Handwerk aus Grindelwald Der Pickel für die ganz grossen Berge Reisen-Freizeit Freitag, 28. Februar, 05:30

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Handwerk aus Grindelwald Der Pickel für die ganz grossen Berge Reisen-Freizeit Freitag, 28. Februar, 05:30
Handwerk aus Grindelwald
Der Pickel für die ganz grossen Berge
Reisen-Freizeit Freitag, 28. Februar, 05:30

Ruedi Bhend, heutiger Geschäftsinhaber und Pickelschmied in vierter Generation, in
seiner Grindelwaldner Werkstatt. (Bild: Karin Hofer / NZZ)
Die Bhend-Eispickel aus Grindelwald waren einst bei der Erstbesteigung des
Everest dabei – heute sind sie in erster Linie Liebhaberobjekte. In vierter
Generation führt Ruedi Bhend die Herstellung der Pickel im Nebenerwerb
weiter.
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Christine Kopp
Ein föhniger Tag im Februar. Rund um Grindelwald wird Ski gefahren, im Zentrum
auf einer Grossbaustelle gearbeitet. Weiter hinten an der Dorfstrasse liegt der
Metallbaubetrieb Bhend. Die Tür öffnet sich zur sauber aufgeräumten Werkstatt.
Jetzt, im Winter, ist es hier ruhig. Es ist die Zeit, in der Ruedi Bhend, in vierter
Generation im Familienbetrieb, 68 Jahre alt und kein bisschen müde, seinem
Nebenerwerb als Pickelschmied nachgehen kann.

Pickel und Leichtsteigeisen
Auf einem Wägelchen – einer Art «Servierboy» für Pickel, dem sein hohes Alter
anzusehen ist – liegen mehrere neue Holzschäfte. In den Halterungen und an der
Wand hängen eine stattliche Zahl Pickel, eingraviert jeweils der Name eines Berner
Oberländer Bergführers. Ruedi Bhend wird sie in den nächsten Wochen schleifen,
polieren und zum Teil mit neuen Stielen versehen. So aufgefrischt, werden sie
zurückgehen an ihre Besitzer, die nach wie vor an der Tradition des legendären
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Bhend-Pickels hängen: jenes Werkzeugs für die Berge aus dem Berner Oberland, das
auf bald 140 Jahre Geschichte zurückblickt.

Ruedi Bhends Urgrossvater Karl kam um 1880 von Unterseen nach Grindelwald, wo
er die Strecke Interlaken–Grindelwald als Huf- und Wagenschmied bediente. Das
war damals das Auskommen eines Schmiedes. Man befand sich mitten in der
goldenen Epoche des Alpinismus. Die Touristenzahlen wuchsen, und Karl Bhend
erkannte, dass er mit der Herstellung von ein paar Pickeln pro Jahr ruhigere Zeiten
füllen konnte. Einheimische Bergführer, allen voran der bekannte Christian Almer,
hatten ihn wohl ermuntert, ihnen ein Werkzeug für ihre Touren zu schmieden. Über
die Bergführer wurden dann die neuartigen, damals rund 1 Meter 20 langen Pickel
(heute sind sie 70, oft aber auch nur 55 bis 65 Zentimeter lang) auch bei ihren
ausländischen Gästen bekannt, insbesondere englischen Alpinisten.

Formschön: der legendäre Bhend-Pickel. Kein Wunder, ist er zum Liebhaberobjekt
geworden. (Bild: Karin Hofer / NZZ)
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Der Siegeszug des Bhend Pickels begann mit der englischen Himalaya-Expedition
1953 (im bild Tenzing Norgay Sherpa auf dem Mount Everest, fotografiert von
Edmund Hillary) und der schweizerischen 1956 (Bild Imago)
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Edmund Hillary (rechts am Bildrand und Tenzing Norgay Sherpa (rechts) bei Alfred
Bhend in der Werkstatt in Grindelwald (Bild Archiv Ruedi Bhend)
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Ruedi Bhend, heutiger Geschäftsinhaber und Pickelschmied in vierter Generation, in
seiner Grindelwalder Werkstatt (Bild Karin Hofer / NZZ)

In der Glut wird das Eisen erhitzt (Bild Karin Hofer / NZZ)
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Ruedi Bhend bringt das glühende Eisen in Form (Bild Karin Hofer / NZZ)

Die Pickelspitze wird poliert (Bild Karin Hofer / NZZ)
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Anpassung des Pickels an den Holzschaft, der seit eh und je aus Eschenholz besteht
(Bild Karin Hofer / NZZ)

Die Pickel sind im Laufe der Jahre kürzer geworden, die Form der Haue hat sich
seitdem nur wenig geändert.
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Auch für Ruedi Bhends Grossvater war das Pickelschmieden ein Nebenerwerb. Dann
aber, unter seinem Vater Alfred Bhend, wurde es zum Hauptverdienst. Die grosse
Zeit kam nach dem Krieg: Bhend machte sich bei Bergsteigern einen Namen, weil er
selber Bergsteiger war und die Ansprüche an einen guten Pickel genau kannte. Und
er baute aus: Damals gab es noch kein leichtes Steigeisen, also entwickelte es Alfred
Bhend gleich selbst. Die Steigeisen wurden auf Mass an den Schuh angepasst. Das
war, meint Sohn Ruedi, eine «höllisch aufwendige Sache». Er holt ein solches
achtzackiges Steigeisen hervor: Es war nicht nur leicht, sondern auch ausgesprochen
elegant – Ausdruck eines meisterlich beherrschten Handwerks, hergestellt aus vielen
verschweissten Einzelteilen. Ein Lederriemen mit Tricouni-Metallschnalle
vervollständigte das wunderbar geschmiedete Eisen. Alfred Bhend stellte diese
Steigeisen bis in die 1960er Jahre her – dann verdrängten industriell gefertigte
Leichtsteigeisen seine Handarbeit. Die Pickel blieben jedoch sein Haupterwerb:
Alfred Bhend, der 1994 im Alter von 83 Jahren starb, machte bis wenige Jahre vor
seinem Tod Pickel.

Auf dem Everest
Die grosse Zeit des Bhend-Pickels waren also die 1950er und 1960er Jahre. Damals
schmiedete Alfred Bhend um die 150 Pickel pro Jahr. Er war so bekannt, dass die
englische Everest-Expedition von 1953 sich komplett von ihm ausrüsten liess: mit
Steigeisen, Pickeln sowie Eishaken und -hämmern, um diese Haken einzuschlagen.
Edmund Hillary und Tenzing Norgay Sherpa erreichten als erste Menschen den
Gipfel des Everest – ausgestattet mit bester Handwerkskunst aus Grindelwald. Und
nicht von ungefähr liess sich dann auch die Schweizer Expedition von 1956, der die
zweite und dritte Besteigung des Everest und die Erstbesteigung des Lhotse gelang,
von Bhend ausrüsten. Ruedi Bhend erinnert sich: «Ich war ja schon als Bub ständig
in der Werkstatt und sah dann diese Herren hier. Das war interessant!»

Er selbst hätte gerne Hufschmied gelernt; aber das war schon zu seiner Jugendzeit
ein Beruf ohne Zukunft. Er wurde Schlosser: «Ich gehörte zu der Sorte, die nicht
gerne fortging, und so lernte ich das Handwerk daheim, bei meinem Vater.» Bei ihm
lernte er auch gleich das Pickelschmieden: «Ich hatte mich immer unheimlich dafür
interessiert und machte schon als Jugendlicher Pickel für mich, da ich selber zum
Bergsteigen ging.»

Ruedi Bhend wurde ein begeisterter Alpinist und Kletterer, am liebsten an Graten
unterwegs oder kletternd in den Engel- und Gelmerhörnern, aber auch mit dabei, als
sieben Freunde aus Grindelwald 1973 den Mount McKinley in Alaska bestiegen –
natürlich mit Steigeisen und Pickeln aus eigener Produktion. Gerne wären die
Freunde dann auf den Everest, aber «die Prioritäten veränderten sich, und wir
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brachten es nicht mehr zusammen». Daheim war Ruedi Bhend auch im
Rettungswesen engagiert und hatte, wie alle Grindelwalder Bergsteiger jener Zeit,
Respekt vor der Eigernordwand. Als Grindelwalder stieg man nicht ein, zu gross war
die Ehrfurcht vor der unfallträchtigen Wand. Erst 1978 durchbrach Edi Bohren,
Bergführer und später langjähriger technischer Leiter der Schweizer
Bergführerausbildung, das Tabu.

Fast alles von Auge
Das Schmieden eines Pickels, meint Ruedi Bhend bescheiden, sei «nicht ganz
einfach». Eine gute Voraussetzung sei das Hufschmied-Handwerk: «Der Hufschmied
muss sehr viel mit dem Auge machen – er muss den Huf anschauen und das Eisen
danach formen. Das kann man nicht messen, das muss man sehen. Mit dem Pickel ist
es ähnlich: Es hat auch am Pickel viele Rundungen, die man nicht messen kann und
von Auge machen muss. Ich habe ja keine Schmiedeform, von der ich ausgehen kann,
sondern einfach ein Stück Werkzeugstahl.» Wohl hat Ruedi Bhend eine Form, um die
Haue zu runden, aber den letzten Schliff muss er auch der Haue von Auge geben. Er
fügt an: «Ich bin nicht der Schmied, wie es mein Vater war. Es geht heute einfacher,
wie überall, und man hat zum Schleifen ganz andere Produkte zur Verfügung.» Er
lacht: «Das kommt mir entgegen! Mein Vater schmiedete viel perfekter als ich – er
beherrschte es. Sie konnten nicht einfach abschleifen wie wir, sondern mussten das
überflüssige Material von Hand mit der Feile abtragen. Ich habe heute den Vorteil,
dass ich weniger genau schmieden muss und mehr schleifen kann.»

Die Form der Spitze ist entscheidend, ob man Stufen schlagen kann oder nicht.
Stufenschlagen ist der wichtigste Einsatzbereich des Bhend-Pickels und wird in
Schweizer Bergführerkursen nach wie vor geprüft. Ruedi Bhend erklärt: «Der
Unterschied zu einem Eiswerkzeug ist folgender: Ein moderner Pickel muss halten,
wenn man ihn einschlägt – ein Pickel zum Stufenschlagen wie unserer dient hingegen
dazu, das Eis auszuarbeiten; er darf nicht steckenbleiben. Im Schnee ist die Form der
Haue entscheidend. Darum mache ich sie heute rund; ganz früher war sie eckig. Mein
Vater bombierte sie schon, damit sie weniger hängenblieb.» Und er erzählt, wie sie
mit seinem Vater Pickel und Formen ausprobierten, auf dem Gletscher über
Grindelwald, der damals noch viel näher ans Dorf reichte und schnell erreichbar war.

Heute versucht Ruedi Bhend, für das Auge schöne Werkzeuge herzustellen, da der
Pickel in den Bergen weniger gebraucht wird: Er ist eher zum Liebhaberobjekt
geworden, das ästhetisch ansprechen soll. Er war sich anfänglich nicht sicher, ob er
überhaupt weiterhin Pickel schmieden wollte: «Ich begann erst 1994 damit. Eine
Weile lang wusste ich nicht recht, was tun. Ein Holzschaft kann brechen! Ich hatte
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Bedenken wegen der Produktehaftung. Dann meinten einige Bergführer, etwa Edi
Bohren, ich solle dennoch weitermachen.»

Dieser Holzschaft besteht seit eh und je aus Eschenholz. Ruedi Bhend lässt sich in
einer Zimmerei schöne Stücke – das Holz sollte möglichst gradwüchsig sein – zur
Seite legen und mindestens zwei Jahre lagern. Dann fertigt ihm ein Schreiner den
Schaft an; das Anpassen und Ausschleifen nimmt Bhend vor, wenn er den Pickel
zusammensetzt. Er hat sich selber einmal überlegt, Pickel mit Metallschäften zu
machen, aber «dann hätte ich alles ändern und in Richtung industrielle Produktion
gehen müssen». Ruedi Bhend beliess es bei der Pickelschmiederei als Nebenerwerb
und aus Freude: «Natürlich mache ich es gerne, sonst würde ich es nicht machen.
Wenn ich es gerne mache, mache ich es einigermassen gut!»

Weltoffenheit und Tradition
Wer ihm bei der Arbeit zugeschaut hat, weiss, dass dieses «einigermassen»
untertrieben ist – nach alter Schule stellt Ruedi Bhend ein hochwertiges Werkzeug
her, zu dem er eine starke Bindung hat. Wer nun aber meint, er sei der Vergangenheit
mehr zugetan als der Gegenwart, täuscht sich: Schon sein Vater machte sich in
Grindelwald für den Tourismus stark und war ein Visionär. Bhend Sohn war von
1987 bis 1994 selbst im Gemeinderat und setzt sich nach wie vor sehr für den
Tourismus ein – speziell der Wintersport liegt dem begeisterten Skifahrer am
Herzen. Prägnant seine Aussagen: «Wir haben uns hier zu lange auf den Lorbeeren
ausgeruht. Wenn wir schon immer jammern, wir seien teurer als das Ausland,
können wir keinesfalls auch noch schlechter sein – sonst müssen wir nicht erstaunt
sein, wenn die Gäste ins Ausland gehen.» Er kritisiert die Haltung vieler im Dorf, die
«sich oft nicht bewusst sind, woher die Arbeit kommt. Wir müssen ja fast alles aus
dem Tourismus generieren. Wenn es touristisch gut läuft, geht es auch uns
Unternehmern im Dorf gut. Wir haben keine Wahl – ich sehe keine Alternative zum
Tourismus und zum Wintersport.»

Fortschrittliches, weltoffenes Denken und stolzes, gepflegtes Bewusstsein für
Geschichte und Tradition schliessen sich also nicht aus. Sollten sich nicht
ausschliessen. Ruedi Bhend zeigt noch einmal eines seiner prächtigen Werkzeuge: In
einen Pickel fliessen fünf bis sechs Stunden Arbeit. Ruedi Bhend stellt 40 bis 50 neue
Pickel pro Jahr her und frischt um die 30 ältere auf. Wird sein Sohn, der gerade im
Hintergrund Arbeiten erledigt, das Handwerk weiterführen? «Ich weiss es nicht»,
meint Ruedi Bhend und lächelt: «Er hat Metallbau gelernt, nicht Schmied. Er übt
sich schon etwas im Pickelschmieden. Wenn er es lernen will, kann er das sicher.
Wenn nicht, ist es nicht tragisch. Natürlich stecken 140 Jahre Tradition dahinter –
aber wenn sie nicht weitergehen soll, dann ist das so.» Wer weiss, vielleicht wird die
Freude an schönem Handwerk, verbunden mit etwas Nostalgie, die Pickelschmiede
Bhend in Grindelwald weitertragen.

Verein Eigerness
www.eigerness.ch
CH-3818 Grindelwald
info@eigerness.ch
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