Altersbilder der Gegenwart - Haltung der Bevölkerung zum Alter und zur alternden Gesellschaft - Sotomo
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Auftraggeber Berner Generationenhaus Bahnhofplatz 2 3011 Bern Das Berner Generationenhaus ist ein öffentlicher Ort der Begegnung und des gesellschaftlichen Dialogs. Mit seinem vielschichtigen Angebot leistet es einen sozialen und kulturellen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Als Tagungsort bietet es zudem Räume für Anlässe, Konferenzen und Bankette. Das Berner Generationenhaus ist eine Institution der Burgergemeinde Bern. Auftragnehmer Forschungsstelle sotomo Dolderstrasse 24 8032 Zürich Autor/innen (alphabetisch) Gordon Bühler Michael Hermann Michael Lambertus Eveline Würgler Zürich, Februar 2019
INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis 1 In Kürze 4 2 Altersbilder 6 2.1 Gelassenheit als Altersmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.2 Zwischen Freiheit und Vergänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 9 2.3 Altsein ohne alt zu sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.4 Woran das Älterwerden festgemacht wird . . . . . . . . . . . . 13 2.5 Was für Ältere noch als angemessen gilt . . . . . . . . . . . . . 15 3 Älterwerden: Sich freuen, sich fürchten 18 3.1 Befreiung von Verpflichtungen und Erwartungen . . . . . . . . . 19 3.2 Angst vor Verlust an Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.3 Angst vor Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.4 Geringe Furcht vor weissen Haaren und Falten . . . . . . . . . . 24 3.5 Ältere fürchten sich weniger vor dem Tod . . . . . . . . . . . . 26 3.6 Älterwerden für Männer einfacher . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4 Umgang mit Älterwerden und Tod 28 4.1 Traum von ewiger Jugend und Unsterblichkeit . . . . . . . . . . 28 4.2 Älterwerden überdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.3 In Bewegung bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4.4 Alterung und Tod aufhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.5 Dem Tod nachhelfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.6 Vorkehrungen für den Todesfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5 Zusammenleben von Jung und Alt 37 5.1 Jugendwahn und Ageism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5.2 Beziehungen über Altersgrenzen hinweg . . . . . . . . . . . . . 38 5.3 Wahl der Gesprächspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5.4 Gesellschaftliche Wertschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 6 Alternde Gesellschaft 43 6.1 Herausforderungen einer alternden Gesellschaft . . . . . . . . . 43 6.2 Herausforderungen begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6.3 Potenzial einer alternden Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 45 6.4 Gesellschaftlicher Einfluss der Älteren . . . . . . . . . . . . . . 45 7 Methodik 47 3
1 IN KÜRZE 1 In Kürze Welche Eigenschaften verbinden die Menschen mit dem Alter und dem Altsein? Worauf freuen sie sich, wenn sie ans Älterwerden denken, und was macht ihnen Angst? Wie gehen sie mit der eigenen Vergänglichkeit um? Und was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn sie immer älter wird? Das Berner Generatio- nenhaus wollte mit Blick auf sein Jahresprogramm «forever young. Willkommen im langen Leben» mehr zu diesen Fragen erfahren. Die vorliegende Studie der Forschungsstelle sotomo untersucht die vorherrschenden Altersbilder und die Einstellungen gegenüber einer alternden Gesellschaft. Sotomo hat hierfür knapp 9000 erwachsene Personen aus der Deutschschweiz befragt und die Resultate repräsentativ gewichtet. Herausgekommen ist ein vielseitiges Stimmungsbild zum persönlichen Umgang mit dem Älterwerden und zur alternden Gesellschaft. Die Resultate zeigen ein erfreulich positives Bild des letzten Lebensabschnitts. Es ist dabei insbesondere der Begriff der Gelassenheit, der mit dem Altsein in Verbindung gebracht wird. Die Freiheit von belastenden Verpflichtungen steht klar im Vordergrund gegenüber einem Bild von Zerfall und Einschränkungen. Auffällig ist, dass die Älteren selber ihrer Lebensphase noch als deutlich positiver zeichnen und nicht nur mit Gelassenheit, sondern ebenso stark mit Zufriedenheit in Verbindung bringen. Eine überwiegende Mehrheit der Befragten gesteht auch Menschen in hohem Alter zu, ein aktives und lustvolles Leben zu führen. Dies bezieht sich allerdings vorwiegend auf den Freizeitbereich. Eine deutliche Mehrheit findet es nämlich nicht angemessen, wenn sich 75-Jährige noch in der Arbeitswelt oder der Politik engagieren. Dieses Urteil steht in Kontrast zum ebenfalls deutlich geäusserten Bedürfnis, dass in einer alternden Gesellschaft mit steigender Lebenserwartung auch ältere Menschen stärker in die gesellschaftliche Verantwortung eingebunden werden sollen. Trotz der positiven Eigenschaften, die dem Altsein zugeschrieben werden, besteht in der Bevölkerung ein durchaus ambivalentes Verhältnis zum Älterwerden. Die wenigsten beurteilen das Älterwerden uneingeschränkt positiv. Eine klare Mehrheit verbindet mit einem hohen Lebensalter auch Ängste und Sorgen. Auffällig ist dabei, dass sich die Ängste der Jüngeren und der Älteren teilweise deutlich unterscheiden. Während Jüngere vermehrt die Sorge vor Einsamkeit und vor dem Verlust nahestehender Menschen nennen, sorgen sich Ältere weniger um den Verlust der sozialen Einbindung, dafür rückt zunehmend die Angst vor Fremdbestimmung in den Fokus. Die grösste Sorge betrifft jedoch den Verlust der geistigen Kräfte. 71 Prozent der Befragten haben Angst vor Demenz und Alzheimer im Alter. Interessanterweise ist diese Furcht jedoch bei jungen Menschen noch deutlich stärker vorhanden als bei den höchsten Altersgruppen. 4
1 IN KÜRZE Die Ambivalenz gegenüber dem Älterwerden zeigt sich nicht zuletzt im Umgang mit dem Begriff des «Altseins». Nur jede siebte Person ab 70 Jahren bezeichnet sich selber als alt. Während für die unter 30-jährigen Befragten jemand schon ab 66 Jahren als alt gilt, verschiebt sich diese Grenze mit steigendem Alter mehr und mehr nach oben, so dass sie immer über dem eigenen Lebensalter liegt. Je älter jemand ist, desto stärker unterscheidet sich zudem das gefühlte Alter vom tatsächlichen. So nehmen sich 75-Jährige im Schnitt als 64 wahr. Auch wenn dies darauf hindeuten könnte: Den Traum der ewigen Jugend hegt nur etwa ein Drittel der Befragten. Unsterblich sein möchten nur 18 Prozent der Befragten. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass die Angst vor dem Tod mit steigendem Alter immer mehr verschwindet, obwohl der eigene Tod statistisch gesehen immer näher rückt. Die geringere soziale Einbindung und die Freiheit von Verantwortung machen es offenbar leichter, auch grundsätzlich vom Leben loszulassen. Auch dies ist womöglich ein Teil der Gelassenheit als in dieser Gesellschaft dominierendes Altersbild. 5
2 ALTERSBILDER 2 Altersbilder Auch wenn die Menschen immer älter werden und der Anteil der älteren Menschen immer grösser wird, dominiert in vielen Bereichen der Gesellschaft ein Paradigma der Jugendlichkeit. Wie wirkt sich dieses Spannungsfeld auf die Wahrnehmung des Älterwerdens und die Vorstellung von Altsein aus? In den folgenden Abschnitten wird aufgezeigt, welche Altersbilder unter den Menschen im deutschsprachigen Teil der Schweiz vorherrschen. 2.1 Gelassenheit als Altersmerkmal Den Befragten wurden acht Eigenschaften vorgelegt, die Hälfte davon eher negativ und die andere Hälfte eher positiv besetzt. Welche davon werden am meisten mit dem Alter in Verbindung gebracht? Das Bild ist eindeutig: Es sind insbesondere die positiv besetzten. Für zwei Drittel der Befragten ist Gelassenheit eine der drei Eigenschaften, die sie am meisten mit dem Altsein in Verbindung bringen. Auch Freiheit, Zufriedenheit und Weisheit werden häufig damit in Verbindung gebracht. Die negativ besetzen Begriffe Zerfall und Einsamkeit werden dagegen nur von rund einem Viertel genannt. Kaum in Verbindung gebracht mit dem Altsein werden die Eigenschaften Bitterkeit und Erstarrung. Gelassenheit 64 Freiheit 47 Zufriedenheit 46 Weisheit 46 Zerfall 25 Einsamkeit 24 Bitterkeit 7 Erstarrung 4 0 20 40 60 Anteil [%] Positive Eigenschaft Negative Eigenschaft Abbildung 1: Eigenschaften, welche am meisten mit dem Altsein in Verbindung gebracht werden. Dabei ist jedoch die Wahrnehmung durch ältere und jüngere Befragte nicht ganz deckungsgleich. Wie Abbildung 2 zeigt, werden die drei positiv besetzen Begriffe Gelassenheit, Freiheit und Zufriedenheit weit häufiger von der älteren als von 6
2 ALTERSBILDER der jüngeren Generation genannt. Am grössten ist der Einschätzungsunterschied bei der Zufriedenheit. Die Älteren verbinden diese Eigenschaft viel häufiger mit dem Alter als die Jüngeren. Demgegenüber verbinden die 18- bis 39-Jährigen vermehrt den Begriff der Einsamkeit mit dem Altsein. Gelassenheit 54 69 Freiheit 37 62 Zufriedenheit 34 62 Weisheit 35 52 Zerfall 14 30 Einsamkeit 15 35 Bitterkeit 4 11 Erstarrung 6 2 0 20 40 60 Anteil [%] 18-39 ≥ 60 Abbildung 2: Eigenschaften, welche am meisten mit dem Altsein in Verbindung gebracht werden – nach Alter. Insgesamt überwiegt jedoch auch bei den Jüngeren die Zuschreibung von positiven Eigenschaften mit dem Alter. So verbinden auch diese das Alter am häufigsten mit Gelassenheit und nur die wenigsten von ihnen mit Bitterkeit und Erstarrung. Interessant ist, dass zumindest ein positiv besetzter Begriff von der jüngeren Generation häufiger mit dem Altsein in Verbindung gebracht wird als von der älteren selber. Es handelt sich dabei um die Weisheit. Die Weisheit des Alters scheint also zumindest zu einem gewissen Grad eine Fremdzuschreibung durch die jüngere Generation zu sein. Die Untersuchung zeigt ausserdem, dass jüngere Menschen, die zu Menschen über 70 Jahren eine enge freundschaftliche oder familiäre Beziehung haben, das Alter tendenziell mit positiveren Eigenschaften verbinden als jene, die keine solchen Beziehungen unterhalten. 7
2 ALTERSBILDER Die Befragten verbinden mit dem Altsein weitaus häufiger positive als negative Persönlichkeitsmerkmale. Doch wie sieht es mit dem direkten Vergleich von alt und jung aus? Gibt es Eigenschaften, die älteren Menschen eher zugeschrieben werden als jüngeren? Die Teilnehmenden der Umfrage wurden für sieben Eigenschaften gefragt, ob diese bei älteren Menschen stärker ausgeprägt seien als bei jüngeren (Abb. 3). Der Aussage «Ältere Menschen sind gewissenhafter als jüngere» stimmen die Befragten mit 40 Prozent am meisten zu – nur 21 Prozent widersprechen ihr. Der Aussage, dass Ältere einsamer sind als Jüngere stimmen am zweitmeisten zu. Doch hier sind es nur noch 27 Prozent, die zustimmen und ebenso viele die dieser Aussage widersprechen. Am wenigsten häufig werden die Eigenschaften Toleranz, Umgänglichkeit, Offenheit und Begeisterungsfähigkeit mit älteren Men- schen in Verbindung gebracht. Auch wenn wie oben gezeigt (Abb. 2) nur die wenigsten Befragten das Alter mit Erstarrung in Verbindung bringen, werden ihnen Eigenschaften, die mit Offenheit und Agilität verbunden werden weniger häufig zugeschrieben. Dabei unterscheiden sich die Einschätzungen interessan- terweise kaum zwischen den Altersgruppen. Einzig die Eigenschaft der Toleranz wird den Älteren vermehrt von den Älteren zugeschrieben. Allerdings tun dies auch bei den über 70-Jährigen nicht mehr als 19 Prozent. Alles in Allem ist es insbesondere die (positive) Eigenschaft der Gelassenheit, welche die Befragten aus allen Altersgruppen mit dem Altsein und mit älteren Menschen verbinden. Gewissenhaft 40 39 21 Einsam 27 46 27 Zufrieden 17 53 30 Tolerant 10 48 42 Offen 9 48 43 Umgänglich 9 52 39 Begeisterungsfähig 6 46 47 0 25 50 75 100 Anteil [%] Stimme zu Teils, teils Stimme nicht zu Abbildung 3: Eigenschaften, die älteren Menschen stärker zugeordnet werden als jüngeren. 8
2 ALTERSBILDER 2.2 Zwischen Freiheit und Vergänglichkeit Einem Teil der Befragten wurden keine Begriffe zur Auswahl vorgelegt, sondern sie wurden ohne Vorgabe nach einem Stichwort gefragt, welches sie spontan mit dem Alter als Lebensphase verbinden. Die Antworten lassen sich zu rund 30 Begriffen zusammenfassen. Die Wortwolken in den Abbildungen 4 und 5 zeigen die Häufigkeit der Nennung. Farblich herausgehoben sind Begriffe, die in der jeweils dargestellten Gruppe überdurchschnittlich häufig genannt wurden. 18–39 ≥ 60 Äusserliche Veränderung Aktiv sein Neuanfang Lebensabschnitt Gelassenheit Zeit haben Altersvorsorge Neuanfang Armut Einschränkung Gesundheit Geniessen Neugierde Vergänglichkeit Lebensabschnitt Weisheit Pension Altersvorsorge Äusserliche Veränderung Aktiv sein Vergänglichkeit Gelassenheit Zeit haben Freiheit Ruhe Pension Weisheit Gesundheit Sorge Geniessen Sorge Erfahrung Armut Familie Beschwerden Jung bleiben Freude Wertlosigkeit Erfüllung Freude Ruhe Erfahrung Neugierde Einschränkung Erfüllung Wertlosigkeit Freiheit Beschwerden Jung bleiben Sexualität Abbildung 4: Spontanes Stichwort zum Alter als Lebensphase – nach Alter. Spontan verbinden jüngere Personen das Alter vor allem mit Vergänglichkeit, der Pension, mit Erfahrung sowie mit äusserlichen Veränderungen. Ältere Befragte hingegen verbinden das Alter mit Freiheit, Gesundheit, Geniessen und Freude. Nur bei den älteren dominieren eindeutig positiv geprägt Begriffe. Diese markanten Unterschiede sind Ausdruck davon, dass ältere Befragte das Alter gewissermas- sen aus einer Innensicht, jüngere jedoch aus einer Aussensicht beurteilen. Ältere verbinden das Alter als Lebensphase mit ihrem aktuellen Lebensgefühl, jüngere jedoch mit dem letzten Abschnitt des Lebens. Jüngere nennen vermehrt äusserli- che Eigenschaften, die mit dieser Lebensphase verbunden sind. Dazu gehören insbesondere die Pension, äusserliche Veränderungen sowie Vergänglichkeit. Be- zeichnend ist dabei auch dass Erfahrung die positive Eigenschaft ist, die am häufigsten von den Jüngeren genannt wird, während Einschränkung das negative Merkmal ist, welches am häufigsten von älteren genannt wird. Erfahrung und Weisheit (vgl. Abb. 2) sind offenbar typische Fremdzuschreibungen für das Alter. Das Attribut Einschränkung bringt dagegen eher eine Innensicht zum Ausdruck. Weit häufiger als mit Einschränkung wird das Alter von den Älteren mit Freiheit 9
2 ALTERSBILDER verbunden. Auch dies dürfte ein Grund für die oben festgestellte Altersgelassenheit sein. Interessante Unterschiede zeigen sich jedoch nicht nur zwischen den Altersgruppen. Männer stellen oft andere Assoziationen mit dem Alter als Lebensphase her als Frauen. Männer verbinden das Alter viel häufiger mit der Pension als Frauen. Die Erwerbsarbeit und der deren Abschluss durch die Pensionierung strukturieren offensichtlich das Denken der Männer noch immer weit stärker als jenes der Frauen. Frauen sind in ihren Antworten zum Alter viel breiter. Häufiger als Männer nennen sie vor allem äusserliche Veränderung, Gelassenheit und Neuanfang (Abb. 5). Frau Mann Neugierde Zufriedenheit Freude Gelassenheit Jung bleiben Neuanfang Zufriedenheit Jung bleiben Einschränkung Familie Einsamkeit Aktiv sein Geniessen Wertlosigkeit Armut Beschwerden Erfüllung Gesundheit Sorge Freude Zeit haben Pension Äusserliche Veränderung Ruhe Erfahrung Pension Geniessen Freiheit Vergänglichkeit Lebensabschnitt Gelassenheit Weisheit Freiheit Ruhe Familie Sorge Gesundheit Erfahrung Beschwerden Aktiv sein Altersvorsorge Neuanfang Weisheit Neugierde Armut Einschränkung Vergänglichkeit Lebensabschnitt Äusserliche Veränderung Altersvorsorge Zeit haben Abbildung 5: Spontanes Stichwort zum Alter als Lebensphase – nach Geschlecht. 2.3 Altsein ohne alt zu sein Das Alter und das Altsein wird von allen Altersgruppen vorwiegend mit positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht. Dennoch zeigt die Befragung, dass die Menschen kein ganz unverkrampftes Verhältnis zum Altsein und zum Älterwerden haben. Dies zeigt sich insbesondere bei der Selbst- und Fremdzuschreibung der Eigenschaft des Altseins. Insgesamt bezeichnen die Befragten jemanden ab rund 55 Jahren als «nicht mehr jung», ab 65 Jahren als «älteren Menschen» und ab rund 75 Jahren als «alten Menschen». Tatsache ist jedoch, dass diese Grenzen mit steigendem eigenem Altem mehr und mehr angehoben werden. Dies wird in Abbildung 6 sichtbar. Für die 18- bis 29-Jährigen gilt jemand bereits ab 66 Jahren als «alt». Für die 60 bis 69-Jährigen ist jemand erst ab 70 Jahren ein «älterer Mensch» und erst nach 78 Jahren ein «alter Mensch». Insbesondere die 10
2 ALTERSBILDER Zuschreibung des Altseins gilt damit fast ausschliesslich für die noch älteren. Für die über 70-Jährigen ist alt erst, wer 80 Jahre überschritten hat. Durchschnittliche Angabe: Ab wann ist jemand ... 80 80 ... alt 78 75 Mittelwert 73 72 ... älter 71 70 69 66 66 Mittelwert 64 63 63 ... nicht mehr jung 62 61 60 Mittelwert 55 54 51 51 50 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter der Befragten Abbildung 6: Ab wann jemand als «alt», «älter» oder «nicht mehr jung» bezeichnet wird – nach Alter. Das eine ist die allgemeine Zuschreibung von Altersbezeichnungen zu Lebensjah- ren, das andere ist die die Selbstzuschreibung. Insgesamt bezeichnet sich knapp die Hälfte (47 %) der Erwachsenen in der deutschsprachigen Schweiz als jung und bloss 6 Prozent als alt. 47 Prozent geben an, weder jung noch alt zu sein. Das heisst, dass der grösste Teil, der sich nicht mehr als jung bezeichnet, dennoch nicht als alt bezeichnen möchte. Abbildung 7 zeigt die Selbstzuschreibung nach verschiedenen Lebensaltern. Während der Anteil derer, die sich selber als jung bezeichnen, mit steigendem Alter stetig abnimmt, steigt der Anteil derer, die sich selber als alt bezeichnen, kaum an. So bezeichnen sich bei den 60- bis 69-Jährigen bloss 6 Prozent als alt und auch bei den über 69-Jährigen sind dies bloss 15 Prozent. Bemerkenswert ist, dass sich ein grösserer Anteil selbst dieser Altersgruppe noch immer als jung bezeichnet – nämlich knapp ein Viertel. 11
2 ALTERSBILDER 80 75 68 60 Anteil [%] 47 40 39 33 24 20 15 7 6 4 5 4 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter Jung Alt Abbildung 7: Ob man sich als «jung» oder «alt» bezeichnen würde – nach Alter. Die Mühe mit dem Älterwerden kommt nicht nur im Umgang mit der Bezeichnung des Altseins zum Ausdruck. Sie zeigt sich auch im Verhältnis zu den eigenen Altersjahren. Nur die unter 30-Jährigen geben an, dass ihr gefühltes Alter mit dem tatsächlichen übereinstimmt. Wie Abbildung 8 zeigt, beginnt sich bereits im Alter von 30 Jahren die Schere zu öffnen. Menschen zwischen 30 und 39 nehmen sich im Schnitt als 2 Jahre jünger wahr als sie tatsächlich sind. Bei den Menschen zwischen 40 und 49 liegt die Diskrepanz bereits bei 6 Jahren. Die über 69-Jährigen nehmen sich im Schnitt sogar als 11 Jahre jünger wahr als sie sind. 80 75 64 64 60 54 55 47 45 40 39 34 32 28 20 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter der Befragten Effektiv Gefühlt Abbildung 8: Gefühltes und tatsächliches Alter – nach Alter. 12
2 ALTERSBILDER Trotz der Zuschreibung von positiven Eigenschaften mit dem Alter als Lebenspha- se fällt es den Menschen offensichtlich nicht ganz leicht, sich mit ihrem eigenen Älterwerden abzufinden. 2.4 Woran das Älterwerden festgemacht wird Woran machen Menschen in der deutschsprachigen Schweiz fest, ob jemand langsam alt bzw. wirklich alt wird? Es sind vor allem körperliche Veränderungen, die für diese Urteile im Vordergrund stehen. Bei der Frage, ob jemand langsam alt wird, werden Veränderungen am Aussehen am häufigsten als Kennzeichen genannt. Das Urteil, ob jemand wirklich alt ist, wird dagegen hauptsächlich an körperlichen Einschränkungen festgemacht. Nur ein Fünftel verbindet dies mit abnehmender geistiger Leistungsfähigkeit und bloss eine Zehntel mit nachlassender Neugierde und zunehmender Ängstlichkeit. Dies zeigt, dass das Altwerden vor allem als Phänomen des körperlichen Nachlassens verstanden wird. Nachlassende geistige Fähigkeiten und sich verengende Lebenskreise werden deutlich seltener damit verbunden. Körperliche 38 40 Einschränkungen Aussehen 29 41 (Falten, Haarausfall usw.) Abnehmende geistige 12 21 Leistungsfähigkeit Nachlassende Neugierde und 8 10 zunehmende Ängstlichkeit 0 10 20 30 40 50 Anteil [%] Langsam alt Wirklich alt Abbildung 9: Woran man hauptsächlich merkt, dass jemand langsam alt wird oder wirklich alt ist. Auch wenn es um das eigene Älterwerden geht, spielen körperliche Aspekte eine zentrale Rolle. Rund die Hälfe aller Befragten macht das eigene Älterwerden an nachlassender Form und Fitness fest. 46 Prozent geben an, es anhand von körperlichen Beschwerden zu spüren. Fast die Hälfte der Befragten gibt jedoch auch an, es durch einen Zuwachs an Erfahrung und Sicherheit zu wahrzunehmen. 13
2 ALTERSBILDER Zunehmende Ängstlichkeit und abnehmende geistige Leistungsfähigkeit bei sich selber nehmen dagegen nur rund ein Achtel der Befragten wahr. Fitness und Form 51 Zuwachs an Erfahrung und Sicherheit 46 Körperliche Beschwerden 46 Verantwortung und Ernsthaftigkeit 29 Zunehmende Ängstlichkeit 16 Abnehmende geistige Leistungsfähigkeit 13 0 10 20 30 40 50 60 Anteil [%] Abbildung 10: Anzeichen des eigenen Älterwerdens. Es ist naheliegend, dass das eigene Älterwerden von jungen Menschen anders wahrgenommen wird als von älteren. Abbildung 11 zeigt, wie häufig Merkmale des eigenen Älterwerdens von Personen im Alter von 29 und jünger (X-Achse) und im Alter von 70 und älter (Y-Achse) genannt werden. Liegen die Punkte nahe an der grauen Diagonale, so sind sie von jüngeren und älteren Befragten ähnlich häufig genannt. 75 Anteil bei älteren Personen (≥ 70 J.) [%] Nachlassende Fitness und Form 50 Körperliche Beschwerden Zuwachs an Erfahrung 25 Abnehmende geistige und Sicherheit Leistungsfähigkeit Zunehmende Ängstlichkeit Zunehmende Verantwortung 0 und Ernsthaftigkeit 0 25 50 75 100 Anteil bei jüngeren Personen (≤ 29 J.) [%] Abbildung 11: Anzeichen des eigenen Älterwerdens – jüngere und ältere Personen im Vergleich. 14
2 ALTERSBILDER Jüngere Befragte nehmen mit dem Älterwerden insbesondere einen Zuwachs an Verantwortung und Ernsthaftigkeit sowie an Erfahrung und Sicherheit wahr. In dieser Lebensphase löst man sich von der jugendlichen Leichtigkeit und schafft sich beruflich und privat eine eigenständige Grundlage. Mit Beenden der Ausbildung oder Abschliessen eines Studiums steht der Eintritt ins Berufsleben an, im privaten Bereich wird vielleicht eine Familie gegründet. Diese Veränderungen bedeuten sowohl neue Herausforderungen als auch die Anreicherung an Lebenserfahrung, welche zunehmend mehr Sicherheit gibt. Bei den älteren Befragten ab 70 stehen dagegen ganz klar die körperlichen Veränderungen im Vordergrund. Interessant ist, dass auch im achten Lebensjahrzehnt für die meisten immer noch die «Luxussorge» einer nachlassenden Form und Fitness im Vordergrund steht und deutlich häufiger genannt wird als körperliche Beschwerden. Relativ selten genannt wird auch von dieser Altersgruppe jedoch eine abnehmende geistige Leistungsfähigkeit. 46 Fitness und Form 56 21 Zunehmende Ängstlichkeit 12 0 10 20 30 40 50 60 Anteil [%] Frau Mann Abbildung 12: Anzeichen des eigenen Älterwerdens – nach Geschlecht. Männer und Frauen unterscheiden sich tendenziell weniger hinsichtlich der An- zeichen, woran sie das Älterwerden bemerken. Es geben jedoch mehr Männer als Frauen an, dies im Zusammenhang mit einer nachlassenden körperlichen Fitness und Form zu bemerken. Frauen wiederum berichten eine zunehmende Ängstlichkeit häufiger als Männer, wenn auch insgesamt deutlich seltener (Abb. 12). Wie in Kapitel 4 gezeigt wird, berichten Frauen tendenziell mehr Sorgen und Befürchtungen in Bezug auf das Altern. Unterschiede in der Ängstlichkeit könnten also dadurch zustande kommen, dass verschiedene, mit Sorge assoziierte Altersthemen im Alter eine andere Relevanz für Frauen und Männer haben. Da Männer jedoch auch seltener über ihre Ängste und Befürchtungen sprechen, könnte ein solcher Unterschied auch hierdurch erklärt werden. 2.5 Was für Ältere noch als angemessen gilt Die Altersbilder in einer Gesellschaft zeigen sich nicht zuletzt auch darin, welche Tätigkeiten für ältere Menschen noch als angemessen gelten. Hier kommen 15
2 ALTERSBILDER gesellschaftliche Normen und Zuschreibungen zum Ausdruck. Abbildung 13 zeigt, was aus Sicht der Befragten für eine 75-jährige Person als «durchaus noch angemessen» gilt. Sich verlieben 80 In den Ausgang gehen 78 Eine Weltreise machen 77 Sex haben 72 Eine Sprache lernen 70 Auf Social Media aktiv sein 68 Autofahren 59 Gamen 41 Heiraten 39 Sich betrinken 37 Leistungssport betreiben 36 Einer Erwerbsarbeit nachgehen 36 An der Universität studieren 29 Sich wie junge Menschen kleiden 19 Sich auffällig schminken 17 Ein Haus bauen 16 Für politische Ämter kandidieren 14 Eine Familie gründen 2 0 20 40 60 80 Anteil [%] Beziehung und Familie Arbeit und Ausbildung Freizeit Abbildung 13: Was für eine 75-jährige Person durchaus noch angemessen ist. Die Antworten zeigen, dass eine überwiegende Mehrheit auch Menschen in hohem Alter zugesteht ein aktives und lustvolles Leben zu führen. Für immerhin 72 Prozent ist Sexualität im Alter kein Tabu und 78 Prozent finden, dass in den Ausgang gehen auch etwas für alte Menschen ist. Dennoch gibt es einige Tätigkeiten, die nur von einer Minderheit für 75-Jährige noch als angemessen eingeschätzt werden. Nicht angemessen sind für die Befragten insbesondere Tätigkeiten und Projekte mit Investitionscharakter und einer längerfristigen Perspektive. Insbesondere gehört dazu die Gründung einer Familie, aber auch 16
2 ALTERSBILDER das Heiraten oder der Bau eines Hauses. Das Studieren an einer Universität wird ebenso nur von einer relativ kleinen Minderheit als angemessen für 75-Jährige eingeschätzt. Ein aktives Leben wird den Älteren im Bereich von Freizeit und Erholung zugestanden, nicht jedoch in der Arbeitswelt oder der Politik. Doch auch im Alltagsverhalten gelten heute noch gewisse Handlungsweisen und Tätigkeiten für alte Menschen als nicht angemessen. So wird es zwar positiv bewertet, wenn 75-Jährige sich verlieben und in den Ausgang gehen, sich dabei auffällig schminken und wie junge Menschen zu kleiden, liegt jedoch aus Sicht der Mehrheit nicht drin. Eher überraschend gehört auch das «Gamen» zu den Tätigkeiten, die normativ mit Jugendlichkeit verbunden werden. Nur 4 von 10 Befragten geben an, dass sie Gamen für 75-Jährige durchaus noch für angemessen halten. 17
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN 3 Älterwerden: Sich freuen, sich fürchten Freuen sich die Befragten auf das Älterwerden oder fürchten sie sich davor? Die Bevölkerung steht dem Älterwerden mit gemischten Gefühlen gegenüber – positive und negative Erwägungen bezüglich des Älterwerdens halten sich bei 58 Prozent der Befragten die Waage. Rund ein Viertel verneint klar, sich aufs Älterwerden zu freuen und bloss 18 Prozent freuen sich uneingeschränkt darauf. Die Ambivalenz gegenüber dem Alter, die sich bereits bei den Altersbildern zeigte, kommt auch bei der eigenen Erwartung ans Älterwerden zum Ausdruck. 18 58 24 0 25 50 75 100 Anteil [%] Ja Teils, teils Nein Abbildung 14: Sich auf das Älterwerden freuen. Interessanterweise gewinnt mit zunehmendem Alter nicht nur die positive Sicht auf das Alter als Lebensphase wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde. Es steigt auch der Anteil derer, die sich auf das fortschreitende Älterwerden freuen. Erst ab 70 Jahren kommt es zu einer leichten Trendwende und die Skepsis gegenüber dem Älterwerden nimmt wieder zu. Grundsätzlich hat jedoch in jeder Lebensphase die Mehrheit der Befragten gemischte Gefühle gegenüber dem Älterwerden. 30 29 26 25 24 22 20 20 20 Anteil [%] 19 15 15 10 11 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Ja Nein Abbildung 15: Sich auf das Älterwerden freuen – nach Alter. 18
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN 3.1 Befreiung von Verpflichtungen und Erwartungen Wenn es um die positiven Aspekte des Älterwerdens geht, stehen vor allem vier Dinge im Vordergrund: «Mehr Zeit», «Weniger Stress», «Niemandem mehr etwas beweisen müssen» und «Mehr Freiheit». Alle diese Aspekte sind unmittelbar mit den veränderten Lebensumständen verknüpft, die sich aus der Befreiung von beruflichen und familiären Verpflichtungen ergeben. Nur je ein Drittel freut sich auf die besondere Perspektive des Lebensabends («auf ein reiches Leben zurückblicken zu können») oder auf die Möglichkeit «etwas Neues beginnen» zu können. Dies zeigt, dass die besondere Qualität des Alters vor allem in der Absenz von Verpflichtungen und Erwartungen liegt. Mehr Zeit 64 Weniger Stress 59 Niemandem etwas beweisen müssen 57 Mehr Freiheit 57 Auf ein reiches Leben zurückblicken 33 Weniger Erwartungen 33 Etwas Neues beginnen können 33 0 20 40 60 80 Anteil [%] Abbildung 16: Worauf sich die Befragten in Bezug auf das Älterwerden freuen. Die Beurteilung der positiven Aspekte des Älterwerdens ändern sich zumindest teilweise mit zunehmendem Alter: Wie in Abbildung 17 zu sehen ist, freuen sich die Menschen zwischen 50 und 69 Jahren vermehrt auf weniger Stress und auch deutlich stärker als die anderen Altersgruppen darauf, etwas Neues beginnen zu können. Dies sind offensichtlich Themen, die in besonderem Mass vor und nach dem Erreichen des Rentenalters von Belang sind. Ab 70 Jahren nimmt die Freude darauf, etwas Neues beginnen zu können jedoch wieder ab und auch die Reduktion von Stress steht weniger im Vordergrund, weil dieser womöglich bereits reduziert worden ist. Die letzte grosse Freude des Älterwerdens ist das «niemandem etwas beweisen zu müssen». Auch nach 70 Jahren gewinnt dieser Aspekt noch an Bedeutung und ist damit so etwas wie die letzte grosse Freude des Älterwerdens. 19
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN 80 74 Niemandem etwas 70 beweisen müssen 66 63 60 58 58 Weniger Stress 54 55 55 50 Anteil [%] 44 45 42 41 40 30 29 Etwas Neues 27 beginnen können 20 17 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter Abbildung 17: Worauf sich die Befragten in Bezug auf das Älterwerden freuen – nach Alter. Für viele liegt das Positive am Älterwerden insbesondere in der Befreiung von Verpflichtungen und Erwartungen. Dazu passt, dass mehr als die Hälfte der Erwachsenen in der deutschsprachigen Schweiz auswendig weiss, wie viele Jahres es noch bis zur eigenen Pensionierung dauert. Wie Abbildung 18 zeigt, haben die meisten spätestens ab dem Alter von 50 Jahren ihr eigenes Rentenalter bewusst vor Augen und sie können spontan angeben, wie viele Jahre es bis zu ihrer Pensionierung dauert. Viel weniger Befragte kennen dagegen das eigene Pensionskassenvermögen. Offenbar steht die Sorge um die finanzielle Absicherung bei den meisten weniger im Vordergrund. Zeit bis Pensionierung Höhe Pensionskassenvermögen 95 100 86 78 77 75 70 Anteil [%] 59 54 52 50 50 41 38 30 28 22 26 25 24 20 13 14 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 Frauen Männer Abbildung 18: Kenntnis über die Dauer bis zur Pensionierung und das Pensionskassenvermögen – nach Alter und Geschlecht. 20
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN 3.2 Angst vor Verlust an Autonomie Geht es um veränderte Lebensumstände, so sind weniger Verpflichtungen und Erwartungen die Hoffnungen, die am meisten mit dem Älterwerden verbunden werden. Die am meisten damit verbundene Furcht ist der Verlust an Autonomie. Knapp zwei Drittel fürchten sich davor, auf andere Menschen angewiesen zu sein und 4 von 10 fürchten sich vor Fremdbestimmung. Der zweite Sorgenkomplex bezieht sich auf das Beziehungsnetz: 56 Prozent fürchten sich davor, einen nahestehenden Menschen zu verlieren, 28 Prozent vor Einsamkeit. Vergleichsweise wenig verbreitet ist dagegen die Frucht davor, als obsolet zu gelten. Nur jeweils rund ein Fünftel gibt an, sich davor zu fürchten, nicht mehr gebraucht zu werden oder als alt zu gelten. Dies korrespondiert mit der verbreiteten Freude auf weniger Verpflichtungen und Erwartungen. Die Frage des Nützlichseins steht offensichtlich nicht im Zentrum des Selbst- und Fremdbilds älterer Menschen. Angewiesen sein auf andere 64 Verlust von nahen Menschen 56 Fremdbestimmt sein 39 Einsamkeit 28 Finanzielle Schwierigkeiten 28 Nicht mehr mitkommen 22 Nicht mehr gebraucht werden 22 Als alt gelten 19 Verlust der Sexualität 14 Pensionierung 0 20 40 60 80 Anteil [%] Abbildung 19: Lebensumstände, welche die Befragten in Bezug auf das Älterwerden fürchten. Abbildung 20 zeigt die Befürchtungen in Bezug auf veränderte Lebensumstände aufgrund des Älterwerdens nach Geschlecht und Lebensalter. Es zeigt sich dabei, dass Sorgen in Bezug auf das Beziehungsnetz insbesondere bei den Jüngeren verbreitet sind. Angst vor Einsamkeit im Alter und vor dem Verlust nahestehender Menschen nehmen mit steigendem Lebensalter ab. Dies zeigt, dass der Mensch offensichtlich im Verlauf seines Lebens lernt, mit dem Verlust naher Menschen um- zugehen. Womöglich verlieren soziale Bindungen im Lauf des Lebens jedoch auch an Intensität, so dass das Alleinsein weniger stark mit Einsamkeit verbunden wird. Auffällig ist, dass die Furcht vor dem Verlust nahestehende Menschen bei jüngeren 21
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN und mittelalterlichen Frauen besonders stark ausgeprägt ist. Mit steigendem Alter verschwindet jedoch der Unterschied der Angst vor Bindungsverlust. Verlust von nahen Menschen Einsamkeit 80 76 74 72 63 63 60 56 57 55 54 51 52 Anteil [%] 48 48 45 40 37 33 30 27 28 25 23 20 21 14 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Fremdbestimmt sein Verlust der Sexualität 80 64 60 56 Anteil [%] 47 42 42 40 39 40 40 36 32 28 28 29 25 25 22 20 21 20 12 8 4 5 5 5 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Frauen Männer Abbildung 20: Lebensumstände, welche die Befragten in Bezug auf das Älterwerden fürchten – nach Alter. Während die Angst vor Verlust sozialer Bindungen im Alter vor allem eine Furcht jüngerer Menschen ist, gewinnt jene vor Fremdbestimmung mit zunehmendem Alter an Bedeutung. Wie Abbildung 20 zeigt, ist dies jedoch vor allem eine Furcht älterer Frauen. Fremdbestimmt zu sein, fällt älteren Männern offenbar weniger schwer. Ihnen fällt es leichter Pflege anzunehmen als Frauen. Frauen, die zumindest gemäss klassischem Rollenbild eine aktive, pflegende Rolle spielen, scheinen dagegen mehr Mühe damit zu haben, Pflege durch Aussenstehende anzunehmen. Im Allgemeinen äussern Frauen mehr Befürchtungen in Bezug auf das Älterwerden als Männer. Von dieser Regel gibt es eine Ausnahme: Der Verlust der Sexualität wird von Männern deutlich häufiger gefürchtet. Sexuelle Potenz wird häufig von 22
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN Männern besondere Bedeutung zugeschrieben und es überrascht somit nicht, dass insbesondere sie den Verlust fürchten. 3.3 Angst vor Demenz Ein zentrales Thema in Bezug auf Sorgen und Ängste in Verbindung mit dem Älterwerden ist das Thema Gesundheit. Wie in Abbildung 21 zu sehen ist, werden Demenz und Alzheimer mit 71 Prozent am stärksten gefürchtet. Ebenfalls bereiten eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit und chronische Schmerzen den Befragten Sorge. Diese Beschwerden sind verhältnismässig schwierig zu behandeln und können starke Einschränkungen bedeuten. Sie wirken sich auch besonders auf die mit dem Altwerden assoziierte Freiheit aus, auf welche sich die Teilnehmenden unserer Umfrage besonders freuen (vgl. Abbildung 16). Demenz/Alzheimer 71 Einschränkung der Bewegungsfreiheit 55 Chronische Schmerzen 49 Inkontinenz 30 Altersdepression 29 Nachlassen der Sehkraft 29 Hörprobleme 17 Zahnverlust 12 Diabetes 11 0 20 40 60 80 Anteil [%] Abbildung 21: Gefürchtete gesundheitliche Einschränkungen im Alter. Vergleicht man in Abbildung 22 die Sorgen und Ängste von Personen im Alter von 29 Jahren und jünger (X-Achse) mit denen von Personen im Alter von 70 Jahren und älter (Y-Achse), erkennt man interessanterweise bei allen gesund- heitsbezogenen Ängsten, dass diese tendenziell stärker von jüngeren Menschen genannt werden (Themen, die unterhalb der Diagonale liegen, werden stärker von jüngeren Personen gefürchtet, oberhalb stärker von älteren). Im höheren Alter ist es wahrscheinlicher, mit diesen und ähnlichen gesundheitlichen Problemen schon direkt oder indirekt Erfahrungen gemacht zu haben. Dies könnte das Muster erklären: Durch die Erfahrung stellen diese Probleme eine weniger abstrakte Bedrohung dar. Interessant ist, dass jüngere Personen Demenz und Alzheimer besonders fürchten: Mehr als drei Viertel der jüngeren Befragten empfinden diese neurodegenerative Erkrankung als besonders bedrohlich. 23
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN 75 Demenz Anteil bei älteren Personen (≥ 70 J.) [%] und Alzheimer 50 Einschränkung der Bewegungsfreiheit Nachlassen der Sehkraft Chronische Schmerzen 25 Inkontinenz Hörprobleme Altersdepression 0 0 25 50 75 100 Anteil bei jüngeren Personen (≤ 29 J.) [%] Abbildung 22: Gefürchtete gesundheitliche Einschränkungen im Alter – jüngere (X-Achse) und ältere (Y-Achse) Personen im Vergleich. 3.4 Geringe Furcht vor weissen Haaren und Falten Geht es um die typischen äusserlichen Zeichen des Älterwerdens zeigen sich die Menschen in der deutschsprachigen Schweiz nur teilweise besorgt. Insbesondere die klassischen Altersmerkmale wie Falten und weisse Haare bereiten nur den wenigsten Sorgen. Gewichtszunahme 48 Form verlieren / schlaffe Haut 41 Haarausfall 34 Altersflecken 27 Falten 22 Weisse Haare 15 Gewichtsabnahme 0 20 40 60 80 Anteil [%] Abbildung 23: Gefürchtete Veränderung der äusserlichen Erscheinung. Verbreiteter ist die Furcht vor Haarausfall, die von rund einem Drittel der Befragten geteilt wird. Am meisten Sorgen macht den Menschen jedoch eine indirekte 24
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN Begleiterscheinung des Älterwerdens – nämlich die Gewichtszunahme. Rund die Hälfte fürchtet sich davor. Ausserdem machen sich 4 von 10 Befragten Sorgen um das Verlieren der Form bzw. um die Erschlaffung der Haut. Dies zeigt, dass nicht per se die alternde Erscheinung befürchtet wird, als vielmehr der Verlust an Form und Spannkraft. Gewichtszunahme Falten 65 60 55 52 52 50 47 46 43 43 Anteil [%] 41 40 40 37 32 29 29 25 23 21 20 18 19 12 11 8 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Haarausfall Weisse Haare 60 56 47 48 Anteil [%] 42 40 35 33 30 30 29 26 22 23 20 18 20 16 15 14 11 12 10 7 6 4 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Frauen Männer Abbildung 24: Gefürchtete Veränderung der äusserlichen Erscheinung – nach Alter. Auch die äusserlichen Veränderungen werden eher von Frauen als von Männern und besonders von jüngeren Menschen gefürchtet (Abb. 24). Es gibt eine Ausnahme von diesem Muster – zumindest in Bezug auf das Alter. Es sind insbesondere die 40- bis 49-Jährigen, welche sich vor einer Gewichtszunahme fürchten. Die stressvolle Familienphase scheint sich hier als besondere Herausforderung zu erweisen. Demgegenüber nimmt die Furcht vor Haarausfall mit dem Alter stetig ab. 56 Prozent der 18- bis 29-Jährigen fürchten sich davor, jedoch nur noch 22 Prozent der 60- bis 69-Jährigen. Auffällig ist, dass auch die Furcht vor Haarausfall bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern, obwohl das entsprechende Risiko 25
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN bei Männern weit grösser ist. Gerade in diesem Bereich führt jedoch die grössere Verbreitung auch zu einer grösseren gesellschaftlichen Akzeptanz: Am wenigsten fürchten sich ältere Männer vor einer Glatze. Insgesamt ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern im Alter zwischen 18 und 29 Jahren beim Thema Falten am grössten. Generell zeigt sich ein deutlicher Geschlechterunterschied, der darauf verweist, dass die gesellschaftlichen und persönlichen Erwartungen in Bezug auf Aussehen und Älterwerden bei Frauen immer noch einen grösseren Druck aufbauen. 3.5 Ältere fürchten sich weniger vor dem Tod Der Tod ist eine der wenigen Gewissheiten und der vermeintliche Abschluss des Älterwerdens. Doch haben die Befragten Angst vor dem Tod? Ein Drittel von ihnen gibt an, Angst vor dem Tod zu haben. Es ist deutlich zu sehen, dass die Angst mit zunehmendem Alter der Befragten sinkt, obwohl der eigene Tod statistisch gesehen immer näher rückt. Dieses Phänomen ist mitunter eine Erklärung dafür, warum das Älterwerden und das Altsein von älteren Personen positiver gesehen wird als von jüngeren. Eine grössere Gelassenheit gegenüber dem Tod trägt offenbar auch zu einer grösseren Gelassenheit gegenüber dem Leben bei. Die geringere soziale Einbindung und die Freiheit von Verantwortung machen es offenbar leichter auch grundsätzlich vom Leben loszulassen. Auffällig ist jedoch, dass sich Frauen vermehrt vor dem Tod fürchten. Was womöglich daran liegt, das bei ihnen die Bindungen und das Verantwortungsgefühl stärker verankert ist. Gesamt 33 0 10 20 30 40 50 Nach Geschlecht Frau 38 Mann 28 0 10 20 30 40 50 Nach Alter 18−35 41 36−55 37 56−70 27 > 70 19 0 10 20 30 40 50 Anteil [%] Abbildung 25: Angst vor dem Tod – nach Geschlecht und Alter. 26
3 ÄLTERWERDEN: SICH FREUEN, SICH FÜRCHTEN 3.6 Älterwerden für Männer einfacher Frauen haben in Bezug aufs Älterwerden mehr Befürchtungen als Männer und sie fürchten sich eher vor dem Tod. Ist es also für Männer einfacher, älter zu werden? Insgesamt ist eine klare Mehrheit von 62 Prozent der befragten Personen der Meinung, dass das Geschlecht keine Rolle spielt. Wer einen Unterschied im Geschlecht sieht, ist aber eher der Meinung, dass es für Männer einfacher ist. Das denkt ein Viertel der Frauen und ein Drittel der Männer. Mann 6 59 35 Frau 10 65 26 0 25 50 75 100 Anteil [%] Für Frauen Das Geschlecht spielt keine Rolle Für Männer Abbildung 26: Für wen das Älterwerden einfacher ist. Interessant ist jedoch, dass sich mit zunehmendem Alter die Wahrnehmung zumindest in der Tendenz verschiebt. Immer weniger Befragte sind der Ansicht, das Älterwerden für Männer einfacher ist. Die Asymmetrie zwischen den Ge- schlechtern nimmt mit steigendem Alter ab. Die Zuschreibung, dass Frauen mehr Mühe mit dem Älterwerden haben, bezieht sich vor allem auf die früheren Lebensphasen. 50 40 40 40 36 Anteil [%] 30 29 20 19 20 17 11 10 6 6 4 3 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter Für Frauen Für Männer Abbildung 27: Für wen das Älterwerden einfacher ist – nach Alter. 27
4 UMGANG MIT ÄLTERWERDEN UND TOD 4 Umgang mit Älterwerden und Tod Das ambivalente Verhältnis zum Älterwerden zeigt sich nicht zuletzt darin, dass zwar eine grosse Mehrheit der Menschen in der deutschsprachigen Schweiz keinen Traum von der ewigen Jugend pflegt und dennoch viele der Befragten sich bis zu einem gewissen Grad gegen das Älterwerden stemmen. Dabei stehen weniger Massnahmen gegen äusserliche Alterungsprozesse im Vordergrund als das sich körperlich betätigen und bewegen. 4.1 Traum von ewiger Jugend und Unsterblichkeit Ein Bad nehmen im Jungbrunnen, um ewig jung zu bleiben. Für manch einen mag es verführerisch klingen, dem Altern auf diese Weise zu entgehen. Aber möchte man das wirklich? Etwas mehr als zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, nicht für immer jung sein oder bleiben zu wollen. Dennoch ist der Traum von der ewigen Jugend zumindest bei den jungen Erwachsenen unter 30 Jahren beinahe mehrheitsfähig. Immerhin 48 Prozent dieser Altersgruppe geben an, ewig jung bleiben zu wollen. Danach nimmt der Wunsch stetig ab. Dies erstaunt nicht, weil sich mit steigendem Alter auch immer weniger selber als jung wahrnehmen. Womöglich wird mit «Jungsein» jedoch auch eine Lebensphase verbunden, in welcher der Druck, sich zu Beweisen und Erwartungen zu erfüllen, sehr gross ist. Wie in Kapitel 3 gezeigt wurde, gehört die Befreiung von diesem Druck zu den positivsten Aspekten des «Altseins». 60 48 42 40 Anteil [%] 36 27 20 21 16 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter Abbildung 28: Wunsch, für immer jung sein oder jung bleiben wollen – nach Alter. Noch weniger verbreitet als der Traum der ewigen Jugend ist der Traum vom ewigen Leben. Nur 18 Prozent der Befragten möchten ewig leben. Bei den Männern ist dieser Wert leicht höher als bei den Frauen, obwohl sich Frauen häufiger vor dem Tod fürchten, wie oben gezeigt. Der Traum vom ewigen Leben ist jedoch vor allem ein Traum, der junge Menschen träumen. 28 Prozent der 28
4 UMGANG MIT ÄLTERWERDEN UND TOD 18- bis 35-Jährigen wünschen sich, ewig zu leben, von den Menschen ab 70 Jahren sind es dagegen nur 9 Prozent. Das Gefühl grenzenloser Möglichkeiten und die Lebensgier wird offenbar mit zunehmendem Alter von einer gewissen Lebenssattheit abgelöst. Gesamt 18 0 10 20 30 Nach Geschlecht Frau 15 Mann 22 0 10 20 30 Nach Alter 18−35 28 36−55 19 56−70 12 > 70 9 0 10 20 30 Anteil [%] Abbildung 29: Wunsch unsterblich zu sein – nach Geschlecht und Alter. Frau Mann 100 91 90 90 90 90 89 89 89 87 88 88 88 88 86 85 85 86 85 84 84 83 82 82 81 79 80 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Alter der Befragten Lebenserwartung: Wunsch Selbsteinschätzung Statistischer Wert* * Datengrundlage: Bundesamt für Statistik, Lebenserwartung nach Alter 2017 Abbildung 30: Gewünschte und erwartete Lebensdauer – nach Geschlecht. 29
4 UMGANG MIT ÄLTERWERDEN UND TOD Die wenigsten der Befragten möchten unendlich lange leben. Doch wie lange möchten sie denn leben? Und wie schätzen sie selber ihre Lebenserwartung ein? Auffällig ist, dass Männer älter werden möchten als Frauen, obwohl sie eine tiefere Lebenserwartung haben. Interessanterweise entspricht die statistische Le- benserwartung von Frauen ihrem geäusserten Wunschalter und liegt oberhalb der selbsteingeschätzten Lebenserwartung. Männer hingegen sind akkurat hinsichtlich ihrer selbst eingeschätzten Lebenserwartung – sie entspricht der statistischen Lebenserwartung. Dafür ist ihr Wunschalter unrealistisch hoch (Abb. 30). 4.2 Älterwerden überdecken Falten, graue Haare und die Glatze gehören zu den Befürchtungen, die mit dem Älterwerden verbunden werden. Wie in Kapitel 3 gezeigt, gehören die äusserlichen Veränderungen nicht zu den grössten Ängsten vor dem Älterwerden. Dennoch sind Massnahmen, welche diese Veränderungen aufhalten oder überdecken, relativ weit verbreitet. Insgesamt 43 Prozent der Befragten geben an, dass sie die Haare färben oder bei Bedarf färben würden. Nur 6 Prozent nehmen ein Mittel gegen Haarausfall, bei Bedarf ist die Bereitschaft jedoch deutlich höher. Mit jeweils ca. 10 Prozent zeigt sich, dass Massnahmen wie Botox zur Faltenbehandlung oder Hormontherapien kaum genutzt werden oder bei Bedarf genutzt werden würden. Faltencreme 28 23 48 Haare färben 28 15 57 Mittel gegen Haarausfall 6 39 55 Hormonersatztherapie 3 24 73 Faltenbehandlung (Botox usw.) 10 88 0 25 50 75 100 Anteil [%] Benutze / mache ich Würde ich bei Bedarf benutzen / machen Würde ich nicht benutzen / machen Abbildung 31: Massnahmen gegen äusserliche Erscheinungen des Alterns. Wie die folgenden Abbildungen zeigen, nutzen Frauen Methoden gegen Anzeichen des Alterns in der Regel häufiger. Frauen geben beispielsweise mit zunehmendem Alter häufiger an, Haarfärbemittel zu nutzen. Erst im höheren Alter nimmt der Anteil Nutzerinnen wieder leicht ab. Bei Männern ist die Nutzung konstant niedrig 30
4 UMGANG MIT ÄLTERWERDEN UND TOD (Abb. 32). Dies bestätigt die unterschiedliche Akzeptanz grauer Haare zwischen den Geschlechtern. Frauen Männer 80 60 61 60 51 51 51 Anteil [%] 46 43 40 33 34 21 20 17 12 11 11 5 3 5 3 3 0 0 1 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Mache ich Würde ich bei Bedarf machen Abbildung 32: Haarfärbemittel: Nutzung und Nutzungsbereitschaft bei Bedarf – nach Alter und Geschlecht. Dieser Unterschied geltender Normen für Frauen und Männer in Bezug auf Haare erklärt auch, warum Frauen eine deutlich höhere Bereitschaft zeigen, Mittel gegen Haarausfall zu nutzen. Zumindest bei den unter 40-Jährigen sind es jedoch die Männer, welche es häufiger anwenden, weil sie eher von frühzeitigem Haarausfall betroffen sind. Mit steigendem Alter sinkt die Bereitschaft, Mittel gegen Haarausfall einzusetzen. Zugleich nimmt jedoch zumindest bei den Frauen die tatsächliche Nutzung zu. Immerhin 12 Prozent der Frauen ab 70 Jahren geben an, solche Mittel anzuwenden. Frauen Männer 80 72 73 67 60 55 51 Anteil [%] 49 47 40 32 20 19 12 11 7 8 8 7 7 4 5 5 5 4 2 2 4 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Benutze ich Würde ich bei Bedarf benutzen Abbildung 33: Mittel gegen Haarausfall: Nutzung und Nutzungsbereitschaft bei Bedarf – nach Alter und Geschlecht. 31
4 UMGANG MIT ÄLTERWERDEN UND TOD Während die Verwendung von Haarfärbemittel bei den Frauen mit steigendem Alter zunächst zu, und dann wieder abnimmt, steigt die Verwendung von Falten- cremes ebenfalls zunächst an, stabilisiert sich danach jedoch auf hohem Niveau. Ab 40 Jahren sind es etwas mehr als die Hälfte der Frauen, die angeben Falten- cremes zu benutzen. Typischerweise sind es bei Männern deutlich weniger. Aber dennoch benutzen immerhin 15 Prozent der Männer zwischen 40 und 49 Jahren solche Cremes. Frauen Männer 80 67 60 54 55 52 51 Anteil [%] 45 41 40 31 28 23 18 20 20 16 16 15 14 15 9 10 11 11 5 7 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Benutze ich Würde ich bei Bedarf benutzen Abbildung 34: Faltencremes: Nutzung und Nutzungsbereitschaft bei Bedarf – nach Alter und Geschlecht. 4.3 In Bewegung bleiben Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Verlust an Autonomie gehören zu den grössten Sorgen in Bezug auf das Älterwerden. Der überwiegende Teil der Befragten nimmt dies durchaus ernst und gibt an, regelmässig Sport zu treiben (38 %) oder zumindest sich im Alltag ausreichend zu bewegen (47 %). Nur 15 Prozent geben an, sich nicht ausreichend zu bewegen. Auch wenn sich Männer und Frauen hinsichtlich ausreichender Bewegung nicht gross unterscheiden, treiben Männer häufiger regelmässig Sport, währenddessen Frauen häufiger angeben, sich im Alltag zu bewegen (Abb. 35). Mit zunehmendem Alter nimmt der Anteil derer, die regelmässig Sport treiben, leicht ab. Jedoch geben die Befragten mit zunehmendem Alter auch an, sich stärker im Alltag zu bewegen. Insbesondere bei den Frauen nimmt jedoch mit steigendem Alter der Anteil jener, die Sport betreiben oder sich zumindest im Alltag ausgiebig bewegen leicht zu. Das Bewusstsein für die Bedeutung regelmässiger Bewegung für den Erhalt der eigenen Autonomie und Bewegungsfreiheit scheint in der deutschsprachigen Schweiz weit verbreitet zu sein. 32
4 UMGANG MIT ÄLTERWERDEN UND TOD Regelmässig Sport Bewegung im Alltag 63 60 58 54 52 50 51 52 48 48 Anteil [%] 44 43 44 38 38 39 40 40 35 36 36 34 32 32 32 28 20 0 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 18-29 30-39 40-49 50-59 60-69 ≥ 70 Frauen Männer Abbildung 35: Ausreichende Bewegung durch Sport oder im Alltag – nach Alter und Geschlecht. 4.4 Alterung und Tod aufhalten? Sollten wir in der Forschung Anstrengungen unternehmen, um das Altern und letztlich den Tod durch Alterung aufzuhalten? Tatsächlich wird in diesem Be- reich geforscht und Unternehmen investieren Milliarden in die biotechnologische Forschung. Die Science-Fiction Vorstellung von Menschen, die niemals altern oder schockgefroren werden, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Leben erweckt werden, ist nicht mehr nur reine Fiktion. Befragten stehen solchen Tech- nologien generell eher skeptisch gegenüber. Tendenziell sind es eher die Männer, welche solche Massnahmen als sinnvoll erachten, wie in Abbildung 36 zu sehen ist (zum Vergleich ist auch der Anteil Frauen und Männer nochmals abgebildet, der sich die Unsterblichkeit wünschen). 19 Alterung aufhalten 12 12 Körper einfrieren 6 22 Unsterblich sein 15 0 10 20 30 Anteil [%] Mann Frau Abbildung 36: Zustimmung, Älterwerden und den Tod mit Massnahmen aufzuhalten – nach Geschlecht. 33
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