Alte Sorten, neu entdeckt - Bäckerhaus Veit
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Interview Backhaus Veit Alte Sorten, neu entdeckt Marketingberaterin Susanne Erb-Weber und Agrarwirtschaftsprofessor Dr. Jan Sneyd berichten über das Engagement des Bäckerhauses Veit für den regionalen Anbau, der unter anderem auch Urgetreidesorten umfasst. Artisan: Frau Erb-Weber, was sind die Prof. Dr. Jan Sneyd betreut als passionierter und pensionierter Gründe dafür, dass das Bäckerhaus Veit Pflanzenzüchter den Projektgarten des Backhauses Veit. soweit wie möglich Getreide und ande- re Rohstoffe aus regionalem Anbau ver- arbeitet? Susanne Erb-Weber: Das Bäckerhaus Veit ist eine regional verankerte Familienbä- ckerei. Schon Seniorchef Richard Veit hat Wert darauf gelegt, möglichst viele Rohstoffe aus der Region zu verarbeiten. Er war es auch, der 2003 die Veit-Apfel- plantage in Nürtingen-Raidwangen mit 2.700 Apfelbäumen ins Leben rief, weil er nicht einsah, warum ein Bäcker Äpfel aus China für Apfelkuchen einsetzen soll, wenn es doch Äpfel direkt aus der Regi- Foto: Dr. Michael Immendörfer 2021 on gibt. Diese Einstellung, auch wenn sie häufig mit Mehrkosten verbunden ist, zum anderen ist „regional“ beim Kon- Prof. Dr. Jan Sneyd: Ich habe an der Hf- führte dazu, dass frische Vollmilch di- sumenten ein immer wichtiger wer- WU Nürtingen-Geislingen unter ande- rekt vom Albhof aus Lauterstein für alle dendes Kaufkriterium. Das sehen wir rem die Pflanzenzüchtung unterrichtet. Brezeln und das Hefegebäck eingesetzt auch gerade jetzt in der Corona-Kri- Der Projektgarten ist also eigentlich ei- wird oder Walnüsse aus dem Ermstal für se. Wir setzen mit Prof. Sneyd und un- ne Fortsetzung meiner Lehr- und For- ein Nussbrot, Ermstäler Zwetschgen für seren Vertragslandwirten auf eine kon- schungstätigkeit nach der Pensionierung. Zwetschgenkuchen und vieles mehr - trolliert-integrierte Anbauweise nach Danach entstand die sogenannte „Frei- und letztendlich auch, dass vor 12 Jahren den Baden-Württemberg Richtlinien heit“, in der man eigene Ziele intensiver das erste eigene Vertragsanbauprojekt und können uns auch vorstellen, uns per- verfolgen konnte. Das erste war die Been- mit dem Schwäbischen Dickkopf-Land- spektivisch mit neuen Anbaumöglich- digung der Sammelreisen zur Erhaltung weizen gestartet wurde. Cornelia Veit als keiten wie dem „dritten Weg im Acker- der Ur-Wildart Kapern im Mittelmeer- geschäftsführende Gesellschafterin des bau“, dem Verzicht auf Pflanzenschutz- raum und Herausgabe des Buches: „Ka- Bäckerhauses Veit steht voll hinter dieser mittel, zu befassen. pern und die Kapernpflanze…“. Gleich- Philosophie und will den Weg, mit regi- zeitig die Fortsetzung des Projektes „Er- onalen Partnern zu arbeiten, gerne noch Artisan: Herr Prof. Dr. Sneyd, Sie betreuen haltung Alter Landsorten seit 1983“. weiterentwickeln. als passionierter und pensionierter Pflan- Doch erst durch eine Begegnung mit zenzüchter den Projektgarten des Back- Susanne Erb-Weber und Erdmute Veit- Artisan: Warum „nur“ regional und nicht hauses zur Rekultivierung von über 30 Murray, der damaligen Geschäftsführe- ergänzend auch noch bio? alten Getreidesorten. Wie ist die Idee zu rin des Bäckerhauses Veit, im Jahre 2008 Susanne Erb-Weber: Zum einen ist das diesem Garten vor über zehn Jahren ent- ergab sich die Chance, die Ergebnisse in Bäckerhaus Veit keine Bio-Bäckerei, standen? die Praxis umzusetzen. Die fruchtbare 16 Artisan 2/2021
Backhaus Veit Interview 21 Dr. Jan Sneyd 20 Foto: Prof. [1] Für den Versuchsanbau im Projektgarten kommt auch ein sogenanntes Sortenrad zum Einsatz, das man hier im Schnee erkennen kann. [2] So sieht ein ganzes Feld mit reifem Binkel-Samtrot-Getreide zur Erntezeit aus. Foto: Dr. Michael Immendörfer 2021 1 Zusammenarbeit dauert bis heute. Nur mit einer funktionierenden Wertschöpfungs- kette kommt man zum Ziel: Gutes Brot. Ein wichtiger Teil hierzu ist unser „Projekt- 2 garten“ oder Versuchsgarten in Beuren- Balzholz. ten Landsorten oder -arten. Als echtes Ur-Getreide kann man Artisan: Was ist das Ziel des Projektgartens? Was sind die wich- aber nur die ursprünglichen Wildformen und Vorfahren be- tigsten Erkenntnisse, die Sie bisher gewonnen haben? zeichnen. Prof. Dr. Jan Sneyd: Das Hauptziel ist die aus verschiedenen Susanne Erb-Weber: In der Vermarktung von Backwaren ist Quellen gesammelten Körner-Proben alter Getreide-Landsor- die Begrifflichkeit Urgetreide dennoch hilfreich, weil die Kun- ten zu testen und zu vermehren. Dabei setze ich im Versuchs- den damit sofort Ursprünglichkeit assoziieren. Wir verwenden anbau auch ein sogenanntes Sortenrad ein. den Begriff jedoch im engeren Sinne nur für Emmer, Einkorn Die bisherigen Erkenntnisse sind vor allem: und Dinkel. Beim Dickkopfweizen und Rotkornweizen spre- Es ist schwierig, aufwändig und kostspielig, geeignete Geno- chen wir von alten Sorten. typen für die heutige Zeit zu finden und zu rekultivieren. Denn in der Zeit der „Alten Sorten“, also im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, war die Anbau- und Pflegetechnik ganz anders als heute. Man muss sich deshalb auf Eigenschaften, die in den „R egional“ ist beim Konsu- Hochzuchtsorten nicht so ausgeprägt sind - also auf Nischen - menten ein immer wichtiger “ konzentrieren. Beispiele sind hier Vitamine, Antioxidantien, ei- nige Resistenzen und Verdaulichkeit. werdendes Kaufkriterium. Aber nur mit einer gut funktionierenden Wertschöpfungskette, von Einzelpflanzen zu Kleinvermehrungen über Analysen, Ver- mehrungen bei Vertragslandwirten bis hin zu Bäckerei & Mar- Artisan: Unter den Urweizen sind Einkorn und Emmer inzwi- keting und den Konsumenten, kommt man zum Ziel, nämlich schen recht bekannt. Sie haben sich daneben auch mit dem Bin- zu qualitativ hochwertigem Brot unter Verwendung von alten kel beschäftigt. Was ist das Besondere an dieser 3.000 Jahre al- Sorten. Und dabei dürfen die gesetzlichen Vorgaben, wie das ten, eigenständigen Urweizen-Art? Saatgutverkehrsgesetz, auch nicht vergessen werden. Prof. Dr. Jan Sneyd: Bei den Weizenarten hat man heute kei- Meiner Meinung nach ist es kein Zufall, dass das Projekt „Er- ne große Auswahl, denn fast alle wurden bereits – neben den haltung der biologischen Vielfalt durch Rekultivierung alter wichtigsten Weichweizen - auf eine mögliche Nutzung über- Sorten“ durch das Bäckerhaus Veit einer der Gründe für die prüft. Doch die Eigenschaften einiger weniger, wie etwa Binkel- Verleihung des „LEA-Mittelstandspreises für soziale Verant- weizen, lateinisch Triticum compactum und auch Bergweizen wortung in Baden Württemberg“ im Jahre 2019 war. genannt, sind immer noch weitgehend unbekannt. Beim Anbau im Projektgarten wurde jahrelang ein ganzes Sor- Artisan: Urgetreide liefern einen geringeren Ertrag als moderne timent verschiedener Varietäten getestet; der Samtrot Ur-Bin- Getreidesorten. Was macht die Urgetreide für den Bäcker und kel überzeugte aber besonders durch einige Anbau- und Qua- auch die Kunden trotzdem interessant? litätseigenschaften und auch als Brotweizen. Dies wurde im Prof. Dr. Jan Sneyd: Der Begriff Urgetreide wird zwar häufig be- größeren Anbau 2020 bestätigt. 2021 wird der Binkel bei zwei nutzt, doch man meint damit beispielsweise häufig auch die Al- Vertragslandwirten bereits auf 1,2 Hektar angebaut. Artisan 2/2021 17
Interview Backhaus Veit Foto: Dr. Michael Immendörfer 2021 Foto: Bäckerhaus Veit GmbH 2021 [3] An den Ähren sind die Unterschiede der alten Wei- zensorte „Binkel-Samtrot“ und eines modernen Hoch- zuchtweizens klar erkenn- bar. [4] Bäckermeister und Brot-Sommelier Oliver Lah- de vom Bäckerhaus Veit hat aus dem Schwäbischen Dickkopf-Landweizen ein rustikales Brot entwickelt. 3 4 Vollkornbrot, nur mit einem Anteil Dick- Susanne Erb-Weber: Die Dickkopf-Kru- Artisan: Auch beim Binkel gibt es ja ver- kopfweizen gebacken. Die neue Dick- ste ist im Veit-Sortiment eine ganz ei- schiedene Ausprägungen, wie Igel-Binkel, kopf-Kruste, die letztes Jahr zusätzlich genständige Brotspezialität, mit leicht Samtrot Ur-Binkel oder Flechtbinkel. Nach gelauncht wurde, wird mit 100% Dick- rauchigen Röstaromen in der ausge- welchen Kriterien entscheiden Sie, welche kopfweizen hergestellt. Beim ersten Bin- prägten Kruste und einer saftig weichen Sorte für die Verarbeitung in der Bäckerei kelbrot, dem s´Kleine B wie Binkel, müs- Krume durch den lange geführten Sau- am besten geeignet ist? sen wir aus diesen Gründen auch erst erteig und die ausgiebige Teigreife. Hier Prof. Dr. Jan Sneyd: Beim Binkel sind das einmal mit einer Mischung aus Binkel ar- kann der Dickkopfweizen sein leicht unter anderem die Mähdruschfähigkeit, beiten, hier übrigens zusammen mit Din- nussiges Profil sehr schön entwickeln. die Erntequalität und die Mahlausbeu- kel. Geschmacklich lassen sich die Eigen- Das Brot hat sich innerhalb kurzer Zeit te. Durch die Analysen auf die Vitamine heiten aber auch über eine Beimischung zum Renner entwickelt. E und B und den Antioxidantien-Gehalt, herausarbeiten. Verdaulichkeit, Geschmack, Ballaststof- Artisan: Um den Erhalt von „alten“ Sor- fe und Spurenelemente sowie Beobach- Artisan: Bäckermeister Oliver Lahde vom ten kümmert sich auch die „Arche des tungen der Photosynthese erkennen wir Bäckerhaus Veit hat im Rahmen seiner Geschmacks“ von Slow Food Deutsch- „N ur mit einer funk- die Vorteile dieser besonderen uralten land, bei der Binkel und Dickkopfweizen Art. Die Verdaulichkeit hat dabei unser bereits an Bord sind. Warum gerade die- Partner, die Universität Zlin in Tsche- se beiden alten Sorten, schließlich gibt es chien, untersucht. schon allein in Ihrem Projektgarten noch tionierenden Wert- viel mehr? Artisan: Frau Erb-Weber, wenn man Ge- schöpfungskette Susanne Erb-Weber: Die Aufnahmekri- bäck aus Urgetreide herstellen möchte, terien von Slow Food für die Arche-Pas- sollten diese dann aus Ihrer Sicht auch kommt man zum sagiere, also für schützenswerte, alte 100% des jeweiligen Urgetreides enthal- ten? Oder reichen schon geringere Anteile aus, um dem Gebäck einen besonderen Ziel: Gutes Brot. “ Sorten, die vom Aussterben bedroht sind, sind sehr streng. Die Kommission befasst sich damit sehr intensiv, die An- Geschmack oder andere Alleinstellungs- tragstellung ist aufwendig. Wir sind sehr merkmale zu verleihen? Abschlussarbeit zum Brot-Sommelier stolz, dass wir die Anerkennung für den Susanne Erb-Weber: Bei der Rettung ei- aus dem Schwäbischen Dickkopf-Land- Dickkopfweizen in 2013 bekommen ha- ner alten Getreidesorte, ausgehend von weizen ein rustikales Brot entwickelt, die ben und dass jetzt zu Beginn des Jah- einer Handvoll Körnern, baut sich die Dickkopf-Kruste. Was unterscheidet die- res 2021 auch der Samtrot Ur-Binkel als Verfügbarkeit erst über mehrere Anbau- ses Brot von anderen Weizenbroten und Vertreter der Echten Binkelweizen an- jahre auf. Beim Dickkopfweizen haben welche Effekte hat der Dickkopf-Land- erkannt wurde. Neben dem Grünkern wir daher das erste Brot, das Dickköpfle- weizen dabei? gibt es im Getreidebereich nur diese 18 Artisan 2/2021
Anzeige Backhaus Veit Interview beiden Arche-Passagiere. Das Bäckerhaus Veit uren kam, lag der halbe Bestand auf dem nassen ist die einzige Bäckerei Deutschlands, die nach- Boden, flach gedrückt. Lager nennt man beim haltig und erfolgreich Arche-Passagiere betreut, Getreide eine solche Katastrophe. Doch be- und jetzt gleich zwei an der Zahl. Die funktio- reits nach drei Wochen erlebte ich eine Überra- nierende Wertschöpfungskette, die Herr Sneyd schung: Viele Pflanzen konnten sich wieder zur beschrieben hat, ist auch der Grund, warum der Hälfte „aufrichten“ und sich erneut gen Himmel Dickkopfweizen als eines von 23 Leuchtturm- strecken. Diese Eigenschaft ist übrigens beson- projekten im bundesweiten Projekt „Wertschöp- ders bei den langen „Alten Sorten“ bekannt. So fung mit alten Sorten und Rassen“ vom Bundes- konnten wir im August trotzdem eine qualitativ ministerium für Landwirtschaft und Ernährung hochwertige Ernte einfahren. Das erste Binkel (BMEL) in diesem Jahr ausgezeichnet wird. Brot – in Württemberg nach 100 Jahren - konn- te dann im Bäckerhaus Veit in Bempflingen er- Artisan: Herr Prof. Sneyd, wie überzeugt man ei- folgreich gebacken werden. gentlich einen Landwirt davon eine alte Getrei- desorte anzubauen, die er selbst vielleicht noch gar nicht kennt? Prof. Dr. Jan Sneyd: Gute Frage, es ist lange her, „U nser täglich Brot ist dass die Alten Sorten angebaut wurden. Heu- mehr als nur ein te sieht man in Deutschland fast nur noch mo- derne kurze, ertragreiche und anspruchsvolle Hochzuchten. Bei den “Alten“ muss man sich erstmal „durchtasten“, um dann einen regional Kalorienlieferant. “ optimalen, schonenden, mittelintensiven, inte- Artisan: Frau Erb-Weber, Herr Prof. Sneyd, was grierten Anbau zu empfehlen. Über das Ergeb- ist für Sie gutes Brot? nis freuen sich dann nicht nur Herr Sneyd, Frau Prof. Dr. Jan Sneyd: Es klingt vielleicht über- Erb-Weber und Geschäftsführerin Frau Corne- trieben, aber ich denke manchmal bei der Ar- lia Veit, sondern auch der Landwirt. Es geht ja beit im Projektgarten an Hippokrates, der 400 auch um das Kulturerbe seiner Vorfahren. v.Chr. schrieb:„Eure Nahrungsmittel sollen Eu- re Heilmittel und Eure Heilmittel sollen Eu- Artisan: Herr Prof. Sneyd, gibt es bei Ihrer Arbeit re Nahrungsmittel sein.“ Unser täglich Brot ist auch besondere Ereignisse? mehr als nur ein Kalorienlieferant. Prof. Dr. Jan Sneyd: Oh ja, beispielsweise 2020: Susanne Erb-Weber: Für mich ist ein gutes Brot Nachdem ich nach einem starken Sturm im Juni ein handwerklich hergestelltes Brot, das durch zu unserem Binkelfeld auf dem Haldenhof in Be- die Teigbereitung und Teigreife ein differen- ziertes Aromaprofil entwickelt hat, das einfach richtig gut schmeckt, und [5] Dieses Plakat im Rahmen der Mar- natürlich auch ein Brot, das ketingaktion „ursprünglich und regio- durch seine Zutaten seine nal-Wochen“ erklärt und zeigt die Vor- züge der Dickkopf-Kruste. [6] Mit dem Region spiegelt. Samtrot Ur-Binkel kultiviert das Back- haus Veit eine weitere alte Weizensor- Mit Susanne Erb-Weber te. Das Binkel-Brot enthält bisher ne- und Prof. Dr. Jan Sneyd ben Binkel auch Dinkel. mbH 2021 sprach Stefan Schütter. haus Veit G sts / schuetter@ baeckerwelt.de, Foto: Bäcker 5 Tel: 0234-91527171 Mobil: 0170 3621176 6 Foto: Bäckerhaus Veit GmbH 2021 Artisan 2/2021 19
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