Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge
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DDr. Katharina Müller, TEP Univ.- Professor Dr. Ewald Aschauer ist Partnerin der Kanzlei Müller Partner Rechtsanwälte GmbH. Ein ist Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung für Un- Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Bereich Privatstiftungsrecht, ternehmensrechnung und Revision. Er ist Autor zahlreicher Publika- Erbrecht und Vermögensweitergabe. tionen und eingetragener Sachverständiger im Bereich Rechnungs- wesen, Corporate Governance und Unternehmensbewertung. Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge Die liquiditätsschonende Deckung der Pflichtteilsansprüche ist eine zentrale Aufgabe bei der Gestaltung von Unternehmensnachfolgeprozessen und ein wesentlicher Erfolgsfaktor für deren Gelingen. Seit der Erbrechtsreform 2016 (ErbRÄG 2015) besteht hier größerer Gestaltungsspielraum. Dabei treten Bewer- tungsfragen immer mehr in den Mittelpunkt. Bei der Ausgestaltung konkreter Regelungen bedarf es daher eines sorgfältigen Zusammenwirkens von Juristen und Bewertungsexperten. 1. Einleitung Rechten jeglicher Art, auch an Unternehmen oder in Privatstiftungen zu erfüllen. Die Möglichkeiten rei- Der Pflichtteil ist nach § 756 ABGB ein Anteil am chen von Unterbeteiligungen, Fruchtgenussrechten, Wert des Vermögens des Verstorbenen und gemäß Genussrechten bis zu (vor allem bei einer GmbH) beim § 761 ABGB grundsätzlich in Geld zu leisten. § 761 Stimmrecht abgestuften Anteilsformen.1 ABGB normiert, dass der Pflichtteil durch eine Zu- § 762 ABGB (wonach eine Bedingung oder Be- wendung des Verstorbenen auf den Todesfall sowie lastung nicht pflichtteilsschädlich ist) iVm §§ 780 f durch Schenkungen unter Lebenden geleistet wer- ABGB eröffnet auch neue Möglichkeiten zur Abde- den kann. Nur wenn der Wert der Zuwendungen den ckung von Pflichtteilsansprüchen unter Verwendung Pflichtteilsanspruch nicht deckt, ist die Differenz in einer Privatstiftung. Klargestellt ist nämlich nun, dass Geld zu leisten. § 787 ABGB stellt weiters klar, dass die Einräumung einer Begünstigtenstellung in einer der Pflichtteil auch zur Gänze durch eine Schenkung Privatstiftung, der der Verstorbene Vermögen gewid- unter Lebenden erfüllt werden kann. met hat, zur Pflichtteilsdeckung geeignet ist.2 Dasselbe Gemäß § 762 ABGB hindert eine der Schenkung muss für die Einräumung einer Letztbegünstigtenstel- oder Zuwendung anhaftende Belastung die Pflicht- lung gelten.3 Auch die Einräumung einer Stifterstel- teilsdeckung nicht, ein dadurch verminderter Nutzen lung kann als Zuwendung im Sinne der § 780 f ABGB fließt ausschließlich in die Bewertung ein. gewertet werden.4 Was bedeutet das für die Praxis? Grundsätzlich er- Auch Gestaltungen mit Nacherbschaften, etwa zur gibt sich daraus, dass der Pflichtteil nicht nur durch Überbrückung der Minderjährigkeit der möglichen Zahlung eines Geldbetrages oder Überlassung eines Unternehmensnachfolger, ist möglich und hindert die liquiden (oder liquidierbaren) Vermögenswertes ge- Eignung einer Zuwendung zur Pflichtteilsdeckung bei deckt werden kann, sondern auch durch Übertra- sorgfältiger Gestaltung nicht. gung vermögenswerter Rechte. Daher ist es möglich, Die Verwertbarkeit der eingeräumten vermögens- die Pflichtteilsansprüche durch die Einräumung von rechtlichen/gesellschaftsrechtlichen Stellung hat aber 1 Siehe etwa Schauer, Pflichtteilsrecht, einschließlich der Ge- 3 Vgl. Arnold, Privatstiftung und Pflichtteilsrecht, Änderungen staltung der Pflichtteilsdeckung, in Deixler-Hübner/Schauer durch das ErbRÄG 2015 und die EU-ErbVO, GesRZ 2015, (Hrsg), Erbrecht NEU (2015) 64 346 (351); Müller/Melzer, Pflichtteilsrecht und Letztbegüns- 2 Siehe auch die Materialien zu § 761 Abs 1 ABGB, wonach die tigtenstellung, JEV 2017, 7. Deckung des Pflichtteils auch durch die zu Lebzeiten des Ver- 4 Klampfl, Die Einräumung einer Stifterstellung als Schenkung storbenen erfolgte Einräumung einer Begünstigtenstellung in unter Lebenden im Pflichtteilsrecht, GesRZ 2018, 69. einer Privatstiftung abgegolten werden kann; ErlRV 688 Blg- 5 Vgl Nowotny, Der Unternehmer und sein Tod, RdW 2017/15. NR 25. GP 33. 4 JEV 1-2021
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge Einfluss auf die Bewertung der Zuwendung und die Fra- Bewertungszeitpunkt. Nur wenn der ermittelte Wert ge, ob der Pflichtteilsanspruch (zur Gänze) gedeckt ist.5 in Folge der Berücksichtigung von Bedingungen und Bewertungsfragen haben daher bei der Gestaltung Belastungen kleiner ist als der Pflichtteilsanspruch von Konzepten, die eine liquiditätsschonende De- (§ 759 ABGB), kann der Pflichtteilsberechtigte die ckung der Pflichtteile, etwa zur Sicherung des Unter- Pflichtteilsergänzung in Geld fordern (§ 763 ABGB).7 nehmenserhalts anstreben, zentrale Bedeutung. Dieser § 780 Abs 1 ABGB regelt weiters explizit, dass sich Aspekt steht im Mittelpunkt der nachstehenden Aus- der Pflichtteilsberechtigte alles, was er als Erbteil oder führungen. Vermächtnis erhält, auf den Pflichtteil anrechnen las- sen muss. Dies gilt explizit auch für jene Zuwendun- 2. Rechtliche Grundlagen gen, die der Pflichtteilsberechtigte als Begünstigter einer vom Verstorbenen errichteten Privatstiftung oder 2.1 Pflichtteilsrechtliche Grundlagen vergleichbaren Vermögensmasse erhält. Der Pflichtteil kann zudem nicht nur durch eine § 762 ABGB ist die zentrale Norm für die Gestaltung Zuwendung auf den Todesfall iSd § 780 ABGB, son- der Pflichtteilsdeckung durch die Einräumung von dern auch durch eine Schenkung unter Lebenden iSd vermögenswerten Rechten: § 781 ABGB abgedeckt werden. Haften einer Zuwendung oder Schenkung im Sinn der § 762 ABGB steht in einem Spannungsverhältnis §§ 780 und 781 Bedingungen oder Belastungen an, die zur Stundungsregelung des § 766 Abs 1 ABGB.8 Ei- der Verwertung des zugewendeten Vermögens entgegenste- nerseits ordnet § 762 ABGB an, dass eine Zuwendung, hen, so hindert dies nicht deren Eignung zur Pflichtteils der Bedingungen oder Belastungen anhaften, geeignet deckung; ein dadurch fehlender oder verminderter Nutzen ist, den Pflichtteil zu decken. Andererseits sieht § 766 ist aber bei der Bewertung der Zuwendung oder Schenkung Abs 1 ABGB vor, dass der letztwillig Verfügende den zu berücksichtigen. Pflichtteil auf höchstens fünf Jahre stunden kann und Nach § 762 ABGB sind grundsätzlich auch be- er auch die Deckung des Pflichtteils durch eine Zu- lastete oder unter einer Bedingung stehende Zuwen- wendung nur höchstens auf diesen Zeitraum erstre- dungen (§§ 780, 781 ABGB) zur Pflichtteilsdeckung cken kann.9 Man könnte zu dem Schluss kommen, geeignet. Solche Belastungen sind bei der Ermittlung dass die 5-Jahres Grenze auch im Rahmen des § 762 des Wertes der Zuwendung zu berücksichtigen (§ 762 ABGB beachtlich ist.10 ABGB). Die Materialien sagen dazu explizit: „Haften In der Literatur divergieren die Meinungen zum einer Zuwendung auf den Todesfall oder Schenkung Bedin- Verhältnis der beiden Normen. Nach Barth und Pe- gungen oder Belastungen an, die der Verwertung des zuge- sendorfer ist die Zuwendung nach § 762 ABGB im wendeten Vermögens entgegenstehen, so hindert dies nicht Zeitpunkt des Todes des Verstorbenen zu bewerten. deren Eignung zur Pflichtteilsdeckung. Bedingungen und Ergebe sich danach, dass der Pflichtteil nach Ablauf Belastungen, also Auflagen, Befristungen, Vermächtnisse, von fünf Jahren nicht zur Gänze erfüllt ist, so stehe ein Belastungs- und Veräußerungsverbote und Anordnungen Ergänzungsanspruch zu, den der Pflichtteilsberechtig- der Testamentsvollstreckung oder einer Nacherbschaft, kön- te aber erst am Ende dieses Zeitraums verlangen kön- nen vom Pflichtteilsberechtigten daher nicht angefochten ne. Gegen diesen Aufschub des Ergänzungsanspruchs werden. Ein dadurch fehlender oder verminderter Nutzen könne sich der Pflichtteilsberechtigte im Wege der für den Belasteten ist aber bei der Bewertung der Zuwen- Billigkeitskontrolle nach § 766 ABGB wehren.11 Um- dung nach § 780 Abs. 2 zu berücksichtigen.“ 6 lauft vertritt eine ähnliche Ansicht, die dem Pflicht- Der Pflichtteilsberechtigte kann solche Belastun- teilsberechtigten ein Wahlrecht zugesteht, wonach er gen demnach weder anfechten, noch darf er die Zu- am Ende des Fünfjahreszeitraums entweder die sofor- wendung im Verlassenschaftsverfahren vorbehaltlich tige Leistung des gesamten noch offenen Pflichtteils seines Geldpflichtteils ausschlagen (§ 808 Abs 2). in Geld verlangen oder sich für die ursprüngliche Zu- Ausschlaggebend ist nicht die sofortige Verfügbarkeit wendungsart entscheiden könne (zB Fortsetzung des (Liquidität) der Zuwendung, sondern ihr Wert zum Fruchtgenussrechtes statt Pflichtteilsergänzung).12 6 ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 2, 32. 10 Vgl Binder/Giller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und 7 Vgl Nemeth in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskom- Vermögensnachfolge2 (2017) § 9 Pflichtteilsrecht (2017) 274 mentar Band 45 (2018) § 762 ABGB Rz 2. Rz 122; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 8 Vgl Giller, Die Gestaltbarkeit der Pflichtteilsdeckung nach dem § 766 Rz 4 (Stand 1.10.2018, rdb.at). ErbRÄG 2015-eine erste Annäherung, JEV 2016, 58. 11 Barth in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erb 9 Vgl Tschugguel, Pflichtteilsdeckung neu - Zur Auflösung eines rechts (2016) 181. (scheinbaren) Normenwiderspruchs, Zugleich eine Bespre- 12 Umlauft, Erbrechtsreform 2015: Antinomie zwischen den Re- chung der E 2 Ob 167/16x, EF-Z 2017, 111. gelungen der Pflichtteilsdeckung und der Pflichtteilsstundung in FS Eccher (2017) 1196 ff. JEV 1-2021 5
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge Nach Binder/Giller kommt § 762 ABGB gegenüber dass die Auswahl des Pflichtteilsberechtigten als Be- § 766 ABGB der Vorrang zu. § 766 ABGB sei auf günstigten vom Erblasser getroffen wird. Die Auswahl die Stundung des Geldpflichtteilsanspruchs (und das des Begünstigten ist nach einhelliger Ansicht dann gleichzuhaltende Ratenvermächtnis) zu reduzieren. Im dem Erblasser zuzuordnen, wenn er den Begünstigten, Ergebnis spricht die teleologische Auslegung dafür, in der Stiftungserklärung oder der Stiftungszusatz- § 762 ABGB gegenüber § 766 ABGB den Vorrang zu urkunde selbst bestimmt oder wenn er auf die Auswahl geben, sodass eine sukzessive Pflichtteilsdeckung, über des Begünstigten oder auf die Zuwendung an diesen fünf Jahre hinaus, zulässig ist.13 sonst Einfluss hat. Dies etwa durch ein Vorschlags- § 766 ABGB behält jedoch in jenen Fällen Bedeu- recht gegenüber dem entscheidungsbefugten Organ tung, in welchen der Erblasser den Pflichtteilsberech- oder durch die Möglichkeit der Ernennung bzw Abbe- tigten auf den gesetzlichen Geldpflichtteilsanspruch rufung der entscheidungsbefugten Organwalter.17 verweist und letztwillig die Fälligkeit hinausschiebt, Gemäß § 5 PSG ist derjenige Begünstigter, der in dies ist für höchstens fünf Jahre möglich.14 Ein restli- der Stiftungserklärung als solcher bezeichnet ist. Je cher Anwendungsbereich verbleibt § 766 Abs 1 Satz 2 nach Ausgestaltung der zukommenden Rechte, lassen ABGB zudem, wenn man dieser Bestimmung Zuwen- sich die Begünstigten in unterschiedliche Gruppen dungen unterstellt, denen im Stundungszeitraum kein einteilen. So haben sich in der Praxis folgende Typen Wert zugeordnet werden kann oder deren Wert etwa von Begünstigten etabliert: „Begünstigte mit klag wegen besonderer Unsicherheit der Zuwendung mit barem Anspruch“, „aktuell Begünstigte“ „potentiell Null anzusetzen ist, sodass gesagt werden könnte, dass Begünstigte“.18 dem Pflichtteilsberechtigten eine (werthaltige) Zu- Bei potentiell Begünstigten hängt die tatsächliche wendung erst zu einem späteren Zeitpunkt zukommt.15 Begünstigung vom Eintritt weiterer Umstände (Vor- versterben des aktuell Begünstigten) ab.19 Wobei 2.2 Privatstiftung und Pflichtteilsrecht wiederum zu unterscheiden ist, ob der potentiell Be- günstigte mit Eintritt des Umstandes einen klagbaren Folgt man der Auffassung, dass § 762 ABGB Vorrang Anspruch auf die Zuwendung erhält, oder ob die Zu- gegenüber § 766 ABGB genießt, kann der Pflichtteil wendung von einer Ermessensentscheidung des Stif- dauerhaft durch Einräumung einer Rechtsposition ge- tungsvorstandes abhängt. deckt werden, selbst wenn daraus anfangs nur geringe Aktuell Begünstigten ist zwar die Begünstigtens- oder keine Zuwendungen entspringen, sodass auch die tellung durch die Stiftungserklärung zuerkannt, sie Einräumung einer Begünstigten-, Letztbegünstigten verfügen aber über keinen klagbaren Anspruch auf oder Stifterstellung in einer Privatstiftung zur Pflicht- Begünstigung, außer die Klagbarkeit ergibt sich aus teilsdeckung geeignet ist.16 Dem entsprechend ordnet den Regelungen der Stiftungserklärung.20 Ein allfäl- nun auch § 780 Abs 1 ABGB an, dass sich der Pflicht- liger Ermessensspielraum des Stiftungsvorstands bei teilsberechtigte alles anrechnen lassen muss, was er als Beschlussfassung über Zuwendungen ergibt sich aus Begünstigter von einer Privatstiftung oder einer ver- den konkreten Regelungen der Stiftungserklärung zu gleichbaren Vermögensmasse erhält. Für Schenkun- den Zuwendungen (so kann etwa Höhe und Fälligkeit gen zu Lebzeiten ist auf § 781 Abs 2 Zi 5 ABGB zu konkret geregelt sein oder auch der Anlassfall für eine verweisen, wo ausdrücklich auch auf die Einräumung Zuwendung). einer Begünstigtenstellung in einer Privatstiftung Be- Ob grundsätzlich ein klagbarer Anspruch auf Zu- zug genommen wird. wendung zur Tauglichkeit der Begünstigtenstellung Maßgeblich für die Tauglichkeit einer Rechtsposi- als pflichtteilsdeckend notwendig ist, ist seit dem tion in der Privatstiftung zur Pflichtteilsdeckung ist, ErbRÄG 2015 fraglich, da § 781 Abs 2 Z 4 ABGB 13 Vgl Binder/Giller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Handbuch: Rz 130; Arnold, GesRZ 2015, 351; Müller/Melzer, JEV 2017, 7; Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 9 Pflichtteilsrecht 274 Klampfl, GesRZ 2018, 69. Rz 125; Schauer, Das neue Erbrecht – Grundlegende Wertun- 17 Vgl Binder/Giller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Handbuch: gen und ausgewählte Einzelfragen, ÖJZ 2017 (53), 55; Tschug- Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 9 Pflichtteilsrecht 282 guel, EF-Z 2017, 111; Verweijen, Fruchtgenussrechte als Mittel Rz 133. der Pflichtteilsdeckung, JEV 2020, 145 (149) 18 Vgl Kalss, Grenzen der Einflussnahme von Begünstigten in der 14 Vgl Giller, Die Gestaltbarkeit der Pflichtteilsdeckung nach dem Privatstiftung, JEV 2008, 48 (49). ErbRÄG 2015 – eine erste Annäherung, JEV 2016, 85. 19 Vgl Kalss/Zollner, Die gesetzlichen Rechte der Begünstigten, 15 Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 766 (Stand GesRZ 2008, 125 (126). 1.10.2018, rdb.at) 20 Vgl Kalss/Zollner, GesRZ 2008, 126. 16 Vgl Binder/Giller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Handbuch: Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 9 Pflichtteilsrecht 280 6 JEV 1-2021
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge normiert: „Hinzuzurechnen sind alle Ausschüttungen, die Nutzungswert für den bestimmten Zeitraum bewertet der Pflichtteilsberechtigte als Begünstigter bis zum Erbfall werden) und der subjektiven Absicht (so liegt etwa die tatsächlich erhalten hat und solche, die er nach dem Erbfall Veräußerung bei einer freien Entscheidungsmöglich- erhalten wird.“ Davon sind nicht nur klagbare Ansprü- keit im Ermessen des Bewertungssubjekts – bei einer che erfasst. Ob eine eingeräumte Begünstigtenstellung Entscheidung ausschließlich auf betriebswirtschaftli- nur dann bewertbar ist, wenn ein klagbarer Anspruch cher Logik wird wohl der jeweils höhere Wert aus der des Begünstigten besteht, 21 ist daher zu bezweifeln. Fortführung oder der Liquidation zum Ansatz kom- Die Möglichkeit der Durchsetzung ist aber als wesent- men). Vor diesem Hintergrund sind für die Bewertung licher Faktor bei der Bewertung einer Rechtsposition aus betriebswirtschaftlicher Sicht mehrere Aspekte zu berücksichtigen. von grundlegender Bedeutung. Erstens, die Festle- Sobald die Stiftung als Rechtsträger entstanden ist, gung des Bewertungsobjekts, zweitens, die Festlegung ist sie vom Stifter vollständig getrennt.22 Für den Stifter des Bewertungssubjektes (aus wessen Blickwinkel ist besteht jedoch die Möglichkeit sich Einflussmöglich- die Bewertung vorzunehmen), da die damit einher- keiten, etwa in Form eines Änderungs- oder Widerrufs- gehenden Möglichkeiten, Risikoabwägungen und Er- rechts vorzubehalten und somit auch nach Entstehung wartungen wertentscheidend sind. Bei den rechtlichen der Stiftung in das Stiftungsgeschehen einzugreifen.23 Bewertungsanlässen sind hier insbesondere die norma- Die Einräumung eines Widerrufs- oder Änderungs- tiven Vorgaben im Spannungsbogen der betriebswirt- rechts, allenfalls auch sonstiger Einflussrechte ist daher schaftlichen Wertsubjektivität (der Wert ist nur für ein bei Ermittlung des Werts einer Rechtsstellung in der Bewertungssubjekt ermittelbar) und der rechtlichen Privatstiftung zu berücksichtigen. Objektivierungszielsetzung (der Wert soll möglichst für den gesamten Verkehr gelten) beachtlich. 3. Grundlagen der Bewertung von Zuwendungen Drittens ist der Bewertungsstichtag, zu dem eine konkrete Erwartungssituation in Bezug auf das Be- Nach der nun geltenden Rechtslage ist davon auszu- wertungsobjekt sowie auf das Umfeld und die Markt- gehen, dass grundsätzlich jede Zuwendung zunächst situation, in der das Bewertungsobjekt eingebettet als Pflichtteilsdeckung geeignet ist, allerdings Be- ist, für den Unternehmenswert entscheidend. Zum wertungsfragen verstärkt zu berücksichtigen sind. Bei Bewertungsstichtag gibt es klare rechtliche Regelun- vermögenswerten Rechten an Unternehmen(santeilen) gen, die bei der Bewertung beachtlich sind. Die Be- treten daher Fragen der Unternehmensbewertung in wertung der Zuwendungen von Todes wegen hat auf den Fokus. den Todestag des Erblassers zu erfolgen, Schenkungen In der Betriebswirtschaft ermittelt sich der Wert unter Lebenden werden auf den Zeitpunkt, zu dem sie eines Unternehmens oder eines Vermögenswerts auf „wirklich gemacht“ wurden, mit Indexanpassung (VPI) Basis des zukünftigen (finanziellen) Nutzens, der zu auf den Todestag, bewertet. Wird der Wert des zuge- einem bestimmten Zeitpunkt erwartbar ist.24 In erster wendeten Eigentums durch Rechte Dritter vermindert Linie geht es also um die zukünftigen Cashflows, die oder nur ein Nutzungsrecht verschafft (zB bei Anord- entweder aus der laufenden Nutzung eines Vermögens- nung einer Nacherbschaft), sind die Rechte zunächst wertes oder durch die Liquidation eines Vermögens- wie sonst auch zu bewerten.26 Bei betagten Rechten wertes generierbar sind (Liquidationswert 25). Ob der erfolgt die Bewertung durch Abzinsung. Bei auf Le- Wert sich aus der Nutzungsmöglichkeit oder aus dem bensdauer eingeräumten Rechten bzw bei Anordnung Liquidationswert ergibt, hängt vom Bewertungsobjekt einer Nacherbschaft nach Ableben des Vorerben ist die ab (so wird bei Vermögenswerten, wie Gold, Kunst- Lebenserwartung des Berechtigten bzw des Vorerben werken oder sogar Bitcoins idR kein laufender Ertrag nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu erwirtschaftet und somit ist der Liquidationswert zum berücksichtigen. Marktwert entscheidend), den rechtlichen Möglich- Giller/Binder weisen darauf hin, dass zur Vermei- keiten (so kann bei einem Fruchtgenussrecht, das auf dung unbilliger Ergebnisse zu Lasten des Pflichtteils- Lebenszeit besteht und nicht übertragbar ist, nur der berechtigten eine bloße Orientierung an versiche- 21 Vgl Giller, Die Gestaltbarkeit der Pflichtteilsdeckung nach dem 25 Der Liquidationswert wird gemeinhin sowohl als Verkaufs- ErbRÄG 2015 – eine erste Annäherung, JEV 2016, 58. oder Zerschlagungswert bezeichnet. Es gilt das Konzept der 22 Vgl Arnold, Privatstiftungsgesetz – Kommentar3 (2013) § 3 bestmöglichen Verwertung oder Liquidation. Vgl. WP Hand- Rz 56 f. buch (2008), Rz. 385 u 437. 23 Vgl RS0115134. 26 Vgl Nemeth in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskom- 24 Zum Folgenden siehe bspw. Aschauer/Purtscher, Einführung in mentar Band 45 (2018) § 762 ABGB Rz 4. die Unternehmensbewertung (2011). JEV 1-2021 7
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge rungsmathematischen Parametern und zu erwarten- sichtlich der Vertretbarkeit der jeweiligen Zusammen- den Wertzuflüssen bei Bewertung der Belastungen, hänge überprüft. Ist mit keinen nachhaltig gleichblei- vor allem bei rentenähnlichen Gestaltungen, zu kurz benden Cashflows zu rechnen, muss eine detailliertere greift und insbesondere auch Umstände wie die Boni- Planung die erwarteten zukünftigen Entwicklungen tät des Schuldners, die Ausfallwahrscheinlichkeit, die darstellen. Nachdem die Prognosequalität mit zuneh- Inflationswahrscheinlichkeit, Zinsentwicklung und menden Perioden abnimmt, wird für die Planung in Verwertbarkeit sowie Eintritts-/Ausfallswahrschein- den ersten Perioden zumeist eine detaillierte Planung lichkeit noch unbestimmter Zuflüsse zu berücksichti- erstellt (Detailplanungszeitraum), in weiterer Fol- gen sind.27 ge werden gröbere Prämissen für die Planung ange- Nochmals herauszustreichen ist, dass jeder Wert nommen (Grobplanungszeitraum) und anschließend subjektorientiert und zukunftsgerichtet ist und damit eine nachhaltige Zuflusssituation angenommen (ewi- immer ein Ermessensspielraum bei der Bewertung ge Rente). Diese Planungsunterteilung ist dabei kein gegeben ist. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass Selbstzweck, sondern folgt der Informationslage bei alle Bewertungsverfahren mit Annahmen operieren, der Bewertung. Ist beispielsweise im Vergleich zu den die über die Realität des Einzelfalls zum Teil hinaus- vergangenen Perioden von gleichbleibenden Zuflüssen gehende, aber notwendige Vereinfachungen darstellen, auszugehen, so kann die detaillierte Planung entfallen um überhaupt eine Aussage treffen zu können.28 Wäh- und unmittelbar eine ewige Rente angesetzt werden. rend man bei der Umsetzung des rechtlichen Bewer- Klar ist, dass der größte Wertanteil der ewigen Ren- tungsanlasses daher oftmals geneigt ist, jedes Detail te entspringt und hier auch der Fokus der kritischen des Einzelfalles einfließen zu lassen, sind aus betriebs- Kontrolle des Bewerters liegen muss. Die Planbarkeit wirtschaftlicher Sicht die Bewertungsverfahren immer von Unternehmen hat grundsätzlich keinen Einfluss mit Vereinfachungen verbunden. auf den Unternehmenswert. Der Risikozuschlag im Hauptverfahren der Unternehmensbewertung ist Zinssatz trägt insbesondere der Streuung der Cash- die Kapitalwertmethode. Die Kapitalwertmethode flows und der konkreten Situation des Unternehmens ermittelt den Unternehmenswert durch eine Kapita- Rechnung. lisierung der zukünftigen Cashflows mit einem risi- Wie die Bewertung von Zuwendungen (und die koadäquaten Kapitalisierungszinssatz. Der Kapitali- allenfalls dahinterstehende Unternehmensbewertung) sierungszinssatz trägt dem Risiko (gemeint ist posi- also konkret zu erfolgen hat, ist mit vielen Fragen ver- tive, wie negative Abweichung vom Erwartungswert) bunden. Gerade die Einräumung einer Rechtsstellung Rechnung und steigt bei zunehmendem Risiko. Im an einem Unternehmen(-santeil) durch Unterbetei- einfachsten Fall wird angenommen, dass die Cash- ligung, Fruchtgenuss oder ähnliche Rechte führt zur flows unendlich, in gleichbleibender Höhe fließen konkreten Frage der Bemessung von Abschlägen, etwa – dieser Fall wird als ewige Rente bezeichnet. In die- weil die Veräußerungs-(bzw Liquidations-)möglich- sem einfachen Fall der ewigen Rente bedarf es einer keit stark eingeschränkt ist, oder Beschränkungen bei Prognose der nachhaltigen Cashflows und einer Er- den Einflussrechten bestehen.29 Dies betrifft etwa be- mittlung des risikoadäquaten Zinssatzes. Während reits die Frage, ob bei der Bewertung von Anteilen an es zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatz – trotz einer Gesellschaft der Anteilswert direkt oder indirekt aller theoretischen Prämissen und Herausforderungen durch die Wertermittlung des Gesellschaftsvermögens in der Praxis – eine theoriegeleitete Vorgehensweise und dann Umlegung auf die Anteilsquote zu ermitteln gibt, ist die Ableitung von Erwartungswerten auf Ba- ist30 oder auch die Frage der Einflussrechte eines Be- sis einer Prognose vorzunehmen, die mit hohem Er- günstigten auf Zuwendungen. messen verbunden ist. Die Erwartungswertermittlung Im Folgenden sollen drei in der Praxis wesentliche kann nur durch eine materielle und formelle Plausibi- Faktoren für die Bewertung in Grundzügen beschrie- lisierung überprüft werden. Im Rahmen der materiel- ben werden:31 (i) Die Methode der Anteilsbewertung, len Plausibilitätsprüfung werden Vergangenheitswerte (ii) der Einfluss von Kontrolle und (iii) der Einfluss in Bezug zu den Markterwartungen gesetzt und hin- einer eingeschränkten Veräußerbarkeit (Fungibilität). 27 Vgl Binder/Giller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Handbuch: 30 Vgl Hügel/Aschauer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch 274 f, Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 9 Pflichtteilsrecht die sich für die indirekte (abgeleitete) Anteilsbewertung aus- Rz 128. sprechen, wenn nicht durch besondere Einschränkungen der 28 Vgl Hering, Unternehmensbewertung² (2006). Veräußerbarkeit oder der Einflussmöglichkeiten Abschläge 29 Vgl Hügel/Aschauer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des vorzunehmen sind. neuen Erbrechts (2016) 227 (266 ff). 31 Hierzu bereits auch Hügel/Aschauer in Barth/Pesendorfer, Pra- xishandbuch 274 f. 8 JEV 1-2021
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge Diese drei Aspekte stehen dabei jeweils auch in einem diesem Zeitpunkt, der auf den Todestag zu valorisieren gewissen Zusammenhang. ist. Spätere Gewinne bzw. Verluste haben keinen Ein- fluss auf die Pflichtteilshöhe.32 Ad (i) Anteilsbewertung Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ergibt sich der Wert von Kontrolle je nachdem, ob eine Unterneh- Zur Anteilsbewertungsmethode ist aus betriebswirt- mensfortführung oder eine Liquidation geplant ist, schaftlicher Sicht festzustellen, dass die Vorgehens- unterschiedlich. Im Fall der Unternehmensfortfüh- weise durch das konkrete Bewertungssubjekt bzw. den rung ist die Kontrollmöglichkeit nur dann werthaltig, rechtlichen Bewertungsanlass vorgegeben sein sollte. wenn durch die Kontrolle auch ein höherer Cashflow Ist das Ziel beispielsweise eine Gleichbehandlung un- erreicht werden kann. Führt die Kontrollmöglichkeit geachtet der Anteilshöhe zu erreichen, so wird man zu keinem höheren Cashflow, dann ist Kontrolle und betriebswirtschaftlich dieser Logik durch die An- die damit einhergehende Kostenbelastung betriebs- wendung einer indirekten Anteilsbewertungsmetho- wirtschaftlich wertmindernd bzw. nicht wünschens- dik folgen. Bei der indirekten Anteilsbewertung wird wert. Der Wert von Kontrolle setzt daher eine sub- der Gesamtunternehmenswert (wie er sich für einen optimale Unternehmensführung voraus, die durch die hypothetischen Alleineigentümer darstellen würde) Ausübung der Kontrolle auch zu einer finanziellen ermittelt und in einem weiteren Schritt der Gesamt- Verbesserung der Zahlungsposition führt (und sei dies unternehmenswert mit dem Beteiligungsanteil mul- indem in der Vergangenheit Risiken eingegangen wur- tipliziert, um dadurch (indirekt) den Anteilswert zu den, die den Erwartungswert belasten). ermitteln. Bei der direkten Anteilsbewertung erfolgt Ein weiterer Punkt, der im Fall der Unternehmens- die Ermittlung der erwarteten Cashflows aus Sicht fortführung beachtlich ist, ist der Einfluss auf die Aus- des Anteilseigners. Muss der Anteilseigner aus gewis- schüttungspolitik und damit die Durchsetzung der sen Umständen heraus (beispielsweise aufgrund einer Konsumpräferenzen (auf diesen Umstand wurde in reinen Minderheitsstellung ohne Kontrollmöglich- der bisherigen Literatur noch kaum eingegangen33). keit) davon ausgehen, dass Zahlungsflüsse nicht voll- Die Ausschüttungen aus dem Unternehmen sind für umfänglich oder niemals zufließen werden, so würde den Zahlungsstrom des Anteilseigners von besonderer das den Wert aus Sicht des Anteilseigners (Bewer- Bedeutung. In dem Zusammenhang ist darauf hin- tungssubjekts) entsprechend reduzieren oder wertlos zuweisen, dass erwirtschaftete Überschüsse, die im machen. Ein Beispiel wäre, dass durch ständige The- Unternehmen reinvestiert werden und sich (zumindest saurierungspolitik zwar der Unternehmenswert steigt, erwartungsgemäß) im Unternehmen mit dem Kapita- durch eine Unmöglichkeit der Veräußerung des An- lisierungszinssatz verzinsen, den Wert des Unterneh- teilsrechts aber niemals ein Cashflow aus der Liquida- mens über die Zeitdauer ansteigen lassen und damit den tion generiert werden könnte. Da in dieser Situation Wert im Bewertungszeitpunkt nicht verändern (das weder aus der Fortführung noch aus der Liquidation Wertwachstum über die Zeitdauer entspricht dem Ka- Cashflows zu erwarten sind, wäre der Wert des An- pitalisierungszinssatz und damit der Diskontierung). teils aus Sicht des Anteilseigners null. Somit stellt sich Im Kapitalwertmodell werden restriktive Prämissen schon auf Ebene der Anteilsbewertung auch die Frage gesetzt, wonach die individuelle Konsumpräferenz des nach dem Wert von Kontrolle. Bewertungssubjekts keine Rolle spielt.34 Es gibt einen einheitlichen Zinssatz, zu dem unbeschränkt Geld Ad (ii) Wert von Kontrolle aufgenommen und angelegt werden kann. Dadurch ist im Kapitalwertmodell die Konsumpräferenz kein rele- Werden im Zuge der Vererbung Unternehmensantei- vanter Faktor mehr – der Konsum kann durch Geldan- le ungleich auf Pflichtteilsberechtigte verteilt, sodass lage oder Geldaufnahme zum Marktzinssatz jederzeit deren Einflussrechte nicht dasselbe Ausmaß haben, so verwirklicht werden und es kommt somit nur zu einer ist die geringere Einflussmöglichkeit auf die Unterneh- Verschiebung der Zahlungsflüsse. mensführung bei der Bewertung des Vermögenswertes In der Praxis greift die vereinfachte Sichtweise des zu berücksichtigen. Die Bewertung auf den Todestag Kapitalwertmodells und die Ausblendung der Kon- bzw auf den Zeitpunkt der Schenkung bezieht sich auf sumpräferenz in manchen Fallkonstellationen zu kurz. den Wert des Unternehmens oder Geschäftsanteils zu Mittels eines vollständigen Finanzplans könnte man 32 Vgl Eccher, Die österreichische Erbrechtsreform, § 762 ABGB. 34 Zum Folgenden siehe bspw Aschauer/Purtscher, Einführung in 33 Dieser Aspekt wird von Aschauer/Hügel, in Barth/Pesendorfer, die Unternehmensbewertung (2011) 99 ff. Praxishandbuch 274 f, aufgegriffen. JEV 1-2021 9
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge die Ausschüttungspräferenzen besser bewerten und dazu, dass dem Bewertungssubjekt die Verkaufsalter- möglicherweise realistischere Annahmen hinsichtlich native nicht (oder nur eingeschränkt) zur Verfügung der Vorfinanzierung oder Geldanlage in das Bewer- steht und der Wert des Unternehmensanteils sich dann tungskalkül aufnehmen. Fraglich ist, ob der rechtliche ausschließlich auf Basis der zukünftigen erwartbaren Bewertungsanlass jedoch dieses Maß an Subjektivität Cashflows aus der Fortführung bemisst. bei der Bewertung überhaupt berücksichtigen möchte Von praktischem Interesse ist daher, ob zumindest ei- oder, ob die in der Betriebswirtschaft gesetzten An- nige dieser Zweifelsfragen durch eine Regelung in der nahmen für die Verkehrswertermittlung in diesem letztwilligen Verfügung geklärt oder zumindest Er- Punkt ausreichend sind. Anders stellt sich die Situation messensspielräume eingeengt werden können, etwa natürlich dar, wenn Ausschüttungen dazu führen, dass durch Wahl eines gängigen Bewertungsverfahrens der Wert eines Unternehmensanteils, der erst zu einem oder Vorgabe konkreter Bewertungsgrundsätze. UE späteren Zeitpunkt auf das Bewertungssubjekt über- ist Nowotny hier zu folgen, der die Grenze in der ein- tragen wird, geschmälert wird. In diesem Fall muss die seitigen, nicht äquivalenten Wertverschiebung zulas- (erwartungsgemäße) Reduktion des Cashflowstroms ten von Pflichtteilsberechtigten sieht.36 (durch Ausschüttung sonstige, zwischenzeitig Betei- ligte) in die Basisbewertung des Anteils einfließen. 4. Praxisbeispiele auf Grundlage eines konkreten Neben der Unternehmensfortführung ist die Kon- Sachverhalts in diversen Varianten trolle vor allem im Liquidationsszenario iS einer Ver- äußerung relevant. Insbesondere für potentielle Über- 4.1 Ausgangslage: nehmer sind Anteilsrechte nur dann relevant, wenn sie damit auch Kontrollmöglichkeiten vermitteln, da nur A ist Eigentümer einer Unternehmensgruppe, an de- dann potentielle Synergieeffekte, die bei der Über- ren Spitze eine Holding (GmbH) in seinem persön- nahme erwartet werden, generiert werden können. Als lichen Eigentum steht. Dieses Unternehmen stellt den Eigner von (übertragbaren) Kontrollrechten besteht wesentlichen Vermögenswert dar. Im Privateigentum somit die Möglichkeit, an zukünftigen Synergieef- befinden sich einige Liegenschaften und Wertpapie- fekten zu partizipieren, indem man von einem poten- re etc. A hat zwei Kinder und eine Ehegattin, es lie- tiellen Übernehmen einen höheren Wert erhält. Der gen keine Pflichtteilsverzichtsvereinbarungen vor. Übernehmer wird gewillt sein, zumindest einen Teil A möchte eine Nachfolgeplanung erarbeiten, die die der Synergieeffekte für die Erlangung der Kontrolle Pflichtteilsproblematik berücksichtigt, die Aufteilung abzugeben. des Unternehmens vermeidet und die Weitergabe des Unternehmens an die Kinder sicherstellt. Ad (iii) Fungibilität 4.2 Variante A: minderjährige Kinder Wie bereits oben ausgeführt, ist aus Sicht des An- teilseigners der erwartbare Cashflow für den Wert Bei minderjährigen Kindern sollte in Hinblick auf die relevant, der sich entweder aus der Fortführung oder Mitwirkungsrechte des Pflegschaftsgerichts eine Ge- der Veräußerung (Liquidation) eines Bewertungsob- sellschafterstellung der Kinder unbedingt vermieden jekts ergibt. Ein rationales Bewertungssubjekt wird werden. darüber hinaus den höheren der beiden Werte (Fort- Minderjährige werden in der Regel von ihren ob- führungswert versus Liquidationswert35) wählen. Das sorgeberechtigten Eltern vertreten. Handelt es sich führt dazu, dass beispielsweise der höhere Wert aus der jedoch um Angelegenheiten, welche nicht zum or- Unternehmensfortführung idR ungeachtet des Ver- dentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören, bedarf es gem kaufswerts angesetzt wird (ein Unternehmen mit Fort- § 167 Abs 3 ABGB zusätzlich der Zustimmung des führungswert 100 wird sowohl mit 100 bewertet, wenn Pflegschaftsgerichtes. Sowohl die Abgabe einer Erb- der Verkaufswert (a) 90 oder (b) 10 beträgt – solcherart antrittserklärung als auch der erbrechtliche Erwerb strategische Optionen fließen zumindest im Kapital- eines Unternehmens bedürfen daher der gerichtlichen wertmodell nicht in die Wertberechnung ein) und ein Zustimmung. Selbst wenn der Erbe nur eine bedingte geringerer Verkaufswert keine Relevanz für den Unter- Erbantrittserklärung abgibt, haftet er gem § 40 Abs 1 nehmenswert hat. Fehlende Fungibilität führt nämlich UGB für unternehmensbezogene Verbindlichkeiten 35 Wie oben beschrieben, ist im Rahmen des Liquidationswerts 36 Nowotny, RdW 2017/15 der höhere Nutzen aus der Veräußerung oder Zerschlagung zu ermitteln (siehe Fn. 28). 10 JEV 1-2021
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge unbeschränkt, dh mit dem gesamten Vermögen und 4.4 Variante C: Nachfolgeplanung mit einer nicht beschränkt mit den übernommenen Unterneh- Privatstiftung mensaktiva. Die Haftung nach dem UGB tritt neben die Erbenhaftung nach materiellem Erbrecht, sodass Ein wesentliches Ziel von A ist es, dass das Familien- aufgrund dieser umfassenden Haftung die pfleg- unternehmen generationenübergreifend im Familien- schaftsgerichtliche Genehmigung auch bei Abgabe besitz bleibt und familienfremde Beteiligungen ver- einer bedingten Erbantrittserklärung notwendig ist.37 mieden werden. Auch für die Stimmrechtsausübung bzw. die Aus- Ein solches Ziel kann nach wie vor am besten über übung sonstiger Gesellschafterrechte ist, sofern es sich eine Stiftungslösung verwirklicht werden. Eine Privat- um Maßnahmen des außerordentlichen Wirtschafts- stiftung ist besser als jede gesellschaftsrechtliche oder betriebes handelt, die Zustimmung des Pflegschafts- syndikatsvertragliche Regelung dazu geeignet, Vermö- gerichtes erforderlich. Für die Zuordnung zum außer- gen generationenübergreifend zusammenzuhalten und ordentlichen Wirtschaftsbereich ist das Gewicht der weiterzugeben. rechtlichen und wirtschaftlichen Gefährlichkeit maß- Im Unterschied zur Stiftung auf den Todesfall geblich.38 können die Nachfolger (im Idealfall über eine Stifter- In der Praxis wird aufgrund der rechtlichen gesellschaft) Mitstifter und Inhaber von Stifterrechten Schwierigkeiten häufig von der Beteiligung eines Min- sein. Über die Möglichkeit der (zeitlich abgestuften) derjährigen an einer Gesellschaft abgesehen und ver- Ausübung dieser Rechte, bleibt die Privatstiftung fle- sucht, das gewünschte Ergebnis auf anderem Weg zu xibel und kann an geänderte familiäre oder wirtschaft- erreichen. liche Rahmenbedingungen angepasst werden. Freilich Es ist also eine Gestaltung anzustreben, die die steht es A als Hauptstifter auch frei, diese Rechte der Zeit bis zur Volljährigkeit der Erben überbrückt. Im Nachfolger inhaltlich entsprechend einzuschränken. hier angeführten Beispielfall wird dies durch eine Ge- Die Pflichtteilsdeckung erfolgt über die Einräu- staltung umgesetzt, wonach, die minderjährigen Kin- mung von Stifterrechten durch eine Stifter-GmbH, an der zu Nacherben und die Ehegattin (und Mutter) zur der die künftig Begünstigten zu beteiligen sind, und die Vorerbin, allenfalls unter Auflagen, bestimmt wird. So Einräumung einer qualifizierten Begünstigtenstellung kann die Mutter etwa zur Vorerbin mit eingeschränk- (definierter Anspruch mit konkreten Zuwendungsbe- tem Recht auf Gewinnausschüttung bis zum Eintritt trägen und Fälligkeiten; darüber hinaus Zuwendungen der Volljährigkeit der Kinder (=Nacherbfall) einge- in Abhängigkeit von Jahresüberschuss möglich). Auch setzt werden; bei Eintritt des Nacherbfalls sind die der Pflichtteilsanspruch der Ehegattin wird über eine Gesellschaftsanteile auf die Kinder als Nacherben zu qualifizierte Begünstigtenstellung abgedeckt. übertragen. Der Nacherbfall kann auch für Teile der Gesellschaftsanteile unterschiedlich geregelt werden 5. Gestaltungsvarianten der Pflichtteilsdeckung (Pflichtteilsanspruch der Ehegattin ist abzudecken). und deren monetäre Bewertung Weiters empfiehlt es sich in diesem Fall, die Stun- dung der Pflichtteile der minderjährigen Kinder testa- 5.1 Bewertung einer Vorerbschaft mentarisch anzuordnen. Bei einem Erbfall ist nach geltender Rechtslage nicht 4.3 Variante B: Kinder sind volljährig und sollen nur die Belastung des dem Vorerben gebührenden sofort Erben sein Pflichtteils mit einer Nacherbschaft, sondern auch das Einsetzen eines Pflichtteilsberechtigten als Nacherbe Aufgrund ihrer Volljährigkeit können die Kinder un- nach § 762 grundsätzlich wirksam, ein dadurch feh- mittelbar als Erben eingesetzt werden. Der Pflichtteils- lender oder verminderter Nutzen für den Pflichtteils- anspruch der Ehegattin wird über ein Fruchtgenuss- berechtigten ist nur bei der Bewertung zu berücksich- recht an einem Teil der Gesellschaftsanteile gedeckt. tigen.39 Die Bedingungen des Fruchtgenussrechts werden über Der Vorerbe wird mit der Einantwortung Eigen- eine testamentarische Auflage vorgegeben. tümer des Nachlasses. Sein Recht ist aber idR zeitlich 37 Vgl Beck, P-Gericht und A-Verfahren - Die Rolle des Pfleg- 39 Gruber/Sprohar-Heimlich/Scheuba in Gruber/Kalss/Müller/Schauer schaftsgerichts im Verlassenschaftsverfahren, EF-Z 2011, 31. (Hrsg), Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 19 Instrumente 38 Vgl Zinner, Minderjährige Gesellschafter - Ausübung des zur Sicherung des Erblasserwillens Rz 18 Stimmrechts und pflegschaftsgerichtliche Genehmigung, JEV 2013, 74. JEV 1-2021 11
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge durch Eintritt des Substitutionsfalles (Tod des Vor- Handelt es sich beim Nachlassvermögen um Ge- erben) beschränkt. Inhaltlich unterliegt sein Eigentum schäftsanteile, stehen dem Vorerben grundsätzlich alle ebenfalls einer Beschränkung, sodass seine Position im Gesellschafterrechte zu. Für außerordentliche Verwal- Wesentlichen der eines Fruchtnießers gleicht.40 Der tungsmaßnahmen bedarf es jedoch der Mitwirkung Vorerbe darf den Nachlass unter Schonung der Subs- des Nacherben, sodass Vor- und Nacherbe in solchen tanz voll nutzen und sich den Ertrag (natürliche und Fällen das Stimmrecht nur gemeinsam ausüben kön- Zivilfrüchte) aus dem Nachlass aneignen.41 Dem Vor- nen. Ist die außerordentliche Verwaltungsmaßnahme erben gebühren zwischen Einantwortung und Nach- notwendig und verweigert der Nacherbe seine Zu- erbfall die Nutzungen und Früchte, dh der ordnungs- stimmung, so kann der Vorerbe ihn auf Zustimmung gemäße Ertrag, unbeschränkt.42 klagen.48 Dem Nacherben steht zunächst ein veräußerliches, Für den Vorerben bestehen folglich starke Ein- pfändbares, vererbliches Anwartschaftsrecht zu, das schränkungen in Bezug auf die Veräußerbarkeit und die Rechtsstellung des Vorerben nicht nur schuldrecht- auch in Bezug auf die Kontrolle. Dementsprechend lich, sondern mit absoluter Wirkung beschränkt.43 kommen die Grundsätze der betriebswirtschaftlichen Durch die Nacherbschaft ist die Substanz des Bewertung zur Anwendung, wie sie oben zur einge- Vermögens gebunden, sodass diese einem Veräuße- schränkten Veräußerbarkeit (Fungibilität) und zur rungs- und Belastungsverbot gleichzusetzen ist. Ohne eingeschränkten Kontrollmöglichkeit beschrieben Zustimmung des Nacherben ist eine Verfügung des wurden. Gleichfalls anknüpfend an die oben beschrie- Vorerben über das Nachlassvermögen nur zulässig, um benen Grundlagen der Bewertung ergibt sich der Wert Schäden an der Verlassenschaft zu vermeiden, Verlas- des Vorerbens durch den Nutzenzufluss aus dem Be- senschaftsverbindlichkeiten zu begleichen oder wenn wertungsobjekts für den Zeitraum der Vorerbschaft. die Verfügung im Rahmen der ordentlichen Verwal- Ist die Vorerbschaft zu keinem bestimmten Zeitpunkt tung erfolgt. Bezieht sich die Nacherbschaft auf ein zu Ende, weil diese beispielsweise auf die Lebenszeit Unternehmen oder Geschäftsanteile, so betrifft das angelegt ist, wäre mit versicherungsmathematischen Veräußerungsverbot das Unternehmen an sich, nicht Methoden die geschätzte Lebenserwartung als Zeit- jedoch das Umlaufvermögen.44 raum anzusetzen. Für die Bewertung der Vorerbschaft, Erlangt der Vorerbe aus einer solchen Verfügung aufgrund der eingeschränkten Veräußerbarkeit bzw. Geld oder andere Sachen, so wird dieses Surrogat im Liquidation, gilt auch der oben beschriebene Umstand, Zweifel Teil der von der Nacherbschaft erfassten Ver- dass der Wert sich hauptsächlich aufgrund der zuflie- lassenschaft (§ 613 Abs 3 ABGB). 45 Der Vorerbe kann ßenden Cashflows aus der Unternehmensfortführung im Rahmen seines Nutzungsrechts ohne Zustimmung generiert. Je länger der Zeitraum der Vorerbschaft er- des Nacherben zwar zB längerfristige Bestandver- wartungsgemäß ist, desto höher ist auch der Wert der träge abschließen, in welche der Nacherbe eintreten Vorerbschaft. Zu beachten ist, dass gemäß dem Kapi- muss und die dieser auch nur unter den allgemeinen talwertmodell, das den Zeitwert des Geldes berück- Voraussetzungen auflösen kann, jedoch kann der Vor- sichtigt, weit in der Zukunft liegende Cashflows einen erbe dingliche Belastungen, wie zB die Verbücherung geringeren Wert aufweisen. Je höher der Zinssatz ist, eines Bestandrechts, ohne Zustimmung des Nach- desto stärker werden die zukünftigen Cashflows dis- erben nicht herbeiführen.46 Der Vorerbe darf auch kontiert und dieser Effekt verstärkt sich auch noch. keine Veränderungen vornehmen, die das Wesen des Dies führt dazu, dass der dem Vorerben zukommende Substitutionsgutes umgestalten, also insbesondere Wert – in Abhängigkeit des Zinssatzes – im Vergleich nicht dessen wirtschaftliche Zweckbestimmung oder zum Nacherben, der seinen finanziellen Nutzen erst die Bewirtschaftungsart ändern: Er darf zB das Wald- in einem späteren Zeitraum lukrieren kann, verhält- grundstück, das Substitutionsgut ist, zwar forstmä- nismäßig höher ist. Das folgende Beispiel soll diesen ßig schlägern, nicht aber roden, um es künftig für die Zusammenhang veranschaulichen: Es wird davon aus- Schottergewinnung zu nutzen.47 gegangen, dass sich aus dem Bewertungsobjekt eine 40 Vgl EFSlg 108.037. 44 Vgl Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB: Praxiskommentar5, 41 Vgl Nemeth in Schwimann/Neumayr, ABGB: Taschenkommen- (2018) § 613 Rz 6. tar5 (2020) § 613 Rz 3 ff. 45 Vgl 8 Ob 139/07k. 42 Vgl Kletečka/Holzinger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 613 46 Vgl 5 Ob 182/00a. Rz 30 (Stand 1.1.2018, rdb.at). 47 Vgl 1 Ob 502/88. 43 Vgl Apathy/Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurz- 48 Vgl Schauer, Rechtsprobleme der erbrechtlichen Nachfolge bei kommentar ABGB, § 613 ABGB; 3 Ob 75/07m SZ 2007/122 Personengesellschaften (1999), 458. 12 JEV 1-2021
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge ewige Rente mit einer jährlichen Zahlung von 10 er- sich, dass bei einem Kapitalisierungszinssatz von 5% gibt und dies dem Vorerben in einem Zeitraum bis zu bzw 10% dem Vorerben ein Anteil am Kapitalwert der einem bestimmten Zeitpunkt T zukommt. Es zeigt ewigen Rente von 21,65% bis zu 94,27% zukommt. Kapitalisierungszinssatz 5 % Zeitraum T Kapitalwert bis T Kapitalwert ab T Gesamt 30 76,86% 23,14% 100,00% 25 70,47% 29,53% 100,00% 20 62,31% 37,69% 100,00% 15 51,90% 48,10% 100,00% 10 38,61% 61,39% 100,00% 5 21,65% 78,35% 100,00% 0 0,00% 100,00% 100,00% Kapitalisierungszinssatz 10 % Zeitraum T Kapitalwert bis T Kapitalwert ab T Gesamt 30 94,27% 5,73% 100,00% 25 90,77% 9,23% 100,00% 20 85,14% 14,86% 100,00% 15 76,06% 23,94% 100,00% 10 61,45% 38,55% 100,00% 5 37,91% 62,09% 100,00% 0 0,00% 100,00% 100,00% Das obige Beispiel geht dabei von einer wichtigen gleichen Fallverläufen führt. Möchte ein Erbe ohne- Prämisse aus, nämlich dass alle im Zeitraum der Vor- dies auf denselben Nacherben vererben, so führt die erbschaft erwirtschafteten Überschüsse auch dem Vor- Regelung der Vorerbschaft zu einer geänderten Bewer- erben zufließen und dem Bewertungsobjekt entzogen tung auf Ebene des Vorerbens und damit einer geän- werden. Ist dies nicht der Fall, weil die Überschüsse derten Pflichtteilsrelation (eine nicht freie Verfügbar- reinvestiert werden und sich durch geeignete Inves- keit auf Ebene des Vorerbens schränkt den Wert ein), titionen innerhalb des Bewertungsobjekts verzinsen, obwohl es wirtschaftlich möglicherweise zur selben so steigt mit der Zeitdauer auch (erwartungsgemäß) Vermögensweitergabe kommt. Die Antizipation bzgl. der Wert des Bewertungsobjekts und die Relation der Bewertung eröffnet für die Praxis wiederum zahl- zwischen Wert der Vorerbschaft und Wert der Nach- reiche Optionen zur Ausgestaltung. erbschaft würde sich dementsprechend verschieben. Möchte man diese Grundlagen der Bewertung schon 5.2 Bewertung einer Nacherbschaft bei der testamentarischen Regelung vorwegnehmen, heißt das, dass Ausschüttungsregelungen und Rein- Die Nacherbschaft (vormals auch: fideikommissarische vestitionsverpflichtungen aufgenommen werden müs- Substitution, §§ 608 ff ABGB) kommt dem Bedürf- sen. Weiters ist eine wichtige Einsicht für die prak- nis vieler Erblasser entgegen, das Vermögen möglichst tische Ausgestaltung von Vorerbskonstruktionen, dass lange in der Familie zu erhalten und zu binden und der Wert sich nur aus diesem Zeitraum generiert, in dessen Nutzen den nachfolgenden Generationen zu- dem ein (direkter) Nutzenzufluss gegeben ist, auch zuwenden. Die Nacherbschaft gibt dem Erblasser die wenn dies praktisch im Ergebnis möglicherweise zu Möglichkeit, nach dem ersteingesetzten Erben noch JEV 1-2021 13
Katharina Müller | Ewald Aschauer • Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge weitere Erben selbst auszuwählen und zu bestimmen. Zweifelsregel des § 615 Abs 2 ABGB bzw die davon Sie ermöglicht damit eine auf dem Willen des Erb- unberührte Regel des § 703 ABGB können aber durch lassers beruhende Vermögensbindung (in der Familie) den Nachweis eines anderen Erblasserwillens ver- über Generationen, wie dies sonst nur in vergleichbarer drängt werden.58 Weise mit einer Privatstiftung zu erreichen ist.49 Für Verfügungen über das Substitutionsgut ist die Soll der Nacherbe nach dem Erblasserwillen nur Zustimmung des Nacherben erforderlich, sofern nicht das erhalten, was beim Tod des Vorerben übrig ist, eine der zulässigen Ausnahmen vorliegt.59 Verfügun- liegt eine Nacherbschaft auf den Überrest vor (§ 609 gen, die der Vorerbe ohne Zustimmung des Nacherben ABGB). tätigt, werden mit Eintritt des Nacherbfalls unwirk- Der Nacherbe ist Erbe des Verstorbenen, der die sam, da der Vorerbe nur über ein auflösend befristetes Nacherbschaft angeordnet hat.50 Ihm stehen gegenüber oder bedingtes Eigentumsrecht verfügt.60 Dritte er- dem Vorerben dieselben Rechte zu wie dem Eigentü- werben lastenfreies Eigentum vom Vorerben nur, wenn mer gegen den Fruchtnießer (§ 613 Abs 1 ABGB). Bei sie gutgläubig sind, andernfalls steht dem Nacherben drohender Schädigung oder Gefährdung der Substanz die Vindikation zur Verfügung. des Substitutionsgutes hat der Nacherbe gegen den Eine Haftung des Nacherben für Unternehmens- Vorerben Anspruch auf Unterlassung und Sicherstel- verbindlichkeiten, welche der Vorerbe außerhalb sei- lung.51 nes Verwaltungsrechts eingegangen ist, besteht gemäß Der Nacherbe erwirbt sein Nacherbrecht dann § 1409 ABGB nicht. Der Nacherbe haftet jedoch ge- schon mit dem Tod des Verstorbenen, wenn der Subs- mäß § 40 UGB.61 titutionsfall der Tod des Vorerben ist oder der Vor- Vorerbe und Nacherbe zusammen haben die Rech- erbe sonst auflösend befristet eingesetzt ist (§ 705 te eines freien Eigentümers62 (§ 613 Abs 2 ABGB), ABGB).52 In der Praxis ist der Tod des Vorerben der für die Eintragung von Pfandrechten oder Bestand- häufigste Substitutionsfall. Seit dem ErbRÄG 2015 gilt verhältnissen im Grundbuch braucht der Vorerbe die schon nach dem Gesetzeswortlaut: Wenn der Verstor- Zustimmung des Nacherben.63 bene nichts anderes verfügt hat, so tritt der Nacherbfall Der Pflichtteil kann durch eine Nacherbschaft ge- mit dem Tod des Vorerben ein (§ 608 Abs 2 ABGB). deckt werden, da es sich hierbei um eine nach § 762 Dem Nacherben fällt dann das Erbrecht sofort und vor ABGB zulässige Bedingung bzw. Belastung handelt. dem Substitutionsfall an (§ 705 ABGB).53 Das Recht Setzt also der Erblasser seine Ehefrau als Vorerbin und des Nacherben ist dann auch sofort mit dem Tod des die minderjährigen Kinder als Nacherben ein, ist die Erblassers vererblich, es geht selbst dann auf die Erben Nacherbschaft zur Deckung des Pflichtteils grund- des Nacherben über, wenn der Nacherbe den Eintritt sätzlich tauglich, auch wenn die Nacherben die Erb- des Substitutionsfalls (Tod des Vorerben)54 nicht erlebt schaft erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten.64 Es (§ 615 Abs 2 ABGB). 55 Auch im Fall einer Substitu- handelt sich um eine nach § 762 ABGB zulässige Be- tion auf den Überrest ist das Erbrecht des Nacherben lastung des Pflichtteils. schon mit dem Vorerbfall vererblich, wenn der Substi- Gegengleich zum Vorerben oben erfolgt die Be- tutionsfall der Tod des befreiten Vorerben ist56. wertung der Nacherbschaft bei einer Berechtigung des Ist der Substitutionsfall hingegen nicht der Tod des Vorerbens auf Lebenszeit (und damit bei einem unbe- Vorerben, sondern ein zukünftiges ungewisses Ereig- stimmten Zeitraum) ex ante unter Berücksichtigung nis, ist der Vorerbe also auflösend bedingt eingesetz- der statistischen Lebenserwartung des Vorerben. Die ter Erbe des Verstorbenen, erwirbt der Nacherbe sein Zuwendung an den Nacherben ist unter Berücksichti- (dann aufschiebend bedingtes) Recht erst mit Eintritt gung des Alters des Vorerben abzuwerten. Dieser er- der Bedingung (§ 703 ABGB) und kann es erst ver- mittelte Wert kommt dem Nacherben bei Eintritt des erben, wenn er den Substitutionsfall erlebt hat.57 Die Substitutionsfalls zu. Sollte er geringer ausfallen als 49 Vgl Gruber/Sprohar - Heimlich/Scheuba in Gruber/Kalss/Müller/ 58 Vgl 2 Ob 212/00s EF 93.304. Schauer (Hrsg), Erbrecht und Vermögensnachfolge2 § 19 Ins 59 Vgl Kletečka/Holzinger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.04 trumente zur Sicherung des Erblasserwillens Rz 8. § 613 Rz 8 (Stand 1.1.2018, rdb.at). 50 Vgl 3 Ob 177/06k. 60 Vgl 10 Ob 25/15x. 51 Vgl 1 Ob 552/88 SZ 61/9. 61 Vgl Appl in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 40 Rz 9 (Stand 52 Vgl 6 Ob 1/90 SZ 63/15. 1.7.2018, rdb.at). 53 Vgl Fritsch in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht 216 mit Beispielen. 62 Vgl zu § 613 aF zb 5 Ob 99/90 SZ 63/209. 54 Vgl 1 Ob 185/01i NZ 2002, 330. 63 Vgl 5 Ob 97/94 SZ 67/193. 55 Vgl 6 Ob 1/90. 64 Vgl Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht, Erbrechts-Änderungs 56 Vgl 3 Ob 75/07m; 2 Ob 58/11k JBl 2012, 249. gesetz (2015) 78. 57 Vgl Eccher in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 615 Rz 5. 14 JEV 1-2021
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