"ALLE WEGE FÜHREN HIER IMMER HIN ZUR IRONIE." - DIVA PORTAL
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Selbständige Arbeit „Alle Wege führen hier immer hin zur Ironie.“ Verbale Ironie als Gestaltungsmittel des Dandytums in Christian Krachts ‚Faserland‘ und Per Hagmans ‚Att komma hem ska vara en schlager‘. Ein Vergleich. Autor: Hanna Julin Betreuerin: Bärbel Westphal Examinatorin: Corina Löwe Datum: 25. Juni 2020 Fach: Germanistik Niveau: Avanciertes Kurs: 4TY01E
Abstract Title: “All roads here always lead to irony”. Verbal irony as a mean of presenting dandyism in the novels ‘Faserland’, by Christian Kracht and ‘Att komma hem ska vara en schlager’, by Per Hagman. A contrastive analysis. Author: Hanna Julin Supervisor: Bärbel Westphal Examinator: Corina Löwe Summary: The aim of this study is to investigate how verbal irony is used in fiction to indicate dandyism in pop-modern literature. It is a contrastive study based on Christian Kracht’s novel Faserland (1995), which is considered to be a romana à clef in the German popliterature. Att komma hem ska vara en schlager (2004), by Per Hagman is a Swedish novel comparative to the German „pop-novel“. The analysis has shown that the verbal irony primarily has three functions: social criticism, distancing and self-criticism. These elements correspond with distinctive features which are typical of the dandy. Irony itself, according to Barbey (1987), Schickedanz (2000) and Rauen (2010) among others, is a distinctive feature of the classical dandy figure, as well as of the pop-modern one. However, further research consisting of both synchronic, diachronic and contrastive analysis is relevant, as the dandy, according to Hörner (2008) and Tietenberg (2012) among others, always renews himself – so that his image always appears elegant, modern, original and rebellious in his contemporary society. Key words: Christian Kracht, Faserland, Per Hagman, Att komma hem ska vara en schlager, Dandy, Dandytum, Dandyism, Irony, Ironie, verbale Ironie, Popliteratur i
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ______________________________________________________________ 1 2. Theoretischer Rahmen ____________________________________________________ 2 2.1 Der Dandy ___________________________________________________________ 2 2.1.1 Der Dandy um die Jahrtausendwende 2000 ______________________________ 6 2.1.2 Der Dandy in der Literatur ___________________________________________ 8 2.2 Ironie ______________________________________________________________ 10 2.2.1 Verbale Ironie in der Linguistik ______________________________________ 12 2.2.2 Verbale Ironie in der Literaturwissenschaft _____________________________ 16 2.2.3 Der Dandy als ironische Figur________________________________________ 18 2.3 Zur Primärliteratur ____________________________________________________ 20 3. Analyse und Vergleiche __________________________________________________ 22 3.1 Verbale Ironie in Faserland _____________________________________________ 23 3.2 Verbale Ironie in Att komma hem ska vara en schlager________________________ 28 3.3 Verbale Ironie als Gestaltungsmittel des Dandytums _________________________ 32 4. Schlussbemerkung ______________________________________________________ 33 Literaturverzeichnis _________________________________________________________ I Primärliteratur ____________________________________________________________ I Sekundärliteratur __________________________________________________________ I 5. Appendixe ______________________________________________________________ V 5.1 Appendix 1 ___________________________________________________________ V ii
1. Einleitung „Alle Wege führen hier immer hin zur Ironie“, erklärt Christian Kracht den anderen Mitgliedern des popkulturellen Quintetts, die sich in der Executive Lounge im vierten Stock des Hotel Adlons unterhalten.1 Krachts Aussage zur Ironie bezieht sich im Einzelnen auf die Anpassung der Mode- und Musikindustrie in der damaligen popkulturellen Gesellschaft: „wie unterschiedlich die Modellierungen geglückt sind, [zeigt] immer ein Vektor hin zur Ironisierung“.2 Das Jahr ist 1999 und Thema des Gesprächs ist die Popkultur der Gegenwart.3 Dies ist der Rahmen von Tristesse Royale, der von Joachim Bessing 1999 herausgegeben wurde, ein Band, der aus von Bessing transkribierten Gesprächen zwischen Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre besteht, die sie während drei Tagen in Berlin geführt haben. Die Mitglieder des popkulturellen Quintetts sind nicht nur Autoren der deutschsprachigen Popliteratur, sondern sie sind auch selbsternannte Dandys.4 Die Autoren der Popliteratur schrieben in einer einfachen Sprache über den Alltag, weshalb manche ihrer Werke als oberflächliche, beliebige „Unterhaltungsliteratur“ bezeichnet wurden.5 In der Popliteratur erscheint auch immer wieder eine bestimmte literarische Figur – der Dandy, der von Geld, Macht, Prestige, Geschmack, Sensibilität, Kreativität, Witz, Satire, Ironie und von einem außerordentlichem Gespür für die „geheimen Flaggsignale der kommenden Dinge“ ausgemacht wird.6 Seit dem 18. Jahrhundert gibt es die Figur des Dandys als real erscheinende Person aber auch als literarisch bearbeitete Figur. Der Dandy wird oft mit Geld, Luxus und Mode verknüpft, aber Hans-Joachim Schickedanz stellt ebenso ein ernstes und tragisches Bild des Dandytums vor: „Dandyismus ist der oft vergebliche Versuch, der Angst vor dem Nichts, der Leere und der Langeweile zu entfliehen […]“.7 Die Ironie ist ein Merkmal des Dandys und sie ist auch nach Thomas Ernst ein häufiges Stilmittel der Popliteratur.8 Die Ironie ist ein komplexes Phänomen, denn es gibt mehrere Definitionen und 1 Bessing, Joachim: Tristesse Royale, Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre. 4. Auflage Berlin 2005. S. 132. 2 Bessing 2005. S. 132. 3 Bessing 2005. S. 16. 4 Ernst, Thomas: Popliteratur. Hamburg 2001. S. 75. 5 Ernst 2001. S. 91. 6 Schickedanz, Hans-Joachim: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Frankfurt am Main. 2000. S. 227. 7 Schickedanz 2000. S. 16. 8 Ernst 2001. S. 75. 1
Klassifikationen der Ironie, jedoch ist der Kern und die klassische Definition der Ironie „der Ausdruck von etwas durch ein Wort, das sein Gegenteil beschreibt“.9 In dieser Arbeit wird die verbale Ironie als Gestaltungsmittel des Dandytums untersucht. Ausgehend von Christian Krachts Roman Faserland, der im Zentrum steht, soll ein Vergleich mit dem Roman Att komma hem ska vara en schlager von Per Hagman angestellt werden. Die Fragestellungen sind folgende: Welche Funktion/en hat die verbale Ironie und wie unterscheidet sich diese in den Romanen? Wie wird verbale Ironie als Gestaltungsmittel des Dandytums verwendet? Diese Arbeit ist eine kontrastive Studie, denn der Vergleich mit einem schwedischen Werk ist, trotz mangelnder Übersetzung, interessant, weil die beiden Werke verschiedene zeitliche und kulturelle Ausgangspunkte haben und trotzdem um das gleiche Phänomen kreisen – das Dandytum. Der namenlose Ich-Erzähler in Faserland erzählt von seinem rastlosen Luxusleben und der ständigen Suche nach Mitteln gegen die Tristesse in Deutschland während der 1990er. Das Erscheinen von Faserland 1995 zählt als der Beginn der deutschen Popliteratur und der Roman wurde mittlerweile kanonisiert. Per Hagmans Roman, Att komma hem ska vara en schlager (nicht ins Deutsche übersetzt), kam im neuen Jahrtausend, und zwar 2004, heraus und handelt von einem rastlosen Dandy, der durch die Welt reist, um das Glück zu suchen. Auch hier ist der Ich-Erzähler, Per, der Protagonist. Hagmans Texte sind im schwedischen Kontext als Beispiel für Popliteratur einzigartig und mit den Texten der deutschsprachigen Popliteratur vergleichbar. 2. Theoretischer Rahmen In diesem Kapitel wird frühere Forschung präsentiert, die für die vergleichende Analyse relevant ist. Zuerst wird das Thema „Dandyismus“ besprochen, danach folgt ein Forschungsüberblick über verbale Ironie in der Sprach- und Literaturwissenschaft. Schließlich wird die Primärliteratur mit Synopsen präsentiert. 2.1 Der Dandy Eine absolute Definition des Dandys gibt es nicht, da der Typus in unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Konnotationen besitzt. Dennoch ist der Dandy eine fest etablierte 9 Lausberg, Heinrich: Handbook of literary rhetoric: a foundation for literary study. Köln 3. Auflage 1998. S. 266. [the expression of something by means of a word that describes its opposite]. 2
Figur der europäischen Kultur.10 Ende des 18. Jahrhunderts tauchte der Begriff ‚Dandy‘ an der Grenze zu Schottland auf und zuerst bezeichnete er einen „komischen Menschen“, aber Anfang des 19. Jahrhunderts tauchte der Begriff in den Modenkreisen Londons mit der Bedeutung ‚ausgezeichnet‘ oder ‚exquisit‘ auf. Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung des Begriffs ‚Dandy‘. Eine Theorie ist, dass er eine Koseform des englischen Namens Andrew ist. Eine andere Theorie ist, dass ‚Dandy‘ von der englischen Invektive ‚Jack-a-Dandy’ kommt. Der Ausdruck bezeichnete damals einen eitlen Mann, dessen Kleidungsstil auffällig elegant oder modisch war.11 Jedoch wurde der Begriff „Dandy“, wie wir ihn heute kennen, in den Romanen der Romantik gemünzt. Die Entstehung des Wortes zusammen mit seiner schnell erreichten Bekanntheit zeigt, dass es sich um ein neues gesellschaftliches Phänomen handelte.12 Der Dandy der Romantik wurde von dem Londoner George „Beau“ Brummell (1778–1848) verkörpert. Brummell kam aus der Mittelschicht, aber wurde durch ein großes Erbe und sein soziales Netz, zu dem der englische Kronprinz George IV. gehörte, ein Teil der absoluten Oberschicht. Brummell war von der Ästhetik des englischen Adels fasziniert und wollte dessen Form und Schönheit entdecken, annehmen und beeinflussen. Brummell war zu seiner Zeit ein Modeheld, der nicht nur mit Farben, Formen und Stoffen, sondern auch mit männlichen und weiblichen Stereotypen spielte. Er veränderte die Anschauungsweise der Maskulinität und erneuerte die Männermode. Durch ihn wurde das „Gut-aussehen” eine Kunst und eine Tugend. Seine Lebensweise war von Luxus und Mode geprägt, und durch seine exklusive Lebensart bekam Brummell schnell große Schulden, durch die er gezwungen war, nach Frankreich zu fliehen. Nach kurzer Zeit im Gefängnis starb Brummell in Frankreich, allein und völlig verarmt.13 Durch die Art und Weise seines Lebensstils wurde Brummell als Ikone des Dandytums verewigt. Er besaß alle Eigenschaften, die die nachkommenden Dandys nachahmen sollten: Esprit, Witz, Ironie, Ehrgeiz, Egozentrik, Gleichgültigkeit, Kaltblütigkeit, Distanz, Eitelkeit, Stoizismus und Künstlichkeit.14 10 Knoll, Joachim H.: „Das Leben als Kunstwerk – der Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert“. In: Knoll, Joachim H. und Ludewig, Anna-Dorothea (Hg.): Der Dandy, Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und früheren 20. Jahrhundert. Berlin 2013. S. 1 – 10, hier S. 1. 11 Duden Online Wörterbuch: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/Dandy 01.06.2020, Oxford English Dictionary Online https://www.oed.com/ 01.06. 2020. 12 George, Laura: „The Emergence of the Dandy”. In: Literature Compass, 2004. S. 1 – 13. 13 Krämer, Gernot: „Frucht dieser all Zuseher gebrandmarkten Eitelkeit.“. In: Knoll, Joachim H. und Ludewig, Anna-Dorothea (Hg.): Der Dandy, Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Berlin 2013. S. 97 – 109. 14 Schickedanz 2000. S. 54. 3
Schon zu seiner Lebenszeit wurde Brummells Leben zum Thema der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion. Du dandysme et de Georges Brummell (dt. Vom Dandytum und von George Brummell) von Jules Barbey d'Aurevilys erschien bereits 1844 und ist die erste und grundlegende Arbeit über das Dandytum. Barbey vergleicht Brummell mit dem Künstler, der sich und sein Leben zu einem Kunstwerk macht. Jedoch stellt er den Dandyismus nicht als einen oberflächlichen, auf das Aussehen fixierten Snobismus vor, sondern als ein intellektuelles, soziokulturelles Phänomen. Nach Barbey ist das Dandytum ein Ergebnis eines bestimmten Zustandes einer Gesellschaft. Der Dandy ist ein Produkt einer gleichgültigen, kaltblütigen Gesellschaft, die sich langweilt.15 Nach Barbey sind eine ganze Menge von Aufsätzen, Artikeln, Essays, Anthologien und Biografien zum Thema ‚Dandy‘ erschienen. Es ist durchaus legitim zu sagen, dass das Dandytum ein anerkanntes Thema der Literatur- und Kulturwissenschaft ist und dass seine soziologische Analyse bislang immer noch aussteht.16 Unter den ersten Dandy-Theoretikern sind unter anderem Honoré de Balzac, Fürst Hermann von Pückler-Muskau und Charles Baudelaire.17 Auch heutzutage gibt es ein Interesse für den historischen Dandyismus und für das gegenwärtige Dandytum. Im Vergleich mit Barbey stellt Schickedanz in seiner Arbeit, Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten von 2000, den Dandy als ein kultursoziologisches Phänomen dar. Nach Schickedanz ist der Dandyismus eine Bewegung, die gegen die Nivellierung der demokratischen Gesellschaft protestiert.18 Die Dandys sind Rebellen, die gegen die zunehmende Gleichmacherei und die Kommerzialisierung der Gesellschaft kämpfen.19 In ihrem Protest gegen die mediokre, phantasielose öde Welt des Bürgertums verwenden die Dandys Ästhetik – Form, Eleganz, Mode und Luxus. Der Ästhetizismus „ist der schillernde Panzer, der den Dandy schützt“.20 Nach Baudelaire bedeutete die gesellschaftliche Demokratisierung das Ende des klassischen Dandys.21 Obwohl die soziokulturelle Funktion und der Ausdruck des Dandys sich seit der Zeit des Brummells geändert haben, wird nach Schickedanz ihr Protest gegen Nivellierung und Tristesse bestehen: 15 Barbey d’Aurevilly, Jules: Vom Dandytum von George Brummell. Nördlingen 1987. S. 76 ff. 16 Schickedanz 2000. S. 16. 17 Knoll 2013. S. 3 ff. 18 Schickedanz 2000. S. 46. 19 Schickedanz 2000. S. 218 – 219. 20 Schickedanz. S. 47. 21 Baudelaire, Charles: „Der Maler des modernen Lebens“ In: Kemp, Friedhelm und Pichois, Claud (Hg.): Sämtliche Werke/Briefe, Bd. 5. München 1989. S. 95. 4
Je mehr gesellschaftliche Gleichmacherei gepredigt wird, je mehr Nivellierungsdruck entsteht, desto mehr wird es Exzentriker und Dandies geben, die sich dagegen wehren und versuchen werden, sich von anderen zu unterscheiden.22 Frankreich und vor allem Großbritannien sind die Heimat des klassischen Dandys, der noch stark ins 20. Jahrhundert hineingewirkt hat. Im 20. Jahrhundert wurde der Dandy als Boheme der Romantik von einem neuen Typus von Dandy ersetzt: der arbeitende Dandy. Es tritt jedoch durch die Demokratie eine Nivellierung in der hierarchischen Gesellschaft ein.23 In dieser neuen demokratisierten Gesellschaft haben die Dandys einen neuen Weg gefunden, um sich von anderen zu unterscheiden. Der moderne Dandy macht sich zur Marke und erfindet sich ständig neu und erstrebt den Zutritt zu den von Massenmedien gelobten Kreisen der Celebrities. Dadurch riskiert er sein Gleichgewicht zwischen Kunst und Kommerz.24 Der klassische Dandy, wie Brummell, entscheidet selbst, was guter Geschmack ist, während der Geschmack des Dandys der Moderne von der Konzession an den Kommerz und die Medien gesteuert wird.25 Nach dem ersten Weltkrieg war Europa zerrissen. Aus den Ruinen entstand die Zeit einer blühenden Kultur und Dekadenz: die Goldenen Zwanziger Jahre. In den 1920er Jahren wurde der Dandy, trotz seinem aus dem Fin de Siècle entstandenen hochkulturellen Gentleman-Ideal, eine größere Ikone der Dekadenz als je zu vor. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts taucht auch der weibliche Dandy, die „Femme Dandy“, in den Medien und in der Geschäftswelt zuerst auf. Obwohl es sie in der Praxis schon seit lange gab, wird wegen der Emanzipation auf sie erst jetzt aufmerksam gemacht.26 Einer der bekanntesten „Femme Dandys“ ist die französische Modedesignerin und Unternehmerin Gabrielle „Coco“ Chanel (1883 – 1971). Auf das Phänomen der weiblichen Dandyfigur kann jedoch in diesem Aufsatz nicht eingegangen werden. 22 Schickedanz 2000. S. 228. 23 Hörner, Fernand: „Die Zukunft des Dandys zwischen Texten und Textilien“. In:In: Knoll, Joachim H. und Ludewig, Anna-Dorothea (Hg.): Der Dandy, Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Berlin 2013. S. 77– 96, hier S. 89. 24 Erbe, Günter: „Aristokratismus und Dandytum im 19. Und 20. Jahrhundert“. In: Knoll, Joachim H. und Ludewig, Anna-Dorothea (Hg.): Der Dandy, Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Berlin 2013. S. 11 – 29, hier S. 26. 25 Erbe 2013. S. 25. 26 Erbe 2013. S. 4. 5
2.1.1 Der Dandy um die Jahrtausendwende 2000 Ende der 1960er Jahre stellte sich Emil Maurer die Frage, die sich Baudelaire schon Ende des 19. Jahrhunderts gestellt hatte, ob der klassische Dandy wirklich in der „modernen“ Gesellschaft existieren kann, denn in seiner Studie Der Spätburger sieht er das Ende des Dandytums. Nach ihm wird der Dandy durch den ‚Playboy‘ ersetzt: Der Playboy ist „nicht provozierend“ wie der Dandy und er ist ein Beweis der „Verflachung der Populärkultur unseres stürzenden Jahrhunderts, die bei allem Prominentenkult, Starfilmen und Playboyrummel eine unsagbare Armut aufweist an Originalen“.27 Maurers Hypothese wird jedoch von u.a. Fernand Hörner in Frage gestellt. Nach Hörner bietet der Dandy durch seinen komplexen Umgang mit den gesellschaftlichen Regeln und Normen Taktiken zum Überleben in der Populärkultur.28 Nach Erbe ist der popmoderne Dandy eine soziale Zwittergestalt, der die Vorhut einer neuen Geschmacks- und Eleganzelite bildet. Der Dandy ist ein Symbol der Dekadenz und Oberflächlichkeit.29 Er ist ein notorischer Müßiggänger, der sich Luxus und Konsum leistet, egal ob er die finanziellen Mittel dafür hat oder nicht. Sein Verhältnis zur Umgebung und den umgebenden Menschen ist oft oberflächlich und distanziert. Dadurch wird der Dandy, der durch die Welt hin und her reist auf der Suche nach dem Glück, oder zumindest dem perfekten ‚Kick‘, von seiner Umgebung distanziert.30 Schickedanz teilt Erbes Auffassung des popmodernen Dandys, aber er nennt ihn einen „Tiger“: Ein besonderes Kennzeichen des modernen Dandys, des Tigers, ist denn auch sein nahezu unstillbares Verlangen nach Extravaganz und Originalität sowie sein Wunsch, als kommensurabel zu gelten. Die für die Epoche typischen dandyistischen Sozialcharakter sind allesamt Egozentriker und Selbstdarstellungskünstler, deren Hauptinteresse darin besteht, Körper und Geist unerschütterlich, soll heißen „cool“ erscheinen zu lassen. 31 Nach Schickedanz ist der Dandy der 1990er, wie sein Vorgänger des Fin de Siècle, ein „großer Ästhet und Egozentriker, dem Künstlichkeit und urbanes Leben über alles geht“, 27 Maurer, Emil: „Dandy, Snobb und Kleinbürger”. In: Ders.: Der Sätbürger. Bern 1969. S. 158 – 163, hier S. 167. 28 Hörner, Fernand: „Dandyism’s not Dead. Auf-und Abtauchende des Dandys am Beispiel Frédric Beibeders“. In: In: Tacke, Alexandra und Weyand, Björn (Hg.): Depressive Dandys, Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln 2009. S. 143 – 159, hier S. 142. 29 Erbe 2013. S. 17. 30 Erbe, Günter: „Der moderne Dandy. Zur Herkunft einer dekadenten Figur“. In: Tacke, Alexandra und Weyand, Björn (Hg.): Depressive Dandys, Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln 2009. S. 17 – 38, hier S. 22 – 24. 31 Schickedanz 2000. S. 223. 6
er ist ironisch, nicht engagiert und gleichgültig.32 Isabelle Stauffer hebt hervor, dass der postmoderne Dandy kein romantischer Reaktionär ist, sondern seine Originalität vor allem durch Mode und Stil ausdrückt, er ist „einer, der sich schon heute so kleide, wie jedermann es morgen tun werde“.33 Auch Niels Weber betont das Gewicht von Mode als Originalitätssymbol und Herrschaftsanspruchs des Dandys, denn durch das Dandytum kann alles zu Mode gemacht oder aus der Mode gebracht werden. Nach Weber ist dies ein Grund für die Gleichgültigkeit und Tristesse des Dandys, denn die große Auswahl, die die popmoderne Konsumgesellschaft und die Massenmedien anbieten, lassen den Dandy in Gleichgültigkeit verbleiben: Die langen Listen, die der Dandy ausbreitet, und der völlige Mangel an überzeugenden Gründen für die Selektion von Einträgen dieser Listen, die offen zur Schau gestellte Kontingenz der Auswahl – Krabben, statt Scampi, Emporio statt Gorigo, Prada statt Gucci – unterstützt die Melancholie der Dandys, deren Wunsch nach Erwartungsbrüchen das einzige, aber höchst willkürliche und variable Selektionskrieterium für die Zusammenstellung ihre Arrangements ist.34 Mode, „guter Geschmack“ und „Originalität“ sind genauso wichtig für die popmodernen Dandys wie sie für Brummell sind, aber laut Anne Kristin Tietenberg hat Maurer recht, wenn er meint, dass der klassische Dandy keinen Raum in der Populärkultur findet, denn „der Bereich des Popkulturellen [scheint] weniger von ‚reinen‘ Dandys in der Nachfolge des Brummell-Ideals, als vielmehr von Hybrid-Dandys bevölkert zu sein“.35 Auch Hörner teilt diese Auffassung und nach ihm ist der Konflikt zwischen dem klassischen und dem jeweils gegenwärtigen Dandy die Überlebensstrategie des Dandys – „den Dandy totzusagen und ihn gleichzeitig anderswo zu neuem Leben zu erwecken“.36 Die Vorstellung der Medien vom Dandy, wo er als reale Person und fiktive Figur häufig vorkommt, wird oft von Dandy-Forschern als negativ betrachtet, denn sie trivialisiert die Komplexität des Dandys. Jedoch meint Tietenberg im Gegensatz dazu, dass die Bezugnahme der Medien auf dandyhafte kulturelle Phänomene oder auf fiktive Dandy- 32 Schickedanz 2000. S. 222. 33 Sauffer, Isabelle: „Faszination und Überdruss. Mode und Marken in der Popliteratur“. In: Tacke, Alexandra und Weyand, Björn (Hg.): Depressive Dandys, Spielformen der Dekadenz in der Pop- Moderne. Köln 2009. S. 39 – 59, hier S. 45. 34 Weber, Niels: „Das graue Tuch der Langweile. Der Dandy als Motiv und Verfahren der Literatur 1900/2000“. “. In: Tacke, Alexandra und Weyand, Björn (Hg.): Depressive Dandys, Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln 2009. S. 60 – 80, hier S. 75 – 76. 35 Tietenberg, Anne Kristin: Der Dandy als Grenzgänger der Moderne. Selbststilisierungen in Literatur und Popkultur. München 2012. S. 523. 36 Hörner, Fernand: Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie. Bielefeld 2008. S. 298. 7
Figurationen „der Forschung neue interessante Impulse“ zu geben vermag.37 Auch Erbe zieht die Schlussfolgerung, dass die Zukunft des Dandys von den Medien abhängig ist.38 2.1.2 Der Dandy in der Literatur Das literarische Dandytum entstand in England, aber um den literarischen Dandy verständlich zu machen, muss der Unterschied zwischen dem Dandy als reale historische Person und dem Dandy als fiktive Figur hervorgehoben werden.39 Der reale Dandy kennt nur einen Beruf, nämlich sich selbst als ein elegantes Kunstwerk darzustellen.40 Nach Rhonad K. Garelick ist dieses der Kern der Komplexität des Dandytums: „The crucial and irresolvable complexity of the root of dandyism is that dandies are both real historical people and literary heroes”.41 Laut Garelick ist also eine radikale Trennung zwischen Person und Kunstwerk nicht möglich.42 Jedoch hat diese Darstellung als lebendes Kunstwerk einen großen Einfluss auf die Literatur, und vor allem die Fiktion. Auch Hörner bespricht das Verwobensein zwischen Person und Kunstwerk: Jeder Autor, der über Dandys schrieb, wurde auch als ein solcher rezipiert. Bemerkenswert ist dies deshalb, weil es eine für den Dandy typische Vermengung von Autor, Leben und Werk bedeutet, die es bei anderen literarischen Figuren so nicht gibt. Nicht jeder Autor, der einen Krimi schrieb, wird für den Mörder oder den Polizisten gehalten.43 Dass die Unabhängigkeit von einem Berufsleben ein Merkmal des klassischen Dandys ist, ist nach Hörner ein Paradox, denn der Schöpfer einer Dandyfigur, der als ein Dandy bezeichnet wird, arbeitet tatsächlich, denn er schöpft. Dieses Paradox entsteht laut Hörner dadurch, dass die Dandy-Autoren „ihre Werke unter großer Anstrengung so aussehen lassen, als sei ihnen alles ohne große Anstrengung aus der Feder geflossen“, obwohl im Grunde harte literarische Arbeit dahintersteckt.44 Es gibt mehrere bekannte Dandy- Autoren, u.a. Lord Byron (1788–1824), Alexandr Puschkin (1799–1837) und F. Scott 37 Tietenberg 2012. S. 523. 38 Erbe, 2013. S. 180. Vgl. Gutkin, Len: Dandyism. Forming Fiction from Modernism to Present. Virginia 2020. S. 250 – 283. 39 Erbe 2013. S. 18 40 Erbe 2013. S. 18 – 19. 41 Garelick, Rhonda K.: Rising Star. Dandyism, Gender and Preformance in the Fin de Siècle. New Jersy 1998. S. 6. 42 Erbe 2013. S. 19 43 Hörner 2013. S. 86. 44 Hörner 2013. S. 86 – 87. 8
Fitzgerald (1896–1940), dessen Roman The Great Gatsby (1925) nach Knoll zum prägenden Werk für das moderne amerikanische Dandytum wurde.45 Der Dandy-Autor aller Dandy-Autoren ist jedoch Oscar Wilde (1858–1900), der neben Brummell das Kultbild des europäischen klassischen Dandytums ausmacht. Sein Roman The Picture of Dorian Gray (1890) wird als ein Schlüsselwerk der Dandyliteratur betrachtet.46 Einer der stilbildenden deutschsprachigen Dandy-Autoren ist Ernst Jünger (1895– 1998). Ferner ist der Schriftsteller Thomas Mann (1875 – 1955) zu nennen, dessen Protagonist Felix Krull in Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1910–54) das moderne Dandy-Ideal verkörpert.47 Tietenberg hebt auch den österreichischen Autor Richard von Schaukal (1874–1942) und sein Werk Leben und Meinung des Herren Andreas von Balthesser eines Dandy und Dilettanten (1907) hervor. Nach Nicolaus Sombart beziehen sich die deutschsprachigen Popliteraten auf Jünger: Das, was die herrschende deutsche Literatur, in ihren prominentesten Vertretern, so unerträglich macht, ist ihre hoffnungslose Kleinbürgerlichkeit. Sie spüren das selber, […] [s]ie leiden darunter. Zu ihrer Grundbefindlichkeit gehört ein sozialer Selbsthaß, den kein Literatendünkel aufwiegt […] Sie träumen von der großen Welt, von Schönheit und Souveränität – kurz, sie träumen davon, „Herren zu sein“. Natürlich schauen sie sich nach Vorbildern um. Auf ihrer Suche haben sie Ernst Jünger entdeckt.48 Laut Sombart ist der „oberflächliche Geist der Zeit“ der Grund der Wiedererscheinung der Dandyfigur, denn „[w]as geschieht‚ wenn die Gesellschaft verfällt und die Massen sich verwandeln“? Dann verkommt der gesellschaftliche Dandyismus zum literarischen. Er wird zum Habitus prätentiöser und exzentrischer Literaten.49 Es kann behauptet werden, dass diese Aussage von Sombart sich vor allem an die Autoren des popkulturellen Quintetts richtet, denn sie sind nach mehreren modernen Dandy-Forschern Ur-Beispiele des Dandy-Autors und Tristesse Royal wird deshalb mit der Dandyliteratur eng verknüpft. Jedoch drückt Joachim Bessing in seinem Artikel „Alles am Dandy ist müde“ in der Welt das Gegenteil aus: Allein das Thema Dandy kommt darin nicht vor. Auch nicht dandyhaft oder dandyesk; keine Dandysuche, keine Dandymusik. Das Quintett interessiert sich 45 Knoll 2013. S. 6. 46 Gutkin 2020. S. 17. 47 Tietenberg 2013. S. 347 – 353. 48 Sombart, Nicolaus: „Das Ideal des Dandys“. In: FOCUS Magazin. (10. Aprile 1995). 49 Sombart 1995. S. 3. 9
scheinbar null für den Dandy. Es war ihm egal, wer oder was das ist oder war. Und trotzdem wurde das Buch dieses Wort von außen bald nicht mehr los. Es folgt ihm aus den Feuilletons heraus zu und blieb an ihm pappen. Bis heute weiß ich trotzdem nicht, was das eigentlich soll: Dandy.50 Dieser Standpunkt ist so nicht haltbar, denn die Konnotationen zwischen dem Quintett, Tristesse Royal und dem Dandytum bleiben. Auch Moritz Baßler zeigt auf das Verhältnis zwischen den Popliteraten und ihren Werken und dem Dandy des Fin de Siècle, wenn er den Protagonist in Benjamin v. Stuckrad-Barres Soloalbum (1998) analysiert: „Eine solche Handlung war im letzten Fin de Siècle verkörpert in der Gestalt des Dandys und einer entsprechenden Literatur für fortgeschrittene Junggesellen“.51 Die popmoderne Dandyfigur und die Dandyfigur des Fin de Siècle haben viele gemeinsame Merkmale: Mode, Geld, Eleganz, Exklusivität, Ironie, Sarkasmus, Oberflächlichkeit und vor allem Gefühlskälte.52 Der Dandy wird oft als ein kaltblütiger, eleganter, gefühlloser Mann dargestellt, aber nach Bärbel Westphal hat der Dandy Gefühle. Sie sind mehr oder weniger gut verborgen, aber sie haben eine zentrale Funktion, die zwischen dem Fin de Siècle-Dandy und dem popmodernen Dandy unterscheidet. Die Gefühle des Dandys des Fin de Siècle betreffen die Gefühle verbotener Leidenschaften, während die Gefühle des popliterarischen Dandys eine verborgene Aggressivität betreffen.53 2.2 Ironie Die Ironie als rhetorisches Mittel hat eine alte Tradition von Studien und Interpretation in verschiedenen geistlichen Wissenschaften, z.B. der Philosophie, der Sprachwissenschaft und der Literaturwissenschaft, und die Wesensart der Ironie wurde schon von Sokrates und Aristoteles besprochen. Die Ironie kann potenziell in jeder Gattung von gesprochener und geschriebener Sprache verwendet werden.54 Der Begriff ‚Ironie‘ wurde im 18. Jahrhundert aus dem Latein ironiʹa, Griechisch eirōneia ‚Verstellung‘ in die deutsche Sprache entlehnt.55 Die allgemeine Auffassung ist, dass es 50 Bessing, Joachim: „Alles am Dandy ist müde“. In: Die Welt. (25. November 2000). 51 Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002. S. 121. 52 Erbe 2009. S. 16. 53 Westphal, Bärbel: „Haben Dandys Gefühle? Ein Vergleich von Texten der Jahrhundertwenden um 1900 und im Hinblick auf Darstellung von Emotionen bei Thomas Mann, Stefan Zweig, Christian Kracht und Elke Naters“. In: Grub, Frank Thomas und Stoeva-Holm, Dessislava (Hg.): Emotionen – Beiträge zur 12. Arbeitstagung schwedischer Germanistinnen und Germanisten Text im Kontext in Visby am 15./16. April 2016. Berlin 2018. S. 105 – 139, hier S. 105. 54 Booth, Wayne C.: A Rhetoric of Irony. Chicago 3. Auflage 1991. S. 9. 55 Duden Online Wörterbuch: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/Ironie 01.06.2020. 10
drei Arten von Ironie gibt: situative Ironie, dramatische Ironie und verbale Ironie.56 Die situative und die dramatische Ironie sind Zustände, die entstehen, wenn die Welt oder das Schicksal als ironisch aufgefasst werden, z.B. ein Veganer, der von einer Kuh zu Tode getrampelt wird oder ein Dieb, der bestohlen wird. Sowohl situative als auch dramatische Ironie kommen in Texten vor. Der Unterschied zwischen situativer Ironie und dramatischer Ironie ist laut Henk Haverkate, dass dramatische Ironie das Erzählen eines ironischen Ereignisses ist, wenn das Publikum oder der Leser etwas weiß, was die Figuren des Stücks oder des Romans nicht wissen, z.B. in Shakespeares Romeo und Julia, wenn Romeo sich umbringt, weil er glaubt, dass Julia gestorben ist.57 Das Publikum weiß aber, dass dieses nicht wahr ist und das Stück endet in tragischer, dramatischer Ironie. Als Beispiel für situative Ironie in Text dient der Roman Curtain. The Last Case of Poirot (1975) von Agatha Christie. Der Protagonist, Detektiv Poirot, nimmt das Recht in eigene Hände und ermordet den Antagonisten, einen Serienmörder. Der Held ist also zum Verbrecher geworden, was dem Leser und den anderen Figuren bis zum Ende des Romans unbewusst ist. Die überraschende Wahrheit wird erwähnt und der Roman endet in situativer Ironie. In der vorliegenden Untersuchung wird jedoch ausschließlich die dritte Art der Ironie, die verbale Ironie, betrachtet. Die verbale Ironie ist ein sprachliches Phänomen. Verbale Ironie entsteht, wenn eine ironisch (oder nicht-ironische) Äußerung als ironisch interpretiert wird, z.B. „Brutus ist wirklich ein loyaler Mensch.“ Im Beispiel steht die Äußerung ohne kontextuelle Verbindung, aber nicht ohne Konnotationen. Wer die Geschichte der Konspiration gegen Julius Caesar kennt, der weiß um die Inkongruenz zwischen den Wörtern ‚Brutus‘ und ‚loyal‘, da Brutus illoyal ist und Caesar ermordet, und würde die Äußerung als ironisch interpretieren. Wer die Geschichte von der Ermordung Caesars nicht kennt, der würde die Äußerung wahrscheinlich nicht als ironisch interpretieren. Das bedeutet, dass die Ironie erst in der Rezeption wirksam wird. Laut Heinrich F. Plett gibt es Signalarten der verbalen Ironie, u.a. Euphemismen, rhetorische Fragen, die Litotes, die Emphase, Satzabbrüche, Zitat-Signale, Ethos-Signale, erwartungswidrige Rollen, Hyperbeln und Stilbrüche,58 aber laut Hannele Kohvakka braucht eine sprachliche Äußerung keine besonderen sprachlichen ‚Signale‘ oder ‚Merkmale‘, um als ironisch aufgefasst zu werden. Wie im 56 Attardo, Salvatore: „Irony As Relevant Inappropriateness“. In: Gibbs, Raymond W. und Colston, Herbert L. (Hg.): Irony in Language and Thought. A Cognitive Science Reader. New York, London 2007. S. 135 – 172, hier S. 136. (Vgl. Muecke, Douglas C.: The Compass of Irony. London 1969). 57 Havekate, Henk: „A Speech act Analysis of Irony“. In: Journal of Pragmatics. 14. 1990. S. 77 – 190, hier S. 78. 58 Plett, Heinrich F.: Einführung in die rhetorische Textanalyse. Hamburg 9. Auflage 2001. S. 120 – 124. 11
Beispiel gezeigt, kann die verbale Ironie sich „von Inkongruenzen in Bezug auf außersprachliche Gegebenheiten, situativ, konstituieren. Das Verstehen solcher Ironie setzt die genaue Kenntnis der Situation, der Person des Sprechers usw. voraus“.59 Im folgenden Abschnitt wird zunächst die frühere Forschung zur verbalen Ironie präsentiert und danach frühere Forschung zur Ironie im Hinblick auf das Dandytum. 2.2.1 Verbale Ironie in der Linguistik Rhetorische Stilmittel, wie die Ironie, sind Schmuckformen der Rede, wobei die antike Rhetorik zwischen Formen des Redeschmucks in Wortverbindungen und in Einzelwörtern unterscheidet. Redeschmuck in Wortverbindungen sind Stilmittel wie z.B. Anaphern, Auslassungen und (Wort-)Umstellungen, die ein Wort besonders hervorhebt, zu Erhöhung oder Verminderung.60 Die Ironie ist nach Benedikt Jeßing und Ralph Köhnen eine Gedankenfigur, wie in Wortverbindungen: Die Gedankenfigur der Ironie ist ein problematisches rednerisches Mittel, da sie, auf den ersten Blick, die Wahrheit verbirgt: Der Redner weiß mehr, als er seinem Publikum mitteilt; er kann so etwa Gegenargument bewusst übertrieben darstellen, um sie zu entwerten und ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Allerdings muss er in seine Rede Signale einbauen dafür, dass er gerade ironisch spricht, so dass das Publikum die Spannung zwischen dem gerade Gehörten und dem im Hintergrund stehende Wissen oder Meinen des Redners realisieren kann.61 Im Gegensatz zu Jeßing und Köhnen betrachtet Kenneth Burke die Ironie als eine Gedankenfigur des Redeschmucks in Einzelwörtern, die in der rhetorischen Tradition eine größere Zahl von Formen bildet. Zu diesen zählen die für die Literatur zentralen sprachlichen Bilder der sogenannten Tropen. Innerhalb der rhetorischen Figuren umfasst die große und wichtigste Gruppe der Tropen alle in übertragenem Sinn gebrauchten Ausdrücke, die anstelle der „eigentlichen“ Sprechweise treten. „Die Ersetzung des 59 Kohvakka, Hannele: Ironie und Text. In: Hartmut Schröder (Hg.): Nordeuropäische Beiträge aus den Human- und Gesellschaftswissenschaften; Bd. 13. Frankfurt am Main 1997. S. 16. 60 Jeßing, Benedikt und Köhnen, Ralph: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Stuttgart 4. Auflage 2017. S. 218. Beispiele der Redeschmuck in Wortverbindungen: Anapher: „Eilt, lauft, ihr trüben Tage, Eilt, lauft vorbei, Eilt, mach mich frei Von aller meiner Plage!“ (Fleming: Es ist umsonst das Klagen), Auslassungen (Ellipse): „Ich dich ehren? Wofür“? (Goethe: Prometheus) und Wortumstellungen (Inversion): „Leergebrannt ist die Stätte, Wilder Stürme rauhes Bette“ (Schiller: Das Lied von der Glocke). 61 Jeßing & Köhen 2017. S. 220. 12
eigentlichen Ausdrucks durch einen uneigentlichen, bildhaften kann durch ganz unterschiedliche Übertragungsoperationen vollzogen werden – ein Kriterium, nach dem die einzelnen Tropen voneinander unterschieden werden können“.62 Nach Burke gibt es vier Haupttropen – die Metapher, die Metonymie, die Synekdoche und die Ironie.63 Laut Lausberg ist die Ironie eine Wortfigur (Tropus) und zugleich eine Gedankenfigur. Als Wortfigur sei Ironie „Ausdruck einer Sache durch ein deren Gegenteil bezeichnendes Wort“.64 Die Neigung der Ironie als Gedankenfigur besteht darin, dass die Ironie, die durch ein Wort ausgedrückt werden kann, auf den ganzen Satz und Satzzusammenhang wirkt. Also kann Ironie als Wortfigur aus dem Sprachlichen verstanden werden, während die Ironie als Gedankenfigur oft erst im außersprachlichen Kontext verstanden werden kann.65 Wenn die Ironie aus dem Sprachlichen zu verstehen ist, geht die Inkongruenz innerhalb einer Aussage deutlich hervor, z.B. „Das war ja sehr clever, Dummkopf“! Die Ironie entsteht hier durch die semantische Inkongruenz zwischen der Adjektivphrase ‚sehr clever‘ und der Nominalphrase ‚Dummkopf‘, d.h. die Ironie kann ohne außersprachlichen Kontext aufgefasst werden. Die linguistischen Untersuchungen zur Ironie gehen von zwei verschiedenen Betrachtungen aus: einerseits von grammatischen, lexematischen, und stilistischen Inkongruenzen, andererseits von sprachakttheoretischen und kommunikativen Aspekten.66 Die klassische Definition der Ironie ist die „Inkongruenz durch Verstellung der Wahrheit“. Der Ironiker sagt nicht was er meint, sondern das direkte Gegenteil vom dem, was im Text oder Kontext erwartet wird. Nach Paul H. Grice ist die Ironie eine Übertretung der Qualität-Maxime und deswegen kann sie nur durch das Kooperationsprinzip aufgefasst werden.67 Die Qualität-Maxime ist nach Grice eine der wichtigsten Maxime der Rede, denn bei dieser geht es um die Wahrheit einer Aussage, z.B. „Wunderbares Wetter“! Wenn das Wetter tatsächlich wunderbar ist, dann entspricht die Aussage der Qualität-Maxime, aber wenn das Wetter offenbar schlecht ist, wird die Äußerung lieber als eine ironische Äußerung verstanden bzw. eine Lüge. Wer eine 62 Jeßing & Köhen 2017. S. 221. 63 Burke, Kenneth: A Grammar of Motives. Los Angeles 1969. S. 503. (Vgl. Braungart, Wolfgang: „Eironeia Urbana“. In: Burkhardt, Armin und Nerlich, Birgitte (Hg.): Tropical Truth(s) – The Epistemology of Metaphor and Other Tropes. Berlin/New York 2010. S. 323 – 338.) Beispiele der Tropen: Metapher: Er ist das schwarze Schaf der Familie. Metonymie: Er ist ein Skinhead. Synekdoche: Lasst uns ein Glas trinken. 64 Lusberg 1990 S. 302 – 303. 65 Lausberg 1990. S. 446 – 447. 66 Kohvakka 1997. S. 205. 67 Grice, Paul H.: „Logic and conversation“. In: Cole, Peter und Morgan, Jerry L. (Hg.): Syntax and semantics. Vol. 3: Speech Acts. New York, San Fransisco, London 1975. S. 41 – 58, hier 42. 13
ironische Aussage äußert, sagt nicht, was er meint, d.h. er lügt, aber durch außersprachliche Kontexte und ein übereinstimmendes Verständnis zwischen Sprecher und Hörer wird die Wahrheit verstanden. Desgleichen wird die Ironie fast immer mit Negativität und Kritik verbunden – a face threatening speech act.68 Auch Grice meint, dass die Ironie immer negativ ist: „I cannot say something ironically unless what I say is intended to reflect a hostile or derogatory judgment or a feeling such as indignation or contempt“. Norton Groeben meint jedoch, dass obwohl ironische Sprachakte oft in konflikthaften Situationen entstehen, sie trotzdem „positive“ (a face saving speechact) sein können. Nach Groeben gibt es vier Typen von verbaler Ironie: die sich-wehrende, schützende Ironie, die konstruktiv-kritische Ironie, die arrogante Ironie und die liebevolle Ironie – ,Lob durch Tadel‘. Wenn ein Missverständnis entsteht und die Äußerung liebevoller Ironie als wörtlich verstanden wird, kann der Sprecher immer auf die Ironie hinweisen: „Das habe ich doch nur ironisch gemeint“. Desgleich gilt dem ‚Tadel durch Lob‘, denn der Sprecher kann die Intention der Äußerung korrigieren – von einem face threatening Sprachakt zu einem face saving Sprachakt, z.B., „Das habe ich doch gar nicht ironisch gemeint, denn Brutus ist wirklich ein loyaler Mensch“.69 Nach u.a. Lutz Röhrich (1977), Kohvakka (1997) und Leonor Ruiz Gurillo (2013) besitzt die Ironie eine Komik, denn sie spielt mit herrschenden Werten und Normen und operiert gegen die erwartbare Alltagslogik. Die Ironie operiert also auf derselben Basis wie der Humor und Witz und kann leicht mit anderen stilistischen Phänomenen, z.B. Satire, Parodie oder Travestie, verwechselt werden, denn sie sind sich sehr ähnlich. Nach Röhrich besteht der Unterschied zwischen dem Witz und der Ironie darin, dass Witz und Humor unabsichtlich entstehen können, während die Ironie immer absichtlich ist.70 Kohvakka zählt drei Eigenschaften auf, die die Ironie von allen oben genannten Phänomenen unterscheidet: Erstens wird nur bei der Ironie die Verstellung (d.h. etwas sagen, das Gegenteil oder etwas anderes meinen) versteckt signalisiert, und deswegen ist die Ironie nur unter gleichgesinnten Kommunikationspartnern möglich. Zweitens kann nur durch die Ironie das direkte Gegenteil des Gemeinten geäußert werden und drittens entstehen bei der Ironie zwei Interpretationsmöglichkeiten – die ironische und die wörtliche. „Bei Bedarf kann entweder auf die Ironie hingewiesen oder ein Rückzug auf 68 Kohvakka 1997. S. 22. 69 Groeben, Norbert: „Ironie als spielerischer Kommunikationstyp? Situationsbedingungen und Wirkungen ironischer Sprechakte“. In: Kallmeyer, Werner (Hg.): Jahrbuch 1985 des Instituts für deutsche Sprache. Bd. 67. Düsseldorf 1986. S. 172 – 192, hier S. 183 – 184. 70 Röhrich, Lutz: Der Witz: Figuren, Formen, Funktionen. Stuttgart 1977. S. 73. 14
die wörtliche Aussageebene vollgezogen werden“.71 Ruiz Gurillo formuliert jedoch einen schärferen Unterschied zwischen Ironie und Humor: Although contact points exist (humorous irony and ironic humour), they are actually distinct phenomena: Unlike irony, which is a pragmatic fact, humour is simultaneously semantic and pragmatic. […] Irony additionally entails negative inferences, whereas humour requires a substitution of one script for another. More specifically, irony is understood as indirect negation, while humour basically revolves around a script-replacing antonymy mechanism.72 Die Definition der verbalen Ironie, auf die sich mehrere Sprachwissenschaftler beziehen, lautet nach Lausberg: „der Ausdruck von etwas durch ein Wort, das sein Gegenteil beschreibt“.73 Jedoch übersieht nach u.a. Alice Myers Roy (1977, 1981) und Katharina Barbe (1995) diese Definition die Vielseitigkeit der verbalen Ironie. Myers Roy unterscheidet zwischen zwei Arten von Ironie, Ironie auf der Satzebene und Ironie auf der pragmatischen Ebene,74 und sie hebt hervor, dass der Ironiker nicht unbedingt das Gegenteil von dem Gemeinten sagt, sondern nur etwas anderes.75 Barbe meint jedoch, dass es nicht möglich ist, eine absolute Definition der Ironie zu finden: „Perhaps because of the ever-changing and often chaotic nature of language, we will never arrive at a static theory of irony […] because irony will always be in flux, we cannot speak of a single possible interpretation of irony“76. Sie betont, dass die klassische Definition der Ironie sich nicht in der Sprachwissenschaft gründet, sondern in der Rhetorik, und dass die ursprüngliche Funktion der Definitionen pädagogisch ist, um einen Sprecher „in the art of oratory“ auszubilden. Folglich gibt es Raum für weitere Forschung über die verbale Ironie.77 71 Kohvakka 1997. S. 29. 72 Ruiz Gurillo, Leonor: „Narrative strategies in Buenafuente’s humorous monologues”. In: Ruiz Gurillo, Leonor und Alvardo Ortega, Belén M. (Hg.): Irony and Humour: From pragmatics to discourse. Amsterdam, Philadelphia 2013. S. 107 – 140, hier S. 131 – 141. 73 Lausberg 1998. S. 266. [the expression of something by means of a word that describes its opposite] 74 Myers Roy, Alice: „Toward a definition of irony“. In Fasold, Ralph W. und Shuy, Roger W. (Hg.): Studies in language variation. Washington, DC 1977. S. 171 – 183, hier S. 171. 75 Myers Roy, Alice: „The function of irony in discourse“. In: Text and Talk. 1;4, 1981. S. 407 – 423, hier S. 411. 76 Barbe, Katharina: Irony in Context. Cambridge 1995. S. 64. 77 Barbe 1995. S. 65. 15
2.2.2 Verbale Ironie in der Literaturwissenschaft Wort-, Gedanken- und Sinnfiguren sowie die verbale Ironie und die anderen Tropen sind nicht nur Schmuckelemente der Rede, sondern auch wichtige stilistische Gestaltungsmittel des literarischen Textes.78 Ironie als literarisches Phänomen ist ausführlich untersucht worden. Laut Uwe Japp ist die Ironie „eine Art Grenzgänger zwischen Literatur und Philosophie“, deren sprachlicher Grund darin besteht, dass sie „zugleich dasselbe und anderes sagt“, und dadurch kommentiert auch die ironische Aussage das Gesagte.79 Japp bezieht sich auf das klassische Ironie-Konzept: Der Ironiker verstellt die Wahrheit, wenn er etwas anderes sagt, als er meint. Japp hebt hervor, dass der Leser mit den außersprachlichen kulturellen Sachverhalten des Autors einverstanden sein muss, um die Ironie auffassen zu können, weil die Ironie immer das Wissen in Frage stellt und auf Normen zielt. Das bedeutet nach Japp, dass wegen der verbalen Ironie eine Distanzierung zwischen dem Hörer/Leser und dem Sprecher/ Erzähler entstehen kann.80 Wie Japp betont auch Douglas C. Muecke, dass die Kodierung und Dekodierung verbaler Ironie in einem sozio-kulturellen Kontext gesehen werden müssen. Beim Reden kann die Ironie u.a. von dem „Ton“ des Sprechers beeinflusst werden, und laut Muecke gibt es verschiedene Signale der Ironie, die im Text verwendet werden können, z.B. Über- und Untertreibungen, Widersprüche und plötzliche Stilbrüche der Sprache.81 Muecke spricht die Ironie aus einer literarischen rhetorischen Perspektive an, und nach ihm steht die Ironie im engen Verhältnis zu dem Ernst, denn die Ironie drückt die ernste Wahrheit durch eine Lüge aus.82 Dieser Kontrast zwischen der Wirklichkeit des Ironikers und dem Schein ist nach Muecke die Grundlage aller Ironie.83 Laut Kovhakka können lexematische Erscheinungen, wie die von Muecke genannten Ironie-Signale, nie garantieren, dass eine ironische Äußerung als ironisch dekodiert wird.84 Im Gegensatz zu Japp und Muecke meint Kohvakka, dass die sozio-kulturelle Übereinstimmung zwischen Leser und Autor nicht der wichtigste Faktor ist, um gelungene verbale Ironie (wenn eine ironische Äußerung als ironisch verstanden wird) zu erreichen, sondern nach Kohvakka ist der Kontext der absolute Schlüssel der Ironie: 78 Jeßing & Köhnen 2017. S. 223. 79 Japp, Uwe: Theorie der Ironie. Frankfurt am Main 1983. S. 23 – 31. 80 Japp 1983. S. 37 – 45. 81 Muecke, Douglas C.: Irony and the Ironic. New York 1982. S. 40 – 43. 82 Muecke 1982. S. 4. 83 Muecke 1982. S. 33. 84 Kohvakka 1997. S. 205 16
Es gibt jedoch auch viele Texte, in denen keine besonderen sprachlich stilistischen Merkmale zu finden sind und auch die gegebenen außersprachlichen Sachverhalte dem Leser/Hörer unbekannt sind. Jeder Leser kann unmöglich alle historischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, persönlichen usw. Verhältnisse kennen, in denen ein Autor lebt(e) und schreibt/schrieb; er kennt oft nur diejenigen, die der Autor beschreibt. Trotzdem können auch solche Texte als ironisch interpretiert werden.85 Verbale Ironie existiert nur im Verhältnis zum Kontext, denn nur im Kontext kann eine Äußerung als ironisch verstanden werden. Kohvakka meint auch, dass ironische Texte immer argumentativ sind, denn in der ironischen Aussage drückt sich die Haltung des Ironikers gegenüber dem Ziel oder dem „Opfer“ aus.86 Monika Fludernik betrachtet, wie Muecke und Kohvakka, die Ironie aus einer literarischen und rhetorischen Perspektive und sie unterscheidet zwischen zwei Ebenen der Ironie: Ironie des Autors – implizierte Ironie – und Ironie des Erzählers – explizierte Ironie: If there is a textual speaker who utilizes contradictions on whatever level, one can speak of narrational or narratorial irony; if the contradictions are recognized only by the reader, and the ironic intent is hence attributed to the (implied) author rather than the narrative voice, one can call this authorial irony.87 Nach Fludernik vermittelt diese Unterscheidung die Basis für das narratologische Konzept von Unzuverlässigkeit.88 Diese Unterscheidung der textuellen verbalen Ironie gründet sich auf Wayne C. Booths Konzept von stabiler und nicht-stabiler Ironie (stable and unstable irony).89 Autoren, die stabile Ironie verwenden, möchten die Interpretationsmöglichkeiten des Lesers abgrenzen, denn durch stabile Ironie soll der Leser eine tiefere Bedeutung entdecken. Nach Booth gibt die stabile Ironie dem Leser ein Gefühl von Zusammengehörigkeit mit dem Autor: „[The] author I infer behind the false words is my kind of man, because he enjoys playing with irony, because he assumes my capacity for dealing with it, and […] he grants me a kind of wisdom“.90 Nicht-stabile Ironie ist schwankend und unsicher, denn im Gegensatz zur stabilen Ironie bietet sie dem 85 Kohvakka 1997. S. 16. 86 Kohvakka 1997. S. 205. 87 Fludernik, Monika: The Fictions of Language and the Language of Fiction. New York, London 2001. S. 352. 88 Fludernik 2001. S. 359. 89 Booth, Wayne C.: The Rhetoric of Irony. Chicago 1974. S. 25. 90 Booth 1974. S. 28. 17
Leser keinen sicheren Grund für die Interpretation der Ironie an, also ist die Interpretation der Ironie ganz und gar von dem Weltwissen und der Kreativität des Lesers abhängig.91 Wie Fludernik meint auch Booth, dass die Ironie in Verbindung mit der (Un)Zuverlässigkeit des Erzählers steht.92 Die 1980er Jahre waren die goldene Zeit der Ironie der deutschsprachigen Literatur, aber schon in den 1990er wurde sie als „abgenutzt“ betrachtet, weil sie nach Eckhard Schumacher „kontraproduktiv und überflüssig erscheint, wenn sie in eingespielter, einfach abrufbarer Form auf Dauer gestellt, generalisiert, zum Normalfall stilisiert wird“.93 Diese Meinung wird auch von Diedrich Diederichsen geteilt: „Ironie sei vorbei. Der Verdacht nämlich, nichts als Ironie zu produzieren, war zu massiv geworden“.94 Das Ironie-Problem wird auch von der Adlon-Gruppe in Tristesse Royal diskutiert, wo sie die zeitgenössische Popkultur als „ironic-Hell“ charakterisiert.95 Nach ihnen ist das konstante „Re-Modeling“ eine der Ursachen des Ironie- und Originalität-Problems.96 Jedoch bleibt die Ironie ein häufig verwendetes Stilmittel auch in der späteren Popliteratur, denn „es ist keine andere Haltung an ihre Stelle getreten“.97 Nach Christopher Rauen spielt die Ironie in der deutschsprachigen Popliteratur eine sehr wichtige Rolle: „Als Kommunikationsmedium transformiert die Ironie die Unwahrscheinlichkeit der Annahme von Originalitätsbehauptungen in Wahrscheinlichkeit, indem sie den Trivialitätsverdacht vorwegnimmt und entkräftet“. Rauen meint also, dass die Ironie die „postmoderne Musterlösung des Originalitätsproblems ist“.98 2.2.3 Der Dandy als ironische Figur Die Ironie ist ein Merkmal der urbanen Sprache, die laut Sima Godfrey während des 19. Jahrhunderts parallel mit dem Wachsen der Großstädte und dem Entstehen des Dandyismus ihre moderne Konnotationen bekam: „[D]andyism might thus be considered 91 Booth 1974. S. 20 – 25. 92 Booth, Wayne C.: The Rhetoric of Fiction. Chicago 2. Auflage 1983. S. 158ff. 93 Schumacher, Eckhard: „Das Ende der Ironie (um 1800/um 2000)”. In: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1. 2003. S. 18 – 39, hier S. 36. (Vgl. Ernst 2001. S. 90 ff.) 94 Diederichsen, Diedrich: „Die License zur Nullposition. Goldene Zeit für Literatur (XII): Deutsche Schriftsteller produzieren wider eine Ironie, die auf einer Normalität ruht, für die sich keiner mehr schämt“. In: Die Tageszeitung 07.08.2000. 95 Bessing 1999. S. 144. 96 Bessing 1999. S. 132 ff. 97 Diederichsen 2000. 98 Rauen, Christoph: Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000. Berlin/ New York 2010. S. 219. 18
as a manner bred out of and in reaction to new conditions of urban society“.99 Godfrey meint, dass es genau so kompliziert sei, eine absolute Definition des Begriffs ‚Dandy‘ zu finden als eine absolute Definition der Ironie, denn sie sind beide von Situation und Rezeption abhängig: In each case, like the ironic figure in discourse, he is measured up to his performance by the standards of presupposed context; and depending on how we perceive that context and our relationship to it, he can be read alternately as absurd or sophisticated.100 Nach Godfrey ist es die selbstgewählte Distanzierung von der Mediokrität des Alltagslebens des Bürgertums, die dem Dandy das Merkmal von Überlegenheit und Ironie schenkt, denn durch die Distanzierung erlaubt der Dandy dem Bürgertum, das sich außerhalb seiner privaten Sphäre befindet, ihn als extravagant oder exzentrisch zu beurteilen. Die klassische Idee von verbaler Ironie ist, dass der Ironiker das Gegenteil von dem sagt, was er eigentlich meint, aber nach Godfrey sagt der Dandy das Gegenteil von dem, was von anderen erwartet wird.101 Dies passt zum Bild des Dandys als Rebellen, denn nach Schickedanz wollten die Dandys nicht der Massengesellschaft durch Distanzierung den Rücken kehren. Diese kreative Elite wollte auf ihre Umwelt durch kultivierte Eleganz, Witz und Ironie einwirken: Mit dieser freilich auch von Innen kommenden Abstrahlung, mit seinem kalten und oft auch ironischen Geist wandte er sich gegen Gleichmacherei und Mediokrität der heraufziehenden Demokratien und gegen das nach immer größerer Machtentfaltung strebende Bürgertum.102 Schickedanz meint auch, dass die Ironie eine „Überlebungsstrategie“ des Dandys des 20. Jahrhunderts ist, denn der Dandy verfügt meist nicht über die Privilegien des romantischen Dandys, z.B. ansehnlichen Reichtum und Muße: „Sich seiner misslichen Lage durchaus bewusst, neigt er denn auch zu ironischem und/oder sarkastischem Verhalten, um den oft unauflösbaren Widerspruch zwischen Sein und Schein, zwischen Wunsch und Realität besser ertragen zu können“.103 Auch Barbey malt die Ironie als ein 99 Godfrey, Sima: „The Dandy as Ironic Figure“. In: SubSance. 11;3 1982. S. 21 – 33, hier. S. 26. (Vgl. Braungart 2010. S. 324.) 100 Godfrey 1982. S. 23 – 24. 101 Godfrey 1983. S. 24 – 28. 102 Schickedanz 2000. S. 47. 103 Schickedanz 2000. S. 221. 19
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