Als das "Wall Street Journal" schäumte Relativierung des Privateigentums, Sozialpflichtigkeit des Kapitals: Vor 40 Jah- ren erschien die Enzyklika ...
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in leicht gekürzter Form erschienen in: Die Presse, 24. März 2007, Spectrum IV Als das "Wall Street Journal" schäumte Relativierung des Privateigentums, Sozialpflichtigkeit des Kapitals: Vor 40 Jah- ren erschien die Enzyklika "Populorum progressio" Pauls VI. Von Kurt Remele Schon als Mailänder Erzbischof hatte sich Giovanni Battista Montini, der spätere Papst Paul VI., intensiv mit sozialen Problemen auseinander gesetzt. 1960 war er nach Lateinamerika gereist, 1962 nach Afrika. 1963 wurde Montini zum Papst ge- wählt, im Jahr darauf nahm er am Eucharistischen Weltkongress in Bombay teil. Durch diese Reisen in Länder der so genannten Dritten Welt und durch seine guten Kontakte zu Entwicklungsexperten, namentlich zu dem französischen Dominikaner und Soziologen Louis-Joseph Lebret, wurde sich Paul VI. immer stärker bewusst, dass die Soziale Frage weltweit geworden war. Der Papst wurde zum entschiedenen Anwalt der armen Menschen und Völker. In manchen begüterten katholischen Kreisen ist bis heute das Missverständnis anzutreffen, die katholische Soziallehre habe das Privateigentum "heilig gespro- chen". Als Beleg dafür wird auf eine Textstelle der Sozialenzyklika Rerum novarum von 1891 verwiesen (Ziffer 12). Der hoch angesehene deutsche Jesuitenpater und Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning verwarf diese Auffassung als "unsinnige, ja ungeheuerliche Behauptung", die auf einem Übersetzungsfehler beruhe. Die zentrale Botschaft der katholischen Eigentumslehre sei vielmehr, dass die Güter dieser Erde von Gott nicht für Einzelne, sondern für alle Menschen geschaffen seien, und jeder das Recht habe, auf der Erde das zu finden, was er nötig hat. Die katholische Sozi- altradition spricht deshalb von einer Gemeinwidmung der Erdengüter und einer Sozi- alpflichtigkeit des Kapitals. Die Bestimmung der Erdengüter für alle Menschen und alle Nationen steht im Mittelpunkt der am 26. März 1967 veröffentlichten Enzyklika Populorum progressio Papst Pauls VI. Der Papst konkretisiert darin die kirchliche Eigentumslehre im Kon- text des Nord-Süd-Konflikts. "Das Privateigentum", verkündet Paul VI., "ist für nie- mand ein unbedingtes und unumschränktes Recht. Niemand ist befugt, seinen Über- fluss ausschließlich sich selbst vorzubehalten, wo anderen das Notwendigste fehlt."
(Nr. 23) Das globale Gleichgewicht zwischen jenen Völkern, in denen unzählige Menschen an einem "jämmerlichen Mangel" an Nahrungsmitteln leiden, und jenen, in denen Nahrungsmittel im Überfluss erzeugt und konsumiert werden, sei in einem bedrohlichem Ausmaß gestört (Nr. 8). Diese Diskrepanz verlange nach tief greifen- den Reformen, die unverzüglich in Angriff genommen werden müssen (Nr. 32). Paul VI. macht sich die entschiedene, rhetorisch brillante Privateigentumskritik des Kir- chenvaters Ambrosius, des großen Mailänder Bischofs aus dem 4. Jahrhundert, zu Eigen: "'Es ist nicht dein Gut', sagt Ambrosius, 'mit dem du dich gegen den Armen großzügig erweist. Du gibst ihm nur zurück, was ihm gehört. Denn du hast dir nur herausgenommen, was zu gemeinsamer Nutzung gegeben ist. Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen.'" (Nr. 23) Aufgewärmter Marxismus? Paul VI. beschränkt sich in Populorum progressio nicht auf die Verkündigung allge- meiner sozialethischer Prinzipien. Er verbindet Grundsätzliches mit konkreten Anwei- sungen und Forderungen, die sich an die Industrieländer, die Entwicklungsländer und auch an die Kirche selbst richten. Er betont die Notwendigkeit, übermäßig gro- ßen, aber schlecht genutzten Grundbesitz zu enteignen und einer besseren Nutzung zuzuführen (Nr. 24). Er prangert das Wettrüsten als "unerträgliches Ärgernis" und "öffentliche Vergeudung" von Ressourcen an und fordert die Regierenden auf, "einen Teil der Beträge, die sie für Rüstungszwecke ausgeben, zur Schaffung eines Welt- fonds zu verwenden, um so den notleidenden Völkern zu helfen." (Nr. 51, 53) Er macht deutlich, dass globaler Friede nicht ohne eine gerechtere Güterverteilung zu haben sein wird: Entwicklung sei deshalb der neue Namen für Frieden (Nr. 87) Mit Verweis auf das Vorbild eines chilenischen Bischofs appelliert der Bischof von Rom an seine Amtsbrüder, einen Teil ihres persönlichen Vermögens den Armen zu schenken. Paul VI. setzte in dieser Hinsicht selbst ein Zeichen: Im November 1964 veräußerte er die Tiara, die aus Gold, Silber und Edelsteinen gefertigte päpstliche Krone zugunsten der Armen. Es gibt Gerüchte, dass Papst Paul sogar beabsichtig habe, Michelangelos Pietà-Skulptur zu verkaufen. Laut Aussage von Daniel Wein- stein, dem Kunsthändler, an den sich der Papst diesbezüglich gewandt haben soll, hat sich Paul VI. mit folgenden Worten über kirchlichen Reichtum und Luxus beklagt: "Die Menschen verhungern, und wir geben das Bild eines Vatikans ab, der auf einem Thron aus Gold lebt. Das ist unerträglich."
Es ging Papst Paul aber nicht nur um den Verzicht auf Luxus und um die die Verteilung von Almosen, sondern um soziale Gerechtigkeit und um eine echte Sozial- und Strukturreform. Die Relativierung des Privateigentums geht in Populorum Pro- gressio Hand in Hand mit einer harten Kritik an Kernsätzen des Kapitalismus. Ein ungehemmter Wirtschaftsliberalismus, "wonach der Profit der eigentliche Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, der Wettbewerb das oberste Gesetz der Wirtschaft, das Eigentum an Produktionsmitteln ein absolutes Recht darstellt" (Nr. 26) ist nach Paul VI. wirtschaftsethisch abzulehnen. Die Preisbildung auf dem Weltmarkt sei häufig unbefriedigend und ungerecht; das Austauschverhältnis ("terms of trade") habe sich zum Nachteil der armen Länder des Südens verschlechtert: "Die Spielregel des frei- en Handels kann also für sich allein die internationalen Beziehungen nicht regieren. … Eine Verkehrswirtschaft kann nicht mehr allein auf die Gesetze des freien und un- gezügelten Wettbewerbs gegründet sein, der nur zu oft zu einer Wirtschaftsdiktatur führt. Der freie Austausch von Gütern ist nur dann recht und billig, wenn er mit den Forderungen der sozialen Gerechtigkeit übereinstimmt." (Nr. 56-59) Marxisten und Sozialisten aller Provenienzen waren über die harsche Privat- eigentums- und Kapitalismuskritik des Papstes hoch erfreut, Konservative und Wirt- schaftsliberale naturgemäß ganz und gar nicht. Die französische L' Humanité und Günther Nenning, der sich zu dieser Zeit gerade in seinem linkenLebensabschnitt befand, gemeindeten den Papst der Sozialistischen Internationale ein, das Wall Street Journal diskreditierte die Enzyklika als "aufgewärmten Marxismus" und das Time Magazine echauffierte sich darüber, dass Teile der Enzyklika den schrillen Ton- fall einer marxistischen Polemik des frühen 20. Jahrhunderts hätten. Dennoch, der Papst erwies sich in Populorum progressio weder als Marxist noch als Sozialist (und – natürlich – schon gar nicht als Konservativer), sondern als exzellenter katholischer Sozialethiker und echter Humanist. Er aktualisierte und kon- kretisierte die Soziallehre der Kirche im Blick auf die krassen Ungerechtigkeiten in den Nord-Süd-Beziehungen. Wie die biblischen Propheten, die Kirchenväter und Je- sus Christus selbst verurteilte er Habsucht und Hartherzigkeit, Materialismus und übermäßigen Reichtum. Er weigerte sich, Not und Elend zu bagatellisieren, die Me- chanismen des Marktes zu idealisieren und die Schuldigen zu exkulpieren. Paul VI. lehnte es ab, Entwicklung mit Wirtschaftswachstum gleichzusetzen und betonte stattdessen, dass es nicht nur eine ökonomische Unterentwicklung gebe, die mate- rielle Not verursacht, sondern auch eine "moralische Unterentwicklung" (Nr. 19) und
einen "erstickenden Materialismus" (Nr. 18), die dem inneren Wachstum des Men- schen entgegenstünden: "Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben." (Nr. 14) Ein Humanismus im Vollsinn des Wortes dürfe die Augen nicht vor den Werten des Geistes und vor Gott verschließen. (Nr. 42) Deshalb warnt Paul VI. die armen Länder auch davor, die Werthaltungen der reichen Nationen unkritisch zu übernehmen und die wahren geis- tigen und menschlichen Werte ihrer eigenen Kultur aufzugeben. (Nr. 40f.) 40 Jahre später erscheinen manche Aussagen und Hoffnungen von Populo- rum Progressio als allzu euphorisch, das Vertrauen des Papstes in Pläne, Politiker und Bischöfe als überzogen. Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik sind nüchterner geworden, die Einwände der Entwicklungshilfekritikerinnen und -kritiker von Ivan Illich und Brigitte Erler über Axelle Kabou und Wole Soyinka bis zu William Easterly und Paul Theroux werden Ernst genommen. Benedikt fällt eher durch Pelze auf Paul Theroux beispielsweise berichtet In seinem eindrucksvollen afrikanischen Rei- sebericht Dark Star Safari (2003) von arroganten Entwicklungshelfern in neuen wei- ßen Land Rovers und Entwicklungshilfeprojekten, die ohne Verständnis für die Be- dürfnisse der einheimische Bevölkerung hingeklotzt wurden, von apathischen Afrika- nern, die sich völlig passiv auf ausländische Hilfsleistungen verlassen und korrupten afrikanischen Potentaten, die sich an ausländischen Hilfsgeldern bereichern. Höchst aktuell bleiben jedenfalls die Forderungen Pauls VI. nach "tief greifende Reformen der gegenwärtigen Lebensverhältnisse" (Nr. 81) und nach einem offenen Gespräch zwischen jenen, die Hilfsmittel bereitstellen und denen, die sie empfangen (Nr. 54). "What's left of the left?", fragen viele. "Die katholische Soziallehre", antworten manche. Wie eine aufmerksame und vorurteilsfreie Relecture von Populorum pro- gressio gezeigt hat, ist dieser Antwort so falsch nicht. Doch: The times they are a- changin', und das gilt auch für die Sozialdoktrin und die soziale Praxis der Päpste. Während Paul VI. die päpstliche Tiara zugunsten der Armen veräußerte, fällt Bene- dikt XVI. eher durch sein Faible für pelzbesetzte Kleidungsstücke und rote Prada- Schuhe auf. Während Paul VI. mit Dom Helder Camara, dem brasilianischen Bischof der Armen, befreundet war und in Ausnahmefällen sogar eine gewaltsame politische Revolution für berechtigt hielt, betreten Befreiungstheologen den Ratzinger-Vatikan vornehmlich durch die Tür der Glaubenskongregation. Während man Populorum
progressio und Paul VI. eine Nähe zum Marxismus vorgeworfen hat, erinnert die eine oder andere Textstelle in Benedikts erster Enzyklika Deus caritas est eher an das Parteiprogramm der bayerischen CSU. Benedikts derbe Sozialstaatskritik etwa klingt so, "als hätten bürgerliche Eliten aus Deutschland sie diktiert" (Friedhelm Hengs- bach). Dennoch: Auch Benedikt XVI. bekennt sich grundsätzlich zur vorrangigen Option der Kirche für die Armen. "Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter", ver- kündete er in Deus caritas est, "bleibt Maßstab, gebietet die Universalität der Liebe, die sich dem Bedürftigen zuwendet." (Nr. 25b)
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