Zentrendialog 2019 Plätze für alle - Identifikationsorte im öffentlichen Raum - Aktive Zentren - Identifikationsorte im öffentlichen Raum
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhalt Begrüßung und Einführung 3 Impuls I: Rahmenbedingungen, Entwicklungen und Besonderheiten in den Aktiven Zentren 4 Impuls II: Bedeutung öffentlicher Räume in Metropolen – Experimente in München und Nürnberg 6 Nachfragen, Gedanken und Anregungen 9 Im Dialog – Reflektionen aus den Fördergebieten 11 Sicher im öffentlichen Raum!(?) 14 Impressum Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Referat Städtebauförderung / Stadterneuerung (IV C) Württembergische Straße 6, 10707 Berlin fon: +49 (0)30 9(0)139-4917, www.berlin.de/aktive-zentren Programmbeauftragter Aktive Zentren Berlin complan Kommunalberatung GmbH Kaiserin-Augusta-Allee 86, 10589 Berlin fon: +49 (0)30 9210695-60, www.complangmbh.de Fotos: Erik-Jan Ouwerkerk Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleich- wohl für beiderlei Geschlecht. 2
Zentrendialog 2019 | Begrüßung und Einführung Begrüßung und Einführung „Öffentliche Räume sind der physische Räume mit hoher Gestaltqualität zu Rahmen für ein gelingendes soziales entsprechen. Leben.“ (aus: Baukulturbericht 2020/21) Manche Orte und Plätze erlangen hierbei Als Erholungs- und als Verkehrsräume, für besondere Strahlkraft für das jeweilige den Handel und die Gastronomie, für Gebiet und werden zu Identifikationsorten Interaktion und Begegnung sowie als Grün- und Treffpunkten die Menschen vor Ort. und Vegetationsflächen sind sie existen- Der Zentrendialog widmet sich den öffent- zielle Bestandteile der Zentren und der lichen Plätzen, Parks und Straßenräumen Maria Berning, SenStadtWohn Stadtgesellschaft. In den Aktiven Zentren als Orte der Kommunikation und des werden öffentliche Räume neugestaltet, sozialen Interagierens. Die folgenden um aktuellen und künftigen Anforderungen Fragen stehen hierbei im Fokus der an vielseitig nutzbare und klimaresiliente Betrachtungen und Diskussionen: Wie werden Orte und Plätze geschaf- fen, wo sich die Bewohner heimisch fühlen und die zu Anziehungs- und Kristallisationspunkten der Stadt- Matthias von Popowski, complan Kommunal- gesellschaft werden? beratung Wie können bestehende Strukturen an neue Erfordernisse angepasst werden? Welche Gestaltqualität, welche Funk- tionen sind gefordert? Welche Instrumente stehen den Akteuren für die Umsetzung dieser Maßnahmen zur Verfügung? Und welchen Beitrag kann das Förderprogramm leisten, um den Herausforderungen zur Wahrung einer hohen Prozess- und Gestaltqualität zu entsprechen? Welche Rolle spielen öffentliche Freiräume für das Leben in Städten und Stadtquartieren? Welche funktionalen, welche gestalterischen Qualitäten zeich- nen öffentliche Räume aus, welche Menschen gern aufsuchen und nutzen, die zu Orten der Identifikation werden? Welche Interventionen sind notwen- dig, um vorhandene Strukturen und bereits gestaltete Freiräume zu solchen Orten zu qualifizieren? 3
Impuls I: Rahmenbedingungen, Entwicklungen und Be- sonderheiten in den Aktiven Zentren Danach gefragt, woran man die Lebens- In den Aktiven Zentren gibt es öffentliche qualität einer Stadt erkennen kann, Räume und Plätze mit sehr unterschied- antwortet Jan Gehl, dänischer Architekt lichen Funktionen und Qualitäten. und Stadtplaner: „Es gibt einen sehr Einerseits stehen markante Parkanlagen simplen Anhaltspunkt. Schauen Sie, wie wie der Kleine Tiergarten/Ottopark, der viele Kinder und alte Menschen auf Straßen Schäfersee oder die Marzahner Promenade und Plätzen unterwegs sind. Das ist ein für Aufenthalts- und Erholungsqualitäten, ziemlich zuverlässiger Indikator!“ (Intervie- andererseits gibt es in allen Gebieten wauszug brand eins/Jan Gehl, 2019) kleinere und größere öffentliche Räume Der öffentliche Raum ist die wichtigste und Plätze, welche als zentrale Treffpunkte räumliche Verbindung zwischen den die Identität der Zentren prägen. Funktionen, die die Zentren prägen, er ist Die Herstellung attraktiver öffentlicher aber auch Kommunikations- und Aufent- Räume ist Schwerpunkt der Maßnahmen- haltsort und damit ein entscheidender umsetzung in allen Programmgebieten. Faktor für die Lebensqualität in den Aktiven Grundlagen hierfür bieten die Ziele und Zentren. Hier findet städtisches Leben in Handlungsschwerpunkte der Integrierten allen seinen Facetten einen Platz: städtebaulichen Entwicklungskonzepte. Hierzu gehören: Verbesserung der Aufenthaltsqualität Fahrrad Begegnungen RattenÜberwachung FußgängerIn von Freiräumen Transit Chillen Obdachlose Baum Wiese Parkplatz Straßencafé Barrie- Aufwertung des öffentlichen Raumes refreiheit JoggerIn Hunde Sitzbank Müll Feste TaschendiebIn Platz Spielstra- Qualifizierung des Straßenraumes ße Kunst und Kultur Mülleimer Sport Verkehr Wasser Demonstration Stärkung der öffentlichen Räume als Drogen Straßenbegleitgrün Menschen Vandalismus Gehweg Auto Toilet- Orte der Kommunikation und Freizeit- ten Park Blumenbeet ÖPNV Werbung Spielplatz Straße Markt gestaltung Dealer...???... Grünverbindungen stärken Schaffung angstfreier Begegnungs- räume Neugestaltung Marktplatz Ein Blick in die Bilanz des Förderprogramms bestätigt diesen Eindruck. Von den in den vergangenen Jahren realisierten Förder- maßnahmen galten rund 34% der Gestal- tung von Grünanlagen, Freiflächen und Spielplätzen, 17% der Qualifizierung öffentlichen Straßenraumes. Während große Einzelmaßnahmen wie die Neugestaltung des Kleinen Tiergartens/ Ottoparks, des Leopold- und des Rathaus- platzes in der Müllerstraße oder auch die barrierefreie Neugestaltung der Marzahner Promenade abgeschlossen wurden, startet Ina Zerche und Armin Busch, Programmbegleitung Aktive Zentren/complan Kommunalberatung GmbH 4
Zentrendialog 2019 | Impuls I in den jüngeren Fördergebieten aktuell die Umsetzung von Projekten zur Neuge- staltung des Freiraumes am Schäfersee, von Grünverbindungen in Lichtenrade oder der Marktplatzneugestaltung an der Dörpfeldstraße. Die Vorbereitung der Maßnahmen geht stets einher mit einem KINDL-Gelände, Karl-Marx-Straße hohen Anspruch an Gestalt- und an Prozessqualität. Während im Vorfeld einzelner Maßnahmen zunächst ein Rahmenkonzept zur Gestaltung zentraler Grün- und Freiflächen in der Residenz- straße erarbeitet wurde, rangen die Akteure in anderen Programmgebieten im Rahmen von Wettbewerbs- und Gutachter- verfahren um eine gute Gestaltung und Funktionalität der öffentlichen Räume und Plätze. Dialog- und Beteiligungsprozesse begleiteten die konzeptionellen Überle- gungen und Planungen meist von Anfang an. Kleiner Tiergarten, Turmstraße Leopoldplatz, Müllerstraße 5
Impuls II: Bedeutung öffentlicher Räume in Metropolen – Experimente in München und Nürnberg Was macht eine lebenswerte Stadt aus? werden und beschaffen sein? Diese Frage stellte eine Umfrage in der Im Rahmen des interdisziplinären Landeshauptstadt München den Einwoh- Forschungsprojektes 100 Places:M der TU nerinnen und Einwohnern. Das Ergebnis München wurden Stadtplätze hinsichtlich war eindeutig: Der Erhalt von Umwelt und ihrer Gestaltung und Ausstattung, ihrer Natur, das Leben auf dem Land, öffent- Nutzungsintensität und Konfliktpotenziale licher Raum in Städten spielten eine untersucht. Auch der öffentliche Diskurs untergeordnete Rolle in der Antwortskala. um den Freiraum und dessen Vegetation Prof. Regine Keller, TU München, Keller Damm Kollegen GmbH Öffentlicher Raum steht eher im Fokus der wurde betrachtet, dieser ist nicht Stadt- und Landschaftsplaner – doch wie ausschließlich positiv. Öffentliche Räume sollte er gestaltet sein? sollen den unterschiedlichsten gesell- Die aktuell hohe bauliche Nachverdichtung schaftlichen Ansprüchen und verschie- in wachsenden Städten bedroht den öffent- densten Nutzergruppen dienen. Die lichen Raum und damit klimarelevante Kartierung der 100 Plätze sollte Empfeh- Frei- und Grünflächen. Starkregenereig- lungen geben, welche Interventionen und nisse, Stürme und Hitzeinseleffekte stehen Gestaltungsansätze zu einer neuen mittlerweile im Fokus der Planung. Der Qualität und zur Anpassung an die öffentliche Raum soll all das leisten was geänderten Bedürfnisse der Stadt- andere Räume, was Bebauung, was Boden bewohnerschaft führen können. nicht leisten können, er ist sprichwörtlich in der Rolle der eierlegenden Wollmilchsau. Blaue Nacht auf dem Hauptmarkt in Nürn- Wie sollen Räume für Nutzergruppen berg unterschiedlicher kultureller Herkünfte Wie findet man eigentlich heraus, ob ein und mit verschiedensten Bedürfnissen, wie Platz Bäume braucht oder eher nicht? Möglichkeiten der Raumaneignung geplant Planungen und Wettbewerbsergebnisse zur Neugestaltung des Nürnberger Hauptmarktes führten zu massiven Widerständen der Nutzer und Anlieger, das Projekt galt als gescheitert. Wie sähe denn der Platz mit Bäumen aus – fragten sich Studierende der TU München. Die Nürnberger Stadtverwaltung schloss sich dieser Frage an, finanzierte das Projekt mit 10.000 € und wagte das Experiment einer temporären Installation im öffentlichen Raum – auch um den stockenden Dialog wieder in Gang zu setzen. Die Studenten haben daraufhin einen Wald entworfen, nicht aus realen Bäumen sondern aus Marktschirmgestellen und den Plastiktüten, die an den Markttagen hier benutzt werden. Geplant war die Installation nur für eine Nacht, die Nürnberger Blaue Nacht - sie musste ©KellerTUM 6
Zentrendialog 2019 | Impuls II jedoch trotzdem allen Anforderungen an Plastikblumen war schnell verworfen - die Standsicherheit, Brandschutz etc. entspre- im Sommer relativ konstanten Tempera- chen. Die Blaue Nacht findet alle vier Jahre turen legten den Gedanken einer Pilzzucht in Nürnberg statt und lädt Künstler ein, nahe. Es entstand eine Waldwiese, auf der Installationen im öffentlichen Raum zu „Schwammerl“ (Champignons) aus einem platzieren. Der Tütenwald auf dem vorbehandelten Substrat wachsen sollten. Marktplatz wurde also aufgestellt und blau Auch die in der Unterführung übernach- beleuchtet, die Bürgerinnen und Bürger tenden obdachlosen Männer fanden das wurden dazu eingeladen, darüber zu Projekt nach anfänglichen Berührungs- diskutieren. 100.000 Menschen haben den ängsten spannend und übernahmen die Platz in dieser Nacht besucht und hinterher tägliche Pflege der Waldwiese. Innerhalb ©KellerTUM gesagt: Es war wunderbar mit diesen kurzer Zeit wuchsen Pilze in enormen blauen Bäumen, aber echte Bäume wollen Größen und Mengen, die Fotoinstallation wir nicht auf dem Platz - ein klares Votum! eines Waldes ergänzte diesen ungewohnten Anblick. Events im Untergrund sorgten für Pilzwiese unter der Maximilianstraße in Öffentlichkeit, die Anwohner wurden München eingeladen, Pilze für ihren eigenen Bedarf Ein weiteres Experiment Studierender war zu ernten. die Belebung einer Unterführung unter der In einem nächsten Schritt wurden die Pilze ©KellerTUM Maximilianstraße in München, einem nicht mehr nur geerntet, sondern auch vor dunklen und sozial unsicheren Raum direkt Ort zubereitet - eine Küche wurde in der unter der Prachtstraße. Unterführung eingerichtet, Pilzrezepte Aufgabe der Studierenden war es, einen geteilt und Pilzgerichte verteilt. Die temporären Pavillon zu errichten, um den ehemals eher trostlose Unterführung Dialog über diesen Raum in Gang zu setzen. wurde als öffentlicher Stadtraum hinzuge- Die Frage an Studierende der Landschafts- wonnen und auch weiterhin regelmäßig für architektur war: Könnt ihr nicht irgendwas Veranstaltungen genutzt. mit Pflanzen machen? Der Gedanke an ©KellerTUM ©KellerTUM 7
Alle temporären lokalen Interventionen waren Low-Budget- Projekte, in welchen jedoch ein enormes Potenzial steckt und damit waren diese keine Frage der Finanzierung, sondern der Motivation der Akteure! ©KellerTUM Lokale Herausforderungen - ein Empfehlungskatalog Experimentierplätze, um gemeinsam auszu- probieren und verschiedene Orte wieder zu beleben. Qualitäten die vorhanden sind, ©KellerTUM sollen nicht ersetzt, sondern respek- Richtig Bauen, tiert werden. einfach Bauen, Wo nicht gebaut wird, muss kompakt bauen die Natur erhalten werden. – die Frage danach, was richtiges Bauen Vorhandene Probleme und ist, sollte immer Herausforderungen dürfen nicht wieder gestellt in andere Räume verlagert werden. werden. Wir müssen uns um das Alte kümmern und den Bestand, zum Beispiel den Baumbestand auf öffentlichen Plätzen wertschätzen. Ein Generationenvertrag Boden kann dabei helfen, Mikro- biome und belebtes Bodensubstrat als wichtige Lebens- grundlage zu erhalten. ©KellerTUM 8
Zentrendialog 2019 | Nachfragen, Gedanken und Anregungen Nachfragen, Gedanken und Anregungen Beate Heinrich, Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf: Das Nürnberger Projekt verlief so erfolgreich, die Bäume wurden in der Blauen Nacht gut angenommen – trotzdem gab es kein Votum für echte Bäume, eine Begrünung des Platzes war nicht gewollt. Welche Beweggründe gibt es dafür? Regine Keller: Vielleicht wurde die Diskussion am Anfang nicht richtig geführt. Für diesen Platz, auf dem in der Historie fast nie ein Baum stand, gibt es ein gemeinsames kulturelles Gedächtnis des Ortes – Stadtgesellschaft kann sich diesen Platz schlichtweg nicht baumbestanden vorstellen. Allerdings sollten wir die Ökologie von Freiräumen und Plätzen nicht auf die Anwesenheit von Bäumen reduzieren, da unser Spektrum zur ökologischen Verbesserung innerstädtischer Plätze damit nicht ausgeschöpft wird – auch die Regenwasserspeicherung unter Plätzen oder der Einbau von Rasenfugen zur Verbesserung der Regenwasserver- sickerung sind wichtige Interventionen. Kerstin Schmiedeknecht, Aktion Karl-Marx-Straße: Zur Neugestaltung des Weigandufers in Neukölln wurde zwei Jahre lang intensiv informiert und diskutiert – trotzdem war der Protest groß, als die Baumaßnahmen begannen. Vor der Umsetzung der nächsten Freiraumprojekte gehen wir lieber noch einmal einen Schritt zurück und überlegen: Wie können wir geplante Maßnahmen so kommunizieren, dass die Leute es in jeder Phase verstehen und mittragen? Top-down-Planungen werden oft erst in der konkreten Umsetzungsphase hinterfragt – der Zeitraum zwischen der Information der Bürger und dem Start des Projektes darf also nicht zu lange dauern. Notwendig ist hier manchmal auch ein Narrativ, das Erzählen einer Geschichte. Als Planende müssen wir uns noch viel genauer überlegen: Was sind die Elemente, mit denen wir plastisch und verständlich ausdrücken können, was wie gemeint ist. 9
Heike Pfeiffer, S.T.E.R.N.: Gibt es weitere Beispiele dafür, wie gesellschaftliche Gruppen in Dialog- und Planungspro- zesse einbezogen wurden? Am Zenettiplatz in München, einem weiteren Projekt Studierender, wurden die Anwohn- erinnen und Anwohner in die Platzneugestaltung, u.a. mit dem Bau einer Freiluftbühne, einbezogen. Der Gesamtprozess war ergebnisoffen – es gab keinen festgelegten Plan, wie Nutzung und Gestaltung aussehen sollen. Es war interessant zu beobachten, wer diesen Platz dann am Ende wie nutzt: Als einer der Ersten kam der lokale Friseur und stellte seinen Frisierstuhl auf dem Platz auf und bot Haarschnitte an… solche Aktionen können nicht initiiert und geplant werden. Es geht also darum Raum zu schaffen, in dem Dinge, ungeplant und unvorherseh- bar, entstehen und geschehen können, nicht um fertige Produkte! Vielleicht geht es immer häufiger darum, mitgestalten zu können! Maria Berning, SenStadtWohn: Innovationen entstehen nur dann, wenn Räume für Experimente vorhanden sind. In der Städtebauförderung geht es jedoch auch um Investitionen mit Fertigstellungs- und Zweckbindungsfristen. Experimentieren und temporäre Nutzungen sind förderungswürdig, entscheidend ist hier vor allem die sogenannte Phase 0, in der viel Zeit und Aufwendungen in den Dialog mit den Bewohnerinnen und Bewohnern investiert wird. Es muss jedoch klar unterschieden werden zwischen kleinteiligen Interventionen mit und ohne Experimentier- phasen und großen Investitionen. Andreas Wilke, KoSP: Sehr oft haben wir als Planer gar nicht so einen großen Entscheidungsspielraum, wenn es um die Neugestaltung öffentlicher Räume geht. Wir müssen glaubwürdig bleiben und dürfen den Menschen nichts vormachen, was sich am Ende als Wolkenkuckucksheim herausstellt. Temporäre Interventionen sind aber sehr hilfreiche Impulsgeber, um Menschen zu begeistern, für Prozesse zu interessieren und die Angst vor Veränderungen zu nehmen. Sabine Antony, Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf: Interessant ist vor allem das Nebeneinander oder die enge Verzahnung von Maßnahmen, welche ganz gezielt fertiggestellt werden und von Räumen, innerhalb derer Experimen- tieren möglich bleibt und welche sich immer wieder verändern können. 10
Zentrendialog 2019 | Im Dialog - Reflektionen aus den Fördergebieten Im Dialog – Reflektionen aus den Fördergebieten Öffentliche Räume sind Erlebnisraum, Bewegungsraum, Ort zum Chillen, Orte des Wohlfühlens, der Aneignung - Was macht Identifikationsorte in den Aktiven Zentren aus? Wie kann die Qualität dieser Orte langfristig gesichert werden? Welche Ansätze gibt es hierfür in Ihrem Programmgebiet? Beate Heinrich, Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf Beate Heinrich, Marzahner Prome- wurden gemeinsam in sogenannten nade Bankterminen getestet und festgelegt. Die funktionale und gestalterische Erneu- Es ist schön zu sehen, dass die Mosaik- erung und Entwicklung der Marzahner plätze Arbeit und Frieden wieder attraktive Promenade ist ein wichtiger Schwerpunkt Treffpunkte sind und wie viele Kinder die im Rahmen der Umsetzung des Programms neu gestalteten Spielplätze nutzen, deren Aktive Zentren. Vieles war schon vorhanden Gestaltung sie selber mitbestimmen und sollte erhalten bleiben – wichtig war konnten. Die Herausforderung jetzt ist es, Skulptur, Marzahner Promenade vor allem die durchgängige Herstellung diese neu geschaffenen Qualitäten zu barrierefreier Räume. Im Rahmen eines erhalten. Auch wenn über die Beschaffen- Wettbewerbsverfahrens wurden die heit von Anpflanzungen und die verwen- Vorgaben für die Neugestaltung des öffent- deten Materialqualitäten mit Blick auf Wichtig ist es, nicht lichen Raumes erarbeitet – gemeinsam mit deren Robustheit lange diskutiert wurde, etwas völlig Neues zu den Bürgerinnen und Bürgern. Diese heißt es dennoch, diese neuen Räume vor erfinden, sondern auf wurden auch in der Umsetzung beteiligt: Die Standorte der geplanten Sitzbänke Vandalismus zu schützen und auch hierfür Partner zu finden. In der Marzahner dem Vorhandenen Promenade gibt es mit der DEGEWO einen aufzubauen! starken Kooperationspartner, mit dem Aufgabenteilungen geklärt und vertraglich geregelt werden. Mosaikplatz Frieden, Marzahner Promenade Marzahner Promenade bei Nacht 11
Viele Menschen stellen ihre subjektiven Bedürfnisse über das Gemein- wohl – manchmal auch in Bürgerinitiativen! In der Konsequenz heißt das, dass auch in Beteiligungsverfahren nicht alles komplett neu verhandelt werden kann, fachliche Rahmenbedingungen und Grenzen des Machbaren müssen klar kommuniziert werden! Hier ist eine klare Haltung aus dem politischen Raum besonders wichtig! Paul-Martin Richter, Programmbegleitung City West Paul-Martin Richter, City West Barrierefreiheit auf dem Platz! gestoppt Mittelstreifen Lietzenburger Straße haben. Die dringend notwendige politische Bürger haben die Initiative ergriffen und Entscheidung zugunsten der Platzumge- gemeinsam mit dem Bezirk den Mittel- staltung hat lange auf sich warten lassen, streifen der vielbefahrenen Lietzenburger nun endlich wird der Platz neu gestaltet. Straße neugestaltet. Das Konzept wurde gemeinsam mit einer Bürgerinitiative Hertzallee – Eingang TU/UdK-Campus erarbeitet, es entstand eine ökologisch Dieser kulturhistorisch durchaus hochwertige Wildblumenwiese, welche bedeutende Raum ist Teil des Uni-Campus künftig ohne großen Pflegeaufwand durch und war zuletzt voller Schranken, Garagen die BSR unterhalten werden kann. und technischer Bauwerke und als Fußweg Innerhalb abgegrenzter Pflanzbereiche unattraktiv. Die Interessen der hier vorhan- kann die Bürgerinitiative zukünftig denen Eigentümerkonstellation (Bezirk, weiterhin selbständig agieren, auch ein Senat, Technische Universität) sind Wasseranschluss ist hierfür vorhanden. komplex und kollidierten zeitweise. Erst als diese dazu übergingen, lösungsorientiert Olivaer Platz und nicht mehr zuständigkeitsfixiert zu Die Neugestaltung dieses Platzes sollte im agieren, startete das Projekt. Koopera- Rahmen eines Wettbewerbes und eines tionsvereinbarungen wurden geschlossen umfassenden begleitenden Beteiligungs- und alle Akteure haben das Projekt verfahren vorbereitet werden. Sehr schnell gemeinsam nach vorne gebracht. entstanden Bürgerinitiativen, welche oft Die Zielgruppe – Studierende der TU und gegensätzliche Interessen verfolgten und der UdK - wurden weder an der Planung den Prozess u.a. mit Aussagen wie: Die noch in der Umsetzung der Maßnahme Hertzallee, City West Bürger benötigen und wollen keine beteiligt. Ein Beteiligungsprozess hätte in diesem Fall nicht zu einem besseren Erfolg und einer stärkeren Identifikation geführt. Dieser Ort ist jetzt attraktiv für Studierende und wird durch diese gut angenommen, ob sie nun im Halbschatten der Bäume arbeiten, chillen oder auf jemanden warten. Die Universität wird dieses neue Raumkon- zept auf weitere Freiräume ausweiten und auch diese in enger Kooperation mit dem Bezirk und Senat neu gestalten. Hertzallee, City West 12
Zentrendialog 2019 | Im Dialog - Reflektionen aus den Fördergebieten Ob die Neugestaltung von Plätzen und öffentlichen Räumen langfristig erfolgreich ist, entscheidet sich, bevor der erste Strich zu Papier gebracht wird. Es ist am Anfang sehr wichtig, nicht selbst den Bürgerinnen und Bürgern etwas zu erzählen, sondern sich von diesen etwas erzählen zu lassen. René Plessow, Bezirksamt Mitte René Plessow, Müllerstraße umliegenden Schulen und Kitas mit Sport- Auch im Gebiet Müllerstraße ist die und Klettergeräten sowie einer Laufbahn Neugestaltung öffentlicher Plätze Schwer- zu versorgen – ein Novum in der bezirk- punkt der Programmumsetzung. Hier gab lichen Freiflächengestaltung und auch für es überall mit Beginn des Sanierungsver- die beteiligten Schulen. fahrens Strukturschwächen, Mängel in der Die Neugestaltung dieser Plätze startete – Gestaltung und der Aufenthaltsqualität. In in der sogenannten Phase 0 – mit gemein- den letzten Jahren wurden diese Plätze samen Rundgängen, um vor Ort heraus zu nach und nach neugestaltet. bekommen, was notwendig und gewünscht Im Zentrum der Müllerstraße liegt der ist. Leopoldplatz, er ist der Schmelztiegel im Für alle Plätze gilt: sie sollten so geplant Wedding, wo alles aufeinander trifft, was und gestaltet werden, dass sie robust so eine Großstadt zu bieten hat. Trinker- genug gegenüber sämtlichen Herausfor- gruppen im vorderen Platzbereich machten derungen sind, aber auch die personellen vor einigen Jahren einen Aufenthalt für und finanziellen Kapazitäten des Bezirk- andere Menschen dort nahezu unmöglich. samtes hinsichtlich der dauerhaften Pflege Eröffnung Max-Joseph-Metzger-Platz Es gab Drogenkonsum und Angsträume, der Anlagen berücksichtigen. Es nützt andererseits gab es auch eine Kita und nichts, viel Geld für die Neugestaltung von einen Spielplatz. Die frühzeitige Einbezie- öffentlichen Räumen auszugeben, wenn hung aller Nutzergruppen in den Planungs- man diese hinterher nicht angemessen prozess führte zu einer Zonierung und den unterhalten kann. Investitionen an den Bedürfnissen entsprechenden Neugestal- genannten Plätzen wären in dieser tung des Platzes, der nun wirklich wieder Intensität nicht erforderlich gewesen, wenn ein Platz für alle ist. diese in der Vergangenheit kontinuierlich Besonders an der Neugestaltung des instandgehalten worden wären. Zeppelinplatz in der Eröffnungsnacht Rathausplatzes ist die Eigentümerkonstel- lation, die Abstimmung zwischen diesen vier Behörden war mitunter schwieriger als mit Privateigentümern – das Ergebnis jedoch kann sich sehen lassen! Eine weitere Maßnahme galt dem Zeppelin- platz, dieser hat einen völlig anderen Charakter. Er ist eher ein Park und liegt etwas abseits der Hauptverkehrsstraße. Hier galt es zunächst, große Mengen an Altlasten zu entfernen und den Boden auszutauschen, um den Platz wieder nutzbar zu machen. Der Max-Joseph-Metzger-Platz wurde erst vor Kurzem neu eröffnet. Bei dessen Neugestaltung stand die Schaffung von Sportangeboten im Mittelpunkt, um die Rathausplatz mit Schillerbibliothek 13
Sicher im öffentlichen Raum!(?) Was ist städtebauliche Kriminalprävention wahrnehmenden Person bestimmt, die sich und wie kommt diese in der Planung und u.a. aus Alter, Geschlecht, bisherigen Neugestaltung von öffentlichen Räumen Erfahrungen, kulturellem Hintergrund und zum Einsatz? Frau Herrmannsdörfer ist jeweiliger Persönlichkeitsstruktur Architektin und berät Bezirke, Institutionen zusammensetzen, dabei jedoch auch und sonstige Vorhabenträger bereits seit Medienberichte und aktuelle Bedrohungs- über acht Jahren zu Sicherheitsaspekten lagen berücksichtigen. im öffentlichen Raum. Neben städtebau- Angst und Unbehagen entsteht in Räumen, Ingrid Hermannsdörfer, Städtebauliche Krimi- nalprävention des LKA Berlin lichen und integrativen Stellungnahmen, welche der Begleitung von Bau-, Planungs- und dunkel, unordentlich, menschenleer Wettbewerbsverfahren und der Projektbe- und/oder unübersichtlich sind treuung stehen Vor-Ort-Termine bei die Desorganisationserscheinungen konkreten Problemlagen und Präventions- aufweisen oder rundgänge im Rahmen der Öffentlichkeits- von einer einzelnen Nutzergruppe (z.B. arbeit im Mittelpunkt der städtebaulichen Trinker, sozial schwache Jugendliche) Kriminalprävention. dominiert sind Wie definiert man Sicherheit im öffent- lichen Raum? Hier heißt es zunächst zu Orte werden nicht zufällig zu Tatorten, sie unterscheiden zwischen objektiver Sicher- bieten nur verhältnismäßig günstige heit und subjektivem Sicherheitsgefühl. Tatgelegenheiten – auch Täter machen Objektive Sicherheit beschreibt die reale Kosten-Nutzen-Analysen! Wie können Sicherheitslage eines Ortes, subjektive öffentliche Räume sicherer gemacht Sicherheit das hierbei empfundene Sicher- werden und wie kann Städtebauliche heitsgefühl – objektive und subjektive Kriminalprävention hierbei unterstützen? Sicherheit sind häufig nicht identisch. Die Raumstruktur beeinflusst die Krimina- Subjektive Sicherheit wird durch eine Reihe litätsstruktur, eine zielgerichtete präven- von Persönlichkeitsmerkmalen der tive Gestaltung von Gebäuden, öffentlichen Broken Windows – Sichtbare Regelverletzungen ziehen weitere Regelverletzungen nach sich. Verwahrlosungstendenzen und Kriminalität Verfalls- und Verwahr- Signal „niemand kümmert losungstendenzen sich, es gibt keine soziale Kontrolle“ Entstehen von Unsicher- Der Ort wird immer mehr heitsgefühlen sowie Tatge- gemieden, soziale Kontrolle legenheiten findet immer weniger statt Übernahme des öffentlichen Anstieg von Ordnungswid- Raums durch Randgrup- rigkeiten, Störungen und pen und durch kriminelle kriminellen Delikten Akteure Fazit: Wehret den Anfängen! Gut instandgehaltene Gebäude und öffentliche Räume sind eine wichtige Grundlage für objektive und subjektive Sicher- heit! 14
Zentrendialog 2019 | Sicher im öffentlichen Raum!(?) und halböffentlichen Räumen wirken Überfahrtaten, künstlerische Gestal- kriminalitätsvorbeugend. Wie kann Sicher- tungen, Fassadenbegrünung und eine heit im öffentlichen Raum erreicht und geeignete Materialauswahl hingegen sind erhalten werden? Viele allgemeine Ansätze fester Bestandteil von Maßnahmen zur der Stadt- und Landschaftsplanung sind Vandalismusprävention. auch unter diesem Aspekt gültig: Übersichtliche, gut ausgeleuchtete Räume mit guten Orientierungsmöglichkeiten, Übersichtlichkeit Definiertheit heller Farbgebung, Transparenz und Orientierung Gepflegtheit Beleuchtung Sicherheit Gestaltung Sichtachsen sind eine gute Grundlage für objektive und subjektive Sicherheit im im öffentlichen Raum. Räume müssen struktu- öffentlichen riert, Nutzungen und Eigentumsverhält- Barrierefreiheit Raum Nutzungsvielfalt nisse klar definiert sein. Reale oder auch Behindertengerecht Identifikation symbolische Barrieren zwischen privaten, „Gender“-Aspekte Soziale Kontrolle halböffentlichen und öffentlichen Räumen unterstützen diese Wirkung. Ordnung und Sauberkeit, aber auch bepflanzte Baumscheiben und gepflegte Aufenthalts- möglichkeiten signalisieren, dass im jeweiligen Raum Regeln gelten, es eine soziale Kontrolle gibt und es schlussendlich nicht egal ist, wie man sich verhält. Gute Ordnungssysteme wie Fahrradständer und bedarfsgerechte Müllabfallbehälter unterstützen diesen Eindruck. Poller und ähnliche Aufbauten bieten Schutz vor OBJEKTIVE SICHERHEIT SUBJEKTIVE SICHERHEIT Reduzierung von Tatgelegenheiten Eindämmung von Ordnungsstörungen Erhöhung von Tataufwand und Ent- deckungsrisiko für potentielle Täter Verhinderung von unerwünschten Reduzierung des Tat- Nutzungen Vermeidung von erfolgs bzw. Tatertrags für Nutzungskonflik- Stärkung der potentielle Täter informellen Verbesserung ten sozialen Kontrolle des Sicherheitsgefühls GRUNDSÄTZLICH ...muss jeder Ort individuell ...hat jeder Ort ein Tag- und ...sollten alle betrachtet werden (Analy- Nachtgesicht, d.h. objektive Nutzergruppen se, Lagebild, soziales Umfeld, und subjekive Sicherheit können einbezogen Maßnahmen) nach Tages(Nacht-)zeit variieren werden 15
Sie können auch lesen