Zwischen Facebook und Islam - Indonesische MuslimInnen in Österreich 12 2013

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Shabka Background                                            12 - 2013

                                   Lisa Lenz

            Zwischen Facebook und Islam
                    Indonesische MuslimInnen in Österreich
Inhalt

                                  Islam in Indonesien                                           4

                                  Islam in Europa bzw. in Österreich im Besonderen              5

                                  Indonesische MigrantInnen in Österreich                       5

                                  Empirische Forschung                                          6
                                   Die InterviewpartnerInnen                                    6
                                   Religiöse Erziehung in Indonesien                            7
                                   Transformation der Glaubenspraxis                            7
                                   Die Bedeutung neuer Medien und Kommunikationstechnologien    8
                                   Der indonesische Islam als Vorbild?                          9
                                   Sehnsucht nach »zu Hause«                                   10

                                  Conclusio                                                    10

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Zwischen Facebook und Islam
Indonesische MuslimInnen in Österreich

                                                                                                                             Von Lisa Lenz

D    ieser Artikel analysiert Alltagserfahrungen und Glauben-
     spraxis von indonesischen MuslimInnen in Österreich,
einer Gruppe von MigrantInnen, der in wissenschaftlichen
                                                                  beeinflusst und überlagert haben. Ab dem 7. Jahrhundert
                                                                  verbreitete sich der Islam durch muslimische Händler an den
                                                                  bedeutenden Transferrouten entlang bis nach Südostasien.
Untersuchungen bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt              Durch eine überlegene Handelskultur konnten die muslimi-
wurde. Der inhaltliche Fokus liegt vor allem auf ihrer religi-    schen Händler die Fürstenhöfe für sich gewinnen. Nachdem
ösen Praxis in einem mehrheitlich nicht-muslimischen Land         im Zeitraum vom 12. bis ins 16. Jahrhundert die meisten
und den Schwierigkeiten, die damit einhergehen. Die Un-           Herrscher den Islam als ihre Religion übernommen hatten,
tersuchung soll klären, welche Rollen soziale Netzwerke, das      konvertierten auch ihre Untertanen, das heißt die Mehrheit
gesellschaftliche Umfeld und neue Kommunikationsformen            der Vorfahren der heutigen IndonesierInnen. Mit der por-
(soziale Medien) im Alltag meiner InterviewpartnerInnen           tugiesischen und holländischen Kolonisierung Indonesiens
spielen und inwiefern diese Faktoren ihre Lebenssituation         im 15. Jahrhundert kehrte das Christentum im Land ein.
prägen.                                                           (vgl. Meuleman 2005: 24f; Woodward 1989: 54f; Federspiel
    Zunächst wird auf die indonesische Gesellschaft sowie         2002: 375f).1 Mit fast 90 Prozent stellen MuslimInnen die
auf den Islam in Indonesien eingegangen. Des Weiteren             absolute Mehrheit der indonesischen Bevölkerung, wohin-
beleuchtet der Artikel die Lage von MuslimInnen in der            gegen der Anteil der ChristInnen ca. acht Prozent beträgt,
europäischen Diaspora, wobei insbesondere auf Österreich          gefolgt von Hindus mit weniger als zwei Prozent. Buddhis-
Bezug genommen wird. Nach der Vorstellung meiner In-              tische und konfuzianistische Religionsangehörige machen
terviewpartnerInnen erläutere ich die Ergebnisse meiner           jeweils weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus
empirischen Untersuchung, die sich an den folgenden For-          (vgl. Husein 2010: 81; Magnis-Suseno 2010: 113; Mughni
schungsfragen orientieren: Inwiefern bringen die muslimi-         2010a). Bis auf wenige Ausnahmen haben sich alle Indone-
schen MigrantInnen eine spezifisch indonesisch-islamische         sierInnen einer der sechs anerkannten Religionen – Islam,
Identität mit nach Österreich? Wie kann ein Leben nach            Buddhismus, Hinduismus, Katholizismus, Protestantismus
islamischen Grundsätzen in Österreich realisiert werden?          und Konfuzianismus – anzuschließen.
Mit welchen Schwierigkeiten sehen sich muslimische Mig-               Einen entscheidenden Faktor in der indonesischen
rantInnen aus Indonesien konfrontiert? Und – ganz zentral         Gesellschaft stellt die hohe Bewertung von Vielfalt und
– welche Rolle spielen neue Kommunikationstechnologien            gegenseitiger Toleranz dar, für deren Entwicklung die Zu-
für ihre islamische Praxis?                                       sammenarbeit zwischen religiösen Gelehrten und politi-
    Der indonesische Nationalstaat, in dem so viele Musli-        schen Führungspersonen seit der Entstehung der Republik
mInnen leben wie in keinem anderen Land, ist gleichzeitig         Indonesien 1945 maßgeblich war. Beide den damals jungen
mit seinen ca. 240 Millionen EinwohnerInnen die drittgröß-        Staat konstituierenden Gruppen beschlossen, dass Indonesi-
te Demokratie der Welt. Entgegen der Ansicht vieler west-         en weder ein islamisches Land werden noch im westlichen
licher Islam-KritikerInnen wird in Indonesien überwiegend         Sinn säkularen Charakter haben soll. In der indonesischen
die Position vertreten, dass der Islam und die demokratische      Verfassung ist die Förderung des religiösen Lebens der Be-
Staatsform keinen Gegensatz darstellen. Die Grundwerte            völkerung verankert. Diese Bestimmung trägt idealerweise
der Demokratie – Teilnahme und Repräsentation des Vol-            zu einem relativ konsensbetonten Verhältnis zwischen Islam
kes, Einhaltung der Menschenrechte, Gesetzesordnung und           und Staat sowie zwischen Islam und anderen Religionen
freie Meinungsäußerung – sind Elemente, die nach promi-           bei. Das nationale Motto, das indonesischen Kindern von
nenten Vertretern der großen islamischen Organisationen           klein auf beigebracht wird (vgl. Interview II am 10.6.2011),
Indonesiens auch den Prinzipien des Islams entsprechen            lautet demnach Bhinneka Tunggal Ika, was mit »Einheit in
(vgl. Muzadi 2010: 26).
    Die lange religiöse Tradition in Indonesien führt auf star-
                                                                  1 Während meiner Besuche in der indonesischen Botschaft und im Zuge der Gespräche
ke hinduistische und buddhistische Prägungen in vorislami-          mit MuslimInnen ist mir die Bedeutung von Religion im Alltagsleben als zentrales
                                                                    Charakteristikum aufgefallen. Ein gläubiger Indonesier äußerte sich sehr verwundert
scher Zeit zurück, die sich in vielerlei Hinsicht gegenseitig
                                                                    darüber, dass er in Europa »keine Religion bemerke«. Auch ich wurde gegen Ende des
                                                                    Interviews auf meinen Glauben angesprochen.

Shabka Background 12- 2013                                                                                                                           3
der Vielfalt« übersetzt werden kann (vgl. Muzadi 2010: 26).                            Vereinbarkeit von Islam und Demokratie dar (vgl. ebda.).
Dieser Leitsatz stammt aus einem alten vorislamischen Ma-                                  Die Entwicklung islamischer Bildungsinstitutionen gibt
nuskript aus Java (Palguna 2010: 76).                                                  ebenfalls Aufschluss über die Positionierung des Islams in
                                                                                       Indonesien. Von den vier unterschiedlichen traditionellen
     Islam in Indonesien                                                               islamischen Schulen (pesantren, pondok, surau, dayah), die
Die oft als »moderat« bezeichneten islamischen Hauptströ-                              bis zu den Anfängen des Islams in Indonesien zurückrei-
mungen Indonesiens streben nach Ausgeglichenheit zwi-                                  chen, hat das pesantren als einziger Schultyp trotz einiger
schen nationalstaatlich-demokratischen und religiösen Prin-                            Modifikationen und Erneuerungen als traditionell islami-
zipien. Die bedeutendsten Vertreter des Islam in Indonesien                            sche Institution überlebt. Ursprünglich waren pesantren
sind der Auffassung, dass ihre Religion keinen islamischen                             Zentren zur Weitergabe von religiösem Wissen sowie zur
Staat vorschreibt. Nach dieser Denklinie ist es nicht essenti-                         Wahrung und Pflege islamischer Traditionen (Azra/Afrianty
ell, in welcher Staatsform Gläubige leben, sondern vielmehr,                           2005: 1). Entscheidend für die Erfolgsgeschichte der islami-
dass die zentralen Elemente der islamischen Glaubenslehre                              schen Internatsschule ist ihr hohes Maß an Flexibilität, um
praktiziert werden können. Jede Staatsform, die die Rechte                             Methoden und Lehrinhalte an den sich rasch ändernden
der Menschen nach islamischen Gesetzen garantiert, kön-                                gesellschaftlichen Kontext anzupassen, ohne jedoch grund-
ne demnach als islamisches Land betrachtet werden. Wei-                                legende Werte aufzugeben (vgl. ebda.: 2). Madrasahs, die seit
ters wird die islamische Gesetzgebung nicht Wort für Wort                              dem frühen 20. Jahrhundert in Indonesien als muslimische
übernommen, sondern ihre Bedeutung eher als prinzipielle                               Reaktion auf die holländischen Schulen gegründet wurden,
Verhaltensnorm verstanden, die dem jeweiligen Kontext an-                              sind ebenfalls bis heute bedeutende islamische Schulen. Sie
gepasst werden muss. Eine solche Einstellung erlaubt auch                              zeichneten sich anfänglich dadurch aus, dass im Vergleich
einen höheren Grad an Flexibilität, wenn es darum geht,                                zu pesantren mehr Wert auf säkulare Unterrichtsfächer wie
Modernität in einen islamischen Kontext zu integrieren (vgl.                           beispielsweise Arithmetik und das Erlernen der lateinischen
Mughni 2010b: 100). Diese Ansichten und die damit verbun-                              Schrift gelegt wurde.
denen Praktiken sind auch in der islamisch-indonesischen                                   Die Einführung der madrasahs, in denen neue Bücher
Gemeinschaft in Österreich weit verbreitet, wie ich im Rah-                            und Methoden verwendet wurden, um den Islam aus einer
men meiner empirischen Forschung beobachten konnte.                                    zeitgemäßen Perspektive zu verstehen, hatte auch einen
     Während in der Literatur (z.B. Mughni 2010b) diese mo-                            modernisierenden Effekt auf die gesamte muslimische Ge-
derate Grundhaltung oft als das zentrale Charakteristikum                              sellschaft in Indonesien (vgl. Azra/Afrianty 2005: 6). In der
des indonesischen Islams gesehen wird2, existieren auch                                ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelte sich das Ziel der
radikale islamistische Gruppierungen in Indonesien. Die                                islamischen Bildungsinstitutionen in Indonesien. Im Vor-
Einführung staatlicher Reformen und damit die Etablierung                              dergrund steht seither nicht ausschließlich die Ausbildung
politischer Freiheiten in den späten 1990er Jahren führte                              islamischer Gelehrter, sondern vor allem die Erziehung von
auch zu einer Ausweitung an Möglichkeiten für fundamen-                                SchülerInnen zu »guten MuslimInnen«, die sowohl in allge-
talistische Strömungen, ihre Ansichten und Interessen aktiv                            meinen als auch in religiösen Fächern adäquate Kenntnisse
zu vertreten, wobei deren Größe als gering und deren Ein-                              vorweisen können. Die Transformations- und Modernisie-
fluss als beschränkt einzuschätzen ist. Zentrale Forderung                             rungsprozesse des islamischen Schulsystems in Indonesien
fundamentalistischer Bewegungen ist die Umwandlung In-                                 gingen mit einem neuen religiösen Bewusstsein der islami-
donesiens in einen islamischen Staat (vgl. Mughni 2010b:                               schen Mittelklasse seit den 1980er Jahren einher (vgl. Azra/
99; Syamsuddin 2010: 192f).                                                            Afianty 2005: 22).
     Die zwei großen muslimischen Organisationen – die                                     Diese erstarkende islamische Identität unter jungen In-
Muhammadiyah (gegründet 1912) und die Nahdlatul Ula-                                   donesierInnen untersuchte auch die Sozialwissenschafterin
ma (kurz NU, gegründet 1926) – spielen in Indonesien eine                              Pam Nilan (2006). Sie beschäftigte sich eingehend mit der
wichtige gesellschaftspolitische und soziale Rolle. Seit fast                          Alltagskultur muslimischer Jugendlicher, wobei sie feststell-
100 Jahren konzentriert sich die Muhammadiyah auf den                                  te, dass der islamische Glaube starken Halt und Sicherheit
Aufbau eines eigenen Schulsystems, welches säkulare Unter-                             für Jugendliche bietet, was auch auf meine Interviewpartne-
richtsfächer mit islamischen kombiniert. Mittlerweile zäh-                             rInnen zutrifft. Nilans inhaltlicher Fokus liegt auf der kul-
len nicht nur Schulen, sondern auch Kindergärten und Uni-                              turellen Hybridität, die sie in den Lebensstilen der jungen
versitäten zu ihren Erziehungs- und Bildungsinstitutionen.                             MuslimInnen ausmacht. Die muslimische Jugendkultur in
Das soziale Engagement der muslimischen Organisation                                   Indonesien umfasst sowohl islamische Ge- und Verbote als
umfasst weiters pfadfinderähnliche Gruppierungen, Spitäler,                            auch globale populäre Trends. So prägen immer mehr Fakto-
Kliniken sowie Waisen- und Armenhäuser (vgl. Federspiel                                ren wie Urbanisierung, Konsumation, die Abhängigkeit von
2002: 377). Die NU wurde als Zusammenschluss muslimi-                                  Technologien, verlängerte Erziehungs- und Ausbildungspha-
scher Gelehrter und ihrer Bildungsinstitutionen, so genann-                            sen, ein späteres Heiratsalter sowie die schnelle Ausbreitung
te pesantren (Internatsschulen), initiiert, um die Interessen                          einer Mittelschicht das Bild der indonesischen Gesellschaft.
und traditionellen Praktiken der religiösen Elite zu vertreten                         Indonesische Jugendliche können sich für bestimmte Ele-
(vgl. Bruinessen 2007: 93). Glaubensorientiert konzentrieren                           mente der rasch wechselnden Palette an Produkten, Präfe-
sich die Aktivitäten beider Institutionen auf den Ausbau von                           renzen und Praktiken entscheiden, während andere Aspekte
Bildung, sozialen Wohlstand und wirtschaftliche Entwick-                               ignoriert oder abgelehnt werden. Dieser Filterungs- und Se-
lung. Einen zentralen Punkt beider NGOs stellt heute die                               lektionsprozess impliziert eine reflexive und selektive Ord-
                                                                                       nung der Konsumlandschaft. So leben junge MuslimInnen
2 Für eine Kritik an diesem Diskurs, der oft südostasiatische MuslimInnen als »mode-
                                                                                       ihre Jugendkultur beispielsweise mit der Konsumation von
  rat« darstellt, während er MuslimInnen aus dem Nahen Osten mit »Extremismus«
  identifiziert, siehe Mandal (2011).                                                  nach islamischem Recht erlaubten Kosmetika, arabischer

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Musik oder islamischer Kleidung, die an globale Trends          Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Österreich.
angepasst werden. Dieser selektive Akt der Entscheidungen       Die rechtlichen Bestimmungen beinhalten sowohl das Recht
drückt einen »reflexiven Habitus« junger IndonesierInnen        auf gemeinsame öffentliche Religionsausübung sowie die
aus, die sich als Mitglieder einer modernen Gesellschaft se-    Freiheit der eigenen Verwaltung und selbständigen Regelung
hen (vgl. Nilan 2006: 92).                                      von internen Angelegenheiten (vgl. Khorchide 2009: 27).
                                                                    Im Österreich der Ersten Republik lebten jedoch nur
   Islam in Europa bzw. in Österreich im Besonderen             einige hundert MuslimInnen, die sich institutionell kaum
In Europa leben aktuell zwischen 15 und 20 Millionen Musli-     organisierten.
mInnen. Die Mehrheit der in Europa lebenden MuslimInnen            Die eigentliche Zuwanderung der MuslimInnen nach Österreich ging mit
wurde in einem europäischen Land geboren und wächst                der Rekrutierung der ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei (1964) und de-
in diesem auf. Aufgrund rechtspopulistischer Agitation ist         ren Familien einher. Dazu kommen noch Kriegsflüchtlinge oder politische
heute die Ansicht weit verbreitet, dass MuslimInnen in Eu-         Flüchtlinge, sowie muslimische StudentInnen aus islamischen Ländern.
ropa in »zwei Welten« leben würden, weil sich muslimische          (Aslan 2007: 79)
Frömmigkeit und »europäische Werte« wie Modernität und          Die islamische Glaubensgemeinschaft ist die einzige an-
Demokratie unvereinbar gegenüberstünden (vgl. Khorchide         erkannte Glaubensgemeinschaft in Österreich, die in den
2009: 15).                                                      vergangenen Jahrzehnten Anstiege der Mitglieder verzeich-
    Mehr als ein Drittel aller MuslimInnen weltweit leben       nen konnte. Gegenüber der Volkszählung 1971 bei der der
gegenwärtig in Gesellschaften, in denen sie eine Minder-        Anteil der MuslimInnen an der Gesamtbevölkerung bei 0,3
heit bilden. Dieser Umstand wurde von den muslimischen          Prozent lag, stieg die Zahl 2001 auf 4,2 Prozent (vgl. Khor-
Gelehrten, die in mehrheitlich islamischen Ländern lebten,      chide 2009: 29).
kaum bedacht. Daher wird nun die Forderung nach neuen               Ein Drittel aller in Österreich lebenden MuslimInnen
Ansätzen laut, wie islamische Rechtsvorschriften auch in-       wohnt in Wien (Gesamtanteil 7,8%), gefolgt von Ober- und
nerhalb einer mehrheitlich nicht-muslimischen Gesellschaft      Niederösterreich. Die Konzentration auf die Bundeshaupt-
befolgt werden können (vgl. Lohlker 2010: 93).                  stadt begründet sich zum einen in der besseren Arbeits-
    Die religiöse Autorität der MuslimInnen in Europa wird      marktsituation und zum anderen mit der Existenz von mus-
von offiziellen und unabhängigen Gelehrten vertreten, die       limischen Gemeinschaften und sozialen Netzwerken (vgl.
in Europa leben und oft gleichzeitig Imame, Gebetsleiter        Khorchide 2009: 30). Den größten Anteil der MuslimInnen
und geistliche Führer einer muslimischen Gemeinschaft           in Österreich stellen Personen mit türkischem Migrations-
sind. Diese muslimischen Gelehrten senden Fatwas (islami-       hintergrund, gefolgt von MigrantInnen aus Bosnien-Herze-
sche Rechtsgutachten) und religiöse Ansichten bestimmter        gowina (vgl. Aslan 2007: 79).
Sachverhalte aus oder werden von MuslimInnen aufgesucht,
die sie um Rat in religiösen Unklarheiten ersuchen. Kön-           Indonesische MigrantInnen in Österreich
nen bestimme Fragestellungen nicht gelöst werden, wird          Die Anzahl der in Österreich lebenden IndonesierInnen
das Problem an höhere islamische Autoritäten außerhalb          dürfte sich auf etwa 500 Personen beschränken (laut In-
Europas weitergeleitet (z.B. Diyanat in Ankara, Al-Azhar Uni-   formation der indonesischen Botschaft im Juni 2011), eine
versität in Kairo). Die Gelehrten in den arabischen Ländern     so geringe Menge, dass sie in Statistiken oft nicht alleine
versuchen durch zahlreiche Fatwas in den Medien, die sie        aufscheint, sondern gemeinsam mit anderen asiatischen
gezielt an in Europa lebende MuslimInnen richten, Einfluss      Ländern angegeben wird.
auszuüben. Dieser hält sich jedoch in Grenzen, da sie die           Für viele MigrantInnen in Österreich sind Vereine oder
Realität vor Ort nicht genügend kennen (vgl. Lotfi 2004:        Gemeinschaften im Aufnahmeland von großer Bedeutung,
24) und außerdem neue Formen des religiösen Diskurses           da sie eine transnationale Verbindung zum Herkunftsland
entwickelt werden. Das religiöse Leben wird von Organisa-       darstellen. MigrantInnenvereine können einen wichtigen
tionen, Parteien oder islamischen Autoritäten von Land zu       Beitrag für das interkulturelle Zusammenleben in einer Ge-
Land unterschiedlich bestimmt. Das Nicht-Vorhandensein          sellschaft leisten. Sie unterscheiden sich von Vereinen, die
von hierarchischen Strukturen prägt die Religiosität vieler     überwiegend von der Mehrheitsbevölkerung frequentiert
in Europa lebenden MuslimInnen (vgl. Lotfi 2004: 24) und        werden, dadurch, dass sie nicht gegründet wurden, damit die
auch meiner InterviewpartnerInnen.                              Mitglieder einem bestimmten Interesse gemeinsam nach-
    Doch bevor ich auf indonesische MuslimInnen in Öster-       gehen können (z.B. Tanz, Kegeln, Blasmusik), sondern dass
reich eingehe, möchte ich zunächst die Geschichte des Islams    sie meist mehreren Zwecken dienen. Menschen aus dem
in Österreich kurz erörtern. Mit schätzungsweise 350.000 bis    gleichen Herkunftsland treffen sich, um ihre Erfahrungen
400.000 MuslimInnen rangiert der Islam in Österreich nach       auszutauschen, sich gemeinsam an ihr Herkunftsland zu
dem Katholizismus und knapp nach dem Protestantismus            erinnern, miteinander zu essen, Feste zu feiern bzw. um die
an zahlenmäßig dritter Stelle der anerkannten Glaubensrich-     gemeinsame Religion zu praktizieren. Yilmaz-Huber bezeich-
tungen (vgl. STATISTIK AUSTRIA, Volkszählung 2001, 2007).       net MigrantInnenvereine als Ersatzdörfer, da diese intern
Die historische Entwicklung der Anerkennung des Islams in       häufig dörfliche Strukturen aufweisen und ihren Mitgliedern
Österreich stellt eine Besonderheit in ganz Europa dar. Im      umfangreiche Unterstützung und Vernetzung in vielen Be-
Zuge der Annektierung Bosniens durch die Habsburgermon-         reichen zur Verfügung stellen. MigrantInnenvereine, die oft
archie 1908 wurde der Islam der hanefitischen Rechtsschule      als Mikrokosmos fungieren, bieten ihren TeilnehmerInnen
mit dem Islamgesetz im Jahr 1912 als Glaubensgemeinschaft       eine lange Reihe an Dienstleistungen verschiedener Dimen-
anerkannt. Dies gewährt allen MuslimInnen die Gleichstel-       sionen innerhalb eines sozialen Netzwerkes an. So werden
lung gegenüber Angehörigen anderer Glaubensgemein-              wertvolles Wissen und Informationen transferiert, was be-
schaften und ermöglicht somit unter anderem islamischen         sonders kürzlich Zugewanderten ein Gefühl von Geborgen-

Shabka Background 12- 2013                                                                                                              5
heit und Orientierungshilfe vermitteln soll. Weiters sind                                   drive safely everywhere. That’s happen in Islam so somebody hijack the
MigrantInnengemeinschaften bei Problemen oder Forma-                                        religion with his other interpretation, then is hit everywhere (Arif, Auszug
litäten meist erste Ansprechpartner für neu Angekommene                                     aus Interview I am 6.2.2011, Zl.nr. 598-602)
und nehmen eine wichtige Unterstützerfunktion ein. Immer                                Pram ist ein junger Student aus Jakarta. Sein Vater stammt
mehr erfüllen die Vereine die Aufgaben von Interessensver-                              aus West-Java, seine Mutter aus Sumatra. Pram lebt bereits
tretungen und »Informationszentren« (vgl. Yilmaz-Huber                                  seit sieben Jahren in Österreich. Ursprünglich ist er mit sei-
2006: 46).                                                                              nen Eltern, die in der indonesischen Botschaft arbeiteten,
    Auch die indonesische Gemeinschaft in Wien ist in Mi-                               migriert. Mittlerweile lebt er alleine hier und möchte sein
grantInnenvereinen organisiert, die sich mit einem breiten                              Studium an der Technischen Universität abschließen. Pram
kulturellen Angebot an alle Interessierte wenden. Im Rah-                               legt Wert auf eine offene Diskussion über Religion und den
men meiner Untersuchung durfte ich die »Perhimpunan                                     Islam. Via Facebook oder Skype kontaktiert er regelmäßig
Pelajar Indonesia di Austria« (PPI Austria), auf Deutsch »Ver-                          seine indonesischen Freunde, um sich über religiöse Fragen
einigung indonesischer StudentInnen in Österreich«, näher                               auszutauschen.
kennen lernen.                                                                              Pram: I was doing an internship in Steyr for one semester and I couldn’t find
                                                                                            any mosque there so actually I didn’t any Friday prayer for one semester.
     Empirische Forschung                                                                   Arif: It’s exceptional because if you are in travelling…
Die PPI Austria veranstaltet regelmäßig Treffen in der in-                                  Pram: Yeah, but it wasn’t a travel. I lived there […] so this is actually
donesischen Botschaft im 18. Wiener Gemeindebezirk. So-                                     some kind of discussion we have, we need a teacher for that (Auszug aus
wohl themenspezifische Seminare, Vorträge, religiöse Feste                                  Interview I am 6.2.2011, Zl.nr. 393-397)
als auch Koran- und Arabischkurse für Kinder werden von                                 Der 32-jährige Sigit wurde in Cilacap, Zentraljava, geboren.
der Gemeinschaft organisiert und durchgeführt. Wichtig bei                              Er übersiedelte nach Malang in Ostjava, um Physik zu stu-
jeder Zusammenkunft sind typische indonesische Speisen,                                 dieren und absolvierte im Jahr 2005 einen Master an einer
die von mehreren Mitgliedern mitgebracht werden. Schon                                  Universität in Jakarta, wo er anschließend als Lektor tätig
bei meinem ersten Besuch am 6. Februar 2011 in der indone-                              war. 2008 kam Sigit aufgrund eines Stipendiums nach Wien
sischen Botschaft lernte ich die humorvolle, gastfreundliche                            und arbeitet nun auch im Allgemeinen Krankenhaus, dessen
und aufgeschlossene Atmosphäre der muslimischen indone-                                 betriebseigene Moschee er während der Arbeit regelmäßig
sischen Gemeinschaft kennen. Ich konnte mit vielen Leuten                               aufsucht. Mit seiner Frau, die in Indonesien lebt, hält er
informelle Gespräche führen und mir wurde von allen Seiten                              mittels Telefonaten Kontakt, da persönliche Besuche kaum
großes Interesse und Höflichkeit entgegen gebracht.                                     öfter als drei Mal im Jahr möglich sind.
    Die vier männlichen Interviewpartner, die mir über eine                                 I have somebody to ask if I have difficulties. Somebody to know the more
Kontaktperson vermittelt wurden, werden im Folgenden                                        deeply about religion, but for that I also, I encourage myself to get different
pseudonymisiert, um ihre Anonymität zu gewährleisten.                                       insight from the religion. I learn from book, from internet […] for the com-
Sie alle standen mir in einem mehrstündigen Gruppenin-                                      munity but primary I have also this person4 who, if I have difficulties to
terview umfangreich Rede und Antwort und gewährten mir                                      ask for myself and my father also I mean, he is good person in the religion
Einblicke in ihr religiöses Leben und in ihre Gedanken. Bei                                 so sometimes I have difficulties, I can ask him also. Yeah, but most, no I
meinem zweiten Besuch am 10. Juni 2011 führte ich ein                                       mean, most of children now is cleverer than their parents (Sigit, Auszug
ausführliches Leitfadeninterview mit einer jungen indone-                                   aus Interview I am 6.2.2011, Zl.nr.: 446-451)
sischen Muslimin, die mir ebenfalls sehr hilfreich und auf-                             Kurnya wurde in Jakarta geboren. Die streng islamische Kul-
geschlossen über ihre Ansichten und religiösen Praktiken                                tur seiner Familie erklärt sich Kurnya durch die Herkunft
Auskunft gab. Auch ihren Namen habe ich aufgrund der                                    seines Vaters. Dieser stammt aus Sumatra und in der Fami-
Wahrung ihrer Anonymität geändert. Ich möchte die fünf                                  lie seiner Mutter finden sich auch arabische Wurzeln. »Our
IndonesierInnen in der Folge zuerst vorstellen.3                                        family are always Muslim. They are good Muslim, I mean there
                                                                                        are strong Islamic culture inside and from my mother’s side it is
                      Die InterviewpartnerInnen                                         also the same.” (Kurnya, Auszug aus Interview I am 6.2.2011,
Arif, der in einer kleinen Stadt nahe Jakarta auf die Welt                              Zl.nr.: 129-131) Da seine Eltern berufsbedingt nach Öster-
kam und bereits eine eigene Familie hat, kam mittels eines                              reich kamen, begann Kurnya an der Universität in Wien zu
Universitäts-Stipendiums 2007 nach Wien. Von meinen In-                                 studieren. Er hat vor, sein Studium mit einem Master abzu-
terviewpartnern ist er der Älteste und er wurde zugleich von                            schließen, bevor er in sein Herkunftsland zurückkehrt. Der
den anderen als »bester Muslim« bezeichnet. Arif wurde in                               junge Mann ist froh, dass er bis jetzt jedes Jahr genügend fi-
einem indonesischen pesantren nach muslimischen Grund-                                  nanzielle Mittel ansparen konnte, um gemeinsam mit seiner
sätzen erzogen und ausgebildet. Er war bereits zur Hadj in                              Familie Ramadan, das wichtigste islamische Fest im Jahr, in
Mekka und betet regelmäßig fünf Mal am Tag. Arif besucht                                Indonesien zu feiern. Er geht bezüglich der Einhaltung isla-
zum Freitagsgebet am liebsten die nigerianische Moschee,                                mischer Vorschriften mit sich selbst sehr streng ins Gericht.
wo Englisch gesprochen wird. Über die islamistischen Be-                                    Every time I got a chat conference with my mother, she asks me: »Have you
wegungen meinte er:                                                                         prayed, [andere lachen] have you prayed today?” Every time, but I don’t
    It’s a lot like car: if you buy whatever your car good or bad, it depend[s]             think I am a good person (Kurnya, Auszug aus Interview I am 6.2.2011,
    on the driver. Even if you buy a very good car, a BMW or Mercedes Benz,                 Zl.nr. 304-306)
    if your driver is get drunk, he will hit tree or hit people, but if the driver is   Die 30-jährige Dewi wurde in Malang, Ostjava, geboren. Auf-
    good mind he will drive very nice. He can even take people behind him, then         grund ihres Studiums an der Diplomatic Academy of Vienna

3 An dieser Stelle möchte ich nochmals meinen großen Dank an alle beteiligten Perso-    4 Sigit spricht hier von einer bestimmen Ansprechperson, an die er sich mit seinen
  nen ausdrücken, die mir diese empirische Untersuchung ermöglicht haben!                 religiösen Fragen wendet, aber nicht näher beschreibt.

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kam sie nach Österreich, wo sie mit ihrem Mann und ihrem                               Bei religiösen Fragen zieht es Kurnya vor, sich an sei-
kleinen Sohn lebt. Ihre religiöse Einstellung zeichnet sich                        ne Mutter oder an ältere Personen zu wenden, von denen
durch große Offenheit und Flexibilität aus. Sie trägt selbst-                      er überzeugt ist, dass sie besser über den Islam Bescheid
bewusst das muslimische Kopftuch. Aufgewachsen in einer,                           wissen. Dabei kommt es jedoch auch vor, dass Kurnya kei-
wie Dewi sagt, nicht sehr religiösen, aber hoch gebildeten                         ne zufriedenstellende Antwort bekommt. Die älteren Mus-
Familie, war die Zugehörigkeit zur islamischen Religion stets                      limInnen kennen zwar die islamischen Ge- und Verbote,
ihre eigene Entscheidung und Verantwortung.                                        können Kurnya, der die Prinzipien des Islams hinterfragen
   I had the question from my friend: »why do you chose Islam? Did your            und verstehen möchte, aber nicht erklären, was sie bedeu-
   parents chose for you or did you chose yourself?” At that moment, I cannot      ten oder was ihr Hintergrund ist. Der Student konfrontiert
   answer because since I was small of course, parents introduce me to this        daher auch junge, gut ausgebildete MuslimInnen mit seinen
   religion. I never knew any other religion, and since that I had a curiosity     Fragen. Pram findet es bequemer und einfacher eine offene
   of learning other religion. Actually my mother, she also is a religion expert   Diskussion über islamische Themen zwischen Gleichaltrigen
   […] and she studies other religions and I had some insights about other         zu führen, anstatt nach einer Führung zu suchen, wie er es
   religions from her and from Islam itself. When I am much older she answers      formuliert. Fragen, mit denen sich die jungen muslimischen
   my questions and, I think, since high school it was the moment when I           IndonesierInnen beschäftigen sind beispielsweise, warum
   chose: oh yes this is my choice, not my parents’ choice (Dewi, Auszug aus       man als MuslimIn keinen Alkohol trinken darf.
   Interview II am 10.6.2011, Zl.nr. 108-115)
Anschließend möchte ich die zentralen Aspekte beleuchten,                                        Transformation der Glaubenspraxis
die in den Interviews angesprochen wurden.                                         Das religiöse Leben meiner GesprächspartnerInnen in einem
                                                                                   fremden und noch dazu nicht mehrheitlich islamischen
               Religiöse Erziehung in Indonesien                                   Land ist von einem gewissen Grad an Unsicherheit geprägt.
Alle InterviewpartnerInnen gaben an, erste Kontakte mit                            Vor allem religiöse Fragen zu verschiedenen Themen, die
dem Islam innerhalb der Familie geschlossen zu haben.                              sich in einer mehrheitlich christlichen Gesellschaft ergeben,
Meist waren beide Elternteile für erste Berührungen mit                            beschäftigen die IndonesierInnen. Es ist jedoch schwierig,
dem Islam ausschlaggebend. Das erste salat-Gebet, seine                            sich mit diesen Unklarheiten an die richtige Person zu wen-
Bedeutung und Anfänge der arabischen Schrift wurden Si-                            den, die eine befriedigende Auskunft geben kann. Der indo-
git jedoch überwiegend von seiner Mutter beigebracht. Eine                         nesischen Gemeinschaft fehlt ein Lehrer, eine religiöse Au-
tiefer gehende Beschäftigung mit Religion erfolgte bei allen                       toritätsperson, stellen die InterviewpartnerInnen fest. Wie
GesprächspartnerInnen mit dem Schuleintritt. In Indonesi-                          im Kapitel »Islam in Europa« angesprochen, mangelt es an
ens staatlichen Schulen ist der Religionsunterricht ein obli-                      religiösen Strukturen. Die indonesischen MuslimInnen sind
gatorisches Fach, welches zwei Mal wöchentlich stattfindet.                        auf sich alleine gestellt. Sie beraten sich daher untereinander
Der Religionsunterricht in den madrasahs brachte den Be-                           oder recherchieren nach Lösungen im Internet. Dies führt
fragten Personen ein grundlegendes Verständnis des Islams                          dazu, dass die Gläubigen eine breite Palette an legitimen
sowie die arabische Schrift und Aussprache nahe. Außer-                            Handlungsmöglichkeiten zur Auswahl haben und sich frei
dem wurde ihnen das islamische Konzept von Gott gelehrt.                           für eine davon entscheiden können.
Arif, dessen Vater wie er selbst in der Muhammadiyah tätig                            Usually we see more in the internet because more experience from people,
ist, während sein Großvater Mitglied der NU war, besuchte                             so there are views here this one, this one and it’s up to us which one we
drei Jahre lang ein traditionell islamisches pesantren. Dort                          choose. It’s more flexible when we find it in the internet (Dewi, Auszug aus
werden zwei verschiedene Curricula unterrichtet, sodass die                           Interview II am 10.6.2011, Zl.nr. 222-224)
SchülerInnen sowohl allgemein bildende Fächer, als auch                            Das Praktizieren des islamischen Glaubens hat sich für ei-
islamisch-religiöse absolvieren. Arif beschreibt seine Zeit                        nige Befragten, seitdem sie in Österreich leben, erschwert.
im pesantren als schwierig, da die Kinder von früh morgens                         Das liegt laut Arif, der diesbezüglich jedoch keine Probleme
bis nachmittags formalen säkularen Unterricht und danach                           hat, vor allem daran, dass MuslimInnen nicht von ihrer
religiöse Erziehung hatten.                                                        sozialen Umgebung unterstützt werden. So stellt das für die
     In muslimischen Familien der bildungsnahen und ein-                           männlichen Gesprächspartner erstrebenswerte fünfmalige
kommensstarken Schicht, zu denen Dewis Familie zu zählen                           Beten am Tag für viele MuslimInnen eine Schwierigkeit dar.
ist, ist es nicht unüblich, einen privaten Religionslehrer für                     Häufig können die vorgegebenen Gebetszeiten nicht ein-
die Kinder zu engagieren, um ihre religiösen Kenntnisse zu                         gehalten werden, da die Gläubigen bei der Arbeit oder auf
vertiefen. So hält auch die indonesische Gemeinschaft in                           der Universität beschäftigt sind. Es ist außerdem manch-
Wien regelmäßig private Arabisch- und Koranlesekurse ab.                           mal schwierig, einen geeigneten Platz zum Beten zu finden.
Dewi erzählt, dass sie gerne Religionsunterricht hatte, da die                     Kann man ein Gebet nicht einhalten, gibt es die Option, das
SchülerInnen durch Spaß zum Lernen angeregt wurden. Sie                            nächste dafür zu verdoppeln, wovon meine Interviewpartne-
erinnert sich jedoch auch noch an die belastende Zeit, als                         rInnen des öfteren Gebrauch machen. Erschwerend kommt
die Prüfungen anstanden. Sie musste Verse aus dem Koran                            die Abwesenheit des Gebetsrufes hinzu, der in islamischen
auswendig lernen, was sich in einer für sie fremden Sprache                        Ländern die gläubigen MuslimInnen ans Gebet erinnert und
als schwierig erwies. Dewi und ihre MitschülerInnen fragten                        hierzulande nicht zu hören ist. Kurnya gesteht im Gespräch,
sich damals, warum sie die Gebete nicht in ihrer eigenen                           dass er manchmal nur ein Mal pro Woche betet (»I am not a
Sprache aufsagen dürfen. Indonesische Kinder, so wurde mir                         good person« – Kurnya, Auszug aus Interview I am 6.2.2011,
von Dewi erklärt, werden nicht streng islamisch erzogen,                           Zl.nr.: 316), er versichert aber, dass er seine Gewohnheit
sondern vielmehr dazu ermutigt, Wissen und Information                             ändern möchte (»I’ll do my best maybe after my birthday« –
über Religion anzustreben und selbstständig ein Konzept                            ebda., Zl.nr.: 317-318), woraufhin die anderen Männer laut
des individuellen Glaubens zu entwerfen.                                           lachen. Pram hat ebenso wie Kurnya oft ein schlechtes Ge-

Shabka Background 12- 2013                                                                                                                                      7
wissen, wenn er die regelmäßigen Fragen seiner Mutter, ob                           keit abnimmt, da die von ihnen angebotenen Leistungen
er heute schon gebetet habe, verneinen muss. Die elterliche                         im Bildungs- und Sozialbereich für die Mittelschicht heute
Kontrolle und das Schuldgefühl motivieren ihn zum Beten.                            nicht mehr so von Bedeutung sind, oder tendenziell ältere
Das Morgen- und Abendgebet sind für ihn leicht einzuhal-                            bzw. strenggläubigere Personen Wert auf eine Mitgliedschaft
ten, aber vor allem die Gebetszeiten untertags sind aufgrund                        legen.
seiner Lehrveranstaltungen an der Universität schwierig zu
befolgen. Die Gespräche mit meinen InterviewpartnerInnen                                          Die Bedeutung neuer Medien und
ergaben die einheitliche Ansicht, dass das soziale Umfeld für                                       Kommunikationstechnologien
die Auslebung der Religion prägend und einflussreich ist. So                           The impact of the new forms of media, particularly the Internet, on the
meint Kurnya, dass er mithilfe »guter Muslime« selbst dazu                             Islamic public sphere can be compared to the tremendous effect of the
angetrieben wird, die vorgegebene Praxis zu leben. Auch                                print revolution that was witnessed during the early years of modernity.
Dewi berichtet ähnliches:                                                              (El-Nawawy / Khamis 2009: 47)
    It depends really on the situation, the community. When I went to the           Die Bedeutung von Massenmedien und neuen Kommuni-
    university I find myself so I just control my own life, so it depends if I am   kationstechnologien für gesellschaftliche Entwicklungen
    too lazy to wake up in the morning or I forget or I have to do, I have to go    ist ein viel debattiertes Thema in den Sozialwissenschaften.
    somewhere and the time is too short to do it or those kind of stuff. I think    Kern der Aussage vieler WissenschafterInnen ist, dass der
    it depends on the place. (Dewi, Auszug aus Interview II am 2.6.2011,            Einfluss der Medien großes Potenzial in sich birgt, traditio-
    Zl.nr.: 367-371)                                                                nelle politische Strukturen zu transformieren und zu moder-
Laut Arifs Interpretation schreibt die im Koran überlieferte                        nisieren. Aber auch die entgegengesetzte Ansicht, nämlich
Tradition vor, das Gebet, wenn möglich, gemeinsam durch-                            dass autoritäre Regime Massenmedien zu Propagandazwe-
zuführen. Geografisch weit entfernt vom vertrauten fami-                            cken unter ihre Herrschaft stellen und manipulieren, wird
liären und sozialen Umfeld ist auch dies eine islamische                            vertreten (vgl. Ibahrine 2007: 5). Viele Aspekte der sozialen
Vorgabe, die von den in Wien lebenden IndonesierInnen                               und politischen Dynamiken in der kontemporären islami-
oft nicht erfüllt werden kann. Die von mir interviewten                             schen Welt sind auf die wachsende Verbreitung von neu-
Personen finden, dass es ihnen als in Wien lebende Musli-                           en Medien und dabei vor allem auf die Kommunikation
mInnen im österreichischen Vergleich gut geht. Pram, der                            über das Internet zurückzuführen. Die öffentliche Sphäre
ein Semester in Steyr studierte, hatte sechs Monate lang                            des Islam wird zunehmend interaktiv. Obwohl man in vie-
nicht die Möglichkeit, das Freitagsgebet in einer Moschee                           len Ländern nicht von einem offenen und freien Diskurs
zu verrichten, da er dort kein muslimisches Gebetshaus fin-                         sprechen kann, werden Beschränkungen mehr und mehr
den konnte. In Österreich gibt es etwa 150 muslimische                              zurückgedrängt. Vormals tabuisierte Themen werden online
Gebetsräume, von denen sich 100 in Wien befinden. Diese                             diskutiert – von Menschen, die sonst keine Stimme in ihrer
sind jedoch von außen oft nicht als Moschee erkennbar. Die                          Gesellschaft haben. Religion und das Internet werden in ei-
einzige Moschee in Österreich, die durch ein Minarett auch                          ner technologisierten Ära miteinander verbunden. Interakti-
äußerlich als solche erkennbar ist, wurde aufgrund einer In-                        ve Webseiten, Live Chats, Online-Foren und andere mediale
itiative mehrerer Botschaften islamischer Länder (z.B. Saudi-                       Plattformen und Netzwerke ermöglichen zu jeder Zeit den
Arabien) am Wiener Hubertusdamm im 21. Bezirk errichtet                             Abruf von theologischer Beratung, sozialen Aktivitäten und
(vgl. Khorchide 2009: 33).                                                          anderen Merkmalen organisierter Religion. Das Phänomen
     Dewi nennt einen weiteren wichtigen Aspekt, der für                            Islam im Internet trägt dazu bei, dass sich neue religiöse
viele MuslimInnen in Europa bzw. Österreich ein zentrales                           Machtverhältnisse formieren. In den Massenmedien tref-
Problem darstellt. Der Umgang mit Lebensmitteln, die nicht                          fen viele verschiedene Einflüsse und Denkweisen aufein-
eindeutig als halal (das Erlaubte) bezeichnet sind, wirft für                       ander, die traditionell höchsten muslimischen Autoritäten,
Angehörige des islamischen Glaubens einige Ungewisshei-                             die ulama, verlieren daher an Bedeutung. Der unmittelbare
ten auf und sorgt in muslimischen Kreisen für umfangreiche                          Zugang zu Informationen über den Islam führt dazu, dass
kontroverse Diskussionen. Die von mir befragten Personen                            neue Diskurse entstehen, die die Macht der traditionellen
berichten, dass ihnen auf diesem Gebiet von Seiten der Ös-                          religiösen Autoritäten dezentralisieren und in Frage stellen
terreicherInnen mit großem Respekt entgegen gekommen                                (vgl. Eikelman/Anderson 1999: 3f; Seib 2009: vii f).
wird. Sind sie bei nicht-muslimischen Bekannten zu Besuch                                Trotz dieser neuen Möglichkeiten, die das Internet der
oder auf Partys eingeladen, werden ihnen vegetarische Mahl-                         internationalen muslimischen Gemeinschaft bietet, dürfen
zeiten bzw. Speisen ohne Schweinefleisch angeboten.                                 damit einhergehende Unsicherheiten nicht ignoriert wer-
     Mit ein bisschen mehr Unterstützung seitens der ös-                            den. Da die Kommunikation auf den meisten Webseiten
terreichischen Regierung, die schließlich für die uneinge-                          anonym abläuft, kann man sich nicht sicher sein, ob ein
schränkte Religionsausübung der islamischen Gemeinschaft                            autoritativer Ratschlag von einem geschulten religiösen
verantwortlich ist, würden vor allem junge MuslimInnen                              Gelehrten stammt oder von einem/r »AmateurIn« (vgl. El-
wie Kurnya und Pram in ihrer islamischen Glaubenspraxis                             Nawawy / Khamis 2009: 2f). Essentielle Fragen, die zwischen
unterstützt und motiviert werden, ist Arif überzeugt.                               MuslimInnen online diskutiert werden, thematisieren, wel-
     Bemerkenswerterweise wird aus den Interviews ersicht-                          che Bedeutung der Islam für im Westen lebende Gläubige
lich, dass nur eine Person, Arif, Mitglied in einer islami-                         hat, wo, wie und woher verlässliches Wissen über den Is-
schen indonesischen Organisation, der Muhammadiyah,                                 lam generiert werden kann und wie »gute« und »schlechte«
ist, obwohl die nahen älteren Generationen, vor allem die                           Interpretationen des Koran unterschieden werden können
Großeltern meiner InterviewpartnerInnen, häufig in einer                            (vgl. El-Nawawy / Khamis 2009: 9). Der grundlegende Ver-
der beiden großen islamischen Vereinigungen tätig waren.                            änderungsprozess der durch Internet und soziale Medien
Daraus lässt sich schließen, dass entweder deren Wichtig-                           getragen wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass vor allem

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die junge Generation in die islamische Öffentlichkeit ein-                          for us to keep in contact. We don’t have to talk to them but they
bezogen wird. Viele der Jugendlichen prägen eine entschei-                          can see, oh ya my son is now big because I put his picture on
dende Transformation der muslimischen Glaubenspraxis,                               the Facebook” (Dewi, Auszug aus Interview II am 10.6.2011,
indem für sie keine regelmäßigen Moscheebesuche, sondern                            Zl.nr. 196-198).
die Konsumation von neuen Medien – beispielsweise TV-                                   Mehrmals in der Woche werden Nachrichten auf Kom-
Shows der neuen religiösen Intellektuellen oder Websites der                        munikationsforen oder Mobiltelefonen hinterlassen, um
modernen Gelehrten – im Vordergrund stehen. Die starke                              sich so über große Distanzen hinweg auszutauschen. Vor
Präsenz des Islam in der Medienlandschaft ist mitunter ein                          allem die jungen IndonesierInnen sehen sich, wie oben er-
bedeutender Faktor der Re-Islamisierung des 21. Jahrhun-                            wähnt, durch den regelmäßigen Kontakt mit ihren Eltern per
derts (vgl. ebda.: 48).                                                             Web2.0 an ihre Pflichten als muslimische Gläubige erinnert.
    Im Fall meiner InterviewpartnerInnen werden Informati-
onen durch Austausch mit anderen MuslimInnen (vor allem                                           Der indonesische Islam als Vorbild?
mit der niederländischen indonesischen Gemeinschaft) bzw.                           Wie auch schon im Abschnitt »Islam in Indonesien« gezeigt
Fertigkeiten zum Zitieren des Korans und sogar ganze Pre-                           wurde, wird der Islam in der indonesischen Republik im
digten mithilfe des Internets generiert. Pram erklärte mir,                         Vergleich zu anderen Staaten oft als moderater bzw. libe-
dass er religiöse Unklarheiten oder Fragen zur islamischen                          raler bezeichnet. Dieses Bild wird auch von prominenten
Praxis mit seinen indonesischen Freunden online debattiert.                         Vertretern des Islam in Indonesien transportiert, wie etwa
Kommt dabei keine passende Lösung für ihn zu Stande, fra-                           von Abdul H. Muzadi, dem ehemaligen Vorsitzenden der
gen seine Freunde ihre islamischen Lehrer in Indonesien.                            Nahdlatul Ulama: »And I stand here as a proud citizen of Indo-
Auch Dewi erwähnt, dass bezugnehmend auf die Schwie-                                nesia, a country where Islam, democracy and modernity flourish
rigkeit des Ausfindigmachens von Halal-Produkten, der Aus-                          in harmony.” (Muzadi 2010: 21) Die Etablierung einer plura-
tausch über das Internet Abhilfe schaffen kann: »my friend, a                       listischen Demokratie in Indonesien stellt für andere musli-
few months ago, she put on her Facebook, she is in Vienna, and                      mische Länder ein praktisches Beispiel dar und so wird auf
she found a beef halal that’s sold in Merkur« (Dewi, Auszug aus                     Indonesien im Zuge der aktuellen Demokratiebestrebungen
Interview II am 10.6.2011, Zl.nr.: 248-249).                                        in den arabischen Ländern auch immer wieder verwiesen.
    Arif wiederum, der sich im Laufe seiner Ausbildung                              »Soft power often succeeds, whereas hard power always fails”,
bereits ein breites Wissen über den Islam angeeignet hat,                           betont etwa der Vorsitzende der Muhammadiyah, Din Sy-
strebt weiter nach differenzierten islamischen Sichtweisen                          mamsuddin (Syamsuddin 2010: 196).
und wird dabei oft mittels Suchmaschine Google fündig. Es                                In Österreich vermissen meine InterviewpartnerInnen
kommt auch vor, dass er Predigten und Gebete bestimmter                             zuweilen die unterstützende Rolle des Staates. Die befragten
arabischer Gelehrter via YouTube mitverfolgt. Datenübertra-                         Personen beklagten beispielsweise die fehlende Unterstüt-
gungen und Downloads in Österreich funktionieren durch                              zung in der Bereitstellung »richtiger« Moscheen und der
eine bessere Internetverbindung meist schneller als in Indo-                        Einhaltung der islamischen Gebetszeiten während der Ar-
nesien, was von den interviewten Personen hoch geschätzt                            beits- und Studienzeiten. Die Einführung unterschiedlicher
wird. So können nicht nur Literatur, sondern auch Videos                            religiöser Feiertage (christliche, islamische, hinduistische
und Filme religiöser Personen generiert werden. Meine                               bzw. buddhistische) in Österreich, wie es in Indonesien der
GesprächspartnerInnen sind sich darin einig, dass die Ent-                          Fall ist, schlägt etwa Arif vor. Denn dass Muslime oft keine
wicklung des Internets mit seiner globalen Vernetzung neue                          Möglichkeit haben, das Freitagsgebet zu verrichten, sieht er
Möglichkeiten und Horizonterweiterungen geschaffen hat.                             als eine Art Diskriminierung an. Für Pram ist die Aufregung
   I feel I open my border of thinking. I can get a lot of knowledge, I can get a   um den Bau von Minaretten in Österreich wiederum unver-
   lot of insight about how to practise Islam, how to spread, how to let people     ständlich. Auch in Indonesien gibt es viele Moscheen ohne
   know what this Islam is. And ya, it’s very very important for us the internet    Minarett; wieso sollte es also für MuslimInnen in Österreich
   access. We can get a lot of thing we can share to everybody (Arif, Interview     so wichtig sein, fragt er. Seiner Meinung nach ändert ein
   I am 6.2.2011 Zl.nr. 221-224)                                                    Minarett nichts an der islamischen Glaubenspraxis.
Auch Technologien der letzten Jahrzehnte wie Mobiltele-                                  Die Betonung des indonesischen Islams als moderat und
fone, Smart Phones, mobiles Internet etc. prägen die Glau-                          demokratisch durch meine InterviewpartnerInnen kann je-
benspraxis von MuslimInnen. Durch die Abwesenheit des                               doch nicht von der Tatsache ablenken, dass auch dieser gegen
Gebetsrufes in Österreich, der in islamischen Ländern fünf                          Radikalismen nicht immun ist. Religiöse Lehren werden auch
Mal am Tag zu den sich täglich ändernden Gebetszeiten                               in Indonesien als Mittel zur Provokation missbraucht. Kon-
erschallt, verlassen sich etwa die von mir befragten Musli-                         flikte und Glaubensstreitigkeiten finden nicht nur zwischen
mInnen auf alarmierende Erinnerungen, die sie im Handy                              MuslimInnen und Mitgliedern anderer Religionsgemein-
gespeichert haben.                                                                  schaften statt, auch innerhalb der muslimischen Gemein-
    Soziale Medien und das Internet spielen im Leben mei-                           schaft gibt es verschiedene Strömungen, deren Ansichten oft
ner InterviewpartnerInnen aber nicht nur eine wichtige                              sehr different sind, sodass es auch intern zu schweren Ausei-
Rolle für das Praktizieren ihres Glaubens. Transnationale                           nandersetzungen kommt (Muzadi 2010: 21). So ist etwa die
Kommunikationsmittel wie Skype und Facebook sowie der                               Rekrutierung von SchülerInnen oder StudentInnen für extre-
herkömmliche Emailverkehr sind besonders beliebt, um mit                            mistische Bewegungen in Indonesien ein gängiges Problem.
der Familie in Indonesien in Kontakt zu bleiben. Da Reisen                          Diese zielen vor allem auf junge, ungefestigte MuslimInnen
nach Indonesien für die von mir befragten IndonesierInnen                           ab, die leicht durch radikale Ideologien beeinflussbar sind.
kaum öfter als ein Mal pro Jahr möglich sind, bevorzugen                            Auch Dewi berichtet von solch einem Erlebnis:
sie, die Verbindung zu ihren Familien und Freunden via                                 I thought I was going to a meeting to increase my knowledge in religion
sozialen Medien aufrechtzuerhalten: »[…] that has a big role                           but all of a sudden it’s only me and my sister and this one person […] but

Shabka Background 12- 2013                                                                                                                                     9
this was only three people and there’s one person telling us what to do,             Conclusio
     that Islam means state, Islam it doesn’t mean religion. We have to have           Die PPI Austria spielt für die von mir interviewten Indone-
     an Islamic state in Indonesia; it’s not an Islamic state so it’s considered not   sierInnen eine wichtige Rolle, da der MigrantInnenverein
     Islam. We have to make our own state and you have to convert; it doesn’t          einerseits ein soziales Netzwerk in Wien und andererseits
     make sense (Dewi, Auszug aus Interview II am 10.6.2011, Zl.nr. 524-529)           eine transnationale Verbindung zum Herkunftsland dar-
Meine InterviewpartnerInnen distanzieren sich klar von                                 stellt. Durch Veranstaltungen, Seminare und Vorträge wird
solchen islamistischen Strömungen. Bei meinem Besuch                                   der regelmäßige Kontakt untereinander aufrechterhalten.
in der indonesischen Botschaft fiel mir hingegen der unge-                             Koranlesekurse in der indonesischen Botschaft dienen der
zwungene und offene Umgang mit Religion auch gegenüber                                 religiösen Praxis und der Fortbildung hinsichtlich des isla-
»Fremden« wie mir auf. Als ich vor der Durchführung der                                mischen Glaubens. Daneben stellt das Freitagsgebet in einer
Interviews eingeladen wurde, mich am reichhaltigen Buffett                             Moschee einen wichtigen sozialen Treffpunkt für die indo-
zu bedienen, wurde mir erklärt: »Don’t worry, it’s all halal                           nesischen Männer dar, bei dem nach dem Gebet gemeinsam
food«, was allgemein für große Erheiterung sorgte. Diese                               gegessen und geplaudert wird.
scherzhafte Aussage verweist auf einen selbstreflektierten                                 Die Interviews weisen auf die Eltern als erste religiöse
Umgang mit dem Islam, der den indonesischen MuslimIn-                                  Autoritätspersonen hin. Eine Vertiefung der islamischen
nen sicherlich dabei hilft, ihre Situation in Österreich als                           Glaubenspraxis findet in indonesischen Schulen statt. Der
religiöse Minderheit zu bewältigen.                                                    Schultyp wirkt sich mitunter sehr prägend auf die spätere
                                                                                       Religiosität der SchülerInnen aus. So sei an dieser Stelle noch
                       Sehnsucht nach »zu Hause«                                       einmal auf Arifs schulische Laufbahn verwiesen, dessen Va-
Was möglicherweise alle MigrantInnen weltweit eint un-                                 ter Mitglied bei der Muhammadiyah ist. Arif wurde in einer
abhängig davon, ob sie freiwillig emigriert sind oder dazu                             traditionell islamischen Internatsschule ausgebildet und
gezwungen wurden, ist die Sehnsucht nach dem Ort, von                                  wird von den anderen InterviewpartnerInnen als der »beste
dem sie aufgebrochen sind, sei er noch so zerstört, geplün-                            Muslim« mit vielen islamischen Kenntnissen erachtet. Auch
dert, niedergebrannt, wirtschaftlich darniederliegend etc.                             er ist heute Mitglied der Muhammadiyah.
Nicht unbedingt Geborgenheit, aber in jedem Fall innere                                    Als junge heranwachsende MuslimInnen in Indonesien
Verbundenheit, emotionale Erinnerungen, das Vertraut- und                              erhielten meine InterviewpartnerInnen eine Erziehung, die
nicht Fremd-Sein lassen Ausgewanderte an ihre alte »Hei-                               viel Wert sowohl auf Religion als auch auf Toleranz legte. Die
mat« zurückdenken. Meine InterviewpartnerInnen haben                                   Flexibilität des »moderaten« indonesischen Islams wurde
von sich aus verschiedene Sehnsüchte angesprochen, die                                 mir gegenüber häufig betont. Meine InterviewpartnerInnen
sich mitunter auch auf die Ausübung des Islams beziehen.                               streben heute nach Wissen und Informationen über den
     […] last year the first day I drove to Jakarta, I hear the Adhan5. And then I     Islam, um ihren Glauben auf ihre Weise leben zu können.
     was, I feel happy, I was crying too because at least, I mean almost one year      So wenden sich manche MuslimInnen mit ihren Fragen an
     I never heard Adhan here. (Kurnya, Auszug aus Interview I am 6.2.2011,            Personen, die sie als religiöse Autoritäten betrachten. Andere
     Zl.nr. 306-308)                                                                   bevorzugen die offene Diskussion unter interessierten Mus-
So wird neben dem Adhan beispielsweise das gemeinschaft-                               limInnen. Eine zentrale Ansprechperson für religiöse Ange-
liche Gebet genannt, dass aufgrund des fehlenden sozialen                              legenheiten, einen islamischen Gelehrten oder Mentor ver-
Netzwerks in Österreich kaum durchgeführt werden kann.                                 missen meine InterviewpartnerInnen jedoch in Österreich.
In Indonesien, wo nicht nur Freunde und Familie leben,                                     Die islamischen Pflichten sind von meinen Gesprächs-
sondern das gesellschaftliche Leben generell gemeinschafts-                            partnerInnen in Österreich nicht leicht erfüllbar. So stellen
orientierter abläuft, ist die Freizeit ausgefüllt mit sozialen                         etwa das fünfmalige Beten zu bestimmten Zeiten oder das
Kontakten, Einladungen zu religiösen Feiern und Besuchen.                              Einhalten der Speisevorschriften Hürden dar. Das Praktizie-
In der Diaspora, wo sich soziale Beziehungen, abgesehen                                ren des islamischen Glaubens kennzeichnet sich in Euro-
von jenen innerhalb der indonesischen Gemeinschaft bzw.                                pa oft dadurch, dass traditionelle islamische Institutionen,
ihrer Organisationen wie der PPI Austria, für einige meiner                            die für die Religionspraxis zentral sind, beispielsweise der
InterviewpartnerInnen in sehr beschränktem Umfang dar-                                 Gebetsruf Adhan oder islamkundige Autoritäten, nicht
stellen, ist das gesellschaftliche Leben hingegen begrenzter.                          ausreichend vorhanden sind. Aufgrund dessen werden die
Hauptsächlich wird das Freitagsgebet, so eine Teilnahme                                fehlenden religiösen Elemente durch neue ersetzt. So neh-
möglich ist, bzw. die Zeit danach dafür genützt, andere                                men Erfindungen des digitalen Kommunikationszeitalters
IndonesierInnen zu treffen, zu plaudern oder gemeinsam                                 den Platz von früheren Formen der Religionsvermittlung
zu essen. Die befragten Personen sehen in den reduzierten                              ein. Fragen, Diskussionen und Informationen über religiöse
sozialen Aktivitäten allerdings auch den Vorteil, dass sie die                         Belange werden im Internet ausgetragen bzw. generiert. Da-
Zeit besser für ihr Studium nutzen können.                                             rüber hinaus sind soziale Medien wie Skype und Facebook
    Obwohl der Kontakt und die Beziehung zu Verwandten                                 für indonesische MuslimInnen in Österreich wichtig, um
und FreundInnen in Indonesien durch moderne Kommuni-                                   den transnationalen Kontakt zu Familie und Freunden in
kationstechnologien einfach aufrechterhalten werden kann,                              Indonesien aufrechtzuerhalten.
ist die Sehnsucht meiner InterviewpartnerInnen nach ver-                                   Die meisten meiner GesprächspartnerInnen vernachläs-
trauten Personen groß. Arif brachte dies auf den Punkt, als                            sigen die islamische Glaubenspraxis in Österreich zugunsten
er zu mir sagte:                                                                       ihrer weltlichen Pflichten oder ihres flexiblen Lebensstils.
     »The contact is not difficult but the feeling is hard” (Arif, Auszug aus          Das regelmäßige Einhalten der Gebete ist daher stark von
     Interview I am 6.2.2011, Zl.nr.: 178)                                             ihrer sozialen Umgebung abhängig. In einer mehrheitlich
                                                                                       muslimischen Gesellschaft werden die Personen eher zum
5 Muslimischer Gebetsruf.                                                              Vollzug des fünfmaligen Gebets motiviert als in einer über-

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