ZOOLOGIE 2016 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft - Deutsche Zoologische Gesellschaft eV

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ZOOLOGIE 2016 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft - Deutsche Zoologische Gesellschaft eV
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                                                                                                                                                       ZOOLOGIE 2016

                                                                                ZOOLOGIE 2016 . Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft
                                                                                                                                                                                          Herausgegeben von
                                                                                                                                                       Mitteilungen              Rudolf Alexander Steinbrecht

                                                                                                                                                       der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

                                                                                                                                                                                             108. Jahresversammlung
                                                                                                                                                                                          Graz 9.-12. September 2015

                                                                                                                                                                     Biohistoricum im Zoologischen Museum
                                                                                                                                                                     Alexander Koenig · Bonn
                                                                                                                                                                     Basilisken-Presse · Rangsdorf
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        ZOOLOGIE 2016
                     Mitteilungen
        der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

                        Herausgegeben von Rudolf Alexander Steinbrecht

                                          108. Jahresversammlung
                                         Graz 9.- 12. September 2015

                                         Basilisken-Presse Rangsdorf
                                                     2016
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           Umschlagbild
           Die Große Sackflügelfledermaus, Saccopteryx bilineta, ist das Fokus-Versuchstier der
           Walther-Arndt-Preisträgerin Mirjam Knörnschild (s.a. ihren Beitrag „Kommunikation
           und Kognition bei Fledermäusen“ in diesem Heft).                      Foto: Mike Corey

           Die Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft
           erscheinen einmal jährlich.
           Einzelhefte sind bei der Geschäftsstelle (Corneliusstr. 12, 80469 München),
           zum Preis von 7,00 € erhältlich.

           Gestaltung:
           Klaus Finze ProSatz&Gestaltung, Neuburg /Donau

           Druck:
           REISIG
           Druck und Service
           Mittelweg 5
           92237 Sulzbach-Rosenberg

           Copyright 2016 by Basilisken-Presse
           im Verlag Natur & Text in Brandenburg GmbH . Rangsdorf
           Printed in Bundesrepublik Deutschland
           ISSN 1617-1977
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                                                        Inhalt

                                   Susanne Dobler         5    Grußwort der Präsidentin der Deutschen
                                                               Zoologischen Gesellschaft

                                 Friedrich G. Barth       7    125 Jahre 'Deutsche Zoologische
                                                               Gesellschaft' (DZG) - von der Zootomie
                                                               zur Epigenetik und Kognitionsforschung

                                     Heiner Römer        21    Geschichte der Zoologie in Graz

                                   Bernhard Misof        27    Laudatio:
                                                               Horst-Wiehe-Preis an Alexander Blanke

                                Alexander Blanke         29    Das Palaeoptera Problem und die
                                                               Evolution des Kopfes innerhalb der
                                                               Dicondylia

                                        Harald Wolf      37    Laudatio:
                                                               Walther-Arndt-Preis an Mirjam Knörnschild

                              Mirjam Knörnschild         41    Kommunikation und Kognition von
                                                               Fledermäusen

                                                         47    Werner-Rathmayer-Preis
                                                               der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

                                    Albert Fischer       49    Fortpflanzungsbiologische Vielfalt
                                                               bei Polychaeten - Wie Platynereis
                                                               dumerilii zur Musterspezies wurde

                                         Jürgen Jost     73    Nachruf auf Olaf Breidbach
                                                               8. 11. 1957 – 22. 7. 2014

                          Reinhard Lakes-Harlan          85    Nachruf auf Fritz Jauker
                                   Dieter Selzer         85    15. 3. 1938 - 7. 10. 2014
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                             Reinhard Lakes-Harlan          87    Nachruf auf Rupert Schmidt
                                 Donato Penninella          85    30. 9. 1950 - Weihnachten 2014

                 Roland Lill, Jude M. Przyborski, 89 Nachruf auf Klaus Lingelbach
                               Eberhard Bremer, 85 13. 11. 1955 - 3. 9. 2015
           Renate Renkawitz-Pohl, Uwe G. Maier, 85
                               Alfred Batschauer 85

                       Dirk Brandis, Ingrid Kröncke         93    Nachruf auf Michael Türkay
                                                            85    3. 4. 1948 – 9. 9. 2015
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                        Grußwort der Präsidentin
                 der Deutschen Zoologischen Gesellschaft
                                                       Susanne Dobler

       Liebe Mitglieder,                                       Fachinteressen einen Einblick in die aktuel-
                                                               len Themen der Zoologie zu gewinnen.
       nach dem lebhaften Appell vieler auf den                    Dank der großzügigen Unterstützung
       letzten Mitgliederversammlungen bleibt es               durch Frau Helga Kinne, die die Zusage ih-
       vorerst dabei: Wir halten an dem jährlichen             res verstorbenen Mannes Otto Kinne auf-
       Turnus der DZG-Tagungen fest und dürfen                 rechterhält, können wir auch dieses Jahr
       uns nach der gelungenen letztjährigen Ta-               wieder die Karl-Ritter-von-Frisch-Medaille
       gung ganz im Süden in Graz diesmal am                   verleihen. Aus den eingegangenen Vor-
       Nordrand Deutschlands davon überzeugen,                 schlägen für hochkarätige Wissenschaftler
       dass die Kieler Zoologen einiges zu bieten              hat die Jury einvernehmlich entschieden,
       und für uns auf die Beine gestellt haben!               Diethard Tautz als diesjährigen Preisträger
       Ein herzliches Dankeschön an die Organi-                auszuzeichnen. Diethard Tautz hat durch
       satoren um Thomas Bosch, die die Ausrich-               die Verknüpfung genetischer, entwicklungs-
       tung der Tagung dieses Jahr übernommen                  biologischer und evolutionsbiologischer
       haben, und das wie sich letztlich zeigte -              Ansätze wesentlich dazu beigetragen, neue
       zeitgleich mit dem Start ihres SFBs zu                  Forschungsperspektiven zu eröffnen und
       Metaorganismen. Die eingeladenen Plenar-                eine integrative Sichtweise in der Zoologie
       sprecher, wie auch ein Minisymposium,                   zu verankern. Ich freue mich besonders,
       werden die Forschungsschwerpunkte der                   dass damit erstmals ein Evolutionsbiologe
       Kieler Kollegen repräsentieren; wie immer               mit dem Wissenschaftspreis der deutschen
       wird die Breite der Tagung daneben von                  Zoologie ausgezeichnet wird.
       den Symposien der acht Fachgruppen ge-                      In diesem Jahr stehen die Vorstandswah-
       tragen und durch weitere Satellitensympo-               len an und ein wichtiger Punkt bei der Mit-
       sien ergänzt. Wie im letzten Jahr gestartet             gliederversammlung wird wiederum die
       wird es auch wieder einen Workshop zu                   Frage nach der Unterstützung des VBIO als
       tierexperimentellem Arbeiten geben, um                  Interessenvertretung der gesamten Biolo-
       die gesetzlich verankerte Weiterbildung auf             gie sein. Kommen Sie zur Mitgliederver-
       diesem Gebiet zu ermöglichen. Insgesamt                 sammlung und entscheiden Sie mit.
       können wir uns auf ein breites und ausge-                    Ich freue mich darauf, viele von Ihnen
       wogenes Programm freuen, das viele Gele-                in Kiel wiederzusehen.
       genheiten bietet, auch jenseits der eigenen

       Prof. Dr. Susanne Dobler
       Universität Hamburg
       Biozentrum Grindel und Zoologisches Museum
       Martin-Luther King-Platz 3, 20146 Hamburg
       Susanne.Dobler@uni-hamburg.de

       ZOOLOGIE 2015, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                                     5
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        125 Jahre 'Deutsche Zoologische Gesellschaft' (DZG) -
                                         von der Zootomie
                               zur Epigenetik und Kognitionsforschung
                                                        Friedrich G. Barth

           Die Zoologie hat sich seit der Grün-                   Graz! Ich werde (i) zunächst ein paar Blik-
        dung der DZG im Jahre 1890 dramatisch                     ke auf die Anfänge der DZG werfen, dann
        verändert. Nach der Loslösung von der                     (ii) einige wenige der großen Verände-
        Medizin und deren bevorzugt anatomi-                      rungen in der Zoologie ansprechen und
        schen Interessen verfolgte sie zunächst ih-               am Ende (iii) ein paar Gedanken zum
        re spezifisch zoologischen Ziele, insbeson-               „Ganzen und seinen Teilen“ riskieren.
        dere also die Beschreibung,
        Identifizierung und phylogenetische Ein-                  I. DER ANFANG
        ordnung der Vielfalt der Tiere. Inzwischen                     Um 1860 erschienen die ersten Bände
        erweiterte und vertiefte die Zoologie das                 von Brehms Tierleben. Diese Darstellun-
        Verständnis von lebenden Organismen                       gen der Vielfalt und Diversität der Tiere
        auf allen Organisationsebenen, sowohl im                  waren zwar wissenschaftlich, aber aus
        Sinne einer 'Allgemeinen Biologie' als                    heutiger Sicht allzu anthropozentrisch. Sie
        auch einer 'Speziellen Zoologie'. Befördert               waren dennoch wichtig für die Zoologie
        wurde diese Entwicklung u.a. durch zu-                    zu einer Zeit, in der sich deren Vertreter
        nehmend experimentell und quantitativ                     bevorzugt damit beschäftigten, die vielen
        arbeitende Disziplinen, die Überschrei-                   Tierarten richtig zu beschreiben, zu iden-
        tung der ursprünglichen Fachgrenzen und                   tifizieren und einzuordnen. Als die DZG
        die rasante Entwicklung der Arbeitstech-                  am 28. Mai 1890 ihre Gründungsver-
        niken. Durch die Forschung an tierischen                  sammlung im Frankfurter Zoologischen
        Organismen unterschiedlicher Lebens-                      Garten abhielt, war Alfred Brehm bereits
        weise, verschiedener Baupläne und phy-                    acht Jahre tot. Aber die Gründung der
        logenetischer Stellung und die verglei-                   DZG hatte neben der Förderung des In-
        chende Betrachtung hat die Zoologie                       formationsaustausches unter allen Zoolo-
        gerade in den letzten Jahrzehnten auch                    gen und der Koordination ihrer Aktivitäten
        dazu beigetragen, die Stellung des Men-                   zwei spezielle Ziele, deren Bedeutung
        schen im Sinne der Abstammungslehre                       Brehm erkannt hatte (s. Beschlüsse der
        Darwins und seine tiefe, auch 'geistige'                  Tagung in Leipzig,1891; Geus und Quer-
        Verwurzelung in der Natur deutlich zu                     ner 1990): 1. Eine vereinheitlichte syste-
        machen.                                                   matische Nomenklatur. Dieses Ziel wurde
           Zuerst meinen herzlichen Dank für die                  inzwischen weitgehend erreicht. 2. Ein
        Einladung zum Festvortrag anlässlich                      „Catalogus“ aller bekannten rezenten Tie-
        dieser besonderen Jahresversammlung in                    re, also eine Zusammenstellung der „spe-

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          cies animalium recentium“. Heute sind von        Darwin und ihre kausale Begründung und
          mindestens 10 Millionen (vermutlich we-          meinte programmatisch, dass die Zoolo-
          sentlich mehr) existierenden Tierarten           gie nun 'von der Fläche der Mannigfaltig-
          nur ca. 1,8 Millionen adäquat beschrie-          keit in die Tiefe der Gesetzmäßigkeiten'
          ben und damit offiziell existent. Das zwei-      vordringen werde (s. Beitrag Sauer, S.113,
          te Ziel der Gründungsväter der DZG ist           in: Wägele 2007 ). Diese Darwin'sche
          demnach nach 125 Jahren noch immer in            „Tiefe“ bedingte zunächst auch einen
          weiter Ferne. Der unbekannte, weitaus            Aufruhr in der Zoologie. Der Nachweis
          größere Anteil der Diversität hat gerade-        der partikulären Vererbung durch Gregor
          zu bedrohliche Ausmaße. Ein modernes,            Mendel wurde erst zur Jahrhundertwende
          wissenschaftlich adäquates „Brehm’s              (1900) wieder entdeckt und die Betroffen-
          Tierleben“ mit der Beschreibung aller            heit über Darwins Erklärung der funda-
          Tierarten fehlt noch immer.                      mentalen Wesenskohärenz alles Lebendi-
              Was die Zoologen und nicht nur sie           gen und seines Verwandtseins aufgrund
          zur Gründungszeit der DZG zudem be-              der gemeinsamen Herkunft war groß.
          schäftigte, war Darwins Deszendenzlehre.         Ganz besonders, weil Darwin den Men-
          In seiner Rede am 2. April 1891 (1. DZG-         schen in dieses Denken voll einschloß
          Versammlung in Leipzig) würdigte Karl            und für viele die Vorstellung von einem
          Georg Friedrich Rudolf Leuckart (1822 –          eigenen und besonderen Platz in der Welt
          1898), der erste Vorsitzende (Vorstands-         erschütterte (Markl 1990, S.118). Vielen
          wahl am 1.8.1890 in Heidelberg) der              bedeutete Darwins Lehre damals eine
          DZG (Abb. 1), später auch ihr Ehrenmit-          Bedrohung der politischen, sozialen und
          glied, die Deszendenzlehre von Charles           religiösen Ordnung.

          Abb.1: Rudolf Leuckart (1822-1898), der Gründungspräsident der Deutschen Zoologischen Ge-
          sellschaft. Links zwei seiner berühmten Wandtafeln, die an Schulen und Universitäten weltweite
          Verbreitung fanden.              Bildnachweis: Bezembinder`s geillustreerde links und Wikipedia

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            Dies war am Anfang der DZG. Bis                Zur Jahresversammlung von 1891 in
        heute hadert manch Einer mit der Forde-         Leipzig kamen neben den fünf Mitglie-
        rung eines veränderten Selbstverständnis-       dern des Vorstands nur 30 der bereits
        ses des Menschen. Noch heute gibt sich          150 DZG-Mitglieder. Und wie so oft bei
        der aufgeklärte säkulare Westen diesbe-         solchen Anlässen setzte man Kommissio-
        züglich wenig aufgeklärt: Im Jahr 2008          nen ein, die sich um die besonderen Zie-
        waren in den USA 44% der Bevölkerung            le der DZG kümmern sollten: Also 1. um
        überzeugt, Gott habe den Menschen               eine einheitliche Nomenklatur und 2. um
        in seiner heutigen Form vor höchstens           die Bearbeitung der „Species animalium
        10000 Jahren erschaffen. Selbst in Dar-         recentium“ nach neuestem Wissens-
        wins Heimat waren 2006 nur 48% der Bri-         stand. Die DZG wandte sich damals auch
        ten von derEvolution überzeugt (Becker          mit einer 'Immediateingabe' an den
        2009). Hubert Markl (1990) nannte die           Deutschen Kaiser und König von Preu-
        Schwierigkeit der Trennlinienziehung            ßen, Wilhelm II., wegen der Gründung
        zwischen Mensch und Tier das „fortbe-           einer biologischen Station Helgoland
        stehende Leiden an Darwin“. Ich komme           (Geus und Querner 1990; S.26ff). Helgo-
        später hierauf zurück.                          land war ja 1890 von Großbritannien an
            Zur Gründerzeit der DZG war die             Deutschland übergeben worden, das sei-
        Zoologie noch weitgehend Teil der medi-         nerseits u.a. dessen Protektorat über San-
        zinischen Fakultät. Die Gründerväter der        sibar anerkannte.
        DZG waren zumeist die ersten eigenstän-
        digen Vertreter der Zoologie an ihren Uni-      II. MEILENSTEINE
        versitäten. Sie vertraten die klassischen          Fragt man, welches die Meilensteine in
        Teilgebiete einer weitgehend deskripti-         der Entwicklung der Zoologie zwischen
        ven Zoologie, also Systematik, verglei-         1890 und heute waren, dann kommen die
        chende Anatomie/Zootomie, vergleichen-          eigene Expertise und subjektives Erle-
        de Entwicklungsgeschichte (Geus und             ben stark ins Spiel. Ich werde exempla-
        Querner 1990). Bei der Vorstandswahl am         risch nur wenige Blickpunkte meines ei-
        1. August 1890 gab es, etwa der Mitglie-        genen Gesichtsfeldes andeuten. Es
        derzahl entsprechend, 89 Stimmzettel.           könnten auch andere sein, wenngleich
        Otto Bütschli, auf dessen besonderes Be-        über manches Einigkeit bestehen wird.
        treiben die DZG aus einer Sektion der
                                                        1. Das Experiment
        „Versammlungen der Deutschen Natur-
        forscher und Ärzte“ hervorging, plädierte          Nach einer langen meist deskriptiven
        dafür, dass ein Österreicher einer der          Phase beflügelten der experimentelle
        Vorstandsstellvertreter sei. Dies geschah       Forschungsansatz und seine Aufwertung
        jedoch erst 1902 mit Ludwig Graff von           gegenüber Theorie und Spekulation die
        Pancsova (1851 – 1924), einem Turbella-         Zoologie. Das Aufstellen von Hypothesen
        rien-Spezialisten, der Graz Ende des 19.        und die aktive Befragung der Natur durch
        Jahrhunderts zur 'Welthauptstadt der            ein wohldurchdachtes Experiment be-
        Wurmforschung' machte.                          schleunigten ihren Fortschritt enorm und

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          machten ihre Erkenntnisse zudem ver-           besonders die Chemie, dann die Physik,
          bindlicher.                                    inzwischen vermehrt Mathematik, Infor-
              Karl von Frisch, von 1946 -1950 Pro-       matik, technische Disziplinen wie Robotik,
          fessor in Graz, der DZG stets verbunden,       Strömungsmechanik, Materialforschung
          1928 ihr Präsident und später Ehrenmit-        und viele andere. Für die Entwicklung
          glied, sei hier als besonders prominentes      der jungen zoologischen Kognitionsfor-
          Beispiel für die Impulsgeber der Zoolo-        schung gilt Ähnliches. Sie bedient sich
          gie zuerst genannt (Abb.2). Seine einfa-       u.a. der Erkenntnisse der Neurologie, An-
          che Methode, Tiere so zu dressieren,           thropologie, Psychologie und Philosophie
          dass ihnen nur Verhaltensweisen abver-         (Neurophilosophie). Während früher ein
          langt werden, die in ihrem natürlichen Le-     Doktorand meist sein ganz eigenes The-
          ben vorkommen, hatte tiefgreifende Fol-        ma hatte und bewachte, ist heute Team-
          gen. Zoologen kennen die aufregende            work angesagt. Inter- bzw. Transdiszipli-
          Geschichte des Nachweises von Farben-          narität ist fast zur Regel geworden, auch
          sehen bei der Honigbiene (DZG-Tagung           wenn sie häufig modischer Schein bleibt,
          1914 in Freiburg; s. von Frisch 1962). Von     von den Förderinstitutionen zu sehr er-
          Frisch war erst 28 Jahre alt und die Pole-     wartet wird und der feine Unterschied
          mik mit dem berühmten Carl von Hess            zwischen Kooperation und echter Kolla-
          auf ihrem Höhepunkt. Dies war dennoch          boration unbemerkt bleibt.
          ein Auftakt für die rasante Entwicklung           Hierzu sei nach Karl von Frisch Hans-
          der Sinnes- und Verhaltensphysiologie,         jochem Autrum genannt, sein Nachfolger
          der Neuroethologie, sensorischen Ökolo-        auf dem Münchener Lehrstuhl (Abb. 2).
          gie und anderer heute als eigene Diszi-        Er trug entscheidend dazu bei, die Physik
          plinen auftretender Gebiete. Von Frischs       in die Zoologie zu integrieren und beein-
          zwingende Art, der Natur Antworten auf         flusste den Fortgang der Sinnes- und Neu-
          tiergerechte Fragen abzuringen und sein        robiologie wie kaum ein Zweiter zu sei-
          einfacher Blick auf das Wesentliche wir-       ner Zeit. Dass der Weg vom Verhalten zur
          ken bis heute intensiv nach.                   neuronalen Einzelzelle, inzwischen zum
                                                         Genom und zu den Molekülen, in der
          2. Grenzüberschreitung und Teamwork            zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so er-
             Ein besonderes Merkmal des Fort-            folgreich war, ist wesentlich der tech-
          schritts in der Zoologie wie auch anderen      nisch/physikalisch inspirierten Denkungs-
          Fächern ist die zunehmende Integration         weise zu verdanken.
          anderer Wissenschaftsdisziplinen. Auch             Das historisch Bemerkenswerte daran
          hierfür mögen von Frisch und seine Ver-        erhellt u.a. daraus, dass Autrum 1936,
          haltensphysiologie als Beispiel dienen.        wiederum auf einer denkwürdigen DZG-
          Heute herrscht Konsens darüber, dass die       Tagung in Freiburg, einen Vortrag zur
          Wahrscheinlichkeit innovativer Erkennt-        „Theorie der Schallwahrnehmung bei Luft-
          nisse an der Grenze zwischen den Fä-           arthropoden“ hielt. Offenbar war es da-
          chern besonders groß ist. Zuerst war ein       mals den meisten Zoologen nicht mög-
          solches anderes Fach für die Zoologen          lich, zwischen Schalldruck und Schall-

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        Abb.2: Links: Karl von Frisch (1886 – 1982) bei Bienenversuchen; Mitte: Hansjochem Autrum
        (1907 – 2003); rechts: Willi Hennig (1913 – 1976).
                                Bildnachweis: Encyclopaedia Britannica, Wikipedia und Senckenberg.de

        schnelle und zwischen den entsprechen-           gung in Erlangen erstmals von einer Re-
        den Sensoren zu unterscheiden. Selbst            aktion von Nachtschmetterlingen (nur so-
        Hans Spemann, Nobelpreisträger des               fern im Besitz eines Tympanums) auf
        Vorjahres (1935), ließ nicht einmal eine         Ultraschall, was die Physiker mit großer
        Diskussion des Vortrags zu, für so merk-         Skepsis erfüllte. Das Problem war, dass
        würdig hielt er Autrums Vorstellungen. Er        ihre neuesten Messgeräte aus den USA
        verstand sie ganz und gar nicht, wie seine       weit unempfindlicher als die der Schmet-
        skurrile Bemerkung zeigt: „Das ist doch          terlinge waren, was ja nicht sein konnte!
        nicht einzusehen, dass Insekten besser
        hören sollen, wenn sie schneller laufen“.        3.Quantifizierung und eine neue Sichtweise
        Autrum kommentierte dies später in sei-             Im Rückblick auf die Anfänge der DZG
        nen Memoiren genüsslich: „Nobelpreise            und ihre ursprünglichen Zielsetzungen
        schützen vor Torheit nicht“ (Autrum              soll als drittes Exempel für grundlegen-
        1996). Den breiten und erfolgreichen Ein-        den Fortschritt auch der Einfluss von Willi
        zug der Physik in die Biologie konnte das        Hennig seit den 1950er Jahren auf die
        anfängliche Unverständnis aber nicht auf-        Phylogenetische Systematik hervorgeho-
        halten.                                          ben werden (Abb. 2). Hennig entwickelte
           Dass umgekehrt auch die Physik mit            eine ganz neue Sicht auf die natürliche
        der Biologie Mühe hatte, beschreibt Frie-        Ordnung der Lebewesen und ersetzte die
        drich Schaller, DZG-Präsident 1971/2             vorherrschende Taxonomie durch eine
        (Schaller 2000, S.119). Er wurde biswei-         Systematik, die der evolutionären Ver-
        len als Ultra-Schaller bezeichnet. Der           wandtschaft folgt (Hennig 1950).
        Grund: Er berichtete 1949 auf einer Ta-

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              Dank der logisch kohärenten und klar       die entsprechenden funktionellen Inter-
          formalisierenden Kladistik, der konse-         pretationen. Das Raster-EM erleichterte
          quent-phylogenetischen Systematik mit          es den Systematikern, kleine Strukturen
          Hilfe von Apomorphien, wurde die Biosy-        und Oberflächen in großem Stil verglei-
          stematik wieder zu einem aktuellen, inno-      chend zu analysieren. All dies hatte enor-
          vativen und wissenschaftlich voll aner-        men Einfluß auf die Entwicklung großer
          kannten Teilgebiet der Zoologie – nicht        Teildisziplinen der Zoologie und ihrer
          zuletzt aufgrund heftiger Kontroversen         Fragen.
          wegen der Auflösung klassischer taxono-            (ii) Digitale Revolution. Und dann die
          mischer Einheiten. Dies ist umso bedeu-        später einsetzende digitale Revolution
          tender, als die Systematik zuvor vielleicht    und all die wunderbaren Gerätschaften,
          mit zu viel Intuition und individuellem Ur-    die man heute über das Internet bestel-
          teil beladen war und deshalb als zoologi-      len kann. Ich erinnere mich an Zeiten, als
          sche Disziplin eine weniger ruhmreiche         es noch kein Kopiergerät gab und wir als
          Zeit durchleben musste (was wissen-            junge Assistenten beim Eigenbau von
          schafts-politisch nicht immer weitsichtig      Verstärker und Kathodenfolger für die
          war). Inzwischen ist die neue Dynamik          Elektrophysiologie noch Radioröhren ver-
          der Systematik auch der Molekularbiolo-        wendeten. Die erste Computer-unterstütz-
          gie und Genetik zu danken.                     te Analyse von Aktionspotentialen erfor-
                                                         derte eine klimatisierte Kammer und
          4. Arbeitstechniken                            einen für damalige Verhältnisse giganti-
             Die Fortentwicklung der Arbeitstechni-      schen finanziellen Aufwand für die Gerä-
          ken während der letzten Jahrzehnte war         te. Man war gut beraten, einen Techniker
          und ist gewaltig. Sie steigerte nicht nur      im Team zu haben. Folgen von Aktionspo-
          das Tempo des Erkenntnisgewinns, son-          tentialen ließen sich anfänglich nur 10-20
          dern ermöglichte auch erstmals die Bear-       Sekunden lang auswerten! Es gab auch
          beitung vieler Fragestellungen. Zwei Bei-      keine Laser-Vibrometer und Axel Michel-
          spiele hierzu.                                 sens Pioniergerät in Odense war nach
             (i) Elektronenmikroskopie. Das Elektro-     heutigen Maßstäben noch unsäglich Be-
          nenmikroskop entwickelte sich ab etwa          nutzer-unfreundlich. Dagegen geht man
          1950 rasant. Ich richtete in den 60er Jah-     heute mit einem tragbaren Laser-Vibro-
          ren auf den Spuren von Helmut Altner am        meter und einem Reise-Laptop in den Ur-
          Münchener Zoologischen Institut dessen         wald und registriert stundenlang das Vi-
          erstes elektronenmikroskopisches Labor         brieren balzender Spinnen oder
          ein (Zeiss EM9S). Die Folgen der Elektro-      kommunizierender stachelloser Bienen.
          nenmikroskopie waren bahnbrechend:             Und nicht nur das: Beinahe im Handum-
          Man denke etwa an die Gleitfilamenttheo-       drehen lässt sich etwa der Spektralgehalt
          rie der Muskelkontraktion oder an che-         der Signale analysieren und in schönsten
          misch und elektrisch übertragende Syn-         Farben darstellen. Moderne, handliche Vi-
          apsen, an die Analyse von Zellorganellen       deokameras, auch 'high speed' und
          und den Feinbau von Rezeptorzellen und         nachttauglich, sind Geschenke des Him-

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        mels für anspruchsvolle Feldarbeit. Aber         III. DAS GANZE UND SEINE TEILE
        wie gesagt: Wichtiger als die neue Be-           1. Gibt es eine einheitliche Zoologie?
        quemlichkeit ist es, dass mit Hilfe verbes-
        serter Datenerfassung und Analyse auch               Was also wäre – nochmals gefragt –
        im Labor viele Fragestellungen erstmals          eine oder gar die Hauptaufgabe der Zoo-
        einen realistischen Sinn bekamen.                logie? Die kurze Antwort: Die Beschrei-
            Gewiss interessierten sich während           bung und Analyse der Vielfalt der Organis-
        der vergangenen Jahrzehnte viele Zoolo-          men und ihrer Anpassungen, besonders
        gen eher für die vom Genom gespei-               durch einen Vergleich von Strukturen und
        cherte Information als für die Vielfalt der      Funktionen. Anders die allgemeine Biolo-
        tierischen Formen und deren Leistungen.          gie: Sie interessiert sich primär nicht für
        Und fraglos verhalfen die von der Genetik        das Artspezifische und die Mannigfaltig-
        und Molekularbiologie erarbeiteten               keit der Organisationsformen als einer
        Kenntnisse und Techniken zu großen               fundamentalen Eigenart lebender Orga-
        Durchbrüchen auch in primär nicht gene-          nismen, nicht für die besonderen Ange-
        tisch bzw. molekularbiologisch interes-          passtheiten und Spezialisierungen der
        sierten Disziplinen der Zoologie. Wir alle       Arten. Allgemeine Biologie hört eigentlich
        brauchen und nutzen sie: in der Evolu-           auf dem Niveau der Euzyte auf, da alle
        tionsbiologie, der Entwicklungsbiologie,         Organismen jenseits von deren Organisa-
        der Neurobiologie und der phylogeneti-           tionsniveau „taxonomisch begrenzt“ sind.
        schen Systematik, um nur einige zu nen-          Einen idealtypischen Organismus gibt es
        nen. Die reduktionistische Art zu forschen       in diesem Sinne nicht (s. Beitrag Osche in:
        war und ist extrem erfolgreich. Man sollte       Rathmayer 1975).
        also nicht herablassend von der „Hand-               Heute ist die Zoologie weniger als je
        werker-Generation“ der Zoologen spre-            zuvor nur ein Teilgebiet der allgemeinen
        chen, denn es war und ist exzellentes, er-       Biologie, ganz zu schweigen von ihrer ur-
        folgreiches und notwendiges Handwerk.            sprünglichen Zugehörigkeit zur Medizin.
            Und trotzdem – und so komme ich zu           Zu Recht: Die Diversifikation der Tiere ist
        einer Kernfrage der Zoologie zurück: Mo-         kein evolutionäres Missgeschick und
        lekularbiologie wird vielen Problemen            auch nicht nur Verzierung der Natur, son-
        der Zoologie nicht gerecht, auch wenn sie        dern eine fundamentale Eigenschaft des
        zu deren Lösung wesentlich beiträgt.             Lebendigen. Und deshalb sind artspezifi-
        Denken wir etwa an Vorgänge in Popula-           sche Fragen typisch zoologische Fragen,
        tionen, an die Evolution der Vielfalt und        die sonst kein Fachgebiet in ähnlichem
        die Artbildung, an Vorgänge in Ökosyste-         Maße interessieren. Erinnern wir uns: Tie-
        men, an die Netzwerke zur Steuerung              re sind energetisch offene Systeme und
        von Entwicklungsvorgängen und an An-             können nur als solche existieren. Ihre
        passung und Angepasstheit von Sinnes-            Mannigfaltigkeit spiegelt demnach die
        leistungen und Verhalten an den arteige-         Lösung eines damit einhergehenden fun-
        nen Lebensraum. Deshalb nun zum Teil III         damentalen Problems wider, nämlich die
        meines Vortrags.                                 Notwendigkeit, in verschiedensten ökolo-

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          gischen Nischen Wege zur ständig erfor-        menkenntnis in der Lehre heute an vielen
          derlichen Energieaufnahme zu finden. So        Universitäten sicher zu sehr reduziert. Die
          ist jede Tierart ein Experiment, auch ein      Taxonomie und vergleichende Anatomie
          physiologisches, der Evolution. Was wir        sind als Fächer an vielen oder gar den
          letztlich suchen, sind sowohl allgemeine       meisten Universitäten beinahe ver-
          Gesetzmäßigkeiten als auch ein Verständ-       schwunden. Parasitologie, vergleichende
          nis der Vielfalt und der in ihr verwirklich-   Organphysiologie, Stoffwechsel- und Hor-
          ten Angepasstheiten.                           monphysiologie kommen hier ebenfalls
              Es gibt also noch immer spezifisch         in den Sinn (s.a. Wägele und Bode in: Wä-
          zoologische Fragen, aber der Versuch,          gele 2007). Vorsicht ist geboten: Eine ein-
          krampfhaft eine Geschlossenheit des Fa-        mal vergessene, hochentwickelte Fach-
          ches Zoologie zu bewahren, ist dem Fort-       disziplin mit der Erfahrung von Gene-
          schritt sicher hinderlich. Die DZG rea-        rationen kann nicht so leicht reaktiviert
          gierte später als die amerikanischen und       werden.
          britischen Zoologen auf die Vielfalt ihrer
          Forschungsteilgebiete. Heute hat auch sie      2. Die organismische Sichtweise
          Sektionen und thematisch spezialisierte            Die Molekularbiologie ist heute auch
          Veranstaltungen. Wegen der Fortschritte        für die spezifisch zoologische Forschung
          in den Teildisziplinen, der enormen tech-      unverzichtbar. Aber sie ist nicht die mo-
          nischen Entwicklungen und Diversifikatio-      derne Biologie schlechthin, wie es sich
          nen und angesichts der so wichtig gewor-       bisweilen insbesondere dem Laien dar-
          denen fachlichen Grenzüberschreitungen         stellt. Eine endlose Beschäftigung mit al-
          ist dies längst unerlässlich.                  len Details wird problematisch, wenn sie
              Im Übrigen halte ich es mit Rüdiger        den Punkt übersieht, an dem die Einord-
          Wehner (in: Boeckh und Pfannenstiel            nung in höhere Komplexitäts- und Organi-
          1986), wenn er sagt: „Was die begabte-         sationsebenen wie ganze Organismen
          sten Nachwuchsforscher von heute als for-      und ihre Ökosysteme gefragt ist. Organis-
          schungswürdig betrachten, definiert die        men haben sich unter bestimmten Selek-
          Zoologie von morgen.“ Dies ist ein bes-        tionsdrucken entwickelt und ohne Ver-
          serer Wegweiser als aufgesetzte, oftmals       ständnis ihrer Angepasstheit an diese
          von sachunkundigen Politikern ausge-           lassen auch die dann aus dem Zusam-
          dachte und finanziell bevorzugte For-          menhang gerissenen Details oft nicht er-
          schungsprogramme. Modische Tenden-             kennen, wo die besten „Tricks“ zu finden
          zen der Forschungsförderung und deren          sind und was sie bedeuten. Dazu sind
          Folger wird es immer geben. Zum Glück          diejenigen Forscher, die ein Tier in grö-
          ändern sich die Moden. Problematisch           ßeren Zusammenhängen verstehen, un-
          wird es aber, wenn klassische „alte“ Fä-       verzichtbar, und damit das, was man spe-
          cher ganz aus dem Vorlesungsverzeich-          zifisch zoologisch nennen mag.
          nis verschwinden und wertvolles Gut frü-           In diesem Kontext sei auf einen be-
          herer Forschungsleistung vergessen wird        kannten, aber m.E. noch immer zu wenig
          oder gar verloren geht. So ist die For-        gewürdigten Umstand verwiesen, der die

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        Bedeutung meiner Argumentation unter-            ten Einfluss von Umweltfaktoren auf die
        streicht und ein weiterer Meilenstein in         Merkmale von Organismen („Plastizität“) .
        der Entwicklung unserer Wissenschaft ist         All dies weist in Richtung Lamarckismus,
        (Barth 2014).                                    also die Vererbung erworbener Fähigkei-
             In den 1930er und 1940er Jahren be-         ten, eine „extragenetische Vererbung“
        fruchtete die „Modern Synthesis“ die             jenseits der Gene (Laland et al. 2014).
        Evolutionstheorie durch die raschen Fort-            Darwin ist deshalb nicht gescheitert,
        schritte der Genetik und Populationsge-          aber es bedarf Änderungen in unserem
        netik ganz enorm und sie vertiefte unser         Denken. Das 'selfish gene' von Dawkins
        Verständnis von Adaptation und Artenbil-         (1976) wird inzwischen auch als 'impriso-
        dung. Seither war die Interpretation der         ned gene' bezeichnet (Noble 2008, 2011,
        Evolution stark genzentriert und auf das         2012; Shapiro 2009). Organismen sind
        'zentrale Dogma der Molekularbiologie'           somit keineswegs nur molekulare Be-
        fokussiert (Crick 1970), also den Weg            schreibungen ihrer Gene. Vielmehr be-
        vom Gen, der DNA, über die RNA zum               einflussen sie selbst und Außenweltfakto-
        Protein und schließlich zum Phänotyp.            ren die unteren Organisationsebenen
        Seit den frühen 2000er Jahren wurde              (Zellsignale und Genexpression).
        allerdings besonders durch die Befunde               Nach den fulminanten Erfolgen der
        der Epigenetik immer klarer, wie wenig           Zell- und Molekularbiologie werden dem-
        die Kausalkette zwischen Gen und Phäno-          nach auch für diese selbst der ganze Or-
        typ eine direkte ist. Das Genom wird             ganismus und seine artspezifische Um-
        heute nicht mehr so sehr als genetisches         welt immer wesentlicher. Das Auffinden
        Programm interpretiert, sondern als Da-          der natürlichen Selektionsfaktoren wird
        tenbasis, die in erstaunlichem Umfang            zunehmend wichtig. Die so erfolgreiche
        top-down Einflüssen von höheren Organi-          reduktionistische Molekularbiologie
        sationsebenen unterworfen ist (Noble             braucht die integrative, organismische
        2008, 2011, 2012; Shapiro 2009; Bitbol           Biologie um zu verstehen, welche Bedin-
        2010). Diese Einflüsse ändern nicht die          gungen die höheren Organisationsebe-
        DNA-Sequenz, also den Genotyp selbst,            nen den niedrigeren auferlegen (Noble
        bestimmen jedoch, was auf dem Genom              2008). Womit wir wieder bei dem spezi-
        „gespielt“ wird, die Genexpression               fisch Zoologischen wären.
        (durch chemische Modifikation der DNA
        und der Histone, in die sie eingebettet          3. Unser Selbstverständnis
        ist).                                                Ein weiterer besonderer Meilenstein
             Eine solche genetische Regulation be-       der Entwicklung unserer Wissenschaft ist
        trifft nicht nur die embryonale Morphoge-        meines Erachtens der Beitrag der noch
        nese, wobei die physische Entwicklung            jungen Kognitionsbiologie zum Selbstver-
        selbst auf die Entstehung von Variation          ständnis des Menschen. Ich erwähnte be-
        einwirkt („developmental bias“). Sie ist         reits das von Hubert Markl (1990) so ge-
        nicht nur Folge, sondern auch Ursache            nannte „fortbestehende Leiden an Darwin“.
        von Evolution und betrifft auch den direk-       Es mag sein, dass die aufregenden Befun-

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          de der Kognitionsbiologie bei manch ei-        herrscht wird wie die Tierwelt. Wie der
          nem dieses Leiden noch verstärken. Es          verachtete Wurm lebt er in Abhängigkeit
          stört, dass Tintenfische und Raben, ja so-     von externen Befehlen, und wie der Wurm
          gar Honigbienen und nicht nur Affen und        vergeht er, auch wenn er die Welt durch
          Menschen über geistige Fähigkeiten und         die Macht seiner Ideen aufgerüttelt hat.“
          soziale Erkenntnismöglichkeiten verfü-
          gen, die man noch vor 50 Jahren nicht          4. Noch etwas
          einmal ernsthaft zu ahnen wagte und die            Lassen Sie mich abschließend noch
          sich nun als keineswegs originär mensch-       etwas erwähnen, was abseits des „main
          lich erweisen (wie etwa die Fähigkeit zur      stream“ liegt, aber doch wichtig ist, weil
          'Theory of Mind').                             es dem Alltag mancher Zoologen das
              Kognitive Fähigkeiten sind inzwischen      Pünktchen auf dem „i“ bedeutet, anderen
          kein Alleinstellungsmerkmal des Men-           im Zuge aller Forderungen nach Effizienz
          schen mehr. Honigbienen können Ge-             und Exzellenz aber fremd geworden ist.
          mälde von Monet und Picasso unterschei-            Zoologen verstehen es oft besonders
          den (Wen Wu et al. 2013). Die vielen           gut und sollten daraus auch eine beson-
          aufregenden Befunde reichen im Stamm-          dere Verpflichtung ableiten, es anderen
          baum hinab bis zu den Insekten und wei-        zu vermitteln: Der Mensch ist Teil der Na-
          ter. Zum Tier im Menschen gesellt sich         tur, er gehört zu ihr und dank der Zoolo-
          zunehmend der Mensch im Tier.                  gie verstehen wir die Qualität unserer Ab-
              Wir Zoologen sollten uns darüber           hängigkeit von anderen Organismen
          freuen. Alle diese Befunde der verglei-        immer besser.
          chenden Kognitionsforschung tragen zu              Dennoch treten wir die Natur wider
          unserem Selbstverständnis bei. Sie helfen      besseres Wissens zu oft mit Füßen. Unge-
          zu verstehen, wie unsere eigene Kogni-         störte Natur wird oft nur noch als Luxus
          tion im Laufe der Evolution zu dem ge-         betrachtet und ihre Schönheit nur noch
          worden sein könnte, was sie heute ist. Si-     als Verzierung geschätzt. In unserer zu-
          cher sind uns in vielen kognitiven Leis-       nehmend künstlichen Umwelt fehlt uns je-
          tungen jeweils bestimmte Tierarten über-       doch unser natürlicher Erlebnisraum und
          legen, seien es Affen, Hunde, Tauben           wie Edward Wilson im Kontext der Bio-
          oder Bienen. Auch hier ist genuin Zoolo-       philie schrieb (Wilson 1984), wird der
          gisches, gilt es doch vor allem zu verste-     Mensch ohne das Erlebnis des Natur-
          hen, welche kognitiven Fähigkeiten ein         schönen seelisch verkümmern und ästhe-
          Tier mitbringt und benötigt, um in seiner      tisch, also sinnlich, verarmen.
          artspezifischen Umwelt, auch der sozia-            Der Zugang zum Wesen der Welt, in
          len, zu überleben. Rudolf Leuckart wäre        der wir leben, führt nicht nur über das,
          sicher begeistert gewesen, soll er doch in     was gemessen und berechnet werden
          etwa gesagt haben (Wikipedia): „Für den        kann, sondern auch über unser ästheti-
          Menschen als denkendes Wesen ist es            sches Empfinden. Dieses mag kulturell
          nicht möglich, sich der Kenntnis zu ver-       vielfältig beeinflusst sein, aber immer ist
          schließen, dass er von derselben Kraft be-     es auch von unserer evolutionären Ge-

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        schichte und unserer Einbettung in die           weiterte Dimension des Sehens und
        Natur geprägt.                                   Sichtbarmachens. Künstler aus dem er-
            In einer Zeit, in der oft nur Mess- und      sten halben Jahrhundert der DZG brach-
        Quantifizierbares und eine gesteigerte           ten sehr moderne zoologische Gedanken
        Effizienz zu gelten scheinen, Wissen und         in Gemälden zum Ausdruck, die biswei-
        Wissenschaft durch die Vorherrschaft der         len organismisch zoologischer nicht sein
        Ökonomie bisweilen bedenkenlos zu                könnten. Gemälde, die zeigen, dass
        Handelsware gemacht werden und dazu              Innenwelt auch immer zugleich Umwelt
        stets neue Netzwerke, Selektionen und            und Außenwelt ist und auch, dass Wissen-
        Evaluationen erfunden werden, ist es für         schaft und Poesie nicht unbedingt so weit
        manch einen Interessierten schwierig zu          auseinander liegen, wie bisweilen sugge-
        verstehen, was ein Zoologe meint und             riert wird.
        was ihn bewegt, wenn er trotz der weit               Zwei Beispiele hierzu zeigt die Abb.3:
        fortgeschrittenen Parzellierung des Wis-         den 'Mandrill' von Franz Marc (1913) und
        sens von organismischer und integrativer         das 'Kamel in rhythmischer Baumland-
        Biologie spricht. Dabei lassen wir meist         schaft' von Paul Klee (1920). Franz Marc
        Vieles ungesagt, weil es nicht oder nur          (1880-1916) war ein besonders exquisi-
        schwer sagbar ist und wir als Wissen-            ter organismischer Biologe. Er wollte die
        schaftler stets zur Vorsicht aufgerufen          Welt aus der Sicht der Tiere darstellen.
        sind. Eine einzelne Art der Beschreibung         Eine Welt, wie er sagt, die sie mit sich
        der Natur kann deren Wesen nie ganz er-          herumtragen und aus der sie als organi-
        fassen. Und so mag für manch einen das           sche Verwirklichung ihrer anorganischen
        Gemeinte und nur schwer in Worte Fass-           Umgebung entstehen (Büche 2006). Auch
        bare klar werden, wenn wir die bildlichen        Paul Klee (1879-1940) strebte mit seinen
        Aussagen von Künstlern zulassen, ihre er-        sublimen Empfindungen nach der Tota-

        Abb.3: Links: Franz Marc (1913) 'Der Mandrill'; Pinakothek der Moderne, München; rechts: Paul
        Klee (1920) 'Kamel in rhythmischer Baumlandschaft'. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen,
        Düsseldorf.                             Bildnachweis: philipphauer.de und index-magazin.com

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          lität von Außen und Innen, nach dem Blick
          hinter das Sichtbare. Seine Formchiffren
          der Natur und bildnerischen Zeichen sind
          wie bei Marc Ausdruck einer intensiven
          Suche nach dem, was wir nur ungenau
          als Natürlichkeit begreifen (Haftmann
          1957).
              Wenn wir uns dazu die eiszeitliche
                                                         Abb.4: Wollnashorn, ca. 17000 Jahre alte Fels-
          Felsenzeichnung eines Wollnashorns             malerei aus der Höhle von Altamira in Nord-
          (Abb. 4) aus der nordspanischen Höhle          spanien.
          von Altamira ansehen, wird deutlich, dass      Bildnachweis: Abbé Breuil, Hugo Obermaier
          deren Großartigkeit auch ein Ausdruck          (1935) La cueva de Altamira en Santillana del
          davon ist, dass unsere Vorfahren vor über      Mar. Tipografia de Archivos, Madrid
          15 000 Jahren noch eine Anbindung an
          die Natur hatten, deren Innigkeit Franz        über Zoologie, sondern das Entdecken
          Marc so vehement zum Ausdruck brin-            im Gelände oder im Labor, die meist
          gen wollte und von der sich die moderne        mühseligen Experimente und ihre Her-
          Menschheit zunehmend entfernt hat. Für         ausforderungen, der Versuch des Unmög-
          die Menschen zur Gründerzeit der DZG           lichen. Es sind die Überraschungen und
          passten solche Felszeichnungen ganz und        auch die Irrwege, eine erhellende Dis-
          gar nicht zu der tief verwurzelten Vorstel-    kussion mit Kollegen/innen und die neue
          lung von der Primitivität der Eiszeitmen-      Welt des Unwissens, die man beim neu-
          schen. Sie wurden wiederholt als Fäl-          gierigen Überschreiten von Fachgrenzen
          schungen abgetan, weil sie für die Kunst-      erleben kann. Den Studenten, glaube ich,
          geschichte ganz einfach nicht denkbar          wird die Vermittlung einer solchen Zoolo-
          waren.                                         gie noch immer gefallen und vermutlich
              So schließt sich der Kreis, wir sind       kann sie auch dazu beitragen, aus Daten
          zum Anfang zurück gekommen: Zu Rudolf          Information und aus Information Einsicht
          Leuckart, der sich über das bis heute so       zu machen und aus dieser wirkliche Bil-
          viel tiefer gewordene Verständnis der Zu-      dung.
          gehörigkeit des Menschen zur Natur ge-
          freut hätte. Wissenschaftler und so auch
          wir Zoologen, welcher Couleur auch im-         Literatur
          mer, sind mehr als ihre Publikationen und
                                                         Autrum, H., 1996. Mein Leben. Wie sich Glück
          ihr Wissen ist keine Ware, die abgepackt           und Verdienst verketten. Springer, Berlin
          und verkauft wird und von der die Gesell-          Heidelberg New York
          schaft oft nur Nutzen für Medizin und          Barth, F.G., 2014. Sinneswelten im Spiegel von
          Technologie erwartet. Bekennen wir uns             Verhalten und Lebensraum. Zugleich ein-
                                                             Plädoyer für die organismische Biologie.
          selbstbewusst dazu: Innovative zoologi-            Leopoldina-Jahrbuch 2013, 389–396.
          sche Forschung ist nicht vorrangig das         Becker, M., 2009. Ist Darwin gecheitert?
          Lehrbuch mit dem gesicherten Wissen                Spiegel online, 19.Januar, 16, 32

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        Bitbol, M., 2010. Downward causation without            tungspraxis. VCH Verlagsgesellschaft,
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        Prof. Dr. Friedrich G. Barth, Universität Wien,
        Fakultät für Lebenswissenschaften, Department für Neurobiologie,
        Althanstr.14, 1090 Wien, Austria.
        friedrich.g.barth@univie.ac.at

        ZOOLOGIE 2016, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                                     19
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                            Geschichte der Zoologie in Graz
                                                       Heiner Römer

           Im Rahmen der Ausrichtung der 108.                 DZG auf einer breiteren Basis darstellt,
       Jahrestagung der Deutschen Zoologi-                    und der geneigte Leser insofern unmittel-
       schen Gesellschaft fiel mir die Aufgabe                bar vergleichen kann, welche der Entwik-
       zu, einen kurzen Abriss der hiesigen ge-               klungen auch für Graz von Bedeutung wa-
       schichtlichen Entwicklung der zoologi-                 ren und heute noch sind.
       schen Forschung zu geben. Es kamen mir                     Bei geschichtlichen Darstellungen ist
       allerdings bald Zweifel darüber, ob ein                eine der ersten Entscheidungen die nach
       solcher geschichtlicher Überblick über-                dem Anfang – wo also beginnen? Die
       haupt noch zeitgemäß sei, etwas, aus                   Karl-Franzens-Universität wurde im Jahr
       dem vor allem unser jüngerer wissen-                   1585 gegründet, aber natürlich sucht man
       schaftlicher Nachwuchs etwas lernen                    in der damaligen Philosophischen Fakultät
       könnte. Als jemand, der nun ca. 40 oder                lange vergebens nach einer Zoologie. Tat-
       gar mehr Jahre in der Zoologie überblickt              sächlich gab es diese Philosophische Fa-
       und einige der vielen Veränderungen                    kultät bis zum Jahr 1975; erst dann wurde
       selbst erfahren hat, habe ich diese Frage              sie in die natur- und geisteswissenschaft-
       dann bejaht. In einer solchen Zeitspanne               lichen Fakultäten aufgeteilt.
       habe ich und haben viele andere erlebt,                    Der Ursprung der Grazer Zoologie
       wie sich attraktive Hypothesen zu Wissen-              muss zweifellos in der Errichtung einer
       schaftsblasen entwickelt haben und dann                Lehrkanzel für Naturgeschichte an der da-
       geplatzt sind; manchmal konnte man auch                maligen Philosophischen Fakultät gese-
       die Gründe dafür nachvollziehen. Wir ha-               hen werden. Eine Entwicklung in diese
       ben erlebt, wie Persönlichkeiten entschei-             Richtung war auch beeinflusst von der Er-
       dend waren für die Weiterentwicklung der               richtung der Medizinischen Fakultät und
       Wissenschaft, und zwar nicht nur deshalb,              der damit einhergehenden Erneuerung
       weil technische Neuerungen einen Durch-                der naturwissenschaftlichen Disziplinen.
       bruch bewirkten, sondern weil diese Per-               Nachdem es schon eine Lehrkanzel für
       sönlichkeiten einer Fragestellung treu                 Zoologie am Grazer Joanneum seit dem
       blieben und die richtigen Fragen gestellt              Jahr 1818 gegeben hatte, argumentierten
       haben. Dies wäre es wert unserem wis-                  die Professoren des Philosophischen Stu-
       senschaftlichen Nachwuchs zu vermitteln.               diendirektorates, dass die Zielvorstellun-
       Mein Beitrag zur Geschichte der Zoologie               gen hinsichtlich der Naturgeschichte an
       in Graz profitierte auf der Jahrestagung,              der Universität doch sehr von denen des
       und auch hier als gedruckter Beitrag in                Joanneums abweichten und daher eine ei-
       den Mitteilungen davon, dass Friedrich                 gene Lehrkanzel für Naturgeschichte not-
       Barth in seinem Festvortrag die Entwick-               wendig sei. Sie gingen allerdings noch
       lung der Zoologie seit der Gründung der                davon aus, dass ein Mathematiker oder

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          Physiker diese Aufgaben wohl am besten
          übernehmen könne, weil, wie es wörtlich
          hieß „dieser Unterricht nur das umfasst,
          was für jeden Gebildeten nöthig ist.“ Der
          Vorschlag wurde Kaiser Franz Josef I.
          unterbreitet und mit November 1846 wur-
          de auch für die Grazer Universität eine
          Lehrkanzel für Naturgeschichte einge-
          richtet. Zu deren Vertreter wurde tatsäch-
          lich ein Physiker ernannt.
              Es dauerte dann noch bis 1850, bevor
          man eine getrennte Ausschreibung einer
          Lehrkanzel für Physik und einer für Natur-
          geschichte vornehmen konnte. Auf letztere
          bewarben sich 7 Personen. Es wurde ein
          (!) Gutachter bestellt, der die zwei Bewer-
          ber Ludwig Karl Schmarda und Engelbert
          Pranger als herausragend beurteilte, ob-        Abb. 1: Ludwig Karl Schmarda, der erste Zoo-
          wohl letzterer nur eine Abhandlung              loge als Professor an der Grazer Philosophi-
                                                          schen Fakultät. Gemälde im Zool. Institut
          (sprich Publikation) vorzuweisen hatte.
                                                          Graz.                          Foto H. Römer.
          Der Besetzungsvorschlag des Professoren-
          kollegiums an das Ministerium lautete
          dennoch Schmarda und Pranger primo lo-          Er gilt als der erste Österreichische Zoo-
          co. Es ist dem damaligen Unterrichtsmini-       loge, der sich vorbehaltlos Darwin´s Evo-
          ster Thun und seinem ehrlichen Interesse        lutionstheorie anschloss. Er war es auch,
          an der Naturgeschichte zu verdanken,            der mit einem Vortrag: „Der Darwinismus
          dass er im „alleruntertänigsten Vortrag“        und sein Einfluss auf die Zoologie“ für Fu-
          dem Kaiser gegenüber die Verdienste von         rore sorgte und die Auseinandersetzung
          Schmarda hervorhob und dessen Ernen-            mit der Theologischen Fakultät auf einen
          nung empfahl, die dann auch im Septem-          neuen Höhepunkt brachte, weil er in sei-
          ber 1850 erfolgte (Abb. 1).                     nem Vortrag die absolute Freiheit der
              Mit dieser Ernennung wurde erstmals         Wissenschaft von jeglicher kirchlicher
          ein Zoologe Professor an der Grazer             Lehrmeinung forderte. Die Darwinismus-
          Philosophischen Fakultät, der ausschließ-       Affäre in Graz zog weite Kreise, dennoch
          lich mit dem Lehramt der Naturgeschich-         kam es an der hiesigen Universität nicht
          te betraut war. Dies würde ich daher als        wie in Wien oder Innsbruck gar zu der
          die Geburtsstunde unseres Instituts anse-       Forderung nach der Entfernung der The-
          hen, obwohl bis dahin noch ein weiter           ologischen Fakultät von der Universität.
          Weg war.                                        Insofern illustriert dies auf der lokalen
              Auf Schmarda folgte im Jahr 1857            Grazer Ebene das, was Friedrich Barth in
          Oskar Schmidt, dessen Forschungsgebiet          seinem Beitrag für die Zeit des Beginns
          die Schwämme des Mittelmeeres waren.            der DZG beschreibt, weil durch die Ein-

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       beziehung des Menschen in die Evolu-               sel muss daher für die übrigen Instituts-
       tionstheorie das alte Menschenbild ins             mitglieder recht schwierig gewesen sein.
       Wanken geriet.                                     Nach Böhmigs Emeritierung wurde Otto
           Auf Oskar Schmidt folgte 1873 Franz            Storch 1929 aus Wien berufen, und 1938
       Eilhard Schulze aus Rostock, der ein Jahr          folgte ihm Josef Meixner nach, der ein
       später das Zoologisch-Zootomische Institut         Schüler von von Graff und Böhmig war.
       gründete. Er hat damit die jahrzehntelang              Über die Zeit von 1939 – 45 war in den
       bewährte morphologische Tradition des              Archiven der Universität kaum etwas Spe-
       Instituts begründet. Schulze wurde dann            zifisches für die Zoologie zu finden, daher
       nach Berlin berufen; nach ihm erhielt Lud-         geht es in meinem Überblick mit Krieg-
       wig von Graff die Lehrkanzel, die er               sende weiter. Wie trist es zu dieser Zeit
       außerordentlich lang (bis 1921) vertrat.           ausgesehen haben muss, zeigt ein Blick
       Von Graff ist der eigentliche Begründer            in das VL-Verzeichnis im WS 1945/46:
       des heutigen, knapp vor der Jahrhundert-           Dort sind keine verantwortlichen Lehr-
       wende eingerichteten Zoologischen Insti-           enden genannt, abgesehen von einer Per-
       tuts im ersten Stock des Universitätsplatzes       son, nämlich Karl Umrath, zu dem es sich
       2, dort wo sich das Institut auch heute
                                                          lohnt ein paar Worte zu sagen. Er hatte in
       noch befindet. Damals galt das Institut als
                                                          Jena studiert und in Graz zu einem The-
       eines der modernsten Europas. Seinen
                                                          ma über elektrische Potentiale und Reiz-
       persönlichen Beziehungen ist es zu ver-
                                                          leitung bei Pflanzen promoviert. Dieses
       danken, dass während seiner Amtszeit
                                                          Thema führte fast zwangsläufig zu einer
       1910 der 8. Zoologenkongress in Graz
                                                          engen Kooperation mit dem Institut für
       stattfand. Heute noch finden sich Relikte
                                                          Pflanzenphysiologie. Er hat insofern eine
       aus dieser Zeit in Form zahlreicher, liebe-
                                                          Entwicklung vorweggenommen, die uns
       voll gezeichneter Wandtafeln, die von ei-
                                                          im Augenblick sehr beschäftigt, nämlich
       nem der Schüler von Graff´s stammen,
       nämlich von Rudolf von Stummer-Traunfels.          wie die Zoologie mit den Pflanzenwissen-
           Nach dem Ende des 1. Weltkrieges               schaften enger als organismische Biolo-
       und dem Zerfall der Donaumonarchie                 gie zusammenwachsen könnte. Vor dem
       übernahm ein weiterer seiner Schüler,              Namen Umrath steht PD für Privatdozent;
       Ludwig Böhmig, die Lehrkanzel. Wenn                selbst wenn ihm später der Titel eines
       man den wenigen überlieferten persön-              O. Univ. Professors verliehen wurde: er
       lichen Kommentaren Glauben schenken                war und blieb stets ein Privatdozent im
       darf, so war dieser Wechsel auch ein dra-          ursprünglichsten Sinne des Wortes, denn
       matischer Wechsel in der Persönlichkeit            er war so wohlhabend, dass er sich selbst
       der zwei aufeinander folgenden Professo-           finanzieren konnte; er war nie von der
       ren: von Graff wurde eine lebensfrohe,             Universität bezahlt. Auch die Geräte für
       gesellige Natur mit viel Humor nachge-             seine reizphysiologischen Untersuchun-
       sagt, während Böhmig eine bescheidene,             gen stammten aus seinem persönlichen
       geradezu asketische Grundhaltung hatte,            Fundus, wie unter anderem die Kymogra-
       mit einem schon fast pathologischen                phen, die ich 1992 noch bei meinem
       Hang zur Pünktlichkeit. Ein solcher Wech-          Dienstantritt in Graz vorfand.

       ZOOLOGIE 2016, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                              23
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              Als Physiologe war Umrath natürlich         akademische Senat ihm anlässlich der 51.
          auch von der Entdeckung des Vagustoffes         Jahresversammlung der DZG im Jahr
          durch den Grazer Nobelpreisträger Otto          1957 das Ehrendoktorat verliehen. Die
          Loewi angeregt. Seine diesbezüglichen           Tradition der Bienenforschung wurde bis
          Arbeiten mit Meerschweinchen belegten           heute in der Forschung aufrechterhalten,
          auch sein inniges Verhältnis zu seinen          wie unten erläutert, und in Freilandsemi-
          Versuchstieren: er wurde gelegentlich mit       naren mit Studierenden werden Karl von
          einer Sense bewaffnet gesehen um Gras           Frischs Experimente an Bienen nachvoll-
          für sie zu schneiden, aber er pflegte sei-      zogen.
          ne Tiere nach dem Experiment auch zu               Nach der Rückberufung von Frischs
          verspeisen. Ernst Florey war einer seiner       nach München übernahm Wilhelm Küh-
          Doktoranden, ebenso wie die späteren            nelt die Leitung des Instituts. Er war zuvor
          außerordentlichen Professoren Karl Hag-         Dozent an der Wiener Zoologie; er hat
          müller und Otto Kepka im Grazer Institut.       das Themengebiet in Graz auf die Boden-
              Im Vorlesungsverzeichnis des WS             zoologie erweitert, was, wie sich in der
          1946/47 stoßen wir neben Umrath auf den         Folge herausstellte, ein wichtiges wissen-
          Namen Karl von Frisch. Von Frisch konnte        schaftliches Standbein der Grazer Zoolo-
          1946 nach Graz berufen werden, aber um          gie werden sollte. Kaum in Graz richtig
          der Wahrheit die Ehre zu geben waren es         warm geworden wurde Kühnelt an die
          vor allem die Zustände in München und           Wiener Universität zurückberufen, sodass
          die Unmöglichkeit dort zu forschen, die         nach einem kurzen Interregnum im Jahr
          ihn nach Graz trieben. Er selbst sagte da-      1954 Erich Reisinger auf das vakante Or-
          zu Folgendes: „……So stand ich mit 60            dinariat berufen wurde. Reisinger hatte
          Jahren vor der Wahl, meine restlichen Kräf-     unter der Anleitung von Ludwig von Graff
          te der Wiederherstellung des Münchner           promoviert, natürlich über ein Thema an
          Zoologischen Institutes, oder in Graz der       Turbellarien, und er ist dieser For-
          wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Das        schungsrichtung sein ganzes Leben treu
          letztere schien mir richtiger“ (Karl von        geblieben. Reisingers Bemühungen ist es
          Frisch, Erinnerungen eines Biologen, Ber-       zu verdanken, dass der Grazer Zoologie
          lin-Göttingen-Heidelberg 1957, 131).            ein zweites Ordinariat zugesprochen wur-
              Allerdings waren auch die Umstände          de. 1970 erfolgte seine Emeritierung; da-
          in Graz alles andere als rosig und von          mit hatte die etwa 100-jährige Turbella-
          Frisch musste sogar für eine gewisse Zeit       rienforschung in Graz ein Ende gefunden.
          wegen Wohnraummangels im Institut               Unter Reisinger fand auch 1957 die oben
          wohnen. Mit finanzieller Unterstützung          erwähnte DZG-Tagung in Graz statt.
          durch die Rockefeller Foundation bewirk-           Nach der Emeritierung Reisingers gab
          te er die Einrichtung eines modernen            es also zwei Ordinariate zu besetzen, und
          Hörsaales. Aus dieser Zeit des Mangels          man kann wohl berechtigt sagen, dass
          und der Improvisationen stammt eine Rei-        damit die Neuzeit der Grazer Zoologie
          he von wichtigen Arbeiten zur Bienen-           eingeläutet war, denn einer der beiden
          kommunikation, so dass die Philosophi-          berufenen Professoren ist als 85-jähriger
          sche Fakultät der Universität und der           Emeritus noch immer am Institut aktiv:

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