beachten sind, sollte – im Gegensatz zur entspre-
                                                                     chenden Verfahrensweise bei der Video-Tachymetrie,
                                                                     s. u. – diese Methode nicht zu punktscharfen Messun-
                                                                     gen eingesetzt werden. Sie lässt sich aber voll in andere
Abb. 10: Visuelles dynamisches Messprotokoll – hier auch
mit Hilfslinien
                                                                     Abläufe, wie die Ebenenberechnung zur Orthophoto-
                                                                     bildung, integrieren.
                                                                  Diese Art der Gerätesteuerung muss man auch im Zusam-
unmittelbar vor Ort, oder für Ergänzungen, z. B. zur Scha-      menhang mit der Dokumentation nach Abschnitt 3.2 se-
denskartierung oder für die bauhistorische Forschung. Als        hen: Werden bereits koordinierte Punkte im Bild ange-
Objektpunkte kommen natürliche Punkte in Frage, d. h.            klickt, so können diese z. B. im Zuge einer Gerätestatio-
Punkte, die nicht signalisiert sind. Damit kann der Ar-           nierung auf neuem Standpunkt automatisch angefahren
beitsaufwand erheblich vermindert werden. Wie in Bei-             werden. Parallel zum photografischen Hintergrund zur
spiel Abb. 10 gezeigt, kann auch der Messungsfortschritt          Steuerung ist die stets mitgeführte, einfache Grafik der
automatisch ins Bild eingeblendet werden. Dies ist bei            Messungssituation zu sehen (Grundriss, Aufriss, axiome-
komplexen Aufnahmen besonders hilfreich. Es ist tref-             trische Darstellung). Sie dient nicht der zeichnerischen
fend, diesen Vorgang als „visuelles dynamisches Mess-             Bearbeitung – hierzu steht z. B. der Datenexport nach Au-
protokoll“ zu bezeichnen.                                         toCAD zur Verfügung – sondern hat sich bei der In-situ-

                                                                                        Abb. 11: Gerätesteuerung aus dem Bild
                                                                                        heraus

330                                                                                                                 AVN 10/2004
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Orientierung des Messenden und der Gerätesteuerung be-        gen werden, z. B. über direkt gemessene Eckpunkte, also
stens bewährt.                                                ohne die gesonderte Ebenenbestimmung. Eine Reduktion
                                                               des Messungsaufwandes ist durch Berücksichtigung der
                                                               Parallelität bzw. Rechtwinkligkeit ebener Bauwerksflä-
3.4 Visualisierung
                                                               chen erreichbar. Die Bildnutzung zur Visualisierung ist
Hier geht es um den raschen Aufbau von 3D-Modellen vor         weiter auszubauen, auch in Verbindung mit der „Video-
Ort. Die gängigen Programme zur Visualisierung benöti-       Tachymetrie“ nach Abschnitt 4.
gen Koordinaten der Eckpunkte von – ebenen – Flächen-
stücken, meist Dreiecken, sowie das zugehörige entzerrte
Bildelement. Ein mögliches, hier angewandtes Verfahren        4 Blick in die Zukunft?
ist die Einbeziehung der Gerätesteuerung nach 3.3 in den
Visualisierungsprozess, nämlich zur raschen Bestimmung        In der vorgestellten Verknüpfung mit dem Bild sind Ta-
von Eckpunkten auf folgende Art und Weise:                     chymetrie und Photogrammetrie einander recht nahe ge-
– Ebene bestimmen durch Klicken auf drei Punkte einer          kommen. Dennoch: eine weitergehende Integration der
   ebenen Fläche im Bild; es erfolgt die automatische Er-     Verfahren Tachymetrie, Photogrammetrie und Laserscan-
   mittlung dieser Punktkoordinaten über die intelligente     ning ist wünschenswert. Wie könnte die Entwicklung also
   Tachymetersteuerung.                                        weiter gehen? Bei der praktischen Arbeit in der Architek-
– Eckpunkte der ebenen Fläche nur durch Anklicken im          turvermessung wünscht man sich u. a.,
   Bild bestimmen, also ohne Einsatz des Tachymeters.          – die Bedienung der Totalstation ganz auf das Notebook
Zum raschen Modellaufbau kann auch anders vorgegan-               zu verlegen,

                                                                                     Abb. 12: Video-Tachymeter

                                                                                     Abb. 13: „Punkt-Album“ mit Verknüp-
                                                                                     fung zu Grafik und Bild

AVN 10/2004                                                                                                               331
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                                                                                        Abb. 14: Entwicklungsschritte

– nur mit natürlichen Punkten als Bauwerksfestpunkte             für andere spätere Arbeiten liegt stets ein Katalog gut
   (für Aufnahme, Monitoring und als photogrammetri-             identifizierbarer, dauerhafter Punkte vor, die mit der Gra-
   sche Pass- und Referenzpunkte) zu arbeiten,                    fik und der entsprechenden Koordinatendatei verknüpft
– Dokumentationen von bauwerksrelevanten Punkten für             sind.
   Ergänzungen und spätere Arbeiten zu erhalten,                Die Totalstation mit Einbaukameras, die „Video-Totalsta-
– dass die Ergebnisse möglichst vor Ort auf Richtigkeit          tion“, wird von den Geräteherstellern noch nicht angebo-
   und Vollständigkeit geprüft werden.                          ten. Aber auch die intelligente Totalstation gab es vor 10
Ein Gerät Leica TCRM wurde um drei Einbaukameras er-             Jahren, als die erste reflektorlos messende, computersteu-
gänzt: Zwei unterschiedlich weitwinklige Kameras sind im         erbare Totalstation entstand (Scherer 1995), nicht zu kau-
Fernrohrgehäuse untergebracht. Anstelle der Strichkreuz-         fen (Abb. 14). Heute sind diese motorisierten, berüh-
platte wurde ein dritter Chip eingesetzt, hier als Okularka-      rungslos messenden Tachymeter aus vielfältigen
merabezeichnet (s.Abb. 12).DadieFokussierungdeslang-              praktischen Arbeiten nicht mehr weg zu denken. Den-
brennweitigen Fernrohrs unumgänglich ist, wurde zusätz-         noch: wie hier gezeigt wird, lassen sie sich noch weit effi-
lich eine „Auto Fokus“ – Funktion über einen vom Note-           zienter nutzen. Wird man die Video-Totalstation bald er-
book gesteuerten Servo-Motor implementiert.                       werben können? Sie integriert geodätische und photo-
Das so umgebaute Gerät, das “Video-Tachymeter“, ist              grammetrische Elemente, bietet aber entschieden mehr
voll vom Rechner steuerbar: Unmittelbar nach einem                als nur die einfache Summe. Wer mit der Video-Totalsta-
Mausklick ins Bild steuert die Totalstation den entspre-          tion gearbeitet hat, wird auch auf diese nicht mehr ver-
chenden Objektpunkt an. Das Gerät kann über ein länge-         zichten wollen.
res Kabel auch vom Notebook entfernt, z. B. erhöht, auf-         Wie könnte der nächste Schritt aussehen? Schnelle mas-
gestellt werden; dies mag z. B. für archäologische Mes-         senhafte Punkterfassung, also das Laserscannen, ist nicht
sungen oder Photodokumentationen interessant sein.                immer nötig und sinnvoll, aber dort wünschenswert, wo
Viele der in Kapitel 3 beschriebenen Funktionen, wie              bestimmte Regelflächen oder auch ganz unregelmäßige
z. B. das visuelle dynamische Messprotokoll in Abbildung          Formen zu erfassen sind. Wesentliche Scanner-Funktio-
10, können so unter Wegfall der externen Kamera, für die        nen ließen sich vielleicht im Fernrohr integrieren. Der mo-
ja die parametrische Entzerrung (s. 3.3) durchgeführt wer-       mentane Trend zum theodolitartigen Aufbau der Scanner
den muss, noch schneller erfolgen. Da das Okularkamera-           ist unverkennbar. Auch die Softwareentwicklung sollte
bild wie bei der üblichen Visur die 30-fache Fernrohrver-        entsprechend integrativ verlaufen: Die Vereinigung von
größerung wiedergibt, ist höchste Genauigkeit bei Mes-          Bilderkennung und -verarbeitung mit der Auswertung ge-
sung und Bilddokumentation gewährleistet.                        scannter Punktwolken und tachymetrisch-photogramme-
Abb. 13 zeigt die für Langzeitanwendungen – Monitoring           trischer Funktionalitäten dürfte zu immer schnelleren,
– mit natürlichen Punkten interessante Funktion eines            besseren und weiter automatisierten Aufnahmen und Aus-
„Punkt-Albums“. Der Bauforscher kann dies auf die                 wertungen führen. Man wird der In-situ-Kontrolle noch
Baustelle mitnehmen, sich an natürlichen Punkten orien-          näher kommen.
tieren und die in diesem Anwendungssektor nötigen hän-
dischen Vermessungen im Anschluss an sichere, koordi-
nierte Punkte rasch durchführen. Für ein Monitoring und

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5 Literatur
                                                                   Summary
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   Symposium, 2003, pp. 554 – 558.                                 station totale motorisée mesurant les distances
Wurm, A.: Laserscanning mit tachymetrischen Instrumenten.          sans réflecteur. L’intelligence est réalisée par un
   Ingenieurvermessung 2004, Tutorial Laserscanning, Zürich       programme, qui permet le levé ou l’implantation
   2004.                                                           en employant des techniques d’itération et des
                                                                   mécanismes de la boucle de régulation. Si cette
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr.-Ing. Michael Scherer,                                    solution peu coûteuse, mais de pointe pour me-
Ruhr-Universität Bochum,                                          surage en architecture et archéologie et pour les
Arbeitsgruppe Geodäsie,                                           soins de monument est étendue par un appareil-
Universitätsstrasse 150; IA 4/49,                                 photo numérique le prétendu “levé photo-
44780 Bochum, GERMANY,                                             tachéométrique” permet nouvelles techniques
Tel.: þ49(0)2 34 32-2 60 70,                                       pour documentation et de fonctionnement
Fax: þ49(0)2 34 32-1 43 73,                                        pratique.
E-mail: michael.scherer@rub.de,
Web site: www.ruhr-uni-bochum.de/geodaesie

       DEUMLICH
       . . . . . . . . .
                                                                 Unter Berücksichtigung der       P und dem Fehler mt der Lage
Genauigkeit der Bestimmung                                       o.a. Werte werden folgende        der Messmarke
                                                                                                             pffiffiffi  erhalten:
von Strecken und Flächen in                                     mittleren Fehler mp der Flä-
                                                                 chenbestimmung in Luftbil-
                                                                                                   mp ¼ mt P.
                                                                                                   Aus: O točnosti opredelenija
Luftbildern                                                      dern erhalten:
                                                                 1: 500 4,2 m2
                                                                                                   rasstojanij i ploščadej po
                                                                                                   aerofotosnimkam. Von Se-
                                                                 1:1000 8,8 m2                     del’nikova, I. A., und Šendja-
Die Genauigkeit der Stre-       chymetern 3Ta5 (mit 1-Pris-      1:2000 13,8 m2.                   kina, S. V. – Geodez. i Kar-
cken- und Flächenbestim-       men-Reflektor)    ermittelte     Der mittlere Fehler mp für       togr., Moskva (2003) 5, S.
mung      mit    Luftbildern    Koordinaten (mittlerer Feh-      Luftbilder     verschiedener      55 – 57
1:500, 1:1000 und 1:2000        ler der Tachymetermessung,       Maßstäbe wird mit der Fläche                         DEUMLICH
wurde im russischen Betrieb     maximal 200 m,  5,6 mm)
Roszemkadastrs-emka unter-      als Etalon.                      Ergebnisse der Messungen:
sucht. Dabei dienten mit 50-
                                                                     Seite   Gemessen Berechnet        Gemessen im Luftbild
m-Messbändern gemessene        Mittlerer Fehler der Lagebes-                Meßband aus Koor-      1:500    1:1000      1:2000
Seiten von 630 m langen         timmung eines Punktes mit                       sb     dinaten
Grundstücken und mit Ta-       Tachymeter:                                               sk
                                                                               (m)       (m)         (m)       (m)        (m)

                                                                   1–2       36,82     36,85      36,75      36,8       36,6
                          mß 1=2                                     2–3       17,28     17,25      17,25      17,4       17,8
              M ¼ m2s þ s        ¼ 7; 4 m                           3–4       36,87     36,84      36,70      36,6       36,6
                          R
                                                                     4–1       16,85     16,90      16,85      16,8       16,6

AVN 10/2004                                                                                                                  333
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