ALLGEMEINE BEITRÄGE - KRIPOZ 2
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KriPoZ 2 | 2021 79 ALLGEMEINE BEITRÄGE Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet Kritische Bemerkungen zum Regierungsentwurf vom 10.2.2021 von Prof. Dr. Mark A. Zöller* Abstract meist noch beträchtlichen Stapels an abzuarbeitenden Am 10.2.2021 hat die Bundesregierung ihren Entwurf zur Punkten aus dem Koalitionsvertrag beginnt ein Rennen Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattfor- gegen die Zeit bzw. die drohende Diskontinuität. Juristi- men im Internet und des Bereitstellens entsprechender sche Details geraten dann zunehmend in den Hintergrund. Server-Infrastrukturen vorgelegt. Kernstück der vorge- Es zählen vor allem die Haken auf der selbst verfassten schlagenen Neuregelung ist die Einführung eines neuen „Gesetzgebungs-Checkliste“. Anders kann man sich auch § 127 StGB, mit dem solche Verhaltensweisen nunmehr den am 10.2.2021 beschlossenen Gesetzentwurf der Bun- eigenständig unter Strafe gestellt werden sollen. Dabei desregierung für ein „Gesetz zur Änderung des Strafge- wird jedoch verkannt, dass bereits de lege lata ausrei- setzbuches – Strafbarkeit des Betreibens krimineller Han- chende Möglichkeiten zur Strafverfolgung bestehen, so delsplattformen im Internet und des Bereitstellens ent- dass die behaupteten Regelungslücken nicht existieren. sprechender Server-Infrastrukturen“ (im Folgenden Die Umsetzung des Entwurfs würde in der Rechtspraxis RegE)1 kaum erklären. Strafrechtsdogmatischen Sinn lediglich zu einer unverhältnismäßigen Erhöhung des ergibt er kaum, aber man kann ihn taktisch gut als weite- Strafniveaus führen. Dies gilt vor allem deshalb, weil die ren Schritt im Kampf gegen Internetkriminalität im Allge- ebenfalls vorgeschlagenen Qualifikationstatbestände so meinen und Kinderpornografie im Speziellen verkaufen – formuliert sind, dass sie nicht den Ausnahme-, sondern ein Totschlagsargument, mit dem sich auf der rechtspoli- den Regelfall abbilden. tischen Bühne nahezu jeder juristische Widerstand im Keim ersticken lässt. Und außerdem findet sich im Koali- On February 10th, 2021, the German Federal Govern- tionsvertrag von CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2017 ment presented its bill on the culpability for operating eben folgende Formulierung: „Wo Strafbarkeitslücken criminal trading platforms on the internet and providing bestehen, werden wir eine Strafbarkeit für das Betreiben the necessary server infrastructure. Core piece of this krimineller Infrastrukturen einführen, um speziell im In- draft is the introduction of a new paragraph 127 to the ternet eine Ahndung von Delikten wie z.B. das Betreiben German Criminal Code creating a stand-alone criminal eines Darknet-Handelsplatzes für kriminelle Waren und offence for such actions. This proposal ignores the fact Dienstleistungen einzuführen.“2 Es wird im Folgenden that the existing German Criminal Law System already noch zu begründen sein, dass es in diesem Kontext ent- provides ample opportunities to prosecute such behavior. scheidend auf die ersten drei Worte dieser Formulierung Legal loopholes for criminal offenders claimed by the („wo Strafbarkeitslücken bestehen“) ankommt. Dies German Federal Government actually do not exist at all. wurde bereits beim ersten Anlauf zur Schaffung eines ei- An implementation of the bill would only lead to an un- genen Straftatbestandes für das Betreiben krimineller proportionate rise in criminal punishment. This is mainly Handelsplattformen im Internet vor fast zwei Jahren ver- due to the fact that the qualifying provisions proposed by kannt.3 the Government, in practice, would not cover the excep- tion, but the rule of criminal behavior in this area. Schon Anfang 2019 hatte Nordrhein-Westfalen eine Bun- desratsinitiative4 angestoßen, die anschließend in den I. Vorbemerkungen und gesetzgeberische Vorge- Bundestag eingebracht wurde und letztlich im „Entwurf schichte eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Einführung einer ei- genständigen Strafbarkeit für das Betreiben von internet- Gegen Ende jeder Legislaturperiode entfalten die jewei- basierten Handelsplattformen für illegale Waren und lige Bundesregierung und die zuständigen Fachministe- Dienstleistungen“ vom 17.4.20195 mündete. Darin wurde rien traditionell hektische Betriebsamkeit. Angesichts des die Einführung eines neuen § 126a StGB vorgeschlagen.6 2 * Prof. Dr. Mark A. Zöller ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, S. „Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, Koalitions- Wirtschaftsstrafrecht und das Recht der Digitalisierung sowie Ge- vertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, schäftsführer des Instituts für Digitalisierung und das Recht der In- S. 128. 3 neren Sicherheit (IDRIS) an der Ludwig-Maximilians-Universität Näher zur bisherigen Gesetzgebungsgeschichte Zöller, KriPoZ München. 2019, 274 (277 ff.). 4 1 Abrufbar unter https://kripoz.de/wp-content/uploads/2021/02/RegE BR-Drs. 33/19. 5 _kriminelle_Handelsplattformen.pdf (zuletzt abgerufen am BT-Drs. 19/9508. 6 3.3.2021). Abgedruckt bei Zöller, KriPoZ 2019, 274 (277 f.).
80 KriPoZ 2 | 2021 Da sich Bayern mit seinen inhaltlich weitergehenden Vor- II. Gesetzentwurf der Bundesregierung schlägen im Bundesrat nicht durchsetzen konnte, ver- suchte man daraufhin, die bayerischen Vorstellungen über 1. Einführung eines neuen (Grund-)Tatbestands die „Hintertür“ des vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat vorgelegten Referentenentwurfs für Konkret sieht der Regierungsentwurf vor allem die Ein- ein „IT-Sicherheitsgesetz 2.0“ erneut in die rechtspoliti- führung eines neuen § 127 StGB mit der Überschrift „Be- sche Debatte einzuspeisen, dessen Art. 4 einen Alternativ- treiben krimineller Handelsplattformen im Internet; Be- vorschlag für einen neu zu schaffenden § 126a StGB ent- reitstellen von Server-Infrastrukturen“ vor. Der Ent- hielt.7 Dieses politische Manöver führte dem Vernehmen wurfstext dieser Vorschrift lautet wie folgt: nach zu Irritationen zwischen dem BMI und dem für Fra- gen des materiellen Strafrechts regelmäßig federführen- (1) Wer eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren den BMJV. Insofern schien das Projekt eines neuen Straf- Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechts- tatbestandes für das Betreiben krimineller Handelsplatt- widrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit formen im Internet zunächst gescheitert zu sein. Fast an- Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe be- derthalb Jahre lang herrschte diesbezüglich sprichwörtlich straft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit Funkstille. Schließlich hatte das Gesetzgebungsvorhaben schwererer Strafe bedroht ist. Ebenso wird bestraft, wer zwischenzeitlich erhebliche, teilweise auch vernichtende absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur für Kritik im juristischen Schrifttum erfahren.8 Dabei wurde eine Tat nach Satz 1 bereitstellt. Rechtswidrige Taten im über gesetzgebungstechnische Detailkritik hinaus fast Sinne des Satzes 1 sind durchweg die Erforderlichkeit eines solchen neuen Straf- tatbestandes durch Verweis auf bereits bestehende Straf- 1. Verbrechen, vorschriften im Betäubungsmittelgesetz (BtMG), im Waf- fengesetz (WaffG), bei der Beteiligung an kriminellen 2. Vergehen nach Vereinigungen (§ 129 StGB) sowie vor allem die Beihil- festrafbarkeit (§ 27 StGB) im Hinblick auf die mit Hilfe a) den §§ 86, 86a, 91, 130, 147 und 148 Absatz 1 Nummer der Handelsplattformen begangenen Delikte verneint. 3, den §§ 149, 152a, 152b und 176a Absatz 2, § 176b Ab- satz 2, § 180 Absatz 2, § 184b Absatz 1 Satz 2, § 184c Das BMJV zeigt sich von dieser selten einhelligen Ana- Absatz 1, § 184l Absatz 1 und 3, den §§ 202a, 202b, 202c, lyse durch das Schrifttum – weil nicht sein kann, was nicht 202d, 232 und 232a Absatz 1, 2, 5 und 6, § 232b Absatz 1, sein darf – unbeeindruckt. Als wäre nichts geschehen bzw. 2 und 4 in Verbindung mit § 232a Absatz 5 sowie den geschrieben, hat nun die Bundesregierung einfach einen §§ 233, 233a, 236, 259, 260, 263, 263a, 267, 269, 275, neuen Anlauf genommen. Nach dem Referentenentwurf 276, 303a und 303b, vom 27.11.20209 schlägt nun der Regierungsentwurf die Einführung eines neuen § 127 StGB vor, geht inhaltlich b) § 4 Absatz 1 bis 3 des Anti-Doping-Gesetzes, deutlich über die Vorschlagsfassung des Bundesrats von 2019 hinaus und erwähnt die massive Kritik aus dem c) § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, auch in Verbindung mit Schrifttum auf den immerhin 19 Seiten des Entwurfstex- Absatz 6, und Absatz 2 sowie 3 des Betäubungsmittelge- tes nicht mit einem einzigen Wort. Wer die vorausgehen- setzes, den Vorschläge aus Nordrhein-Westfalen und Bayern aus dem Jahr 2019 kennt, der bemerkt schnell, dass der aktu- d) § 19 Absatz 1 bis 3 des Grundstoffüberwachungsgeset- elle Regierungsentwurf ganz offensichtlich das Ergebnis zes, eines Kompromisses innerhalb der aktuellen Regierungs- koalition ist, der in erstaunlich starkem Maße die ur- e) § 4 Absatz 1 und 2 des Neue-psychoaktive-Stoffe-Geset- sprünglichen bayerischen Vorstellungen widerspiegelt. zes, Inwieweit das alles noch den Grundsätzen seriöser Ge- setzgebung entspricht, soll hier nicht weiter vertieft wer- f) § 95 Absatz 1 bis 3 des Arzneimittelgesetzes, den. In jedem Fall wirft es das traditionell fragile, in letz- ter Zeit aber doch zumindest gefühlt verbesserte Verhält- g) § 52 Absatz 1 Nummer 1 und 2 Buchstabe b und c, Ab- nis zwischen dem für die Einhaltung rechtsstaatlicher und satz 2 und 3 Nummer 1 und 7 sowie Absatz 5 und 6 des verfassungsrechtlicher Standards vorrangig zuständigen Waffengesetzes, BMJV und der einmal mehr ignorierten Strafrechtswis- senschaft faktisch wieder zurück. Schließlich sendet der h) § 40 Absatz 1 bis 3 des Sprengstoffgesetzes, Entwurf eine klare Botschaft: Was im Koalitionsvertrag steht (und was man dort vielleicht etwas vorschnell hin- i) § 13 des Ausgangsstoffgesetzes, eingeschrieben hat), wird umgesetzt, ob es nun juristisch j) den §§ 143, 143a und 144 des Markengesetzes sowie Sinn macht oder nicht. 7 9 Abgedruckt bei Oehmichen/Weißenberger, KriPoZ 2019, 174 (175) Abrufbar unter https://kripoz.de/wp-content/uploads/2020/11/ sowie Zöller, KriPoZ 2019, 277 (278). RefE_kriminelle_Handelsplattformen.pdf (zuletzt abgerufen am 8 Vgl. etwa Oehmichen/Weißenberger, KriPoZ 2019, 174 ff.; Bach- 3.3.2021). mann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 ff.; Greco, ZIS 2019, 435 ff.; Ku- bicielMennemann, jurisPR-StrafR 8/2019 Anm. 1; Greier/Hart- mann, jurisPR-StrafR 13/2019 Anm. 1; Zöller, KriPoZ 2019, 274 ff.; Laudon, StRR 05/2019, 10 ff.
Zöller – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet KriPoZ 2 | 2021 81 k) den §§ 51 und 65 des Designgesetzes. Strafbarkeit nach § 127 StGB-E führen. (2) Handelsplattform im Internet im Sinne dieser Vor- Nicht die subjektive Einstellung des Täters, sondern der schrift ist jede virtuelle Infrastruktur im frei zugänglichen Zweck der Handelsplattform muss darauf ausgerichtet wie im durch technische Vorkehrungen zugangsbe- sein, die Begehung von rechtswidrigen Taten zu ermögli- schränkten Bereich des Internets, die Gelegenheit bietet, chen oder zu fördern. Insofern ist der Zweck der Plattform Menschen, Waren, Dienstleistungen oder Inhalte (§ 11 als objektives Tatbestandsmerkmal ausgestaltet, auf das Absatz 3) anzubieten oder auszutauschen. sich im Rahmen des subjektiven Tatbestands der Vorsatz des Täters beziehen muss. Insofern soll dolus eventualis (3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jah- genügen.14 ren wird bestraft, wer im Fall des Absatzes 1 Satz 1 ge- werbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die Bei den damit in Bezug genommenen rechtswidrigen Ta- sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden ten gilt allerdings nicht die Legaldefinition aus § 11 hat. Abs. 1 Nr. 5 StGB. Stattdessen enthält § 127 Abs. 1 S. 3 StGB-E einen umfangreichen Straftatenkatalog, der die (4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren rechtswidrigen Taten i.S. von § 127 StGB konkretisieren wird bestraft, wer bei der Begehung einer Tat nach Absatz soll. Dieser Straftatenkatalog lässt kaum Wünsche von 1 Satz 1 beabsichtigt oder weiß, dass die Handelsplatt- (Internet-)Ermittlern offen und verlässt erkennbar das ur- form im Internet den Zweck hat, Verbrechen zu ermögli- sprüngliche Regelungskonzept des Bundesratsentwurfs, chen oder zu fördern. das lediglich einen vergleichsweise überschaubaren Kata- log von typischerweise über das Internet begangenen 2. Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet Straftaten vorsah. Der Regierungsentwurf will stattdessen nun zunächst das Betreiben von Handelsplattformen kri- Die zumindest bei formaler Betrachtung zentrale Bestim- minalisieren, deren Zweck auf die Ermöglichung oder mung des Regierungsentwurfs ist § 127 Abs. 1 S. 1 Förderung sämtlicher Verbrechen i.S. von § 12 Abs. 1 StGB-E. Danach soll das Betreiben einer Handelsplatt- StGB ausgerichtet ist. Damit werden alle Verbrechenstat- form im Internet unter Strafe gestellt werden, wenn deren bestände des deutschen Strafrechtssystems – ohne jede Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechts- rechtsgutsbezogene bzw. thematische (z.B. Internetkrimi- widrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, die im nalität) Eingrenzung – zu Bezugstaten des neuen § 127 Katalog des § 127 Abs. 1 S. 3 StGB-E näher bezeichnet StGB. Erfasst sind beispielsweise auch bloße Angebote sind. Insofern wird erkennbar ein weiteres abstraktes Ge- mit praktischen Tipps zur Begehung von Raubüberfällen. fährdungsdelikt normiert.10 Der Begriff der „Handels- Hinzu kommt ein umfangreicher Katalog von Vergehens- plattform“ ist in § 127 Abs. 2 StGB-E legaldefiniert als tatbeständen, der im Kernstrafrecht Staatsschutzdelikte jede virtuelle Infrastruktur im frei zugänglichen wie im (§§ 86, 86a, 91, 130 StGB), Geld- und Wertzeichenfäl- durch technische Vorkehrungen zugangsbeschränkten schungsdelikte (§§ 147, 148 Abs. 1 Nr. 3, 149, 152a, 152b Bereich des Internets, die Gelegenheit bietet, Menschen, StGB), Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Waren, Dienstleistungen oder Inhalte anzubieten oder (§§ 176a Abs. 2, 176b Abs. 2, 180 Abs. 2, 184b Abs. 1 auszutauschen. Damit sollen vor allem Foren und Online- S. 2, 184c Abs. 1, 184l Abs. 1 und 3 StGB), Computer- Marktplätze erfasst werden, wobei unerheblich ist, ob es und Internetstraftaten (§§ 202a, 202b, 202c, 202d, 303a, sich um kommerzielle oder nicht-kommerzielle Plattfor- 303b StGB), Freiheitsdelikte (§§ 232a Abs. 1, 2, 5 und 6, mangebote handelt und ob sie sich etwa auf Kaufge- 232b Abs. 1, 2 und 4 i.V.m. § 232a Abs. 5, 233, 233a, 236 schäfte, Tauschgeschäfte oder Schenkungen beziehen.11 StGB), Hehlerei (§ 259 StGB) und Geldwäsche (§ 260 In technischer Hinsicht müssen solche Plattformen nicht StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Computerbetrug (§ 263a zwingend browserbasiert sein. Vielmehr werden auch StGB) sowie Urkundenstraftaten (§§ 267, 269, 275, 276 Handelsplattformen mit einbezogen, die als administrierte StGB) umfasst. Hinzu kommen zahlreiche Tatbestände Chatgruppen betrieben werden.12 In inhaltlicher Hinsicht des Nebenstrafrechts (§ 4 Abs. 1 bis 3 Anti-Doping-Ge- werden durch die Bezugnahme auf die Ermöglichung oder setz, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, auch in Verbindung mit Ab- Förderung rechtswidriger Katalogtaten Plattformen mit satz 6, und Absatz 2 und 3 Betäubungsmittelgesetz, § 19 rechtmäßigem Geschäftsmodell (z.B. Amazon, Ebay, Abs. 1 bis 3 Grundstoffüberwachungsgesetz, § 4 Abs. 1 Zalando etc.) schon vom objektiven Tatbestand des § 127 und 2 des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, § 95 Abs. 1 S. 1 StGB-E nicht erfasst. Entsprechendes soll für Abs. 1 bis 3 Arzneimittelgesetz, § 52 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Plattformen gelten, die entgegen ihrer legitimen Zielset- lit. b und c, Abs. 2 und 3 Nr. 1 und 7 sowie Absatz 5 und zung im Einzelfall durch einen Nutzer für den Handel mit 6 Waffengesetz, § 40 Abs. 1 bis 3 Sprengstoffgesetz, § 13 illegalen Waren, Dienstleistungen, Inhalten oder mit Men- Ausgangsstoffgesetz, §§ 143, 143a und 144 Markengesetz schen zum Zweck der Ausbeutung verwendet werden.13 und §§ 51 und 65 Designgesetz). Dieser Straftatenkatalog Wer also z.B. auf Amazon.de die Funktion „Marketplace“ ist so umfangreich, dass man ehrlicherweise auch völlig punktuell zum Handel mit Waffen oder Betäubungsmit- auf Einschränkungen im Hinblick auf die rechtswidrigen teln missbraucht, würde damit den Betreiber der Handels- Taten hätte verzichten können – eine Idee, die auch den plattform noch nicht in die Illegalität und damit in die ursprünglichen bayerischen Entwurfsvorstellungen von 10 13 Vgl. RegE, S. 13. RegE, S. 14; zur Problematik der „Unterwanderung“ legaler Platt- 11 RegE, S. 14. formsysteme Beck/Nussbaum, HRRS 2020, 112 (116). 12 14 RegE, S. 14. RegE, S. 15.
82 KriPoZ 2 | 2021 2019 zugrunde lag. Er sprengt von seinem Anwendungs- Begründung für diese massive Verschärfung des Strafrah- bereich her erkennbar den Rahmen des Verhältnismäßi- mens strotzt vor nichtssagenden Allgemeinplätzen. Werde gen. die Plattform mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben, so verstärkten sich in der Regel nicht nur Dauer und Umfang Im Gegensatz zum Bundesratsentwurf von 2019 enthält der Tätigkeit, sondern auch die innere Einstellung des Tä- der nun vorgelegte Regierungsentwurf auch keine Be- ters weise eine deutlich gesteigerte kriminelle Energie auf. schränkung mehr auf Plattformen, deren Zugang und Er- Bei bandenmäßiger Begehung sei die erhöhte Gefährlich- reichbarkeit durch besondere technische Vorkehrungen keit durch die verfestigte Struktur, die in einem Zusam- beschränkt ist. Auch insoweit haben sich offenbar die bay- menschluss mehrerer Beteiligter als Bande vorliege und erischen Vorstellungen durchgesetzt, wie sie auch im Re- die in der Bandenabrede liegende erhöhte kriminelle ferentenentwurf des BMI vom März 2019 enthalten wa- Energie zu bedenken.18 Gefolgt werden diese Allgemein- ren. Damit ist § 127 Abs. 1 S. 1 StGB-E gerade nicht als plätze von einem Paradebeispiel für zirkelschlüssige Ar- „Darknet-Paragraf“ konzipiert. gumentation: „Zudem wird durch Absatz 3 verdeutlicht, dass entsprechendes Verhalten dem Bereich der besonders Für den Grundtatbestand des § 127 Abs. 1 S. 1 StGB-E schweren Straftaten zuzuordnen ist.“ Im Klartext soll das beträgt die Strafandrohung Freiheitsstrafe bis zu fünf Argument offenbar lauten, dass schon die Formulierung Jahre oder Geldstrafe. Allerdings enthält die Vorschrift von § 127 Abs. 3 StGB-E selbst die Begründung dafür lie- auch eine Subsidiaritätsklausel. Danach soll § 127 Abs. 1 fert, dass es sich bei gewerbsmäßiger bzw. bandenmäßi- StGB im Wege der formellen Subsidiarität zurücktreten, ger Tatbegehung um schwere Kriminalität handelt. Diese wenn die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Sternstunde der juristischen Methodenlehre sollte der ge- Strafe bedroht ist. Auf diese Weise soll dem Tatbestand neigte Leser kurz auf sich wirken lassen. „Auffangcharakter“15 zukommen, was allerdings ange- sichts der konkreten Ausgestaltung der Qualifikationstat- 5. Verbrechensqualifikation (§ 127 Abs. 4 StGB-E) bestände in § 127 Abs. 3 und 4 StGB (dazu unter III. 2.) weitgehend zum Scheitern verurteilt sein dürfte. Als wäre das alles nicht genug, soll mit § 127 Abs. 4 StGB-E auch noch eine Verbrechensqualifikation einge- 3. Bereitstellen einer Server-Infrastruktur (§ 127 Abs. 1 führt werden. Danach ist mit Freiheitsstrafe von einem S. 2 StGB-E) Jahr bis zu zehn Jahren zu bestrafen, wer bei Begehung einer Tat nach § 127 Abs. 1 S. 1 StGB-E (§ 127 Abs. 1 Nach § 127 Abs. 1 S. 2 StGB-E soll mit identischer Straf- S. 2 StGB-E wird insoweit auch hier nicht erfasst) beab- drohung wie in § 127 Abs. 1 S. 1 StGB-E auch derjenige sichtigt oder weiß, dass die Handelsplattform im Internet bestraft werden, der absichtlich oder wissentlich eine Ser- den Zweck hat, Verbrechen zu ermöglichen oder zu för- ver-Infrastruktur für eine Tat nach § 127 Abs. 1 S. 1 StGB- dern. Damit sollen vor allem solche Fälle erfasst werden, E bereitstellt. Aus Sicht der Bundesregierung ist es uner- bei denen bewusst der Handel von Verbrechen als Dienst- heblich, ob die kriminellen Handelsgeschäfte durch Be- leistung („crime as a service“) ermöglicht oder gefördert reitstellen von Hardware, also Servern, ermöglicht oder wird (z.B. durch Anbieten oder Entgegennehmen von gefördert werden oder durch Bereitstellen einer virtuellen Mordaufträgen oder DDoS-Attacken) oder bei denen Plattform.16 In subjektiver Hinsicht wird dolus directus schon der Handel selbst ein Verbrechen darstellt.19 1. oder 2 Grades verlangt, um sicherzustellen, dass nur solche Server-Betreiber strafrechtliche Konsequenzen zu 6. Strafanwendungsrecht (§ 5 Nr. 5b StGB-E) befürchten haben, die auch tatsächliche Kenntnis davon besitzen, dass auf ihren Servern entsprechende Plattfor- Um sicherzustellen, dass deutsches Strafrecht auch in sol- men gehostet werden, oder die sogar eine entsprechende chen Fällen anwendbar ist, in denen der Täter die Platt- Absicht haben.17 Auf diese Weise wird die Strafbarkeit form ausschließlich vom Ausland aus betreibt bzw. von noch weiter in das Vorbereitungsstadium vorverlagert, als dort aus eine Server-Infrastruktur bereitstellt, soll der Ka- dies nach § 127 Abs. 1 S. 1 StGB-E ohnehin schon der talog des § 5 StGB um eine neue Nr. 5b ergänzt werden. Fall ist. Dass sich dies rechtsstaatlich legitimieren lässt, Danach soll deutsches Strafrecht, unabhängig vom Recht darf angesichts des Charakters eines Servicebetriebs als des Tatorts, auch in den Fällen des § 127 StGB Anwen- neutrale und sozialadäquate Verhaltensweise im digitalen dung finden, wenn der Zweck der Handelsplattform da- Geschäftsverkehr bezweifelt werden. rauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten im Inland zu ermöglichen oder zu fördern und der 4. Gewerbs- oder bandenmäßige Tatbegehung (§ 127 Täter Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland Abs. 3 StGB-E) hat. Für die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Tatbegehung 7. Ausweitung der strafprozessualen Überwachungsbe- sieht § 127 Abs. 3 StGB-E, allerdings beschränkt auf die fugnisse Fälle des § 127 Abs. 1 S. 1 StGB-E, einen eigenständigen Qualifikationstatbestand mit einem Strafrahmen von Die wesentliche (praktische) Bedeutung der vorgeschla- sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Die genen Neuregelungen offenbart sich allerdings erst, wenn 15 18 RegE, S. 15. RegE, S. 16. 16 19 RegE, S. 15 f. RegE, S. 16. 17 RegE, S. 16.
Zöller – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet KriPoZ 2 | 2021 83 man auch Art. 2 des Regierungsentwurfs in den Blick Bereich der Betäubungsmittelstraftaten. Schon an anderer nimmt, der die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden Stelle23 wurde darauf hingewiesen, dass § 29 Abs. 1 S. 1 keinesfalls nur „moderat“20, sondern durchaus in nicht un- Nr. 8 BtMG die Werbung für Betäubungsmittel entgegen erheblichem Umfang erweitern will. Schließlich werden § 14 Abs. 5 BtMG unter Strafe stellt. Unter einer solchen den Strafverfolgungsbehörden bei einem Anfangsver- Werbung ist der an Dritte gerichtete Hinweis auf die Be- dacht für einen Qualifikationstatbestand nach § 127 reitschaft des Werbenden zu verstehen, Betäubungsmittel Abs. 3 oder 4 StGB sämtliche Telekommunikationsüber- zu liefern. Zwar kann es je nach Gestaltung der Handels- wachungsmaßnahmen nach § 100a StPO und sämtliche plattform im Einzelnen durchaus an dem hierfür erforder- Möglichkeiten zur Erhebung von Verkehrsdaten nach lichen Hinweis auf eigene Liefermöglichkeiten des Platt- § 100g StPO ermöglicht. Und selbst für die besonders ein- formbetreibers fehlen. Dann aber kommt eine Strafbarkeit griffsintensive Online-Durchsuchung nach § 100b StPO nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 BtMG in Betracht,24 der es soll § 127 Abs. 3 und 4 StGB-E zur Anlasstat werden, so- unter Strafe stellt, einem anderen eine Gelegenheit zum fern der Zweck der Handelsplattform auf die Förderung unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Be- oder Ermöglichung von Straftaten ausgerichtet ist, die ih- täubungsmitteln zu verschaffen oder zu gewähren, eine rerseits bereits im Straftatenkatalog des § 100b Abs. 2 solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitzutei- StPO enthalten sind. Einmal mehr soll also mit der Schaf- len oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von fung eines zusätzlichen abstrakten Gefährdungsdelikts ein Betäubungsmitteln zu verleiten. Vor allem aber ist zu be- Hebel für die zeitliche Vorverlagerung von strafprozessu- rücksichtigen, dass Handelsplattformen üblicherweise ge- alen Eingriffsbefugnissen geschaffen werden. rade nicht aus uneigennützigen Motiven heraus betrieben werden. Vielmehr fungieren die Betreiber regelmäßig als III. Bewertung Treuhänder bei der Zahlungsabwicklung und erhalten hierfür Gebühren und Umsatzbeteiligungen.25 Dann aber 1. Fehlen einer Regelungslücke kann aber je nach den Umständen des Einzelfalls sogar ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§§ 29 Abs. 1 S. 1 Auch der Begründung des nun vorgelegten Regierungs- Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 30a Abs. 1 entwurfs gelingt es nicht, eine materiell-strafrechtliche und Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in Betracht kommen, unter dem Regelungslücke aufzuzeigen, die die Einführung eines so nach vorherrschender Ansicht jede eigennützige, auf Um- weitreichenden neuen Straftatbestandes legitimieren satz gerichtete Tätigkeit zu verstehen ist, auch wenn diese könnte. Zwar gesteht die Entwurfsbegründung zu, dass sich nur als gelegentlich, einmalig oder ausschließlich schon das geltende Strafrecht grundsätzlich geeignet ist, vermittelnd darstellt.26 Insoweit ist anerkannt, dass grund- Fälle des Handels mit Menschen sowie inkriminierten sätzlich auch die Förderung fremder Betäubungsmittelge- Waren und Dienstleistungen angemessen zu erfassen. In schäfte durch Broker, Kommissionäre, Handelsvertreter den Fällen, in denen eine Handelsplattform vollautomati- und Handelsmakler als (täterschaftliches) Handeltreiben siert betrieben werde, könne allerdings nicht jeder Sach- einzustufen ist.27 verhalt erfasst werden. Dies gelte insbesondere dann, wenn die plattformbetreibende Person durch die Vollau- Ähnlich wie im Betäubungsmittelstrafrecht stellt sich tomatisierung keine Kenntnis davon nehmen muss, wel- auch die Rechtslage im Bereich des unerlaubten Waffen- che konkreten Waren oder Dienstleistungen auf der Platt- handels dar. Hier ist insbesondere § 52 Abs. 1 Nr. 1 und form gehandelt werden, obschon diese auf den Handel 2c WaffG zu beachten.28 Nach § 1 Abs. 4 WaffG i.V.m. von inkriminierten Waren oder Dienstleistungen ausge- Anlage 1, Abschnitt 2 Nr. 9 fällt unter den dort genannten richtet ist. In diesen Fällen könnten insbesondere die Reg- Begriff des Handeltreibens auch die Vermittlung des Er- lungen zur Beihilfe nicht ausreichen, da sie eine Kenntnis werbs, des Vertriebs oder des Überlassens von Waffen. der Haupttat zumindest in ihren wesentlichen Merkmalen voraussetzen.21 Diese These zur Begründung der Notwen- Im Bereich Kinderpornografie kommt eine Strafbarkeit digkeit der Einführung eines neuen Straftatbestands des wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und ju- Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet gendpornografischer Inhalte nach den §§ 184b, 184c trifft allerdings schon von ihrem Ausgangspunkt her nicht StGB in Betracht. Insbesondere genügt für ein Zugäng- zu. lichmachen i.S. von § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2 und § 184c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB bereits das Betreiben einer Web- a) Täterschaft seite, die dem Einstellen von Dateien dient.29 Zunächst einmal ist in diesem Kontext darauf hinzuwei- Auch der Straftatbestand der Bildung krimineller Vereini- sen, dass sich Betreiber von illegalen Plattformen im In- gungen (§ 129 StGB) wird von den Verfassern des Regie- ternet nach geltendem Recht bereits in vielfältiger Form rungsentwurfs vorschnell beiseitegeschoben. Er sei nicht wegen täterschaftlicher Tatbegehung strafbar machen.22 geeignet, Strafbarkeitslücken zu schließen, da in der Re- Dies gilt zunächst einmal im besonders praxisrelevanten gel nicht die für den Tatbestand erforderliche Festigkeit 20 26 So aber die beschwichtigende Formulierung in RegE, S. 17. BGHSt 6, 246 (247); 50, 252 (256); Patzak, in: Körner/Patzak/Vol- 21 RegE, S. 1. mer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Aufl. (2019), § 20 Teil 4 Rn. 23. 22 27 Vgl. auch Greco, ZIS 2019, 435 (440). Näher Patzak (Fn. 26), § 29 Teil 4 Rn. 97 m.w.N. 23 28 Zöller, KriPoZ 2019, 274 (280). Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (243). 24 29 So auch Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (243). Ziegler, in: BeckOK-StGB, 49. Ed. (Stand: 1.2.2021), § 184b Rn. 25 Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (242); Greco, ZIS 2019, 435 12 und § 184c Rn. 9; Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (243). (440).
84 KriPoZ 2 | 2021 der Organisationsstruktur erreicht werde. Zudem sei das vier Niederländer, drei Deutsche und einen 39 Jahre alten Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Inte- Bulgaren erhoben.36 Nach dem Ergebnis der Ermittlungen resse bei Plattformen nur selten erfüllt.30 Insofern wird zu- hatten die Angeschuldigten klare Absprachen getroffen nächst verkannt, dass der nunmehr in § 129 Abs. 2 StGB und eine feste Rollenverteilung mit eindeutig definierten legaldefinierte Vereinigungsbegriff durch das 54. Gesetz Aufgaben. Ein 60-jähriger Niederländer gilt als Kopf der zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 17.7.201731 in Gruppe, der alle geschäftlichen Entscheidungen getroffen Umsetzung europäischer Vorgaben erheblich erweitert haben soll. Ein 50-jähriger Niederländer fungierte offen- worden ist. Dies hat dazu geführt, dass der neue Vereini- bar als eine Art Manager, der für die Verteilung der Ar- gungsbegriff nur noch stark herabgesetzte Anforderungen beitsaufgaben unter den übrigen Mitarbeitern zuständig an das organisatorische Element stellt. Die Vereinigung war. Einem 52-jährige Deutschen oblag die Buchhaltung ist danach ein von einer Festlegung der Rollen der Mit- und die Kontrolle des Zahlungsverkehrs mit den Kunden. glieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Aus- Die übrigen Angeschuldigten waren als Administratoren prägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusam- tätig, sorgten für die Abwicklung der Kundenaufträge in menschluss. Es ist somit nur noch in gewissem Umfang technischer Hinsicht und hielten die IT-Infrastruktur auf- eine instrumentelle Vorausplanung und Koordinierung er- recht. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz wertet die- forderlich.32 Warum die Einbindung der Betreiber von sen Sachverhalt strafrechtlich als Gründung und Beteili- Handelsplattformen im Internet in solche losen Organisa- gung an einer kriminellen Vereinigung. Im Rahmen dieser tionsstrukturen nicht in Betracht kommen kann, erläutert kriminellen Vereinigung hosteten die Angeschuldigten in die Entwurfsbegründung nicht. Zudem ist zu beachten, wechselnder Beteiligung verschiedene Darknet- und dass neben der Gründung und der mitgliedschaftlichen Clearnet-Marktplätze und leisteten dadurch nach Ansicht Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 der Ermittler Beihilfe zu den von ihren Kunden begange- Abs. 1 S. 2 StGB auch die Unterstützung einer solchen nen Straftaten, zu denen insbesondere Betäubungsmittel- Vereinigung unter Strafe steht. Eine Vereinigung unter- delikte, aber auch andere Delikte wie z.B. der Handel mit stützt, wer als Nichtmitglied deren Tätigkeit oder Bestre- gefälschten Dokumenten, Malware, illegal erlangten Zu- bungen, sei es direkt oder über eines ihrer Mitglieder, för- gangsdaten zu Packstationen, PayPal-Konten sowie ille- dert.33 Ebenso wie bei dem vorgeschlagenen § 127 gal erlangten Kreditkarten, aber auch das Angebot von StGB-E handelt es sich auch bei der Unterstützung einer Mordaufträgen und kinderpornografischer Inhalte zähl- kriminellen Vereinigung um eine zur Täterschaft verselb- ten. ständigte Form der Beihilfe.34 Eine solche Förderung kann in vielfältiger Art und Weise geschehen, insbesondere Insofern lässt sich festhalten, dass den Strafverfolgungs- auch durch das Bereitstellen von Materialien und Tat- behörden de lege lata ein umfangreiches materiell-straf- werkzeugen.35 Nichts anderes aber ist das Betreiben von rechtliches Instrumentarium zur Verfügung steht, um das Internet-Handelsplattformen oder das Bereitstellen von Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet Servern für Gruppierungen, deren Mitglieder damit Straf- oder das Bereitstellen der hierfür erforderlichen Server- taten begehen wollen. Überwindet man also die – heute Infrastruktur bereits als täterschaftliche Verhaltensweisen nur noch niedrig anzusetzende – Schwelle der Annahme zu ahnden. einer Vereinigung i.S. der §§ 129 ff. StGB, dann dürfte sich regelmäßig zumindest auch die Verwirklichungsform b) Beihilfe einer (täterschaftlichen) Unterstützung einer solchen Ver- einigung begründen lassen. Stattdessen fokussiert sich die Begründung des Regie- rungsentwurfs zu Unrecht auf angebliche Probleme bei Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den der strafrechtlichen Verfolgung der Beihilfe. Dass das gel- Betreibern von illegalen Handelsplattformen im Internet tende Institut der strafbaren Beihilfe gemäß § 27 StGB regelmäßig nicht um Einzelpersonen handelt. Zu komplex von seiner dogmatischen Grundstruktur her durchaus in gestalten sich die damit verbundenen Aufgaben und Er- der Lage ist, auch den aktuellen Herausforderungen im fordernisse. Eine kriminelle Vereinigung kann somit nicht Zusammenhang mit kriminellen Verhaltensweisen auf nur durch ein Zusammenwirken von Plattformbetreibern, Online-Plattformen gerecht zu werden, ist im Schrifttum Anbietern und Kunden bestehen. Vielmehr können auch bereits ausführlich herausgearbeitet worden.37 Insofern die Plattformbetreiber für sich genommen, also unabhän- können sich die nachfolgenden Ausführungen hierzu auf gig von den dort aktiven Käufern und Verkäufern, eine einige grundlegende Aspekte beschränken. kriminelle Vereinigung bilden. So hat etwa die General- staatsanwaltschaft Koblenz im aktuell am LG Trier ver- handelten sog. Cyberbunker-Verfahren Anklage gegen 30 36 RegE, S. 9; krit. auch Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (243). Vgl. Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 31 BGBl. I S. 2440; dazu Zöller, KriPoZ 2017, 26 ff. 7.4.2020 „Landeszentralstelle Cybercrime der Generalstaatsanwalt- 32 BT-Drs. 18/11275, S. 11. schaft Koblenz erhebt Anklage gegen acht Tatverdächtige im Ver- 33 BGHSt 29, 99 (101); 32, 243 (244); 51, 345 (348); BGH, NStZ fahren gegen die Betreiber des "Cyberbunkers", abrufbar unter 2014, 210; Schäfer, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 129 Rn. 107; https://gstko.justiz.rlp.de/de/startseite/detail/news/News/detail/lan- Gazeas, in: AnwK-StGB, 3. Aufl. (2020), § 129 Rn. 36; Zöller, Ter- deszentralstelle-cybercrime-der-generalstaatsanwaltschaft-koblenz- rorismusstrafrecht (2009), S. 533. erhebt-anklage-gegen-acht-tatve/ (zuletzt abgerufen am 3.3.2021). 34 37 BGH, NStZ-RR 2018, 72 (73); Gazeas, in: AnwK-StGB, § 129 Vgl. insbesondere Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (243 f.); Rn. 37. Greco, ZIS 2019, 435 (441 ff.); Beck/Nussbaum, HRRS 2020, 112 35 BGHR § 129a Abs. 3 Unterstützen 5. (113 ff.).
Zöller – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet KriPoZ 2 | 2021 85 aa) Beihilfehandlung bb) Gehilfenvorsatz Eine Beihilfestrafbarkeit setzt im objektiven Tatbestand Der „doppelte Teilnehmervorsatz“ des Gehilfen muss ne- neben dem Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen ben der Vollendung der Haupttat auch die eigene Unter- Haupttat eine taugliche Gehilfenhandlung voraus. Diese stützungshandlung umfassen. Beim Betreiben krimineller wird in § 27 Abs. 1 StGB mit einem Hilfeleisten zur Handelsplattformen im Internet ist dabei auf zwei Aspekte Haupttat umschrieben. Ein solches Hilfeleisten liegt in je- besonders zu achten: die Anforderungen an die Konkreti- dem Tatbeitrag, der die Haupttat ermöglicht oder erleich- sierung des Gehilfenvorsatzes und die Frage nach dem tert oder die vom Täter begangene Rechtsgutsverletzung strafrechtlichen Umgang mit sog. neutralen Beihilfehand- verstärkt.38 Gemeint ist also eine physische oder psychi- lungen. sche Unterstützung der Haupttat. Während die Rechts- lehre in unterschiedlicher Intensität überwiegend von der (1) Konkretisierung des Gehilfenvorsatzes Anwendbarkeit der allgemeinen Kausalitätsregeln aus- Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung geht – geht,39 genügt es nach der Rechtsprechung, dass die wie schon die Vorgängerentwürfe – bei der Begründung Haupttat als solche durch den Gehilfenbeitrag nur irgend- der Notwendigkeit eines neuen Straftatbestands von der wie gefördert worden ist.40 Hilfe i.S. von § 27 Abs. 1 These aus, dass die im subjektiven Tatbestand für eine StGB kann zunächst in Gestalt der physischen Beihilfe ge- Beihilfestrafbarkeit erforderlichen Konkretisierungsan- leistet werden. Hierunter fallen äußerlich erkennbare forderungen an die Haupttat bei den plattformbetreiben- Handlungsweisen des Gehilfen, die sich fördernd auf das den Personen regelmäßig nicht vorliegen.45 Auch diese äußere Tatgeschehen auswirken. Solche physischen Hil- These ist allerdings durch nichts näher belegt. Das über- feleistungen können schon im Vorbereitungsstadium der rascht schon deshalb, weil die Anforderungen an den Bei- Tat geleistet werden, wenn sie bis zur Haupttat fortwirken. hilfevorsatz bekanntlich nicht sonderlich streng46 und vor Ein klassisches Beispiel hierfür aus der analogen Welt ist allem deutlich geringer anzusetzen sind als etwa beim An- das Besorgen des Tatwerkzeugs. Psychische Beihilfe ist stifter.47 Speziell die Rechtsprechung lässt insoweit die insbesondere dadurch denkbar, dass der Gehilfe techni- Erfassung des wesentlichen Unrechtsgehalts und der An- sche Ratschläge erteilt, die dem Haupttäter die Tatbege- griffsrichtung der vom Gehilfen geförderten Haupttat ge- hung erleichtern (sog. technische Beihilfe). In diesem nügen.48 Zwar genügt der Wille, irgendeinen Straftatbe- Zwischenbereich zwischen physischer und psychischer stand zu erfüllen, noch nicht.49 Ausreichend ist jedoch, Beihilfe bewegt sich in der digitalen Welt derjenige, der wenn der Gehilfe zumindest eine grobe Vorstellung von zu kriminellen Zwecken Handelsplattformen in Internet den vom Haupttäter zu verwirklichenden Delikten (z.B. betreibt oder hierfür die erforderliche Server-Infrastruktur Betäubungsmittelstraftaten, Waffenverkäufe, Austausch zur Verfügung stellt. Richtigerweise ist in der bloßen Be- kinderpornografischer Inhalte etc.) besitzt. Weder die Per- reitstellung einer Infrastruktur, mit deren Hilfe Käufer und son des Haupttäters noch die einzelnen Tatumstände wie Verkäufer zueinander finden, für sich genommen noch z.B. Tatort oder Tatzeit müssen dem Hilfeleistenden be- keine objektive Hilfeleistung i.S. von § 27 StGB zu se- kannt sein.50 Der Gehilfe muss sich somit alle Haupttaten hen.41 Charakteristisch für einen tatbestandsmäßigen Ge- als Erfolge seines Hilfeleistungsverhaltens zurechnen las- hilfenbeitrag ist vielmehr eine Risikoerhöhung für das sen, in denen sich die in ihm verkörperte unerlaubte Ge- durch die Haupttat angegriffene Rechtsgut.42 Dass dies je- fahr verwirklicht.51 Schließlich kann kein Teilnehmer alle denfalls beim Betreiben einer kriminellen Handelsplatt- Einzelheiten der Ausführung der Haupttat vorhersehen. form im Internet anzunehmen ist, hat vor allem Greco43 Was nach allgemeiner Lebenserfahrung so oder so ablau- dezidiert herausgearbeitet. Danach besteht die Hilfeleis- fen kann, ist damit noch seinem Teilnehmervorsatz zuzu- tung in der „Erleichterung des Kontakts zwischen krimi- rechnen.52 nell Gleichgesinnten. Wenn zu einer bestimmten Straftat typischerweise Zwei gehören, erhöht das Zusammenbrin- Vor diesem Hintergrund dürfte an der ausreichenden Kon- gen dieser Zwei das Risiko, dass es zur Straftat kommt“. kretisierung des Gehilfenvorsatzes für Plattformbetreiber Derjenige, der eine Struktur aufbaut, die dem Einzelnen regelmäßig kein Zweifel bestehen. Die Vorstellung, dass die Last abnimmt, seine Gesinnung zu externalisieren und jemand eine Handelsplattform im Internet betreibt und einen Gleichgesinnten zu finden, erleichtert ihm auf diese sich dann überhaupt nicht dafür interessiert, was auf die- Weise die Tatbegehung.44 Entsprechendes gilt dann auch ser Plattform von wem angeboten und nachgefragt wird, für die – regelmäßig zeitlich vorgelagerte – Bereitstellung erscheint schon psychologisch betrachtet nicht nur wenig diesbezüglicher Server-Infrastrukturen. Der objektive plausibel, sondern geradezu naiv. Solche Konstellationen Tatbestand der Beihilfe dürfte daher in den hier in Rede mögen allenfalls bei Betreibern von Servern vorkommen, stellenden Fällen regelmäßig keine unüberwindbaren deren Geschäftsmodell gerade in der Anonymität der von Schwierigkeiten bereiten. ihnen erbrachten Dienstleistung besteht. Teilweise lässt 38 45 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 50. Aufl. (2020), Rn. 901. RegE, S. 1. 39 46 Joecks, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2019), § 27 Rn. 33 ff.; Schüne- Greco, ZIS 2019, 435 (443). 47 mann, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2007), § 27 Rn. 1 ff.; Heinrich, Straf- BGHSt 42, 135 (138); Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, recht AT, 6. Aufl. (2019), Rn. 1326. 30. Aufl. (2019), § 27 Rn. 19; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 906. 40 48 BGH, StV 2012, 287; NStZ-RR 2016, 136 (137). BGHSt 42, 135 (139); BGH, NStZ 2017, 274 (275); wistra 2012, 41 LG Karlsruhe, StV 2019, 400 (401); Greco, ZIS 2019, 435 (441). 302. 42 49 Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 27 Rn. 7; Otto, JuS 1982, 557 (562); BGH, BeckRS 2012, 8602. 50 Murmann, JuS 1999, 548; Kretschmer, Jura 2008, 265 (269); Schaff- BGHSt 42, 135 (137); BGH, NStZ 2012, 264; Bachmann/Arslan, stein, in: FS Honig, 1979, S. 169. NZWiSt 2019, 241 (243). 43 51 Greco, ZIS 2019, 435 (443). Greco, ZIS 2019, 435 (445). 44 52 Greco, ZIS 2019, 435 (443). Roxin, in: FS Salger, 1995, S. 129 (130).
86 KriPoZ 2 | 2021 sich auch schon vom Namen der Plattform zumindest für die Strafverfolgungspraxis maßgebliche Rechtspre- bestimmte Deliktskategorien auf Wissen und Wollen des chung57 stellt in Anschluss an Roxin58 auf die subjektive Betreibers schließen. Wer die von ihm betriebene Platt- Vorstellung der Beteiligten ab und differenziert nach der form „Chemical Revolution“, „Orange Chemicals“, Vorsatzform: Sofern der Hilfeleistende Kenntnis davon „Fraudsters“, „Dutch Drugs“ oder „Cocaine Market“ hat, dass das Handeln des Haupttäters ausschließlich da- nennt, wird wohl kaum ernsthaft vortragen können, er rauf abzielt, eine strafbare Handlung zu begehen, verliert habe nichts davon geahnt, dass dort illegale Substanzen sein Tatbeitrag den Alltagscharakter, kann nicht mehr als und Dienstleistungen angeboten wurden.53 Schon die Be- sozialadäquat eingestuft werden und ist im Ergebnis als zeichnung soll schließlich entsprechende illegale Aktivi- Beihilfehandlung zu werten. Hält er es dagegen nur für täten gerade anziehen. Wessen Plattform schon den äuße- möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat ge- ren Anschein eines kriminellen Marktplatzes trägt, der nutzt wird, so begeht er regelmäßig noch keine Beihilfe. führt bewusst und gewollt kriminell Gleichgesinnte zu- sammen, indem er den Betrieb gerade an den Bedürfnis- Auch hier ergeben sich in Hinblick auf die Betreiber von sen seiner kriminellen Klientel ausrichtet.54 Entsprechen- Handelsplattformen im Internet regelmäßig keine unüber- des gilt, wenn für die Plattform an anderer Stelle in einem windbaren dogmatischen Hindernisse für die Bejahung erkennbar kriminellen Kontext, meist ebenfalls im Inter- der Strafbarkeit wegen Beihilfe. Wie bereits ausgeführt, net, geworben wird.55 Noch deutlicher tritt der Gehilfen- ist davon auszugehen, dass diese regelmäßig zumindest vorsatz zutage, wenn der Plattformbetreiber in die auf sei- im Großen und Ganzen darüber im Bilde sind, was sich ner Plattform abgewickelten Geschäfte aktiv ordnend, ge- auf den von Ihnen betriebenen Plattformen abspielt. Die staltend oder regulierend eingreift, etwa indem er mithilfe vollautomatische Abwicklung der Transaktionen ändert der von ihm genutzten Hard- und Software auf seiner hieran nichts und vermag es insbesondere auch nicht, den Webseite nach dem Vorbild legaler Verkaufsplattformen wenig konkretisierungsbedürftigen Gehilfenvorsatz aus- explizit Angebotskategorien für illegale Waren und zuschließen. Typischerweise geht es den Betreibern ge- Dienstleistungen erstellt, Foren- und Bewertungssysteme rade durch die Art und Weise der konkreten Ausgestal- für Käufer und Verkäufer betreut, Treuhandmodelle für tung der Plattform sowie der weiteren dort angebotenen die Zahlung des Kaufpreises anbietet und dafür Gebühren Dienstleistungen um die Zusammenführung von potenzi- und Kommissionen erhält. Nicht entscheidend ist es, ellen Straftätern. Schließlich verdienen die Plattformbe- wenn formal bestehende Verhaltensrichtlinien den Platt- treiber in Gestalt von Serviceentgelten, Kommissionen formnutzern bestimmte Erscheinungsformen kriminellen oder Provisionen an den über die Plattform abgewickelten Verhaltens (z.B. den Austausch kinderpornografischen Geschäften. Insofern wird regelmäßig nicht nur von siche- Materials oder das Handeltreiben mit Waffen) untersagen, rem Wissen i.S. von dolus directus 2. Grades, sondern so- sofern solche Verhaltensregeln in dem von ihm kontrol- gar von Absicht i.S. von dolus directus 1. Grades auszu- lierten digitalen Bereich erkennbar nicht „gelebt“, d.h. be- gehen sein. Dienstleistungen werden nur in den seltensten folgt werden oder bestimmte Angebote illegaler Waren Fällen aus altruistischen Motiven angeboten. Auch wer und Dienstleistungen nur in weniger leicht zugänglichen beispielsweise – ohne dass dort Entgelte gezahlt werden Bereichen (z.B. bei nur für registrierte Nutzer zugängli- müssen – ein Forum zum Tausch von kinderpornografi- chen Angeboten) stattfinden. Ansonsten könnte man schem Material betreibt, will typischerweise von dem Zu- durch lediglich auf dem „digitalen Papier“ bestehende, wachs an illegalem Bild- und Videomaterial auch jenseits allgemeine Geschäftsbedingungen seine (Beihilfe-)Straf- finanzieller Interessen zumindest zu privaten, regelmäßig barkeit ausschließen. auch sexuellen Zwecken profitieren. Damit verliert die Plattform ihren Alltagscharakter, so dass das von ihrem (2) „Neutrale“ Beihilfe Betreiber geschaffene Risiko für Rechtsgutsverletzungen durch Straftatbegehung gerade nicht mehr sozialadäquat Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Betreiben einer ist.59 Handelsplattform im Internet oder das Bereitstellen der c) Fahrlässigkeitsstrafbarkeit hierfür erforderlichen Server-Infrastruktur zunächst ein- mal nur ein neutrales Verhalten darstellt.56 Bei solchen Schließlich hat eine viel, wenngleich leider nicht auch von neutralen Verhaltensweisen handelte es sich um alltägli- Seiten des BMJV beachtete Entscheidung des LG Karls- che oder berufstypische Vorgänge, die lediglich in einem ruhe vom 19.12.201860 deutlich gemacht, dass je nach bestimmten Kontext die Begehung von Straftaten begüns- Fallgestaltung grundsätzlich auch eine Fahrlässigkeits- tigen können. Zum Schutz der allgemeinen Handlungs- strafbarkeit für Betreiber krimineller Handelsplattformen freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie der Berufsfreiheit im Internet in Betracht kommt. Hier ging es um den Be- (Art. 12 Abs. 1 GG) sind im Schrifttum eine ganze Reihe treiber der Darknet-Plattform „Deutschland im Deep von Ansätzen entwickelt worden, um einer ausufernden Web“ mit dem Pseudonym „luckyspax“. Die Plattform Anwendung der Beihilfestrafbarkeit im Kontext neutraler Verhaltensweisen entgegenzuwirken. Die jedenfalls für 53 58 So i. Erg. auch Greco, ZIS 2019, 435 (446); Beck/Nussbaum, HRRS Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 26 Rn. 218 ff.; ders., 2020, 112 (115). StV 2015, 447 (450). 54 59 Vgl. Beck/Nussbaum, HRRS 2020, 112 (115). Vgl. Beck/Nussbaum, HRRS 2020, 112 (116). 55 60 Beck/Nussbaum, HRRS 2020, 112 (115). LG Karlsruhe, StV 2019, 400 ff.; dazu etwa Eisele, JuS 2019, 56 LG Karlsruhe, StV 2019, 400 (401). 1122 ff.; Beck/Nussbaum, HRRS 2020, 112 ff. 57 BGHSt 46, 107 (112); BGH, NStZ 2000, 34; 2017, 337 (338); 2017, 461; 2018, 328 (329); BGH, wistra 2018, 342.
Zöller – Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet KriPoZ 2 | 2021 87 untergliederte sich in verschiedene Kategorien, die ur- e) Tatnachweis sprünglich primär als Diskussionsforen dienen sollten. Spätestens ab Anfang 2014 enthielt die Kategorie „Spa- Ungeachtet der Frage nach der materiell-rechtlichen Straf- ckentreff“ aber auch Unterkategorien wie „Betrug und barkeit besteht daneben stets das Problem der Nachweis- Täuschung“, „Waffen“ (Herstellung, Vertrieb, sachge- barkeit durch Strafverfolgungsbehörden und Strafjustiz rechte Verwendung) oder „Drogen“. Über diese Plattform im Einzelfall. Allerdings legen die Verfasser des Regie- wurde vom Verkäufer „Rico“ eine Pistole vom Typ Glock rungsentwurfs nicht dar, warum der Nachweis einer Bei- 17 mit über 500 Schuss Munition an einen 18-Jährigen hilfestrafbarkeit auch bei vollautomatisiert betriebenen veräußert, der mit dieser Waffe im Rahmen eines Internetplattformen aussichtslos oder doch zumindest Amoklaufs beim Olympia-Einkaufszentrum München deutlich weniger aussichtsreich sein soll als bei den tradi- neun Menschen tötete und weitere fünf Menschen ver- tionellen Beihilfekonstellationen in der analogen Welt. letzte. Anschließend tötete sich der Amokschütze mit die- Bei den durch § 127 StGB-E inkriminierten Verhaltens- ser Schusswaffe selbst. Insofern hat das LG Karlsruhe das weisen handelt es sich faktisch um eine zur Täterschaft Verhalten des Angeklagten als Schöpfer und Administra- hochgestufte bzw. verselbständigte Erscheinungsform der tor der Plattform als fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) bzw. Beihilfe. Warum der Tatnachweis hier leichter gelingen fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) eingestuft und soll als bei der klassischen Beihilfe, etwa zu einem Betäu- die objektive Sorgfaltspflichtverletzung darin gesehen, bungsmittel- oder Waffendelikt, leuchtet nicht ein.62 Vor dass er die Unterkategorie „Waffen“ nach dem Pariser allem aber zeigt die bereits erwähnte Entscheidung des LG Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Jahr Karlsruhe vom 19.12.2018, dass sich insbesondere der 2015 kurzzeitig unsichtbar, ca. einen Monat später und da- Nachweis der Gehilfenstrafbarkeit auch in der Praxis mit noch vor dem entscheidenden Waffenverkauf aller- durchaus erbringen lässt.63 Hier hatte das Gericht in gera- dings für registrierte Nutzer wieder sichtbar geschaltet dezu mustergültiger Weise differenziert und im Ergebnis hatte. Dieses Verhalten wurde zugleich als Straftatbestand noch nicht in dem bloßen Erstellen, der Inbetriebnahme der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Erwerb einer sowie der Aufrechterhaltung einer Diskussionsplattform halbautomatischen Kurzwaffe gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2b, 2 im sog. Darknet, wohl aber in der dort erfolgten Abs. 2 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt (Wieder-)Einstellung eigener Kategorien für Waffen und 1 S. 1 zum WaffG i.V.m. § 27 StGB gewertet, was schon Drogen mehrere Fälle der Beihilfe zu Straftaten nach dem damit ein sorgfaltswidriges Fehlverhalten darstellte.61 BtMG und dem WaffG angenommen.64 Diese Entschei- dung ist mittlerweile auch rechtskräftig.65 d) Zwischenergebnis Schließlich ist insbesondere zu berücksichtigen, dass auch Es zeigt sich somit, dass die im Regierungsentwurf her- durch den Regierungsentwurf das zentrale Problem bei aufbeschworenen Strafbarkeitslücken im Hinblick auf die der Strafverfolgung von Betreibern krimineller Plattfor- Betreiber krimineller Handelsplattformen im Internet, so- men im Internet nicht gelöst wird: die Identifizierung der wie diejenigen, die hierfür die entsprechende Server-Inf- Plattformbetreiber, die strafrechtlich verfolgt werden sol- rastrukturen bereitstellen, in Wirklichkeit nicht bestehen. len.66 Angesichts der insbesondere im Darknet eingesetz- Neben der täterschaftlichen Erfassung durch Bestimmun- ten Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechnolo- gen des BtMG, des WaffG sowie den Tatbestand der Bil- gie67 bleibt die ganz überwiegende Zahl der technikge- dung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) werden stützten Ermittlungsmaßnahmen von vornherein aus- solche Verhaltensweise bereits de lege lata durch die Teil- sichtslos.68 Dies gilt insbesondere auch für „klassische“ nahmeform der Beihilfe sowie die Fahrlässigkeitsdogma- Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen (§ 100a tik in ausreichender Weise erfasst. Schon mit dieser Fest- Abs. 1 S. 1 StPO) sowie Auskünfte über Verkehrsdaten stellung ist dem Regierungsentwurf die von ihm in An- (§ 100g StPO). Wenn man schlicht nicht weiß, wo sich im spruch genommene Berechtigung entzogen. Allenfalls Internet aktive Kriminelle befinden und wer sich hinter ih- kann damit die Einführung eines neuen Straftatbestands ren Pseudonymen verbirgt, dann lässt sich auch nichts unter Berücksichtigung der Subsidiaritätsklausel in § 127 überwachen. Insofern dürfte auch die in Art. 2 des Regie- Abs. 1 S. 1 StGB dem Zweck einer generellen Erhöhung rungsentwurfs vorgesehene Ausweitung der strafpro- des Strafniveaus dienen, da speziell bei der Beihilfe nach zessualen Überwachungsmaßnahmen durch Aufnahme geltendem Recht in § 27 Abs. 2 S. 2 StGB eine obligato- von § 127 Abs. 3 und 4 StGB-E in den Katalog der dort rische Strafmilderung vorgesehen ist. Ein zu niedriges genannten Anlassstraftaten weitgehend wirkungslos blei- Strafniveau bei der strafrechtlichen Verfolgung des Be- ben.69 Eine Ausnahme kann grundsätzlich nur für die sog. treibens von kriminellen Handelsplattformen im Internet Quellen-Telekommunikationsüberwachung nach § 100a und des Bereitstellens entsprechender Server-Infrastruk- Abs. 1 S. 2 und 3 StPO sowie die Online-Durchsuchung tur wird aber in der Entwurfsbegründung gerade nicht gel- nach § 100b StPO gelten, die gerade auf die Umgehung tend gemacht. 61 67 LG Karlsruhe, StV 2019, 400 (403). Hierzu etwa Greco, ZIS 2019, 435 (436 ff.); Zöller, KriPoZ 2019, 62 Oehmichen/Weißenberger, KriPoZ 2019, 174 (178); Zöller, KriPoZ 274 (275 f.). 68 2019, 274 (280). Vgl. Schulze, APuZ 2017, 23 ff.; Krause, NJW 2018, 678 (679); 63 Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 (244). Safferling, DRiZ 2018, 206; Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 64 LG Karlsruhe, StV 2019, 400 (401 f.). (244); Zöller, KriPoZ 2019, 274 (276). 65 69 BGH, Beschl. v. 6.8.2019, 1 StR 188/19. Ebenfalls krit. bereits zum Bundesratsentwurf Bachmann/Arslan, 66 So der treffende Hinweis von Bachmann/Arslan, NZWiSt 2019, 241 NZWiSt 2019, 241 (247): „Bei realistischer Betrachtung dürfte der (246). praktische Nutzen jedoch recht überschaubar sein…“.
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