Zur Lage in Gaza - Konrad-Adenauer-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. PALÄSTINENSISCHE GEBIETE MARC FRINGS ISRAEL DR. ALEXANDER BRAKEL Zur Lage in Gaza DR. JOACHIM ROTHER EINE PROTESTBEWEGUNG NIMMT KURS AUF DIE ISRAELISCHE GRENZE UND DAS April 2018 MILITÄR REAGIERT MIT GROßER HÄRTE. EINE ZWISCHENBILANZ www.kas.de/ramallah www.kas.de/israel Aktuelle Lage Was fordern die Palästinenser? Seit dem 30. März 2018 finden in Gaza De- Im Vorfeld der Proteste haben die Organisa- monstrationen und Proteste statt. Die Kam- toren Ahmad Abu Rtemah, Salah Abdel Atty pagne wurde von Vertretern der Zivilgesell- und Hasan al-Kurd ihre Forderungen öffent- schaft langfristig vorbereitet und verbindet lich verbreitet: (1) Entwicklung einer neuen zwei wichtige Gedenktage: zum einen den Strategie zur Erreichung der Unabhängig- „Tag des Bodens“, der an die israelische keit, (2) Erinnerung an das Rückkehrrecht Landenteignung von Palästinensern in Gali- der palästinensischen Flüchtlinge und (3) läa am 30. März 1976 erinnert. Bei Unru- Kritik am Kurs der US-Regierung. 2 Insge- hen, die damals einsetzten, wurden sechs samt will man damit die internationale Auf- palästinensische Israelis getötet. Zum ande- merksamkeit zurückgewinnen. 3 ren steuert die Protestbewegung auf den 15. Mai zu, an dem die Palästinenser der In Gaza leben 1,2 der 5,15 Millionen re- Flucht und Vertreibung von etwa 750.000 gistrierten UNRWA-Flüchtlinge. 4 Die Palästi- Palästinenserinnen und Palästinensern in nenser berufen sich auf Resolution 194 der Folge des ersten israelisch-arabischen Krie- VN-Generalversammlung von 1948. Sie ges 1948/49 erinnert (Nakba-Tag, zu sieht ein Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge Deutsch: Katastrophe). Die Israelis dagegen und deren Nachkommen vor, die 1948 aus feiern an diesem Tag ihren Unabhängig- ihrer Heimat flüchteten oder von dort ver- keitstag, der sich in diesem Jahr zum 70. trieben wurden. Wer auf sein Rückkehrrecht Mal jährt. Die Feierlichkeiten nimmt die US- verzichtet solle entschädigt werden. Im Ge- Regierung zum Anlass, um am 14. Mai die spräch betonen zwei der Organisatoren, US-Botschaft in Jerusalem zu eröffnen. dass das Rückkehrrecht genutzt wird, um Druck auf Israel auszuüben: Man erwarte Die 45 Tage, über die der Protest sich er- die Einhaltung des Völkerrechts und eine strecken soll, stehen unter der Überschrift Verbesserung der Lebensbedingungen. Des- „Großer Marsch der Rückkehr“. Israel hat in halb gelte auch die internationale Staaten- den vergangenen zwei Wochen mit großer gemeinschaft als Adressatin des Protests. 5 Härte auf die Proteste an der Grenze rea- giert – zur Empörung vieler internationaler Beobachter. Bislang wurden ca. 30 Palästi- nenser getötet und über 2.000 verletzt. 1 2 Hana Salah, Gazans hope protests lead to change as border clashes turn deadly, Al-Monitor, 06.04.2018 [https://bit.ly/2GSVgGR]. 3 Telefoninterview (Frings) mit Ramez Ghoul, 12.04.2018. 4 Ahmad Abu Rtemah, With the Great Return March, Palestinians Are Demanding a Life in Dignity, The Na- tion, 06.04.2018, [https://bit.ly/2EoYuje]. 1 5 Zahlen des PA-Gesundheitsministeriums; Telefonin- Skype-Interview (Frings) mit den Protestorganisato- terview (Frings) mit Ramez Ghoul (al-Jazeera, Gaza), ren Salah Abdel Atty/Isam Hammad (Gaza), 12.04.2018. 12.04.2018.
2 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Alle Organisatoren betonen, dass ihre Be- Verhandlungstisch gehe. Stattdessen wer- wegung Gewalt ablehne und an die Israelis den der Osloer Friedensprozess und die PLO P A L Ä S T I N E N S I S C H E G E B I E T E die Botschaft sende wolle, gemeinsam mit abgelehnt und eine Rückkehr in die „Hei- 6 MARC FRINGS ihnen in Frieden leben zu wollen. Zugleich mat“ gefordert. 10 Auch das online-Journal wolle man in Verhandlungen eine gerechte Rai al-Youm betont, dass Hamas, Islami- ISRAEL Lösung für die Flüchtlingsfrage finden. Ein scher Jihad und die säkulare PFLP eine Front DR. ALEXANDER BRAKEL Leben in Würde und ein Ende des Leids gegen die Fatah bildeten, um gemeinsam 7 DR. JOACHIM ROTHER stünden laut Organisatoren im Mittelpunkt. eine Revolution gegen die Autonomiebehör- Die Proteste sollten in sicherer Entfernung de voranzutreiben. 11 Im Gegensatz dazu April 2018 von der israelischen Grenzanlage stattfin- spricht der Hamas-Chef in Gaza Sinwar da- den; ein Eindringen in das israelische Terri- von, den Sperrzaun zu durchbrechen und in www.kas.de/ramallah torium sei weiterhin nicht beabsichtigt. israelisches Kerngebiet vorzudringen. 12 www.kas.de/israel Während zunächst (30. März) 30.000 und Tausende Menschen an Israels Grenze eine Woche später (6. April) bis zu 20.000 Palästinenser friedlich und in sicherer Dis- Die schiere Masse an Menschen vor den ei- tanz zur Pufferzone vor der israelischen genen Toren stellt für Israel ein Problem Grenzanlage demonstrierten, fokussierte enormen Ausmaßes dar. Dem Staat geht es sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf we- vor allem um den Schutz der eigenen Au- nige gewaltbereite Demonstranten und auf ßengrenzen. Unerheblich ist dabei zunächst, den Umstand, dass Hamas die Demonstrati- ob die Demonstranten ihrer Forderung mit on für eigene Anliegen instrumentalisierte. Gewalt Ausdruck verleihen oder nicht. Eine Zwar veränderte sich dadurch nicht das etwaige Öffnung der Grenzen von Gaza Vorgehen der mehrheitlich friedlichen De- nach Israel und ein Zustrom von rund 2 Mil- monstranten, aber die Hamas-Beteiligung lionen in Gaza lebenden Palästinensern ist erschwerte eine positive Darstellung des für Israel keine Option. Ein Bevölkerungs- Protests. 8 Lediglich zwei der 20 Organisato- zuwachs um 25 % würde das gut 8,3 Millio- ren gelten als Hamas-nah, während grund- nen Bewohner fassende Israel zweifelsohne sätzlich alle politischen Bewegungen den überfordern. Protest rhetorisch unterstützen. Einzig Ha- mas setzte dieses Bekenntnis in Taten um Israels Sicherheitsbedenken: die Furcht und leistete umfassende logistische Hilfe. vor Anschlägen Wie die islamistische Bewegung insgesamt Hinzu kommen Sicherheitsbedenken. Die in zu den Protesten steht, ist unklar. Ein als Gaza herrschende Hamas vertritt erklärter- moderat geltender Hamas-Vertreter äußerte maßen das Ziel, Israel zu vernichten. Der sich in der englischsprachigen Presse zu- letzte Krieg mit der Terrororganisation ist rückhaltend: „Niemand spricht davon, die gerade vier Jahre her. Die Hamas hatte im Grenze zu übertreten.“ 9 Dem gegenüber Juli und August 2014 mehrere tausend Ra- stehen Meinungsartikel in arabischen Medi- keten auf israelisches Gebiet abgefeuert, en. So schreibt Issam Shawer in der Ha- das israelische Militär hatte mit zahlreichen mas-nahen Zeitung Filistin, dass es den Is- lamisten nicht um eine Rückkehr an den 10 Issam Shawer, Unser Ziel ist die Rückkehr in das Land, nicht die Rückkehr an den Verhandlungstisch, 6 Ebd.; Rami Younis, Gaza ‚Return March’ organizer: al-Filistin, 02.04.2018 [https://bit.ly/2Hc7bmx]. 11 ‚We’ll ensure it doesn’t escalate to violence – on our O.N., Der Marsch der Rückkehr korrigiert die paläs- end’, +972, 27.03.2018 [https://bit.ly/2GB1bU2]. tinensische Strategie, Rai al-Youm 03.04.2018 7 Rami Younis, +972, 27.03.2018. [https://bit.ly/2Hz3tRL]. 8 12 Zum Verhältnis friedliche Demonstran- „They have affirmed that their destination will be in ten/gewaltbereite Aktivisten: David M. Halbfinger, the direction of those borders in order to remove them Though Deadly, Gaza Protests Draw Attention and and implement the right of return and our people's Enthusiasm, The New York Times, 07.04.2018 permanent positions that cannot be conceded," so der [https://nyti.ms/2H7oPrk]. Wortlaut von Yahya Sinwar, Führer der Hamas in Ga- 9 Nir Gontarz: Senior Hamas official: ‚I think that we za, 6. April 2018, wiedergegeben nach N.A., Hamas can all live here in this land – Muslims, Christians and Chief: We will remove the borders and implement the Jews’ (Interview mit Ahmed Yousef), Haaretz, right of Return, Jerusalem Post, 06.04.2018 28.03.2018 [https://bit.ly/2GUH9S3]. [https://bit.ly/2GP51K2].
3 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Gegenschlägen geantwortet. Die rund ein- Kämpfer des militärischen Arms der Hamas einhalb Monate andauernden Kampfhand- mischen, die im Schutz der Rauchsäulen P A L Ä S T I N E N S I S C H E G E B I E T E lungen kosteten etwa 2.100 Menschen das und Zivilisten Sprengvorrichtungen am MARC FRINGS Leben, die meisten davon (ca. 2.000) auf Zaun anbringen, rechtfertigt nach Meinung palästinensischer Seite, darunter auch viele vieler Israelis folglich das äußerst harte ISRAEL Zivilisten. Nun nimmt die Hamas für sich in Vorgehen israelischer Militärs. DR. ALEXANDER BRAKEL Anspruch, die aktuellen Protestwelle ent- DR. JOACHIM ROTHER scheidend mitzuverantworten: „Es gibt kei- Das israelische Dilemma: Rückkehrrecht nen Kompromiss zu Jerusalem“, verkündete und jüdischer Staat April 2018 der Chefs des Politbüros der Hamas, Ismael Hanija, „keine Alternative zu Palästina und Die Intensität der Debatte und der Reaktio- www.kas.de/ramallah keine andere Lösung als die Rückkehr“. nen in Israel auf den „Marsch der Rückkehr“ www.kas.de/israel Dass Hanija damit das aus israelischer Sicht werden darüber hinaus entscheidend von Unmögliche, nämlich die Auflösung eines der eingangs erläuterten Diskussion um das jüdischen Staates zugunsten der Schaffung Rückkehrrecht befeuert. Grundlage der einer palästinensischen Entität fordert, dürf- Problemstellung bildet dabei das Selbstver- te Kalkül sein. Sollte der Sperrzaun zwi- ständnis Israels als jüdischer Staat. Sollte schen Gaza und Israel also durchbrochen es im Rahmen einer zukünftigen Friedenslö- werden, so befürchten israelische Sicher- sung zur Rückkehr der Nachkommen der heitskreise, bestünde Grund zu der Annah- Palästinaflüchtlinge von 1948 kommen – me, dass die Grenzübertritte von einem Teil ihre Zahl beläuft sich auf derzeit ca. 5,1 Mil- der Aktivisten für Terroranschläge genutzt lionen registrierte Flüchtlinge der UNRWA 14 würden. Im letzten Gaza-Krieg hatte die – dann würde dies bei rund 6,1 Millionen Hamas wiederholt Versuche unternommen, jüdischen Israelis eine jüdische Mehrheit Geiseln zu nehmen und in die Küstenregion und damit besagten jüdischen Charakter zu verschleppen. Mit Grenzorten wie Sderot des Staates nachhaltig verändern. Aus die- oder Yad Mordechai in unmittelbarer Nach- sem Grund war das Thema bei allen bisheri- barschaft des Gazastreifens vermögen is- gen Regierungen Israels ein rotes Tuch, bei raelisches Militär und Grenzpolizei einen dem sie zu keinerlei Zugeständnissen bereit vollständigen Schutz der Zivilbevölkerung waren und sind. Die Forderung nach Rück- bei Durchbrechen des Zaunes nicht zu ga- kehr der Demonstranten im Rahmen des rantieren. Ein solcher Kontrollverlust der gleichnamigen Marsches ist für Israel unan- Sicherheitskräfte gilt als Israels größte Sor- nehmbar. ge. Diesem versucht man vorzubeugen. Einordnung des israelischen Vorgehens Der Umstand, dass die Hamas es geschafft und Reaktionen hat, sich die Führung der Demonstrationen in der Wahrnehmung Israels anzueignen Als erste Reaktion auf die Protestankündi- und nun als Vertreter der palästinensischen gungen hatte Israel zunächst mit der Verle- Sache aufzutreten, vereinfacht den Sach- gung von rund 100 Scharfschützen ver- verhalt aus israelischer Sicht erheblich. schiedener Sondereinheiten und der Auf- Denn durch die Einmischung der Terroror- schüttung von Erdbarrikaden entlang des ganisation gelten die Demonstrationen aus Gazastreifens reagiert. Das Militär forderte Sicht des israelischen Militärs nicht länger die Demonstranten auf, die um den Grenz- als zivil und friedlich, und niemand in Israel zaun bestehenden Sperrzone einzuhalten. bestreitet, dass man sich gegen Angriffe ei- Sollten dennoch Versuche unternommen ner solchen Organisation schützen muss. 13 werden, den Grenzzaun zu überwinden, so Dass sich unter die vielen friedliche De- monstranten offensichtlich bewaffnete 13 IDF Tweet, 30.03.2018: „Hamas is responsible for violent riots and everything taking place under its ju- 14 risdiction. The IDF will not allow the security fence to Laut offiziellen UN-Angaben: be turned into an area of terror” https://www.unrwa.org/where-we-work
4 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. die Anweisung des israelischen Militärs, dür- lange auf sich warten. Verteidigungsminister fe scharfe Munition eingesetzt werden. 15 Avigdor Lieberman attackierte die Oppositi- PALÄSTINENSISCHE GEBIETE onspolitikerin scharf und beschuldigte sie, MARC FRINGS Trotz der Ankündigungen war das Resultat palästinensische Interessen zu vertreten. des ersten Protesttages erschütternd: 15 Jedwede Versuche, die Todesfälle an der ISRAEL Tote und knapp 1400 verletzte Demonstran- Grenze durch einen Untersuchungsaus- DR. ALEXANDER BRAKEL ten. 16 Tags darauf präsentierte das israeli- schuss zu prüfen, werde man bekämpfen. DR. JOACHIM ROTHER sche Militär Hinweise, wonach mindestens Dies zu fordern sei Heuchelei. 20 Ayelet 10 der 15 Opfer namentlich bekannte Mit- Nahmias-Verbin, Abgeordnete der Zionisti- April 2018 glieder von Terrororganisationen gewesen schen Union, warf Zandberg die „Delegiti- seien. 17 Anlässlich des zweiten Protesttages mierung von IDF-Soldaten vor.“ Ähnlich www.kas.de/ramallah (6. April) wuchs die Zahl der Todesopfer auf schützend stellten sich viele weitere führen- www.kas.de/israel mindestens 29 an. Israelischen Angaben de Personen vor das israelische Militär. zufolge reagiert das Militär damit auf weite- re Durchbruchsversuche seitens der De- Weiteren Zündstoff erhielt die Diskussion monstranten und auf den kontinuierlichen über die Verhältnismäßigkeit der Gewaltan- Angriff mit Steinen und Brandbomben. Die wendung durch ein Video, das am 8. April Angaben beider Seiten sind in diesem Kon- im Internet lanciert wurde. Die Aufnahmen text nicht stichhaltig zu überprüfen. Der zeigen einen palästinensischen Jugendlichen Eindruck bleibt, dass die Zahlen angesichts hinter dem Grenzzaun in Gaza, der, beglei- der verhältnismäßigen Kürze der Proteste tet von Anfeuerungsrufen israelischer Sol- unverhältnismäßig hoch erscheinen. daten, vom Schuss eines IDF- Scharfschützen getroffen wird. 21 Das israe- Angesichts dieser Opferzahlen mahnten in- lische Militär gab an, die Aufnahmen seien ternationale Akteure, darunter die Vereinten bereits mehrere Monate alt und hätten mit Nationen, die Europäische Union und die den gegenwärtigen Protesten nichts zu deutsche Bundesregierung, zu Besonnenheit tun. 22 Zahlreiche führende Politiker, zuvor- und forderten eine Aufklärung der tödlichen derst Bildungsminister Naftali Bennett, mel- Vorfälle. Derartigen Forderungen steht man deten sich nach Bekanntwerden des Clips zu in Israel selbst jedoch großteils kritisch ge- Wort. Es sei sehr einfach in Tel Aviv vor sei- genüber. Lediglich Tamar Zandberg, Vorsit- nem Fernseher zu sitzen und Urteile zu fäl- zende der linken Oppositionspartei Meretz, len, während die Soldaten „damit beschäf- sah bisher die Notwendigkeit zu unabhängi- tigt sind, unsere Grenzen zu schützen.“ 23 gen Untersuchungen der Todesfälle an der Der Likud-Abgeordnete Oren Hazan formu- Grenze. Die „schießwütige Politik“ 18 israeli- lierte es drastischer: „Wir haben es davor scher Soldaten dürfe nicht die Norm wer- gesagt: jeder der sich der Grenze nähert, den, so Zandberg. Die Menschenrechtsor- bewaffnet oder nicht, kriegt eine verpasst.“ ganisation B‘Tselem rief Soldaten des IDF Das sei eine „klare Botschaft an die andere dazu auf, Schießbefehle auf unbewaffnete Seite.“ 24 Andere Knesset-Mitglieder räumten Zivilisten zu verweigern. 19 Gegenreaktionen ein, dass das Video schwer zu ertragen sei, aller politischen Richtungen ließen nicht so zum Beispiel der rechtskonservative 15 Alex Fishman, Yossi Yehoshua, Eisenkot says Israel 20 deployed 100 sharpshooters on Gaza border for Pales- N.A., Israeli Defense Chief Accuses Left-wing Meretz tinian protests, YnetNews, 28.03.2018 of ‘Representing Palestinian Interests’ , Haaretz, [https://bit.ly/2GVVUmK]. 01.04.2018 [https://bit.ly/2GOZGlX]. 16 21 Khaled Abu Toameh, Abbas says Israel fully to Yaniv Kubovich, Video Shows Motionless Palestinian blame as death toll in Gaza clashes rises to 15, Times Shot by Israeli Sniper to Sound of Soldiers' Cheers, of Israel, 30.03.2018 [https://bit.ly/2GSWK82]. Haaretz, 09.04.2018 [https://bit.ly/2HdBHMS]. 17 22 Ari Judah Gross, IDF: At least 10 of the 15 killed at IDF Tweet: „Regarding the short video showing the Gaza border were members of terror groups, Times of soldiers on the Gaza Strip border – this appears to be Israel, 31.3.2018 [https://bit.ly/2GLM36m]. an incident which took place several months ago. The 18 Moran Azulay, Meretz leader Zandberg calls for in- incident will be investigated and examined in a thor- quiry into Gaza border deaths, YnetNews, 31.03.2018 ough manner.” 23 [https://bit.ly/2GOIehu] N.A., Israeli Ministers Defend Soldiers Filmed Chee- 19 B’tselem, Why Israeli soldiers must refuse to fire at ring in Sniper Video, Haaretz, 10.04.2018 unarmed Palestinian protesters, 03.04.2018 [https://bit.ly/2qjhprp]. 24 [https://bit.ly/2Ivyyoj]. Ebd.
5 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Likud-Politiker Yehuda Glick. Die Aufnahmen Ausbruch von Seuchen. 30 Verschärft wird 25 seien „verstörend und enttäuschend“. die Lage aufgrund der unsicheren Finanzie- PALÄSTINENSISCHE GEBIETE rungslage von UNRWA. Das Flüchtlings- MARC FRINGS Bereits zwei Tage zuvor hatte der Tod des hilfswerk übernimmt staatsähnliche Dienst- palästinensischen Journalisten Yaser Mur- leistungen für Flüchtlinge: 272.000 Schüle- ISRAEL taja national wie international für einen Auf- rinnen und Schüler besuchen ihre Schulen, DR. ALEXANDER BRAKEL schrei gesorgt. 26 Auch er scheint nach der- während nur 90.000 Kinder Schulen der Au- DR. JOACHIM ROTHER zeitigem Stand, trotz gut sichtbarer Weste tonomiebehörde besuchen. Die Hilfe kann mit der Aufschrift „Press“, durch einen is- für die zweite Jahreshälfte derzeit nicht ga- April 2018 raelischen Scharfschützen getötet worden rantiert werden, weil die USA ihre Finanzzu- zu sein. Das IDF hatte diese Angaben zu- sagen reduziert haben und UNRWA darauf- www.kas.de/ramallah nächst mit dem Hinweis zurückgewiesen, hin mit einem Defizit von einem Drittel des www.kas.de/israel Murtaja sei weithin bekanntes Hamas- jährlichen Gesamthaushalts in das Jahr Mitglied gewesen. Lieberman bekräftigte 2018 gestartet ist. 31 Insgesamt ergibt sich diese Behauptung mehrfach. 27 Überhaupt heute ein noch düstereres Bild als 2015, als gebe „es keine unschuldigen Menschen in die Vereinten Nationen warnten, Gaza kön- Gaza“, so der Minister. 28 Wie auch im Falle ne bis 2020 unbewohnbar werden. 32 des o. g. Videos, und einiger Todesfälle am Grenzzaun, hat das Militär mittlerweile un- Spaltung zwischen Fatah und Hamas: abhängige Untersuchungen angekündigt. Umdenken bei der Hamas Humanitäre Krise in Gaza Um die Spaltung zwischen Fatah und Hamas zu überwinden, wurde im vergangenen Für die Menschen in Gaza ist der Protest ei- Herbst ein sechster Anlauf zur nationalen ne willkommene Chance, ihren Unmut zu Aussöhnung unternommen. Die ägyptische artikulieren. Sie sieht sich in Geiselhaft für Initiative löste zunächst Optimismus aus, ist die Verantwortungslosigkeit ihrer eigenen aber zwischenzeitlich einer Resignation ge- Führung(en) genommen. Zudem steht sie wichen. Solange die Hamas-Milizen nicht unter einer Blockade, die seit elf Jahren von entwaffnet werden, wird es aus Sicht der Israel und Ägypten aus Sicherheitsgründen Fatah keine Perspektive auf Annäherung aufrechterhalten wird. Die Grenze zum Sinai geben können. Zentrale Themen einer mög- war 2017 an nur 36 Tagen geöffnet. 29 lichen Versöhnung, zu der auch Gehaltszah- lungen von Hamas-Beamten gehören, wur- Folglich sind mehrere Akteure – vor allem den bislang nicht diskutiert. 33 Israel, Ägypten, Hamas und Fatah – für die humanitäre Krise verantwortlich: 80 Prozent Das Auseinandertriften hat zuletzt spürbar der Menschen sind auf ausländische Hilfe zugenommen: für einen gescheiterten At- angewiesen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 48 tentatsversuch auf Ministerpräsident Rami Prozent, Strom ist Mangelware und die defi- Hamdalla und den Chef der Sicherheitskräf- zitäre Wasserversorgung befördert den te Majed Faraj am 13. März 2018 machte Abbas öffentlich die Hamas verantwortlich, obgleich bis heute die Hintergründe nicht 25 Ebd. aufgearbeitet sind. 34 Bereits im vergange- 26 Siehe z.B. Loveday Morris, Hazem Balousha, Israel nen Jahr sanktionierte die Autonomiebehör- says slain journalist was a Hamas spy. The U.S. had just approved a grant for his company, Washington Post, 10.04.2018 [https://wapo.st/2EEs04H]; Reu- ters, Staff, Palestinian journalist killed in Israel-Gaza protests, Reuters, 07.04.2018 30 [https://reut.rs/2GUmAVc]. Shira Efron, Gaza on the Brink, U.S.NEWS, 27 Matan Tzuri, Lieberman: Slain Gaza reporter was 05.03.2018 [https://t.co/4r4uPoRYB9]. 31 Hamas militant, YnetNews, 11.04.2018 Interview (Frings) mit Matthias Schmale, UNRWA- [https://bit.ly/2qohwBa]. Direktor Gaza, 28.02.2018, Gaza-Stadt. 28 32 Tovah Lazaroff, ‘There are no innocents in Gaza’, United Nations (2012): Gaza in 2020: a liveable says Israeli Defense minister, Jerusalem Post, place? [https://bit.ly/2pSW9u1]. 33 08.04.0218 [https://bit.ly/2qpYbQT]. Interview (Frings) mit einem Fatah-Vertreter, der 29 In dieser Zeit haben 35.000 Personen die Grenze an den Verhandlungen teilnimmt, 12.03.2018, Ramal- (beide Richtungen) passiert. Vgl. Ocha Ost-Jerusalem lah. 34 [https://bit.ly/2k3q2Gp]. Vgl. Ahmad Abu Rtemah, the Nation, 06.04.2018.
6 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. de die Islamisten, wobei in der Folge nur aber für die islamistische Organisation – das Leid unter der Bevölkerung zunahm. 35 und deren Wahrnehmung vor Ort – eine 180 PALÄSTINENSISCHE GEBIETE Grad-Wende. Aus Hamas-Kreisen wird ver- MARC FRINGS Obgleich die Mehrheit Abbas und dessen lautet, man unternehme alles, um die Ge- Fatah-Bewegung für die verfahrene Lage waltfreiheit der Proteste zu erhalten. 39 Dies ISRAEL verantwortlich macht, muss sich Hamas um steht im Widerspruch zu entsprechenden DR. ALEXANDER BRAKEL gesellschaftliche Akzeptanz bemühen. Des- Gewaltbildern, die in Israel verbreitet wer- DR. JOACHIM ROTHER halb erscheint es nur konsequent, dass sie den und der Hamas zugeschrieben werden. auf den fahrenden Zug gesprungen ist, um Solange aber keine klare militärische Gewalt April 2018 die Demonstrationen logistisch und ideell zu von der Hamas ausgeht, bleibt der Charak- unterstützen. Bereits nach dem ersten Pro- ter des Protests zivil. www.kas.de/ramallah testwochenende feierte sie sich als Gewin- www.kas.de/israel nerin der Unruhen, weil sie sich solidarisch Das Momentum wird bleiben an der Seite der Menschen zeigte. So lenkt sie geschickt von ihrem eigenen Versagen Die Proteste der vergangenen Wochen wer- ab und dirigiert die Frustration an die Ad- den von der Jugend – und der Breite der ressen Israels und der Fatah. In Gaza selbst Gesellschaft – im Gazastreifen getragen. 70 herrscht die Stimmung, dass die Hamas ei- Prozent der Menschen sind 29 Jahre oder ne von vielen politischen Bewegungen und jünger. Für das Gros dieser Palästinenser folglich auch Teil des nationalen Wider- hat sich das gesamte Leben in dem 365 stands ist. 36 Die Organisatoren wollen die Quadratkilometer kleinen Landsegment ab- Demonstrationen erst erst ruhen lassen, gespielt. Insofern wäre es zu kurz gegriffen, wenn ein Palästinenserstaat in den Grenzen die Protestteilnehmer auf die Rolle einer wil- 37 von 1967 entsteht. ligen Proteststaffage der Hamas zu reduzie- ren: „Die Jugend tanzt nicht nach der Pfeife Während die Fatah zwischen Machterhalt der Hamas, sondern kommt aus freien Stü- der Abbas-Clique und internen Spaltungser- cken“, kommentiert der Analyst Mohammad scheinungen mäandert, geht die Hamas in Shahada. 40 Die Demonstrationen sind somit ihrer strategischen Profilierung weiter: nach auch Ausdruck der politischen und biogra- (scheinbaren) ideologischen und (tatsächli- phischen Perspektivlosigkeit, die die junge chen) personellen Erneuerungen im vergan- Generation eint. Insofern bleibt der Protest- genen Jahr, behauptet sie nun, erstmals auf zug ein nationales Anliegen, markiert durch den bewaffneten Kampf gegen Israel zu palästinensische Flaggen, während die typi- verzichten. Damit reagiert man – zumindest schen grünen und gelben Banner von Ha- für den Augenblick – auf die Kriegsmüdig- mas und Fatah fehlen. 41 Die Organisatoren keit der Bevölkerung, die seit 2008 Opfer hoffen so, zur Überwindung der politischen dreier Kriege geworden ist. 38 Spaltung beizutragen. 42 Stattdessen inkorporiert sie den „zivilen Wi- Ein weiterer Faktor, der die Menschen han- derstand“. Dass dabei brennende Autorei- deln lässt, ist die mangelnde arabische Soli- fen, Steinschleudern und explosives Material darität. Derzeit geht eine Mehrheit davon zum Einsatz kommen, ist aus ausländischer aus, dass die Palästina-Frage für die Arabi- Beobachterperspektive irritierend, bedeutet sche Liga keine Relevanz hat. Bestätigt wurde dieser Eindruck von einem Interview des saudischen Kronprinzen Mohammad bin 35 Zuletzt (April 2018) wurden keine Gehaltszahlungen Salam mit The Atlantic. Aus palästinensi- mehr übernommen. Ob der Geldtransfer erspätet er- folgt oder ausbleibt, ist derzeit unklar. Vgl. O.N., As scher Perspektive hat er zu Israel/Palästina Fatah-Hamas feud deepens, PA withholds salaries from workers in Gaza, Times of Israel, 09.04.2018 [https://bit.ly/2HfQdUc]. 36 39 Telefoninterview (Frings) mit Ramez Ghoul, Muhammad Shehada, Marching in Gaza, my brother 12.04.2018. risks death – to feel free, Haaretz, 09.04.2018 37 Skype-Interview (Frings) mit den Protestorganisato- [https://bit.ly/2v5bgE5]. 40 ren Salah Abdel Atty/Isam Hammad (Gaza), Muhammad Shehada, Haaretz, 09.04.2018. 41 12.04.2018. Skype-Interview (Frings) mit den Protestorganisato- 38 Telefoninterview (Frings) mit Ramez Ghoul. ren, 12.04.2018. 42 12.04.2018. Ebd.
7 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. nichts Neues gesagt. Er erinnerte lediglich Israel. Und auch aus Perspektive Israels an die 16 Jahre alte Arabische Friedensiniti- sind Zeichen der Entspannung derzeit nicht P A L Ä S T I N E N S I S C H E G E B I E T E ative, die Israel diplomatische Anerkennung in Sicht. Israel wird weiter, wie Premiermi- MARC FRINGS seitens der Araber in Aussicht stellt, sollte nister Benjamin Netanjahu es formuliert es zuvor gelingen, einen unabhängigen hat, „mit Entschlossenheit handeln, um sei- ISRAEL Staat Palästina auszurufen. Indes über- ne Souveränität und die Sicherheit seiner DR. ALEXANDER BRAKEL raschte die Taktung dieser erneuerten Of- Bürger zu schützen.“ 45 DR. JOACHIM ROTHER ferte: das Interview erschien nur wenige Tage nach den tödlichsten Zwischenfällen April 2018 auf palästinensischem Boden seit vier Jah- ren. 43 Der empfundene Mangel arabischer www.kas.de/ramallah Solidarität hat schon in der Vergangenheit www.kas.de/israel palästinensische Proteste befeuert. Er ist somit nicht ursächlich, aber trägt nicht un- erheblich zu den Unruhen bei. Dabei beschränkt man sich nicht allein auf die Palästinenser außerhalb Gazas: 44 Poli- tisch wird man darauf setzen, dass die Pro- teste den Handelnden in Ramallah und Kairo das Erfordernis eines tragbaren Versöh- nungsabkommen vor Augen zu führen. Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht Obwohl die Proteste von Gaza ausgehen, erlebte das Westjordanland bereits einen kollektiven Tag der Trauer (31. März) und vereinzelte Solidaritätsdemonstrationen am zweiten Protestwochenende. Die Wahr- scheinlichkeit, dass auch die übrigen Teile der Palästinensischen Gebiete zur Bühne von Ausschreitungen werden, steigt mit dem Eskalationspotenzial der kommenden Wochen, den Vernetzungsfähigkeiten der Organisatoren und dem gerade wachsenden Eindruck, die Palästinenser werden zur Ziel- scheibe unverhältnismäßiger israelischer Gewalt. Mit einer Fortsetzung der Proteste stellt man in Gaza sicher, dass die Entschei- dungsträger in Ramallah (und Kairo) das Erfordernis eines tragbaren Versöhnungsab- kommens nicht aus dem Blick verlieren. Die israelischen Sicherheitskräfte dagegen wappnen sich dieser Tage ihrerseits für die neuerlich bevorstehenden Freitagsdemonst- rationen an der Grenze zwischen Gaza und 43 Das Interview mit Mohammad bin Salam ist online abrufbar, The Atlantic, 02.04.2018 [https://theatln.tc/2GQv2J9]. 44 45 Rami Younis, Gaza ‚Return March’ organizer: ‚We’ll Staff, Toi, Netanyahu hails troops on Gaza border, ensure it doesn’t escalate to violence – on our end’, says Israel acts firmly to defend itself, Times of Israel, +972, 27.03.2018 [https://bit.ly/2GB1bU2]. 31.03.2018, [https://bit.ly/2GQYQVO]
Sie können auch lesen