0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung

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0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
MINT

                     2020
Nachwuchsbarometer

Eine Studie von
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Das »MINT Nachwuchsbarometer 2020 In Zahlen«
                                   gibt Einblick in die Daten, die der Studie zugrunde
                                   liegen, und ist abrufbar unter:

                                   www.acatech.de/projekt/mint-nachwuchsbarometer
                                   www.koerber-stiftung.de/mint-nachwuchsbarometer

b   MINT Nachwuchsbarometer 2020
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Vorwort

    D
               ie Zukunftsfähigkeit des Innovationsstandorts Deutschland hängt maß-
               geblich von einer kontinuierlichen und effektiven Förderung des MINT-
               Nachwuchses (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) ab.
    Wir benötigen mehr junge Menschen, die mit Ideen, Mut und Neugierde den
    technologischen Wandel aktiv vorantreiben. Insbesondere in Zeiten wie diesen,
    wo wir durch die Corona-Pandemie plötzlich dazu gezwungen sind, ausschließlich
    auf digitalen Wegen mit unseren Mitmenschen in Verbindung zu bleiben, zeigt
    sich, welche Bedeutung die digitale Transformation für uns alle hat.
       Der jährlich vom Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der
    Mathematik (IPN ) erstellte Bericht zeigt in dieser Ausgabe, dass sich die MINT-
    Nachwuchssituation in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht zum Posi-
    tiven verändert hat: Schülerinnen und Schüler sind immer weniger interessiert
    an mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und auch die Leistungen der
    15-Jährigen sinken. Außerdem verfügen viele Jugendliche nur über geringe com-
    puterbezogene Kenntnisse. Mit Blick auf den digitalen Wandel brauchen wir aber
    in besonderem Maße Menschen, die digitales Verständnis mitbringen und ebenso
    sachkundig wie verantwortungsvoll die gesellschaftlich-technologischen Heraus-
    forderungen angehen.
       Das MINT Nachwuchsbarometer 2020 belegt, dass unsere Anstrengungen in
    Deutschland für eine bessere MINT -Bildung und mehr Nachwuchs in Natur­
    wissenschaften und Technik nicht ausreichen. Um die Entscheidungsträger wach-
    zurütteln, müssen wir Missstände und Handlungsbedarfe klar benennen. Eine
    Grundlage dafür schaffen wir mit dem MINT Nachwuchsbarometer. Damit wollen
    wir den gesellschaftlichen Dialog zur Nachwuchssicherung im MINT -Bereich
    ­intensivieren. Denn nur in gemeinsamer Verantwortung von Politik, Wissenschaft,
    Wirtschaft und Gesellschaft können wir in diesem Feld nachhaltige Fortschritte
    erzielen und auch globale Herausforderungen meistern.

    Tatjana König                   Prof. Dr.-Ing. Dieter Spath
    Vorstand                        Präsident acatech – Deutsche Akademie
    der Körber-Stiftung             der Technikwissenschaften
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Inhalt

Das Wichtigste in Kürze            3

In frühe Bildung investieren: Kita, Vor- und Grundschule   4

Kompetenzen stärken: Sekundarstufe I         6

Entscheidungen treffen: Sekundarstufe II         10

Chancen eröffnen: Berufliche Bildung        12

Passgenauigkeit verbessern: Hochschule           14

Bildungsforschung im Fokus: Wann wirken Fortbildungen?         16

Auf die Lehrkräfte kommt es an: MINT gesucht!         18

Impulse zur Stärkung der MINT-Bildung        20

Literatur und statistische Daten       22

2   MINT Nachwuchsbarometer 2020
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Das Wichtigste in Kürze

Kernbefunde                                                     Impulse
Mathematische und naturwissenschaftliche Leistungen der         Unterrichtsqualität steigern:
15-Jährigen sinken seit 2012 kontinuierlich: Rund 20 Prozent    • Individuelle Förderung in Mathematik intensivieren –
der Jugendlichen sind nicht auf einem Niveau, das für den         sowohl für die schwächeren als auch die begabten
weiteren Ausbildungsweg in der Schule oder im Beruf als           ­Schülerinnen und Schüler.
tragfähige Basis angesehen werden kann.                         • Digitale Bildung stärken: Verantwortlichkeiten und
                                                                  ­verbindliche Lernziele und -inhalte für die Vermittlung
Mädchen in der Mittelstufe haben trotz vergleichbarer             ­digitaler Bildungsinhalte definieren.
­Leistungen weniger Interesse an und Selbstvertrauen in den     • Schule öffnen und außerschulische Initiativen einbeziehen:
Fächern Mathematik, Chemie und Physik als Jungen.                 Schülerlabore und mobile Experimentierangebote in
                                                                  den ­Unterricht einbinden und praxisbezogenen Zugang
Digitale Bildung: 33 Prozent aller Schülerinnen und Schüler       zu MINT ermöglichen.
in der achten Klasse sind leistungsschwach im Hinblick auf      • Chancengerechte Bildung umsetzen: nachhaltige
ihre computer- und informationsbezogenen Kompetenzen,             ­Förderung von sozial oder sprachlich benachteiligten
2013 waren es 29 Prozent.                                         ­Schülerinnen und Schülern flächendeckend etablieren.

Große Unterschiede bestehen zwischen den Bundesländern:         Lehrkräfte stärken:
Im Fach Mathematik der neunten Klasse entspricht der            • Digitales Lernen in der Lehrkräftebildung verankern:
Abstand zwischen den Schülerinnen und Schülern im leis­           digitale Bildung systematisch und fachübergreifend
tungsstärksten und -schwächsten Land einer Lerndifferenz          ­während des Studiums, im Vorbereitungsdienst und in ­­
von etwa zwei Schuljahren.                                        Fort- und Weiterbildungen vermitteln.
                                                                • Fortbildungen auf den Prüfstand: Wirksamkeit von Fort­
In der Oberstufe wird Informatik bisher selten angeboten          bildungen evaluieren, um die Weiterqualifizierung von
und von Jugendlichen als nicht attraktiv wahrgenommen:            Lehrkräften und damit die Weiterentwicklung des Unter-
Lediglich ein Prozent von ihnen wählt im Schuljahr 2018/19        richts zu fördern.
einen Leistungskurs Informatik, nur 15 Prozent von ihnen        • Fachfremde Lehrkräfte unterstützen: zur fachlichen und
sind Schülerinnen.                                                fachdidaktischen Weiterqualifizierung fachfremd unter-
                                                                  richtende Lehrkräfte systematisch und berufsbegleitend
Nur knapp 14 Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten         fort­bilden.
können systematisch nach Informationen im Netz suchen
und diese hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit beurteilen.        Erkenntnisgewinn vorantreiben:
                                                                • Schulleistungsstudien bis zum Abitur: empirische Studien
Im internationalen Vergleich beginnen in Deutschland über-        zur Unterrichtsqualität für die Sekundarstufe II in allen
durchschnittlich viele junge Menschen ein MINT-Studium            ­Bundesländern einführen.
und der Frauenanteil nimmt leicht zu. Allerdings stellt die     • Von erfolgreichen Vorbildern lernen: Gelingensbedin-
hohe Zahl der Studienabbrüche nach wie vor eine Heraus­           gungen in anderen Schulen, Bundesländern, EU-Staaten
forderung dar.                                                    analysieren und erfolgreiche Modelle in die eigene Schul-
                                                                  praxis überführen.
Die Anzahl der Lehramtsstudierenden im MINT-Bereich             • Transfer in die Praxis sichern: MINT-Bildungsforschung
steigt, aber nur rund zwei Prozent wählen Informatik. Es wird     muss fachspezifische Befunde über die Wirksamkeit
also weiterhin zu wenig Informatiklehrkräfte geben.               ­schulischer MINT-Angebote und -Fortbildungen liefern.

                                                                                                      MINT Nachwuchsbarometer 2020   3
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
In frühe Bildung investieren:
Kita, Vor- und Grundschule
Kinder entwickeln Interesse, wenn MINT regelmäßig in ihren Alltag eingebaut
wird. Pädagogische Fachkräfte benötigen MINT-spezifische Fortbildungen,
um naturwissenschaftlich-technische Themen einbeziehen zu können.

                            M
                                           INT-Bildung hat einen festen Platz im    talen Medien nicht reale Erfahrungen ersetzen,
                                           Elementarbereich (­Kindertagesstätten,   sondern einen Mehrwert bieten. Dies gelingt,
                                           Krippen, Vorschulen), wobei Mathe-       wenn pädagogische Fachkräfte geeignete Ange­
                            matik und Naturwissenschaften eine größere              bote und Medien sinnvoll verbinden, um Kinder
                            ­Rolle spielen als Technik und Informatik.              anzuregen, über ihre medial gemachten Erfah-
                                   Die Digitalisierung selbst gewinnt auch in der   rungen zu sprechen und nachzudenken. Zentrale
                            frühen Bildung zunehmend an Bedeutung: Die              Fragen der kurz- und langfristigen Wirkung digi-
                            Frage, ob sich Kitas der Digitalisierung öffnen         taler Medien, der praktischen Nutzung und der
                            oder eher ein »medialer Schonraum« sein sollten,        notwendigen Kompetenzen von pädagogischen
                            rückt jedoch zunehmend in den Hintergrund,              Fachkräften sind empirisch kaum untersucht. Für
                            weil digitale Medien heute selbstverständlich zur       die Weiterentwicklung der frühen digitalen Bil-
                            Lebensrealität sowohl von Kindern als auch von          dung sollte deshalb in Forschung und insbeson­
                            Eltern und pädagogischen Fachkräften gehören.           dere in die Evaluation von theoretisch-fundierten
                            Nichtsdestotrotz sollten Erfahrungen mit digi­          Best-Practice-Bespielen investiert werden.

4   MINT Nachwuchsbarometer 2020
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Frühe MINT-Erfahrungen fördern                       zen pädagogischer Fachkräfte sind Fortbildungen
Frühe MINT-Bildung zielt darauf ab, dass Kinder      deshalb der zentrale Ansatzpunkt. Die bundesweit
in Alltagssituationen Phänomene wahrnehmen           größte Fortbildungsinitiative im MINT-Bereich für
und untersuchen, Muster entdecken oder Dinge         frühe Bildung ist die Stiftung »Haus der kleinen
konstruieren. Solche Erfahrungen sind eine wich-     Forscher«. Ein kleiner Teil der teilnehmenden Ein-
tige Voraussetzung für das spätere schulische Ler-   richtungen lässt sich in einem aufwendigen Ver-
nen in den mathematisch-naturwissenschaft­           fahren zertifizieren. Die Anzahl dieser Einrich-
lichen Fächern. Denn sie unterstützen Kinder,        tungen nimmt stetig zu – von rund 3.500 im Jahr
grundlegende MINT-Vorstellungen zu entwickeln,       2013 auf über 4.900 Kitas im Jahr 2019. Dies zeigt,
die dann im Unterricht aufgegriffen und weiter-      dass MINT in der Kita eine zunehmend wichtige
entwickelt werden können.                            Rolle spielt.

      Im Alltag Neues entdecken,                     Kompetenzen in der Grundschule
     Muster erkennen, Gegenstände                    In der Grundschule wird Mathematik als eigen-
         konstruieren – ideale                       ständiges Fach unterrichtet, die Naturwissen-
     MINT-Erfahrungen für Kinder.                    schaften und Technik gehören zum mehrperspek-
                                                     tivischen Fach Sachunterricht. Den Umgang mit
Ergebnisse einer aktuellen Studie, in der knapp      digitalen Medien sollen die Kinder fachübergrei-
16.000 Studierende aus den USA retrospektiv be-      fend im Rahmen der Medienbildung erlernen.
fragt wurden, deuten darauf hin, dass vor allem         Der Bildungstrend des Instituts zur Qualitäts-
informelle Gespräche über MINT mit Kindern           entwicklung im Bildungswesen (IQB) untersucht
zwischen fünf und zehn Jahren sowie das Lesen        die mathematischen Kompetenzen der Grund-
von MINT -Literatur einen langfristigen Einfluss     schulkinder und bescheinigt zuletzt 2016 etwa
auf die Entwicklung von naturwissenschaftlichen      13 Prozent von ihnen sehr gute Leistungen, wäh-
Interessen und Einstellungen haben. Aktivitäten      rend rund 23 Prozent der Kinder leistungsschwach
wie Wettbewerbe wurden im Vergleich als weni-        sind und 13 Prozent nicht einmal die vorgesehe-
ger bedeutsam eingeschätzt.                          nen Mindeststandards erreichen. Diese Schülerin-
   Retrospektive Studien bergen die Gefahr, dass     nen und Schüler starten mit äußerst ungünstigen
Ereignisse im Rückblick verzerrt beurteilt wer-      Voraussetzungen in den Unterricht der weiterfüh-
den: Wer sich für MINT interessiert, bewertet ver-   renden Schulen.
gangene MINT -Erlebnisse rückblickend mögli-
cherweise wichtiger als jemand, der keinen Bezug     Große Unterschiede zwischen
mehr zu MINT hat. Gleichwohl ist die regelmä­        den Bundesländern
ßige Einbindung von MINT in den Alltag von Kin-      Insbesondere der Vergleich der mathematischen
dern zum Beispiel über Gespräche oder (Vor-)Lesen    Leistungen von Kindern in der vierten Klasse
sicherlich zentral für die langfristige Förderung    ­offenbart große Unterschiede zwischen den Bun-
des Interesses und einer positiven Einstellung von   desländern: Zum Beispiel verfehlen in Bremen
Kindern gegenüber MINT.                              rund 26 Prozent der Schülerinnen und Schüler
                                                     die Mindeststandards, in Bayern sind es rund acht
Fortbildungen – der wichtigste Hebel                 Prozent. Diese Unterschiede sind nicht nur auf
Um qualitativ hochwertige MINT-Bildungsprozes-       ma­krostrukturelle Merkmale der Länder wie die
se im Alltag von Kindern zu begleiten und zu för-    Sozialstruktur oder die Arbeitsmarktsituation
dern, benötigen pädagogische Fachkräfte MINT -       ­zurückzuführen. Sie weisen auch darauf hin, dass
spezifische Kompetenzen, das heißt fachbezogenes     die Leistungen der Schülerinnen und Schüler
Interesse sowie fachliches und fachdidaktisches      durch Maßnahmen wie zum Beispiel verbind­
Wissen. Die Ausbildung frühpädagogischer Fach-       lichere Vorgaben für Mathematik und die Natur-
kräfte ist breit angelegt und vermutlich werden in   wissenschaften in den Lehrplänen und für Moni-
den einzelnen Fachschulen unterschiedliche An-       toring verbessert werden können.
teile für MINT-Bildungsinhalte umgesetzt. Für die
Weiterentwicklung der professionellen Kompeten-

                                                                                                     MINT Nachwuchsbarometer 2020   5
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Kompetenzen stärken:
Sekundarstufe I
20 Prozent der 15-Jährigen zählen aufgrund mangelnder MINT-Kenntnisse
zur »Risikogruppe«, 33 Prozent fehlt es an grundlegenden digitalen K
                                                                   ­ ompetenzen.
Bei Jungen sinkt die Motivation, bei den Mädchen das Interesse an MINT –
es besteht akuter Handlungsbedarf!

                            L
                                     ese- und MINT-Kompetenzen sind am Ende       Staaten – in Deutschland sinken. Auch ICILS und
                                     der Sekundarstufe I (Jahrgangsstufen 5 bis   der IQB -Bildungstrend bestätigen diese Entwick-
                                     10, in Berlin und Brandenburg Jahrgangs-     lung. Die PISA-Ergebnisse verzeichnen nach dem
                            stufen 7 bis 10) zentrale Voraussetzungen für den     Anstieg der mathematischen Leistungen von 2003
                            erfolgreichen Übergang in die berufliche Erstaus-     bis 2012 einen erheblichen Rückgang in diesem
                            bildung oder in die gymnasiale Oberstufe. Die Kul-    Bereich. Auch in den Naturwissenschaften lagen
                            tusministerkonferenz hat daher im Jahr 2006 eine      die Leistungen mit 503 Punkten im Jahr 2018 zwar
                            Strategie verabschiedet, die die regelmäßige Erfas-   noch etwas über dem festgesetzten OECD-Mittel-
                            sung der erzielten Kompetenzen in Form nationa-       wert (500 Punkte), aber deutlich unter dem Wert
                            ler und internationaler Schulleistungsstudien vor-    aus dem Jahr 2006 (516 Punkte). Insgesamt muss
                            sieht. Die aktuellsten Schulleistungsstudien mit      man in Deutschland davon ausgehen, dass rund
                            Daten aus 2018 erschienen 2019.                       ein Drittel des Leistungsrückgangs der letzten
                                   Nicht nur die PISA-Studie (2018) kam zu dem    zehn Jahre Folge einer sich verändernden Schüler-
                            Ergebnis, dass die Leistungen der 15-Jährigen in      schaft in den weiterführenden Schulen ist. Diese
                            Mathematik und in den Naturwissenschaften seit        Entwicklung ist auch in vielen anderen Ländern
                            dem Jahr 2012 – ähnlich wie in vielen OECD -­         zu beobachten: Zum Beispiel gibt es immer mehr
                                                                                  Jugendliche mit sonderpädagogischem Förder­
                                                                                  bedarf und Migrationshintergrund. Der Prozent-
Schulleistungsstudien im Überblick                                                satz der Jugendlichen aus Familien mit Migrations­
                                                                                  hintergrund der ersten und zweiten Generation
    Studie                             Zielgruppe   Erfasste Kompetenzen          erhöhte sich zwischen den Jahren 2000 und 2009
                                                                                  von gut 22 auf 26 Prozent und stieg bis zum Jahr
    Programme for                      15-Jährige   Lesekompetenzen, mathe-       2018 auf fast 36 Prozent. Da Schülerinnen und
    ­International Student                          matische Kompetenzen,         Schüler mit Migrationshintergrund häufiger aus
    Assessment (PISA 2018)                          naturwissenschaftliche        sozioökonomisch benachteiligten Familien kom-
                                                    ­Kompetenzen                  men, müssen Reformen im Bildungssystem in die
                                                                                  Wege geleitet werden, die Hand in Hand mit sozial­
    International ­Computer            8. Klasse    Computer- und ­               politischen Maßnahmen gehen.
    and ­Information Literacy                       informations­bezogene
    Study (ICILS 2018)                              ­Kompetenzen/                 Risikogruppe wächst
                                                    Computational Thinking        Die von PISA 2018 untersuchten MINT -Kompe-
                                                                                  tenzbereiche geben einen Überblick über die
    Bildungstrend des                  9. Klasse    Mathematische Kompe­          aktu­elle Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und
    ­Instituts zur ­Qualitäts­-                     tenzen, Kompetenzen           Schüler in der Sekundarstufe I. Die gemessenen
    entwicklung im B
                   ­ ildungs-                       in den Fächern Biologie,      Kompetenzen der Jugendlichen auf der niedrigs-
    wesen (IQB 2018)                                Chemie und Physik             ten Kompetenzstufe bleiben weit hinter den er­
                                                                                  forderlichen Fähigkeiten für den weiteren Aus­

6   MINT Nachwuchsbarometer 2020
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Negativtrend
                                                                                   setzt sich fort: schlechtere
                                                                                    Mathematik-Leistungen
                                                                                    in vielen Bundesländern;
                                                                                      Bayern, Sachsen und
                                                                                   Thüringen weiterhin stark.

bildungsweg zurück. Sie werden daher der              Bundesländer im Vergleich
sogenannten Risikogruppe zugeordnet. Der Anteil       Dass sich die mathematischen und naturwissen-
dieser Risikogruppe in der Schülerschaft ist seit     schaftlichen Kompetenzen in der Sekundarstufe I
dem Jahr 2012 in Mathematik von 18 auf 21 Pro-        verschlechtern, zeigt auch der IQB-Bildungstrend.
zent und in den Naturwissenschaften von 12 auf        Im Zeitraum von 2012 bis 2018 verbesserten sich
20 Prozent stark angestiegen. Für 20 Prozent der      in keinem der 16 Bundesländer die mathema­
15-Jährigen ist somit der erfolgreiche Übertritt in   tischen Leistungen der Neuntklässlerinnen und
die qualifizierte berufliche Erstausbildung auf-      Neuntklässler maßgeblich. Vielmehr verringerten
grund ihrer schwachen MINT -Kompetenzen ge-           sie sich in sechs Ländern deutlich – am stärksten
fährdet. Diese Befunde verdeutlichen, dass neue       in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
Programme zur Steigerung der Qualität des ma-         In diesem nationalen Vergleich erreichten nur die
thematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts        Schülerinnen und Schüler aus Bayern, Sachsen
dringend erforderlich sind. Gerade besonders          und Thüringen überdurchschnittliche Leistungen.
schwache Schülerinnen und Schüler benötigen           Durchschnittliche mathematische Leistungen er-
unterrichtsintegrierte Förderangebote.                brachten die Neuntklässlerinnen und Neuntkläss-
                                                      ler aus Brandenburg, Baden-Württemberg, Nieder­

                     2
                                                      sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Kompetenzen
                                                      der Jugendlichen in den übrigen neun Ländern
                                                      lagen deutlich unter dem nationalen Mittelwert.
                                                      Übersetzt in Lernjahren bedeutet der Abstand
        Schuljahre Lerndifferenz                      zwischen dem leistungsstärksten Bundesland
        zwischen stärkstem und                        Sachsen und dem schwächsten Land ­Bremen
    schwächstem Bundesland im Fach                    ­einen Unterschied von etwa zwei Lernjahren im
       Mathematik der 9. Klasse.                      Fach Mathematik.

                                                                                                    MINT Nachwuchsbarometer 2020   7
0MINT Nachwuchsbarometer - Körber-Stiftung
Auch in den Fächern Biologie, Chemie und Physik       wohl fachbezogene als auch fächerübergreifende
                            konnten die Kompetenzen der Schülerinnen und          Schlüsselkompetenzen zu fördern, benötigen
                            Schüler der neunten Klasse zwischen 2012 und          Schulen auch eine gute IT-Ausstattung. Zwar hat
                            2018 in keinem Bundesland deutlich verbessert         sich diese seit 2013 verbessert, hinkt aber interna-
                            werden. In einigen Ländern wie zum Beispiel           tional deutlich hinterher: Nur 30 Prozent der Lehr-
                            Schleswig-Holstein, Hamburg und Hessen haben          kräfte an deutschen Schulen verfügen laut ICILS
                            sie sich sogar deutlich verschlechtert. Die großen    über einen ausreichenden Zugang zu digitalen
                            Unterschiede zwischen den Ländern weisen da­          Lernmaterialien (Lernprogramme und Übungs-
                            rauf hin, dass Bildungsabschlüsse in den verschie-    plattformen sowie Apps). Im internationalen Ver-
                            denen Bundesländern Deutschlands kaum ver-            gleich lag dieser Wert bei 59 Prozent.
                            gleichbar sind.
                                                                                  Motivation und Interesse sinken
                            Dauerbaustelle digitale Bildung                       Zur Untersuchung der Motivation erfasst der IQB-
                            ICILS untersucht seit dem Jahr 2013 die computer-     Bildungstrend das fachspezifische Selbstvertrauen
                            und informationsbezogenen Kompetenzen der             und das fachliche Interesse über Schülerfrage­
                            Schülerinnen und Schüler in der achten Klasse.        bögen. Eine Aussage für das Selbstvertrauen in
                            Darunter werden die folgenden vier Kompetenz-         Mathematik lautet zum Beispiel: »In Mathematik
                            bereiche verstanden: Wissen über (1) die Nutzung      lerne ich schnell.« Fachliches Interesse der Neunt-
                            von Computern, (2) das Sammeln und Organisie-         klässlerinnen und Neuntklässler wurde mit Aus-
                            ren von Informationen, (3) das Erzeugen von In-       sagen wie »Für Mathematik interessiere ich mich«
                            formationen und (4) digitales Kommunizieren.          erfasst. Zwischen 2012 und 2018 verringerten sich
                                                                                  das fachspezifische Selbstvertrauen und das Inte-

                                         33 %
                                                                                  resse in den Fächern Mathematik, Biologie, Che-
                                                                                  mie und Physik bundesweit leicht. Zudem waren
                                                                                  die Schülerinnen und Schüler in den Fächern
                                                                                  ­Physik und Chemie deutlich weniger motiviert als
                                      der Schülerinnen und Schüler                in Mathematik und Biologie. Die sinkende Motiva-
                                     in der achten Klasse fehlt es an             tion zeigt sich vor allem bei den Jungen. Auch
                                        grundlegenden digitalen                   ihre Leistungen in den MINT-Fächern verschlech-
                                              Kompetenzen.                        terten sich zwischen 2012 und 2018 stärker als die
                                                                                  der Mädchen.
                            Seit 2013 entwickeln sich diese Kompetenzen der
                            Achtklässlerinnen und Achtklässler in Deutsch-        Leistungen von Jungen und Mädchen
                            land nicht weiter. Zwar lagen sie mit 518 Punkten     gleichen sich an
                            im internationalen oberen Mittelfeld (Durch-          Lange Zeit wurde auf die schwächeren Leistungen
                            schnitt der übrigen EU-Staaten: 509) – allerdings     der Mädchen im MINT-Bereich hingewiesen. Die
                            weit abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Däne-      Schulleistungsstudien PISA , ICILS und IQB -Bil-
                            mark mit 553 Punkten. Der Anteil der leistungs-       dungstrend weisen mittlerweile vergleichbare Leis-
                            schwächsten Schülerinnen und Schüler nahm in          tungen von Mädchen und Jungen aus. In PISA 2018
                            Deutschland seit 2013 um vier Prozentpunkte zu        lagen die mathematischen Fähigkeiten der Mäd-
                            (2018: 33 Prozent, 2013: 29 Prozent). Trotz der an-   chen nur etwas hinter denen von Jungen, wobei
                            haltenden Debatte über die enorme Bedeutung           dies primär auf die sinkenden Leistungen der Jun-
                            der computer- und informationsbezogenen Kom-          gen zurückzuführen ist.
                            petenzen ist es in Deutschland bislang nicht ge-
                            lungen, die Jugendlichen darin zu stärken. Dies              Geschlechterunterschiede
                            sollte die Aufgabe aller Unterrichtsfächer sein, da       gehen zurück: Die Jungen sind nur
                            diese Fähigkeiten auch fächerübergreifend wich-           noch in Mathematik etwas besser,
                            tig sind und benötigt werden.                              die Mädchen in den computer-
                                   Um einen reflektierten und souveränen Um-            und informations­bezogenen
                            gang mit digitalen Medien zu vermitteln und so-                    Kompetenzen.

8   MINT Nachwuchsbarometer 2020
Bei einer Differenzierung der naturwissenschaft-      Deutlicher als in Bezug auf die Leistung zeigen sich
lichen Fächer und Schulformen zeigt sich im IQB-      die Geschlechterunterschiede, wenn man die Motiva-
Bildungstrend, dass die Mädchen vor ­allem in Bio-    tion für die MINT -Fächer betrachtet. Dies gilt glei-
logie besser abschnitten als die Jungen. In Chemie    chermaßen für das fachspezifische Selbstvertrauen
waren die Mädchen nur im nicht-gym­nasialen Be-       wie für das fachliche Interesse. Nur in Biologie waren
reich besser als die Jungen. Geringe Geschlechter-    die Mädchen etwas motivierter als die Jungen. In den
differenzen gab es auch in Physik. Einzig im Fach     anderen MINT -Fächern waren die Jungen motivier-
Mathematik waren die Leistungen der Jungen auf        ter, obwohl die Mädchen kaum oder gar keine
dem Gymnasium deutlich besser, im nicht-gym-          schlechteren Leistungen erzielten. Dass sich die
nasialen Bereich nur leicht besser als die der Mäd-   ­Geschlechterdifferenzen zwischen 2012 und 2018
chen. In den computer- und informationsbezoge-        insgesamt etwas verringerten, beruht allerdings nicht
nen Kompetenzen schnitten die Mädchen dagegen         auf einer erhöhten Motivation der Mädchen, sondern
deutlich besser ab als die Jungen, sowohl im gym-     auf der sinkenden Motivation der Jungen.
nasialen als auch im nicht-gymnasialen Bereich.
Die Ursache hierfür liegt vermutlich in der hohen
Sprachanforderung der Aufgaben in ICILS. Auch
in PISA zeigt sich, dass Mädchen aufgrund ihrer
besseren sprachlichen Fähigkeiten stärkere Leis-
tungen erzielen konnten.

                Obwohl Mädchen vergleichbare
                Leistungen erzielen, zeigen sie
              deutlich geringeres Selbstvertrauen
                   und Interesse als Jungen.

                                                                                                      MINT Nachwuchsbarometer 2020   9
Entscheidungen treffen:
Sekundarstufe II
Bei der Kurswahl in der Oberstufe ist Biologie wesentlich beliebter als
­Informatik, insbesondere bei den Schülerinnen. Gefragt ist die Bildungs­
 forschung: Der MINT-Kompetenzerwerb ist noch zu wenig erforscht.

                            D
                                         ie Entscheidung der Schülerinnen und       nur ein Prozent der Schülerinnen und Schüler –
                                         Schüler für die fachliche Vertiefung in    das Fach hat im MINT-Bereich nach wie vor Exo-
                                         der Sekundarstufe II (Jahrgangsstufen 11   tenstatus und es gibt nur wenige qualifizierte
                            bis 13) ist wesentlich für ihre spätere Studienfach-    Lehrkräfte. Es wird zwar grundsätzlich in allen
                            wahl und berufliche Weichenstellung. Daher              16 Ländern angeboten, die geringe Anzahl der
                            lohnt sich ein genauer Blick auf die Fächer, bei        Kurswahlen weist aber auf die geringe Attraktivi-
                            denen sie selbst entscheiden können, welches            tät des Faches hin. Viele Schülerinnen und Schü-
                            Fach sie als Leistungskurs oder Profilfach belegen      ler kennen das Fach aus der Sekundarstufe I auch
                            und welches sie abwählen. Mathematik ist neben          nur als freiwilliges Angebot, da in der Regel kein
                            Deutsch und einer Fremdsprache eines der drei           Informatikunterricht in der Sekundarstufe I statt-
                            Pflichtfächer – im Gegensatz zu den Naturwissen-        findet. Sie können dadurch nur schwer Interesse
                            schaften, die abhängig vom Bundesland vertieft,         dafür entwickeln. Die Notwendigkeit computer-
                            auf grundlegendem Anforderungsniveau belegt             und informationsbezogener Kompetenzen für
                            oder abgewählt werden können.                           Schulabgängerinnen und -abgänger stellt nie-
                                    Die Belegungen der Pflichtfächer auf erhöh-     mand mehr ernsthaft in Frage. Aber: Es fehlen
                            tem Anforderungsniveau sind aufgrund der seit           derzeit noch Pläne zur Umsetzung und zudem In-
                            2010 eingeführten Verbindlichkeit konstant hoch.        formatiklehrkräfte. Denn Studienanfängerinnen
                            Die Naturwissenschaften wurden 2018/19 von              und -anfänger entscheiden sich nur selten für ein
                            rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler            Lehramtsstudium Informatik.
                            auf erhöhtem Niveau gewählt.                               Die Kurszusammensetzung im Schuljahr
                                                                                    2018/19 zeigt ein stereotypes Bild: Mädchen ent-

                                                 1%
                                                                                    schieden sich mehrheitlich für das Fach Biologie
                                                                                    (60 Prozent Mädchenanteil) und seltener für Phy-
                                                                                    sik (26 Prozent). In den Leistungskursen oder Pro-
                                           Nur
                                                                                    filfächern Informatik ist der Anteil der Schülerin-
                                   der Schülerinnen und Schüler                     nen mit 15 Prozent am geringsten.
                              belegt bei der MINT-Leistungskurswahl
                                Informatik, dagegen 33 % Biologie.                  Digitale Kompetenzen
                                                                                    Während die Kurswahlen durch die Statistiken
                            Seit dem Schuljahr 2014/15 führt das Fach Bio­          der Kultusministerkonferenz sehr gut dokumen-
                            logie die Beliebtheitsskala der MINT-Fächer in der      tiert sind, existieren nur wenige Studien über die
                            gymnasialen Oberstufe an. Auch in der Rangfolge         MINT -Leistungen in der gymnasialen Oberstufe.
                            der anderen MINT-Fächer veränderte sich seitdem         Alle 16 Länder halten sich zurück, Schulleistungs-
                            nichts: Im Schuljahr 2018/19 wählten 33 Prozent         studien zu genehmigen. Daher fehlt die empirische
                            aller Schülerinnen und Schüler Biologie, während        Grundlage, um den Bildungsgrad der Abiturien-
                            sich nur rund 13 Prozent für Physik und elf Pro-        tinnen und Abi­turienten gezielt zu verbessern.
                            zent für Chemie entschieden. Informatik belegte         Seit Mitte der 1990-er Jahre wurden einzelne

10   MINT Nachwuchsbarometer 2020
15 %
                                                         der Abiturientinnen und Abiturienten
                                                            fehlen jegliche Fähigkeiten zur
­Studien zu mathematischen Leistungen der Schü­           systematischen Informationssuche
lerinnen und Schüler durchgeführt. Die Befunde                          im Netz.
der internationalen Mathematik- und Naturwis-
senschaftsstudie (1995 und 1996) beispielsweise        Eine Ende 2019 erschienene Studie zu computer-
zeigen, dass zwei Drittel der Abiturientinnen und      und informationsbezogenen Kompetenzen von
Abiturienten den Unterrichtsstoff der Oberstufe        Abiturientinnen und Abiturienten, die ein Studi-
nicht einmal ansatzweise beherrschten. Es folgten      um aufnehmen wollten, kam zu einem äußerst
einzelne regionale Studien in Baden-Württem-           kritischen Ergebnis: Die höchste von drei Kompe-
berg, Hamburg und Schleswig-Holstein, die zu           tenzstufen erreichten nur knapp 14 Prozent der
ähnlichen Ergebnissen führten. Die aktuellste die-     angehenden Studierenden. Sie verfügen unter
ser Studien ist die 2016 veröffentlichte »LISA 6«,     ­anderem über weiterführende Kenntnisse von
welche die ­mathematisch-naturwissenschaftlichen       ­Office-Paketen und können systematisch nach In-
Kompetenzen in einer für Schleswig-Holstein            formationen im Netz suchen und diese hinsicht-
­repräsentativen Stichprobe analysierte. Demnach       lich ihrer Glaubwürdigkeit beurteilen. Bei den
erreichten lediglich etwa 27 Prozent der Abi­-         ­Jugendlichen, die ein MINT-Studium aufnehmen
­­tu­rientinnen und Abiturienten die Ziele der Ober-   möchten, erreichten gut 18 Prozent die höchste
stufe im Fach Mathematik, in den Naturwissen-          Kompetenzstufe, sehr schwache Kompetenzen
schaften waren es nur gut 20 Prozent. Die Anteile      wiesen 15 Prozent auf. Ihnen fehlen demnach jeg-
sehr schwacher Schülerinnen und Schüler lagen          liche Fähigkeiten zur Anwendung von Office-Pake-
in beiden Bereichen bei über 30 Prozent.               ten und zur systema­tischen Informationssuche im
                                                       Internet. Vielen ­gelingt es jedoch, ihre Schwächen
       Wie kann der Bildungsgrad                       im Laufe des Studiums auszubessern: Lediglich
  von Abiturientinnen und Abiturienten                 zwei Prozent wiesen als Studierende im sechsten
       gezielt verbessert werden?                      Semester noch sehr schwache Kompetenzen auf,
       Derzeit fehlen Studien zum                      während 56 Prozent von ihnen sehr hohe Kompe-
   Kompetenzerwerb in der Oberstufe.                   tenzen erreichten.

                                                                                                      MINT Nachwuchsbarometer 2020   11
Chancen eröffnen:
Berufliche Bildung
  Zunehmender MINT-Fachkräftemangel führt zu steigendem Bedarf an
­Auszubildenden – mit großen Unterschieden je nach Region und MINT-Bereich.
 Geschlechterstereotype Berufswahl, regionale Matchingprobleme und
 ­mangelnde Qualifikation angehender Auszubildender stellen eine große
  Herausforderung dar.

                            I
                                    n den letzten Jahren blieben duale MINT-Aus-    Technische Berufe: wenig Nachfrage
                                    bildungsplätze häufig unbesetzt, gleichzeitig   Die einzelnen MINT -Bereiche des Ausbildungs-
                                    fanden junge Menschen keinen Ausbildungs-       marktes sind von der Problematik der unbesetzten
                            platz. Und dies, obwohl Angebot und Nachfrage           Stellen unterschiedlich stark betroffen: Während
                            auf dem Ausbildungsmarkt rechnerisch fast aus-          in den Naturwissenschaften 170 Bewerberinnen
                            geglichen sind. Bundesweit stehen 101 Bewerbe-          und Bewerber 100 Ausbildungsplätzen gegenüber-
                            rinnen und Bewerbern 100 Ausbildungsplätzen             stehen, sind es in der Gesundheitstechnik sowie
                            gegenüber. Jedoch ist dieses Verhältnis regional        der Bau- und Gebäudetechnik nur 70 Bewerberin-
                            sehr unterschiedlich. Zum Beispiel kommen in            nen und Bewerber. Das ist wenig überraschend,
                            Berlin 163 Bewerberinnen und Bewerber auf ei-           da technische Inhalte in der Schule häufig keinen
                            nen Ausbildungsplatz, während es in Thüringen           ­hohen Stellenwert haben.
                            nur 70 und in Bayern 78 sind. Insgesamt steigt
                            aber die Zahl der unbesetzten Stellen: Blieben im                 Zahl der unbesetzten
                            Jahr 2009 insgesamt 2.700 sozialversicherungs-                      Stellen steigend:
                            pflichtige MINT-Ausbildungsplätze unbesetzt, so              14.300 MINT-Ausbildungsplätze
                            waren es im Jahr 2018 bereits 14.300 freie Plätze –             blieben 2018 unbesetzt –
                            noch einmal 2.300 Plätze mehr als im Jahr 2017.                 2009 waren es nur 2.700.

12   MINT Nachwuchsbarometer 2020
Vermutlich sind die freibleibenden Stellen auch     Übergang in das Berufsleben
Folge unzureichender Qualifikationen der Bewer-     Wie schwächer qualifizierte junge Menschen mit
berinnen und Bewerber. Darauf weist der MINT-       unzureichenden Kompetenzen im MINT -Bereich
Herbstreport 2019 des Instituts der Deutschen       und anderen Ausbildungsfeldern trotzdem erfolg-
Wirtschaft (IW) hin, indem er Bezug auf die Er-     reich eine Ausbildung aufnehmen und absolvie-
gebnisse des IQB-Bildungstrend 2018 nimmt.          ren können, bleibt eine enorme Herausforderung
                                                    für Schule, Betriebe und Politik. Auf Seiten der
   Mit 530.000 MINT-Auszubildenden                  Betriebe bedarf es beispielsweise zusätzlicher An-
      war die Anzahl 2018 so hoch                   gebote, um Jugendliche fit für die Ausbildung zu
    wie nie zuvor, dennoch herrscht                 machen und ihnen die notwendigen Kompeten-
    erheblicher Fachkräftemangel.                   zen, beispielsweise in Mathematik, zu vermitteln.
                                                    Mit gutem Beispiel vorangegangen sind bereits
Die aktuellen PISA -Befunde stützen diese Inter-    ­einige Unternehmen, die leistungsschwächere
pretation, wenn man sich vergegenwärtigt, dass      ­Jugendliche über mehrmonatige Praktika in Be-
20 Prozent der Jugendlichen nicht über die Fähig-   trieb und Arbeitswelt integrieren und es ihnen
keiten verfügen, die ihnen einen erfolgreichen      ermöglichen, den Berufsalltag kennenzulernen.
Ausbildungsweg in der Schule oder im Beruf er-
möglichen. Bei der Berufsausbildung müssen in             Zusätzliches Engagement
der Regel auch die geringeren sprachlichen Kom-         von Unternehmen ist gefragt,
petenzen dieser Schülerinnen und Schüler be-            um mehr Jugendliche »fit« für
rücksichtigt werden. Die Anteile sehr schwacher      MINT-Berufsausbildungen zu machen.
Leserinnen und Leser betrugen in der jüngsten
PISA -Auswertung 22 Prozent (2018). Für diese       Die Zahl der MINT -Auszubildenden war mit
­Jugendlichen bleibt oftmals nur der Weg in das     530.000 im Jahr 2018 so hoch wie nie zuvor (2017:
sogenannte berufliche Übergangssystem anstelle      515.800). Orientiert man sich an den Prognosen
­einer qualifizierten dualen Ausbildung.            im MINT -Herbstreport 2019 (IW ), sind jedoch
                                                    noch mehr qualifizierte MINT-Auszubildende not-
                                                    wendig, um dem Fachkräftemangel entgegen­
                                                    zuwirken. Insgesamt ist die Arbeitskräftelücke
                                                    weiterhin groß: Im Oktober 2019 fehlten rund
                                                    263.000 Arbeitskräfte in den MINT-Berufen; davon
                                                    sind etwa 47 Prozent nicht akademische Berufe.
                                                    Gegenüber 2018 nahm die Fachkräftelücke kon-
                                                    junkturbedingt um 22 Prozent ab.

                                                    Geschlechterstereotype Berufswahl
                                                    Eine weitere Herausforderung bleiben die offen-
                                                    kundigen Geschlechterdifferenzen in den MINT-
                                                    Ausbildungsberufen. Im Jahr 2018 wurden wie
                                                    bereits 2017 rund elf Prozent der neuen MINT -
                                                    Ausbildungsverträge mit Frauen geschlossen. In
                                                    den technikorientierten Berufsausbildungen star-
                                                    teten 17.000 junge Frauen und 143.300 Männer
                                                    (Informatik: 1.300 Frauen und 15.000 Männer).

           11 %
                                                    Dieses Thema betrifft zum einen die Sekundar­
                                                    stufe I in Bezug auf die Leistungs- und Motiva­
                                                    tionssteigerung in den MINT -Fächern, zum
                                                    ­anderen aber auch die gesamte Gesellschaft hin-
        neue MINT-Auszubildende                     sichtlich der langfristigen Veränderung von
          waren 2018 weiblich.                      ­Stereotypen.

                                                                                                  MINT Nachwuchsbarometer 2020   13
Passgenauigkeit
verbessern: Hochschule
Im internationalen Vergleich entscheiden sich in Deutschland überdurchschnittlich
viele Anfängerinnen und Anfänger für ein MINT-Studienfach, allerdings stellen
hohe Wechsel- und Abbruchquoten nach wie vor eine Herausforderung dar.

                            S
                                       eit dem Wintersemester 2011/2012 begin-    Immer mehr Studienabbrüche
                                       nen jährlich rund 195.000 Studierende      und -wechsel
                                       ein MINT-Studium (ohne Lehramt), wobei     Die jährliche Abbruch- und Wechselquote in den
                            ­deren Anzahl bis 2018 leicht zunahm. Die seit-       MINT-Studiengängen ist unvermindert hoch: Das
                            dem etwas rückläufigen Zahlen (minus drei Pro-        Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissen-
                            zent) sind auf die ingenieurwissenschaftlichen        schaftsforschung berechnet 2018 eine Quote von
                            Studien­gänge zurückzuführen. Neben dem Voll­         35 Prozent in den Ingenieurwissenschaften und
                            zeit­stu­dium an der Hochschule entscheiden sich      41 Prozent in Mathematik / Naturwissenschaften
                            junge Leute auch für duale Studiengänge mit enger     an den Universitäten. Der MINT-Herbstreport des
                            Verzahnung von Studium und Berufspraxis. Bun-         IW Köln weist sogar eine Quote von 50 Prozent in
                            desweit sind diese Angebote derzeit immer noch        2018 aus. In beiden Fällen berücksichtigt die Quo-
                            selten: 2017 begannen 27.212 Schulabgängerinnen       te sowohl Studierende, die ein MINT-Studium ab-
                            und -abgänger ein duales Studium (etwa fünf Pro-      brechen als auch diejenigen, die die Hochschule
                            zent aller Studierenden); insbesondere in den In-     oder das Fach wechseln. Sie definiert den Anteil
                            genieurwissenschaften stieg die Bedeutung dualer      der Studienanfängerinnen und -anfänger, die fünf
                            Studiengänge zwischen den Jahren 2013 und 2017        bis sieben Jahre später keinen MINT -Abschluss
                            von drei auf gut sechs Prozent an. In den mathe-      vorweisen können.
                            matisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen            Wesentliche Ursachen für Abbrüche können
                            spielt das duale Studium bundesweit dagegen kei-      sowohl eine fehlende Passung zwischen eigenen
                            ne Rolle (2017: weniger als ein Prozent). Insgesamt   Interessen und Inhalten des Studiums als auch
                            nahmen knapp drei Viertel aller MINT -Studien­        eine erlebte Überforderung sein. Darüber hinaus
                            anfängerinnen und -anfänger ein ingenieurwis-         weisen viele MINT -Studienfächer keine Zulas-
                            senschaftliches oder informatisches Studium auf,      sungsbeschränkung auf, so dass möglicherweise
                            während gut ein Viertel ein mathematisches oder       Abiturientinnen und Abiturienten trotz erhebli-
                            naturwissenschaftliches Studium begann. Hin-          cher MINT -Defizite ein Studium beginnen. Dies
                            sichtlich der Geschlechterverteilung in den MINT-     bestätigen auch die Ergebnisse einer acatech Stu-
                            Studiengängen stieg der Anteil der Frauen in allen

                                                                                             35 %
                            Studienfächern leicht: von 27 Prozent im Jahr
                            2011 auf über 33 Prozent im Jahr 2018.
                                    Immer mehr junge Menschen nehmen in
                            Deutschland ein Studium auf und dementspre-
                            chend steigen die Absolventenzahlen: 2018 schlos-            aller Studienabsolventinnen
                            sen rund 500.000 Personen ein Hochschulstudium                     und -absolventen
                            ab (2011: 392.000), davon waren 35 Prozent MINT-              beendeten 2018 erfolgreich
                            Absolventinnen und -Absolventen. Deutschland                       ein MINT-Studium:
                            nimmt damit im internationalen Vergleich einen               Spitzenplatz für Deutschland
                            Spitzenplatz ein.                                                 im OECD-Vergleich.

14   MINT Nachwuchsbarometer 2020
Weiterhin steigende
       Wechsel- und Abbruchquote
         in den MINT-Fächern.

die von 2017 zu Studienabbruchquoten in den
Inge­nieurwissenschaften: Zulassungsbeschrän-
kungen oder Eignungsfeststellungsverfahren kön-
nen die Studienabbruchzahlen deutlich senken.
Zudem zeigte sich, dass zumindest in den Ingeni-
eurwissenschaften an den Universitäten die Ab-
bruchquote nur bei knapp über 20 Prozent liegt.
In Bezug auf die Unterschiede zwischen den
­Geschlechtern belegen Auswertungen des Deut-
schen Zentrums für Hochschul- und Wissen-
schaftsforschung, dass Männer fächerübergrei-
fend, also nicht allein in MINT -Studiengängen,
mit 36 Prozent deutlich häufiger als Frauen
(28 Prozent) ihr Studium abbrechen oder wech-
seln. Dieses Phänomen ist als Geschlechterunter-
schied in allen Bildungsetappen zu beobachten:
Mädchen wiederholen auch seltener Klassen und
verlassen das Schulsystem seltener ohne allgemei-    gen Informatiklehramtsstudierenden wird es in
nen Schulabschluss als Jungen.                       absehbarer Zeit kaum möglich sein, das Fach flä-
                                                     chendeckend von qualifizierten Lehrkräften in
MINT-Lehramtsstudiengänge                            den Schulen unterrichten zu lassen. Dies gilt auch
Seit dem Jahr 2015 nehmen in Deutschland wie-        für Berufsschulen, denen ohnehin ein hoher Be-
der mehr Studienanfängerinnen und -anfänger          darf an MINT-Lehrkräften vorausgesagt wird.
ein Lehramtsstudium auf und absolvieren es er-          Zudem sind Frauen in den Lehramtsstudien-
folgreich – auch in den MINT-Fächern. Insgesamt      gängen Informatik (30 Prozent) und Physik
erreichen deutlich mehr Frauen (etwa zwei Drittel)   (36 Prozent) über die vergangenen Jahre hinweg
als Männer einen Abschluss.                          deutlich unterrepräsentiert. In Chemie hingegen
   Im Jahr 2018 begannen rund 6.800 junge Er-        liegt der Frauenanteil seit dem Jahr 2012 unverän-
wachsene ein Lehramtsstudium im Fach Mathe-          dert bei knapp 50 Prozent. In Mathematik und in
matik (2015: nur etwa 5.400). Im Fach Informatik     Biologie ist der Anteil von Lehramtsstudentinnen
nahmen 2018 nur 493 Anfängerinnen und Anfän-         immer noch deutlich höher. Aber die starke Re-
ger ein Studium auf, in Physik 739. In Anbetracht    präsentanz der Männer in den Informatik- und
der vielen Hochschulen, an denen man diese           Physiklehramtsstudiengängen wird in den Schu-
Lehramtsstudiengänge mittlerweile bundesweit         len kaum dazu beitragen, dass kommende Gene-
studieren kann, müssen die Anteile dieser Erstse-    rationen von Schülerinnen und Schülern das Vor-
mesterstudierenden an den einzelnen Standorten       urteil abbauen, die Fächer Informatik und Physik
verschwindend gering sein. Aufgrund der weni-        seien vor allem etwas für Männer.

                                                                                                   MINT Nachwuchsbarometer 2020   15
Bildungsforschung im Fokus:
Wann wirken Fortbildungen­?
Fortbildungen sollen die professionelle Kompetenz der Lehrkräfte weiter­
entwickeln. Ob und wann sie wirken, lässt sich an der Unterrichtsqualität und
am Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler messen.

                            F
                                       ortbildungen gelten als ein zentraler Hebel   95 Studien aus den Jahren 2004 bis 2016, mehr-
                                       zur Weiterentwicklung der professionellen     heitlich aus den USA . Die Studienteilnehmerin-
                                       Kompetenz von Lehrkräften, wozu unter         nen und -teilnehmer waren Lehrkräfte sowie pä-
                            anderem pädagogisches und fachdidaktisches Wis-          dagogische Fachkräfte in der Kita, Grundschule
                            sen zählen. Professionelle Kompetenz gilt als we-        und weiterführenden Schule.
                            sentliche Voraussetzung für guten Unterricht, der           Insgesamt zeigen die Studien erwartungs­
                            wiederum die positive Entwicklung von Wissen             gemäß, dass Schülerinnen und Schüler von fort-
                            und Interesse der Lernenden beeinflusst.                 gebildeten Lehrkräften mehr lernten, als diejeni-
                                    Bei der Frage, welche Fortbildungen wirken,      gen, die von Lehrkräften aus den Kontrollgruppen
                            war die Studienlage lange Zeit unbefriedigend.           – ohne Fortbildungen – unterrichtet wurden.
                            Vielfach wurde die Wirksamkeit von Fortbildun-           Durch die Metaanalyse konnten die Forscherin-
                            gen vor allem anhand von Selbstberichten der             nen zudem Merkmale von Fortbildungen bestim-
                            Teilnehmenden beurteilt.                                 men, die sich als besonders wirksam erwiesen
                                                                                     haben. So zeigte sich erstens, dass Fortbildun-
                                      Lehrkräftefortbildungen sind                   gen konkrete Unterrichtsinhalte behandeln und
                                    ein zentraler Hebel zur Steigerung               gleichzeitig das dazugehörige fachdidaktische
                                          der Unterrichtsqualität.                   Wissen fallspezifisch adressieren sollten. Die
                                                                                     ­Behandlung allgemeinpädagogischer Fragen,
                            Mit einer Metaanalyse haben Forscherinnen in             wie etwa »Umgang mit Heterogenität«, ist oft-
                            den USA 2016 versucht diese Erkenntnislücke zu           mals nicht wirksam genug, um das Verhalten im
                            schließen: Sie haben verschiedene Studien mit            fachspezifischen Unterricht zu ändern.
                            ­Fokus auf MINT -Fortbildungen analysiert. Dafür
                            wählten sie nur Studien aus, in denen die Wir-
                            kung anhand von Leistungs- und Interessenstests
                            bei den Lernenden überprüft wurden. Die Grund-
                            lage für diese Metaanalyse bildeten insgesamt

      Erfolgsfaktoren für eine wirkungsvolle Lehrkräftefortbildung:
      •K
        onkreter Unterrichtsinhalt
      • F achdidaktische Kontexte
      •U
        msetzungsphasen mit anschließendem Austausch unter den Lehrkräften
      •M
        ehrere Lehrkräfte derselben Schule nehmen an Fortbildung teil

16   MINT Nachwuchsbarometer 2020
Zweitens kann die Wirksamkeit gesteigert wer-        land deutlich unter der niedrigsten Stundenzahl
den, wenn sich die Lehrkräfte während der Fort-      der genannten Metaanalyse aus den USA zu liegen.
bildung intensiv über die Umsetzung der Fortbil-     In der Regel können die Teilnehmenden dadurch
dungsinhalte im eigenen Unterricht austauschen,      die Übungs- und Reflexionsphasen nicht durch-
zum Beispiel über konkrete Lernschwierigkeiten       laufen, die für die Wirksamkeit wichtig wären.
von Schülerinnen und Schülern oder veränderte           Allerdings gibt es in Deutschland einen star-
Lernumgebungen. Hierzu ist es hilfreich, wenn        ken Trend zu mehr unterrichtsfachbezogenen
Lehrkräfte einer Schule gemeinsam an Fortbil-        Fortbildungen. Im IQB-Bildungstrend 2018 wurden
dungen teilnehmen. Kollegialer Austausch im          die Lehrkräfte wie schon 2012 nach besuchten
Rahmen von Online-Einheiten in Fortbildungen         Fortbildungen befragt: In den Schuljahren 2016/17
hat laut der Metaanalyse keinen zusätzlichen         und 2017/18 besuchten bundesweit fast 84 Pro-
­positiven Effekt.                                   zent der Mathematik- und Naturwissenschafts-
   Drittens hat sich die Teilnahme an so genann-     lehrkräfte mindestens eine Fortbildung.
ten »Summer-Workshops« als wirksam erwiesen.
Diese in der Regel mehrtägigen Präsenzveranstal-           Fortbildungen sind wirksamer,
tungen außerhalb der Schulzeit bieten Lehrkräf-              wenn mehrere Lehrkräfte
ten die Möglichkeit, konzentriert »am Stück« zu               einer Schule teilnehmen.
arbeiten, was in Nachmittagsveranstaltungen im
Anschluss an die Unterrichtszeit schwieriger ist.    Die Anteile von fortbildungsaktiven Lehrkräften
                                                     liegen zwischen knapp 75 Prozent (Nordrhein-
Fortbildungen in Deutschland                         Westfalen) und 95 Prozent (Hamburg). Die Inhalte
In Deutschland sind alle Lehrkräfte zu Fortbildun-   der besuchten Fortbildungen umfassten am häu-
gen verpflichtet. Der zeitliche Mindestumfang für    figsten fachdidaktische Themen, dann Unter-
solche Seminare ist jedoch nur in drei Ländern       richtsformen und -methoden, Mediennutzung,
vorgegeben (zum Beispiel in Bayern: 60 Stunden in    Lehrpläne und fachunspezifische Themen. Alle
vier Jahren, in Hamburg: 30 Stunden pro Schuljahr    fünf Inhaltsbereiche wurden zwischen 2012 und
beziehungsweise 45 in Berufsbildenden Schulen).      2018 verstärkt nachgefragt, vor allem die fach­
Die Lehrkräfte entscheiden selbst, zu welchen The-   didaktischen Veranstaltungen.
men sie Fortbildungen besuchen; es gibt keine in­       Ein wichtiger Ansatzpunkt zur qualitativen
haltlichen Vorgaben. Die Finanzierung dieser Maß-    Weiterentwicklung wirksamer Fortbildungen
nahmen erfolgt in erster Linie durch die Länder.     liegt in der Stärkung von mehrtägigen Veranstal-
   Die Dauer der Fortbildungen lag im MINT-Be-       tungen, bei denen es nach einer Umsetzungsphase
reich in 77 Prozent der Fälle bei etwa einem Tag.    in der Unterrichtspraxis auch Gelegenheiten zum
Damit scheint die Fortbildungsdauer in Deutsch-      kollegialen Austausch gibt.

                                                                                                  MINT Nachwuchsbarometer 2020   17
Auf die Lehrkräfte kommt
es an: MINT gesucht!
Der Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern steigt – die Schulen reagieren auch
mit der Einstellung von Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern
oder mit dem Einsatz fachfremd unterrichtender Lehrkräfte.

                            P
                                        ensionierungswellen, aber auch steigende    Fachbereichen Pädagogik, Psychologie und in der
                                        Schülerzahlen führen seit einigen Jahren    Fachdidaktik. Sie erhalten daher in der Regel eine
                                        zu akutem Lehrkräftemangel. Dies betrifft   reduzierte Wochenstundenzahl, um Zeit in ent-
                            vor allem Grundschulen, mittelfristig aber auch         sprechende Fortbildungen zu investieren. Die Ein-
                            die weiterführenden Schulen. Die Länder reagie-         stellung von Seiteneinsteigerinnen und -einstei-
                            ren unterschiedlich, so hat Bayern die Stunden-         gern hat zwischen 2015 und 2017 eine erhebliche
                            zahl der Grundschullehrkräfte von 28 auf 29 Stun-       Dynamik aufgenommen – besonders in den
                            den erhöht und damit rund 1.000 zusätzliche             MINT -Fächern und in Deutsch. Auch, wenn sich
                            Stellen eingespart, Hamburg hat die Anzahl der          dieser Trend im Jahr 2018 gegenüber 2017 abge-
                            Lehramtsstudienplätze erhöht und 300 Lehrkräfte         schwächt hat, bleiben die Zahlen in den Naturwis-
                            für 2020 neu eingestellt.                               senschaften und in Informatik hoch.
                                    Im MINT-Bereich ist der Mangel an Lehrkräf-
                            ten besonders groß, je nach Fach aber sehr unter-              Schülerinnen und Schüler
                            schiedlich. Eine für Nordrhein-Westfalen aufge-           von Quer- und Seiteneinsteigerinnen
                            stellte Prognose kündigt an, dass bis 2025 vor               und -einsteigern zeigen keine
                            allem in Chemie, Physik, Technik und Informatik                schlechteren Leistungen.
                            die Bedarfe nicht gedeckt werden können. Kön-
                            nen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger          Als Quereinsteigerinnen und -einsteiger werden
                            zur Problemlösung beitragen?                            Lehrkräfte bezeichnet, die zwar ein Referendariat
                                                                                    absolviert haben, aber ihr Fach nicht mit dem Ab-
                            Quer- und Seiteneinstieg ins Lehramt                    schluss Lehramt studiert haben. Nach Aussagen
                            Fast alle Länder reagieren auf den Lehrkräfteman-       des aktuellen IQB -Bildungstrends 2018 liegt der
                            gel auch mit der Einstellung von Quer- und Seiten-      Anteil der Quer- und Seiteneinsteigerinnen und
                            einsteigerinnen und -einsteigern. Letztere begin-       -einsteiger, die Mathematik in der neunten Klasse
                            nen den Schuldienst und erteilen in ihrem               unterrichten – unabhängig von der Schulart – bei
                            studierten Fach Unterricht, einen Lehramtsab-           acht Prozent. Erneut zeigen sich auffällige Unter-
                            schluss haben sie jedoch nicht abgelegt. Ihnen          schiede zwischen den 16 Ländern: In Bremen un-
                            fehlen somit belegbare Qualifikationen in den           terrichteten 21 Prozent das Fach Mathematik als
                                                                                    Quer- oder Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger,

                                              8%
                                                                                    während es in Thüringen knapp ein Prozent war.
                                                                                    Großstädte mit schneller wachsenden Schüler-
                                                                                    zahlen sind demzufolge von dem Mangel an Fach-
                                                                                    lehrkräften stärker betroffen. Die Untersuchung
                                         der Mathematiklehrkräfte                   der Leistungen der von Quer- und Seiteneinstei­
                                          in der Jahrgangsstufe 9                   gerinnen und -einsteigern unterrichteten Neunt-
                                    sind bundesweit Quer- und Seiten­               klässlerinnen und Neuntklässler zeigte keine
                                      einsteigerinnen und -einsteiger.              ­negativen Effekte. Dies deutet darauf hin, dass die

18   MINT Nachwuchsbarometer 2020
10 %
                                    der Mathematiklehrkräfte
                                    an Gymnasien unterrichten
                                   in der Jahrgangsstufe 9 ohne
                                            Fachstudium.

Diskussion über fehlende Qualifikationen der           form – zwischen den Bundesländern: In Hamburg
Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger        ist der Anteil fachfremd unterrichtender Mathe-
in Bezug auf messbaren Kompetenzerwerb bei             matiklehrkräfte mit 18 Prozent am höchsten, in
Schülerinnen und Schülern überzogen ist. Gleich-       Mecklenburg-Vorpommern mit knapp vier Pro-
zeitig müssen sie – wie alle Lehrkräfte – verpflich-   zent am niedrigsten.
tende Angebote für die Erweiterung ihres Profes-          Fachfremd unterrichtete Schülerinnen und
sionswissens wahrnehmen: Seiteneinsteigerinnen         Schüler schneiden erwartungsgemäß in Mathe-
und -einsteiger sollten vor allem im Bereich des       matik schwächer ab als die von einer Fachlehr-
fachdidaktischen und pädagogisch-psychologi-           kraft unterrichteten: Der Leistungsunterschied
schen Wissens weiterqualifiziert werden, um das        beträgt laut IQB -Bildungstrend 16 Punkte, was
Schulsystem wesentlich zu bereichern.                  ­einem Leistungsrückstand von nahezu einem hal-
                                                       ben Schuljahr entspricht. Fachfremder Unterricht
Fachfremd unterrichtende Lehrkräfte                    ist demnach ein Problem für den Kompetenz­
Fachfremd unterrichtende Lehrkräfte haben das          erwerb von Schülerinnen und Schülern. Dies ver-
Fach nicht studiert, welches sie unterrichten. Sie     deutlicht die Relevanz der wissenschaftlichen
sind vor allem an nicht-gymnasialen Schulen            ­Studiengänge und der Fachdidaktik für die Lehr-
­tätig: Sechs Prozent der Lehrkräfte in Chemie und     kräftebildung. Fachfremd unterrichtende Lehr-
13 Prozent in Mathematik unterrichten laut IQB-        kräfte müssen sowohl in den Fachdisziplinen als
Bildungstrend 2018 fachfremd. Auch an Gymna­           auch in der Didaktik der unterrichteten Fächer
sien sind zehn Prozent der Mathematiklehrkräfte        weiterqualifiziert werden, um einen mit Fachlehr-
ohne Fachstudium tätig. Deutliche Unterschiede         kräften vergleichbaren Lernerfolg der Schülerin-
bestehen auch hier – unabhängig von der Schul-         nen und Schüler zu erreichen.

                                                                                                    MINT Nachwuchsbarometer 2020   19
Impulse zur Stärkung
der MINT-Bildung

Unterrichtsqualität steigern
Die Unterrichtsqualität bedingt maßgeblich die Lernerfolge von      • Schule öffnen und außerschulische Initiativen einbe­
Schülerinnen und Schülern, neben makrostrukturellen Faktoren          ziehen: Schülerlabore, mobile Experimentierangebote
wie Sozialstruktur, familiären Faktoren wie Bildungshintergrund       oder MINT-Garagen ermöglichen einen praxisbezogenen
der Eltern oder systemischen Faktoren wie Schulstrukturen             Zugang zu MINT. Gute Initiativen fördern dabei nicht nur das
oder Lehrpläne. Bei der Weiterentwicklung von wirksamem               Interesse der Teilnehmenden an MINT-Themen, sondern –
Unterricht dürfen Schulen nicht allein gelassen werden!               eingebunden in den Unterricht – auch den individuellen
                                                                      Kompetenzerwerb. Eine punktuelle Öffnung des Unterrichts
• Individuelle Förderung in Mathematik intensivieren:                hin zu externen Initiativen und Partnern, auch aus der Wirt-
     Für den Lernerfolg in diesem Fach ist das zentral. Ohne          schaft, birgt ein bislang noch zu wenig genutztes Potential.
     ­mathematische Kompetenzen ist der erfolgreiche Übergang
     in MINT-Ausbildungsberufe und -Studienfächer gefährdet.        • Chancengerechte Bildung anstreben: Die zunehmende
     Besonderes Augenmerk muss auf die Förderung der                  Heterogenität der Schülerschaft stellt Schule vor große
     ­schwächeren Schülerinnen und Schüler gelegt werden,             ­Herausforderungen. Die Verbesserung der Startbedin­
     aber auch auf die Begabten am oberen Ende des Leistungs-         gungen und nachhaltige Förderung von sozial oder sprach-
     spektrums. Die »Mathematik-Offensive« in Hamburg könnte          lich benachteiligten Schülerinnen und Schülern ist eine
     ein Modell für andere Bundesländer werden. Zudem sollte          ­soziale Notwendigkeit. Besonders großer Handlungsbedarf
     der Unterricht an Alltagsphänomene und -probleme                 besteht dabei für Großstädte.
     ­anknüpfen, um das abstrakte Fach Mathematik lebendig
     und praxisnah zu vermitteln.

• Digitale Bildung stärken: In einer von der Digitalisierung
     geprägten Welt gewinnen Kenntnisse über die Funktions­
     weise digitaler Technologien sowie die Fähigkeit zur
     ­Aneignung und Verarbeitung von Wissen an Bedeutung.
     Unabhängig davon, ob informations- und computer­
     bezogene Kompetenzen fachübergreifend oder in einem
     eigenen Pflichtfach ­Informatik vermittelt werden, erfordern
     beide Optionen definierte Verantwortlichkeiten, Kom­
     petenzen, Zeitpläne und eine entsprechende Ausbildung
     der Lehrkräfte.

20   MINT Nachwuchsbarometer 2020
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