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   Zur statistischen Erfassung von Wohnungs- und
   Obdachlosigkeit in den USA: Die "Point-in-Time"-
   Zählung am Beispiel von Portland, Oregon
   Heidbrink, Ingo

   Veröffentlichungsversion / Published Version
   Zeitschriftenartikel / journal article

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Heidbrink, I. (2020). Zur statistischen Erfassung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in den USA: Die "Point-in-
Time"-Zählung am Beispiel von Portland, Oregon. Stadtforschung und Statistik : Zeitschrift des Verbandes Deutscher
Städtestatistiker, 33(2), 85-91. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-69852-0

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https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de
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Stadtforschung

Ingo Heidbrink

Zur statistischen Erfassung von Wohnungs- und
Obdachlosigkeit in den USA
Die „Point-in-Time“-Zählung am Beispiel von Portland,
Oregon
In den USA existiert seit dem Jahr 2003 mit der „Point-in-Time“-   Einleitung
Zählung eine regelmäßige statistische Erfassung von Personen,
die Wohnungs- und Obdachlosigkeit erfahren. Im Rahmen dieser       Wohnungslosigkeit ist in den USA ein gesamtgesellschaftli-
Stichtagserhebung werden in einer festgelegten Nacht im Ja-        ches Problem, das im Kontext der Krise des Wohnungsmarktes
nuar Personen, die „auf der Straße“ ohne Obdach leben, sowie       und unzureichender sozialstaatlicher Instrumente betrachtet
wohnungslose Personen in Unterkünften nach einer US-weit           werden muss (NLCHP 2017). Das U.S. Department of Housing
einheitlichen Methode gezählt. Der vorliegende Beitrag stellt      and Urban Development veröffentlicht regelmäßig Zahlen
die Methode am Beispiel von Portland/Gresham/Multnomah             zum Ausmaß von „homelessness“1. Im Jahr 2019 ergab die
County im Bundesstaat Oregon vor und erläutert Möglichkeiten       offizielle Zählung, dass in einer einzigen Nacht im Januar ca.
und Schwächen.                                                     568.000 Menschen in den USA als wohnungs- oder obdach-
                                                                   los galten (HUD 2020). Auch wenn diese Zahl auf den ersten
                                                                   Blick hoch erscheinen mag, wird vielfach angemerkt, dass die
                                                                   Erfassungsmethode Beschränkungen aufweist, die zu einer
                                                                   Untererfassung des Problems führen.
                                                                       Nicht erst seit der großen Rezession des Jahres 2008 und
                                                                   der sich daran anschließenden sozialen Verwerfungen ist Ob-
                                                                   dachlosigkeit in vielen amerikanischen Großstädten zu einem
                                                                   sehr sichtbaren Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden.
                                                                   Besonders deutlich wird dies in den Metropolen der Bundes-
                                                                   staaten der Westküste, wie Los Angeles, San Francisco, Seattle
                                                                   und Portland. Dort leben Obdachlose in großer Zahl in Zelten,
                                                                   provisorischen Behausungen, auf den Gehwegen, Plätzen oder
                                                                   an Rändern von vielbefahrenen Highways. In einigen amerika-
                                                                   nischen Städten haben sich ganze Stadtviertel zu Zeltstädten
                                                                   von Obdachlosen entwickelt (z. B. Los Angeles, Skid Row). Die
                                                                   Soziologin Jutta Allmendinger, die auch in Deutschland zum
                                                                   Thema Wohnungsarmut forscht, nennt die US-amerikanischen
                                                                   Zustände ein „Höllenvorbild“ für Deutschland und empfiehlt
                                                                   das Thema im Rahmen der Armutsforschung stärker in den
                                                                   Blick zu nehmen (Interview in Die Zeit vom 28.11.2019). Hier-
                                                                   zu bedarf es einer verlässlichen Datengrundlage über das
                                                                   Ausmaß von Wohnungs- und Obdachlosigkeit, wie von der
                                                                   Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe seit Jahren
                                                                   gefordert wird (BAGW 2020).
                                                                       In Deutschland existiert eine regelmäßige Berichterstat-
                                                                   tung zum Thema Wohnungsnot bislang ausschließlich auf
Dipl.-Geograph Ingo Heidbrink                                      Landesebene von Nordrhein-Westfalen (MAGS 2018). Diese
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Amt für Statistik und Wah-       erfasst jedoch nur untergebrachte wohnungslose Personen
len, Abt. Statistik und Stadtforschung, der Landeshauptstadt       und solche, die den Fachberatungsstellen als wohnungslos
Düsseldorf                                                         bekannt sind. Obdachlose, die ohne jede Unterkunft „auf der
: ingo.heidbrink@duesseldorf.de                                    Straße“ leben und keine Beratungsstellen aufsuchen, wer-
                                                                   den nicht erfasst. Obdachlosenzählungen, die diese Lücke
Schlüsselwörter:                                                   schließen könnten, wurden in Deutschland bislang nur von
Obdachlosigkeit – Wohnungslosigkeit –                              den Städten Berlin, Hamburg und München in Eigenregie
Obdachlosenzählung – USA – Portland – Point in Time                durchgeführt2. Mit dem zum 1. April 2020 in Kraft getretenen

                                                                               STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020            85
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Gesetz zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung        Obdachlosenarbeit vor Ort tätig sind sowie auf zahlreiche eh-
(WoBerichtsG 2020) wurde ein erster Schritt zur Verbesserung      renamtliche Helfer angewiesen. Die ermittelten Daten werden
der bundesweiten Datenlage zum Thema Wohnungslosigkeit            nach Angaben des HUD von Politik, Planungsbehörden und
gemacht.                                                          gemeinnützigen Organisationen genutzt, um die Vergabe von
    In den USA wird bereits seit dem Jahr 2003 regelmäßig das     Fördermitteln zu steuern, Pläne und Strategien auszurichten
Ausmaß von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in einer kombi-          und um die Angebotsstruktur zu koordinieren (HUD 2019).
nierten Zählung, der sogenannten „Point-in-Time“-Zählung, er-          Die an der „Point-in-Time“-Methode geübte Kritik bezieht
fasst und darüber berichtet. Diese US-weite Erhebung bezieht      sich auf eine Reihe unterschiedlichster Aspekte und Beschrän-
sich sowohl auf Personen, die ohne jede Unterkunft obdachlos      kungen. Vielfach wird kritisiert, dass die zugrunde gelegte
„auf der Straße“ leben, als auch auf wohnungslose Personen,       Definition zu eng sei und verschiedene Personengruppen
die temporär in Notunterkünften und Übergangswohnheimen           ausschließt. Dies betrifft zum Beispiel Personen und Familien,
unterkommen. Der vorliegende Beitrag3 gibt einen kurzen           die ohne feste Wohnadresse bei Freunden, Verwandten und
Einblick in die Methode der Zählung am Beispiel von Portland/     Bekannten unterkommen und im Amerikanischen informell
Gresham/Multnomah County4 im US-Bundesstaat Oregon.               als „doubled-up“ bezeichnet werden. Eine Untersuchung der
Er stellt die Möglichkeiten und den Nutzen dieser Erhebung        Portland State University kommt mit Blick auf die Region
dar, blickt aber auch kritisch auf die methodischen Schwie-       Portland zu dem Ergebnis, dass unter Beachtung der „dou-
rigkeiten. Anhand ausgewählter Ergebnisse des Jahres 2019         bled-up“-Wohnungslosen ca. 2 % der Gesamtbevölkerung
werden beispielhaft Aussagen zu Ausmaß und Entwicklung            als wohnungs- oder obdachlos gelten (PSU 2019a). Darüber
von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Portland dargestellt         hinaus bleiben jene Personen unberücksichtigt, die am Tag der
und vor dem Hintergrund der methodischen Fragen diskutiert.       Zählung in Krankenhäusern und Gefängnissen untergebracht
                                                                  waren. Da unter diesen „unsichtbaren“ Wohnungs- oder Ob-
                                                                  dachlosen ein hoher Anteil Angehöriger der „People of color“7
Die Zählmethode                                                   ist, wird das Ausmaß der Betroffenheit dieser Bevölkerungs-
                                                                  gruppe durch die Ergebnisse der PIT-Zählung unterschätzt
In den USA ist das U.S. Department of Housing and Urban           (NLCHP 2017).
Development (HUD) die für Wohnungs- und Obdachlosigkeit                In einigen Bundesstaaten werden zudem verschärfte Ob-
zuständige Behörde, die die Richtlinien der Zählung vorgibt       dachlosengesetze, eine zunehmende Kriminalisierung von
und die gesammelten Ergebnisse auf nationaler Ebene in            und Gewalt gegen Obdachlose als Gründe dafür benannt,
einem jährlich erscheinenden Bericht an den Kongress ver-         dass diese Menschen verborgene Orte aufsuchen, an de-
öffentlicht. Die Datenerhebung selbst, die „Point-in-Time“-       nen sie in der Nacht der Zählung nicht angetroffen werden.
Zählung (PIT-Zählung), erfolgt auf der räumlichen Ebene der       Des Weiteren wird kritisiert, dass es sich bei der Zählung um
Continuum of Care (CoC). Dies sind lokale Planungseinheiten,      eine Stichtagserhebung handelt, die keine Aussage zur Zahl
die für die Koordinierung der Obdachlosendienste in einem         der Wohnungs- und Obdachlosen im Verlaufe eines Jahres
Gebiet, das den Abgrenzungen einer Stadt, eines County oder       ermöglicht (ECONorthwest 2018). Ein weiterer Kritikpunkt
einer Metropolregion entsprechen kann, zuständig sind. Die        bezieht sich auf den vorgegebenen Zeitpunkt der Zählung
CoCs sind verantwortlich für die Durchführung der Zählungen       im Winter, einer Jahreszeit, in der es am wahrscheinlichsten
und berichten an das HUD, das die lokalen Maßnahmen mit           ist, das Obdachlose Schutz an den unterschiedlichsten Orten
Bundeszuschüssen unterstützt. Um sicher zu gehen, dass die        suchen und daher weder auf der Straße noch in Unterkünften
US-weiten Zählungen vergleichbare Ergebnisse hervorbrin-          angetroffen werden. Diese Aspekte der Untererfassung kön-
gen, wird die Zählmethode weitestgehend vorgegeben. Das           nen zudem durch die Anzahl der freiwilligen Straßenzähler
Datum der Zählung soll möglichst immer innerhalb der letzten      und auch durch die vorherrschenden Wetterbedingungen
zehn Tage im Januar liegen. Als Stichtagszählung handelt es       beeinflusst werden (NLCHP 2017).
sich somit um eine reine Momentaufnahme (HUD 2015).
     Die Zählung besteht aus zwei Teilen: Die Straßenzählung
(unsheltered count) soll all jene Personen erfassen, die un-
                                                                  Das Beispiel Portland
geschützt an einem öffentlichen Ort übernachten, der in der
Regel nicht als reguläre Schlafgelegenheit für Menschen kon-      Die Stadt Portland liegt im Nordwesten der USA im Bundes-
zipiert wurde (HUD 2019). Sie wird in den USA seit dem Jahr       staat Oregon an der Grenze zu Washington. Sie ist mit über
2003 im mindestens zweijährigen Turnus durchgeführt, wobei        648.000 Einwohnern die größte Stadt und das wirtschaftliche
einige CoCs darüber hinaus jährlich zählen. Ergänzt werden        Zentrum des Bundesstaates. Portland ist zudem Hauptstadt
die Angaben aus der Straßenzählung durch die Erfassung der        des Verwaltungsbezirks Multnomah County mit ca. 813.000
wohnungslosen Personen in Unterkünften (sheltered count).         Einwohnern. Die weit über die städtischen und über die
Dabei wird unterschieden zwischen Notunterkünften5 und            County-Grenzen hinausgehende Metropolregion Portland-
Übergangswohnheimen6. Beide Zählungen finden in dersel-           Vancouver-Hillsboro hat knapp 2,5 Millionen Einwohner und
ben Nacht statt. Viele CoCs erheben im Rahmen der Zählung         ist derzeit auf Rang 25 der größten Metropolregionen der USA
freiwillig demografische Zusatzmerkmale, wie zum Beispiel         (U.S. Census Bureau 2018).
das Alter, die ethnische Zugehörigkeit oder die Haushaltsstruk-        Die Einwohnerzahl der Stadt Portland nahm zwischen
tur. Bei der Durchführung der Zählung sind die CoCs auf die       2010 und 2018 um knapp 65.000 Personen zu (+ 11,1 %). Der
Unterstützung von Organisationen, die in der Wohnungs- und        Verwaltungsbezirk Multnomah County verzeichnete im selben

86          STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020
Stadtforschung

Abbildung 1: Portland in Oregon/USA                                        hat die Region Portland insbesondere für jüngere, gut ausge-
                                                                           bildete Fachkräfte in der Altersklasse 25 bis 39 Jahre attrak-
                                                                           tiv gemacht. In den Jahren nach der großen Rezession hatte
   Portland
                                                                           die Metropolregion die sechst höchste Nettomigrationsrate9
 OREGON                                                                    dieser Bevölkerungsgruppe im Vergleich der 50 größten U.S.
                                                                           Metropolregionen (Jurjevich et al 2017). Das durchschnittliche
                                                                           Haushaltseinkommen stieg zwischen 2011 und 2016 um rund
                                                                           9 % (U.S. Census Bureau, ACS Estimates). Portland’s Attraktivität
                                                                           erklärt sich auch aus der Tatsache, dass die Stadt innerhalb der
                                                                           USA als ausgesprochen liberal und progressiv sowie nachhal-
                                                                           tigkeitsorientiert in der Stadt- und Verkehrsplanung gilt.
                                                                               Allerdings ist mit dem wirtschaftlichen Erfolg und der At-
                                                                           traktivität der Stadt ein zunehmender Mangel an bezahlbarem
                                    Quelle: Portland State University,     Wohnraum verbunden. Ebenso wie Seattle und San Francisco
                          Institute of Portland Metropolitan Studies       erlebt Portland ein „housing trilemma“ (Chanay et al 2018):
                                                                           Eine starke Wirtschaft und eine hohe Lebensqualität gehen
                                                                           zu Lasten der Erschwinglichkeit von Wohnraum. Portlands
                                                                           wirtschaftlicher Erfolg kommt nicht allen Bevölkerungsgrup-
Zeitraum ein Wachstum von 76.500 Personen (+ 10,4 %). In                   pen gleichermaßen zugute, sondern verschärft die Situation
der Metropolregion Portland-Vancouver-Hillsboro wuchs die                  für Haushalte mit geringen Einkommen. Zwischen 2011 und
Bevölkerungszahl im Betrachtungszeitraum um 11,7 % auf                     2016 verzeichneten nur die höheren Einkommensklassen
knapp 2.492.000 im Jahr 2018 (Abb. 2).                                     Zunahmen ihrer Einkünfte, während die unteren Einkom-
    Nicht nur demographisch, auch wirtschaftlich betrachtet                men in diesem Zeitraum stagnierten oder sogar abnahmen.
hat Portland ein Jahrzehnt des Wachstums hinter sich. Die                  Gleichzeitig stiegen die durchschnittlichen Angebotsmieten
Wirtschaft wächst insbesondere in den wissensintensiven                    zwischen 2011 und 2019 um 48% (Portland Housing Bureau,
Branchen. Portland ist Teil des sogenannten „Silicon Forest“,              CoStar Data). Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass
einer Region in der sich zahlreiche Hightech-Unternehmen                   insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen von einer
befinden, wie der Halbleiterhersteller Intel, der mit ca. 20.000           seit Jahren steigenden Mietkostenbelastung betroffen sind.
Arbeitnehmern am Standort Hillsboro der größte Arbeitgeber
der Metropolregion ist. Die Beschäftigtenzahlen in der Region              In Portland fand die PIT-Zählung des Jahres 2019 in der Nacht
sind seit 2010 um 24,4 % gestiegen. Die Arbeitslosenquote                  des 23. Januar statt. Die Organisation und Durchführung der
liegt seit dem Jahr 2017 durchgehend auf dem niedrigsten                   Zählung und die Auswertung und Veröffentlichung der Daten
Stand bei 3,9 %8 (Potiowsky 2019). Der wirtschaftliche Boom                erfolgten in Zusammenarbeit zwischen der Portland State

Abbildung 2:
Bevölkerungsentwicklung Stadt Portland, Multnomah County und Metropolregion Portland-Vancouver-Hillsboro, 2010, 2015 und 2018

                                                                  Quelle: U.S. Census Bureau, Portland State University, Population Research Center

                                                                                          STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020                   87
Stadtforschung

Abbildungen 3 und 4: Straßenszenen in Portland Downtown,            University (PSU), dem Joint Office of Homeless Services (JOHS)
August 2019                                                         in Multnomah County und dem Portland Housing Bureau. Für
                                                                    die Straßenzählung wurden zunächst auf der Grundlage von
                                                                    bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Standorte von
                                                                    Obdachlosenlagern10 und dem Wissen von Experten der Hilfs-
                                                                    organisationen jene Gebiete bestimmt, an denen mit hoher
                                                                    Wahrscheinlichkeit obdachlose Personen anzutreffen sind.
                                                                    Das so definierte Untersuchungsgebiet wurde in 13 Zonen
                                                                    unterteilt. Jede Zone wurde einer vor Ort tätigen, gemein-
                                                                    nützigen Hilfsorganisation zugeteilt, die die Koordination der
                                                                    Interviewer in diesem Gebiet übernahm. Mehr als 270 Mitar-
                                                                    beiterinnen und Mitarbeiter von insgesamt 88 Organisationen
                                                                    sowie Ehrenamtliche haben Obdachlose in jener Nacht an
                                                                    ihren Übernachtungsorten aufgesucht, gezählt und befragt.
                                                                    Die Befragung fand anhand eines Fragebogens mit 14 Fragen
                                                                    statt (PSU 2019b). Die Zahl der wohnungslosen Personen, die
                                                                    sich in der Nacht der Zählung in Notunterkünften und Über-
                                                                    gangsunterkünften aufhielten, wurde von den Einrichtungen
                                                                    bereitgestellt oder einer kommunalen Datenbank11 entnom-
                                                                    men. Die zusammengeführten Daten und die statistischen
                                                                    Auswertungen wurden wie in den vorherigen Jahren in Form
                                                                    eines Analyseberichtes veröffentlicht und zudem erstmals
                                                                    im Jahr 2019 online als Dashboard im Internet veröffentlicht
                                                                    (http://ahomeforeveryone.net/point-in-time-dashboard; ab-
                                                                    gerufen am 07.06.2020).

                                                                    Die PIT-Zählung ergab, dass insgesamt 4.015 Personen in Port-
                                                                    land entsprechend der HUD-Definition als obdach- bzw. woh-
                                                                    nungslos galten. Davon lebten 2.037 (50,7 %) Personen unge-
                                                                    schützt „auf der Straße“. Weitere 1.459 (36,3 %) wohnungslose
                                                                    Personen lebten in Notschlafstellen und 519 (12,9 %) Personen
                                                                    in Übergangswohnheimen. Gegenüber dem Jahr 2017 nahm
                                        Fotos: Heidbrink, 2019      die Gesamtzahl der als wohnungs- bzw. obdachlos identifi-

Abbildung 5:
Wohnungs- und obdachlose Personen in Portland nach Lebenssituation, gemäß HUD-Definition, 2009 bis 2019

6.000

5.000                      4.655
                                          4.441
            4.145                                                            4.177             4.015
                                                           3.801
4.000                                                                          757
                           1.928          1.572                                                  519
            1.690                                           1.042
3.000
                                                                                                1.459
                                                                              1.752
                           1.009           974               872
2.000       864

1.000                      1.718          1.895             1.887                               2.037
            1.591                                                             1.668

     0
            2009           2011           2013              2015              2017              2019
                     Ungeschützt    in Notunterkünften      in Übergangswohnheimen

                                                            Quelle: Portland State University, Point-in-Time Count 2019, eigene Darstellung

88          STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020
Stadtforschung

zierten Personen um 162 Personen geringfügig ab (- 4,0 %).           prevention“-Projekten von 1.680 auf knapp 3.500 (+ 108 %).
Verglichen mit den Ergebnissen der Vorjahre zeigt sich, dass         Trotz dieser Maßnahmen hat sich die Zahl der Wohnungs- und
nur im Jahr 2015 eine geringere Gesamtzahl ermittelt wurde           Obdachlosen im selben Zeitraum nur geringfügig verändert
(3.801).                                                             (Abb. 6). Das Forschungsinstitut ECONorthwest geht davon
    Betrachtet man nur die Entwicklung der gezählten Stra-           aus, dass ohne die erfolgten AHFE-Maßnahmen die Zahl der
ßenobdachlosen zeigt sich ein Anstieg zwischen 2017 und              wohnungs- und obdachlosen Personen deutlich höher läge
2019 von 1.668 auf 2.037 (+ 22,1 %). In der Zeitreihe seit 2009      (ECONorthwest 2018).
ist dies der höchste absolute und auch relative Wert dieser               Weitere methodisch bedingte Einflüsse auf die in Abbil-
Teilgruppe. Mit einem Anteil von 50,7 % lebten in der Nacht          dung 5 dargestellten Veränderungen sind: Die höhere Zahl von
der Zählung somit mehr als die Hälfte der von Wohnungs- und          freiwilligen Helfern und Interviewern im Jahr 2019, wodurch
Obdachlosigkeit betroffenen Personen in Portland „auf der            vermutlich mehr Straßenobdachlose erfasst werden konnten
Straße“. Die Zahl der Personen in Übergangswohnheimen                als im Jahr 2017. Zudem war der Winter 2019 vergleichsweise
sank seit 2011 kontinuierlich von knapp 2.000 auf 519. Die           mild, während 2017 ein besonders kalter Winter in der Region
Zahl der Personen in Notschlafstellen verdoppelte sich 2017          war, was dazu geführt haben könnte, dass 2017 mehr Ob-
gegenüber 2015 auf 1.752 (+ 880) und ging im Jahr 2019 auf           dachlose in Notunterkünften oder „unsichtbar“ bei Verwand-
1.459 Personen wieder zurück (Abb. 5).                               ten und Bekannten unterkamen. Demgegenüber geht der
    Verschiedenste Einflussfaktoren sollten bei der Interpre-        Rückgang von Personen in Übergangswohnheimen auf einen
tation der zeitlichen Verläufe berücksichtigt werden. So wird        vom HUD initiierten Strategiewechsel zurück, wonach ein Teil
davon ausgegangen, dass der Rückgang der Gesamtzahl der              der bestehenden Plätze in staatlich geförderten Übergangs-
Wohnungs- und Obdachlosen im Jahr 2019 größtenteils auf              wohnheimen in kostengünstigeren dauerhaften Wohnraum
die Maßnahmen der in der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe              (permanent housing) umgewandelt wurde (PSU 2019b).
tätigen Einrichtungen zurückzuführen ist (PSU 2019b). Unter               Die an die PIT-Zählungen gekoppelten Befragungen er-
der Bezeichnung „A Home for Everyone“ (AHFE) arbeitet in             möglichen über die Gesamtzahlen hinaus weiterführende
Portland/Gresham/Multnomah County ein Zusammenschluss                Aussagen zu soziodemografischen Merkmalen sowie zur Le-
von Behörden, gemeinnützigen Trägern und Wirtschaftsver-             benssituation. Merkmale die im Rahmen der Befragung in
tretern daran, Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu reduzieren.          Portland erhoben werden sind unter anderem: Geschlecht,
AHFE’s Ansatz umfasst Präventionsprojekte (homelessness              Alter, ethnische Zugehörigkeit, Dauer der Obdachlosigkeit,
prevention), Projekte die Obdachlose beim Übergang in                Dauer des Aufenthalts vor Ort, gesundheitliche Einschrän-
permanenten Wohnraum unterstützen (permanent housing                 kungen, Veteranenstatus und die Frage, ob die Person in der
placement) und die Unterhaltung von Notunterkünften.                 Nacht der Zählung alleine war oder in Begleitung.12
Zwischen 2015 und 2019 stieg die Zahl der durch AHFE un-                  Da die Befragung eine freiwillige Beteiligung voraussetzt,
terstützten Personen in „housing placement“-Projekten von            ist unter Berücksichtigung der oftmals schwierigen persön-
4.700 auf knapp 9.000 (+ 91 %) und die Zahl derer in „homeless       lichen Umstände der Befragten mit einem vergleichsweise

Abbildung 6: Wohnungs- und obdachlose Personen gemäß HUD-Definition sowie Personen die im Rahmen von AHFE-Projekten Un-
terstützung erhielten, Portland, 2013 bis 2019

10000

 8000
                                                                                                   Wohnungs- und obdachlose Personen
                                                                                                   n ach HUD-Defin ition
 6000

                                                                                                   Person en in "housing placemen t"-
                                                                                                   Projekten
 4000

                                                                                                   Person en in "homeless preven tion "-
 2000                                                                                              Projekten

    0
               2013                2015                2017                  2019
Anmerkung: Zur besseren Vergleichbarkeit wurde den PIT-Daten mit Stichtag 23.1.2019 ein Datenbankabzug der im Rahmen von AHFE-
           Projekten unterstützten Personen zum 31.1.2019 gegenübergestellt.
                                                              Quelle: Portland State University, Point-in-Time Count 2019, eigene Darstellung

                                                                                    STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020                    89
Stadtforschung

hohen Anteil von Verweigerungen zu rechnen. 2019 wurden             Fazit
im Rahmen der Straßenzählung von den insgesamt 2.037 ge-
zählten Obdachlosen 707 komplett verweigerte Befragungen            Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die PIT-Zählung
(34,7 %) erfasst. Darüber hinaus enthalten die ausgefüllten         trotz methodischer Schwächen als hilfreiches Instrument an-
Fragebögen häufig Lücken, da nicht jede Frage beantwortet           gesehen wird, um statistische Grundlageninformationen zur
wurde. Generell wird angemerkt, dass die Qualität der Be-           Anzahl wohnungs- und obdachloser Personen in den USA zu
fragungsergebnisse stark von der Befragungssituation, dem           erheben. So werden besondere Problemlagen und Bedürfnisse
gesundheitlichen Zustand der Befragten und der jeweiligen           von betroffenen Bevölkerungsgruppen erkannt, aus denen
Frage abhängt. Während die Antworten zu den Fragen nach             sich zielgerichtete Hilfsmaßnahmen ableiten lassen. Zudem
dem Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Vete-           wird von Experten betont, dass die PIT-Daten einen wichtigen
ranenstatus vergleichsweise zuverlässige Ergebnisse liefern,        Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte zum Thema leisten. Her-
sind die Selbsteinschätzungen der Befragten zur Dauer der           vorzuhebenden ist die einheitliche Methode, ein regelmäßiger
Obdachlosigkeit und zur gesundheitlichen Situation oftmals          Turnus, die zeitgleiche Erfassung von Straßenobdachlosigkeit
weniger zuverlässig.                                                und wohnungslosen Personen in Unterkünften, und die von
    Eine weitere Einschränkung betrifft den Vergleich von           vielen CoCs genutzte Option im Rahmen der Erhebung weitere
Befragungsergebnissen zwischen den Jahren. Im Jahr 2019             Aspekte abzufragen.
wurden in Portland, mit Blick auf die Planung und den Einsatz           Allerdings wurde aufgezeigt, dass die zugrunde gelegte
der freiwilligen Helfer, die bislang größten Anstrengungen          Definition eine Reihe von Personengruppen ausschließt, wo-
unternommen valide Ergebnisse zu erhalten. So wurden für            raus eine Untererfassung resultiert. Es ist wichtig auf diese
die Straßenzählung des Jahres 2019 in etwa doppelt so viele         Einschränkung hinzuweisen und zu betonen, dass die ge-
und besser geschulte Interviewerinnen und Interviewer ein-          zählten Wohnungs- und Obdachlosen nur den sichtbaren Teil
gesetzt als 2017.                                                   eines größeren Problems abbilden, das in den USA in engem
    Dennoch liefern die Befragungen wichtige Zusatzerkennt-         Zusammenhang mit der „affordable housing crisis“ gesehen
nisse auf die Fragen, welche Bevölkerungsgruppen überpro-           wird. Die Daten der PIT-Zählung geben weder Auskunft über
portional häufig von Wohnungs- und Obdachlosigkeit be-              die Gründe für Wohnungs- und Obdachlosigkeit noch über die
troffen sind und welches die auffälligsten Problemlagen sind.       Effektivität der Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung
ECONorthwest identifiziert als die zwei wichtigsten lokalen         des Problems. Beide Aspekte sollten bei der Interpretation
Trends von Obdachlosigkeit in der Region Portland:                  der PIT-Ergebnisse berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass
1. Angehörige der „People of color“ sind häufiger von Woh-          zeitliche Vergleiche aufgrund methodisch bedingter Einflüsse
     nungs- oder Obdachlosigkeit betroffen als Angehörige der       schwierig sind und ohne Hintergrundwissen zu Fehlinterpre-
     weißen Mehrheitsgesellschaft. Von allen Wohnungs- oder         tationen führen können.
     Obdachlosen in Portland gehören 38,1 % zur Gruppe der              Insgesamt ist der Eindruck entstanden, dass die Planungs-
     „People of color“, wohingegen diese nur 29,5 % der Ge-         behörden und handelnden Akteure in den Städten und Coun-
     samtbevölkerung stellen. Die weiße Bevölkerung hinge-          tys, die Möglichkeit haben, die Qualität der PIT-Ergebnisse zu
     gen macht 70,5 % der Gesamtbevölkerung aus, gegenüber          beeinflussen – je nachdem welche Bedeutung sie der Zählung
     einem Anteil von 58,4 % in der Gruppe aller Wohnungs-          beimessen, wie viele Ressourcen sie bereitstellen und wie das
     und Obdachlosen.13 Jedoch ist davon auszugehen, dass           Thema in der Öffentlichkeit kommuniziert wird. Im libera-
     das Ausmaß der Überrepräsentanz der „People of color“          len Portland hat das Thema einen großen gesellschaftlichen
     in der Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit größer ist als die       Stellenwert. Die Zahl der unterstützenden Organisationen
     PIT-Ergebnisse aussagen. Denn die Zählung schließt die         und freiwilligen Helfer ist größer als anderswo. Die mit der
     „doubled-up“-Bevölkerung aus und wohnungslose „Peo-            Zählung beauftragten Einrichtungen, das JOHS und die PSU,
     ple of color“ leben überproportional häufig ohne feste         sind bemüht das Erhebungsverfahren im Rahmen der Vorga-
     Wohnadresse bei Verwandten oder Freunden und sind              ben zu verbessern und die Ergebnisse vor dem Hintergrund
     somit für die Statistik unsichtbar (PSU 2019b).                der methodischen Schwierigkeiten transparent zu erklären.
2. Der Anteil der Personen die das HUD als „chronically             Eine Reihe weiterer universitärer Einrichtungen unterstützt
     homeless“ definiert, ist im Jahr 2019 in Portland auf 44,1 %   die Arbeit mit angewandter wissenschaftlicher Forschung.
     angestiegen. Somit sind, unter Berücksichtigung der                Welche Erkenntnisse lassen sich aus den beschriebenen
     Schwierigkeiten bei der Erfassung dieser Daten, 1.769 Per-     Erfahrungen für deutsche Städte ableiten? Auch wenn sich
     sonen in Portland ermittelt worden, die seit mindestens        das Ausmaß der sichtbaren Obdachlosigkeit in den USA er-
     einem Jahr obdach- bzw. wohnungslos sind und mindes-           heblich von den Zuständen in deutschen Städten unterschei-
     tens eine oder mehrere gesundheitliche Einschränkungen         det, so sind Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot auch in
     haben. Von diesen Personen lebte der überwiegende Teil         Deutschland zunehmend wichtige Themen. Eine verlässliche
     (66,5 %) „auf der Straße“. Unter diesen ungeschützt leben-     Datengrundlage gilt als Voraussetzung für die Entwicklung
     den „chronisch Obdachlosen“ ist der Anteil an psychischen      zielgenauer Handlungsprogramme. Das kürzlich verabschie-
     Erkrankungen (41,2 %) und Drogenabhängigkeit (45,6 %)          dete Bundesgesetz zur Einführung einer Wohnungslosenbe-
     am höchsten. Diese besonders gefährdeten Personen be-          richterstattung sowie einer Statistik untergebrachter woh-
     nötigen spezielle Hilfen, die über eine reine Versorgung       nungsloser Personen wird von Fachleuten als wichtiger Schritt
     mit Wohnraum hinausgehen.                                      begrüßt um erstmals zum 31.01.2022 bundesweit Daten zum
                                                                    Umfang und zur regionalen Verteilung von Wohnungslosigkeit

90           STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020
Stadtforschung

in Deutschland zu erheben (BAGW 2020). Es wird erwartet,
                                                                            1    Der im Rahmen der US-weiten „Point-in-Time“-Berichterstattung
dass diese Informationen auf der kommunalen Ebene eine                           verwendete Begriff „homelessness“ bezieht sich sowohl auf Personen
große Wirkung auf die Arbeit von Verwaltungen und freien                         die obdachlos, ohne jede Unterkunft auf der Straße leben (Obdach-
Trägern haben werden und auch zu einer Verbesserung der                          losigkeit) als auch auf Personen die ohne eigene Wohnung temporär
Information der Öffentlichkeit führen. Darüber hinaus sollen                     in Unterkünften leben (Wohnungslosigkeit).
                                                                            2    Für einen Überblick über Beispiele zur Zählung von Straßenobdach-
die zu erfassenden Datenbestände der wissenschaftlichen                          losigkeit, siehe Busch-Geertsema 2019.
Grundlagen- und Begleitforschung dienen.                                    3    Der Beitrag ist zwischen August und September 2019 am Population
    Kritisch beurteilt die Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-                        Research Center der Portland State University entstanden. Der Autor
nungslosenhilfe vor allem die in dem Gesetzentwurf zugrunde                      bedankt sich bei Charles Rynerson (Population Research Center),
                                                                                 ohne den der Aufenthalt nicht möglich gewesen wäre, sowie bei
gelegte Definition von Wohnungslosigkeit. Diese wird als zu                      Prof. Jason Jurjevic (University of Arizona).
eingeschränkt beurteilt da folgende Personengruppen nicht                   4    Im Folgenden wird der Einfachheit halber die geografische Bezeich-
berücksichtigt werden: Erstens „Personen, die wohnungslos                        nung „Portland“ gewählt, obwohl sich die hier dargestellten Ergeb-
bei Freunden und Bekannten kurzfristig Unterschlupf finden“,                     nisse auf das über die Stadtgrenzen von Portland hinausgehende
                                                                                 Gebiet von Portland/Gresham/Multnomah County beziehen.
zweitens „Personen, die kurzfristig in der Familie verbleiben“              5    Notunterkünfte (emergency shelter) bieten Obdachlosen Unterkunft
und drittens „Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße,                      für i. d. R. eine Nacht.
aber mit Kontakt zu Beratungsstellen“ (BAGW 2020). Nach                     6    Übergangswohnheime (transitional housing) bieten Wohnungslosen
Schätzungen der BAGW umfassen diese drei Gruppen über                            und ihren Familien eine vorläufige Unterkunft und Unterstützung
                                                                                 für bis zu 24 Monate, mit dem Ziel der Vermittlung in dauerhaften
70% der wohnungslosen Personen in Deutschland. In allen                          Wohnraum.
drei Gruppen sind wohnungslose EU-Bürgerinnen und Bür-                      7    „Person of color (Plural: people of color) ist ein Begriff aus dem an-
ger überrepräsentiert, wodurch es zu einer Untererfassung                        glo-amerikanischen Raum für Menschen, die gegenüber der ameri-
dieser Bevölkerungsgruppe kommt. Auch die Gruppe der                             kanischen Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß gelten und wegen
                                                                                 ethnischer Zuschreibungen („Sichtbarkeit“) alltäglichen, institutio-
anerkannten wohnungslosen Geflüchteten sollte nach Ansicht                       nellen und anderen Formen des Rassismus ausgesetzt sind.“ (https://
der BAGW mit erhoben werden. Mit Blick auf Obdachlose, die                       de.wikipedia.org/wiki/Person_of_color. Abgerufen am 14.06.2020).
ohne jede Unterkunft auf der Straße leben und keinen Kontakt                8    Wert für August 2019
zu Hilfesystemen haben, sowie wohnungslose Personen die                     9    „Net Migration Index“
                                                                            10   Wichtige Partner von Behörden wie Strafverfolgungsbehörden, Park-
temporär in regulärem Wohnraum wohnen, ermöglicht der                            verwaltungen und öffentlichen Versorgungsunternehmen teilten ihr
Gesetzentwurf im Rahmen der sogenannten „Ergänzenden                             Wissen über die Standorte von Obdachlosenlagern.
Berichterstattung“ jedoch die Durchführung von Sondererhe-                  11   Homeless Management Information System (HMIS).
bungen. Darüber hinaus schlägt die BAGW vor, ggf. in einem                  12   Zum kompletten Fragebogen siehe PSU 2019b, Appendix A.
                                                                            13   Dabei sind bestimmte ethnische Gruppen, wie die Angehörigen der
zweiten Schritt, auch die Zahl der unmittelbar von Wohnungs-                     „Black/African American“ und der „American Indian/Alaska Native“
losigkeit bedrohten Personen zu erfassen (BAGW 2020).                            am stärksten von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen (PSU
    Wie am Beispiel der PIT-Zählung für Portland gezeigt                         2019b).
wurde, sind methodische Aspekte und der Umfang der Er-
hebung bestimmend für die Qualität der Ergebnisse. Es ist
zu befürchten, dass die dem deutschen Gesetzentwurf zu-
grunde liegende Definition zu einer Untererfassung der von
Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffenen Personen in
Deutschland führen wird.

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                                                                                           STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 2|2020                     91
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