0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
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Das »MINT Nachwuchsbarometer 2020 In Zahlen« gibt Einblick in die Daten, die der Studie zugrunde liegen, und ist abrufbar unter: www.acatech.de/projekt/mint-nachwuchsbarometer www.koerber-stiftung.de/mint-nachwuchsbarometer b MINT Nachwuchsbarometer 2020
Vorwort D ie Zukunftsfähigkeit des Innovationsstandorts Deutschland hängt maß- geblich von einer kontinuierlichen und effektiven Förderung des MINT- Nachwuchses (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) ab. Wir benötigen mehr junge Menschen, die mit Ideen, Mut und Neugierde den technologischen Wandel aktiv vorantreiben. Insbesondere in Zeiten wie diesen, wo wir durch die Corona-Pandemie plötzlich dazu gezwungen sind, ausschließlich auf digitalen Wegen mit unseren Mitmenschen in Verbindung zu bleiben, zeigt sich, welche Bedeutung die digitale Transformation für uns alle hat. Der jährlich vom Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik (IPN ) erstellte Bericht zeigt in dieser Ausgabe, dass sich die MINT- Nachwuchssituation in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht zum Posi- tiven verändert hat: Schülerinnen und Schüler sind immer weniger interessiert an mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und auch die Leistungen der 15-Jährigen sinken. Außerdem verfügen viele Jugendliche nur über geringe com- puterbezogene Kenntnisse. Mit Blick auf den digitalen Wandel brauchen wir aber in besonderem Maße Menschen, die digitales Verständnis mitbringen und ebenso sachkundig wie verantwortungsvoll die gesellschaftlich-technologischen Heraus- forderungen angehen. Das MINT Nachwuchsbarometer 2020 belegt, dass unsere Anstrengungen in Deutschland für eine bessere MINT -Bildung und mehr Nachwuchs in Natur wissenschaften und Technik nicht ausreichen. Um die Entscheidungsträger wach- zurütteln, müssen wir Missstände und Handlungsbedarfe klar benennen. Eine Grundlage dafür schaffen wir mit dem MINT Nachwuchsbarometer. Damit wollen wir den gesellschaftlichen Dialog zur Nachwuchssicherung im MINT -Bereich intensivieren. Denn nur in gemeinsamer Verantwortung von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft können wir in diesem Feld nachhaltige Fortschritte erzielen und auch globale Herausforderungen meistern. Tatjana König Prof. Dr.-Ing. Dieter Spath Vorstand Präsident acatech – Deutsche Akademie der Körber-Stiftung der Technikwissenschaften
Inhalt Das Wichtigste in Kürze 3 In frühe Bildung investieren: Kita, Vor- und Grundschule 4 Kompetenzen stärken: Sekundarstufe I 6 Entscheidungen treffen: Sekundarstufe II 10 Chancen eröffnen: Berufliche Bildung 12 Passgenauigkeit verbessern: Hochschule 14 Bildungsforschung im Fokus: Wann wirken Fortbildungen? 16 Auf die Lehrkräfte kommt es an: MINT gesucht! 18 Impulse zur Stärkung der MINT-Bildung 20 Literatur und statistische Daten 22 2 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Das Wichtigste in Kürze Kernbefunde Impulse Mathematische und naturwissenschaftliche Leistungen der Unterrichtsqualität steigern: 15-Jährigen sinken seit 2012 kontinuierlich: Rund 20 Prozent • Individuelle Förderung in Mathematik intensivieren – der Jugendlichen sind nicht auf einem Niveau, das für den sowohl für die schwächeren als auch die begabten weiteren Ausbildungsweg in der Schule oder im Beruf als Schülerinnen und Schüler. tragfähige Basis angesehen werden kann. • Digitale Bildung stärken: Verantwortlichkeiten und verbindliche Lernziele und -inhalte für die Vermittlung Mädchen in der Mittelstufe haben trotz vergleichbarer digitaler Bildungsinhalte definieren. Leistungen weniger Interesse an und Selbstvertrauen in den • Schule öffnen und außerschulische Initiativen einbeziehen: Fächern Mathematik, Chemie und Physik als Jungen. Schülerlabore und mobile Experimentierangebote in den Unterricht einbinden und praxisbezogenen Zugang Digitale Bildung: 33 Prozent aller Schülerinnen und Schüler zu MINT ermöglichen. in der achten Klasse sind leistungsschwach im Hinblick auf • Chancengerechte Bildung umsetzen: nachhaltige ihre computer- und informationsbezogenen Kompetenzen, Förderung von sozial oder sprachlich benachteiligten 2013 waren es 29 Prozent. Schülerinnen und Schülern flächendeckend etablieren. Große Unterschiede bestehen zwischen den Bundesländern: Lehrkräfte stärken: Im Fach Mathematik der neunten Klasse entspricht der • Digitales Lernen in der Lehrkräftebildung verankern: Abstand zwischen den Schülerinnen und Schülern im leis digitale Bildung systematisch und fachübergreifend tungsstärksten und -schwächsten Land einer Lerndifferenz während des Studiums, im Vorbereitungsdienst und in von etwa zwei Schuljahren. Fort- und Weiterbildungen vermitteln. • Fortbildungen auf den Prüfstand: Wirksamkeit von Fort In der Oberstufe wird Informatik bisher selten angeboten bildungen evaluieren, um die Weiterqualifizierung von und von Jugendlichen als nicht attraktiv wahrgenommen: Lehrkräften und damit die Weiterentwicklung des Unter- Lediglich ein Prozent von ihnen wählt im Schuljahr 2018/19 richts zu fördern. einen Leistungskurs Informatik, nur 15 Prozent von ihnen • Fachfremde Lehrkräfte unterstützen: zur fachlichen und sind Schülerinnen. fachdidaktischen Weiterqualifizierung fachfremd unter- richtende Lehrkräfte systematisch und berufsbegleitend Nur knapp 14 Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten fortbilden. können systematisch nach Informationen im Netz suchen und diese hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit beurteilen. Erkenntnisgewinn vorantreiben: • Schulleistungsstudien bis zum Abitur: empirische Studien Im internationalen Vergleich beginnen in Deutschland über- zur Unterrichtsqualität für die Sekundarstufe II in allen durchschnittlich viele junge Menschen ein MINT-Studium Bundesländern einführen. und der Frauenanteil nimmt leicht zu. Allerdings stellt die • Von erfolgreichen Vorbildern lernen: Gelingensbedin- hohe Zahl der Studienabbrüche nach wie vor eine Heraus gungen in anderen Schulen, Bundesländern, EU-Staaten forderung dar. analysieren und erfolgreiche Modelle in die eigene Schul- praxis überführen. Die Anzahl der Lehramtsstudierenden im MINT-Bereich • Transfer in die Praxis sichern: MINT-Bildungsforschung steigt, aber nur rund zwei Prozent wählen Informatik. Es wird muss fachspezifische Befunde über die Wirksamkeit also weiterhin zu wenig Informatiklehrkräfte geben. schulischer MINT-Angebote und -Fortbildungen liefern. MINT Nachwuchsbarometer 2020 3
In frühe Bildung investieren: Kita, Vor- und Grundschule Kinder entwickeln Interesse, wenn MINT regelmäßig in ihren Alltag eingebaut wird. Pädagogische Fachkräfte benötigen MINT-spezifische Fortbildungen, um naturwissenschaftlich-technische Themen einbeziehen zu können. M INT-Bildung hat einen festen Platz im talen Medien nicht reale Erfahrungen ersetzen, Elementarbereich (Kindertagesstätten, sondern einen Mehrwert bieten. Dies gelingt, Krippen, Vorschulen), wobei Mathe- wenn pädagogische Fachkräfte geeignete Ange matik und Naturwissenschaften eine größere bote und Medien sinnvoll verbinden, um Kinder Rolle spielen als Technik und Informatik. anzuregen, über ihre medial gemachten Erfah- Die Digitalisierung selbst gewinnt auch in der rungen zu sprechen und nachzudenken. Zentrale frühen Bildung zunehmend an Bedeutung: Die Fragen der kurz- und langfristigen Wirkung digi- Frage, ob sich Kitas der Digitalisierung öffnen taler Medien, der praktischen Nutzung und der oder eher ein »medialer Schonraum« sein sollten, notwendigen Kompetenzen von pädagogischen rückt jedoch zunehmend in den Hintergrund, Fachkräften sind empirisch kaum untersucht. Für weil digitale Medien heute selbstverständlich zur die Weiterentwicklung der frühen digitalen Bil- Lebensrealität sowohl von Kindern als auch von dung sollte deshalb in Forschung und insbeson Eltern und pädagogischen Fachkräften gehören. dere in die Evaluation von theoretisch-fundierten Nichtsdestotrotz sollten Erfahrungen mit digi Best-Practice-Bespielen investiert werden. 4 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Frühe MINT-Erfahrungen fördern zen pädagogischer Fachkräfte sind Fortbildungen Frühe MINT-Bildung zielt darauf ab, dass Kinder deshalb der zentrale Ansatzpunkt. Die bundesweit in Alltagssituationen Phänomene wahrnehmen größte Fortbildungsinitiative im MINT-Bereich für und untersuchen, Muster entdecken oder Dinge frühe Bildung ist die Stiftung »Haus der kleinen konstruieren. Solche Erfahrungen sind eine wich- Forscher«. Ein kleiner Teil der teilnehmenden Ein- tige Voraussetzung für das spätere schulische Ler- richtungen lässt sich in einem aufwendigen Ver- nen in den mathematisch-naturwissenschaft fahren zertifizieren. Die Anzahl dieser Einrich- lichen Fächern. Denn sie unterstützen Kinder, tungen nimmt stetig zu – von rund 3.500 im Jahr grundlegende MINT-Vorstellungen zu entwickeln, 2013 auf über 4.900 Kitas im Jahr 2019. Dies zeigt, die dann im Unterricht aufgegriffen und weiter- dass MINT in der Kita eine zunehmend wichtige entwickelt werden können. Rolle spielt. Im Alltag Neues entdecken, Kompetenzen in der Grundschule Muster erkennen, Gegenstände In der Grundschule wird Mathematik als eigen- konstruieren – ideale ständiges Fach unterrichtet, die Naturwissen- MINT-Erfahrungen für Kinder. schaften und Technik gehören zum mehrperspek- tivischen Fach Sachunterricht. Den Umgang mit Ergebnisse einer aktuellen Studie, in der knapp digitalen Medien sollen die Kinder fachübergrei- 16.000 Studierende aus den USA retrospektiv be- fend im Rahmen der Medienbildung erlernen. fragt wurden, deuten darauf hin, dass vor allem Der Bildungstrend des Instituts zur Qualitäts- informelle Gespräche über MINT mit Kindern entwicklung im Bildungswesen (IQB) untersucht zwischen fünf und zehn Jahren sowie das Lesen die mathematischen Kompetenzen der Grund- von MINT -Literatur einen langfristigen Einfluss schulkinder und bescheinigt zuletzt 2016 etwa auf die Entwicklung von naturwissenschaftlichen 13 Prozent von ihnen sehr gute Leistungen, wäh- Interessen und Einstellungen haben. Aktivitäten rend rund 23 Prozent der Kinder leistungsschwach wie Wettbewerbe wurden im Vergleich als weni- sind und 13 Prozent nicht einmal die vorgesehe- ger bedeutsam eingeschätzt. nen Mindeststandards erreichen. Diese Schülerin- Retrospektive Studien bergen die Gefahr, dass nen und Schüler starten mit äußerst ungünstigen Ereignisse im Rückblick verzerrt beurteilt wer- Voraussetzungen in den Unterricht der weiterfüh- den: Wer sich für MINT interessiert, bewertet ver- renden Schulen. gangene MINT -Erlebnisse rückblickend mögli- cherweise wichtiger als jemand, der keinen Bezug Große Unterschiede zwischen mehr zu MINT hat. Gleichwohl ist die regelmä den Bundesländern ßige Einbindung von MINT in den Alltag von Kin- Insbesondere der Vergleich der mathematischen dern zum Beispiel über Gespräche oder (Vor-)Lesen Leistungen von Kindern in der vierten Klasse sicherlich zentral für die langfristige Förderung offenbart große Unterschiede zwischen den Bun- des Interesses und einer positiven Einstellung von desländern: Zum Beispiel verfehlen in Bremen Kindern gegenüber MINT. rund 26 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards, in Bayern sind es rund acht Fortbildungen – der wichtigste Hebel Prozent. Diese Unterschiede sind nicht nur auf Um qualitativ hochwertige MINT-Bildungsprozes- makrostrukturelle Merkmale der Länder wie die se im Alltag von Kindern zu begleiten und zu för- Sozialstruktur oder die Arbeitsmarktsituation dern, benötigen pädagogische Fachkräfte MINT - zurückzuführen. Sie weisen auch darauf hin, dass spezifische Kompetenzen, das heißt fachbezogenes die Leistungen der Schülerinnen und Schüler Interesse sowie fachliches und fachdidaktisches durch Maßnahmen wie zum Beispiel verbind Wissen. Die Ausbildung frühpädagogischer Fach- lichere Vorgaben für Mathematik und die Natur- kräfte ist breit angelegt und vermutlich werden in wissenschaften in den Lehrplänen und für Moni- den einzelnen Fachschulen unterschiedliche An- toring verbessert werden können. teile für MINT-Bildungsinhalte umgesetzt. Für die Weiterentwicklung der professionellen Kompeten- MINT Nachwuchsbarometer 2020 5
Kompetenzen stärken: Sekundarstufe I 20 Prozent der 15-Jährigen zählen aufgrund mangelnder MINT-Kenntnisse zur »Risikogruppe«, 33 Prozent fehlt es an grundlegenden digitalen K ompetenzen. Bei Jungen sinkt die Motivation, bei den Mädchen das Interesse an MINT – es besteht akuter Handlungsbedarf! L ese- und MINT-Kompetenzen sind am Ende Staaten – in Deutschland sinken. Auch ICILS und der Sekundarstufe I (Jahrgangsstufen 5 bis der IQB -Bildungstrend bestätigen diese Entwick- 10, in Berlin und Brandenburg Jahrgangs- lung. Die PISA-Ergebnisse verzeichnen nach dem stufen 7 bis 10) zentrale Voraussetzungen für den Anstieg der mathematischen Leistungen von 2003 erfolgreichen Übergang in die berufliche Erstaus- bis 2012 einen erheblichen Rückgang in diesem bildung oder in die gymnasiale Oberstufe. Die Kul- Bereich. Auch in den Naturwissenschaften lagen tusministerkonferenz hat daher im Jahr 2006 eine die Leistungen mit 503 Punkten im Jahr 2018 zwar Strategie verabschiedet, die die regelmäßige Erfas- noch etwas über dem festgesetzten OECD-Mittel- sung der erzielten Kompetenzen in Form nationa- wert (500 Punkte), aber deutlich unter dem Wert ler und internationaler Schulleistungsstudien vor- aus dem Jahr 2006 (516 Punkte). Insgesamt muss sieht. Die aktuellsten Schulleistungsstudien mit man in Deutschland davon ausgehen, dass rund Daten aus 2018 erschienen 2019. ein Drittel des Leistungsrückgangs der letzten Nicht nur die PISA-Studie (2018) kam zu dem zehn Jahre Folge einer sich verändernden Schüler- Ergebnis, dass die Leistungen der 15-Jährigen in schaft in den weiterführenden Schulen ist. Diese Mathematik und in den Naturwissenschaften seit Entwicklung ist auch in vielen anderen Ländern dem Jahr 2012 – ähnlich wie in vielen OECD - zu beobachten: Zum Beispiel gibt es immer mehr Jugendliche mit sonderpädagogischem Förder bedarf und Migrationshintergrund. Der Prozent- Schulleistungsstudien im Überblick satz der Jugendlichen aus Familien mit Migrations hintergrund der ersten und zweiten Generation Studie Zielgruppe Erfasste Kompetenzen erhöhte sich zwischen den Jahren 2000 und 2009 von gut 22 auf 26 Prozent und stieg bis zum Jahr Programme for 15-Jährige Lesekompetenzen, mathe- 2018 auf fast 36 Prozent. Da Schülerinnen und International Student matische Kompetenzen, Schüler mit Migrationshintergrund häufiger aus Assessment (PISA 2018) naturwissenschaftliche sozioökonomisch benachteiligten Familien kom- Kompetenzen men, müssen Reformen im Bildungssystem in die Wege geleitet werden, die Hand in Hand mit sozial International Computer 8. Klasse Computer- und politischen Maßnahmen gehen. and Information Literacy informationsbezogene Study (ICILS 2018) Kompetenzen/ Risikogruppe wächst Computational Thinking Die von PISA 2018 untersuchten MINT -Kompe- tenzbereiche geben einen Überblick über die Bildungstrend des 9. Klasse Mathematische Kompe aktuelle Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Instituts zur Qualitäts- tenzen, Kompetenzen Schüler in der Sekundarstufe I. Die gemessenen entwicklung im B ildungs- in den Fächern Biologie, Kompetenzen der Jugendlichen auf der niedrigs- wesen (IQB 2018) Chemie und Physik ten Kompetenzstufe bleiben weit hinter den er forderlichen Fähigkeiten für den weiteren Aus 6 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Negativtrend setzt sich fort: schlechtere Mathematik-Leistungen in vielen Bundesländern; Bayern, Sachsen und Thüringen weiterhin stark. bildungsweg zurück. Sie werden daher der Bundesländer im Vergleich sogenannten Risikogruppe zugeordnet. Der Anteil Dass sich die mathematischen und naturwissen- dieser Risikogruppe in der Schülerschaft ist seit schaftlichen Kompetenzen in der Sekundarstufe I dem Jahr 2012 in Mathematik von 18 auf 21 Pro- verschlechtern, zeigt auch der IQB-Bildungstrend. zent und in den Naturwissenschaften von 12 auf Im Zeitraum von 2012 bis 2018 verbesserten sich 20 Prozent stark angestiegen. Für 20 Prozent der in keinem der 16 Bundesländer die mathema 15-Jährigen ist somit der erfolgreiche Übertritt in tischen Leistungen der Neuntklässlerinnen und die qualifizierte berufliche Erstausbildung auf- Neuntklässler maßgeblich. Vielmehr verringerten grund ihrer schwachen MINT -Kompetenzen ge- sie sich in sechs Ländern deutlich – am stärksten fährdet. Diese Befunde verdeutlichen, dass neue in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Programme zur Steigerung der Qualität des ma- In diesem nationalen Vergleich erreichten nur die thematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts Schülerinnen und Schüler aus Bayern, Sachsen dringend erforderlich sind. Gerade besonders und Thüringen überdurchschnittliche Leistungen. schwache Schülerinnen und Schüler benötigen Durchschnittliche mathematische Leistungen er- unterrichtsintegrierte Förderangebote. brachten die Neuntklässlerinnen und Neuntkläss- ler aus Brandenburg, Baden-Württemberg, Nieder 2 sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Kompetenzen der Jugendlichen in den übrigen neun Ländern lagen deutlich unter dem nationalen Mittelwert. Übersetzt in Lernjahren bedeutet der Abstand Schuljahre Lerndifferenz zwischen dem leistungsstärksten Bundesland zwischen stärkstem und Sachsen und dem schwächsten Land Bremen schwächstem Bundesland im Fach einen Unterschied von etwa zwei Lernjahren im Mathematik der 9. Klasse. Fach Mathematik. MINT Nachwuchsbarometer 2020 7
Auch in den Fächern Biologie, Chemie und Physik wohl fachbezogene als auch fächerübergreifende konnten die Kompetenzen der Schülerinnen und Schlüsselkompetenzen zu fördern, benötigen Schüler der neunten Klasse zwischen 2012 und Schulen auch eine gute IT-Ausstattung. Zwar hat 2018 in keinem Bundesland deutlich verbessert sich diese seit 2013 verbessert, hinkt aber interna- werden. In einigen Ländern wie zum Beispiel tional deutlich hinterher: Nur 30 Prozent der Lehr- Schleswig-Holstein, Hamburg und Hessen haben kräfte an deutschen Schulen verfügen laut ICILS sie sich sogar deutlich verschlechtert. Die großen über einen ausreichenden Zugang zu digitalen Unterschiede zwischen den Ländern weisen da Lernmaterialien (Lernprogramme und Übungs- rauf hin, dass Bildungsabschlüsse in den verschie- plattformen sowie Apps). Im internationalen Ver- denen Bundesländern Deutschlands kaum ver- gleich lag dieser Wert bei 59 Prozent. gleichbar sind. Motivation und Interesse sinken Dauerbaustelle digitale Bildung Zur Untersuchung der Motivation erfasst der IQB- ICILS untersucht seit dem Jahr 2013 die computer- Bildungstrend das fachspezifische Selbstvertrauen und informationsbezogenen Kompetenzen der und das fachliche Interesse über Schülerfrage Schülerinnen und Schüler in der achten Klasse. bögen. Eine Aussage für das Selbstvertrauen in Darunter werden die folgenden vier Kompetenz- Mathematik lautet zum Beispiel: »In Mathematik bereiche verstanden: Wissen über (1) die Nutzung lerne ich schnell.« Fachliches Interesse der Neunt- von Computern, (2) das Sammeln und Organisie- klässlerinnen und Neuntklässler wurde mit Aus- ren von Informationen, (3) das Erzeugen von In- sagen wie »Für Mathematik interessiere ich mich« formationen und (4) digitales Kommunizieren. erfasst. Zwischen 2012 und 2018 verringerten sich das fachspezifische Selbstvertrauen und das Inte- 33 % resse in den Fächern Mathematik, Biologie, Che- mie und Physik bundesweit leicht. Zudem waren die Schülerinnen und Schüler in den Fächern Physik und Chemie deutlich weniger motiviert als der Schülerinnen und Schüler in Mathematik und Biologie. Die sinkende Motiva- in der achten Klasse fehlt es an tion zeigt sich vor allem bei den Jungen. Auch grundlegenden digitalen ihre Leistungen in den MINT-Fächern verschlech- Kompetenzen. terten sich zwischen 2012 und 2018 stärker als die der Mädchen. Seit 2013 entwickeln sich diese Kompetenzen der Achtklässlerinnen und Achtklässler in Deutsch- Leistungen von Jungen und Mädchen land nicht weiter. Zwar lagen sie mit 518 Punkten gleichen sich an im internationalen oberen Mittelfeld (Durch- Lange Zeit wurde auf die schwächeren Leistungen schnitt der übrigen EU-Staaten: 509) – allerdings der Mädchen im MINT-Bereich hingewiesen. Die weit abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Däne- Schulleistungsstudien PISA , ICILS und IQB -Bil- mark mit 553 Punkten. Der Anteil der leistungs- dungstrend weisen mittlerweile vergleichbare Leis- schwächsten Schülerinnen und Schüler nahm in tungen von Mädchen und Jungen aus. In PISA 2018 Deutschland seit 2013 um vier Prozentpunkte zu lagen die mathematischen Fähigkeiten der Mäd- (2018: 33 Prozent, 2013: 29 Prozent). Trotz der an- chen nur etwas hinter denen von Jungen, wobei haltenden Debatte über die enorme Bedeutung dies primär auf die sinkenden Leistungen der Jun- der computer- und informationsbezogenen Kom- gen zurückzuführen ist. petenzen ist es in Deutschland bislang nicht ge- lungen, die Jugendlichen darin zu stärken. Dies Geschlechterunterschiede sollte die Aufgabe aller Unterrichtsfächer sein, da gehen zurück: Die Jungen sind nur diese Fähigkeiten auch fächerübergreifend wich- noch in Mathematik etwas besser, tig sind und benötigt werden. die Mädchen in den computer- Um einen reflektierten und souveränen Um- und informationsbezogenen gang mit digitalen Medien zu vermitteln und so- Kompetenzen. 8 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Bei einer Differenzierung der naturwissenschaft- Deutlicher als in Bezug auf die Leistung zeigen sich lichen Fächer und Schulformen zeigt sich im IQB- die Geschlechterunterschiede, wenn man die Motiva- Bildungstrend, dass die Mädchen vor allem in Bio- tion für die MINT -Fächer betrachtet. Dies gilt glei- logie besser abschnitten als die Jungen. In Chemie chermaßen für das fachspezifische Selbstvertrauen waren die Mädchen nur im nicht-gymnasialen Be- wie für das fachliche Interesse. Nur in Biologie waren reich besser als die Jungen. Geringe Geschlechter- die Mädchen etwas motivierter als die Jungen. In den differenzen gab es auch in Physik. Einzig im Fach anderen MINT -Fächern waren die Jungen motivier- Mathematik waren die Leistungen der Jungen auf ter, obwohl die Mädchen kaum oder gar keine dem Gymnasium deutlich besser, im nicht-gym- schlechteren Leistungen erzielten. Dass sich die nasialen Bereich nur leicht besser als die der Mäd- Geschlechterdifferenzen zwischen 2012 und 2018 chen. In den computer- und informationsbezoge- insgesamt etwas verringerten, beruht allerdings nicht nen Kompetenzen schnitten die Mädchen dagegen auf einer erhöhten Motivation der Mädchen, sondern deutlich besser ab als die Jungen, sowohl im gym- auf der sinkenden Motivation der Jungen. nasialen als auch im nicht-gymnasialen Bereich. Die Ursache hierfür liegt vermutlich in der hohen Sprachanforderung der Aufgaben in ICILS. Auch in PISA zeigt sich, dass Mädchen aufgrund ihrer besseren sprachlichen Fähigkeiten stärkere Leis- tungen erzielen konnten. Obwohl Mädchen vergleichbare Leistungen erzielen, zeigen sie deutlich geringeres Selbstvertrauen und Interesse als Jungen. MINT Nachwuchsbarometer 2020 9
Entscheidungen treffen: Sekundarstufe II Bei der Kurswahl in der Oberstufe ist Biologie wesentlich beliebter als Informatik, insbesondere bei den Schülerinnen. Gefragt ist die Bildungs forschung: Der MINT-Kompetenzerwerb ist noch zu wenig erforscht. D ie Entscheidung der Schülerinnen und nur ein Prozent der Schülerinnen und Schüler – Schüler für die fachliche Vertiefung in das Fach hat im MINT-Bereich nach wie vor Exo- der Sekundarstufe II (Jahrgangsstufen 11 tenstatus und es gibt nur wenige qualifizierte bis 13) ist wesentlich für ihre spätere Studienfach- Lehrkräfte. Es wird zwar grundsätzlich in allen wahl und berufliche Weichenstellung. Daher 16 Ländern angeboten, die geringe Anzahl der lohnt sich ein genauer Blick auf die Fächer, bei Kurswahlen weist aber auf die geringe Attraktivi- denen sie selbst entscheiden können, welches tät des Faches hin. Viele Schülerinnen und Schü- Fach sie als Leistungskurs oder Profilfach belegen ler kennen das Fach aus der Sekundarstufe I auch und welches sie abwählen. Mathematik ist neben nur als freiwilliges Angebot, da in der Regel kein Deutsch und einer Fremdsprache eines der drei Informatikunterricht in der Sekundarstufe I statt- Pflichtfächer – im Gegensatz zu den Naturwissen- findet. Sie können dadurch nur schwer Interesse schaften, die abhängig vom Bundesland vertieft, dafür entwickeln. Die Notwendigkeit computer- auf grundlegendem Anforderungsniveau belegt und informationsbezogener Kompetenzen für oder abgewählt werden können. Schulabgängerinnen und -abgänger stellt nie- Die Belegungen der Pflichtfächer auf erhöh- mand mehr ernsthaft in Frage. Aber: Es fehlen tem Anforderungsniveau sind aufgrund der seit derzeit noch Pläne zur Umsetzung und zudem In- 2010 eingeführten Verbindlichkeit konstant hoch. formatiklehrkräfte. Denn Studienanfängerinnen Die Naturwissenschaften wurden 2018/19 von und -anfänger entscheiden sich nur selten für ein rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler Lehramtsstudium Informatik. auf erhöhtem Niveau gewählt. Die Kurszusammensetzung im Schuljahr 2018/19 zeigt ein stereotypes Bild: Mädchen ent- 1% schieden sich mehrheitlich für das Fach Biologie (60 Prozent Mädchenanteil) und seltener für Phy- sik (26 Prozent). In den Leistungskursen oder Pro- Nur filfächern Informatik ist der Anteil der Schülerin- der Schülerinnen und Schüler nen mit 15 Prozent am geringsten. belegt bei der MINT-Leistungskurswahl Informatik, dagegen 33 % Biologie. Digitale Kompetenzen Während die Kurswahlen durch die Statistiken Seit dem Schuljahr 2014/15 führt das Fach Bio der Kultusministerkonferenz sehr gut dokumen- logie die Beliebtheitsskala der MINT-Fächer in der tiert sind, existieren nur wenige Studien über die gymnasialen Oberstufe an. Auch in der Rangfolge MINT -Leistungen in der gymnasialen Oberstufe. der anderen MINT-Fächer veränderte sich seitdem Alle 16 Länder halten sich zurück, Schulleistungs- nichts: Im Schuljahr 2018/19 wählten 33 Prozent studien zu genehmigen. Daher fehlt die empirische aller Schülerinnen und Schüler Biologie, während Grundlage, um den Bildungsgrad der Abiturien- sich nur rund 13 Prozent für Physik und elf Pro- tinnen und Abiturienten gezielt zu verbessern. zent für Chemie entschieden. Informatik belegte Seit Mitte der 1990-er Jahre wurden einzelne 10 MINT Nachwuchsbarometer 2020
15 % der Abiturientinnen und Abiturienten fehlen jegliche Fähigkeiten zur Studien zu mathematischen Leistungen der Schü systematischen Informationssuche lerinnen und Schüler durchgeführt. Die Befunde im Netz. der internationalen Mathematik- und Naturwis- senschaftsstudie (1995 und 1996) beispielsweise Eine Ende 2019 erschienene Studie zu computer- zeigen, dass zwei Drittel der Abiturientinnen und und informationsbezogenen Kompetenzen von Abiturienten den Unterrichtsstoff der Oberstufe Abiturientinnen und Abiturienten, die ein Studi- nicht einmal ansatzweise beherrschten. Es folgten um aufnehmen wollten, kam zu einem äußerst einzelne regionale Studien in Baden-Württem- kritischen Ergebnis: Die höchste von drei Kompe- berg, Hamburg und Schleswig-Holstein, die zu tenzstufen erreichten nur knapp 14 Prozent der ähnlichen Ergebnissen führten. Die aktuellste die- angehenden Studierenden. Sie verfügen unter ser Studien ist die 2016 veröffentlichte »LISA 6«, anderem über weiterführende Kenntnisse von welche die mathematisch-naturwissenschaftlichen Office-Paketen und können systematisch nach In- Kompetenzen in einer für Schleswig-Holstein formationen im Netz suchen und diese hinsicht- repräsentativen Stichprobe analysierte. Demnach lich ihrer Glaubwürdigkeit beurteilen. Bei den erreichten lediglich etwa 27 Prozent der Abi- Jugendlichen, die ein MINT-Studium aufnehmen turientinnen und Abiturienten die Ziele der Ober- möchten, erreichten gut 18 Prozent die höchste stufe im Fach Mathematik, in den Naturwissen- Kompetenzstufe, sehr schwache Kompetenzen schaften waren es nur gut 20 Prozent. Die Anteile wiesen 15 Prozent auf. Ihnen fehlen demnach jeg- sehr schwacher Schülerinnen und Schüler lagen liche Fähigkeiten zur Anwendung von Office-Pake- in beiden Bereichen bei über 30 Prozent. ten und zur systematischen Informationssuche im Internet. Vielen gelingt es jedoch, ihre Schwächen Wie kann der Bildungsgrad im Laufe des Studiums auszubessern: Lediglich von Abiturientinnen und Abiturienten zwei Prozent wiesen als Studierende im sechsten gezielt verbessert werden? Semester noch sehr schwache Kompetenzen auf, Derzeit fehlen Studien zum während 56 Prozent von ihnen sehr hohe Kompe- Kompetenzerwerb in der Oberstufe. tenzen erreichten. MINT Nachwuchsbarometer 2020 11
Chancen eröffnen: Berufliche Bildung Zunehmender MINT-Fachkräftemangel führt zu steigendem Bedarf an Auszubildenden – mit großen Unterschieden je nach Region und MINT-Bereich. Geschlechterstereotype Berufswahl, regionale Matchingprobleme und mangelnde Qualifikation angehender Auszubildender stellen eine große Herausforderung dar. I n den letzten Jahren blieben duale MINT-Aus- Technische Berufe: wenig Nachfrage bildungsplätze häufig unbesetzt, gleichzeitig Die einzelnen MINT -Bereiche des Ausbildungs- fanden junge Menschen keinen Ausbildungs- marktes sind von der Problematik der unbesetzten platz. Und dies, obwohl Angebot und Nachfrage Stellen unterschiedlich stark betroffen: Während auf dem Ausbildungsmarkt rechnerisch fast aus- in den Naturwissenschaften 170 Bewerberinnen geglichen sind. Bundesweit stehen 101 Bewerbe- und Bewerber 100 Ausbildungsplätzen gegenüber- rinnen und Bewerbern 100 Ausbildungsplätzen stehen, sind es in der Gesundheitstechnik sowie gegenüber. Jedoch ist dieses Verhältnis regional der Bau- und Gebäudetechnik nur 70 Bewerberin- sehr unterschiedlich. Zum Beispiel kommen in nen und Bewerber. Das ist wenig überraschend, Berlin 163 Bewerberinnen und Bewerber auf ei- da technische Inhalte in der Schule häufig keinen nen Ausbildungsplatz, während es in Thüringen hohen Stellenwert haben. nur 70 und in Bayern 78 sind. Insgesamt steigt aber die Zahl der unbesetzten Stellen: Blieben im Zahl der unbesetzten Jahr 2009 insgesamt 2.700 sozialversicherungs- Stellen steigend: pflichtige MINT-Ausbildungsplätze unbesetzt, so 14.300 MINT-Ausbildungsplätze waren es im Jahr 2018 bereits 14.300 freie Plätze – blieben 2018 unbesetzt – noch einmal 2.300 Plätze mehr als im Jahr 2017. 2009 waren es nur 2.700. 12 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Vermutlich sind die freibleibenden Stellen auch Übergang in das Berufsleben Folge unzureichender Qualifikationen der Bewer- Wie schwächer qualifizierte junge Menschen mit berinnen und Bewerber. Darauf weist der MINT- unzureichenden Kompetenzen im MINT -Bereich Herbstreport 2019 des Instituts der Deutschen und anderen Ausbildungsfeldern trotzdem erfolg- Wirtschaft (IW) hin, indem er Bezug auf die Er- reich eine Ausbildung aufnehmen und absolvie- gebnisse des IQB-Bildungstrend 2018 nimmt. ren können, bleibt eine enorme Herausforderung für Schule, Betriebe und Politik. Auf Seiten der Mit 530.000 MINT-Auszubildenden Betriebe bedarf es beispielsweise zusätzlicher An- war die Anzahl 2018 so hoch gebote, um Jugendliche fit für die Ausbildung zu wie nie zuvor, dennoch herrscht machen und ihnen die notwendigen Kompeten- erheblicher Fachkräftemangel. zen, beispielsweise in Mathematik, zu vermitteln. Mit gutem Beispiel vorangegangen sind bereits Die aktuellen PISA -Befunde stützen diese Inter- einige Unternehmen, die leistungsschwächere pretation, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Jugendliche über mehrmonatige Praktika in Be- 20 Prozent der Jugendlichen nicht über die Fähig- trieb und Arbeitswelt integrieren und es ihnen keiten verfügen, die ihnen einen erfolgreichen ermöglichen, den Berufsalltag kennenzulernen. Ausbildungsweg in der Schule oder im Beruf er- möglichen. Bei der Berufsausbildung müssen in Zusätzliches Engagement der Regel auch die geringeren sprachlichen Kom- von Unternehmen ist gefragt, petenzen dieser Schülerinnen und Schüler be- um mehr Jugendliche »fit« für rücksichtigt werden. Die Anteile sehr schwacher MINT-Berufsausbildungen zu machen. Leserinnen und Leser betrugen in der jüngsten PISA -Auswertung 22 Prozent (2018). Für diese Die Zahl der MINT -Auszubildenden war mit Jugendlichen bleibt oftmals nur der Weg in das 530.000 im Jahr 2018 so hoch wie nie zuvor (2017: sogenannte berufliche Übergangssystem anstelle 515.800). Orientiert man sich an den Prognosen einer qualifizierten dualen Ausbildung. im MINT -Herbstreport 2019 (IW ), sind jedoch noch mehr qualifizierte MINT-Auszubildende not- wendig, um dem Fachkräftemangel entgegen zuwirken. Insgesamt ist die Arbeitskräftelücke weiterhin groß: Im Oktober 2019 fehlten rund 263.000 Arbeitskräfte in den MINT-Berufen; davon sind etwa 47 Prozent nicht akademische Berufe. Gegenüber 2018 nahm die Fachkräftelücke kon- junkturbedingt um 22 Prozent ab. Geschlechterstereotype Berufswahl Eine weitere Herausforderung bleiben die offen- kundigen Geschlechterdifferenzen in den MINT- Ausbildungsberufen. Im Jahr 2018 wurden wie bereits 2017 rund elf Prozent der neuen MINT - Ausbildungsverträge mit Frauen geschlossen. In den technikorientierten Berufsausbildungen star- teten 17.000 junge Frauen und 143.300 Männer (Informatik: 1.300 Frauen und 15.000 Männer). 11 % Dieses Thema betrifft zum einen die Sekundar stufe I in Bezug auf die Leistungs- und Motiva tionssteigerung in den MINT -Fächern, zum anderen aber auch die gesamte Gesellschaft hin- neue MINT-Auszubildende sichtlich der langfristigen Veränderung von waren 2018 weiblich. Stereotypen. MINT Nachwuchsbarometer 2020 13
Passgenauigkeit verbessern: Hochschule Im internationalen Vergleich entscheiden sich in Deutschland überdurchschnittlich viele Anfängerinnen und Anfänger für ein MINT-Studienfach, allerdings stellen hohe Wechsel- und Abbruchquoten nach wie vor eine Herausforderung dar. S eit dem Wintersemester 2011/2012 begin- Immer mehr Studienabbrüche nen jährlich rund 195.000 Studierende und -wechsel ein MINT-Studium (ohne Lehramt), wobei Die jährliche Abbruch- und Wechselquote in den deren Anzahl bis 2018 leicht zunahm. Die seit- MINT-Studiengängen ist unvermindert hoch: Das dem etwas rückläufigen Zahlen (minus drei Pro- Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissen- zent) sind auf die ingenieurwissenschaftlichen schaftsforschung berechnet 2018 eine Quote von Studiengänge zurückzuführen. Neben dem Voll 35 Prozent in den Ingenieurwissenschaften und zeitstudium an der Hochschule entscheiden sich 41 Prozent in Mathematik / Naturwissenschaften junge Leute auch für duale Studiengänge mit enger an den Universitäten. Der MINT-Herbstreport des Verzahnung von Studium und Berufspraxis. Bun- IW Köln weist sogar eine Quote von 50 Prozent in desweit sind diese Angebote derzeit immer noch 2018 aus. In beiden Fällen berücksichtigt die Quo- selten: 2017 begannen 27.212 Schulabgängerinnen te sowohl Studierende, die ein MINT-Studium ab- und -abgänger ein duales Studium (etwa fünf Pro- brechen als auch diejenigen, die die Hochschule zent aller Studierenden); insbesondere in den In- oder das Fach wechseln. Sie definiert den Anteil genieurwissenschaften stieg die Bedeutung dualer der Studienanfängerinnen und -anfänger, die fünf Studiengänge zwischen den Jahren 2013 und 2017 bis sieben Jahre später keinen MINT -Abschluss von drei auf gut sechs Prozent an. In den mathe- vorweisen können. matisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen Wesentliche Ursachen für Abbrüche können spielt das duale Studium bundesweit dagegen kei- sowohl eine fehlende Passung zwischen eigenen ne Rolle (2017: weniger als ein Prozent). Insgesamt Interessen und Inhalten des Studiums als auch nahmen knapp drei Viertel aller MINT -Studien eine erlebte Überforderung sein. Darüber hinaus anfängerinnen und -anfänger ein ingenieurwis- weisen viele MINT -Studienfächer keine Zulas- senschaftliches oder informatisches Studium auf, sungsbeschränkung auf, so dass möglicherweise während gut ein Viertel ein mathematisches oder Abiturientinnen und Abiturienten trotz erhebli- naturwissenschaftliches Studium begann. Hin- cher MINT -Defizite ein Studium beginnen. Dies sichtlich der Geschlechterverteilung in den MINT- bestätigen auch die Ergebnisse einer acatech Stu- Studiengängen stieg der Anteil der Frauen in allen 35 % Studienfächern leicht: von 27 Prozent im Jahr 2011 auf über 33 Prozent im Jahr 2018. Immer mehr junge Menschen nehmen in Deutschland ein Studium auf und dementspre- chend steigen die Absolventenzahlen: 2018 schlos- aller Studienabsolventinnen sen rund 500.000 Personen ein Hochschulstudium und -absolventen ab (2011: 392.000), davon waren 35 Prozent MINT- beendeten 2018 erfolgreich Absolventinnen und -Absolventen. Deutschland ein MINT-Studium: nimmt damit im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz für Deutschland Spitzenplatz ein. im OECD-Vergleich. 14 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Weiterhin steigende Wechsel- und Abbruchquote in den MINT-Fächern. die von 2017 zu Studienabbruchquoten in den Ingenieurwissenschaften: Zulassungsbeschrän- kungen oder Eignungsfeststellungsverfahren kön- nen die Studienabbruchzahlen deutlich senken. Zudem zeigte sich, dass zumindest in den Ingeni- eurwissenschaften an den Universitäten die Ab- bruchquote nur bei knapp über 20 Prozent liegt. In Bezug auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern belegen Auswertungen des Deut- schen Zentrums für Hochschul- und Wissen- schaftsforschung, dass Männer fächerübergrei- fend, also nicht allein in MINT -Studiengängen, mit 36 Prozent deutlich häufiger als Frauen (28 Prozent) ihr Studium abbrechen oder wech- seln. Dieses Phänomen ist als Geschlechterunter- schied in allen Bildungsetappen zu beobachten: Mädchen wiederholen auch seltener Klassen und verlassen das Schulsystem seltener ohne allgemei- gen Informatiklehramtsstudierenden wird es in nen Schulabschluss als Jungen. absehbarer Zeit kaum möglich sein, das Fach flä- chendeckend von qualifizierten Lehrkräften in MINT-Lehramtsstudiengänge den Schulen unterrichten zu lassen. Dies gilt auch Seit dem Jahr 2015 nehmen in Deutschland wie- für Berufsschulen, denen ohnehin ein hoher Be- der mehr Studienanfängerinnen und -anfänger darf an MINT-Lehrkräften vorausgesagt wird. ein Lehramtsstudium auf und absolvieren es er- Zudem sind Frauen in den Lehramtsstudien- folgreich – auch in den MINT-Fächern. Insgesamt gängen Informatik (30 Prozent) und Physik erreichen deutlich mehr Frauen (etwa zwei Drittel) (36 Prozent) über die vergangenen Jahre hinweg als Männer einen Abschluss. deutlich unterrepräsentiert. In Chemie hingegen Im Jahr 2018 begannen rund 6.800 junge Er- liegt der Frauenanteil seit dem Jahr 2012 unverän- wachsene ein Lehramtsstudium im Fach Mathe- dert bei knapp 50 Prozent. In Mathematik und in matik (2015: nur etwa 5.400). Im Fach Informatik Biologie ist der Anteil von Lehramtsstudentinnen nahmen 2018 nur 493 Anfängerinnen und Anfän- immer noch deutlich höher. Aber die starke Re- ger ein Studium auf, in Physik 739. In Anbetracht präsentanz der Männer in den Informatik- und der vielen Hochschulen, an denen man diese Physiklehramtsstudiengängen wird in den Schu- Lehramtsstudiengänge mittlerweile bundesweit len kaum dazu beitragen, dass kommende Gene- studieren kann, müssen die Anteile dieser Erstse- rationen von Schülerinnen und Schülern das Vor- mesterstudierenden an den einzelnen Standorten urteil abbauen, die Fächer Informatik und Physik verschwindend gering sein. Aufgrund der weni- seien vor allem etwas für Männer. MINT Nachwuchsbarometer 2020 15
Bildungsforschung im Fokus: Wann wirken Fortbildungen? Fortbildungen sollen die professionelle Kompetenz der Lehrkräfte weiter entwickeln. Ob und wann sie wirken, lässt sich an der Unterrichtsqualität und am Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler messen. F ortbildungen gelten als ein zentraler Hebel 95 Studien aus den Jahren 2004 bis 2016, mehr- zur Weiterentwicklung der professionellen heitlich aus den USA . Die Studienteilnehmerin- Kompetenz von Lehrkräften, wozu unter nen und -teilnehmer waren Lehrkräfte sowie pä- anderem pädagogisches und fachdidaktisches Wis- dagogische Fachkräfte in der Kita, Grundschule sen zählen. Professionelle Kompetenz gilt als we- und weiterführenden Schule. sentliche Voraussetzung für guten Unterricht, der Insgesamt zeigen die Studien erwartungs wiederum die positive Entwicklung von Wissen gemäß, dass Schülerinnen und Schüler von fort- und Interesse der Lernenden beeinflusst. gebildeten Lehrkräften mehr lernten, als diejeni- Bei der Frage, welche Fortbildungen wirken, gen, die von Lehrkräften aus den Kontrollgruppen war die Studienlage lange Zeit unbefriedigend. – ohne Fortbildungen – unterrichtet wurden. Vielfach wurde die Wirksamkeit von Fortbildun- Durch die Metaanalyse konnten die Forscherin- gen vor allem anhand von Selbstberichten der nen zudem Merkmale von Fortbildungen bestim- Teilnehmenden beurteilt. men, die sich als besonders wirksam erwiesen haben. So zeigte sich erstens, dass Fortbildun- Lehrkräftefortbildungen sind gen konkrete Unterrichtsinhalte behandeln und ein zentraler Hebel zur Steigerung gleichzeitig das dazugehörige fachdidaktische der Unterrichtsqualität. Wissen fallspezifisch adressieren sollten. Die Behandlung allgemeinpädagogischer Fragen, Mit einer Metaanalyse haben Forscherinnen in wie etwa »Umgang mit Heterogenität«, ist oft- den USA 2016 versucht diese Erkenntnislücke zu mals nicht wirksam genug, um das Verhalten im schließen: Sie haben verschiedene Studien mit fachspezifischen Unterricht zu ändern. Fokus auf MINT -Fortbildungen analysiert. Dafür wählten sie nur Studien aus, in denen die Wir- kung anhand von Leistungs- und Interessenstests bei den Lernenden überprüft wurden. Die Grund- lage für diese Metaanalyse bildeten insgesamt Erfolgsfaktoren für eine wirkungsvolle Lehrkräftefortbildung: •K onkreter Unterrichtsinhalt • F achdidaktische Kontexte •U msetzungsphasen mit anschließendem Austausch unter den Lehrkräften •M ehrere Lehrkräfte derselben Schule nehmen an Fortbildung teil 16 MINT Nachwuchsbarometer 2020
Zweitens kann die Wirksamkeit gesteigert wer- land deutlich unter der niedrigsten Stundenzahl den, wenn sich die Lehrkräfte während der Fort- der genannten Metaanalyse aus den USA zu liegen. bildung intensiv über die Umsetzung der Fortbil- In der Regel können die Teilnehmenden dadurch dungsinhalte im eigenen Unterricht austauschen, die Übungs- und Reflexionsphasen nicht durch- zum Beispiel über konkrete Lernschwierigkeiten laufen, die für die Wirksamkeit wichtig wären. von Schülerinnen und Schülern oder veränderte Allerdings gibt es in Deutschland einen star- Lernumgebungen. Hierzu ist es hilfreich, wenn ken Trend zu mehr unterrichtsfachbezogenen Lehrkräfte einer Schule gemeinsam an Fortbil- Fortbildungen. Im IQB-Bildungstrend 2018 wurden dungen teilnehmen. Kollegialer Austausch im die Lehrkräfte wie schon 2012 nach besuchten Rahmen von Online-Einheiten in Fortbildungen Fortbildungen befragt: In den Schuljahren 2016/17 hat laut der Metaanalyse keinen zusätzlichen und 2017/18 besuchten bundesweit fast 84 Pro- positiven Effekt. zent der Mathematik- und Naturwissenschafts- Drittens hat sich die Teilnahme an so genann- lehrkräfte mindestens eine Fortbildung. ten »Summer-Workshops« als wirksam erwiesen. Diese in der Regel mehrtägigen Präsenzveranstal- Fortbildungen sind wirksamer, tungen außerhalb der Schulzeit bieten Lehrkräf- wenn mehrere Lehrkräfte ten die Möglichkeit, konzentriert »am Stück« zu einer Schule teilnehmen. arbeiten, was in Nachmittagsveranstaltungen im Anschluss an die Unterrichtszeit schwieriger ist. Die Anteile von fortbildungsaktiven Lehrkräften liegen zwischen knapp 75 Prozent (Nordrhein- Fortbildungen in Deutschland Westfalen) und 95 Prozent (Hamburg). Die Inhalte In Deutschland sind alle Lehrkräfte zu Fortbildun- der besuchten Fortbildungen umfassten am häu- gen verpflichtet. Der zeitliche Mindestumfang für figsten fachdidaktische Themen, dann Unter- solche Seminare ist jedoch nur in drei Ländern richtsformen und -methoden, Mediennutzung, vorgegeben (zum Beispiel in Bayern: 60 Stunden in Lehrpläne und fachunspezifische Themen. Alle vier Jahren, in Hamburg: 30 Stunden pro Schuljahr fünf Inhaltsbereiche wurden zwischen 2012 und beziehungsweise 45 in Berufsbildenden Schulen). 2018 verstärkt nachgefragt, vor allem die fach Die Lehrkräfte entscheiden selbst, zu welchen The- didaktischen Veranstaltungen. men sie Fortbildungen besuchen; es gibt keine in Ein wichtiger Ansatzpunkt zur qualitativen haltlichen Vorgaben. Die Finanzierung dieser Maß- Weiterentwicklung wirksamer Fortbildungen nahmen erfolgt in erster Linie durch die Länder. liegt in der Stärkung von mehrtägigen Veranstal- Die Dauer der Fortbildungen lag im MINT-Be- tungen, bei denen es nach einer Umsetzungsphase reich in 77 Prozent der Fälle bei etwa einem Tag. in der Unterrichtspraxis auch Gelegenheiten zum Damit scheint die Fortbildungsdauer in Deutsch- kollegialen Austausch gibt. MINT Nachwuchsbarometer 2020 17
Auf die Lehrkräfte kommt es an: MINT gesucht! Der Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern steigt – die Schulen reagieren auch mit der Einstellung von Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern oder mit dem Einsatz fachfremd unterrichtender Lehrkräfte. P ensionierungswellen, aber auch steigende Fachbereichen Pädagogik, Psychologie und in der Schülerzahlen führen seit einigen Jahren Fachdidaktik. Sie erhalten daher in der Regel eine zu akutem Lehrkräftemangel. Dies betrifft reduzierte Wochenstundenzahl, um Zeit in ent- vor allem Grundschulen, mittelfristig aber auch sprechende Fortbildungen zu investieren. Die Ein- die weiterführenden Schulen. Die Länder reagie- stellung von Seiteneinsteigerinnen und -einstei- ren unterschiedlich, so hat Bayern die Stunden- gern hat zwischen 2015 und 2017 eine erhebliche zahl der Grundschullehrkräfte von 28 auf 29 Stun- Dynamik aufgenommen – besonders in den den erhöht und damit rund 1.000 zusätzliche MINT -Fächern und in Deutsch. Auch, wenn sich Stellen eingespart, Hamburg hat die Anzahl der dieser Trend im Jahr 2018 gegenüber 2017 abge- Lehramtsstudienplätze erhöht und 300 Lehrkräfte schwächt hat, bleiben die Zahlen in den Naturwis- für 2020 neu eingestellt. senschaften und in Informatik hoch. Im MINT-Bereich ist der Mangel an Lehrkräf- ten besonders groß, je nach Fach aber sehr unter- Schülerinnen und Schüler schiedlich. Eine für Nordrhein-Westfalen aufge- von Quer- und Seiteneinsteigerinnen stellte Prognose kündigt an, dass bis 2025 vor und -einsteigern zeigen keine allem in Chemie, Physik, Technik und Informatik schlechteren Leistungen. die Bedarfe nicht gedeckt werden können. Kön- nen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger Als Quereinsteigerinnen und -einsteiger werden zur Problemlösung beitragen? Lehrkräfte bezeichnet, die zwar ein Referendariat absolviert haben, aber ihr Fach nicht mit dem Ab- Quer- und Seiteneinstieg ins Lehramt schluss Lehramt studiert haben. Nach Aussagen Fast alle Länder reagieren auf den Lehrkräfteman- des aktuellen IQB -Bildungstrends 2018 liegt der gel auch mit der Einstellung von Quer- und Seiten- Anteil der Quer- und Seiteneinsteigerinnen und einsteigerinnen und -einsteigern. Letztere begin- -einsteiger, die Mathematik in der neunten Klasse nen den Schuldienst und erteilen in ihrem unterrichten – unabhängig von der Schulart – bei studierten Fach Unterricht, einen Lehramtsab- acht Prozent. Erneut zeigen sich auffällige Unter- schluss haben sie jedoch nicht abgelegt. Ihnen schiede zwischen den 16 Ländern: In Bremen un- fehlen somit belegbare Qualifikationen in den terrichteten 21 Prozent das Fach Mathematik als Quer- oder Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger, 8% während es in Thüringen knapp ein Prozent war. Großstädte mit schneller wachsenden Schüler- zahlen sind demzufolge von dem Mangel an Fach- lehrkräften stärker betroffen. Die Untersuchung der Mathematiklehrkräfte der Leistungen der von Quer- und Seiteneinstei in der Jahrgangsstufe 9 gerinnen und -einsteigern unterrichteten Neunt- sind bundesweit Quer- und Seiten klässlerinnen und Neuntklässler zeigte keine einsteigerinnen und -einsteiger. negativen Effekte. Dies deutet darauf hin, dass die 18 MINT Nachwuchsbarometer 2020
10 % der Mathematiklehrkräfte an Gymnasien unterrichten in der Jahrgangsstufe 9 ohne Fachstudium. Diskussion über fehlende Qualifikationen der form – zwischen den Bundesländern: In Hamburg Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger ist der Anteil fachfremd unterrichtender Mathe- in Bezug auf messbaren Kompetenzerwerb bei matiklehrkräfte mit 18 Prozent am höchsten, in Schülerinnen und Schülern überzogen ist. Gleich- Mecklenburg-Vorpommern mit knapp vier Pro- zeitig müssen sie – wie alle Lehrkräfte – verpflich- zent am niedrigsten. tende Angebote für die Erweiterung ihres Profes- Fachfremd unterrichtete Schülerinnen und sionswissens wahrnehmen: Seiteneinsteigerinnen Schüler schneiden erwartungsgemäß in Mathe- und -einsteiger sollten vor allem im Bereich des matik schwächer ab als die von einer Fachlehr- fachdidaktischen und pädagogisch-psychologi- kraft unterrichteten: Der Leistungsunterschied schen Wissens weiterqualifiziert werden, um das beträgt laut IQB -Bildungstrend 16 Punkte, was Schulsystem wesentlich zu bereichern. einem Leistungsrückstand von nahezu einem hal- ben Schuljahr entspricht. Fachfremder Unterricht Fachfremd unterrichtende Lehrkräfte ist demnach ein Problem für den Kompetenz Fachfremd unterrichtende Lehrkräfte haben das erwerb von Schülerinnen und Schülern. Dies ver- Fach nicht studiert, welches sie unterrichten. Sie deutlicht die Relevanz der wissenschaftlichen sind vor allem an nicht-gymnasialen Schulen Studiengänge und der Fachdidaktik für die Lehr- tätig: Sechs Prozent der Lehrkräfte in Chemie und kräftebildung. Fachfremd unterrichtende Lehr- 13 Prozent in Mathematik unterrichten laut IQB- kräfte müssen sowohl in den Fachdisziplinen als Bildungstrend 2018 fachfremd. Auch an Gymna auch in der Didaktik der unterrichteten Fächer sien sind zehn Prozent der Mathematiklehrkräfte weiterqualifiziert werden, um einen mit Fachlehr- ohne Fachstudium tätig. Deutliche Unterschiede kräften vergleichbaren Lernerfolg der Schülerin- bestehen auch hier – unabhängig von der Schul- nen und Schüler zu erreichen. MINT Nachwuchsbarometer 2020 19
Impulse zur Stärkung der MINT-Bildung Unterrichtsqualität steigern Die Unterrichtsqualität bedingt maßgeblich die Lernerfolge von • Schule öffnen und außerschulische Initiativen einbe Schülerinnen und Schülern, neben makrostrukturellen Faktoren ziehen: Schülerlabore, mobile Experimentierangebote wie Sozialstruktur, familiären Faktoren wie Bildungshintergrund oder MINT-Garagen ermöglichen einen praxisbezogenen der Eltern oder systemischen Faktoren wie Schulstrukturen Zugang zu MINT. Gute Initiativen fördern dabei nicht nur das oder Lehrpläne. Bei der Weiterentwicklung von wirksamem Interesse der Teilnehmenden an MINT-Themen, sondern – Unterricht dürfen Schulen nicht allein gelassen werden! eingebunden in den Unterricht – auch den individuellen Kompetenzerwerb. Eine punktuelle Öffnung des Unterrichts • Individuelle Förderung in Mathematik intensivieren: hin zu externen Initiativen und Partnern, auch aus der Wirt- Für den Lernerfolg in diesem Fach ist das zentral. Ohne schaft, birgt ein bislang noch zu wenig genutztes Potential. mathematische Kompetenzen ist der erfolgreiche Übergang in MINT-Ausbildungsberufe und -Studienfächer gefährdet. • Chancengerechte Bildung anstreben: Die zunehmende Besonderes Augenmerk muss auf die Förderung der Heterogenität der Schülerschaft stellt Schule vor große schwächeren Schülerinnen und Schüler gelegt werden, Herausforderungen. Die Verbesserung der Startbedin aber auch auf die Begabten am oberen Ende des Leistungs- gungen und nachhaltige Förderung von sozial oder sprach- spektrums. Die »Mathematik-Offensive« in Hamburg könnte lich benachteiligten Schülerinnen und Schülern ist eine ein Modell für andere Bundesländer werden. Zudem sollte soziale Notwendigkeit. Besonders großer Handlungsbedarf der Unterricht an Alltagsphänomene und -probleme besteht dabei für Großstädte. anknüpfen, um das abstrakte Fach Mathematik lebendig und praxisnah zu vermitteln. • Digitale Bildung stärken: In einer von der Digitalisierung geprägten Welt gewinnen Kenntnisse über die Funktions weise digitaler Technologien sowie die Fähigkeit zur Aneignung und Verarbeitung von Wissen an Bedeutung. Unabhängig davon, ob informations- und computer bezogene Kompetenzen fachübergreifend oder in einem eigenen Pflichtfach Informatik vermittelt werden, erfordern beide Optionen definierte Verantwortlichkeiten, Kom petenzen, Zeitpläne und eine entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte. 20 MINT Nachwuchsbarometer 2020
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