Zur Person: Justus-Liebig-Universität Gießen

Die Seite wird erstellt Hortensia-Pia Krieger
 
WEITER LESEN
Zur Person: Justus-Liebig-Universität Gießen
Otto Frank und die Faszination der High-Tech-Kreislaufphysiologie

 Ergänzungsmaterial zum Physiologie-Praktikum (zusammengestellt von Prof. Dr. K.-D. Schlüter)

Zur Person:

                                      Friedrich Wilhelm Ferdinand Otto Frank (Bild 1) wurde in Groß-Umstadt (Landkreis
                                      Darmstadt-Dieburg) in Hessen geboren. Er besuchte dort die Grundschule und ging danach
                                      auf das Gymnasium in der Nachbarstadt Darmstadt.
                                      1884 begann er in München Medizin zu studieren. Nach einem zweisemestrigen Zwischen-
                                      aufenthalt in Kiel beendet er dort sein Medizinstudium 1889.
                                      Nach Abschluss seines Medizinstudiums studierte er in den beiden folgenden Jahren
                                      Naturwissenschaft. Das erste Semester studierte er bei Robert Bunsen (*1811 †1899) in
                                      Heidelberg und arbeitet danach in Glasgow (Schottland) als Chemiker.
                                      1890 kehrte er nach München zurück in das Labor für organische Chemie, das von Adolf
                                      von Baeyer (*1835 †1917) geleitet wurde. Zusätzlich lernte er im Labor von Karl Kupffer
                                      im anatomischen Institut histologische Färbetechniken. 1890 wechselte er nach Straßburg im
                                      Elsass und studierte Experimentalphysik im Labor von Friedrich Kohlrausch. In Straßburg
  Bild 1                              interessierte ihn auch Zoologie und Mathematik. Er war also in Chemie, Physik, Mathematik
                                      und Histologie sehr gut ausgebildet als er 1891 eine Einladung an das Physiologische Institut
  Otto Frank
                                      in Leipzig annahm, das von Carl Ludwig (*1816 †1895) geleitet wurde.
  (*1895 †1944)

  Otto Frank sollte sich damit beschäftigen zu untersuchen wie Fett im Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird. Er fand heraus, dass
  Fettsäuren dazu vor der Resorption aufgespalten werden. Auch startete er dort erste Experimente am isolierten Froschherz für die
  er später berühmt werden sollte. 1894 verließ er Leipzig und ging wieder zurück nach München, diesmal an das Physiologische
  Institut, das von Carl von Voit (*1831 †1918) geleitet wurde.
  Offenbar geriet er mit seinem Doktorvater Carl Ludwig in Konflikt bei der Anwendung mathematischer Analysen seiner Experimente.
  Seine wichtigste Arbeit zur Funktion des Herzens veröffentlichte er 1895 unter dem Titel „Zur Dynamik des Herzmuskels“ im
  32. Band der Zeitschrift für Biologie und als Habilitationsschrift zur Erlangung der Venia Legendi der Medizinischen Fakultät der

                                                                                                                                      ©DS/GK, Physiologisches Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen, 2019
  Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Seine Habilitationsschrift kann noch heute in der Bayrischen Staatsbibliothek, der
  Staatsbibliothek zu Berlin und der University of Oxford eingesehen werden. Wie damals üblich wurden die Arbeiten in deutscher
  Sprache veröffentlicht und waren deshalb in ihren Inhalten ausländischen Wissenschaftlern nur unvollständig zugänglich. Am 18.
  März 1959 veröffentlichte Carleton B. Chapman und Eugene Wasserman eine Übersetzung der Originalarbeit im American Heart
  Journal (Band 58; Seiten: 282-317) um auch ausländischen Wissenschaftlern die komplexe Arbeit im Original lesbar zu machen.
  Im Jahre 1905 wechselte Otto Frank an die Universität Gießen als Nachfolger des verstorbenen Conrad Eckhart. Drei Jahre später
  nahm er das Angebot an, die Nachfolge seines Habilitationsvaters Carl von Voit in München anzutreten.
  Otto Frank war ein schwieriger Charakter und trotz seines enormen Arbeitspensums und eines Einflusses auf die Medizinische
  Fakultät der Münchener Universität und auf die Wissenschaft wohl nicht sehr glücklich. Er bestand auf Pünktlichkeit und guter
  Organisation, teilte ungern seine experimentellen Daten mit anderen und galt als geheimniskrämerisch. Hochschulpolitisch vertrat
  er eine sehr konservative Linie. Er war dagegen Frauen den Weg in die Medizin zu ebnen, bei seinen Studenten war er als Prüfer
  gefürchtet. In der Medizinischen Fakultät verhinderte er lange den Aufbau eines biochemischen Instituts, die Gründung einer
  Kinderklinik und eines Instituts für Medizingeschichte. Gegenüber dem Nazi-Regime stand er in offener Opposition, sodass er 1934
  zwangspensioniert wurde und sich fortan bis zu seinem Tod auf die Herausgabe „Der Zeitschrift für Biologie“ konzentrieren konnte.

                                                                1
Zur Person: Justus-Liebig-Universität Gießen
Zum Arbeitsmodell

  Otto Frank wollte eigentlich überprüfen, ob das Säugertierherz in seiner Funktion in etwa den gleichen Gesetzmäßigkeiten folgt, die Fick
  und von Kries bereits für den Skelettmuskel beschrieben hatten. Dabei war ihm schnell klar geworden, dass eine Untersuchung und
  Analyse der mechanischen Verhältnisse eines Warmblüterherzens in vivo mit großen Schwierigkeiten verbunden sein würde. Nur ex vivo
  erschien ihm dies möglich. Seine Arbeit bestätigt im Grundsatz eine ähnliche Arbeitsweise des Herzens und der ebenfalls quergestreiften
  Skelettmuskulatur. In seiner Apparatur zur Analyse der Herzfunktion (Bild 2) wurde kein geschlossener Kreislauf verwendet, sodass
  nunmehr die Füllung des Ventrikels (Vorlast) unabhängig von Änderungen in der Nachlast untersucht werden konnte.

                                                                                              Bild 2

  Das Perfusionsmedium floss aus einem Blutreservoir mittels eines Ventils steuerbar durch die Vena cava inferior in den Vorhof und
  von dort in den Ventrikel. Das ausgeworfene Blut erreichte eine Kanüle, die mit dem Ausflussrohr verbunden wurde. Eine „Luftkapsel“
  ermöglichte im Ausflusstrakt eine Windkesselfunktion. Mehrere eingebaute Manometer erlaubten ein Ablesen der entwickelten Drücke.
  Isovolumetrische Druckkurven konnte dargestellt werden indem Zufluss-und Abflussventil geschlossen wurden. Otto Frank beobachtete,
  dass diese zunahmen, wenn das Füllungsvolumen vergrößert wurde. Allerdings nahmen diese wieder ab, wenn ein bestimmter Grenzwert
  erreicht worden war.
  Ernest H. Starling (*1866 †1927) bestätigte diese grundlegenden Experimente von Otto Frank 1914 in einer Herz-Lungen-Präparation
  des Hundeherzens. Diese Arbeiten werden heute unter dem Namen Frank-Starling-Mechanismus zusammengefasst. Im Jahre
  1898 fertigte Otto Frank aus seinen Messungen komplette Druck-Volumen-Kurven an und berechnete die Arbeitsleistung des Herzens
  (Tabelle 1).
    Tabelle 1:                                              Die Arbeitsleistung des linken Vorhofs
    Leistungsdaten für den linken Ventrikel eines mensch-
    lichen Herzens und Berechnung der Arbeitsleistung,       Systolischer Druck (Psyst)                   120       mmHg
    sowie Vergleich mit den Kosten einer gleichstarken       Diastolischer Druck (Pdiast)                  10       mmHg
    elektrischen Leistung bezogen durch die Stadtwerke
    Gießen                                                   Entwickelter Druck (LVDP)                    110       mmHg
                                                             Schlagvolumen                                 70       ml
                                                             Herzfrequenz                                  70       Schläge/min
                                                             Herzzeitvolumen                             4900       ml/min
                                                             Arbeit (berechnet aus Druck und Volumen)       1,03    Nm
                                                             Leistung pro Minute                            1,2     Watt
                                                             Leistung pro Jahr                            620       kW

                                                            Bei Kosten von 25 ct/kWh (Strompreis 2018, Stadtwerke Gießen) kostete
                                                            die Jahresarbeitsleistung des linken Ventrikels: 3.723 €.

  Weitere Forschungsleistungen von Otto Frank

  Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeitete Otto Frank vorwiegend an technisch-methodischen Verbesserungen zu Re-
  gistrierungen der Kreislauffunktion. Unter anderem führte er die Verwendung von Spiegelmanometern ein, die eine
  wesentlich genauere Ablesemöglichkeit bieten und noch heute in der Klinik zur Bestimmung des Blutdrucks gebräuchlich sind. Auf
  Otto Frank geht nicht nur der Frank-Starling-Mechanismus zurück, sondern auch der Begriff der essentiellen Hypertonie.

                                                                             2
Mentoren und Kollegen von Otto Frank

  Robert Wilhelm Bunsen entwickelte zusammen mit Gustav Robert Kirchhoff das Verfahren der Spektralanalyse zur Identifizierung
  chemischer Elemente. Er entwickelte zudem den nach ihm benannten Bunsen-Brenner weiter.

  Adolf von Baeyer wurde 1875 Nachfolger des in München 1873 verstorbenen Gießener Chemikers Justus von Liebig als Leiter
  des chemischen Instituts. Liebig hatte seit 1852 in München gelehrt und geforscht. Von Baeyer entwickelte verschiedene chemische
  Syntheseverfahren und erhielt für seine Arbeiten 1905 den Nobelpreis für Chemie.

  Der Anatom Karl Kupffer machte einige bedeutende Entdeckungen, beispielsweise zum Aufbau der Nervenfasern. Nach ihm
  benannt sind die Kupffer-Zellen in der Leber.

  Friedrich Kohlrausch war ein Physiker, der sich vorwiegend mit Elektrolyten beschäftigte. Er ist nicht identisch mit Arnt Kohlrausch,
  nachdem der Kohlrausch-Knick am Auge benannt wurde. Friedrich Kohlrausch war aber der Doktorvater von Walther Nernst, der
  die Arbeiten zur Elektrolytchemie zur Nernst-Gleichung ausbaute.

  Carl Ludwig gilt als einer der Begründer der modernen Physiologie. Wegweisend sind seine Arbeiten zur Filtration und Resorption
  der Niere gewesen. Auch hat er als Erster mathematische Verfahren zur Bestimmung des Herzzeitvolumens entwickelt.

  Carl von Voit beschäftigte sich vorwiegend mit Stoffwechselbilanzen und zeigte als erster die drei Grundnährstoffe der Lebewesen
  auf: Proteine, Fette und Kohlenhydrate. Er gilt als Gründer der modernen Ernährungswissenschaft.

  Ernest Henry Starling , ein englischer Physiologe, beschrieb 1896 die Starling-Gleichung, die für die Flüssigkeitsverteilung
  zwischen Gewebe und vasalem Raum wichtig ist (Starling’sche Flüssigkeitstheorie). Er führte 1905 auch als erster den Begriff
  „Hormon“ ein. Zusammen mit Otto Frank stellte er den Zusammenhang zwischen Füllung und Arbeitsleistung des Herzens dar.

  Carl J. Wiggers (*1883 †1963) gilt als Pionier der Kreislaufforschung. Auf ihn geht die Einteilung der Herztätigkeit in Anspannungs-,
  Austreibungs-, Entspannungs- und Füllungsphase zurück. Bekannt ist das Wiggers-Diagramm aus den Lehrbüchern der Physiologie
  (Bild 3).
  1911 hielt sich der Amerikaner im Labor von Otto Frank in München auf. Er war von den dort etablierten Methoden fasziniert
  und transferierte sie in die USA, wo er in den folgenden Jahren wesentliche Arbeiten zu Pulskurven im kardiovaskulären System
  veröffentlichte.
  Er gilt als Vater der modernen Kreislaufphysiologie in den USA und gründete 1952 das renommierte Journal „Cardiovascular
  Research“, das unter der Federführung der American Heart Association noch heute als hochrangiges Journal in der experimentellen
  Kreislaufforschung gilt.

     Bild 3

                                                                  3
Quellen:
Bild 1 und 3 wurden aus Wikipedia-Artikeln zu Otto Frank (Bild 1; https://en.wikipedia.org/wiki/Otto_Frank_(physiologist); 29.05.2020)
und Carl Wiggers (Bild 3; https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_J._Wiggers; https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Wiggers_Diagram_de.svg
04.05.2021) entnommen.
Bild 2 wurde selbst erstellt.
Tabelle 1 entstammt einem Vortrag des Autors, gehalten 2018 anlässlich der Gießener Herztage auf Einladung von Herrn Prof.
Dr. Böning (Herzchirurgie, JLU Gießen).

Anmerkung:
Der Text beruht auf einer Vorlage aus dem Jahre 2004 (erstellt von Prof. Dr. Heinz-Gerd Zimmer und veröffentlicht in Clinical
Cardiology Band 27, Seite 665-666) und wurde entsprechend eigener Recherchen ergänzt und in die deutsche Sprache übersetzt.

Wiedergabe und Weiterverbreitung dieses Materialsbleiben untersagt. Es dient ausschließlich dem ergänzenden und vertiefenden
Selbststudium der Studierender am Fachbereich 11 der JLU Gießen.

                                                                      4
Sie können auch lesen