FALLBEISPIELE LASSEN SICH BESSER MERKEN, WENN MAN SIE MIT ECHTEN SCHAUSPIELERN DURCHSPIELT.
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FALLBEISPIELE & DEFINITIONEN Problemfelder fehlender Handlungsqualität (Gliederungspunkt: I.1.b.) Handlung = jedes menschliche Verhalten, das vom Willen beherrscht ist (oder zumindest beherrschbar ist) und damit auch vermeidbar ist Wenn Aktion nicht vermeidbar, fehlt es an Handlungsqualität. Beispiele: - Bewegungen im Schlaf (zB Schlafwandeln) - Aktionen bei Bewusstlosigkeit (wie auch immer das gehen soll - evtl möglich) - krankheitsbedingt nicht beherrschbare Körperbewegungen (zB Epilepsie) - Einfluss durch unwiderstehliche Gewalt („vis absoluta“, zB Stoß eines Dritten) - Reflexe - hypnotische Zustände (werden aber meist nur als Bewusstseinsstörung iSd § 20 StGB und damit als Handlung angesehen) 78
FALLBEISPIELE & DEFINITIONEN Fall 1: Autofahrer Pritt Stift ermüdet wegen der Monotonie seines Lebens (auch des Fahrtverlaufs). Er schläft am Lenkrad einfach ein. Sein Mustang gerät auf die linke Spur. Er rammt den Fiat Multipla von Bennie Bob Dornton, der dabei verletzt wird. Strafbarkeit wegen fahrlässiger KV? Lösung: keine Strafbarkeit. Wer schläft handelt nicht mehr. 79
FALLBEISPIELE & DEFINITIONEN Problemfelder fehlender Handlungsqualität (Gliederungspunkt: I.1.b.) Sonderproblem: Reflex und Spontanreaktion Reflexe = Körperbewegungen, die vom Willen nicht steuerbar sind und als Reaktion rein automatisiert ablaufen. Sie sind nicht vermeidbar und damit keine Handlungen. Spontanreaktionen = sind im konkreten Fall unbeherrschte, aber grundsätzlich beherrschbare Körperreaktionen. Beide Begriffe werden umgangssprachlich oft verwechselt (Ein Torwart wird manchmal für eine Parade bzw. einen „Reflex“ gelobt, der eher eine Spontanreaktion war und umgekehrt.) 80
FALLBEISPIELE & DEFINITIONEN Fall 2: Rapper Kevin Ost fährt mit seinem Ford Escalade eine Runde um den Block. Als ihm eine Wespe ins Auge fliegt, macht er eine fuchtelnde hektische Armbewegung und bricht seiner Frau Kim Karnickilo versehentlich die Nase. Lösung: Strafbarkeit. Rest an Steuerungsfähigkeit verblieb Kevin. Fahrlässige KV, § 229 StGB 81
FALLBEISPIELE & DEFINITIONEN Problemfelder fehlender Handlungsqualität (Gliederungspunkt: I.1.b.) Sonderproblem: Besitzdelikte Teilweise stellt das Gesetz den bloßen Besitz unter Strafe. Beispiele: - Besitz von Drogen, § 29 I Nr. 3 BtMG - Besitz von Waffen, § 51 I WaffG - Kinderpornographie, § 184b IV 2 StGB Hier besteht ein Widerspruch zur Lehre der Strafbarkeit von Handlungen oder Unterlassungen (Ausnahme). 82
FALLBEISPIELE & DEFINITIONEN Überleitung zum subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2.) Fallbeispiel zur Abgrenzung Eventualvorsatz vs bewusste Fahrlässigkeit: Fall 3, „Klappspatenfall“: Pazifist P hilft beim Banküberfall, indem er mit Klappspaten Schmiere steht. Klappspaten hat scharfe und stumpfe Seite. Als Held H zum Alarmknopf hechtet, will P das verhindern. Bevor er zuschlägt, entscheidet er sich bewusst, die stumpfe Seite des Spatens zu nehmen, um H nicht zu krass zu verletzen oder gar zu töten. H stirbt trotzdem. Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tötung ? Lösung: P denkt sich quasi „Es wird schon gut gehen“ und unterstreicht diesen Gedanken zusätzlich mit der offensichtlichen Auswahl der stumpfen Seite des Spatens. Somit ist hier in Abgrenzung zum Eventualdosis eher die bewusste Fahrlässigkeit des P zu bejahen. P ist demnach nicht wegen vorsätzlicher Tötung, dafür aber wegen fahrlässiger Tötung, zu bestrafen. Problematische Fälle: zB informierter HIV-Infizierter steckt Sexualpartner an (je nach Einzelfall) 83
SUBJEKTIVER TATBESTAND I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a. Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs b. Tathandlung des Täters c. Kausalität zwischen der Handlung und dem Erfolg d. Objektive Zurechnung des Erfolges zur Handlung 2. Subjektiver Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 85
DEFINITIONEN zum subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2.) Vorsatz = Wissen und Wollen der Tatbegehung Vorsatzarten: - Absicht (Dolus Directus 1. Grades) - Direkter Vorsatz (Dolus Directus 2. Grades) je roter desto schlimm - Eventualvorsatz Fahrlässigkeitsarten: Abgrenzung - bewusste Fahrlässigkeit - einfache Fahrlässigkeit Sonderproblem Eventualvorsatz (Dolus Eventualis) !!! 86
DEFINITIONEN zum subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2.) Absicht (Dolus Directus 1. Grades) = Der Täter handelt mit Absicht, wenn es ihm gerade auf die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges ankommt, dessen Eintritt er zumindest für möglich hält. Das Wollen der Tat steht im Vordergrund. // Übersetzung: Er will das wirklich und hofft dementsprechend, dass es klappt. Direkter Vorsatz (Dolus Directus 2. Grades) = Der Täter handelt mit direktem Vorsatz, wenn er sicher weiss, dass der tatbestandliche Erfolg eintreten wird und er sich mit diesem Erfolg derart abfindet, dass er ihn zumindest billigend in Kauf nimmt. Dabei kann der Erfolgseintritt sogar unerwünscht sein. // Übersetzung: Er will das nicht wirklich, weiss aber, dass es sicher passieren wird und das ist für ihn dann auch ok. Eventualvorsatz = Der Täter erkennt die Möglichkeit des tatbestandsmässigen Erfolgseintritts und nimmt diese Möglichkeit ernst und findet sich mit dem Erfolg in der Weise ab, dass er den Erfolg billigend in Kauf nimmt, selbst wenn der Erfolg auch unerwünscht sein mag. // Übersetzung: Er hält es für möglich. Es wäre nicht cool und nicht sein Wunsch. Aber falls es passiert, nimmt er es in Kauf. Alle 3 Varianten sind Vorsatz im Sinne des StGB. 87
DEFINITIONEN zum subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2.) Sonderproblem Eventualvorsatz (Dolus Eventualis) in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit: Faustregel zur Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit = Frank´sche Formel Frank´sche Formel: Was sagt sich der Täter ? „Na wenn schon“ = bedingter Vorsatz /// „Es wird schon gut gehen“ = bewusste Fahrlässigkeit Problem: Frank´sche Formel ist zu ungenau Lösung: Es bedarf zusätzlich zur Frank´Fränkischen Formel konkreter Anhaltspunkte für ernsthaftes und nachvollziehbares Vertrauen des Täters auf einen guten Ausgang der Sache. 88
FALLBEISPIELE zum subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2.) Fall 4: Angela Jolina schiesst mit einer Armbrust auf die in ihrem Beetle Cabrio heran fahrende Jennifer Beniston. Sie will sie töten, weil sie älter und dennoch hübscher ist als sie. Dass dabei ganz sicher auch die ständig auf dem Beifahrersitz sitzende Emiliana Ratakowski drauf gehen wird, wenn der führerlose Beetle den 100 Meter tiefen Abgrund neben der Garage hinab fallen wird, findet sie zwar ungerecht, aber sie nimmt es in Kauf. Falls der Beetle den Gärtner Billy Bob erwischt - der dann vielleicht grad die Douglasien verschneidet - findet sie auch unschön - aber das muss dann eben sein. Ist Angela jeweils wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts strafbar ? Lösung: Ja. Bei Jennifer hat sie Direktvorsatz 1. Grades. Sie will das. Bei Emiliana hat sie Direktvorsatz 2. Grades. Sie will das nicht wirklich, weiss aber, dass es sicher passieren wird, was sie dann ok findet. Beim Gärtner Billy Bob hat sie Eventualvorsatz. Sie weiss nicht, ob er im Weg stehen wird. Falls ja, ist es halt so. 89
EXKURS ZU STRAFVERFOLGUNGS- HINDERNISSEN IRRTUMSLEHRE Es gibt Sachverhaltsirrtümer und es gibt Wertungsirrtümer. Normaler Irrtumsfall = Täter verwirklicht Strafbarkeitsvoraussetzung, denkt aber, er verwirkliche sie nicht Umgekehrter Irrtumsfall = Täter verwirklicht Strafbarkeitsvoraussetzung nicht, denkt aber, er erfülle sie Merke: Der Täter, der einem Sachverhaltsirrtum unterlicht, ist eigentlich rechtstreu und so kommt ihm der Sachverhaltsirrtum stärker zu Gute als ein Wertungsirrtum 90
EXKURS ZU STRAFVERFOLGUNGS- HINDERNISSEN Beispiel: Die 25 jährige Sportlehrerin Daisy verliebt sich in den 15-jährigen Gustav. Gustav verliebt sich in Daisy. Im Anschluss an den Schwimmunterricht nimmt Daisy an Gustav Oralverkehr vor. Variante 1: Wegen eines fehlerhaften Klassenbucheintrages, geht Daisy davon aus, dass Gustav schon 16 Jahre alt ist. Variante 2: Daisy weiss, dass Gustav 15 ist, geht aber davon aus, dass der strafrechtliche Schutz der Sexualdelikte mit Ablauf des 14. Lebensjahres endet, weil sie das in der Zeitung falsch verstanden hat. Strafbarkeit der Daisy nach § 174 Abs. I StGB ? 91
EXKURS ZU STRAFVERFOLGUNGS- HINDERNISSEN Lösung: Variante 1: Nein. Daisy unterliegt einem tatbestandsausschliessenden Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Prüfung endet bereits im subjektiven Tatbestand. Variante 2: Ja. Daisy erfüllt den subjektiven Tatbestand, weil sie weiss, dass G erst 15 ist. Sie will auch sexuelle Handlungen an ihm vornehmen. Zu prüfen ist ihre Schuld. Hier liegt kein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. Vermeidbar wäre ihr Irrtum bei Einsatz all ihrer geistigen Kräfte oder Einholung von Rat nämlich gewesen. Es liegt ein vermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 S. 2 StGB vor. (WICHTIG: § 17 S. 2 StGB lässt die Schuld unberührt, enthält aber die Möglichkeit der Milderung.) 92
EXKURS ZU STRAFVERFOLGUNGS- HINDERNISSEN Abwandlung bzw. Variante 3: Daisy denkt, dass Gustav erst 16 ist und glaubt daran, dass der Schutz über die Sexualdelikte in §§ 174 ff StGB mit Ablauf des 14. Lebensjahres endet. Lösung: Keine Strafbarkeit, da sowohl Tatbestandsirrtum nach 16 StGB (Irrtum über das Alter) als auch Verbotsirrtum gem. 17 StGB (Unkenntnis der Schutzaltersgrenze bei § 174 StGB) vorliegen. Strafbarkeit nach § 174 StGB scheidet demnach wegen des Tatbestandsirrtums über das Alter aus. 93
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) Merke: Obwohl die Prüfung im subjektiven Tatbestand nahe liegt, sollte die Prüfung der jeweiligen Irrtumsart erst im thematisch passenden Prüfungspunkt erfolgen, da man Details der Tat sonst evtl aussen vor lässt. Irrtumsarten: I. Irrtümer hinsichtlich des gesetzlichen Tatbestandes II. Irrtümer hinsichtlich eines Rechtfertigungsgrundes III. Irrtum über Entschuldigungsgründe IV. Irrtum über Strafaussschließungsgründe Anmerkung: Es folgen im Skript lediglich Beispiele zu Tatbestandsirrtümern. 94
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) I. Irrtümer hinsichtlich des gesetzlichen Tatbestandes, § 16 StGB 1. Beispiel-Fall zum Tatbestandsirrtum, § 16 Abs. I StGB: Brat will eine Schießübung machen und erkennt nicht, dass sein Ziel, eine Lara Croft Figur garnicht aus Pappe ist. Strafbarkeit wegen Totschlags ? Lösung: Brat kennt das Tatbestandsmerkmal „Mensch“ nicht. Ihm fehlt daher der Vorsatz, einen Menschen zu töten. Es kommt eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung in Betracht, § 222 StGB. 95
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) I. Irrtümer hinsichtlich des gesetzlichen Tatbestandes, § 16 StGB 2. Beispiel-Fall zum Tatbestandsirrtum, § 16 Abs. I StGB (Irrtum über Qualifikation): Rapper Kevin geht als Dieb auf Beutezug. Wegen eines Kälteeinbruchs, holt er dafür seine Pelzjacke aus dem Keller. Beim letzten Videodreh hat er seine Smith & Wesson in der Jacke vergessen, was er ebenfalls vergessen hatte. Strafbarkeit des Kevin? Lösung: Kevin ist nur wegen einfachen Diebstahls zu bestrafen. 96
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) 3. Beispiel: Irrtum über Tatbestandsalternativen (ebenfalls Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB): A meint, in eine Wohnung einzudringen. In Wirklichkeit ist es ein Büro. Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruches (§ 123 StGB) ? Lösung: Ja. A handelt vorsätzlich und irrt sich nach § 16 StGB über die Tatbestandsalternative der Büro-Eigenschaft. § 123 StGB schützt das Hausrecht. Dieser Schutz besteht deshalb bei Wohnungen und Büros bzw. beiden Tatbestandsalternativen gleichermaßen. Da egal ist, welche der gleichwertigen Tatbestandsalternativen erfüllt ist, muss man Vorsatz feststellen. Anmerkung: Würde A denken, Büros seien nicht über § 123 StGB geschützt, würde er einem bei Anstrengung aller geistigen Möglichkeiten vermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 StGB unterliegen. Er wäre dann nach § 123 StGB zu wegen Hausfriedensbruchs zu bestrafen. 97
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) 4. Beispiel: „Luftinjektionsfall“, BGH, NStZ 2002, 475 - „umgekehrter“ Irrtum über den Kausalverlauf (Erfolg tritt früher ein, als erwartet): Täter schlagen auf das Opfer im Hals- und Kopfbereich ein, um es anschließend durch die Injektion von Luft in die Armvene zu töten. Entgegen der Vorstellung der Täter verstirbt das Opfer nicht erst an der Injektion, sondern bereits an den Schlägen, was diese jedoch nicht bemerken. Strafbarkeit? Lösung: Ja. Wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung. Bereits in den Schlägen zur Wehrlosmachung liegt das unmittelbare Ansetzen (jetzt gehts los) hinsichtlich der Tötung, § 22 StGB. Durch das sofortig danach stattfindende Setzen der Luftinjektion bildet das gesamte Geschehen eine Einheit. 98
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) 5. Beispiel „Penis-Fall“, BGH, RA 2017, 611 - ebenfalls „umgekehrter“ Irrtum über den Kausalverlauf (Erfolg tritt früher ein, als erwartet): Täter schlug dem alkoholisierten O auf die Lippe wobei diesem Speisebrei aus dem Magen aufstieg. Da der Würgereflex wegen der hohen Alkoholisierung ausblieb, begann O zu röcheln. Wenige Minuten später verstarb O infolge Erstickens. A zog dem O die Hose aus und durchtrennte mit einem Messer dessen Penis. Dabei erkannte er dessen Tod nicht, sondern nahm vielmehr den Tod des vermeintlich noch lebenden O billigend in Kauf. Strafbarkeit wegen vorsätzlicher vollendeter Tötung ? Lösung: Nein. Da ein „nachträglicher“ Vorsatz (dolus subsequenz) gem. § 16 I StGB unbeachtlich ist, kommen beim Schlag nur § 223 StGB (Körperverletzung) und § 222 StGB (Fahrlässige Tötung) in Tateinheit in Betracht. Bei der Abtrennung des Penis (nunmehr in Tatmehrheit) kommt nur ein untauglicher Tötungsversuch in Betracht. 99
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) 6. Beispiel: Umgekehrter Tatbestandsirrtum Angelina möchte Brat erschiessen. Sie erkennt nicht, dass Sie nur seinen Pappaufsteller vor sich hat. Strafbarkeit wegen Totschlags? Lösung: Ja, aber nur wegen versuchten Totschlags, denn sie hat Vorsatz, aber keinen Erfolg. 100
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) II. Unvermeidbarer Verbotsirrtum, § 17 StGB: Verbotsirrtum ist unvermeidbar, wenn der Täter (trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens) die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte. 1. Beispiel: Jennifer beleidigt ein Kind. Sie denkt, nur die Beleidigung von Erwachsenen sei strafbar. Lösung: Das ist ein vermeidbarer Irrtum. 2. Beispiel: Mauerschützenfälle. DDR-Gesetz rechtfertigt Todesschüsse an der Berliner Mauer. Lösung: Zwar kein Verstoß gegen DDR-Gesetze. Aber BGH hat angenommen, dass auch indoktrinierte Menschen strafbar sind, weil sie erkennen müssen, dass ein „Verstoss gegen das elementare Tötungsverbot“ bestand. 3. Beispiel: „umgekehrter Verbotsirrtum“ (Wahndelikt) - Täter tut etwas Erlaubtes (zB Ehebruch oder Meuchelung einer 101Voodoo-Puppe)
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) Error in Persona vel Objecto: Täter trifft das anvisierte Ziel. Dabei unterliegt er einem - Irrtum über die Identität des Opfers. Oder - einem Irrtum zB über die Zugehörigkeit eines Gegenstandes. Gleichwertigkeit der Personen/Objekte lässt den Vorsatz bestehen, weil Tatbestand trotzdem erfüllt wird. Merke: Zusätzliche Strafbarkeit des Versuchs am anderen Objekt bzw an anderer Person scheidet aus. Denn Täter hatte nur einen einzigen Vorsatz, der bereits verbraucht ist. 102
IRRTÜMER quasi im subjektiven Tatbestand (Gliederungspunkt: I.2 aber bitte je nach Art erst bei Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld prüfen) Aberratio ictus (Fehlgehen des Schlages): Täter zielt schlecht und tötet versehentlich eine andere Person. Bezüglich der versehentlich getroffenen Person, hat er keinen Vorsatz. Hier ist er wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen. Bezüglich der verfehlten Person, kommt nur eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht. (Ausnahme, wenn Täter Eventualvorsatz bzgl. der anderen Person hatte) Abstruse Ausnahme (Kombination von error in persona und abberatio ictus): Täter will A töten. Er verwechselt A aber mit B und zielt auf B. Er ist ein schlechter Schütze und verfehlt B. Der schiefe Schuss, trifft aber zufällig A. Lösung: hier ist dennoch ein Aberratio Ictus anzunehmen, denn er hat nunmal B anvisiert und treffen wollen. Die Verwechslung tritt in der Wertung zurück. 103
EXKURS/MERKSÄTZE Sind juristische Personen ebenso strafbar wie natürliche Personen? (siehe § 14 BGB) Lösung: Nein. Nur natürliche (nicht dagegen juristische) Personen können sich strafbar machen. Es geht um menschliches individuelles Verhalten. Was ist die Mindestvoraussetzung für eine Tathandlung im Sinne des objektiven Tatbestandes? Lösung: Strafrechtlich relevant ist nach h. M. jedes äußerlich erkennbare menschliche Verhalten, das vom Willen beherrschbar ist bzw. beherrscht werden kann. Keine Handlungen sind bloße Absichten (kein Gedankenstrafrecht) 104
EXKURS/MERKSÄTZE Wie unterscheiden sich Verbrechen und Vergehen? Lösung: Nach § 12 Abs. 1 sind Verbrechen rechtswidrige Taten (s. § 11 Abs. 1 Nr. 5), die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. Alle übrigen Straftaten sind Vergehen (s. § 12 Abs. 2). Wofür ist die Abgrenzung von Verbrechen und Vergehen von Bedeutung? Lösung: Im Strafrecht: - für die Strafbarkeit des Versuchs (§ 23 Abs. 1) - für den Versuch der Beteiligung an einem Verbrechen (§ 30 ) - für die Bedrohung (§ 241) 105
EXKURS/MERKSÄTZE Im Strafprozessrecht: - für die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153 ff. StPO (nur bei Vergehen) - für den Erlass eines Strafbefehls, s. § 407 StPO (nur bei Vergehen) - für die Zuständigkeit des Strafrichters, s. §§ 25, 74, 75 GVG (nur bei Vergehen) - für die Bestellung eines Pflichtverteidigers, siehe § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO (bei Verbrechen) Des Weiteren hat die Einteilung in Verbrechen/ Vergehen auch Bedeutung für den Schusswaffengebrauch durch Polizeibeamte nach dem PAG. !!! Lesen Sie § 65 PAG !!! 106
EXKURS/MERKSÄTZE Entscheidend für die Abgrenzung Verbrechen/ Vergehen ist nach § 12 Abs. 3 die abstrakte Strafandrohung des jeweiligen Regelstrafrahmens. Folge: Da es allein auf das angedrohte Mindeststrafmaß des jeweiligen Straftatbestandes ankommt, ist es unerheblich, zu welcher Strafe der Täter tatsächlich verurteilt wurde. Unberücksichtigt für die Einteilung bleiben: - Strafschärfungen oder -milderungen nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB (z. B. § 21, § 23 Abs. 2, § 27 Abs. 2); - Unbenannte (vom Gesetzgeber nicht näher umschriebene) besonders schwere oder minder schwere Fälle (sog. unbenannte Strafänderungsgründe; z. B. § 249 Abs. 2; § 244a Abs. 2); 107
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man Offizial-, Antrags- und Privatklagedelikte voneinander ab ? Offizialdelikte werden von Amts wegen (ex officio) ohne Rücksicht auf den Willen des Verletzten verfolgt. Antragsdelikte sind Straftatbestände, die eine Strafverfolgung vom Willen des Verletzten (durch die Stellung eines Strafantrages) abhängig machen (sog. absolute Antragsdelikte). Soweit gesetzlich vorgesehen kann die Strafverfol- gung ausnahmsweise aber auch ohne Strafantrag (s. §§ 77 ff. StGB sowie § 158 Abs. 2 StPO) des Verletzten erfolgen, soweit die StA ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (sog. relative Antragsdelikte). Aufgabe: Lesen Sie die Diebstahlsdelikte (§§ 242 - 248 c StGB) und teilen sie in Offizialdelikte, absolute und relative Antragsdelikte ein. 108
EXKURS/MERKSÄTZE Lösung: Offizialdelikte sind (die Normalfälle) der - §242 - §243 - §244 - §244a - §246 - §248c Relative Antragsdelikte sind: - §242i.V.m.§248a; - §246i.V.m.§248a; - §248ci.V.m.§248a(s.§248cAbs.3) 109
EXKURS/MERKSÄTZE Lösung: Absolute Antragsdelikte sind: - §242i.V.m.§247 - §246i.V.m.§247 - §248b(s.Abs.3) - §248ci.V.m.§247(s.§248cAbs.3) - §248cAbs.4(Schädigungsdelikt) Privatklagedelikte sind in § 374 StPO (lesen!) abschließend aufgezählt und werden nur dann von Amts wegen verfolgt, wenn die StA ausnahmsweise ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (s. § 376 StPO). In der Regel soll (und kann) bei diesen Straftaten der Verletzte selbst die Strafverfolgung (durch Anklageerhebung zum Strafrichter) betreiben. 110
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man Vorsatz und Fahrlässigkeit voneinander ab? Lösung: Bei der Vorsatztat legt man dem Täter zur Last, dass er ein bestimmtes Rechtsgut wissentlich und willentlich angegriffen hat. Bei der Fahrlässigkeitstat wird dem Täter vor- geworfen, dass er die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat und dadurch eine für ihn vermeidbare und vorhersehbare Rechtsgutsverletzung herbeigeführt hat. 111
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man Begehungs- und Unterlassungsdelikte voneinander ab? Lösung: Begehungsdelikte sind Delikte, die ein aktives Tun voraussetzen ( z.B. § 212, 242). Echte Unterlassungsdelikte sind Delikte, die das Unterlassen einer gesetzlich angeordneten Handlung unter Strafe stellen; z. B. (bitte alle lesen!) - § 323c StGB - § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB - § 138 StGB - § 142 Abs. 2 StGB - § 170 StGB 112
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man echte und unechte Unterlassungsdelikte voneinander ab? Lösung: Unechte Unterlassungsdelikte sind Begehungsdelikte, die durch ein Unterlassen erfüllt werden, wenn die Nichtabwendung des tatbestandlichen Erfolgs kraft einer rechtlichen Pflicht zum Handeln (Garantenstellung oder auch „Ingerenz“, lateinisch für „sich einmischen“) dem aktiven Tun gleichstellt ist (siehe § 13 StGB, bitte lesen!). 113
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man die Täterqualifikation bei Allgemein- und Sonderdelikten ab? Lösung: Allgemeindelikte sind Delikte, die von jedermann begangen werden können. Diese sind daran erkenntlich, dass im jeweiligen Tatbestand bzgl. des Täters formuliert wird „wer“ (s. z. B. § 223; 242) Sonderdelikte sind dagegen Delikte, die nur von einem bestimmten Personenkreis begangen werden können. Täter kann nur sein, wer zu dieser Personengruppe zählt, z. B.: - ein Gefangener in § 121; - ein Arzt usw. in § 203; - ein Amtsträger (s. § 11 Abs. 1 Nr. 2) in §§ 331, 332. Die wichtigste Gruppe unter den Sonderdelikten bilden die Amtsdelikte. 114
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte voneinander ab? Lösung: Erfolgsdelikte sind Delikte, die erst dann vollendet sind, wenn ein Erfolg (Schaden) eingetreten ist. Zum Beispiel: - Totschlag (§ 212), - Körperverletzung (§ 223), - Betrug (§ 263). Tätigkeitsdelikte sind im Unterschied zu den Erfolgsdelikten, Delikte, bei denen allein die Handlung an sich schon strafbar ist. Der Eintritt eines Erfolges/Schadens ist nicht erforderlich. Zum Beispiel: - Meineid (§ 154) 115
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man Verletzungs- und Gefährungsdelikte voneinander ab? Lösung: Verletzungsdelikte sind Delikte, die zur Vollendung den Eintritt eines Schadens fordern, z. B.: - Körperverletzung ( § 223), - Diebstahl (§ 242), - Sachbeschädigung (§ 303) Gefährdungsdelikte sind dagegen Delikte, bei denen eine Handlung unter Strafe gestellt ist, die • a) tatsächlich eine Gefahr für Menschen oder Sachen auslöst (konkrete Gefährdungsdelikte, z. B. § 315c) • b) oder die eine Gefahr hätte auslösen können (abstrakte Gefährdungsdelikte, z. B. § 316) - bitte beide Normen lesen 116
EXKURS/MERKSÄTZE Wie grenzt man Versuch, Vollendung und Beendigung voneinander ab? Lösung: Eine versuchte Straftat liegt dann vor, wenn der Versuch unter Strafe gestellt ist (s. §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1) und der Täter zu der von ihm gewollten Straftat unmittelbar angesetzt hat (siehe § 22, „jetzt gehts los“), es aber nicht zur Vollendung der Straftat kommt. Eine Straftat ist in dem Zeitpunkt vollendet, wenn alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Beendet ist die Straftat, wenn sie ihren tatsächlichen Abschluss gefunden hat. 117
RECHTSWIDRIGKEIT (Gliederungspunkt: II.) Relevante Rechtfertigungsgründe - Notwehr und Nothilfe, § 32 - Rechtfertigender Notstand, § 34 - Festnahmerecht, § 127 Abs. I StPO - Tatbestandsausschließendes Einverständnis - Rechtfertigende Einwilligung (auch mutmaßlich), vgl. § 228 StGB - Pflichtenkollision bei Unterlassungsdelikten - Zivilrechtliche Notstandsregeln nach §§ 228 und 904 ZUSÄTZLICH: - strafrechtliche Rechtfertigung von Amtsträgern bei Handeln aufgrund öffentlich-rechtlicher Eingriffsbefugnisse (relevant für Polizei) 118
RECHTSWIDRIGKEIT (Gliederungspunkt: II.) weniger relevante Rechtfertigungsgründe - Selbsthilferechte nach §§ 229, 562, 859, 1029 BGB - Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 BGB - Besitzwehr/Besitzkehr (§ 859 BGB) - behördliche Erlaubnis - rechtfertigende Pflichtenkollision im Übrigen 119
RECHTSWIDRIGKEIT (Gliederungspunkt: II.) Prüfungsschema zur Rechtswidrigkeit 1.Objektive Voraussetzungen a. Rechtfertigungslage (Frage nach dem „ob“) b. Rechtfertigungshandlung (Frage nach dem „wie“) 2. Subjektive Voraussetzungen (Kenntnis der obj. VSS) Notwehrlage/„ob“ = gegenwärtiger rechtswidriger Angriff durch einen Menschen Notwehrhandlung = muss zur Abwehr des Angriffs gegenüber dem Angreifer geeignet, erforderlich und geboten (mildestes Mittel) sein 120
RECHTSWIDRIGKEIT (Gliederungspunkt: II.) Prüfungsschema zum Festnahmerecht, § 127 Abs. 1 StPO: 1.Objektive Voraussetzungen a. Festnahmelage (Frage nach dem „ob“) b. Festnahmehandlung (Frage nach dem „wie“) 2. Subjektive Voraussetzungen (Kenntnis der obj. VSS) Festnahmelage/„ob“ = wenn die festzunehmende Person auf frischer Tat betroffen oder verfolgt ist und ein Festnahmegrund vorliegt Festnahmehandlung = muss in angemessenem Verhältnis zu Festnahmezweck sein Festnahmegrund = zB Fluchtgefahr oder Unmöglichkeit der sofortigen Identitätsfeststellung 121
RECHTSWIDRIGKEIT (Gliederungspunkt: II.) Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung Tatbestandsausschließendes Einverständnis = Oma bittet Enkel in die Wohnung (kein Hausfriedensbruch nach § 123 StGB, Tatbestand des Eindringens ist nicht erfüllt) Voraussetzungen: 1. Natürliche Willensfähigkeit des Einwilligenden 2. Zustimmung zu der verletzenden Handlung 3. Zustimmung im Tatzeitpunkt 122
RECHTSWIDRIGKEIT (Gliederungspunkt: II.) Tatbestandsausschließendes Einverständnis und rechtfertigende Einwilligung Rechtfertigende Einwilligung = Oma mistet mit Enkel den Keller aus. Sie bittet den Enkel, das gefundene Gemälde zu verbrennen. Enkel verbrennt es. (keine Sachbeschädigung, Tatbestand der Zerstörens einer Sache ist zwar erfüllt, aber durch Einwilligung gerechtfertigt) Voraussetzungen: A. Objektive Voraussetzungen 1. Dispositionsbefugnis (fehlt bei Rechtsgütern der Allgemeinheit (Rechtspflege, Straßenverkehr) 2. Kundgabe vor der Tat (Kundgabe konkludent bzw. durch schlüssiges Handeln genügt) 3. Einwilligungsfähigkeit (Verstandesreife muss vorhanden sein) 4. Keine Willensmängel (zB wenn Blutspende garnicht für wohltätigen sondern kommerziellen Zweck ist) 5. Keine Sittenwidrigkeit (nur bei Körperverletzung (bitte § 228 StGB lesen!), Sittenwidrigkeit bei Erfüllung des § 226 StGB (Verlust von Sehvermögen, Fortpflanzungsfähigkeit oder Körperteilen oder bei Entstellung) B. Subjektive Voraussetzungen 123
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