AKADEMIE IM DIALOG | 15 - DIALEKTFORSCHUNG UND MASCHINENSPRACHE - Österreichische Akademie der ...

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                 DIALOG | 15
                 DIALEKTFORSCHUNG UND MASCHINENSPRACHE
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DIALEKTFORSCHUNG UND
­MASCHINENSPRACHE

DISKUSSIONSFORUM AN DER ÖAW AM 18. JÄNNER 2019

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INHALTSVERZEICHNIS

INHALT
VORTRÄGE

ALEXANDRA N. LENZ | Universität Wien, ÖAW
„Digitale Sprachwissenschaft – Herausforderungen und Perspektiven“ ..................................................................................    5

IVONA BRANDIĆ | Technische Universität Wien
„Herausforderungen der Informatik im Zeitalter der digitalen Transformation“ ...................................................................        19

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ALEXANDRA N. LENZ

DIGITALE SPRACHWISSEN-
SCHAFT – HERAUSFORDE-
RUNGEN UND PERSPEKTIVEN
ALEXANDRA N. LENZ

Der vorliegende Beitrag setzt sich        nen, aufbereiteten und analysierten      Experiment­ software, diverse multi­
zum Ziel, die Herausforderungen           Daten.                                   mediale Stimuli (Bild, Ton, Video),
und Möglichkeiten digitaler Zu­gänge                                               die den ProbandInnen in einer Er­
aus der Perspektive der Digitalen                                                  hebungssituation vorgegeben wer­
Sprachwissenschaft zu beleuchten.         FORSCHUNGSDATEN                          den, standardisiert und einheitlich
Dabei soll Digitale Sprachwissenschaft    GENERIEREN UND ERSCHLIESSEN              zu präsentieren und gleichzeitig den
hier ganz allgemein verstanden                                                     Erhebungsverlauf digital und zeit­
werden als Sprachwissenschaft, die        Die Erhebung von Sprachdaten ist         lich exakt zu dokumentieren. Dies ist
sich bei ihren Forschungsvorhaben         ein komplexer Prozess, zu dessen         ein enormer Gewinn im Vergleich zu
digi­
    taler Methoden und Werkzeuge          Durchführung mittlerweile eine           traditionellen Verfahren der Daten­
bedient. Dies beinhaltet erstens For­     ­Fülle von digital bzw. von Compu­       erhebung im Face-to-Face-Kontakt,
schungsprozesse der Generierung            tern unterstützten Verfahren zur        in ­denen die explorierenden Ex­
und Erschließung von sprachwissen­         Verfügung steht. Dies betrifft sowohl   pertInnen sprachliche Stimuli den
schaftlich relevanten Daten, zweitens      die Erhebung von medial schrift­        Gewährspersonen selbst vorsprechen
die Aufbereitung und Anreicherung          lichen als auch medial mündlichen       bzw. Aufgabenstellungen mündlich
der Daten (z. B. in Form von Tran­         Daten. Neben dem Einsatz von digi­      formulieren und dabei zumindest
skriptionen und Annotationen), drit­       talen Aufnahmegeräten, die für eine     potenzielle Beeinflussungsfaktoren
tens die Analyse und Interpretation        Digitalisierung des Sprachschalls       darstellen. Des Weiteren ermöglichen
von Forschungsfragen sowie viertens        zeitgleich zur Erhebung sorgen,         digitale Aufnahmegeräte und -soft­
die digitale Bereitstellung der erhobe-    ermöglicht etwa der Einsatz von         ware eine automatisierte Segmen­

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tierung der Aufnahme in verschie­       historischer Schätze der Dialektolo­                  Sätze in den Dialekt des Schulortes zu
dene Einzelaufnahmen (Stichwort         gie des Deutschen illustriert werden.                 übersetzen. Kam die Lehrkraft selbst
„Time-Alignment“), was nicht nur                                                              nicht aus dem Ort, sollten die ortsan­
das Auffinden bestimmter Audio­         Beispiel I: Die „Wenkermaterialien“                   sässigen SchülerInnen bei der Über­
passagen erleichtert, sondern auch      Ende des 19. und Anfang des 20. Jahr-                 setzung behilflich sein. Während auf
eine Verknüpfung zwischen einem         hunderts                                              der Vorderseite eines Wenkerbogens
Transkript und der Sprachaufnahme       Ende des 19. Jahrhunderts beginnt                     die (in der Regel handschriftlich in
bedeutet. Im Hinblick auf schrift­      der Marburger Dialektologe Georg                      Kurrent angefertigten) Dialektüber­
sprachliche Daten sind derweil On­      Wenker mit einer einmaligen Dialekt­                  setzungen Platz fanden, diente die
line-Erhebungen (oft natürlich als      erhebung zu seinem „Sprachatlas                       Rückseite zur Erhebung weiterer
Ergänzung zu Offline-Erhebungen)        des Deutschen Reichs“.1 Die Haupt­                    relevanter Daten wie etwa der Sozial­
sehr üblich. Neben forschungsprak­      erhebung für das Atlasprojekt fand                    daten der Lehrperson, weiterer Fra­
tischen Aspekten ist auch hier die      zwischen 1876 und 1887 statt. In                      gen zum Ort (etwa zu seiner sprach­
Standardisierung von auditiven und      den Jahren 1888 sowie 1926 bis 1933                   lichen     Zusammensetzung)        oder
visuellen Stimuli ein wesentlicher      folgten weitere Nacherhebungen,                       auch zur Abfrage weiterer isolierter
Pluspunkt einer digital unterstützten   die auch andere vor allem deutsch­                    Dialektwörter. In Abbildung 1 sind
Erhebung. In jüngster Zeit werden       sprachige Länder und Regionen ab­                     ­Teile der Vorder- und Rückseite eines
auch zunehmend online verfügbare        deckten, darunter Österreich, die                      Wenkerbogens aus dem Burgenland
Sprachdaten zum Aufbau von vor          Schweiz, Luxemburg, die deutsch­                       abgebildet.
allem schriftsprachlichen Korpora
­                                       sprachigen Gebiete der ehemaligen                      Durch Wenkers Projekt liegen der
herangezogen (z. B. Onlinezeitun­       Tschechoslowakei und andere. Die
                                        ­                                                      Dialektologie des Deutschen heute
gen, Diskussionsforen oder soziale      Wenker-Methode war eine einfache,                      insgesamt rund 52.000 ausgefüllte
Netzwerke wie Twitter und Face­         aber zielführende: Ein zweiseitiger                    Wenkerbögen und mehr als 1.600
book).                                  Fragebogen wurde in alle Schulorte                     auf diesen Fragebögen basierende
Neben der Erhebung „neuer“ ge­          versandt, mit der Bitte an die dorti­                  handgezeichnete Sprachkarten vor.
sprochener     oder    geschriebener    gen LehrerInnen, ca. 40 vorgegebene                    Das Material konnte aufgrund sei­
Sprach­daten bietet es sich je nach                                                            nes Umfangs, der Kartengrößen und
Forschungsvorhaben an, auf bereits                                                             ihrer Farbvielfalt bis zum Beginn
                                        1   Zu einer ausführlichen Darstellung des
verfügbare „Rohdaten“ zurückzu­             ­Wenker-Projekts sei verwiesen auf: Schmidt,
                                                                                               dieses Jahrtausends nicht publiziert
greifen. Zur Sicherung, Erschließung         Jürgen Erich/Herrgen, Joachim (2011): Sprach­­    werden. Erst im Rahmen eines groß
und Bereitstellung dieser Daten lie­         dynamik. Eine Einführung in die moderne           angelegten DFG-Projekts (2001ff.)
fern digitale Zugänge einen wesent­          Regionalsprachenforschung. Berlin: Erich          haben wir in unserem Marburger
                                             Schmidt (Grundlagen der Germanistik 49),
lichen Beitrag. Dies soll im Folgen­         97–107; dazu auch: www.regionalsprache.
                                                                                               Forschungsteam        (Projektleitung:
den am Beispiel dreier wertvoller            de/wa.aspx.                                       Prof. Dr. Jürgen Erich Schmidt und

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Prof. Dr. Joachim Herrgen) eine erst­
malige Erschließung, Sicherung und
Onlinepublikation des Materials in
Form georeferenzierter Bilddigitali­
sate vornehmen können, um diesen
einmaligen Schatz der Wissenschaft
und Öffentlichkeit zur Verfügung
zu stellen. Die Georeferenzierung
ermöglicht dabei ortspunktgenaue
Verknüpfungen etwa zwischen den
Wenkerbögen und den Wenkerkarten
sowie zwischen verschiedenen Wen­
kerkarten, aber auch zwischen die­
sen und Sprachkarten bzw. Sprach­
daten aus jüngeren Dialektkorpora,
was insbesondere im Hinblick auf
Sprachwandelanalysen neue Optio­
nen eröffnet. Die später gezeichneten
„Ergänzungskarten“ von Peter Wie­
singer, die dann unter anderem auch
die österreichischen Frage­bögen
umfassen, sind wunderbarer­     weise
ebenso Teil dieses erschlossenen
einmaligen Korpus. Online zur Ver­
fügung gestellt werden die Karten,
Fragebögen und viele weitere Dia­       Abb. 1: Vorder- und Rückseite (jeweils Ausschnitt) eines Wenkerbogens aus Kleinhöflein
lektmaterialen (inklusive Tonaufnah­    (Eisenstadt im Burgenland); publiziert auf: www.regionalsprache.de.
men, Forschungsliteratur) über das
Geographische Informationssystem
(GIS) „REDE-SprachGIS“ des Mar­
burger Forschungszentrums „Deut­
scher Sprachatlas“ (www.regional­
sprache.de).

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Beispiel II: Korpus „Österreichische
Dialektaufnahmen im 20. Jahrhun-
dert“
Als zweites Beispiel zur Erschlie­
ßung historischer Materialien mit
digi­talen Methoden dient das Kor­
pus „Österreichische Dialektauf­
nahmen im 20. Jahrhundert“, das
im Phonogrammarchiv (PhA) der
ÖAW aktuell noch größtenteils auf
Magnetton­ bändern lagert. Dieses
Korpus umfasst ca. 2.450 Dialekt­
auf­nahmen (vor a­llem elizitierte
und spontansprachliche Gesprä­
che) von ca. 1.000 Ortspunkten in
Österreich aus der zweiten Hälfte
des letzten Jahrhunderts (vor allem
1951–1983, aufgenommen unter der
Leitung von Maria Hornung, Eber­
hard Kranzmayer, Werner Bauer,
Herbert Tatzreiter und anderen).
Der Kernbestand der Aufnahmen
wurde jüngst von der UNESCO in
das „Weltdokumentenerbe in Öster­
reich“ aufgenommen, was den Wert
dieser Dialektaufnahmen für das
kulturelle Erbe unterstreicht. Neben
                                       Abb. 2: Aufnahmeprotokoll einer Sprachaufnahme aus Sillian von einer gebürtigen Ober-
Tonaufnahmen gehören handschrift­
                                       tilliacherin aus dem Jahr 1951 (Korpus „Österreichische Dialektaufnahmen im 20. Jahr-
liche Protokolle zum Korpus, die we­
                                       hundert“).
sentliche Metadaten zu Inhalten der
Aufnahmen, den Sprechenden und
anderem bereithalten (siehe Abbil­
dung 2). Dieser einmalige Schatz der
österreichischen Dialektlandschaft

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Abb. 3: Handzettel aus dem Hauptkatalog des „Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich“ (WBÖ).

aus dem letzten Jahrhundert muss                    Beispiel III: Hauptkatalog des „Wör­     (Beispiel Gabel) zu verdeutlichen. Im
gehoben werden. Im Rahmen einer                     ter­buchs der bairischen Mundarten       Rahmen des 2016 neu aufgestellten
Kooperation zwischen dem Phono­                     in Österreich“                           Langzeitprojekts „Wörterbuch der
grammarchiv der ÖAW und unserer                     Eine dritte wertvolle Datenquelle zu     bairischen Mundarten in Österreich“
Forschungsabteilung „Variation und                  den Dialekten Österreichs und da­        (WBÖ) am ACDH sind wir dabei,
Wandel des Deutschen in Österreich“                 rüber hinaus stellen die Zettel des      auch diese einmaligen Rohdaten zum
am Austrian Centre for Digital Hu­                  Hauptkatalogs des „Wörterbuchs der       Wortschatz österreichischer Dialekte
manities (ACDH) der ÖAW wird das                    bairischen Mundarten in Österreich“      in Form hochauflösender Bild­
Ton- und Dokumentationsmaterial                     (WBÖ) dar. Dieser Katalog umfasst        digitalisate zu sichern und online zur
erstmals vollständig erschlossen und                ca. 3,6 Millionen handschriftliche       Verfügung zu stellen. Bislang sind
in Form von digitalisierten Ton- und                Belegzettel, die vor allem auf um­       bereits ca. 12 % des Materials digi­
Bilddateien gesichert und für For­                  fangreichen Fragebogenerhebungen         talisiert.3
schungszwecke aufbereitet.2                         und Literaturexzerpten basieren. Die
                                                    Beispiele in Abbildung 3 illustrieren,   3   Nähere Informationen zum Projekt sowie
                                                    dass mitunter auch Zeichnungen               zum Hauptkatalog des WBÖ und seiner
2   Nähere Informationen finden Sie auf: https://                                                langen Geschichte finden Sie auf der Projekt­
    vawadioe.acdh.oeaw.ac.at/projekte/dialekt­
                                                    heran­gezogen wurden, um die Be­             seite:   https://vawadioe.acdh.oeaw.ac.at/
    aufnahmen-20-jh/.                               deutungsvarianten eines Wortes               projekte/wboe.

                                  ÖAW                                                                                                       9
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Wie am Beispiel der drei exempla­         ein modernes Standard-Dokumen­             sind     natürlich  Sprachdatenban­
rischen Datenquellen und der mit          tenformat überführt. Im Rahmen des         ken, die auch Umstrukturierungen,
ihnen verbundenen Forschungspro­          WBÖ-Projekts wurde die deutlich            Klassi­fizierungen und andere Arten
jekte deutlich wird, leisten digitale     ­optimierte und bereinigte WBÖ-Da­         der Datenanreicherungen ermög­
Verfahren einen höchst wertvollen          tenbank jüngst erstmals online zu­        lichen, welche ohne informations­
Beitrag zur Bereitstellung und Siche­      gänglich gemacht, und zwar über           technologische Werkzeuge in den
rung von (auch historischen) „Roh­         unser neues „Lexikographisches In­        meisten Fällen unmöglich erschei­
daten“, sei es einerseits durch die        formationssystem Österreich“ (LIÖ)        nen. Die Datenanreicherungen stellen
Digitalisierung als Bild-, Vektor- oder    (siehe https://lioe.dioe.at und unten).   zwar einerseits den Ausgangspunkt
Tondatei sowie andererseits durch          Unabhängig von technischen Bedin­         für weiterführende quantitative und
die parallele Datenbeschreibung und        gungen (wie der Frage nach dem            qualitative Analysen dar, die Ergeb­
Datenstrukturierung.                       Dateiformat) ist aber zunächst die        nisse dieser Analysen fließen aber
                                           grundsätzliche Frage zu klären, mit       wiederum in das Korpus zurück, so­
                                           welchem Transkriptionssystem und          dass hier von starken Wechselbezie­
FORSCHUNGSDATEN                            in welcher Transkriptionstiefe eine       hungen auszugehen ist.
ANREICHERN                                 Verschriftlichung von Sprachdaten
                                           erfolgen soll. Diese Entscheidungen
Oft bedarf es natürlich weiterer           hängen maßgeblich von der fokus­          FORSCHUNGSDATEN
Schritte der Datenaufbereitung, die        sierten Systemebene ab und damit          ANALYSIEREN
weit über die Digitalisierung von          von der Frage, ob eine Analyse der
„Rohdaten“ hinausgehen. Die Voll­          Lautebene, der Morphologie oder           Der Mehrwert, den digitale Zu­gänge
texterfassung, das heißt die Über­         Syntax, des Wortschatzes oder ande­       im Hinblick auf Forschungsanaly­
tragung von Daten in maschinenles­         rer Aspekte vorgenommen werden            sen haben, kann hier natürlich nur
bare Formate, ist dabei ein zentraler      soll. Im Hinblick auf den Mehrwert,       angedeutet werden. Ich möchte dies
Prozess. Als Beispiel dient wiederum       den digitale Zugänge zur Datenan­         an einem Beispiel aus unserer aktuel­
der WBÖ-Hauptkatalog (siehe oben).         reicherung liefern, sind vielfältige      len Forschung tun.4 Der Ausgangs­
Beginnend mit dem Buchstaben D             Möglichkeiten der datensichernden         punkt ist eine Sprachkontaktthese,
wurden zwischen 1993 und 2011 ca.          und wiederverwertbaren Volltext­
2,4 Millionen Handzettel manuell           erfassung zu nennen, die auch den
in eine digitale Belegdatenbank im         Ausgangspunkt für zumindest halb­         4   Zur ausführlichen Darstellung und Inter­
TUSTEP-Format eingegeben. Die              automatisierte Transkriptionen und            pretation der folgenden Beispielanalyse sei
­alten TUSTEP-Daten wurden mehr­           Annotationen darstellen können.               verwiesen auf: Lenz, Alexandra N./Fleißner,
                                                                                         Fabian/Kim, Agnes/Newerkla, Stefan ­Michael
 fach und zuletzt 2019 am ACDH in          Eine besonders zugängliche und                (eingereicht): GIVE as a German PUT verb –
 XML/TEI konvertiert und damit in          nachhaltige Vernetzung von ­     Daten        A case of German-Czech language contact?

                           ÖAW                                                                                                   10
ALEXANDRA N. LENZ

Abb. 4: Überführung der Daten aus dem WBÖ-Hauptkatalog in eine TUSTEP-Datenbank bzw. in ein XML/TEI-Format.

die im 19. Jahrhundert von August                 Neben­bemerkung aufgestellt und in        Sprachkontakts darstellt. Beispiele
Schleicher (1851, 40f.)5 mehr als
­                                                 der bisherigen Forschung nie weiter­      für eine solche geben-­Variante sind
                                                  verfolgt wurde. Es geht um die These,     etwa Belege wie: „Am Samstag dür­
                                                  dass das Verb geben in der Funktion als   fen die Besucher in der Innenstadt
5   Schleicher, August (1851): Über die wech­
                                                  sogenanntes „Positionierungsverb“         die Kurzparkzone gratis benützen,
    selseitige Einwirkung von Böhmisch und
    Deutsch. In: Archiv für das Studium der       (Verb des Stellens, Setzens, Legens)      müssen aber eine Parkscheibe hinter
    neue­ren Sprachen und Literaturen 9, 38–42.   ein Produkt deutsch-tschechischen         die Windschutzscheibe geben.“ (Die

                                 ÖAW                                                                                          11
ALEXANDRA N. LENZ

Presse, 8. 8. 2005, 9) Evidenzen für        orte vorgenommen haben. In einem             besondere Verbtypen) gehören (siehe
Schleichers These können aus den            ersten Schritt der Datenaufbereitung         Abbildung 5).
bereits angesprochenen Wenkerma­            haben wir knapp 5.700 Wenkerbögen            Mithilfe des REDE-SprachGIS (www.
terialien abgeleitet werden, und zwar       als Volltext erfasst, sprich manuell in      regionalsprache.de) haben wir die
aus dem Wenkersatz 3 („Thu Kohlen           Textdaten überführt sowie struktu­           Ergebnisse der Verbklassifizierun­
in den Ofen […]“), in dem geben in          riert gespeichert. In einem zweiten          gen kartographisch visualisiert. In
der besagten Funktion als Objektsbe­        Schritt wurde das Material mit Meta­         Abbildung 6 sind die Auswertungen
wegungsverb auftritt. Der Fokus liegt       daten angereichert, zu denen insbe­          für das gesamte Wenker-Erhebungs­
im Folgenden auf der Übersetzung            sondere geographische Informatio­            gebiet einzusehen, von der däni­
des Positionierungsverbs tun, wie           nen zum Wenkerort, aber eben auch            schen Grenze im Norden bis hinun­
sie die Lehrpersonen für die Schul­         linguistische Klassifizierungen (ins­        ter nach Südtirol, unter Einschluss

Abb. 5: Volltexterfassung von Wenkersatz 3 (Sample: 5.688 Wenkerbögen) und Metadatenanreicherung.

                           ÖAW                                                                                            12
ALEXANDRA N. LENZ

aller niederdeutschen, mitteldeut­
schen und oberdeutschen Dialekt­
räume. Während Punktsymbole auf
Verbvarianten in deutschsprachigen
Wenkerbögen referieren, repräsen­
tieren Dreiecke die Daten aus fremd­
sprachigen Wenkerbögen, die neben
Polnisch seltener auch Tschechisch,
Sorbisch, Französisch und andere
Sprachen umfassen. Wie die Grafik
recht deutlich offenlegt, dominiert
in den deutschsprachigen Wenker­
bögen eindeutig das Verb tun (graue
Punktsymbole) in den Dialektüber­
setzungen der Lehrpersonen. Für die
oben angesprochene Sprachkontakt­
these sind aber gerade die farbigen
Symbole in der Karte von besonde­
rem Interesse, da sie allesamt für
­alternative Verbvarianten stehen. Für
 die Diskussion in diesem Beitrag sei
 lediglich auf die roten Punkt­symbole
 verwiesen, die allesamt und aus­
 schließlich in den deutschsprachigen
 Gebieten der ehemaligen Tschecho­
 slowakei und vereinzelt in Österreich
 auftreten (siehe Abbildung 6). Ab­
 bildung 7 liefert einen vergrößerten
 Ausschnitt genau dieses Sprachkon­
                                            Abb. 6: Lexikalische Varianten zum Verb tun im Wenkersatz 3 („Thu Kohlen in den Ofen
 taktraums, zu dessen Analyse nun
                                            […]“) auf Basis von 2.316 Wenkerbögen (erstellt im REDE-SprachGIS „www.regional-
 alle dort verfügbaren Wenkerbögen
                                            sprache.de“; modifizierte Karte nach Lenz (et al.) (eingereicht), s. Fn. 4).
 (ca. 3.400) herangezogen wurden.
 Wie ersichtlich ist, bestätigt die „Tie­   [Punkte = deutschsprachige Varianten, Dreiecke = fremdsprachige Varianten; graue
 fenbohrung“ (Abbildung 7) das in           ­Punkte = Belege des Verbs tun; rote Punkte = Belege des Verbs geben].

                             ÖAW                                                                                              13
ALEXANDRA N. LENZ

                                             Abb. 7: Lexikalische Varianten zum Verb tun im Wenkersatz 3 („Thu Kohlen in
                                             den Ofen […]“) auf Basis von 3.372 Wenkerbögen in den deutschsprachigen
                                             ­Regionen der ehemaligen Tschechoslowakei und im Norden Österreichs (erstellt im
                                              REDE-SprachGIS „www.regionalsprache.de“; modifizierte Karte nach Lenz (et al.)
                                              (eingereicht), s. Fn. 4).

der Gesamtkarte (Abbildung 6) be­       sche Absicherung für die bereits im          Dank digitaler Methoden und Werk­
reits angedeutete Bild: Es zeigt sich   19. Jahrhundert aufgestellte Sprach­         zeuge sind wir heute in der Lage,
eine Fülle von geben-Belegen, die       kontaktthese gedeutet werden. Und            quantitative und qualitative Analy­
gerade im tschechisch-deutschen         wir haben die Evidenzen mittels um­          sen auf Basis großer Datenmengen
Sprachkontaktraum auftreten. Die­       fangreicher digital gestützter Analy­        (Sprachkorpora) effizient und kos­
ser Befund kann als erste empiri­       sen gewinnen können.                         tensparend durchzuführen. Dabei

                          ÖAW                                                                                             14
ALEXANDRA N. LENZ

kommen auch Verfahren der Korpus­
linguistik und multivariaten Statistik
zum Einsatz (z. B. Clusteranalysen,
Varianzanalysen, Faktorenanalysen),
die bei der Suche nach Ähnlichkeits­
strukturen (Mustern) und Gesetzmä­
ßigkeiten in den Daten sowie bei der
Gewichtung und Hierarchisierung
von Steuerungsfaktoren helfen.

FORSCHUNGSDATEN
PUBLIZIEREN

Schließlich und letztlich spielen di­
gitale Zugänge zunehmend bei der
Publikation sprachwissenschaftlich
erhobener, aufbereiteter und ana­
lysierter Daten eine Rolle. Um den
Mehrwert digitaler Zugänge bezüg­
lich der Bereitstellung solcher Daten
                                          Abb. 8: Ausschnitt aus dem WBÖ-Artikel Feim (publiziert im „Lexikographischen Infor-
zu verdeutlichen, ziehe ich ein letztes
                                          mationssystem Österreich“ (LIÖ) „https://lioe.dioe.at“).
Beispiel heran: Seit Dezember 2018 ist
das „Lexikographische Informations­
system Österreich“ (LIÖ) online, das
wir im Rahmen des neu aufgestellten       neuen WBÖ, die sukzessive online             sentiert einen Ausschnitt des neuen
WBÖ-Langzeitprojekts        konzipiert    gestellt werden. Zweitens enthält die        WBÖ-Artikels zum Lemma Feim, wo­
haben (https://lioe.dioe.at). Das Ziel    Plattform Kartierungswerkzeuge, die          bei in der „Normalansicht“ zunächst
des Informationssystems LIÖ ist eine      es ermöglichen, Daten und Daten­             nur das Bedeutungsfeld ausgeklappt
Vernetzung und Präsentation von           komplexe kartographisch zu visu­             ist. Alle weiteren Informationen zur
Sprachdaten und Wörterbuchartikeln        alisieren, und drittens bietet das In­       Etymologie, zur Verbreitung, zur
zur Lexik Österreichs. Zu den aktuel­     formationssystem einen erstmaligen           Lautvariation, zur Wortbildung und
len Komponenten des Informations­         Zugang zur vollständigen WBÖ-                zu anderem können je nach Infor­
systems gehören erstens Artikel des       Belegdatenbank. Abbildung 8 prä­             mationsbedarf ebenfalls angezeigt

                           ÖAW                                                                                              15
ALEXANDRA N. LENZ

werden. Die Artikel sind direkt mit     fügbare Datenbanken mit verschiede­       talen Möglichkeiten in den sprach­
der WBÖ-Belegdatenbank verknüpft,       nen Benutzeroberflächen, Such- und        wissenschaftlichen Forschungsalltag
sodass etwa über die Auswahl ­einer     Filterfunktionen ermöglichen Zu­          zu integrieren. Meine Ausführungen
bestimmten Bedeutungsvariante im        gänge zu individuellen Forschungs­        hatten auch zum Ziel, deutlich zu
Artikel die Belege in der Datenbank     fragen. Nicht zuletzt fungieren sie als   machen, welche Brückenfunktion
angezeigt werden, die dieser Bedeu­     Mensch-Maschine-Schnittstellen.           Digitale Sprachwissenschaft zwi­
tung zugrunde liegen. Unabhängig                                                  schen Fachtraditionen „früher“ und
von den Wörterbuchartikeln ist die                                                „heute“ übernehmen kann, indem
Datenbank mittels diverser Such­         ZUSAMMENFASSUNG UND                      nur digitale Zugänge die Sicherung
funktionen durchsuchbar. Eine Be­       ­AUSBLICK                                 und nachhaltige Bereitstellung von
legauswahl ist dann mithilfe des                                                  älteren Forschungsdaten und -ergeb­
LIÖ-Kartierungstools auch geo­          Das Ziel des Beitrags war es, das         nissen gewährleisten. Die jüngeren
graphisch zu visualisieren, wobei       Potenzial, das das Voranschreiten
                                        ­                                         zur Illustration herangezogenen Pro­
verschiedene Grundkarten und Vi­        der Digitalisierung in den Geistes­       jekte stellen nur einen kleinen Aus­
sualisierungsmöglichkeiten zur Ver­     wissenschaften erzeugt, aus sprach­       schnitt der vielfältigen Forschung an
fügung stehen. Die LIÖ-Plattform        wissenschaftlicher Perspektive zu         der Forschungsabteilung „Variation
wird im Laufe des WBÖ-Projekts          verdeutlichen. Dazu wurden Bei­           und Wandel des Deutschen in Öster­
sukzessive ausgebaut.                   spiele herangezogen, die den Mehr­        reich“ dar, deren Projekte allesamt
Wie hier nur skizzenhaft am Bei­        wert digi­ taler Zugänge illustrieren     im Bereich der Digitalen Sprachwis­
spiel des „Lexikographischen Infor­     können, und zwar den Mehrwert             senschaft angesiedelt sind. In dieser
mationssystems Österreich“ (LIÖ)        im Hinblick auf die Generierung           Abteilung, aber natürlich erst recht
illustriert werden konnte, beinhal­     und Erschließung, die Aufbereitung        am gesamten Austrian Centre for
ten digitale Methoden und Werk­         und Anreicherung, die Analyse und         Digital Humanities der ÖAW wird
zeuge vielfältige Möglichkeiten der     schließlich die Publikation sprach­       eine Fülle von Forschungsprojekten
auch dynamischen Datenpräsen­           wissenschaftlich relevanter Daten.        mit digitalen Methoden und Werk­
tation. Dies betrifft sowohl diverse    Sprachwissenschaft      im    21. Jahr­   zeugen durchgeführt bzw. unter­
Möglichkeiten der Visualisierung in     hundert ist eine Disziplin, deren         stützt, vor allem Forschung an den
Form von Diagrammen oder Karten         auch digi­  tale Ausrichtung wohl         verschiedenen ÖAW-Instituten, aber
bzw. generell auch die Visualisierung   nur schwer wegzudenken ist. Viel­         auch darüber hinaus (s. www.oeaw.
raumbezogener Informationen mit­        leicht werden wir schon bald den          ac.at/acdh/).
tels Geographischer In­for­ma­tions­    Zeitpunkt erreichen, ab dem wir
systeme, wie sie natürlich besonders    „digital“ als Attribut insofern nicht
in der Dialektologie und Areallingu­    explizit hinzufügen müssen, als es
istik eingesetzt werden. Online ver­    selbstverständlich sein wird, die digi­

                          ÖAW                                                                                        16
ALEXANDRA N. LENZ

      ALEXANDRA N. LENZ

      Derzeitige Positionen

        – Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Wien
        – Stellvertretende Direktorin des Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH) der
          ÖAW

      Arbeitsschwerpunkte

        –   Variationslinguistik, Soziolinguistik, Dialektologie
        –   Syntaktische Variation, Syntax-Semantik-Schnittstelle, Grammatikalisierung
        –   Lexikologie und Lexikographie, Pluriarealitätsforschung
        –   Kognitive Semantik (Frame-Semantik, Prototypentheorie), lexikalische Semantik
        –   Spracheinstellungsforschung, Perzeptionslinguistik
        –   Sprachgeschichte, Sprachwandelforschung
        –   Digital Humanities, Korpuslinguistik

      Ausbildung

        2005–2008    Juniorprofessorin für Germanistische Sprachwissenschaft mit dem Schwer­
                     punkt „Sprachdynamik“ an der Philipps-Universität Marburg
        2002         Promotion zum Dr. phil. an der Philipps-Universität Marburg
        1991–1997    Studium an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in den Fächern
                     Germanistik, Mathematik und Romanistik

      Werdegang

        Seit 2019    Wirkliches Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW
        Seit 2018    Stellvertretende Direktorin des Austrian Centre for Digital Humanities
                     (ACDH) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
        Seit 2016    Leiterin der Forschungsabteilung „Variation und Wandel des Deutschen in
                     Österreich“ am Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH) der Öster­
                     reichischen Akademie der Wissenschaften
        Seit 2016    Sprecherin des SFB „Deutsch in Österreich. Variation – Kontakt – Perzep­
                     tion“ (FWF F060)
        2008–2010    Associate/Adjunct Professor (Rosalind Franklin Fellow) an der Rijks­uni­
                     versiteit Groningen (Niederlande)
        Weitere Informationen zur Autorin sowie zur Liste der Veröffentlichungen finden Sie
        unter: https://www.univie.ac.at/germanistik/alexandra-n-lenz

ÖAW                                                                                         17
ALEXANDRA N. LENZ

ÖAW                       18
IVONA BRANDIĆ

HERAUSFORDERUNGEN
DER INFORMATIK IM
ZEITALTER DER DIGITALEN
TRANSFORMATION*
IVONA BRANDIĆ

Ich bedanke mich bei der Akademie                    einschätzung, acht Kameras, Radar,          und kann Daten produzieren. Und
sehr für diese Einladung. In mei­                    vier Stufen der Autonomie. Um ar­           alle diese Wendepunkte haben eines
nem heutigen Vortrag werde ich                       beiten zu können, sind 22 „Laptops“         gemeinsam: einen extremen Anstieg
über die Herausforderungen der                       eingebaut, also 22 „MacBook Pro“.           in der Anzahl an Geräten und auch
Informatik im Zeitalter der digitalen                Was ich damit sagen will, ist, dass         im Energieverbrauch. Das ist derzeit
Transformation berichten.                            wir in der Geschichte der Informa­          wirklich ein Problem, da alle diese
Ich möchte mit einem Beispiel anfan­                 tionsverarbeitung schon mehrere             Geräte konstant Strom brauchen und
gen. Das, was wir hier sehen, ist ein                Wendepunkte hatten, beginnend in            konstant Daten produzieren, die ge­
Elektroauto. Dieses Elektroauto ge­                  den 1950er-Jahren, in denen die ers­        speichert und verarbeitet werden
neriert sechs Gigabyte Daten in einer                ten Mainframe-Computer entwickelt           müssen. Und nicht nur die Geräte
Stunde. Mein gesamtes Fotoalbum                      wurden. Dann kamen Desktop-Com­             brauchen Strom: Sie müssen nämlich
hat ungefähr so viel. Dieses Auto                    puter, Laptops, Smartphones, und            auch sinnvoll organisiert werden.
ist ausgestattet mit automatischem                   jetzt befinden wir uns mitten in der        Das bedeutet, wir brauchen Software
Bremssystem, automatischer Risiko­                   digitalen Transformation, wo jedes          oder Programme, heute sagt man
                                                     Ding um uns herum eigentlich zum            modern „Algorithmen“, um diese
                                                     Computer wird. Also, jede Glüh­             Geräte optimal zu betreiben.
*   Stilistisch leicht überarbeitete Transkription
    eines am 18. Jänner 2019 für die Gesamtsit­      birne, jeder Einkaufswagen, jede            In der Informatik hat bereits ein
    zung der ÖAW frei gehaltenen Vortrags.           Jacke ist eigentlich ein Computer
                                                     ­                                          ­Paradigmenwechsel stattgefunden.

                                   ÖAW                                                                                             19
IVONA BRANDIĆ

Man hat jahrzehntelang auf die Per­       oder auch nicht, da gibt es alternative       Daraus folgt: Wenn ich einmal ­einen
formanz hingearbeitet. Performanz         Verläufe.                                     Algorithmus erlernt habe, wird er
war das Wichtigste. Mittlerweile geht     Was sich mit Blick auf die letzten            manchmal obsolet, weil sich die
es mehr um Effizienz. Performanz ja.      50 Jahren jedoch erkennen lässt, ist,         Datenverteilung verändert hat. Die
Aber bitte effizient.                     dass diese Algorithmen nicht i­mmer           Entscheidungen, die ich damit ­treffe,
Was ist ein Algorithmus? Jedes Re­        klar sind. Wir müssen sie erst er­            sind nicht gültig. Und das macht
zept, zum Beispiel ein Kochrezept,        lernen. Es sind vielleicht einzelne           es unheimlich kompliziert, solche
ist ein Algorithmus. Da sind genau        Fragmente klar, aber wir müssen               Algorithmen zu betreiben, weil sie
Schritte vorgegeben, welche Zutaten       lernen, und zwar aus vorhandenen              sehr ressourcenintensiv sind. Es gibt
man in welcher Menge vermischen           Daten, wie diese Fragmente verbun­            Applikationen, auf die vielleicht
muss, wie lange man backen muss           den werden sollen. Dafür benutzt              nur zwei oder drei dieser Charakte­
– die einfachste Form eines Algo­         man Metaalgorithmen, sogenanntes              ristiken zutreffen. Es gibt Applika­
rithmus. Das heißt, Algorithmen,          „­Machine Learning“. Es gibt sehr             tionen, bei denen drei Charakteris­
sogenannte „Programme“, gibt es           viele Anwendungen, bei denen nicht            tiken zusammentreffen. Dann wird
überall.                                  von Anfang an klar ist, wie etwas             es rechenintensiv. Und wenn vier
Mit einem Algorithmus kann man            gemacht wird. Zum Beispiel muss               zusammentreffen, dann wird es sehr
aber auch eine Rakete auf den Mond        ein intelligentes Verkehrssystem ler­         rechenintensiv.
schicken. Das hat man schon vor           nen, wie mit Unfällen umzugehen               Was das für die Informatik mit sich
50 Jahren getan. Das, was man hier        ist. Was sind da die alternativen Ver­        bringt, habe ich in ein paar Zahlen
sieht, ist ein Ausdruck von ­Margaret     läufe? Das weiß man nicht im Vor­             zusammengefasst. Es wird erwartet,
Hamilton. Sie hat den „Apollo Flight      hinein. Oder „Smart Grid ­Transactive         dass in ca. fünf Jahren Rechenzentren
Code“ programmiert. In den letzten        ­Energy Control“, wo on demand zeit­          auf der ganzen Welt ca. ein Fünftel
50 Jahren hat sich sehr viel in der        nah geschaut wird, dass in das Netz          des Energiebedarfs ausmachen wer­
Informatik getan. Da sind eigene           genug eingespeist wird und auch              den. Es gibt also einen massiven An­
Forschungsrichtungen        entwickelt     genug verbraucht wird. All diese             stieg. Und in der Informatik ­haben
worden, die sich damit beschäftigen,       Applikationen haben Charakteristi­
                                           ­                                            wir schon gelernt, Methoden und
solche Algorithmen zu optimieren           ken, die fast überall vorkommen. Sie         Tools zu entwickeln, wie man mit
oder zu verifizieren oder Zugriff auf      sind zeitkritisch, datenintensiv und         diesem steigenden Energiebedarf
Daten zu ermöglichen. Die Algorith­        in vielen Fällen verteilt, das heißt,        umgehen kann.
men haben generell eine gemein­            man kann sie nicht auf einem Com­            Ein Beispiel: Hier habe ich eine vir­
same Struktur. Das ist ein Beispiel für    puter verarbeiten, sondern auf geo­          tuelle Maschine kreiert. Eine v
                                                                                                                      ­ irtuelle
­einen Algorithmus, das sind Schritte,     graphisch verteilten Computern, und          Maschine ist ein simulierter Compu­
 die gemacht werden müssen, da gibt        sie haben eine nicht stationäre Daten­       ter auf einem anderen Computer.
 es Bedingungen, die erfüllt werden        verteilung.                                  Das war eine kleine Revolution in

                           ÖAW                                                                                               20
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der Informatik, weil man Daten und      Wien, Hannes Kaufmann, zur Ver­                Ein weiteres Beispiel. Ich weiß nicht,
Programme von den physischen            fügung gestellt. Er und sein Team              wer von Ihnen Streaming-Services
Entitäten entkoppelt hat, sie sind
­                                       beschäftigen sich mit Virtual R­ eality,       oder Netflix benutzt. Hier sehen Sie
nicht mehr an Hardware gebunden.        mit der virtuelle Welten abgebil­              eine Karte der Verteilung von Net­
Ich kann dann mehrere virtuelle         det werden können. Dabei handelt               flix-Servern. Auffällig ist, dass sich
­Maschinen starten, und das, was man    es sich um einen Multi-User-Mode.              die meisten Server in urbanen Ge­
 im kleinen Rahmen machen kann,         Das bedeutet, es gibt beispielsweise           genden befinden, in Ballungsräumen,
 auf einem Laptop, kann man auch im     fünf Benutzer, die sich auf fünf ver­          weil man Menschen diese Services
 großen Rahmen machen. Das nennt        schiedenen Kontinenten befinden.               mit hoher Qualität zur Verfügung
 man Cloud-Computing. Das benutzt       Sie glauben aber, sie seien im selben          stellen möchte. Diese Streaming-Ser­
 heute fast jede und jeder, unbewusst   Raum. Es können aber auch fünf Be­             vices sind natürlich auch sehr zeitkri­
 meistens, wenn man Fotos irgendwo      nutzer sein, die im gleichen Raum              tisch.
 uploadet.                              sind, aber glauben, sie seien auf fünf         All diese zeitkritischen Applika­  tio­
 Um es kurz zu erklären: In einer       verschiedenen Kontinenten. Damit               nen haben bewirkt, dass sich die Art
 Cloud hat man einen Layer von          kann man viele Dinge machen. Die               und Weise, wie Rechenzentren ge­
 physikalischen Maschinen, und auf      Feuerwehr kann etwa kritische Ein­             baut werden, massiv verändert hat.
 diesem Layer von physikalischen        sätze üben, oder Ärzte Operationen             Das ist ein Rechenzentrum der TU
 Maschinen baut man sogenannte          simulieren für Ärzte.                          Wien. Klassisch. Das ist eine Rechen­
 „virtuelle Maschinen“. Der Vorteil     Mir geht es aber gar nicht so sehr um          datenfarm in Buffalo, New York. Sie
 ist jetzt, dass man diese virtuellen   den Film. Was ich zeigen will, ist: Alle       sieht auch sehr schön aus, auf der
 Maschinen über geographisch ver­
 ­                                      diese Benutzer tragen den Laptop               grünen Wiese. Man kann sie auch
 teilte Rechenzentren verschieben       auf dem Rücken. Der Grund ist, dass            sehr gut mit Strom versorgen. Das,
 kann. Ich schiebe Daten dorthin, wo    diese Sensoren, die auf ihrem Körper           was man hier sieht, ist auch ein Re­
 ich grünen Strom habe, wo ich gute     angebracht sind, Daten generieren.             chenzentrum, gebaut von Microsoft,
 Bedingungen habe, um Daten zu ver­     Diese Daten müssen sehr schnell ver­           ein Unterwasserrechenzentrum. Dort
 arbeiten.                              arbeitet werden, damit die Bilder auf          bekommt man die Kühlung gratis,
 Das ist mittlerweile State-of-the-     diesen Brillen generiert werden kön­           wenn man das unter Wasser taucht,
 Art-Technologie, die verwendet wird,   nen. Wenn das nicht schnell genug              und man bekommt zusätzlich ­kurze
 um grüne und ökonomische Rechen­       passiert, wird den Anwenderinnen               Latenzzeiten, weil die Hälfte der
 zentren zu bauen. Ich möchte           und Anwendern schlecht. In der In­             Weltbevölkerung in Küstenregionen
 aber jetzt ein Beispiel zeigen, wo     formatik haben wir es also zuneh­              lebt. Das ist ein „Micro Data Cen­
 Cloud-Computing mir sehr wenig         mend mit Applikationen zu tun, die             ter“, das kann man überall installie­
 helfen kann. Dieser Film wurde mir     sehr zeitkritisch sind. Ich habe keine         ren. Das ist ein Raspberry Pi, auch
 von meinem Kollegen an der TU          Zeit, Cloud-Computing zu benutzen.             eine Art „First Hop Data Center“,

                          ÖAW                                                                                               21
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das Daten verarbeiten kann. Viele        sisch, dass die Daten in situ – bei der       Hier ein Beispiel aus unserem
Firmen machen mittlerweile „High         Enddestination – verarbeitet werden.          FWF-START-Projekt. Wenn man eine
Latitude Data Centers“. Das heißt,       Mittlerweile haben wir nicht die Zeit         „Hyper-Distributed Infrastructure“
sie bauen Rechenzentren jenseits des     dafür. Die Daten werden somit „in             hat und eine Applikation, die auf
60. Breitengrades, weil dort Kühlung     transit“ – auf dem Weg dorthin – ver­         100 Computer verteilt ist, welche
gar nicht benötigt wird, da es einfach   arbeitet, teilweise durch Router und          geographisch auch noch verteilt sind,
immer kalt ist. Für Sie ist das eine     Switches. Diese sind jedoch nicht leis­       sind Fehler keine Ausnahme. Fehler
Drohne, für mich ein fliegendes Re­      tungsfähig. Das heißt, es werden so­          passieren regulär, jeden Tag, immer.
chenzentrum, weil das Gerät auch         genannte Edge-Computing-Zentren               Und die Fehler hängen von­einander
eine Festplatte hat und Daten verar­     installiert, Unterwasser-Rechenzent­          ab. Wenn beispielsweise der Strom
beiten kann. In der Informatik haben     ren, Raspberry Pis und Ähnliches.             ausfällt, fällt die gesamte Infra­
wir auch gelernt, mit den Abfallpro­     Ich rede hier von vielen verschie­            struktur aus. Wenn Accesspoints
dukten von Rechenzentren umzu­           denen Applikationen, da gehören               ausfallen, dann kann ich zwar ­immer
gehen. Hier zum Beispiel sieht man       „Digital Humanities“ definitiv auch           noch die Daten verarbeiten, aber ich
ein „Liquid Cooling Data Center“. Es     dazu. Wir reden hier von selbst fah­          kann sie nicht verschicken. Wir ver­
wird nicht mit Ventilatoren bei den      renden Autos, Virtual Reality, Per­           suchen, diese Abhängigkeiten zu
CPUs gekühlt, sondern mit Flüssig­       sonalized Medicine, Robotern. Ich             extrahieren. Über die Zeitachse. Wir
keit, meistens Öl. Abwärme in Form       selbst beschäftige mich insbesondere          benutzen hier „Dynamic Bayesian
von Flüssigkeit wird dafür genutzt,      mit diesem Bereich hier, um heraus­           Networks“. Wir haben zum Beispiel
um umgebende Gebäude zu behei­           zufinden, wie solche Applikationen            Daten aus dem Los Alamos National
zen. In Garching etwa ist der gesam­     installiert werden müssen, damit              Lab analysiert, mit 300 verschiede­
te Komplex so beheizt. Was daraus        die Userinnen und User bekommen,              nen Fehlerarten, die in den letzten
jetzt entsteht, ist eine komplett neue   was sie brauchen. Kurze Latenzzei­            20 Jahren gesammelt worden sind,
Infrastruktur, wo wir ganz oben mas­     ten meistens. Der Ressourcenver­              oder auch die Skype-Supernodes, für
sive Rechenzentren haben und unten       brauch soll trotzdem nicht komplett           all die Skype-Verbindungen. Dann
viele Applikationen, die entweder        explodieren. In der Informatik gibt           kann man Interferenz herstellen, in
zeitkritisch sind oder sehr viele Da­    es grundsätzlich zwei Ansätze. Ent­           beiden Richtungen. Ich kann heraus­
ten produzieren, für die gar nicht die   weder man kann etwas sehr genau               finden, wie wahrscheinlich ein Fehler
Zeit und die Bandbreite vorhanden        nachbilden, sehr exakt – dann be­             ist. Ich kann aber auch herausfinden,
sind, um sie zur Verarbeitung in mas­    nutzt man Mathematik. In diesem               was die Ursache für einen Fehler ist.
sive Rechenzentren zu schicken.          Fall arbeitet man mit Statistiken. Hier       Das Ziel ist es, die Applikationen so
Es entstehen also mittlerweile neue      hat man nur Annäherungsverfahren.             zu installieren, damit sie möglichst
Paradigmen, wie Daten verarbeitet        Um nur kurz zu beschreiben, was wir           gut funktionieren, auch wenn Fehler
werden. In der Informatik ist es klas­   machen.                                       passieren.

                          ÖAW                                                                                            22
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Die nächste Frage, mit der wir uns       mit konkurrierenden Prioritäten ar­
im START-Projekt beschäftigen, ist,      beiten: Qualität, Latenz, aber auch
wie man bestehende Telekommunika­        Providern und Profit. Die Firmen
tions­infrastruktur mit diesen kleinen   möchten auch Profit machen. Es wird
Edge-Data-Centern verbinden kann.        wahrscheinlich zur Integration von
Wir haben eine Methode entwickelt,       verschiedenen Technologien kom­
die auf Monte-Carlo-Simulationen         men, Netzwerken, Clouds, 5G, 6G.
basiert, um eine Kapazitätsplanung       Was auch immer entwickelt wird. Das
zu ermöglichen, um zu schauen, wie       Gute ist: Wir haben mittlerweile ­viele
viele solche kleine Edge-Data-Center     Daten, und aus diesen Daten kann
es überhaupt braucht. Wir haben das      man lernen, mit diesen Daten kann
zum Beispiel für Regionen in Leo­        man verschiedene Szenarien testen.
poldstadt und in Hernals gemacht,        Vor zehn, 20 Jahren hätten wir diese
und es wurde auch ein Vergleich          Daten nicht gehabt. Heute ­haben wir
mit dem Userverhalten angestellt.        sie. Das ist ein riesiger Vorteil.
Mit solchen Simulationen kann man        Ich bedanke mich abschließend bei
tatsächlich verschiedene Szenarien       meinem Team. Alles, was ich ­heute
testen. Ich kann untersuchen, was        präsentiert habe, ist das Ergebnis
passiert, wenn in Österreich plötzlich   der Arbeit meines Teams. Und mein
die Fußball-EM stattfindet, alle im      Dank gilt auch allen Funding-Agen­
Ernst-Happel-Stadion sind und ver­       cys, die meine Forschung finanzie­
schiedene Fotos und Videos machen.       ren. Ich hoffe, ich habe einen Einblick
Was muss man machen, damit da            geben können in die Probleme, die
nicht alles zusammenbricht? Mit sol­     wir in der Informatik haben, und
chen Simulationen kann man dann          auch einen Link für die Anwendun­
also verschiedene Szenarien prüfen.      gen in den „Digital Humanities“.
Ich möchte jetzt zum Schluss kom­
men. Was man aus diesem Vortrag
mitnehmen soll: Bald werden wir
Milliarden von Geräten haben, die
wir betreiben müssen. Hybride For­
men von Datenverarbeitung, wie
zum Beispiel Edge-Computing, kön­
nen eine Lösung bieten. Wir müssen

                          ÖAW                                                                      23
IVONA BRANDIĆ

      IVONA BRANDIĆ

      Derzeitige Position

        – Professorin für Hochleistungsrechnersysteme am Institut für Informationssystem­
          technik der Technischen Universität Wien

      Arbeitsschwerpunkte

        – Energie Effizienz in verteilten Systemen
        – Virtualisierte HPC Systeme
        – Cloud Computing

      Ausbildung

        2013        Venia Docendi für praktische Informatik an der Technischen Universität
                    Wien
        2007        Promotion zum Dr. rer soc. oec. an der Technischen Universität Wien
        1998–2003   Studium der Wirtschaftsinformatik an der Universität Wien sowie an der
                    Technischen Universität Wien

      Werdegang

        Seit 2016   Professorin für Hochleistungsrechnersysteme am Institut für Informations­
                    systemtechnik der Technischen Universität Wien
        Seit 2016   Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW
        2015        FWF START-Preis

        Weitere Informationen zur Autorin finden Sie unter:
        https://translate.google.com/translate?hl=de&sl=en&u=
        http://www.ec.tuwien.ac.at/~ivona/&prev=search

ÖAW                                                                                       24
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IMPRESSUM
Herausgeber:
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien
www.oeaw.ac.at

COVERBILD
© Ludwig Maximilian Breuer

REDAKTION
Ingrid Weichselbaum

Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2019
Die inhaltliche Verantwortung und das Copyright für die
jeweiligen Beiträge liegen bei den einzelnen Autorinnen.

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W W W.O E AW. A C . AT
ISBN 978-3-7001-8577-2   ÖAW                            28
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