ZOOLOGIE 2019 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft - Deutsche Zoologische Gesellschaft eV
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00_Umschlag_Zoologie_2019_Umschlag_Zoologie_2010.qxd 10.07.2019 11:18 Seite 1 ZOOLOGIE 2019 ZOOLOGIE 2019 . Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft Herausgegeben von Mitteilungen Rudolf Alexander Steinbrecht der Deutschen Zoologischen Gesellschaft 111. Jahresversammlung Greifswald, 10. - 15. September 2018 Biohistoricum im Zoologischen Museum Alexander Koenig · Bonn Basilisken-Presse · Rangsdorf
00_Titelei Seite_1 - 4_2019_Titelei_2010.qxd 30.07.2019 10:18 Seite 1 ZOOLOGIE 2019 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft Herausgegeben von Rudolf Alexander Steinbrecht 111. Jahresversammlung Greifswald, 10. - 15. September 2018 Basilisken-Presse Rangsdorf 2019
00_Titelei Seite_1 - 4_2019_Titelei_2010.qxd 30.07.2019 18:01 Seite 2 Umschlagsbild Ventrale Ansicht eines Prätarsus einer weiblichen Schwebfliege der Art Eristalis tenax. Die Aufnahme wurde mit konfokaler Laserrastermikroskopie angefertigt und zeigt das Vorkommen und die Zusammensetzung vier verschiedener Autofluoreszenzen im Exo- skelett. Unterschiede in der Autofluoreszenz weisen auf Unterschiede in der Material- zusammensetzung des Exoskeletts hin. Die mit kleineren Haftborsten bedeckten Haft- kissen (Pulvilli), die die Haftung an glatten Oberflächen erhöhen, sind zum Teil am oberen Bildrand zu sehen. Die Breite der Aufnahme entspricht einer Länge von 486 μm. Siehe auch den Artikel des neuen Ritter-von-Frisch-Preisträgers Stanislav Gorb über Haft- und Verklammerungsmechanismen in der Natur in diesem Heft. Aufnahme: Jan Michels Die Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft erscheinen einmal jährlich. Einzelhefte sind bei der Geschäftsstelle (Corneliusstr. 12, 80469 München), zum Preis von 7,00 € erhältlich. Gestaltung: Klaus Finze ProSatz&Gestaltung Adam-Brüderle-Straße 33 86633 Neuburg an der Donau Druck: FORSTNER Nunzenrieder Straße 9 92526 Oberviechtach Copyright 2019 by Basilisken-Presse im Verlag Natur & Text in Brandenburg GmbH . Rangsdorf Printed in Bundesrepublik Deutschland ISSN 1617-1977
00_Titelei Seite_1 - 4_2019_Titelei_2010.qxd 30.07.2019 10:18 Seite 3 Inhalt Jacob Engelmann 5 Grußwort des Präsidenten der Deutschen Zoologischen Gesellschaft Michael Schmitt 7 Viereinhalb Jahrhunderte Zoologie in Greifswald Harald Wolf 21 Laudatio auf Stanislav N. Gorb anlässlich der Verleihung des Karl Ritter von Frisch-Preises 2018 Stanislav N. Gorb u. Philipp Bußhardt 25 Haft- und Verklammerungsmechanismen in der Natur: Biologische Vielfalt der Problemlösungen als Inspiration für die Technik 43 Werner-Rathmayer-Preis der Deutschen Zoologischen Gesellschaft Alexey V. Smirnov 45 Die deutschen Wurzeln der russischen Zoologie II. Peter Simon Pallas Jürgen Markl und Michael Schaffeld 63 Das sezierfreie Alternativprogramm ein Erfahrungsbericht aus dem Fachbereich Biologie der JGU Mainz Joachim Höchel und Eddy Decuypere 65 Nachruf auf Martin Nichelmann 27. Januar 1940 – 03. März 2018 Herbert Beck und 71 Nachruf auf Ivar Hasenfuß Jürgen Schmidl 71 23. Mai 1932 – 12. April 2018 Ian Meinertzhagen 75 Nachruf auf Friedrich-Wilhelm Schürmann 19. März 1940 – 26. Juli 2018 Gerhard Kneitz 83 Nachruf auf Werner J. Kloft 17. Juni 1925 – 29. September 2018
00_Titelei Seite_1 - 4_2019_Titelei_2010.qxd 30.07.2019 10:18 Seite 4 Andreas Stumpner, Heribert Gras 87 Nachruf auf Michael Hörner und Martin Göpfert 87 9. Juli 1957 – 30. Oktober 2018 Jürgen Markl 91 Nachruf auf Heinz Decker 27. November 1950 – 9. Dezember 2018 Hubertus Hipke und 95 Nachruf auf Günter Cleffmann Reinhard Lakes-Harlan 87 27. Januar 1928 – 27. März 2019
01_Grußwort Engelmann_5-6_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:20 Seite 5 Grußwort des Präsidenten der Deutschen Zoologischen Gesellschaft Jacob Engelmann Liebe Mitglieder und Freunde der DZG, meine erste DZG-Jahrestagung in Bonn ist neben einem gelungenen Programm bei schönstem Wetter wohl vielen auch heute noch wegen der kulinarischen Besonderhei- ten im Gedächtnis geblieben. Für mich war es der erste Vortrag auf einer wissenschaft- lichen Tagung. In Vorbereitung gaben mir erfahrene Wissenschaftler wohlmeinende Ratschläge wie „In der ersten Reihe sitzen die Grandseigneurs der Zoologie, die musst Du überzeugen. Wenn von denen keine Fra- gen kommen, war’s das mit der Karriere in Deutschland!“. Meine Dias von damals be- gleiten mich noch heute als Erinnerung da- ran, dass es die berüchtigte erste Reihe Foto privates Bildarchiv zwar durchaus gab, es aber Spaß machte, mit den dort Sitzenden und anderen Ta- wirken mag, gewinnt an Schärfe, wenn man gungsteilnehmern ins Gespräch zu kom- exemplarisch Revue passieren lässt, wer al- men. Neben der Möglichkeit, die Vielfalt und lein aus dem Kreis der Fachgruppenspre- Dynamik innerhalb der Zoologie zu erleben, cher in den letzten Jahren einen Ruf erhalten wurde so mit den Jahren aus einem wissen- hat. Exzellente (junge) Wissenschaftler, die schaftlichen Treffen auch die gern genutzte neben ihrer individuellen Expertise durch Chance, Freunde und Kollegen an wechseln- die Organisation von Graduiertentreffen, den Orten wiederzusehen. Fast zwanzig Jah- Symposien, Workshops etc. hervorstechen. re später habe ich die Ehre, ein Grußwort Für mich ist das ein Erfolg unserer Gesell- an eine Gesellschaft zu richten, die in mei- schaft, deren Mitglieder es verstehen, neue nen Augen diesen Geist der wertschätzen- Entwicklungen und Techniken zu verbreiten den wissenschaftlichen Diskussion auf be- und Talente zu fördern, sodass unser Fach sondere Art und Weise lebt. weiterhin gut in der immer komplexeren Das Bild der alten weißen Männer in der Forschungslandschaft vertreten ist. Gut ist ersten Reihe stimmt schon lange nicht mehr, allerdings relativ, denn der fortschreitende das Netzwerk der Wissenschaftler in der Abbau des akademischen Mittelbaus hat DZG ist jünger und vielfältiger geworden nicht nur direkte Auswirkungen auf die Qua- und wirkt trotzdem weiter formend für die lität von Lehre und Forschung, sondern na- Zoologie. Was wie eine leere Behauptung türlich auch auf die Zukunftsperspektive jun- ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 5
01_Grußwort Engelmann_5-6_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:20 Seite 6 ger Wissenschaftler. Die Einigung der Ge- des Access & Benefit Sharings, dem Geno- meinsamen Wissenschaftskonferenz auf die me Editing oder der Tierversuchsthematik Fortschreibung des Pakts für Forschung und bereits der Fall war. Was trotz vieler Fort- Innovation sowie des Zukunftsvertrags Stu- schritte aus meiner Sicht hier besser wer- dium und Lehre stärken ist hier hoffentlich den sollte, ist unsere Beteiligung an diesem ein erstes Zeichen für eine Abkehr von einer Dachverband. Gelegenheit, mehr über den Wissenschaftspolitik der Quantität hin zu ei- VBIO zu erfahren, bietet die diesjährige 112. ner nachhaltigen Förderung und besserer Jahrestagung der DZG in Jena, auf der Prof. Qualität. Haszprunar anwesend sein wird. Die im Herbst stattfindenden Wahlen der Jena nimmt in der Geschichte der Zoolo- DFG-Fachkollegien sind ein kleiner Mosaik- gie Deutschlands eine herausragende Stel- stein, mit dem wir dazu beitragen können, lung ein. Im 100. Todesjahr von Ernst Haek- die sachgerechte Verteilung der knappen kel werden uns dort nicht nur ausgezeich- Ressourcen auch zukünftig zu gewährlei- nete Vorträge, sondern auch eine interes- sten. In Abstimmung mit den Fachgruppen sante Sonderausstellung über Haeckels Ob- und anderen Fachgesellschaften haben wir session, die Medusen, erwarten. Nur weni- von unserem Vorschlagsrecht für Kandidaten gen Wissenschaftlern seiner Zeit ist es so Gebrauch gemacht und hoffen natürlich, eindringlich gelungen, die Schönheit der viele dieser ausgezeichneten Personen auf belebten Natur für die Allgemeinheit be- der im Juli veröffentlichten Kandidatenliste greifbar zu machen. Nur wenige waren wiederzufinden. Nur eine ausgewogene Re- gleichzeitig so widersprüchlich in ihren präsentanz der Vielfalt der zoologischen Schriften. Daher freue ich mich besonders Forschung innerhalb der Fachkollegien ga- auf die im Rahmen der Eröffnungsveranstal- rantiert, dass unsere Themen in der Förde- tung in Jena stattfindende Podiumsdiskus- rung sichtbar bleiben. Daher möchte ich sion, in der es um den Begriff der „Rasse“ dieses Grußwort auch dazu nutzen, Sie an geht. Hier zeigt sich, dass wir als wissen- die Bedeutung dieser Wahl zu erinnern. schaftliche Gesellschaft nicht nur versuchen, Begeistern müssen wir nicht nur unsere der Verantwortung für unsere Vergangenheit Peers und Geldgeber. Vielmehr ist es auch gerecht zu werden, sondern mit der sach- Aufgabe unserer Gesellschaft, politische lichen Auseinandersetzung als wissenschaft- Themen aufzunehmen und mitzugestalten licher Kernkompetenz auch einen wertvol- und unsere Faszination für die Vielfalt des len Beitrag zu oft emotional geführten Lebendigen auch nach außen zu vermitteln. gesellschaftlichen Debatten leisten können. Als Kommunikationsschnittstelle zur Politik Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit gewinnt dabei aus meiner Sicht der Dach- dieser Ausgabe der „ZOOLOGIE 2019“. verband für Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) an Be- deutung. Dessen neuer Präsident, Prof. Ger- hard Haszprunar, ist als ausgewiesener Zoo- Prof. Dr. Jacob Engelmann loge ein Garant dafür, dass wir rechtzeitig Universität Bielefeld, AG Active Sensing auf anstehende Entwicklungen aufmerksam Postfach 100131, 33501 Bielefeld gemacht werden, wie das etwa im Bereich jacob.engelmann@uni-bielefeld.de 6
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 7 Viereinhalb Jahrhunderte Zoologie in Greifswald Michael Schmitt Die Anfänge staurierte Fresko des Orca noch heute zu Als die Universität Greifswald 1456 ge- besichtigen (Abb. 1). gründet wurde, gab es an ihr noch keine Eine eigentliche Zoologie ist in der institutionalisierte Forschung und Lehre Geschichte der Greifswalder Universität auf dem Gebiet der Zoologie. Jedoch be- erst ab 1781 nachweisbar, als Bernhard legt ein kurioses Dokument, dass es zoo- Christian Otto (*6.3.1745, †5.11.1835) zum logische Forschung schon weit vor der Professor für Naturgeschichte und Ökono- Gründung eines Instituts für Zoologie in mie ernannt wurde, übrigens auf eigenes Greifswald gab: Im April 1545 strandete Betreiben (Dokument 1). Otto las Naturge- ein männlicher Orca in der Nähe der schichte und Botanik von 1781 bis 1787, Ryck-Mündung vor Greifswald. Er lebte er war daneben „privatim … in einzelnen noch, starb aber vermutlich bald nach Klassen der Zoologie … Unterricht zu ge- seiner Entdeckung. In der Chronik der ben, erbötig“ und zudem „Aufseher des medizinischen Fakultät der Universität akademischen Naturalienkabinetts“ (Do- wird genau beschrieben, wie das Tier kument 2). Sein Nachfolger wurde Johann aussah, wie groß und schwer es war, und Quistorp (*3.11.1758, †22.7.1834), ab wie es atmete. Die Beschaffenheit seines 1788 Professor der Naturgeschichte und Fleisches und der Inhalt seines Magens der Ökonomie und bis 1819 außerdem wurden genau geschildert (siehe Trüm- „Aufseher des Naturalienkabinetts der mel 2002). Die damalige Sensation wurde Thiere und Pflanzen“. Er bot hauptsäch- bildlich festgehalten im Nikolaidom und in lich botanische Lehrveranstaltungen an, der Marienkirche. In letzterer ist das re- Vorlesungen und Exkursionen, las aber auch an vier Tagen der Woche „Naturge- schichte“ (Dokument 3). Quistorps Toch- ter Marie Charlotte heiratete den späte- ren zeitweisen Namenspatron der Greifs- walder Universität, Ernst Moritz Arndt. Die „unselbständige“ Phase Das Naturalienkabinett der Universität war im barocken Universitäts-Hauptge- bäude untergebracht, zunächst in einem einzigen Raum. Quistorps Nachfolger, Abb. 1. (Restauriertes) Fresko des 1545 vor Greifswald gestrandeten Schwertwal-Männ- Christian Friedrich Hornschu(c)h chens auf der Innenwand des Turms der Ma- (*21.8.1793, †24.12.1850) erweiterte es rienkirche in Greifswald. Foto: M. Schmitt auf vier Räume und erreichte den Umzug ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 7
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 8 in das Gebäude Büchstraße 12 am che Morg. von 7-8; 3) Osteologie eben 23.11.1836 (Kämpfe & Michalik 2011). die Stunden Mittw. und Sonnab.; 4) Ueber Hornschuch wurde 1820 außerordent- die Krankheiten der Thiere und deren Be- licher, 1827 ordentlicher Professor für Na- handlung alle Tage Morg. von 8-9. B) Pri- turgeschichte und Botanik und Leiter des vatim: Zoologie 6 St. die Woche, Sonnab. Botanischen Gartens und des Zoologi- bey gutem Wetter wird er botanische Ex- schen Museums. Er bot in erster Linie bo- cursionen anstellen; auch ist er auf Verlan- tanische Lehrveranstaltungen an, las aber gen zu andern medicinischen und veteri- auch „privatissime“ über „Naturge- närischen Vorlesungen erbötig“ (Doku- schichte der Vögel Deutschlands“ (Doku- ment 5). Der Umfang dieses Lehrange- ment 4). Der Bezug des Gebäudes in der bots ist wahrhaft beeindruckend. Rudol- heutigen Johann-Sebastian-Bach-Straße phi, in Schweden als Kind deutscher El- markiert durch die Gründung des Zoolo- tern geboren, war „Adjunkt der medicini- gischen Museums den Beginn einer schen Facultät und Prosector“ an der von eigentlichen Zoologie an der Greifswal- 1648 bis 1815 schwedischen Universität der Universität (Kämpfe & Michalik 2011; Greifswald und wechselte 1810 nach Keilbach 1956, 1988). Von 1820 bis 1853 Preußen auf den Lehrstuhl für Anatomie wirkte am Zoologischen Museum der und Physiologie an der neu gegründeten Konservator Wilhelm Schilling (*26.7.1790, Berliner Universität. †9.2.1874), der unter anderem eine nahe- Nachfolger Hornschuchs wurde 1851 zu vollständige Kollektion der in Pom- Julius Münter (*14.11.1815, †2.2.1885), mern vorkommenden Vögel begründete. der zwar Professor für Botanik und Zoolo- Dieses unschätzbare biologische Archiv gie sowie Leiter des Botanischen Gartens ist bis heute als „Pommernsammlung“ ei- und des Zoologischen Museums war, je- ner der wichtigsten Bestandteile unserer doch fast ausschließlich botanisch arbei- zoologischen Sammlung. Auf Wilhelm tete. In seiner Amtszeit wurde 1864 Rein- Schilling folgte 1853 Friedrich Christian hold Wilhelm Buchholz (*2.10.1837, Heinrich Creplin (*29.10.1788, †23.5.1863) †17.4.1876) Kustos am Zoologischen Mu- als Konservator. Creplin forschte haupt- seum. Buchholz war ein überaus kennt- sächlich über Wirbellose. Seine bedeu- nisreicher und engagierter Zoologe, der tende Sammlung von Würmern befindet aus bescheidenen Verhältnissen stammte sich noch heute im Zoologischen Museum. und gegen mancherlei Unbill anzukämp- Zoologische Lehre wurde damals auch fen hatte (siehe Kämpfe 2014). Buchholz in der medizinischen Fakultät angeboten, unternahm mehrere erfolgreiche Sam- von Karl Asmund Rudolphi (*14.7.1771, melreisen, aus denen bedeutende Expo- †29.11.1832), Professor für Tierarzneikun- nate und Belege in den heutigen Samm- de ab 1801, für Anatomie von 1808 bis lungen hervorgingen. Er wurde zum 1810. Er las beispielsweise im Sommer- 1.1.1876 als Kandidat für eine ordentliche semester 1805 „a) öffentlich: 1) Botanik Professur für Zoologie vorgeschlagen, alle Tage von 6-7 Morgens; 2) Einleitung starb aber, bevor er diese Position forma- in die Thierartzneykunst, 4 Tage die Wo- liter einnehmen konnte. 8
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 9 Die „selbständige“ Zoologie Der schon für Reinhold Buchholz be- stimmte Lehrstuhl für Zoologie wurde 1876 mit Carl Eduard Adolph (Adolf) Gerstaecker (*30.8.1828, †20.6.1895) be- setzt. Er war Entomologe, arbeitete über Taxonomie, Morphologie und Ökologie, vor allem von Käfern, und hatte den Lehr- stuhl bis zu seinem Tod inne. Seine um- fangreiche Sammlung mit zahlreichen Ty- pus-Exemplaren stellt einen bedeutenden Teil der Insektensammlung des Zoologi- schen Museums dar. Gerstaecker publi- zierte aber auch zu angewandten The- men, wie die Bekämpfung der Wander- heuschrecke, ebenso wie über die Anato- mie von Walen, die er an gestrandeten Exemplaren benachbarter Küsten stu- dierte. Einen erheblichen Teil seiner Ar- Abb. 2. Wilhelm Müller, Ölbild im Zoologi- schen Institut und Museum der Universität beitszeit und -kraft wandte er für die – Greifswald (Maler unbekannt). Foto: M. Schmitt weitgehend ergebnislosen – Versuche auf, die bauliche Situation des Institutsge- zwei Jahre von 1883 bis 1885 bei seinem bäudes zu verbessern. Von seinen An- 35 Jahre älteren Stiefbruder Fritz Müller in strengungen, seinem Ärger und seinen Blumenau in Brasilien. Dort beteiligte er Enttäuschungen zeugt der noch erhaltene sich an den Forschungen seines Halbbru- Briefwechsel mit der Verwaltung von Uni- ders an den exotischen Tieren und Pflan- versität und Land. Längere Passagen sei- zen in der Umgebung des Wohnorts. Er ner Schreiben klingen verblüffend mo- brachte zahlreiche Belegstücke mit zu- dern und erweisen gewisse Probleme als rück nach Greifswald, wo sie noch heute zeitlos und systemübergreifend. kostbare Bestandteile des Zoologischen Nachdem Adolf Gerstaecker „mitten Museums darstellen. Am 30.1.1886 habili- aus der Arbeit heraus“ (Kämpfe & Micha- tierte er sich und war danach bis 1895 lik 2011) 1895 verstorben war, wurde im Privatdozent. In dieser Zeit unternahm er November desselben Jahres Christian mehrere Exkursionen nach Neapel und Gustav Wilhelm Müller (*17.2.1857, forschte intensiv an Morphologie, Taxono- †18.2.1940, Abb. 2) als sein Nachfolger mie und Ökologie von Ostracoden. Am berufen. Wilhelm Müller hatte in Jena, 7.10.1895 wurde er zum Ordinarius für München und Greifswald studiert und Zoologie ernannt und war bei seiner war Doktorand von Gerstaecker. Nach Schlussvorlesung am 26.2.1923 mit 28 seiner Promotion 1880 verbrachte er die Amtsjahren der bis heute am längsten ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 9
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 10 amtierende Ordinarius für Zoologie in Etablierung der Vererbungswissenschaft Greifswald. Neben seinen Studien an Ost- innerhalb der Zoologie betrieben, die racoden beschäftigte er sich auch mit 1933 als Institut selbständig wurde. Mat- Larvenformen von Schmetterlingen und thes verließ Deutschland 1936 (er wurde Fliegen und mit Problemen der Fischerei- für 2½ Jahre beurlaubt), um in Coimbra biologie. Wilhelm Müller gelang es, die (Portugal) ein Zoologisches Institut „nach Arbeitsbedingungen im zoologischen In- deutschem Muster“ (Keilbach 1988) auf- stitut erheblich zu verbessern, indem das zubauen. Vermutlich spielten bei diesem angrenzende Grundstück mit Gebäude Wechsel auch politische Gründe eine erworben und damit die nutzbare Fläche Rolle, denn er verlor gleichzeitig auch fast verdoppelt wurde. den Vorsitz in der Deutschen Zoologi- Paul Buchner (*12.4.1886, †19.10.1978), schen Gesellschaft. der wesentlich die Symbioseforschung in Sein Nachfolger, sowohl als Ordinarius Deutschland vorantrieb, wurde 1923 Wil- für Zoologie als auch als Vorsitzender der helm Müllers Nachfolger. Er verließ zwar DZG, wurde 1938 Gerhard Curt Heider- Greifswald schon 1926 wieder, um einem manns (*18.1.1894, †7.3.1972), der aus Ruf nach Breslau zu folgen, erreichte je- Bonn nach Greifswald kam. Er wurde doch in seiner kurzen Amtszeit, dass die allerdings mit Beginn des Zweiten Welt- beiden Gebäude des Zoologischen Insti- kriegs zur Wehrmacht eingezogen, wo er tuts und Museums strukturell harmoni- bis zum Rang eines Majors aufstieg (Do- siert und mit einheitlicher Fassade verse- kument 6) und in Greifswald nur „spora- hen wurden. Im Austausch mit Buchner disch“ weilte (Keilbach 1988). Heider- kam 1927 Ludwig Ernst Georg Matthes manns war formal Direktor des Zoologi- (*8.8.1889, †10.9.1958) aus Breslau nach schen Instituts und Museums bis März Greifswald, wo er bis 1937 als Institutsdi- 1946, setzte sich aber 1945 nach Bonn rektor wirkte. Er ist allen – zumindest äl- ab, wahrscheinlich aus Sorge, unter der teren – ZoologInnen bekannt als Bearbei- sowjetischen Besatzung Schwierigkeiten ter des von Willy Kükenthal begründeten zu bekommen. Rudolf Seifert war von „Leitfadens für das Zoologische Prakti- 1928 bis 1945 Assistent am Institut, fun- kum“, dessen 9. bis 16. Auflage er be- gierte aber ab 1936 als kommissarischer treute. Sein Assistent Rudolf Seifert Direktor und wurde im September 1952, (*17.9.1903, †11.12.1952) steuerte zum knapp drei Monate vor seinem Tod, zum „Kükenthal“ in dieser Zeit mehrere aus- Direktor ernannt. Er hat während des gezeichnete Original-Zeichnungen bei, Krieges mit Ausnahme des Jahres 1944 darunter den zur Ikone der vergleichen- sämtliche zoologische Lehrveranstaltun- den Tieranatomie gewordenen Spul- gen allein angeboten (z.B. Dokument 7). wurm-Querschnitt. Ernst Matthes organi- Nach seinem frühen Tod übernahm der sierte 1934 die Jahrestagung der Deut- Ornithologe Hans Egon Wilhelm Schild- schen Zoologischen Gesellschaft in Greifs- macher (*13.3.1907, †3.9.1976) vorüber- wald, er war damals deren stellvertreten- gehend die Leitung des Instituts. Hans der Vorsitzender. Er hat maßgeblich die Schildmacher war Leiter der Vogelwarte 10
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 11 Hiddensee, die formal nicht zum Zoologi- 1955) verfasst, der ab der zweiten Aufla- schen Institut und Museum gehörte. Er ge vom Gustav Fischer Verlag Jena über- war Autor eines im 20. Jahrhundert ein- nommen wurde und bis 1993 sechs Auf- maligen vogelkundlichen Kurzlehrbuchs lagen erlebte. Unter seinen zahlreichen (Schildmacher 1982). weiteren wissenschaftlichen Publikationen ist vor allem das von ihm herausgegebe- Zoologie im „Real Existierenden ne Buch über die Evolution und Stam- Sozialismus“ mesgeschichte der Organismen hervor- Die Greifswalder Universität war 1945 zuheben (Kämpfe 1980), das bis 1992 von der sowjetischen Besatzungsmacht drei Auflagen erfuhr. Bis heute wirkt Herr geschlossen worden und wurde im Früh- Kämpfe als geachteter Chronist und als jahr 1947 wieder eröffnet. Die unmittelbar Autor einer Reihe von Publikationen zur folgenden Jahre waren geprägt von per- Geschichte der Biologie in Greifswald. sonellen, finanziellen und räumlichen Die 3. Hochschulreform der DDR 1968 Engpässen und politischen Turbulenzen. brachte der Zoologie „tiefgreifende Ver- Diese Widrigkeiten hatten auch Einfluss änderungen“ (Kämpfe & Michalik 2011). auf die Entwicklung der Zoologie in den Sie wurde zwar staatlich verordnet, an Nachkriegsjahren. Eine Konsolidierung ihrer Konzeption waren jedoch auch Wis- setzte erst mit der Berufung von Rolf Keil- senschaftler der Universitäten beteiligt. bach (*28.6.1908, †24.9.2001) im Jahr Aus Greifswald waren dies der Mikro- 1953 ein. Keilbach kam aus Halle an der biologie Friedrich Mach (*1.6.1925, Saale nach Greifswald und arbeitete †13.4.2019) und der Botaniker Heinrich hauptsächlich entomologisch und ange- Borriss (*10.9.1909, †4.9.1985). Im Ergeb- wandt. Sein umfangreiches Werk über die nis bedeutete die 3. Hochschulreform ei- tierischen Schädlinge Mitteleuropas (Keil- ne Schwerpunktbildung in Greifswald in bach 1966) setzte einen Standard auf die- der Mikrobiologie und eine damit ver- sem Gebiet. Unter seinem Direktorat wur- bundene erhebliche Einschränkung der den am Zoologischen Institut und Muse- zoologischen und botanischen Grundla- um das Lehr- und Arbeitsgebiet Hydro- genforschung. In der „Konzeption zur biologie etabliert und Ökologie und Para- Weiterführung der 3. Hochschulreform sitologie erweitert und gefördert. Die an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ letztgenannte Disziplin vertrat ab 1959 von 1970 (Dokument 8) heißt es: „For- der ebenfalls aus Halle berufene Dozent schungsschwerpunkte: Mikrobiologie und Lothar Kämpfe (*1923), der 1968 zum or- Biosynthesen einschl. der molekularen dentlichen Professor ernannt wurde und Grundlagen und Zellteilungsprozesse …. von 1973 bis 1988 Direktor des Instituts Dazu werden von den Vertretern der Zoo- war. Lothar Kämpfe hatte schon während logie und Botanik mit geringerer Kapa- seiner Zeit in Halle als Mit-Autor den be- zität Forschungen durchgeführt zum Wir- kannten und – nicht nur, aber vor allem – kungsmechanismus chemischer Be- in der DDR vielbenutzten „Leitfaden der kämpfungsmittel und zum Überlebenspo- Anatomie der Wirbeltiere“ (Kämpfe et al. tential von wirbellosen Schadorganismen, ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 11
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 12 sowie zu den physiologischen und bio- Unter den eingeschränkten und ein- chemischen Grundlagen der Steuerung schränkenden Bedingungen der siebzi- von Organbildung und Aktivitätswechsel ger und achtziger Jahre publizierten die bei Pflanzen“. Folge dieser Schwerpunkt- verbliebenen ZoologInnen beträchtliche bildung waren der Transfer der Hydro- Anzahlen von wissenschaftlichen Arbei- biologie an die Universität Rostock und ten, mit einem deutlichen Akzent auf an- erhebliche räumliche Einschnitte durch gewandten Themen. Das war sicher ein die erzwungene Abgabe von Räumen an Ergebnis des Zwangs, während dieser die Mikrobiologie. Darunter musste vor Zeit die Bedeutung des Fachs für Staat allem das Zoologische Museum leiden, und Gesellschaft publik zu machen und welches räumlich stark beschnitten wur- auf diese Weise den Erhalt wenigstens de und dadurch auch größere Objekte des Verbliebenen zu sichern. Auffallend abgeben musste, wie z.B. Skelette ver- ist, dass aus diesen Jahren zahlreiche Be- schiedener Walarten an das Meeresmu- lege für ein überaus lebhaftes soziales seum Stralsund. Massive Konsequenz war Miteinander am Institut existieren. Sowohl ein drastischer Rückgang abgeschlosse- persönliche Erinnerungen von Beteiligten ner zoologischer Qualifikationsarbeiten, als auch die im Instituts-Archiv vorhande- da nur noch eine Diplomandin/ein Diplo- nen „Brigadebücher“ mit ihren Berichten mand pro Jahr ausgebildet werden durfte. und Fotos erweisen, dass im „Real Exi- Während in den 15 Jahren von 1953 bis stierenden Sozialismus“ (O-Ton Walter 1967 im Jahr durchschnittlich 6,2 „arach- Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrats der no-entomologische“ Diplom- oder Dok- DDR 1960-1973) fröhliche Feiern und Ge- torarbeiten fertiggestellt wurden, waren meinschaftsaktivitäten selbstverständliche es in den 22 Jahren von der 3. Hochschul- Elemente des Alltags, auch des Arbeitsle- reform bis zur deutschen Vereinigung nur bens, waren. Die staatliche Unterdrük- noch 1,2 (Müller-Motzfeld 2008). Inner- kung unliebsamer Systemkritik führte halb der „Sektion Biologie“ wurden zwei hier, ähnlich dem Karnevalstreiben seit nominell selbständige zoologische „Fach- der Reaktion im 19. Jahrhundert, in den gebiete“ eingerichtet, das Fachgebiet Ausweg, in Satire und Witz polizeilich un- „Allgemeine Zoologie und Tierphysiolo- bedenkliche und doch befreiende Aus- gie“, vertreten durch Rolf Keilbach, und drucksformen für politisches und soziales das Fachgebiet „Angewandte Zoologie“, Unbehagen zu finden. Am Zoologischen vertreten durch Lothar Kämpfe. Diese Institut und Museum der Ernst-Moritz- Zweiteilung wurde 1977 modifiziert, es Arndt-Universität Greifswald produzierte gab danach innerhalb des „Wissen- ein Autorenteam aus drei „Mittelbauern“ schaftsbereichs Zoologie“ die drei „Lehr- anlässlich des 70. Geburtstags von Rolf gebiete“ „Spezielle und Angewandte Keilbach 1978 eine satirische „Revision Zoologie“, „Allgemeine Zoologie“ und der Familie Zoogryphiswaldidae“ (Abb. „Physiologie der Tiere und des Men- 3, Dokument 9). Die Autoren waren ein schen“ (siehe Abb. 5). „U. Friesistan“ (Uwe Kersten), ein „G. Sachse“ (Gerd Müller-Motzfeld), und ein 12
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 13 „B. Schlesinger“ (Benjamin Meßner). In bracht wurde]. Sie wurden erst durch die diesem Dokument subtiler Auflehnung Masseninvasion der Microgryphiswaldi- heißt es auf S. 1: „.. die Zoogryphiswaldi- dae während der Territorialkämpfe der dae [die ZoologInnen Greifswalds], ein- Dritten Nacheiszeitlichen Reformation aus mal von der Evolution ins Dasein ge- ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten schleudert, vermehrt, verfemt, gespalten verdrängt“. Diese Passage lässt die Aus- und in alle Winde zerstreut, zusammenge- einandersetzungen, Enttäuschungen und drängt und bekämpft, leben noch im- die Verbitterung erahnen, welche die ein- mer!“ (Abb. 3). schneidenden Maßnahmen der 3. Hoch- Über die fiktive Gattung „Nematophi- schulreform begleitet haben. lus“ [die Arbeitsgruppe Lothar Kämpfes, Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die an Nematoden arbeitete] „Vhsr.“ [Vor des Zoologischen Instituts und Museums der Hochschulreform] ist auf S. 63 zu le- und eine Reihe von wissenschaftlichen sen: „Die Arten waren früher typische Gästen wurden als fiktive Arten beschrie- Vertreter der küstennahen Landschaft um ben, die sogar mithilfe eines dichotomen die Zoologische Abteilung Jahnstraße [wo Bestimmungsschlüssels identifiziert wer- das Institut für Mikrobiologie unterge- den konnten. In diesem wurden, wie sich Abb. 3. Die satirische „Revision der Familie Zoogryphiswaldidae“, erstellt 1978. Dokument 9 ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 13
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 14 Abb. 4. Kladogramm der Teilgruppen der Zoogryphiswaldidae und Erklärung der begründen- den Merkmale. aus Dokument 9 das für einen zoologischen Bestimmungs- Trauermücken-Taxonom (Diptera: Sciari- schlüssel gehört, unter anderem auch dae). Sein – unfreiwilliges – Ausscheiden Merkmale des männlichen Kopulations- aus dem Institut 1992 war überschattet apparates benützt (deren Wiedergabe an von Spannungen, in denen sicher persön- dieser Stelle natürlich unstatthaft ist). liche und politische Gründe sich misch- Auch wurde ein tadellos begründetes ten, und die zur Folge hatten, dass er sich Kladogramm präsentiert, das die „phylo- völlig vom Institut abwandte. genetischen“ Beziehungen zwischen den Teilgruppen der Zoogryphiswaldidae Seit der Vereinigung darstellte (Abb. 4). Die Leitungsfunktion übernahm von Nach Lothar Kämpfes Emeritierung 1992 bis 1995 Benjamin Meßner (*1932), 1988 übernahm Werner Mohrig über den es auf S. 42f. der „Revision der (*17.12.1937, †26.4.2019) die Leitung des Zoogryphiswaldidae“ heißt: „Begonnene Instituts. Er war 1975 Dozent und 1980 or- Vorhaben zum ökonomischeren, vielseiti- dentlicher Professor für Zoologie gewor- geren Einsatz als Dozent oder Professor den und arbeitete im Wesentlichen über sind auf Weisung höherer Taxa entspre- immunbiologische Probleme bei Insek- chend §1 der Nationalen Hackordnung ten. Außerdem war er ein erfahrener vorzeitig abgebrochen worden“ (Doku- 14
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 15 ment 9). Abschnitte wie dieser verraten me von Spinnentieren, arbeitete über viel über die damaligen offiziellen Morphologie, Taxonomie und Ökologie Sprachregelungen und ihre Umgehung von Milben, und er führte bodenzoologi- im Alltag. Benjamin Meßner vertrat das sche Projekte durch. Nachdem er 1997 Lehrgebiet „Physiologie der Tiere und Direktor des Instituts geworden war, war des Menschen“, das vor ihm Manfred He- er prägend beteiligt an den folgenden gemann (*5.8.1931, †9.8.2001) innehatte. Berufungen und am Neu-Zuschnitt der in- Der Schwerpunkt seiner empirischen Ar- haltlichen Ausrichtung der Professuren. In beit lag auf der strukturellen und funktio- seine Amtszeit fiel auch die Eingliede- nellen Aufklärung der Plastronatmung rung der Vogelwarte in das Zoologische aquatischer Insekten, vor allem von Institut und Museum. Die Vogelwarte Hid- Schilfkäfern (Chrysomelidae: Donacii- densee war 1936 gegründet und bis 1992 nae). als Teileinheit der Biologischen Station Von 1995 bis 1997 war Gerd Müller- Hiddensee betrieben worden. Die Lei- Motzfeld (*19.7.1941, †24.7.2009) Direk- tung der Vogelwarte wurde 1993 Andreas tor des Zoologischen Instituts und Mu- Helbig (*28.7.1957, †19.10.2005) übertra- seums. Er war von 1978 bis 1992 Kustos gen, die Vogelwarte wurde Einheit des des Museums und wurde 1992 zum Pro- Zoologischen Instituts und Museums. An- fessor ernannt. Er war ein ausgewiesener dreas Helbig hat sich 1997 in Greifswald Kenner der Laufkäfer-Tribus Bembidiini habilitiert, er wurde 2003 zum a.o. Profes- (Coleoptera: Carabidae), aus der er zahl- sor ernannt. Er hat bis zu seinem frühen reiche Arten beschrieb. Er engagierte Tod in erster Linie molekularsystematisch sich intensiv im Naturschutz und war gearbeitet und damit phylogenetische maßgeblich an der Ausarbeitung und Beziehungen zwischen Teiltaxa der Vögel wissenschaftlichen Absicherung der Ro- aufgeklärt. Seit 2006 liegt die Leitung der ten Listen – nicht nur Mecklenburg-Vor- Vogelwarte – nunmehr in Greifswald an- pommerns – beteiligt. Gerd Müller-Motz- gesiedelt – bei Angela Schmitz-Ornés feld war auch nach seiner Pensionierung (*1963) und Martin Haase (*1965), beide noch wissenschaftlich aktiv, publizierte kamen vom Zoologischen Forschungsmu- über Laufkäfer und führte regelmäßig seum Alexander Koenig in Bonn. Wäh- Expeditionen – insgesamt zwölf – mit ei- rend Angela Schmitz-Ornés die freiland- ner Gruppe von Teilnehmern aus ganz biologische Tradition der Vogelwarte Deutschland nach Zentralasien durch fortführt, betreut Martin Haase das Mole- (Klausnitzer et al. 2010). Auf der letzten kularlabor und bearbeitet selbst mit mo- dieser Expeditionen starb er in Kirgistan. lekularsystematischen Methoden die phy- Das Jahr 1995 begründete eine Folge logenetischen Beziehungen von Süßwas- von Berufungen von außerhalb des Insti- serschnecken und deren funktionelle tuts (Abb. 5). Sie begann mit Gerd Alberti Ökologie. (*12.1.1943, †9.11.2016), der aus Heidel- Neben Gerd Alberti wurde eine zwei- berg nach Greifswald kam. Er erforschte te C4 (W3)-Professur – für Physiologie die Ultrastruktur der Reproduktionssyste- und Biochemie der Tiere – eingerichtet; ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 15
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 16 Abb. 5. Direktoren (1973 bis 1995) und Arbeitsgruppen-LeiterInnen (nach 1995) der Greifswal- der Zoologie. Original, angelehnt an Kämpfe & Michalik (2011). sie wurde 1999 mit Jan-Peter Hildebrandt erworben, indem er mit unglaublichem (*1955) besetzt, der aus Saarbrücken Energieeinsatz erreichte, dass die Deut- nach Mecklenburg-Vorpommern zog. In sche Forschungsgemeinschaft seit 2015 seiner Abteilung werden Mechanismen die Research Training Group "Biological adaptiver Wachstums- und Differenzie- RESPONSEs to Novel and Changing En- rungsprozesse tierischer Zellen unter- vironments" in der Fachrichtung Biologie sucht, sowie die Zellphysiologie humaner der Universität Greifswald fördert. Im Atemwegs-Epithelzellen, das Speichel- Rahmen von RESPONSE werden zwölf drüsensystem blutsaugender Kieferegel, einzelne Projekte mit je einer Promo- und die Osmotoleranz der Süßwasser- tionsstelle in zwei Clustern unterstützt schnecke Theodoxus fluviatilis. (siehe Dokument 10). Neben dem Zoolo- Auf eine neu zugeschnittene Profes- gischen Institut und Museum sind auch sur für Tierökologie wurde 2007 Klaus das Institut für Botanik und Landschaftsö- Fischer (*1968) aus Bayreuth berufen. kologie und das Institut für Mikrobiologie Er forschte über den Einfluss unter- beteiligt. Klaus Fischer verließ Greifs- schiedlicher Umwelteinflüsse auf die Ent- wald 2017, um eine Professur an der Uni- wicklung und die Morphologie von versität Koblenz-Landau anzunehmen. Schmetterlingen. Er hat sich bleibende Auf ihn folgte 2019 aus Potsdam kom- Verdienste um die Greifswalder Zoologie mend Alexander Wacker (*1969), der 16
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 17 über Nahrungsökologie und Ökophysio- als „Bodenökologie“ ausgewiesen war logie kleiner Süßwasser-Organismen und 1995-2000 mit Franz Lamparski forscht. (*1944) aus Freiburg im Breisgau besetzt Nach Gerd Müller-Motzfeld übernahm war. Nachdem dieser die Greifswalder Dietmar Schittek (*3.12.1943, †26.11.2016) Zoologie verlassen hatte, wurde die Pro- von 1992 bis 2006 die Kustodie am Zoolo- fessur inhaltlich neu auf „Internationalen gischen Museum, ihm folgte für ein Jahr Naturschutz“ ausgerichtet und 2001 mit Mathias Jaschhof (*1963). Seit 2007 ist Pe- Manfred Niekisch (*1951) besetzt, der ter Michalik (*1976) Stelleninhaber. Sein von der Organisation OroVerde aus Bonn Arbeitsgebiet umfasst u.a. die Taxonomie nach Greifswald kam und 2008 als Direk- und Systematik von Webspinnen und die tor an den Zoologischen Garten in Frank- Morphologie von Reproduktionssystemen furt am Main ging. Die Zuständigkeit die- von Arthropoden sowie die dreidimensio- ser Professur wurde danach für „Ange- nale Rekonstruktion von zoologischen wandte Zoologie und Naturschutz“ ausge- Feinstrukturen. Darüber hinaus trägt er wiesen. Stelleninhaber ist seit 2010 der einen Großteil der Verwaltungsarbeit am aus Lausanne an die Universität Greifs- Institut. wald berufene Gerald Kerth (*1966). Der Auf eine neu eingerichtete Professur Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeit für „Cytologie und Evolutionsbiologie“ liegt auf der Biologie und dem Schutz der wurde 2008 Steffen Harzsch (*1966) aus Fledermäuse in Mitteleuropa und darü- Ulm berufen, der sich wissenschaftlich in ber hinaus. erster Linie mit der Anatomie der Ner- Die zoologischen Arbeitsgruppen sind vensysteme von Arthropoden und ihrer in Greifswald auf zwei Stadtteile konzen- phylogenetischen Bedeutung beschäftigt. triert, zum einen die Abteilung für Physio- Die Objekte seiner Forschung sind haupt- logie und Biochemie der Tiere in der Fe- sächlich Crustacea, unter anderem auch lix-Hausdorff-Straße auf dem Campus die Palmendiebe (Birgus latro) der Weih- „Berthold-Beitz-Platz“, und zum anderen nachtsinsel. die übrigen Bereiche auf dem Campus Als Nachfolgerin von Gerd Alberti ver- „Soldmannstraße“ in der Nähe des Bota- tritt Gabriele Uhl (*1964), die aus Bonn nischen Gartens und des Instituts für Bo- nach Greifswald kam, seit 2009 die „All- tanik und Landschaftsökologie. Dorthin gemeine und Systematische Zoologie“. konnte 2015 das Zoologische Museum in Sie arbeitet über Reproduktionsbiologie eigens umgebaute Räume der vormali- und Evolutionsökologie von Spinnen und gen Kinderklinik ziehen. Im selben Jahr über Arealveränderungen und deren Ur- wurde ein neuerstellter Laborbau über- sachen. Ihrer Abteilung sind die Vogel- geben, und 2017 konnten weitere reno- warte und das Zoologische Museum an- vierte Gebäude bezogen werden, die gegliedert. nunmehr Büros, Werkstätten und Präpara- Aus dem Neuzuschnitt der zoologi- tur beherbergen. Die Greifswalder Zoolo- schen Arbeitsgebiete nach 1995 ging ei- gie bietet seither räumlich und personell ne weitere Professur hervor, die zunächst attraktive und zukunftsträchtige Arbeits- ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 17
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 18 bedingungen, die eine würdige Fortset- zung einer langen und vielfältigen Tradi- tion versprechen. Prominente ehemalige Studenten Die Greifswalder Zoologie hat auch durch ehemalige Studierende in der Ge- schichte der Zoologie Spuren hinterlas- sen, selbst wenn diese Studiosi gar nicht Biologie (oder Naturgeschichte) studiert haben. Vier von ihnen seien hier beispiel- haft vorgestellt. Der Entdecker der Mül- Abb. 6. Gedenktafel am Haus Burgstraße 17 in ler’schen Mimikry, Johann Friedrich (Fritz) Greifswald. Foto: M. Schmitt Theodor Müller (*31.3.1822, † 21.5.1897) hatte während seines Studiums der Na- 1875 eröffnet wurde. Er machte sich nicht turgeschichte an der Universität Berlin nur durch zahlreiche seriöse zoologische zwei Semester – 1842/43 – in Greifswald Studien, z.B. zur Lauterzeugung durch verbracht. Nach seiner Promotion zum Dr. Tiere, einen Namen, sondern auch durch phil. 1844 in Berlin kam er wieder nach seinen Humor und seine volkstümliche, Greifswald und studierte hier 1845-1849 geradezu schrullige Vermittlung wissen- Medizin. Da er sich weigerte, den Promo- schaftliche Inhalte. Er entwarf schon zu tionseid mit der obligatorischen religiö- Lebzeiten sein eigenes Denkmal, das sen Phrase „sicut deus me adjuvet et sa- nach seinem Willen einen Zylinderhut als crosanctum ejus evangelium“ abzulegen Vogelnistkasten trägt (Dokument 11). und ihm daraufhin die Promotion ver- Alexander Koenig (*8.2.1858, wehrt wurde, wanderte er 1852 frustriert †16.7.1940) hatte sich nach gescheiterter nach Brasilien aus. Dort lebte und forsch- Abschlussprüfung 1880 ohne Abitur mit te er in Blumenau, wurde geschätzter „Kleiner Matrikel“ in Greifswald einge- Korrespondenz-Partner von Charles Dar- schrieben und Biologie studiert. Er be- win, und formulierte (wahrscheinlich) als suchte ab Herbst 1880 das Gymnasium Erster die Vermutung, die Beobachtungen am Klinkenberg in Demmin, um dort 1882 über die Ontogenie lieferten Anhalts- das Abitur nachzuholen. In dieser kleinen punkte für die Entschlüsselung der Phylo- Stadt lernte er Margarete Westphal ken- genie. nen, die beiden heirateten 1884, nach- Hermann Landois (*19.4.1835, dem er im selben Jahr sein Rigorosum in †29.1.1905) studierte Zoologie in Münster Zoologie, Botanik, Physik und Philosophie und Greifswald, wo er 1861 promoviert in Marburg abgelegt hatte. Mit dem Geld wurde. In Münster erhielt er 1873 eine seines Vaters Leopold Koenig, des „Zuk- außerordentliche Professur für Zoologie. kerkönigs von Sankt Petersburg“, gründe- Er betrieb dort maßgeblich die Grün- te er 1912 das Zoologische Forschungsin- dung des Zoologischen Gartens, der stitut und Museum (seit 2004: Zoologi- 18
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 19 sches Forschungsmuseum) Alexander Quellen Koenig in Bonn, das heute zu den bedeu- Ungedruckte Quellen: tendsten außeruniversitären zoologischen Dokument 1. Schreiben vom 2.1.1781 und Forschungseinrichtungen Deutschlands 9.1.1781 (Otto meldet sich nochmals zur zählt. Professur der Naturgeschichte und Öko- Ernst Mayr (*5.7.1904, †3.2.2005) kam nomie, Verhandlungen der Fakultät) im 1923 wegen der Vielfalt der Vogelwelt Universitätsarchiv Greifswald, Signatur UAG Phil.Fak. I 19. des Greifswalder Bodden zum Studium Dokument 2. Vorlesungsverzeichnis für das der Medizin nach Greifswald (Haffer Sommer-Halbjahr 1781. Digitale Biblio- 2008). Nach dem Physikum 1925 wech- thek der Universität Greifswald, Identifier. selte er an die Universität Berlin zu Erwin PPN670499889_1782_4, PPN670499889_1787_4 Stresemann und wurde dort 1926 promo- Dokument 3. Vorlesungsverzeichnis für das viert. Er übersiedelte 1931 in die USA, Sommer-Halbjahr 1803. Digitale Biblio- arbeitete am Museum of Comparative thek der Universität Greifswald, Identifier Zoology der Harvard University in Cam- PPN670499889_1803_3 Dokument 4. Vorlesungsverzeichnis für das bridge MA, und wurde mit seinen Publi- Sommer-Halbjahr 1819. Digitale Biblio- kationen zum Artbegriff und zu popula- thek der Universität Greifswald, Identifier tionsbiologischen Grundlagen der Evo- PPN670499889_1819_20_4 lution einer der „Architekten“ der Synthe- Dokument 5. Vorlesungsverzeichnis für das tischen Theorie der Evolution. Er gilt als Sommer-Halbjahr 1805. Digitale Biblio- thek der Universität Greifswald, Identifier der „Darwin des 20. Jahrhunderts“ und PPN670499889_1805_3 wurde 1970 zum Ehrenmitglied der Deut- Dokument 6. Akten Curt Heidermanns im Uni- schen Zoologischen Gesellschaft ernannt. versitätsarchiv Greifswald, Signatur UAG Die von der DZG mitfinanzierte Gedenk- PA 72 Bd. 6. Dokument 7. Vorlesungsverzeichnis 1. tafel am Haus Burgstraße 17 in der Trimester 1940 / 2. Januar bis 21. März. Greifswalder Fleischvorstadt (Abb. 6) legt Digitale Bibliothek der Universität Greif- davon Zeugnis ab. swald, Identifier PPN66403778XTri19401. Dokument 8. Konzeption zur Weiterführung der 3. Hochschulreform an der Ernst-Moritz- Dank Arndt-Universität (1970). Universitätsarchiv Greifswald, Signatur UAG RnF 98 Für kritische Durchsicht des Manu- Dokument 9. Revision der Familie skripts danke ich herzlich Prof. Dr. Lothar Zoogryphiswaldidae (Primates, Ento- Kämpfe und PD Dr. Peter Michalik (beide mophiloidea). 97 pp., Unikat, im Archiv des Zoologischen Instituts und Museums, Greifswald), Frau Marianne Schumann für Greifswald. ihre Hilfe bei der Recherche im Universi- Dokument 10: https://biologie.uni- tätsarchiv Greifswald. greifswald.de/forschung/dfg- graduiertenkollegs/research-training- group-2010/research-projects/ Dokument 11. https://www.lwl.org/marsLWL/de/in- stance/ko/Landois- Hermann.xhtml?oid=1454 ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 19
02_Schmitt_7-20_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 10:24 Seite 20 Gedruckte Quellen Keilbach, R. 1966. Die tierischen Schädlinge Mitteleuropas, mit kurzen Hinweisen auf Haffer, J. 2008. Ornithology, Evolution, and Phi- ihre Bekämpfung. 784 pp., Gustav Fischer, losophy - The Life and Science of Ernst Jena. Mayr 1904-2005. IX +474 pp., Springer, Keilbach, R. 1988. Die Entwicklung der Zoolo- Berlin etc. gie in Greifswald. Wissenschaftliche Kämpfe, L. (ed.) 1980. Evolution und Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Univer- Stammesgeschichte der Organismen. 411 sität Greifswald, Mathematisch-Naturwis- pp., Gustav Fischer, Jena. senschaftliche Reihe 37: 5-10. Kämpfe, L. 2014. Der Mediziner, Zoologe und Klausnitzer, B. 2010. Prof.Dr. Gerd Müller- Forschungsreisende Reinhold Buchholz Motzfeld (19. Juli 1941 - 24. Juli 2009) – (1837-1876) – ein tragisches Schicksal. ein Leben für die Entomologie. Entomolo- Greifswalder Universitätsreden Neue gische Blätter 106: 1-8. Folge 147: 29-46. Müller-Motzfeld, G. 2008. Die Arachno-Ento- Kämpfe, L. & Michalik, P. 2011. 175 Jahre Zoo- mologie in Greifswald. Greifswalder Uni- logie in Greifswald – Ein Rückblick. Greifs- versitätsreden Neue Folge 138: 15-34. walder Universitätsreden Neue Folge Schildmacher, H. 1982. Einführung in die Or- 143:7-27. nithologie. 283 pp., Gustav Fischer, Jena. Kämpfe, L., Kittel, R. & Klapperstück, J. 1955. Trümmel, H. G. (ed.) 2002. Geschichte der Leitfaden der Anatomie der Wirbeltiere. Medizinischen Fakultät von 1456 bis 1713 [5]+251 pp., Deutscher Verlag der Wis- von Christoph Helwig d.J. und das senschaften, Berlin. Dekanatsbuch der Medizinischen Fakultät Keilbach, R. 1956. Chronik des Zoologischen von 1714 bis 1823. Franz Steiner Verlag, Instituts und Museums der Ernst Moritz Stuttgart. Arndt-Universität Greifswald. Pp. 561-570 in: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald. Prof. Dr. Michael Schmitt, Universität Greifswald, Allgemeine & Systematische Zoologie, 17489 Greifswald michael.schmitt@uni-greifswald.de 20
03_Wolf_21-24_03_Penzlin.qxd 10.07.2019 11:26 Seite 21 Laudatio auf Stanislav N. Gorb anlässlich der Verleihung des Karl Ritter von Frisch-Preises 2018 Harald Wolf Mit der Verleihung der Karl Ritter von scher Konstruktionen – die Physik und die Frisch-Medaille 2018 an Stanislav (Stas) Material- und Ingenieurwissenschaften Gorb hat die Deutsche Zoologische Ge- liefern die Werkzeuge zu Analyse und sellschaft eine exzellente Wahl getroffen. Verständnis biomechanischer und bioni- Diese Wahl zeigt zudem die Zoologie als scher Fragestellungen. Vor allem aber eine aktuelle Naturwissenschaft, die bietet die Biologie eine schier uner- grundlegende klassische Bereiche genau schöpfliche Quelle an Inspirationen und so vertritt wie hochmoderne Aspekte und für nahezu jede Fragestellung eine pas- diese produktiv zu verknüpfen versteht. sende Auswahl an Versuchsobjekten. Stanislav Gorb verkörpert diese Verknüp- Bei der Verfolgung seiner Interessen in fung mit seiner Arbeit besonders präg- den Bereichen der Biologie, Biomechanik nant. Er ist zunächst ein klassisch an der und (biologischen) Materialwissenschaft Universität Kiew ausgebildeter Biologe hatte Stanislav Gorb während seiner Zeit und Zoologe, der in Entomologie am als Postdoc mehrere Mentoren, die für ihn Schmalhausen-Institut für Zoologie der noch heute wichtige Diskussionspartner Akademie der Ukraine promoviert hat. sind. Hier sind (in chronologischer Rei- Schon früh im Laufe seiner Karriere hat er henfolge) zu nennen: Leonid Frantsevich sich dabei auch für bionische, ingenieur- am Schmalhausen-Institut für Zoologie in technische und angewandte Aspekte sei- Kiew, Friedrich Barth an der Universität ner Arbeit begeistert, ohne dabei die le- Wien, Uli Schwarz am Max-Planck-Institut benden Organismen – Tiere wie Pflanzen, für Entwicklungsbiologie in Tübingen und und bis heute ganz besonders die Arthro- Martin Fischer an der Universität Jena. An poden – als Quelle seiner Inspiration aus allen vier Institutionen hat Stanislav Gorb dem Blick zu verlieren. neue Arbeitsrichtungen und -methoden Tatsächlich speist sich Stanislav Gorbs kennengelernt, begierig aufgenommen Kreativität offensichtlich in wesentlichen und für seine Fragestellungen genutzt. Vor Punkten aus der Kombination einer soli- allem aber haben ihn alle Mentoren in den klassischen Ausbildung in Biologie seinen Interessen gefördert und ihm die mit Interessen in Physik, Material- und In- notwendige Freiheit für eigenständige genieurwissenschaften. Die Biologie lie- Forschung gegeben. Es erstaunt nicht, fert Arten- und Formenkenntnis und das dass diese Rahmenbedingungen eine gu- Wissen um die ökologische und evolu- te Basis für fruchtbare Zusammenarbeit in tionsbiologische Bedingtheit organismi- den jeweiligen Gruppen waren. Diese po- ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 21
03_Wolf_21-24_03_Penzlin.qxd 10.07.2019 11:26 Seite 22 sitiven Erfahrungen, aber auch der gele- wöhnlichen Spektrum an Publikationsor- gentliche Blick auf weniger gedeihliche ganen deutlich, in denen Stanislav Gorb Situationen haben Stanislav Gorb seiner- und seine Mitarbeiter und Kooperations- seits zu einem guten Mentor werden las- partner ihre Ergebnisse veröffentlichen. sen; ein guter Kooperationspartner war er Dieses Spektrum umfasst das Journal of wohl schon immer. Ich habe selbst erfah- Morphology genauso wie Arthropod ren können, mit welch ansteckender Be- Structure and Development und das Jour- geisterung Stanislav Gorb ein Koopera- nal of Experimental Biology, aber auch tionsprojekt in Angriff nimmt und wie er Soft Matter (Physics), Applied Physics A, seine Mitarbeiter einbezieht. Heutzutage, Physical Review Letters, Bioinspiration in seiner Rolle als Institutsdirektor, ist er and Biomimetics, sowie Nature und PNAS unausweichlich mit vielen, und meist zu – um nur ein paar charakteristische Bei- vielen Aufgaben in der (leider nicht nur) spiele aus seinem mehr als 500 Posten akademischen Selbstverwaltung ausgela- umfassenden Publikationsverzeichnis zu stet. Dennoch gelingt ihm durch bewun- nennen. Zeitschriften wie Plant Physiology dernswertes Zeitmanagement das kon- and Biochemistry, Plant Cell, New Phyto- zentrierte Engagement für seine Arbeits- logist und Journal of Experimental Botany gruppe und die persönliche Betreuung sind dabei besonders erwähnenswert, der Mitarbeiter – und gelegentlich immer denn Stanislav Gorb ist nicht nur an zoo- noch die Durchführung von Experimen- logischen Forschungsobjekten interes- ten. Und er findet sogar immer wieder siert, sondern beschäftigt sich ebenso mit die Zeit für öffentliche Vorträge, um der Oberflächenstrukturen und ihrer Funktion Bevölkerung Wissenschaft nahe zu brin- bei Pflanzen und mit der (biomechani- gen, und für die Mitarbeit in den Editorial schen) Interaktion zwischen Tieren und Boards mehrerer wissenschaftlicher Zeit- Pflanzen. Bei diesen botanischen Themen schriften. wird er wesentlich ergänzt durch die For- Stanislav Gorb ist ein Wissenschaftler, schungstätigkeit seiner Frau Elena Gorb, der ein bemerkenswert breites Spektrum die oft auch bei anderen Themen mitar- an Fachgebieten überblickt und produktiv beitet. Zahlreiche gemeinsame Publika- miteinander verknüpft. Seine Interessen, tionen inklusive eines Buchs zum Thema Forschungs- und Publikationsaktivitäten Samenausbreitung durch Ameisen bele- und das Bemühen um die technische Um- gen die gute Teamarbeit der beiden. setzung biologischer Erkenntnisse rei- Stanislav Gorb ist einer der prominen- chen, wie erwähnt, von der (funktionellen) ten Wissenschaftler, welche die Physik, in Morphologie, den Bereichen der Biophy- seinem Fall insbesondere die Oberflä- sik, Biomechanik und Bionik, über Materi- chenphysik, in den Forschungsbereich alwissenschaften zur Ökologie und Fra- der Biologie eingeführt haben. Seine Ar- gen der Evolutionsforschung – womit sich beiten (und die prominenter, oft eher bo- der Kreis zur funktionellen Morphologie tanisch orientierter Kollegen wie Wilhelm schließt. Diese Arbeitsgebiete werden Barthlott) haben ein eigenes Forschungs- auch in dem für einen Biologen unge- gebiet in der Biologie etabliert und ent- 22
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