AGRARÖKOLOGIE POSITIONSPAPIER - FÜR EINE GRUNDLEGENDE TRANSFORMATION DER AGRAR- UND ERNÄHRUNGSSYSTEME - Forum Umwelt & Entwicklung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
S I T I O N S PA P I E R PO AGRARÖ KO LO G I E STÄ R KE N R U N D L E G E N D E FÜR EINE G N S FO R M A T I O N DER TRA T E M E R N Ä H R U N G S S YS AG R A R - U N D E
Das Positionspapier wird getragen von: junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft nyéléni .de Wege zur Ernährungssouveränität
AGRARÖKOLOGIE STÄRKEN 4 Gemeinsam für naturnahe bäuerliche Anbausysteme und solidarische Lebensräume 5 Agrarökologie als Alternative zur industriellen Landwirtschaft 6 Das Potenzial von Agrarökologie ausschöpfen 8 Forderungen an die Bundesregierung 10 Zum Weiterlesen 3
Gemeinsam für naturnahe bäuerliche Anbausysteme und solidarische Lebensräume Es ist Bewegung in die internationale gewichte zwischen großen Unternehmen Das belegen auch viele wissenschaftliche Agrarökologie-Debatte gekommen. Immer im gesamten Agrar- und Ernährungs Studien.1 mehr Menschen aus Bewegungen, Wissen system und Erzeuger*innen sowie Arbei- schaft, Organisationen und Verbänden ter*innen und Verarbeiter*innen nehmen Immer mehr wichtige Akteure wie sowie einigen Regierungen haben verstan- zu und die soziale Ungleichheit steigt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorga den, dass ein „Weiter-wie-bisher“ keine weltweit. Die Folgen: Kleinere bäuerliche nisation der UN (Food and Agriculture Option ist. Das hatte der Weltagrarbericht Betriebe werden vom Markt verdrängt, Organization, FAO), aber auch Regierun schon 2009 postuliert. Inzwischen ist die Menschenrechte von Bauern und Bäu- gen und wissenschaftliche Institutionen Botschaft angekommen. Die negativen erinnen vor allem im globalen Süden stellen chemie- und energiebasierte Inten Auswirkungen der industriellen Landwirt- systematisch verletzt, Landarbeiter*innen sivierungsansätze infrage. Trotz Milliar schaft sind seit Langem offensichtlich. schuften für Hungerlöhne und sind gifti den-Unterstützung von Regierungen Beispielhaft zu nennen sind Wasser- gen Pestiziden ausgesetzt. Laut einem und Stiftungen wie der Bill-und-Melinda- knappheit, Artensterben, hohe Treibhaus- aktuellen Bericht der Vereinten Nationen Gates-Stiftung, wird der Einsatz externer gasemissionen, Bodendegradation und (UN) sterben 200 000 Menschen jährlich Betriebsmittel wie chemisch-synthetisch Landraub. Die sozialen, ökonomischen an akuten Pestizidvergiftungen. 99 Pro- hergestellter Düngemittel, Pestizide und und ökologischen Schäden gefährden die zent dieser Todesfälle ereignen sich in Hochertragssaatgut, um damit die Erträge bäuerlichen Lebensgrundlagen und die Ländern des globalen Südens. um jeden Preis zu steigern, nicht mehr Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme an als Lösung für die Umwelt-, Armuts- und die bereits spürbaren Folgen der Klima Obwohl die Menge an erzeugten Nah- Hungerprobleme angesehen. krise. Das Geschäftsmodell der interna- rungsmitteln ausreichen würde, um zehn tionalen Pestizid- und Saatgutkonzerne Milliarden Menschen zu ernähren, ist die Das Konzept der Agrarökologie basiert auf dem Konzept der Grünen Zahl der Hungernden in den letzten drei bietet zahlreiche Lösungen für die grund- Revolution, die Erträge durch massiven Jahren wieder gestiegen. Sie liegt auf legende Transformation der Agrar- und Einsatz von künstlichem Mineraldünger dem Niveau von vor zehn Jahren. Nach Ernährungssysteme. Um Agrarökologie und Pestiziden zu steigern. Doch dieses Schätzungen der UN sind derzeit mehr als zu stärken, müssen die verfehlten Agrar-, System gerät immer stärker unter massi 820 Millionen Menschen unterernährt – Handels-, Forschungs- und Subventions ven Rechtfertigungsdruck. 15 Millionen mehr als im Jahr 2016. Zwei politiken grundlegend und schnell geän- Milliarden Menschen sind mangelernährt dert werden. Nur noch wenige kapitalkräftige und weitere 1,9 Milliarden Menschen multinationale Konzerne kontrollieren die übergewichtig. Das zeigt, dass die gegen- Märkte vom Acker bis zur Ladentheke, die wärtigen Agrar- und Ernährungssysteme 1 Eine Liste mit weiterführender Literatur finden Sie am Ende dieses Papieres. Übernahme von Monsanto durch Bayer ist nicht in der Lage sind, für eine gute nur ein Beispiel dafür. Die Machtungleich- Ernährung für alle Menschen zu sorgen. 4
Mehr Vielfalt auf dem Hof und auf dem Teller – ein produktives Gesamtsystem statt nur Produktionssteigerung um den Preis hoher ökologischer und sozialer Kosten Agrarökologische Systeme sind nicht nur Agrarökologie als Alternative produktiv, sie schützen natürliche Res sourcen und machen landwirtschaftliche zur industriellen Landwirtschaft Betriebe widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels wie extreme Dürren oder anhaltende Regenfälle.2 Agrarökologie ist ein wissenschaftlich Agrarökologie ist die Alternative Pretty et al. wiesen in einer wichtigen fundiertes Konzept, das zugleich auf zur industriellen Landwirtschaft, sie Studie nach, dass sich die Gesamtpro ökologischen Prinzipien, dem politischen stärkt die bäuerliche Landwirtschaft und duktivität von Agrarsystemen im globa Ansatz der Ernährungssouveränität5 und sichert gute Arbeit auf dem Land. Der len Süden um bis zu 80 Prozent erhöht, dem Recht auf angemessene Nahrung Transformationsprozess hin zur Agrar- wenn agrarökologische Erzeugungs basiert. Trotz wenig institutioneller ökologie ist jedoch vielschichtig, denn methoden angewandt werden.3 Unterstützung wird sie von Bauern und Agrarökosysteme sind sehr unterschied- Oft wird die Verbesserung der Bäuerinnen weltweit praktiziert und lich und komplex, so dass es nicht eine Ernährungssituation vor allem daran weiterentwickelt und soziale Bewegungen Herangehensweise für alle Situationen gemessen, ob mehr Nahrung produziert überall auf der Welt fordern sie ein. Vor geben kann. Agrarökologische Trans- wird und mehr Kalorien verfügbar sind. allem durch die Arbeit der internationalen formationsprozesse basieren auf einem Politische Regulierungen fördern noch Kleinbauernbewegung „La Via Campesina“ Bottom-up-Ansatz, das heißt die lokale immer überwiegend Ansätze, mit denen und durch den im Jahr 2007 initiierten Bevölkerung, bäuerliche Erzeuger*innen, Produktionssteigerungen erreicht wer Nyéléni-Prozess6 hat das Konzept der Verarbeiter*innen und Vermarkter*innen den sollen.4 Faktoren wie die Qualität Agrarökologie an Überzeugungskraft gestalten die Veränderungen selbst, der Nahrung, der Zugang zu ihr, intakte gewonnen und große Bekanntheit erlangt. anstatt sie „von oben“ von Staaten, Ökosysteme oder partizipative Ent Unternehmen und internationalen Orga scheidungsprozesse fließen nur selten Agrarökologie zielt auf eine sozial nisationen verordnet zu bekommen. in die Bewertung von Agrar- und Ernäh gerechte und ökologisch nachhaltige rungssystemen ein. Vermehrt schlagen Umgestaltung der Agrar- und Ernährungs internationale Expert*innen wie der systeme ab, in denen die Bauern und Bäu- 5 Mitte der 1990er Jahre wurde das Konzept der Ernäh- ehemalige UN-Sonderberichterstatter rungssouveränität vor allem von La Via Campesina, erinnen, handwerkliche Verarbeiter*innen der internationalen Bewegung der Kleinbauern für das Recht auf Nahrung Olivier de und Verbraucher*innen im Zentrum der und -bäuerinnen und Landarbeiter*innen, entwickelt. Schutter vor, dass der gesamte Produk Ausgangspunkt von Ernährungssouveränität ist das Entscheidungen stehen. Das Konzept baut Recht aller Menschen, ihre Landwirtschafts- und tionsprozess in die Bewertung von Agrar auf den grundlegenden Prinzipien des Ernährungspolitik selbst zu bestimmen. Jedem ökosystemen einbezogen werden sollte. Menschen soll es möglich sein, sich in Würde zu er- ökologischen Landbaus auf, zu denen vor- In ein „full cost accounting“ würden alle nähren – entsprechend den eigenen wirtschaftlichen, nehmlich der Erhalt der Bodenfruchtbar- sozialen, kulturellen und ökologischen Umständen Kosten, die wirklich in einem Ernährungs und ohne die Ernährungs- und Lebensgrundlagen keit, der Kreislauf von Boden-Pflanze-Tier system entstehen, einfließen – von den anderer und zukünftiger Generationen zu zerstören. und Mensch sowie die Unabhängigkeit 6 Nyéléni ist eine weltweite Bewegung für Ernährungs- Umweltauswirkungen der Nahrungs mittelerzeugung bis zur sozialen Teilhabe der Betriebe von externen Betriebsmitteln souveränität, die ihren Ursprung in Ländern des glo- balen Südens hat und sich auf dem internationalen der Erzeuger*innen – und nachhaltige gehören. Insgesamt sind die Grundsätze Forum für Agrarökologie 2015 in Mali auf ein gemein- Systeme würden entsprechend durch die der Agrarökologie einer umfassend sames Verständnis von Agrarökologie geeinigt hat. Vgl.: http://www.foodsovereignty.org/wp-content/ Agrar- und Ernährungspolitik bevorzugt ökologisch und sozial nachhaltigen Land- uploads/2015/02/Download-declaration-Agroecolo- gefördert. wirtschaft und Lebensmittelerzeugung gy-Nyeleni-2015.pdf verpflichtet. 2 Unterschiedliche Studien nach IPES 2016: Folke et al., 2002; Holt-Giménez, 2002; IAASTD, 2009; Lin, 2011; Tirado & Cotter, 2010; Rosset et al., 2011; Pretty et al., 2011; Mijatović et al., 2013; Altieri et al., 2015; Rodale Institute, 2015 3 Siehe Pretty et al., 2006: Untersucht wurden 286 Projekte auf drei Kontinenten. https://pubs.acs. org/doi/abs/10.1021/es051670d 4 U. a. Duncan, 2015: Global Food Security gover- nance: Civil Society engagement in the reformed Committee on World Food Security 5
Das Potenzial von Agrarökologie ausschöpfen Agrarökologie entwickelt Lösungsansätze für viele soziale und ökologische Probleme in Landwirtschafts- und Ernährungssystemen in Zeiten des Klimawandels. Sie gründet dabei auf folgenden gleichberechtigten Elementen:7 1. Mehr Vielfalt 3. Selbstregulationsfähigkeit 6. Gesunde Ernährung über und unter der Erde: im Agrarökosystem stärken: und lokale Versorgung stärken: Agrarökologie integriert systematisch Je mehr Biodiversität vorhanden ist, desto Kürzere Wege und enge Stadt-Land-Verbin- Biodiversität im Anbausystem und geringer ist das Risiko von Krankheiten dungen können Bauern und Bäuerinnen respektiert biologische Prozesse. Boden, und Schädlingen. Umgekehrt wirken sich mit handwerklichen Lebensmittelherstel- Pflanzen und Tiere werden als Ökosystem Pestizide auf die biologische Vielfalt – ler*innen und Verbraucher*innen stärker verstanden und das Wissen darüber in Insekten und Pflanzen im und auf dem zusammenbringen. Kurze Transportwege den Vordergrund gestellt. Vielfältige Boden – negativ aus. Dies wiederum ver- verringern auch Emissionen. Märkte, Fruchtfolgen und eine kontinuierliche stärkt die Abhängigkeit von externen welche die Arbeit der Erzeuger*innen mit Bodenbedeckung durch Ackerwildkräuter Betriebsmitteln. Die Selbstregulierungs- gerechten Preisen honorieren und vielfäl- und Zwischenfrüchte füttern die Boden kräfte werden durch Agrarökologie ge- tige Lebensmittel bereitstellen, befördern lebewesen, ermöglichen Humusaufbau stärkt und der Teufelskreis von Resistenz- eine ortsnahe Versorgung mit frischen, und verhindern Bodendegradierung. bildung und Pestizideinsatz durchbrochen. gesunden und vielfältigen Lebensmitteln. 2. Mehr Resilienz und 4. Mehr Kontrolle 7. Weniger Abhängigkeit, Anpassung an die Klimakrise: über Lebensgrundlagen: mehr Autonomie: Diversifizierte Anbausysteme machen Um natürliche Ressourcen und Ökosyste Agrarökologie erhöht die Autonomie der Bauern und Bäuerinnen krisensicherer me zu erhalten, brauchen Bauern und Erzeuger*innen. Als schwächstes Glied in gegenüber externen Schocks wie Klima- Bäuerinnen, Hirt*innen, indigene Gemein- der Lieferkette haben Bauern und Bäue- krisen oder Preisschwankungen. Agrar- schaften und ländliche Gemeinden ein rinnen der Marktmacht der Konzerne im ökologische Systeme verbessern die Recht auf und die Kontrolle über Land, derzeitigen Agrarsystem wenig entgegen- Wasserspeicher- beziehungsweise Wasser- Saatgut, Wasser, Artenvielfalt und Wissen. zusetzen. Agrarökologie schafft Existenz- aufnahmefähigkeit von Böden, die Pflan- Kollektive Besitz- und Bewirtschaftungs- grundlagen für bäuerliche Haushalte und zen können tiefer wurzeln, der Schädlings- formen müssen dafür anerkannt und trägt dazu bei, die Märkte, die Wirtschaft und Krankheitsdruck wird verringert. geschützt werden. und den Arbeitsmarkt vor Ort zu stärken Durch eine verbesserte Bodengesundheit und auf die lokale Nachfrage zu reagieren. und die Erholung ausgelaugter Böden (Förderung der Kohlenstoffbindung) oder durch einen geringeren Energieverbrauch 5. Bäuerliche Agri-Kultur 8. Gleichberechtigung von Frauen (Vermeidung von Treibhausgasemissio stärken: und Männern: nen) trägt Agrarökologie zum Klimaschutz bei. Integrierte Tier-Pflanzen-Systeme Wenn Bauern und Bäuerinnen ihre Höfe Ein solidarisches Miteinander von Frauen fördern die Fruchtbarkeit des Bodens, und ihren Anbau diversifizieren und sie in und Männern basiert auf gleichen geschlossene Nährstoffkreisläufe und die lokale oder regionale Weiterverarbeitungs- Rechten, einem gewaltfreien Umgang Verwendung von pflanzlichen Reststoffen systeme und Vermarktungsnetzwerke miteinander und gleichen Entwicklungs- (Recycling). eingebunden sind, können bäuerliche möglichkeiten. Die gleichberechtigte Betriebe erhalten, Arbeitsplätze geschaf- Kontrolle über produktive Ressourcen, fen und regionale Wirtschaftskreisläufe der gleiche Zugang zu Bildung und agrar- gestärkt werden. Dank einer Diversifi- ökologischer Beratung sowie die gleichbe- zierung der Produktion sind die Erzeu- rechtigte Mitbestimmung in Haushalten, ger*innen weniger anfällig für marktbe Organisationen und Politikprozessen sind zogene Risiken wie schwankende Preise, untrennbar mit Agrarökologie verbunden. die durch den Klimawandel zunehmen. Negative soziale Normen und Geschlech- terstereotypen gilt es zu überwinden. 6
9. Mehr Beteiligung und Agrarökologie erfolgreich fördern – Beispiele weltweit Mitsprache: Brasilien: Die Nationale Politik für Frankreich: Rennes fördert das Ange Agrarökologie fördert Formen sozialer Agrarökologie und Ökolandbau (PNAPO) bot von lokal und ökologisch erzeugten Organisation, die Voraussetzung für eine früherer brasilianischer Regierungen Lebensmitteln. Die Stadt unterstützt Mitgestaltung der Agrar- und Ernährungs- ist das Resultat eines intensiven zivil zum Beispiel den Aufbau urbaner Gärten, systeme sind. Sie schafft Anreize, sich gesellschaftlichen Engagements in dem die Gründung solidarischer Landwirt selbst zu organisieren und in Gruppen lateinamerikanischen Land. PNAPO ist schaftsprojekte, kooperativer Lebens und Netzwerken auf verschiedensten eine einzigartige föderale Rahmenpolitik mittelläden und die Einrichtung von Ebenen – ob lokal oder global – kollek- zur Förderung von Agrarökologie und „Open-Air“-Märkten zur Feierabendzeit. tiv tätig zu sein. Bauernorganisationen, ökologischem Anbau, die sich auf sieben Sie fördert diese Projekte finanziell, stellt Verbraucherverbände und andere zivilge- umfassende Leitlinien stützt. Im Rahmen Abholorte für Gemüse-Abo-Kisten be von PNAPO wurden bislang mehr als reit und führt Informationskampagnen sellschaftliche Akteure haben die Möglich- 364 Millionen Euro investiert, was zu durch. Die Stadt- und Raumplanung keit, frühzeitig Programme und relevante umfangreichen Verbesserungen für berücksichtigt den Erhalt stadtnaher Politiken in ihrem Sinne zu beeinflussen. Kleinbauern und -bäuerinnen sowie landwirtschaftlicher Flächen und sieht anderer benachteiligter Gruppen in eine Stärkung der Beziehungen zwischen Brasilien führte. Unter anderem wurden der Stadt und ihrem Umland vor. Die 10. Förderliche Politiken und agrarökologische Beratungsdienste Metropolregion Rennes hat dafür einen partizipative Forschung: finanziert, 143 000 Zisternen gebaut, und übergreifenden lokalen Plan für die 5300 Gemeinden dabei unterstützt, min Landwirtschaft entworfen. Um das Potenzial von Agrarökologie destens 30 Prozent ihres Schulessen auszuschöpfen, ist die Unterstützung von budgets für den Einkauf von regionalen, Indien: Der indische Bundesstaat Politiker*innen und Verwaltungen auf al- biologischen und agrarökologischen Sikkim hat durch eine konsequente len Ebenen und sind förderliche politische Produkten von Familienbetrieben aufzu Politik die Landwirtschaft komplett auf Rahmenbedingungen notwendig; ob für wenden. Wie es mit diesem Programm zertifizierten Ökolandbau umgestellt. Gemeinschaftsverpflegung, für eine Infra unter der rechten Regierung Bolsonaros Insgesamt bewirtschaften rund 66 000 struktur für bäuerliche Vermarktung oder weitergehen wird, ist aktuell noch offen. Familienbetriebe etwa 75 000 Hektar für die Unterstützung lokaler und regio- Land. 2018 wurde Sikkim für die Stärkung naler Diversifizierung. Politikkohärenz ist Deutschland: Im Norden Deutschlands der Agrarökologie mit dem Future Policy hierbei eine unabdingbare Voraussetzung. leistet die 1988 gegründete Erzeuger- Award gewürdigt. Bemerkenswert ist Agrarökologische Forschung baut auf Verbraucher-Gemeinschaft (EVG) insbesondere das schrittweise Verbot dem Wissen von Züchter*innen, Bauern Landwege einen wichtigen Beitrag zur von synthetischen Düngemitteln und und Bäuerinnen sowie von handwerk- Förderung der bäuerlich-ökologischen Pestiziden. Doch der Wandel geht in lichen Lebensmittelhersteller*innen auf. Landwirtschaft. In einem Kreis von ma Sikkim weit über die Öko-Erzeugung Die Ausrichtung der Forschung wird mit ximal 100 km rund um Lübeck trägt die hinaus und hat das Land und die Men ihnen gemeinsam entwickelt. In der Wirt- Genossenschaft dazu bei, dass Erzeu schen nachhaltig verändert. Sozio-öko schaftsforschung sollte ein Schwerpunkt gungsstrukturen erhalten bleiben und nomische Aspekte wie Verbrauch und auf die solidarische Ökonomie gelegt Arbeitsplätze vor Ort geschaffen werden. Wachstum, kulturelle Elemente sowie werden. Die regionale Wertschöpfungskette Gesundheit, Bildung, ländliche Entwick sichert den gerechten und direkten lung und nachhaltiger Tourismus spielen Handel. Zu der Gemeinschaft zählen in dem Gesetz ebenso zentrale Rollen. 7 Die Elemente beruhen auf verschiedenen wichtigen inzwischen rund 30 ökologische Höfe, Rahmenwerken zu Agrarökologie wie der Erklärung über 800 Mitglieder und mehr als 100 von Nyéléni (2007), den SOCLA-Kriterien (2014), der Nyéléni-Erklärung zu Agrarökologie (2015), den Mitarbeiter*innen. Die EVG Landwege CIDSE-Prinzipien der Agrarökologie (2018) und den fördert soziale Projekte und leistet einen FAO 10 Elements of Agroecology (2018). großen Beitrag zur Bildung für nachhal tige Entwicklung. 7
Forderungen an die Bundesregierung • Die Bundesregierung sollte dazu alle werden und die aufzeigt, wie solche zwei Jahre einen Fortschrittsbericht Elemente stärker in die EZ aufgenom- Mit Agrarökologie lassen sich viele vorlegen. Darin sollten sowohl Fort- men und unterstützt werden können. der globalen Nachhaltigkeitsziele schritte und Herausforderungen bei (Sustainable Development Goals, der Implementierung von Programmen • Die Bundesregierung sollte sich aus SDGs) erreichen. Bislang stehen die als auch bei der Kohärenz von Politik- der Förderung von Initiativen und Pro- politischen Rahmenbedingungen ei bereichen wie der Agrar-, Handels- und jekten wie der Allianz für eine Grüne ner Entwicklung hin zu Agrarökologie Energiepolitik aufgeführt werden. Revolution in Afrika (Alliance for a auf vielen Ebenen entgegen, unter Green Revolution in Africa, AGRA) anderem in der Agrar-, Ernährungs-, zurückziehen, weil deren Ansatz dem Handels-, Bioökonomie-, Saatgut- 2. Entwicklungszusammenarbeit Konzept der Agrarökologie diametral oder Patentpolitik. Auch in der staat entgegensteht. lichen Entwicklungszusammenarbeit • In der staatlichen EZ sollte Agraröko (EZ) spielt Agrarökologie nur eine logie zum zentralen Förderkonzept zur • Die Bundesregierung sollte von 2019 marginale Rolle. Armutsbekämpfung auf dem Land bis 2021 300 Millionen Euro zur Förde- werden. Insbesondere bei der Über rung der Agrarökologie national und arbeitung des Konzepts zur ländlichen international zur Verfügung stellen, da- Die unterzeichnenden Organisatio Entwicklung sollte sie systematisch von 200 Millionen Euro für die „Scaling nen fordern die Bundesregierung integriert und grundlegend verankert up Agroecology Initiative“ der FAO und auf, folgende Maßnahmen zur werden. Dabei könnte ein internatio- 100 Millionen Euro für ein Förderpro- Unterstützung von Agrarökologie naler Beirat helfen, der das Bundes gramm „Agrarökologie und Frauen“, zu ergreifen: ministerium für wirtschaftliche das gezielt die Arbeit von Frauenorga- Zusammenarbeit und Entwicklung nisationen unterstützt. (BMZ) zu Agrarökologie berät. Dieser muss mit einem Budget für unab hängige Studien und weitere Publika 3. Forschung und Beratung tionen ausgestattet werden. 1. Politische Rahmenbedingungen • Die Bundesregierung muss Forschung • Die Bundesregierung muss sich in und Beratung am Vorsorgeprinzip • Die Bundesregierung sollte sich klar ihrer internationalen Arbeit für eine ausrichten. Dabei sollte das Prinzip zur Agrarökologie bekennen. Daher Förderung von Agrarökologie einsetzen der gemeinschaftlichen Wissenserar- sollte sie eine Stellungnahme veröf- und sollte dafür die Gründung einer beitung („co-creation of knowledge“) fentlichen, in der sie das Potenzial „Agrarökologischen Geber-Allianz“ angewendet werden - als Basis für die der Agrarökologie zum Erreichen von vorantreiben. Sie sollte sich dafür Wissenschaft („farmer-led research“) umwelt- und sozialverträglichen Land- einsetzen, die Entwicklungspolitik und auch in der landwirtschaftlichen wirtschafts- und Ernährungssystemen der Europäischen Union im Sinne von und lebensmittelhandwerklichen beschreibt und anerkennt sowie sich Agrarökologie neu auszurichten. Beratungsarbeit, beispielsweise durch zur schrittweisen Umsetzung agraröko- bäuerliche Agrarökologie-Schulen logischer Elemente verpflichtet. • Das BMZ sollte eine Studie basierend oder horizontalen Wissensaustausch auf der Methodologie von Pimbert/ („farmer-to-farmer“). • Dies schließt auch die Beendigung Moeller in Auftrag geben, in der die schädlicher Politiken mit ein, zum landwirtschaftlichen Projekte des BMZ • Forschungen und Best-Practice-Beispie Beispiel das Verbot des Einsatzes seit dem Jahr 2013 im Hinblick auf die le von zivilgesellschaftlichen Gruppen von gesundheitsschädigenden Agrar- Anwendung der oben genannten agrar- aus dem globalen Süden sollten in chemikalien wie Glyphosat. ökologischen Elemente untersucht Forschungsfragen und -programmen 8
öffentlich finanzierter wissenschaft- 5. Europäische Union der Zivilgesellschaft ist im Sinne des licher Einrichtungen eingebunden Partnerschaftsprinzips sicherzustellen. werden, einschließlich der Consultative • Die Bundesregierung sollte sich bei der Group on International Agricultural anstehenden Reform der Gemeinsamen Research-Systems (CGIAR). Das Europäischen Agrarpolitik (GAP) da- 6. UN-Welternährungsausschuss CGIAR-System sollte im Sinne von für einsetzen, dass agrarökologische Agrarökologie neu ausgerichtet wer- Elemente zentraler Bestandteil sind. • Agrarökologie steht 2019 auf der Agen- den. Darüber hinaus sollten zivilge- Statt agrarindustrielle Betriebsmodelle da des UN-Welternährungsausschuss sellschaftliche Gruppen, vor allem aus zu unterstützen, sollte die GAP art (Committee on World Food Security, dem globalen Süden, in Entscheidungs- gerechte Tierhaltung sowie einen Um- CFS). Die Bundesregierung muss sich gremien öffentlicher Forschungsein- bau im Ackerbau (mehr Fruchtfolge, dafür einsetzen, dass insbesondere jene richtungen personell vertreten sein. Leguminosenanbau, vielfältige Flächen- Menschen, deren Rechte verletzt und struktur) fördern und wirkungsvoll zu die häufig von Prozessen ausgeschlos- • Bei Forschungsprogrammen muss die Umwelt-, Tierschutz- und Klimazielen sen werden, umfassend beteiligt wer- Förderung für Agrarökologie massiv beitragen. Die pauschalen Flächen den. Dies umfasst die Konsultation zum aufgestockt werden. Transdisziplinäre prämien sollten vollständig durch eine Bericht des wissenschaftlichen Beirates Forschung sollte deutlich ausgebaut gezielte Honorierung gesellschaftlicher (High Level Panel of Experts, HLPE) und Langzeitstudien finanziert werden, Leistungen von Landwirt*innen ersetzt des CFS als auch die Verhandlungen welche die Effekte agrarökologischer werden. Der Fokus muss dabei stärker der Entscheidungsvorlage in der Ar- Systeme untersuchen. auf kleine und mittlere sowie auf viel- beitsgruppe und im Plenum des CFS. fältig strukturierte Betriebe gerichtet werden. • Die Bundesregierung sollte sich dafür 4. Klima und Landwirtschaft einsetzen, dass der Bericht folgende • Wirtschaftskreisläufe, Regionalunter- Elemente berücksichtigt: Agrarökologie • Die Bundesregierung sollte sich im nehmen und lokale Vermarktungs sollte als Wissenschaft, Praxis und Rahmen der EU dafür einsetzen, dass netzwerke von Bauern und Bäuerin- soziale Bewegung betrachtet werden. die positiven Effekte von Agrarökologie nen sollten durch entsprechende In- Jede Komponente ist gleichermaßen für Emissionsminderung, Klimaanpas- strumente und Regelungen gestärkt wichtig. Die Sichtweise von Agraröko- sung und den Schutz natürlicher Koh- werden. Dies sollte durch gezielte logie als holistischer und systemischer lenstoffspeicher in den Politikempfeh- Investitionen im Rahmen der GAP in Ansatz sollte im CFS berücksichtigt lungen des neuen Arbeitsprogramms lokale Vermarktungsnetzwerke unter- werden. Dabei ist die Menschenrechts- der UN-Klimarahmenkonvention für füttert werden. Gleichzeitig müssen perspektive von entscheidender Bedeu Landwirtschaft und Ernährungssi- negative Auswirkungen der EU-Agrar- tung. Besondere Aufmerksamkeit sollte cherheit besondere Beachtung finden. politik auf die lokalen Märkte des kleinbäuerlichen Erzeuger*innen und Transformative agrarökologische An- globalen Südens auch jenseits von ihren Wissenssystemen gewidmet sätze müssen klar abgegrenzt werden Exportsubventionen beendet werden. werden. von „klimasmarter“ Landwirtschaft, die weiter auf Mineraldüngung, Pestizide • Die für Umwelt- und Tierschutz, Ge- • Die Bundesregierung sollte sich dafür und Gentechnik setzt und das konven- sundheit, Ernährung sowie für Ent- einsetzen, dass der Bericht des HLPE tionelle Agrarmodell damit im Wesent- wicklungspolitik zuständigen Ressorts Politikempfehlungen enthält, an denen lichen fortschreibt. sollten bei der GAP-Planung auf den sich Staaten bei der Einführung und Ebenen von EU, Mitgliedsstaaten und Umsetzung agrarökologischer Politiken • Die Bundesregierung sollte Klimagelder gegebenenfalls in den Regionen mitent- orientieren. für die Landwirtschaft, insbesondere in scheidend eingebunden werden. Die der Forschung, verstärkt in Vorhaben Beteiligung aller relevanten Akteure zur Agrarökologie einsetzen. 9
Zum Weiterlesen CIDSE (2018): The principles of agroecology. Towards just, resilient and sustainable food systems. https://www.cidse.org/publications/just-food/food-and-climate/the-principles-of-agroecology.html Colin, A., Pimbert, M. und C. Kiss (2015): Building, defending and strengthening agroecology, a global struggle for food sovereignty. https://pureportal.coventry.ac.uk/en/publications/building-defending-and-strengthening-agroecology-a-global-struggl-2 Declaration of the international forum for agroecology – Nyéléni, Mali – 27 February 2015. http://www.foodsovereignty.org/wp-content/uploads/2015/02/Download-declaration-Agroecology-Nyeleni-2015.pdf FAO (2018): The 10 elements of agroecology. Guiding the transition to sustainable food and agricultural systems. http://www.fao.org/3/I9037EN/i9037en.pdf FIAN Österreich (2017): Mit Agrarökologie für das Recht auf Nahrung. https://fianat-live-7318544636224c40bb0b0af5b09-745b6a8.divio-media.net/filer_public/1b/0a/1b0a427c-ff8c-4aa4-8657-85f6d- 56f38ee/mit-agraroekologie-fuer-das-recht-auf-nahrung.pdf Forum Umwelt und Entwicklung et al. (2016): Besser anders, anders besser. Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten. http://www.forumue.de/wp-content/uploads/2016/10/Agraroekologie_Broschuere_A4_web1.pdf Friends of the Eath International (2018): Agroecology: innovating for sustainable food systems and agriculture. https://www.foei.org/resources/publications/agroecology-innovating-for-sustainable-food-systems-and-agriculture Holt-Giménez, E. und M. Altieri (2012): We already grow enough food for 10 billion people … and still can’t end hunger. IPES-Food (2016): From uniformity to diversity: A paradigm shift from industrial agriculture to diversified agroecological systems. http://www.ipes-food.org/_img/upload/files/UniformityToDiversity_FULL.pdf SOCLA (2014): Agroecology: concepts, principles and applications. https://www.socla.co/wp-content/uploads/2014/socla-contribution-to-FAO.pdf Wezel, A. et al. (2009): Agroecology as a science, a movement and a practice. A review. 10
Impressum Stand: Januar 2019 Mit finanzieller Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung. Layout: Marischka Lutz Grafikdesign V.i.S.d.P.: INKOTA-netzwerk e. V., Arndt von Massenbach, Chrysanthemenstr. 1–3, 10407 Berlin, inkota@inkota.de
Sie können auch lesen