3.4.6 Österreich: Einwanderungsland; Probleme der Immigration

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Deutsch Allgemeinwissen für die schriftliche SRDP

3.4.6 Österreich: Einwanderungsland; Probleme der Immigration

                                                     Gastarbeiterpolitik
                                                     Anfang der 1960er Jahre begann Österreich soge-
                                                     nannte „GastarbeiterInnen“ anzuwerben, die Rek-
                                                     rutierung der Arbeitskräfte fand damals vor allem
                                                     in Jugoslawien und der Türkei statt. Ähnlich wie
                                                     Deutschland und die Schweiz verfolgte auch Öster-
                                                     reich ursprünglich das Konzept, die Arbeitsmigran-
                                                     tInnen nur kurzfristig ins Land zu holen. Dieses so-
                                                     genannte „Rotationsprinzip“ stand schnell nicht
                                                     mehr mit der Realität in Einklang und wurde noch
                                                     in den 1960er Jahren durch die Perspektive einer
                                                     längerfristigen Beschäftigung und einer endgülti-
                                                     gen Niederlassung der Zuwanderer-Familien er-
                                                     setzt. Eine zweite und dritte Generation begann
                                                     heranzuwachsen. Die Migrationspolitik stand da-
                                                     mit vor neuen Herausforderungen, etwa in der
                                                     Frage der Bürgerrechte für die ImmigrantInnen o-
                                                     der im Bereich der schulischen Integration von
                                                     Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache. Viele
                                                     der Probleme wurden bis heute nicht adäquat ge-
                                                     löst. Im Gegenteil. Das österreichische Regelwerk
                                                     in Einwanderungsfragen (Fremdengesetz, Aufent-
halts- und Niederlassungsbestimmungen) wurde nach der Öffnung der Ost-Grenzen Anfang der 1990er
Jahre noch verschärft. Seit 1975 reglementiert zudem das (oftmals novellierte) Ausländerbeschäftigungs-
gesetz den Zugang von Nicht-Staats- bzw. EU-BürgerInnen zum Arbeitsmarkt. Die Anzahl der ausländi-
schen Arbeitskräfte darf demnach einen Anteil von acht Prozent am gesamten Arbeitskräftepotential Ös-
terreichs nicht übersteigen. Auf Veranlassung des Sozialministers kann diese sogenannte Bundeshöchst-
zahl um ein Prozent überschritten werden.

Wie viele Menschen als ZuwandererInnen nach Österreich kommen können, orientiert sich hauptsächlich
an den Bedürfnissen der Wirtschaft und wird seit 1993 durch Quoten festgelegt. Diese Quoten wurden in
den letzten Jahren kontinuierlich gesenkt – mittlerweile stehen nur noch einige tausend Plätze für soge-
nannte Schlüsselkräfte (besonders qualifizierte ArbeitnehmerInnen, deren Verdienst 60 Prozent der
Höchstbeitragsgrundlage überschreitet) und die Familien von in Österreich ansässigen MigrantInnen zur
Verfügung. Seit 1. Juli 2011 wurden diese Quoten von der sogenannten Rot-Weiß-Rot-Karte abgelöst,
welche nach ähnlichen Kriterien vergeben wird. Die überwiegende Mehrheit der ArbeitsmigrantInnen in
Österreich war und ist allerdings in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen tätig, Männer etwa im Bau-
gewerbe, Frauen in der Reinigungsbranche. Die Konzentration bestimmter Gruppen auf einzelne Branchen
ist vor allem eine Folge des eingeschränkten Zugangs für MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern zum öster-
reichischen Arbeitsmarkt. Für ArbeitnehmerInnen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten wurde eine Über-
gangsfrist hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt der bisherigen EU-Mitgliedsstaaten eingeführt. Hier-
nach konnten die „alten EU-Mitgliedsstaaten“ nach zwei, weiteren drei und wiederum zwei Jahren ent-
scheiden, inwiefern sie ihren Arbeitsmarkt für die neuen EU-BürgerInnen öffnen. Österreich hat die volle
Übergangsfrist von sieben Jahren (d. h. bis 2011) ausgenützt.

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Lebenswelten in der Gesellschaft unter dem Aspekt der Vielfalt

Die „neuen“ GastarbeiterInnen
Nach den sogenannten „GastarbeiterInnen“ der 1960er und 1970er Jahre sind seit Ende der 1980er Jah-
re neue ArbeitsmigrantInnen aus Mittel- und Osteuropa und aus anderen Teilen der Welt nach Österreich
gekommen. So sind etwa Krankenschwestern von den Philippinen und aus anderen asiatischen Ländern in
die österreichischen Spitäler geholt worden.

WissenschafterInnen orten nun einen neuen Typus von ArbeitsmigrantInnen, die sich von dem der „klassi-
schen“ ArbeitsmigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei, die eine relativ homogene
Gruppe bildeten, unterscheiden. So gibt es heute etwa neue Formen einer weiblichen „Dienstbotenwan-
derung“, die an die Zuwanderung böhmischer Köchinnen erinnert. Weiters finden sich auch verstärkt
„Pendelwanderer“ und Saisonarbeitskräfte, die vor allem im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und im
Tourismus beschäftigt sind. Diese „neuen“ GastarbeiterInnen sind zum Großteil in denselben Branchen tä-
tig wie die ArbeitsmigrantInnen aus den „alten“ Anwerbeländern, weisen aber im Vergleich ein breiteres
Berufsspektrum auf. In Österreich sorgte insbesondere die Zulassung einer wachsenden Zahl sogenannter
Saisonniers für Diskussionen. Beschäftigungsbewilligungen für SaisonarbeiterInnen sind auf maximal sechs
Monate befristet und können höchstens einmal verlängert werden – dann muss eine mindestens zweimo-
natige Pause eingelegt werden. Durch diese befristet erteilte Beschäftigungsgenehmigung – für Nicht-EU-
BürgerInnen ist auch die Aufenthaltserlaubnis direkt daran gekoppelt – können SaisonarbeiterInnen, auch
wenn sie de facto jahrelang in Österreich arbeiten, weder Aufenthaltssicherheit noch soziale Rechte und
Ansprüche erwerben. So sind Saisonniers auch nach zwölf Monaten Beschäftigung nicht berechtigt, Ar-
beitslosengeld zu beziehen, obwohl während ihrer Beschäftigung sowohl sie selbst wie auch ihre Arbeit-
geberInnen Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Europäische Dienstleistungsrichtlinie zur Liberali-
sierung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt, die im Februar 2006 vom Europäischen Parlament ver-
abschiedet wurde. Einen der umstrittensten Punkte in der Diskussion bildete das sogenannte „Herkunfts-
landprinzip“, wonach die Erbringer einer Dienstleistung grundsätzlich den Gesetzen ihres Herkunftslandes
und nicht jenes Mitgliedslandes, in dem sie arbeiten, unterliegen. Kurz vor der Verabschiedung der Richt-
linie wurde das „Herkunftslandprinzip“ jedoch aus der Richtlinie gestrichen und festgehalten, dass sich
Dienstleistungsanbieter an alle Bestimmungen des Arbeits-, Tarif- und sonstigen Sozialrechts des Landes
halten müssen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten. Österreich und Deutschland haben im Zuge der
EU-Erweiterung 2004 zusätzlich zu den oben erwähnten Übergangsbestimmungen für unselbständige Ar-
beitnehmerInnen auch befristete Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit in einer Reihe von Sektoren
durchgesetzt.

                                                                                                      71
Deutsch Allgemeinwissen für die schriftliche SRDP

Fehlende Integration
Integrationsfördernde Maßnahmen blieben über all die Jahre weitgehend aus. Menschen mit nicht-
österreichischem Pass, die nicht aus einem EU-Land kommen, sind von demokratischen Mitbestimmungs-
rechten weitgehend ausgeschlossen. Erst 2006 wurde die gleichberechtigte Mitbestimmung zumindest auf
betrieblicher Ebene verwirklicht – bis dahin konnten MigrantInnen nicht zum Betriebsrat gewählt werden,
sondern lediglich das aktive Wahlrecht ausüben. Der Europäische Gerichtshof hatte Österreich bereits im
Jahr 2001 aufgefordert, diesen Zustand binnen zwei Monaten zu beseitigen. Anders als in den meisten
westeuropäischen Staaten bleibt es ImmigrantInnen aus sogenannten Drittstaaten in Österreich auch ver-
wehrt, in der Kommunalpolitik mitzubestimmen. Im Dezember 2002 unternahm der Wiener Landtag einen
Vorstoß, das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen, die seit mindestens fünf Jahren ihren Haupt-
wohnsitz in Wien haben, auf Bezirksebene einzuführen. Dieser scheiterte schließlich an einer gemeinsam
von ÖVP und FPÖ eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Das Höchstgericht hob das
„AusländerInnenwahlrecht“ am 30. Juni 2004 mit der Begründung auf, dass die österreichische Staats-
bürgerschaft eine unbedingt notwendige Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts sei. Die Argu-
mentation traf – vor allem angesichts der Möglichkeit für EU-BürgerInnen, an Kommunalwahlen teilzu-
nehmen – auf Kritik. In anderen EU-Staaten wird der Zugang zur demokratischen Partizipation offener ge-
handhabt. In den Niederlanden, in Schweden oder Dänemark können die ImmigrantInnen nach einigen
Jahren Aufenthalt an den Kommunal- und Provinzwahlen teilnehmen.

Im europäischen Vergleich wird in Österreich auch die Einbürgerungspraxis restriktiv gehandhabt: Das ös-
terreichische Staatsbürgerschaftsrecht stellt auf das sogenannte „ius sanguinis“, das „Recht des Blutes“,
ab. In Österreich geborene Kinder von AusländerInnen gelten somit per „Abstammung“ automatisch als
AusländerInnen und müssen für den Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft erst bestimmte Bedin-
gungen erfüllen. In Großbritannien gilt das sogenannte „ius soli“, das „Recht des Bodens“, nach dem auf
britischem Boden geborene Kinder von ImmigrantInnen einen Rechtsanspruch darauf haben, eingebürgert
zu werden. Trotzdem stellen Einbürgerungen heute einen wesentlichen Teil der Migrationspolitik dar: An-
ders als für Drittstaatsangehörige besteht für österreichische StaatsbürgerInnen ein Anspruch auf Famili-
enzusammenführung, der nicht durch die „Quote“ eingeschränkt wird. Auch wenn die Bedingungen dafür
in den letzten Jahren verschärft wurden, stellt der Familiennachzug von ÖsterreicherInnen (unter ihnen
auch eingebürgerte MigrantInnen) heute die größte Gruppe in den Einwanderungsstatistiken dar.
Zahlreiche Empfehlungen des Europarats und der EU-Kommission liegen vor, die sich für eine stärkere In-
tegration und Gleichberechtigung von ImmigrantInnen und Drittstaatsangehörigen in den EU-
Mitgliedsstaaten aussprechen. Österreich zählt in diesem Bereich jedoch zu den Schlusslichtern innerhalb
der Europäischen Union.

Aktuelle Zuwanderungstrends
Veränderungen bei den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wirken sich auch auf die
Zuwanderung nach Österreich aus. So hat die wachsende Mobilität innerhalb der Europäischen Union zur
verstärkten Zuwanderung aus anderen EU-Ländern geführt. Unter den 72.000 ausländischen EU-
StaatsbürgerInnen, die im Jahr 2011 nach Österreich zogen, hatten mit 18.000 die Deutschen den größ-
ten Anteil. In der öffentlichen Debatte und der medialen Berichterstattung wurde dies intensiv verfolgt: So
wurde besonders die steigende Anzahl deutscher MedizinstudentInnen an österreichischen Universitäten
als Problem wahrgenommen. Da für EU-BürgerInnen innerhalb der Europäischen Union die Möglichkeit
der freien Wahl des Wohn-, Studien- und Arbeitsplatzes besteht, kamen in den letzten Jahren zahlreiche
sogenannte „Numerus-Clausus-Flüchtlinge“ aus Deutschland nach Österreich, da hier – anders als in
Deutschland – der Zugang zum Medizinstudium nicht an die Note des Schulabschlusses gebunden ist. In
Belgien fand eine ähnliche Entwicklung statt, die zum Ansteigen französischer StudentInnen an belgischen
Universitäten führte. Seit 2010 erlaubt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes beiden Ländern, Quoten
für ausländische StudentInnen einzuführen – was jedoch an strenge Auflagen und Kriterien gebunden ist.

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Lebenswelten in der Gesellschaft unter dem Aspekt der Vielfalt

Während die Binnenmigration innerhalb der EU ansteigt, ist die Zuwanderung aus Drittstaaten – wozu
auch die klassischen Herkunftsländer von GastarbeiterInnen wie das ehemalige Jugoslawien und die Tür-
kei zählen – stark zurückgegangen. Auch die Zahl der Einbürgerungen ist rückläufig: Nachdem es im Jahr
2003 einen Höhepunkt von 45.112 Einbürgerungen gab, sank die Zahl bis zum Jahr 2011 auf 6.690
(Integrationsbericht 2012). Fast die Hälfte der betreffenden Personen ist bereits in Österreich geboren. Der
starke Rückgang an Einbürgerungen ist vor allem auf veränderte rechtliche Bedingungen zurückzuführen,
durch welche eine Einbürgerung erst nach 10 Jahren ständigen Aufenthalts in Österreich möglich ist.
Quelle: Demokratiezentrum Wien, Wissensstation „Einwanderungsland Österreich“ auf www.demokratiezentrum.org (abrufbar
unter demokratiezentrum.org -> Wissen -> Wissensstationen -> Einwanderungsland Österreich)

                      EINBÜRGERUNGEN 1961 – 2011 (nach Bernhard Perchinig)

 3.4.7 Unterscheidung: Immigration und Asyl; Österreich und seine Asylanten

Asyl in Österreich

Österreich hat sich völkerrechtlich dazu verpflichtet, Menschen, die in ihrer Heimat aus bestimmten, in der
Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen, Gründen verfolgt werden, Asyl zu gewähren. Gemäß der
Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28. Juli 1951 wird jede Person als Flüchtling anerkannt,

„die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit
zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb ihres Heimatlandes be-
findet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen
kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als Staatenlose infol-
ge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte,
und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkeh-
ren will .“

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Deutsch Allgemeinwissen für die schriftliche SRDP

Aus dieser Definition der GFK ergeben sich dadurch folgende fünf Elemente des völkerrechtlichen
Flüchtlingsbegriffes inklusive der fünf Verfolgungs- bzw. Konventionsgründe:

       •   wohlbegründete Furcht
       •   Verfolgung
       •   Vorliegen einer der Konventionsgründe: Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
           bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung
       •   Aufenthalt außerhalb des Herkunftsstaates (oder Land des gewöhnlichen Aufenthalts)
       •   Fehlen der Möglichkeit oder der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Schutz im Herkunfts-
           staat

Unterschied Asyl - Migration
Die Gründe warum Menschen ihr Heimatland verlassen mussten, können höchst vielfältig und unter-
schiedlich sein. Folgt man der Definition der GFK, dann sind AsylwerberInnen Menschen, die in Ihrer Hei-
mat verfolgt und bedroht wurden und keine MigrantInnen im klassischen Sinn. In aktuellen medialen Dis-
kussionen und in der Bevölkerung wird die Trennlinie zwischen Migration und Asyl zumeist nicht so scharf
gezogen, was immer zu Lasten der AsylwerberInnen geht. Der Unterschied definiert sich wie folgt:

Migration „ist jede Ortsveränderung von Personen, der Wechsel der Gruppenzugehörigkeit und der auf
Dauer angelegte Wechsel in eine andere Gesellschaft oder eine andere Region von einzelnen oder mehre-
ren Menschen.1 Es handelt sich um einen Wechsel des räumlichen und sozialen Bezugssystems verbunden
mit Langfristigkeit und Dauerhaftigkeit. Werden dabei internationale Grenzen überschritten, erfolgt auch
ein Wechsel des rechtlichen, institutionellen und politischen Bezugssystems.“ 2

1
    Annette Treibel, Migration in modernen Gesellschaften, Weinheim 2003, S. 21.
2
    Bernhard Perchinig, Migration, Migrationstheorie, Migrationspolitik in Europa, S. 6 ff.

           Asyl                                               Migration
           Flucht                                             Wanderung
           Wechsel des Wohnortes aufgrund einer Gefahr        freiwilliger, dauerhafter Wechsel des Wohnor-
           für Leib und Leben                                 tes im politischen Raum
           verfolgt im Sinne der Genfer Flüchtlingskonven-    meist wirtschaftliche Motive und Hintergründe
           tion
           Müssen                                             Wollen

Tatsache ist aber auch, dass es in Realität noch viele andere Fluchtgründe gibt, die von der GFK nicht er-
fasst werden und die aber ebenso eine Gefahr für Leib und Leben darstellen. Flüchtlinge aufgrund von
Umweltkatastrophen und Armut (Umwelt- und Wirtschaftsflüchtlinge) finden im Flüchtlingsbegriff der GFK
keine Berücksichtigung!

Asylverfahren
Das Zulassungsverfahren beginnt mit Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz persönlich
bei einer Erstaufnahmestelle des Bundes. Erstaufnahmestellen gibt es in Traiskirchen (East Ost, NÖ),
Thalham in St. Georgen im Attergau (East West, OÖ) sowie am Flughafen Wien Schwechat (East Flugha-
fen).

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Lebenswelten in der Gesellschaft unter dem Aspekt der Vielfalt

Nach der Einbringung des Asylantrages werden die AsylwerberInnen in den Erstaufnahmestellen medizi-
nisch untersucht und untergebracht. Danach erfolgt die Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen
Sicherheitsdienstes mittels Dolmetscher, um die Identität festzustellen und den Fluchtweg zu bestimmen.
Wenn weitere Schritte durch die Erstaufnahmestelle nach der polizeilichen Erstbefragung notwendig sind,
gibt es eine weitere Einvernahme. Die Behörde kann dabei zu dem Schluss kommen, dass der Antrag nicht
inhaltlich (Fluchtgründe) von Österreich geprüft werden muss, sondern aufgrund der Zuständigkeit eines
anderen Staates (wie EU 28, Norwegen, Liechtenstein oder Schweiz) gem. der Dublin III Verordnung (seit
19. Juli 2013 in Kraft), eines Folgeantrages (z.B. 2., 3. Asylantrag) oder Drittstaatssicherheit zurückzuwei-
sen ist.

In der Erstaufnahmestelle wird somit darüber entschieden, ob Österreich für das weitere Verfahren zu-
ständig ist oder nicht. Die Klärung dieser Frage sollte im Allgemeinen nicht länger als 20 Tage dauern,
kann sich aber auch länger als einen Monat hinziehen. In dieser Zeit dürfen AsylwerberInnen den Bezirk,
in dem sich das Aufnahmezentrum befindet, nicht verlassen. Zu Beginn haben sich die AsylwerberInnen
jedoch für bestimmte Verfahrens- und Ermittlungsschritte der Behörde in der Erstaufnahmestelle für einen
Zeitraum von längstens 120 Stunden durchgehend zur Verfügung zu halten. Ist Österreich für das Verfah-
ren zuständig bzw. wird das Verfahren zugelassen, bekommen AsylwerberInnen die weiße Karte und wer-
den einer Betreuungseinrichtung in den Bundesländern zugewiesen.

Ab Zulassung zum Verfahren in Österreich beginnt das eigentliche inhaltliche Verfahren vor dem Bun-
desamt für Fremdenwesen und Asyl (seit 01.01.2014). In jedem Bundesland gibt es eine Regional-
direktion, welche die Einvernahmen mit Dolmetschern durchführt. In diesem Verfahren stehen die
Fluchtgründe im Mittelpunkt und die AsylwerberInnen können in der Einvernahme vorbringen, warum sie
ihr Land verlassen mussten und nun Schutz in Österreich suchen. Nach den abgeschlossenen Ermittlungen
durch die zuständige Regionaldirektion des jeweiligen Bundeslandes und wenn das Vorbringen der Asyl-
werberInnen glaubhaft war, wird mit Bescheid über die Flüchtlingseigenschaft abgesprochen.

Ablauf des Asylverfahrens
Ab Einbringung des Asylantrages kommen die AsylwerberInnen in die sogenannte Grundversorgung,
die gewährt wird, solange das Verfahren läuft. Nähere Bestimmungen zur Dauer der Gewährung von
Grundversorgung bei Unterbringung in einer Betreuungseinrichtung des Landes finden sich in den einzel-
nen Landesgrundversorgungsgesetzen. Manche Verfahren können sich aber über Jahre hinziehen. In der
Grundversorgung bekommen die AsylwerberInnen in den einzelnen Einrichtungen, von denen es rund 600
in Österreich gibt, zu essen, Gewand und ein Taschengeld. In manchen Flüchtlingsunterkünften müssen
sich die AsylwerberInnen auch selbst mit Essen versorgen und bekommen dafür Geld zum Einkaufen.
AsylwerberInnen sind auch krankenversichert, schulpflichtige Kinder müssen zur Schule gehen.

Instanzen
Das Asylverfahren wird im Prinzip über zwei Instanzen abgewickelt. Der erste Bescheid wird entweder
vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (seit 01.01.2014) bzw. von einer Regionaldirekti-
on oder in einer Erstaufnahmestelle erlassen. Erhält der/die AsylwerberIn einen negativen Bescheid, kann
er/sie beim Bundesverwaltungsgericht (seit 01.01.2014) Beschwerde erheben. Das Bundesverwal-
tungsgericht kann in zweiter Instanz in seinem Erkenntnis den Bescheid bestätigen, vollinhaltlich abän-
dern oder den Bescheid aufheben und zur neuerlichen Entscheidung an die I. Instanz zurückverweisen.

Seit 01.01.2014 gibt es danach noch die Möglichkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof
(VwGH), wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeu-
tung zukommt. Auf dem außerordentlichen Rechtsweg ist es außerdem weiterhin möglich, den Verfas-
sungsgerichtshof (VfGH) anzurufen. Dieser ist jedoch grundsätzlich nur zuständig, wenn der Be-
schwerdeführer behauptet, durch das Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht
oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

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Deutsch Allgemeinwissen für die schriftliche SRDP

Das Asylverfahren kann zu mehreren Ergebnissen führen:

     •    Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
     •    Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
     •    Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staates, bereits ent-
          schiedener Sache oder Drittstaatsicherheit
     •    Abweisung des Asylantrages
     •    Die Ausweisung kann vorübergehend oder auf Dauer für unzulässig erklärt werden

Arten des berechtigten Aufenthalts vor und nach Beendigung des Asylverfahrens:

     •    AsylwerberInnen: Sind jene Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
     •    Asylberechtigte/r, Konventionsflüchtling oder anerkannter Flüchtling: Haben ein ab-
          geschlossenes Asylverfahren hinter sich und wurden anerkannt im Sinne des Flüchtlingsbegriffes
          der Genfer Flüchtlingskonvention (Begriffe werden synonym verwendet). Dieser Status beinhaltet
          ein dauerndes Einreise- und Aufenthaltsrecht in Österreich.
     •    subsidiär Schutzberechtigte/r: Sind Personen, die nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer
          Konvention anerkannt werden, jedoch über eine befristete Aufenthaltsberechtigung verfügen, die
          verlängert werden kann. Laut § 8 AsylG 2005 ist dieser Status „einem Fremden zuzuerkennen,
          der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf
          die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des
          Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Abschiebung in seinen Herkunftsstaat eine re-
          ale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13
          zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Le-
          bens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder
          innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“

Zahlen:

     •    Starke Schwankungen der Anzahl der eingebrachten Asylanträge in Österreich. Ursachen: wan-
          delnde Situation der Herkunftsländer sowie Veränderungen im österreichischen Asyl- und Frem-
          denrecht
     •    Höhepunkt 2002 mit 39.354 Asylanträgen, seither sinkende Zahlen
     •    2013 wurden 17.503 Asylanträge eingebracht, das sind um 0,52% mehr als im Jahr davor.
     •    Von den 17.503 eingebrachten Anträgen im Jahr 2013 stammen 12.528 von Männern und
          4.975 von Frauen
     •    Antragsstärkste Nationen 2013 waren die Russische Förderation mit 2.841 Anträgen und Afgha-
          nistan mit 2.589 Anträgen, gefolgt von Syrien (1.991), Pakistan (1037) und Algerien (949).
     •    1.187 Asylanträge gab es 2013 von unbegleiteten Minderjährigen (bei 188 wurde die Volljährig-
          keit festgestellt), 67 Flüchtlinge waren unter 14 Jahre alt.

(Quelle: BMI)

Schicksale

Farid ist Afghane. Er lebt mit seinen Brüdern und seinem Großvater in einem kleinen Haus in den Bergen.
Er ist der Jüngste. Eines Tages geschieht ein Unglück. Der Großvater überfährt mit seinem alten Lastwa-
gen das jüngste Kind der Nachbarn. Hinzu kommt, dass die beiden Familien seit Jahren in Streit leben.
Bisher ist es allerdings noch zu keiner Eskalation gekommen. Nun gibt es einen Toten. Die Nachbarn wer-
fen dem Großvater vor, dass er ihr Kind mit Absicht „übersehen“ hätte, weil es zuvor Äpfel von seinem
Feld gestohlen hatte. Die Geschwister des toten Kindes schwören Blutrache. Auch das älteste Kind der

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Lebenswelten in der Gesellschaft unter dem Aspekt der Vielfalt

verfeindeten Familie soll nun sterben – Farid. In einer Nacht und Nebel Aktion verkauft der Großvater sein
Grundstück und schickt Farid mit dem Erlös zu einem Bekannten, der ihm den Kontakt zu einem Schlepper
knüpft.

Omie F. ist 16 Jahre alt. Er lebt in Nigeria. Er ist das jüngste von insgesamt 8 Kindern. Seine Mutter ist
schon lange tot. Er kann sich gar nicht mehr an sie erinnern. Sein Vater hat keine fixe Anstellung und
schlägt sich deshalb mit Gelegenheitsjobs irgendwie durch. Auch Omie muss arbeiten. Einen Teil des Gel-
des muss auch er an seine Familie abgeben, damit diese überleben kann. Meist darf er auf der Farm eines
in der Gegend sehr bekannten Großgrundbesitzers arbeiten. Eines Tages vergisst der Junge das Tor zum
Stall abzuschließen. Über Nacht gehen dadurch zwei Rinder verloren. Der Großgrundbesitzer ist äußerst
verärgert und jagt Omie von der Farm.

Doch damit nicht genug. Der einflussreiche Farmer sorgt dafür, dass niemand in der Umgebung Omie
mehr einen Job gibt. Nach verzweifelter Suche nach Arbeit gibt der Junge auf und beschließt in die Stadt
zu ziehen. Er trifft diese Entscheidung nur schweren Herzens, weil dies bedeutet, dass er seine Familie nur
selten wiedersehen wird. Doch auch in der Stadt hat er kein Glück. Niemand will bzw. kann ihm Arbeit
geben. Über Freunde lernt er einen Mann kennen. Dieser verspricht ihm zu helfen. Er sagt ihm, dass er ihn
nach Europa bringen kann. Europa, so glaubt Omie, ist ein gelobtes Land. Jeder hat hier Arbeit und Geld.
Niemand muss sich dort Sorgen machen wie er über die Runden kommt. Omie nimmt das Angebot dan-
kend an.

(Namen geändert)

(Quelle: Verein Menschen.Leben: www.menschen-leben.at)

3.4.8 Religionen in Österreich

Bevölkerung nach Religionszugehörigkeit; Quelle: Bundeskanzleramt Wien 2011

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Deutsch Allgemeinwissen für die schriftliche SRDP

Gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften
Die gesetzliche Anerkennung geht auf ein Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 zurück, in dem un-
ter anderem jeder anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft bestimmte Grundrechte eingeräumt
werden. Wie die Anerkennung erreicht werden kann, wurde allerdings erst 1874 im Anerkennungsgesetz
festgelegt. Die erste Anerkennung nach diesem Gesetz erfolgte für die altkatholische Kirche.

Mit der Anerkennung, die für jede Religionsgemeinschaft durch ein eigenes Gesetz erfolgt, gehen einige
Berechtigungen der Religionen einher, wie z. B. eine Möglichkeit für Religionsunterricht in den Schulen
und religiöser Beistand in Krankenhäusern. Zurzeit gibt es in Österreich 13 anerkannte Religionsgemein-
schaften, welche folgende Rechte genießen:

     •     öffentliche Religionsausübung
     •     Ausschließlichkeitsrecht (Namensschutz, Anspruch auf exklusive religiöse Betreuung der eigenen
           Mitglieder)
     •     selbständige Ordnung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten
     •     Schutz der Anstalten, Stiftungen und Fonds gegenüber Säkularisation
     •     Recht auf Errichtung konfessioneller Privatschulen
     •     Erteilung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen

Alle diese Religionsgemeinschaften genießen einen erhöhten Schutz. So ist zum Beispiel die Herabwürdi-
gung religiöser Lehren oder Störung in der Religionsausübung nach dem Strafgesetzbuch (§188 StGB)
strafbar. Auch die Kirchen oder dem Gottesdienst gewidmeten Räumlichkeiten oder Dinge genießen bei
Beschädigung einen erhöhten strafrechtlichen Schutz.

Liste der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften
Die folgende Erfassung der Konfessionszugehörigkeit war Teil der Volkszählung von 2001:

     1.  Katholische Kirche (5.918.629) in den Riten:
     2.  Römisch-katholische Kirche (5.917.274)
     3.  Griechisch-katholische Kirche (1.089)
     4.  Armenisch-katholische Kirche (266)
     5.  Evangelische Kirche in Österreich (376.150)
     6.  Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnisses (Lutheraner, 354.559)
     7.  Evangelische Kirche Helvetischen Bekenntnisses (Reformierte, 19.463)
     8.  Altkatholische Kirche (14.621) (anerkannt seit 1874)
     9.  Orientalisch-orthodoxe Kirchen
     10. Armenisch-apostolische Kirche in Österreich (1.824)
     11. Koptisch-orthodoxe Kirche in Österreich (1.623) (anerkannt seit 2003)
     12. Syrisch-orthodoxe Kirche in Österreich (1.589)
     13. Griechisch-orientalische (=orthodoxe) Kirche (174.385)
     14. Griechisch-orientalische Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (Kirche von Griechenland)
     15. Griechisch-orientalische Kirchengemeinde zum Hl. Georg (Kirche von Griechenland)
     16. Serbisch-griechisch-orientalische Kirchengemeinde zum Hl. Sava (74.198)
     17. Rumänisch-griechisch-orientalische Kirchengemeinde zur Hl. Auferstehung (2.819)
     18. Russisch-orthodoxe Kirchengemeinde zum Hl. Nikolaus (3.340)
     19. Bulgarisch-orthodoxe Kirchengemeinde zum Hl. Iwan Rilski (1.135)
     20. Evangelisch-methodistische Kirche (1.236) (anerkannt seit 1951)
     21. Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) (2.236)
         Diese Religionsgemeinschaft wurde 1955 als Reaktion auf die Marshallplanhilfe durch den Staat
         Utah anerkannt.
     22. Neuapostolische Kirche (4.217) (anerkannt seit 1975)

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Lebenswelten in der Gesellschaft unter dem Aspekt der Vielfalt

    23. Israelitische Kultusgemeinde (8.140) (anerkannt seit 1890)
    24. Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (338.988, zum Zeitpunkt der Volkszählung aber
        noch inklusive der mittlerweile ebenfalls anerkannten Aleviten sowie der mittlerweile staatlich
        eingetragenen Schiiten)
        Der Islam ist in Österreich seit 1912 anerkannt, nachdem das mehrheitlich muslimische Land
        Bosnien Bestandteil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war.
    25. Islamische alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (anerkannt seit 2013)
    26. Österreichische buddhistische Religionsgesellschaft (10.402) (anerkannt seit 1983)
    27. Zeugen Jehovas (23.206) (anerkannt seit 2009)

Eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften
Im Jahr 1997 wurde zusätzlich zu staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften noch die Kategorie der
staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften eingeführt. Diese besitzen zwar eine
eigene Rechtspersönlichkeit, jedoch nicht die Privilegien anerkannter Religionsgemeinschaften. Nach einer
etwa 10-jährigen Wartefrist kann einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft vom Kultusamt (gegen-
wärtig im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur angesiedelt) der Status einer anerkannten
Religionsgemeinschaft zuerkannt werden. Die erste religiöse Bekenntnisgemeinschaft, die nach diesen
1997 erstellten Vorgaben die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft erlangt hat, sind die Zeu-
gen Jehovas.

Damit eine Religionsgemeinschaft als solche anerkannt wird, muss sie nach dem 1997 beschlossenen Be-
kenntnisgemeinschaftengesetz unter anderem vor der Anerkennung „mindestens 10 Jahre als religiöse
Bekenntnisgemeinschaft“ bestehen. Eine weitere Voraussetzung ist die Anzahl der Angehörigen in der
Höhe von mindestens 2 von Tausend der Bevölkerung Österreichs nach der letzten Volkszählung. Das be-
deutet, dass sich derzeit über 16.000 Personen bei der Volkszählung zu einer Bekenntnisgemeinschaft be-
kennen müssten, damit diese Bekenntnisgemeinschaft zukünftig die Möglichkeit hat, den Status einer an-
erkannten Religionsgemeinschaft zu erlangen. Damit war selbst nach Ablauf der oben erwähnten 10-
Jahres-Frist im Jahr 2008 eine Anerkennung für fast alle Anerkennungswerber unmöglich. Die geforderte
Zahl von 16.000 Anhängern erscheint zahlreichen Experten insbesondere deshalb als willkürlich gewählt,
da a) sieben der zwölf Religionsgemeinschaften, die 1997 bereits anerkannt waren, deutlich weniger Mit-
glieder haben als 16.000 und b) der Gesetzgeber auch noch nach 1997 eine Religionsgemeinschaft aner-
kannte (Koptische Kirche, 2003), die bei der letzten Volkszählung nur 1.633 Mitglieder hatte, also nur ein
Zehntel der Mitgliederzahl, die von anderen Religionen für eine Anerkennung verlangt wird. Während an-
dere Anerkennungswerber auf die im Bekenntnisgemeinschaftengesetz vorgeschriebene 10-Jahres-Frist
verwiesen wurden, ermöglichte der Gesetzgeber die Anerkennung der Koptischen Kirche durch ein 2003
eigens beschlossenes „Orientalisch-Orthodoxes Kirchengesetz“, durch das in diesem speziellen Fall die
Einhaltung der von anderen Religionsgemeinschaften verlangten Anerkennungsvoraussetzungen nicht
notwendig war.

Der Verfassungsgerichtshof rechtfertigt die bestehende Ungleichbehandlung von nicht anerkannten Reli-
gionen und ihren Anhängern nach wie vor damit, dass die Unterscheidung zwischen anerkannten und
nicht anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich „sachlich begründbar ist“ und dass „ferner die
Anerkennung nach sachlichen Gesichtspunkten erfolgt und … auch durchsetzbar ist“.

Ende Juli 2008 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass das österreichische Reli-
gionsrecht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Unter anderem wurde bemängelt,
dass die lange Wartezeit gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstößt. Das Kultusamt ließ sich davon
jedoch nicht beirren und zögerte die Anerkennungsverfahren weiter hinaus. Am 7. Mai 2009 wurden
schließlich die Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft anerkannt.

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Deutsch Allgemeinwissen für die schriftliche SRDP

Derzeit kann keine der nicht anerkannten Religionen anerkannt werden, da alle Anerkennungswerber an
der seit 1998 geforderten Mindestmitgliederzahl scheitern. Die Liste der eingetragenen Bekenntnis-
gemeinschaften (mit der Zahl ihrer Mitglieder) kann unter dem angegebenen Wikipedia-
Artikel eingesehen werden. Derzeit sind es elf.

Islam in Österreich
Seine Situation ist insofern in Westeuropa einzigartig, als dass er in Österreich Status einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts genießt und schon 1912 als Religionsgesellschaft anerkannt wurde.

Die Zahl der Muslime erhöhte sich stark zwischen 1971 (ca. 23.000 Personen, 0,3 % Bevölkerungsanteil,
16.423 türkische Staatsbürger) und 1981 (76.939 Muslime, ca. 1 % Bevölkerungsanteil, erste Muslime
gesondert erfassende Volkszählung).

1991 hatte die Volkszählung 158.776 Muslime (2 % an der Gesamtbevölkerung) ausgewiesen, bei der
Volkszählung im Jahr 2001 wurden 338.998 Muslime in Österreich registriert.

2001 war die weiterhin größte Gruppe unter den in Österreich lebenden Muslimen jene mit türkischer
Staatsbürgerschaft (123.000), gefolgt von den Österreichern (96.000, 28 Prozent), Bosniern (64.628), Ju-
goslawen (ex-jugoslawische Serben, Kroaten und Slowenen, 21.594), Mazedoniern (10.969) und Iranern
(3.774). Die meisten arabischen Muslime kommen aus Ägypten (3.541) und Tunesien (1.065).

Nach Schätzung der Islamischen Glaubensgemeinschaft – nach 2001 wurde die Religionszugehörigkeit in
Österreich nicht mehr amtlich-statistisch erfasst, und die islamischen Glaubensgemeinschaften haben kei-
ne exakten Daten aller Gruppen – leben 2006 zwischen 390.000 und 400.000 Muslime (Bevölkerungsan-
teil von 4,9 %) in Österreich. Der Fischer Weltalmanach 2009 geht heute von zumindest 4,2 % Muslimen
aus.

Aufgrund einer logischen Fortschreibung der Zahlen von 2006, geht der ÖIF [Österreichischer Integrations-
fonds] nach einem Bericht des Nachrichtenportals vol.at vom 26. Februar 2010 von rund 516.000 Musli-
men in Österreich aus.

Anfang Juni 2009 waren mehr als 800 Soldaten der Garde des Österreichischen Bundesheeres Muslime.
In der Wiener Maria-Theresien-Kaserne gibt es für sie seit 2004 einen eigenen Gebetsraum. (Bereits An-
fang Februar 2008 waren über 40 Prozent des Gardebataillons Muslime; zur Geschichte und Situation des
Islam in Österreich siehe auch unter dem Stichwort >Österreichischer Integrationsfonds Islam
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