Amerika und Europa Das transatlantische Verhältnis unter der Lupe - Council on Foreign Relations
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NR. 6, DEZEMBER/JANUAR 2020/21, 87. JAHRGANG SEIT 1934 Das jüdische Magazin Amerika und Europa Das transatlantische Verhältnis unter der Lupe Europa...............€ 6.00 Israel.............NIS 18.00 www.aufbau.eu USA....................$ 8.00 Schweiz........CHF 6.00
MARSHALL-PLAN Der Marshall-Plan sollte nach dem Zweiten Weltkrieg ein dauerhaftes militärisches Engagement der USA in Europa unnötig machen. Diese Absicht schlug fehl. Dennoch hat die 1948 begonnene Initiative eine stabile Nachkriegsordnung und die Neugeburt eines demokratischen Westeuropas eingeleitet. Von Benn Steil Meisterwerk der amerikanischen Diplomatie Am 19. September 1796 verliess George Was- hington sein Amt als erster Präsident der Ver- einigten Staaten mit einer dringenden Bot- schaft: Die Amerikaner sollten «von dauerhaften Bündnissen im Ausland abse- hen». Besonders gefährlich sei ein Engage- ment in «Europa… Die Staaten dort verfolgen ganz eigene Interessen, die sehr wenig mit den unseren gemein haben. Und deshalb wird Eu- ropa ständig in Kontroversen verwickelt sein …, die uns nicht berühren.» Amerika sei des- halb gut beraten, Abstand zu den Affären der alten Welt zu halten. Generationen amerikani- scher Staatsmänner haben Washingtons Worte als weisen Ratschlag oder gar als düs- tere Warnung beherzigt. Doch 150 Jahre später erschien der Rat- schlag als naiv. 1945 hatten die USA binnen 30 Jahren zwei ohne ihr Zutun ausgebrochene Kriege in Europa ausgefochten. Dabei waren 522 000 Amerikaner gefallen. Nach der deut- schen Kapitulation am 7. Mai 1945 standen 3 077 000 amerikanische Soldaten in Europa. Präsident Franklin D. Roosevelt hatte sie nicht allein mit dem Ziel entsandt, Deutschland und men an. Die Westflanke der UdSSR war bereits Präsident Franklin D. Roosevelt wollte Japan zu schlagen. Er wollte eine neue, auf in- durch Einheiten der Roten Armee in Ost- und eine neue, auf internationale Zusammenarbeit ternationale Zusammenarbeit gegründete Mitteleuropa abgesichert. Doch der Süden gegründete Nachkriegsordnung aufbauen. Nachkriegsordnung aufbauen. Darin würde schien immer noch verwundbar – wie schon die Sowjetunion (UdSSR) eine Grossmacht mit im Krim-Krieg 1853–56 und während der Welt- würden die Amerikaner diese Vorstösse stop- spezifischen Interessen sein. Dies aber im Rah- kriege. Hier nahm Stalin die Türkei und Iran pen? Bei der nun einsetzenden Reaktion war men neuer Institutionen: Die Vereinten Natio- als mögliche Verbündete und Vorposten der vor allem überraschend, dass die USA den nen und der Internationale Währungsfonds Amerikaner wahr. Gleichzeitig aber war der Schwerpunkt auf wirtschaftspolitische Initia- sollten die UdSSR in eine Agenda einbinden, Zusammenbruch der traditionellen Vor- tiven legten. die Sicherheit und Wohlstand für Amerika ge- machtstellung der Briten im Mittelmeerraum So stellt die Mitte der 1940er Jahre im Rück- währleisten würde. Roosevelt sah Freihandel und in Nahost absehbar. London stand vor blick den Höhepunkt der amerikanischen Dip- und Respekt für die Unabhängigkeit kleinerer dem Staatsbankrott und war schon von daher lomatie im 20. Jahrhundert unter wirtschaftli- Staaten als Grundlage dieser kollaborativen, zu einer Aufgabe des britischen Empire ge- chen Vorzeichen dar. Experten im US-Finanz- internationalen Ordnung in «einer Welt». zwungen. Stalin sah darin eine Chance, Gren- ministerium hatten aus der Grossen Depres- Doch schon bald nach dem Tod Roosevelts zen abzusichern, strategisch wichtige Teile sion und dem Zweiten Weltkrieg die Lehre ge- FOTOS: KEYSTONE im April 1945 wurde deutlich, dass Josef Stalin des Nahen und Mittleren Ostens zu dominie- zogen, dass wirtschaftliche Instabilität zu- eigene Absichten verfolgte. Im folgenden Jahr ren und sein eigenes Reich in eine Seemacht nächst Währungskriege, dann solche über den nahmen seine Vorstösse zur Ausdehnung des mit vorgeschobenen Basen zu verwandeln. Handel und schliesslich militärische Konflikte sowjetischen Machtbereichs deutlichere For- Stalin stand vor der Frage: wo, wann und wie auslösen. Die neue Wissenschaft der Makro- 10
ökonomie sollte Regierungen erlauben, künf- tige Wirtschaftskrisen zu vermeiden. Damit würden Rückfälle in einen Abwertungswett- lauf bei Währungen der Vorkriegszeit ausge- schlossen, die im Finanzministerium als Akte «ökonomischer Aggression» betrachtet wur- den. Diese ehrgeizigen Ziele sollten durch die an der Konferenz von Bretton Woods im Juli 1944 geschaffenen Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IMF) ge- währleistet werden. Deren Erfolg hing in den Augen der Planer jedoch von politischer Stabi- lität im Nachkriegseuropa ab. Davon konnte 1945–46 keine Rede sein. Denn nun entpuppten sich die Hoffnungen und Pläne von Finanzminister Henry Mor- genthau und dessen Stellvertreter Harry Dexter White als Illusion: Eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Sowjets erschien ebenso unrealistisch wie die Umwandlung Deutschlands in einen friedfertigen Agrar- staat, eine reibungslose Abwicklung des briti- schen Empire und die Neubelebung des Welt- handels durch relativ bescheidene Kredite. Ein beraten, langfristige Ziele aufzugeben, die Henry Morgenthau, Jr. (2.v.l.), US-Finanzminister, gefährliches Sicherheitsvakuum in Europa vor zwar erstrebenswert waren, aber keine Bedeu- an der wichtigen Bretton-Woods-Konferenz 1944. Augen, legte das State Department unter Prä- tung mehr für die Lösung der drängenden, sident Harry Truman den IMF auf Eis. Der zu- unmittelbaren Probleme Westeuropas mehr George C. Marshall (1880-1959) benannt, sollte künftige Aussenminister Dean Acheson sagte haben konnten. Bohlen drang darauf, zukünf- der Marshall-Plan die USA auf eben jene Weise dazu später, die im Krieg entwickelten Kon- tige Initiativen nurmehr auf Westeuropa zu in die Angelegenheiten Europas verwickeln, zepte des US-Finanzministeriums hätten auf beschränken. Grundlage sollte «das Konzept vor der George Washington so dringend ge- «verfehlten Annahmen sowohl über die Nach- einer wirtschaftlichen Einheit Europas west- warnt hatte. kriegsbedingungen wie auch unsere Fähigkeit, lich der Linie Stettin-Triest sein», auf der nun diese tatsächlich zu erkennen», beruht: «Es hat die Grenze zum sowjetischen Machtbereich Der Marshall-Plan: Hilfe zur Selbsthilfe uns nur langsam gedämmert, dass die ge- verlief. Die offizielle Bezeichnung der Initiative lau- samte Struktur und Ordnung der Welt ver- Bohlen vertrat zu diesem Zeitpunkt eine tete «European Recovery Program» (ERP). Un- schwunden war, die wir aus dem 19. Jahrhun- Haltung, zu der die meisten Berater damals ter diesem Titel transferierten die USA zwi- dert geerbt hatten. Wir mussten einsehen, dass gefunden hatten: Die Einheit und der Wieder- schen 1948 und 1952 an 16 teilnehmenden die Gestaltung einer neuen Ordnung zum aufbau Westeuropas erschien als einzige prak- Staaten in Europa insgesamt 13,2 Milliarden Zankapfel zweier einander bitter bekämpfen- tikable Alternative zu einem erneuten militä- Dollar mit einem heutigen Wert von 140 Milli- der Machtzentren werden würde, die unver- rischen Engagement der USA in Europa. So arden Dollar. Gemessen am Anteil des dama- söhnlichen Ideologien anhingen.» warnte die neue «Central Intelligence Agency» ligen Bruttosozialprodukts von 1,1 Prozent Im August 1947 vertrat Charles Bohlen, ein (CIA) seinerzeit: «Das grösste Sicherheitsrisiko würde das Volumen bei einer Auszahlung zwi- einflussreicher Russlandexperte im Aussen- für die USA ist ein wirtschaftlicher Zusam- schen 2012 und 2016 auf die um ein vielfaches ministerium, in einem Memorandum für Dip- menbruch Westeuropas mit der Folge einer höhere Summe von 800 Milliarden Dollar stei- lomaten und Militärs den gleichen Stand- Machtübernahme durch kommunistische Ele- gen. Rechnen wir dazu militärische und sons- punkt: «Die Vereinigten Staaten sind mit einer mente.» Der für die US-Army zuständige Mi- tige Hilfen während des ERP, läge deren heu- Weltlage konfrontiert, die den bei Kriegsende nister Kenneth Royall forderte die Aufsto- tiger Wert bei einer Billion Dollar. und kurz danach gemachten Annahmen di- ckung der nach Kriegsende rasch demobi- War diese immense Investition ein Erfolg? rekt widerspricht, welche Grundlage unserer lisierten Streitkräfte um 160 000 Mann und Gemessen an der ursprünglichen Absicht, den Politik geworden sind. Statt einer gemeinsa- eine Erhöhung seines Etats um 2,25 Milliarden USA ein längerfristiges militärisches Engage- men Haltung der Grossmächte zu den grund- Dollar (ein Fünftel des Budgets), sollte der ment in Europa zu ersparen, muss die Antwort legenden, politischen und wirtschaftlichen US-Kongress ein Hilfspaket für Europa ableh- negativ ausfallen. Die Truman-Regierung Aspekten des Wiederaufbaus der Welt stehen nen. Der ex-Botschafter in Moskau Joseph Da- kam schliesslich entgegen vorheriger Absich- wir vor einer tiefgreifenden Konfrontation vies warnte bereits vor den ruinösen Kosten ten zum Schluss, dass der Marshall-Plan West- zwischen der Sowjetunion und deren Satelli- eines Rüstungswettlaufs mit Russland. europa ohne die Absicherung durch eine mili- ten auf der einen und der übrigen Welt auf der Das nun formulierte Denken wich radikal tärische Allianz nicht würde stabilisieren anderen Seite. Kurz gesagt: Von ‹einer Welt› von den Überlegungen der Roosevelt-Regie- können. Daraus erfolgte die Gründung der kann nicht mehr die Rede sein. Wir müssen rung ab. Statt den Wiederaufbau Europas mit Nato. Das Bündnis und das ERP sind daher am von zwei Welten ausgehen.» Krediten zu unterstützen und ansonsten nicht besten als zwei Elemente einer umfassende- Dabei gewannen wirtschaftliche Aspekte weiter zu begleiten, wollte Washington unter ren Sicherheitspolitik für Europa zu verste- als Werkzeug der Diplomatie unter Truman Harry S. Truman auf Grundlage von Konzep- hen. Diese war ihrerseits ein Kernstück der gegenüber der Roosevelt-Ära noch an Bedeu- ten, Kapital und am Ende auch – entgegen vor- globalen Strategie des Containments der Sow- tung. Aber deren Einsatz sollte nun laut Boh- heriger Absichten – Sicherheitsgarantien jetunion, die damals Form annahm. Auf die- len «die nicht-sowjetische Welt enger zusam- Amerikas eine neue, wirtschaftlich integrierte ser Ebene aber war der Marshall-Plan ein Er- men- und zu einer gemeinsamen Haltung Sphäre in Westeuropa gestalten. In der Öffent- folg: Das ERP stützte die Erholung euro- bringen». Die US-Regierung wäre daher gut lichkeit nach dem damaligen Aussenminister päischer Staaten als kapitalistische Demo- 11
kratien und legte institutionelle Grundlagen für eine dauerhafte Zusammenarbeit der teil- nehmenden Staaten. Dabei war das ERP für die Europäer keines- wegs an den Zwang gekoppelt, amerikanische Produktionsüberschüsse aufzunehmen, wie von der sowjetischen Propaganda und Kriti- kern in Westeuropa behauptet. Dies hätte die Zahlungsbilanz Europas weiter aus dem Gleichgewicht gebracht, die von Washington beabsichtigte Integration europäischer Volks- wirtschaften untergraben und Versorgungs- engpässe in den USA verschlimmert. Stattdes- sen vollzog Washington einen grundlegenden Schwenk weg vom Protektionismus der Vor- kriegszeit und ermutigte Importe aus Europa. Amerikanische Wirtschaftslobbys trugen die radikale Wende mit und unterstützten die Truman-Regierung. In Paris mit der Administration des ERP be- traut, konnte Averell Harriman daher zu Recht betonen: «Unser Ziel ist die Stimulation von Ländern zur Selbsthilfe». Dabei legten die ge- setzlichen Grundlagen für das ERP fest, dass diese Mittel nicht zum Ankauf von Überschüs- sen der amerikanischen Industrie verwendet werden durften. Der Unternehmerverband die Erwartungen aus Washington zurück. Wie der Nobel-Ökonom Angus Deaton National Association of Manufacturers und Dennoch ermöglichten die Gelder des ECP verdeutlicht hat, tragen Auslandhilfen unter die US-Handelskammer wiesen Mitglieder da- Empfängerländern die Überbrückung akuter falschen Voraussetzungen kaum jemals zu einer rauf hin, dass amerikanische Exporte «mit der Probleme bei der Lancierung eigener Wirt- Entwicklung lokaler Kapazitäten bei. Fähigkeit ausländischer Kunden konform ge- schaftsinitiativen. Der Marshall-Plan schuf hen mussten, diese aus eigenen Ausfuhren zu somit eine Vertrauensgrundlage für Volks- Sowjetunion verwandelt. Er initiierte einen bezahlen». Um den besonders Westdeutsch- wirtschaften und Politik in Empfängerlän- Coup gegen die Regierung in Prag und ver- land betreffenden Mangel an Dollars zu behe- dern. Dort wurden kommunistische Parteien hängte schliesslich im Juni 1948 eine Blockade ben und Exporte anzukurbeln, zielten Mar- aus Regierungskoalitionen ferngehalten, um über Berlin. Bereits im Juli 1947 kam ein Ge- shall-Hilfen auf die Wiederbelebung der den Verlust von ERP-Hilfen zu vermeiden. So heimdienstbericht für das Weisse Haus zum dortigen Industrie für Produktionsgüter ab. erreichte die Truman-Regierung ihre prinzipi- Schluss, die Initiative Marshalls habe «die Ent- Daher konnte die Bundesrepublik die traditio- ellen politischen und wirtschaftlichen Ziele schlossenheit der Sowjets bestärkt, ihre aus- nelle Rolle Deutschlands als wichtigstem Lie- über Umwege. serordentlich tiefgreifende Kontrolle über [ost- ferant etwa von Werkzeugmaschinen in Eu- Dennoch kam dieser Erfolg mit geopoliti- europäische] Länder zu verstärken.» Diese ropa zurückgewinnen. Dies ging zulasten schen Kosten. In den USA sahen linksliberale Nationen sollten mit dem Verlust ihrer Freiheit amerikanischer Hersteller. Exponenten wie Eleanor Roosevelt den Mar- auf Jahrzehnte hinaus einen hohen Preis für Hilfreich dabei war nicht zuletzt eine wei- shall-Plan als aufgeklärte und friedfertige Al- das Erblühen marktwirtschaftlicher Demo- chere Haltung Washingtons gegenüber der ternative zur Truman-Doktrin vom März 1947. kratien im Westen bezahlen. Abwertung der Deutschen Mark. Dies stellte Damit hatte der Präsident jedoch lediglich die Paris und London hielten bei ihrem Wie- einen weiteren Kurswechsel gegenüber der Existenz einer amerikanischen Interes- deraufbau zunächst an einer Rückkehr zu Roosevelt-Regierung dar, die an der Konferenz sensphäre im Mittelmeerraum betont, die Sta- wirtschaftlicher Autarkie fest. Ein Umlenken von Bretton Woods eine Stärkung amerikani- lin bereits akzeptiert hatte. Der Marshall-Plan erschien nur unter der Voraussetzung ameri- scher Exporte durch die Ermutigung von Han- wurde in Moskau jedoch als Absicht der Ame- kanischer Sicherheitsgarantien gegen ein wo- delspartnern zum Kauf auf Kredit betrieben rikaner wahrgenommen, eine bleibende poli- möglich revanchistisches Deutschland und hatte. Diese sollte der IMF gewähren. Die im tische und militärische Präsenz im Herzen eine zunehmend feindselige Sowjetunion Marshall-Plan manifestierte grössere Bereit- Europas aufzubauen. Stalin sah eine solche denkbar. So verstand die Truman-Regierung schaft der USA zu Importen führte schliess- Position als Bedrohung der von der Sowjet- den Marshall-Plan zwar ursprünglich als Vor- lich zum Abschluss und der Umsetzung des in union mit so hohen Kosten an Menschenleben aussetzung für einen militärischen Abzug aus Bretton Woods entwickelten «Allgemeinen erkämpften dortigen Pufferzone. Der Kreml Europa. Aber das ERP zwang Washington Zoll- und Handelsabkommens» (GATT) und hielt daher entschiedene Gegenmassnahmen rasch zu einer Verpflichtung auf den Schutz einer Wiederbelebung des Welthandels. für notwendig. Westeuropas mit offenem Ende. Stalin hatte Neu waren auch die Finanzhilfen unter Als besonders gefährlich erschien den Sow- dem Plan stets eine militärische Komponente dem Marshall-Plan, die – wie im Zusammen- jets die im Marshall-Plan vorgesehene zentrale beigemessen. Truman hatte die Kosten dafür hang mit deutschen Reparationsverpflichtun- Rolle Deutschlands: Der Todfeind sollte rasch gescheut, sah sich aber zur Gründung der gen nach 1918 geschehen – von der neuerli- wieder zu einer modernen Industrienation NATO gezwungen, um das ERP sicherheitspo- chen Kreation eines «ungebrochenen Zyklus aufgebaut werden. Stalin suchte die amerika- litisch zu untermauern. FOTOS: KEYSTONE von Krediten zur Begleichung von Krediten» nischen Pläne mit einem Bündel von Massnah- All dies war jedoch nur möglich, da der von absahen. Stattdessen wurden Hilfen als Zu- men zu kontern. Durch die Gründung der Co- den Republikanern dominierte Kongress die stiftungen gewährt. Deren unmittelbare Ef- minform flankiert, wurden kommunistische dafür notwendigen Gesetzesvorlagen mit gros- fekte waren erheblich, fielen aber weit hinter Parteien in Westeuropa in fünfte Kolonnen der sen Mehrheiten unterstützte. Heute erscheint 12
ein solch hohes Mass an Übereinstimmung in Allein die Einschätzung ihrer jeweiligen Inte- tons bei der Absicherung strategisch wichtiger Politik und Öffentlichkeit kaum mehr vorstell- ressen liess einen Konflikt der beiden Seiten Regionen über Europa hinaus. Die USA woll- bar. Im Kongress stiessen neue Auslandshilfen unvermeidlich erscheinen. So stellte das von ten auch in Nordostasien energischen, unab- in schwer überschaubarer Höhe zunächst auf Truman im November 1948 als Grundlage der hängigen und selbstbewussten Machtzentren Widerstand. Aber die Truman-Regierung hat amerikanischen Aussenpolitik bewilligte auf die Beine helfen, die von sich aus sowjeti- diese politisch meisterhaft «verkauft» und das Strategie-Papier «NSC 20/4» fest: «Ob durch schem Druck widerstehen konnten. Wie ge- ERP sowohl Internationalisten wie Antikom- bewaffnete Aggression oder politische Subver- genüber Deutschland kam Washington in Ja- munisten schmackhaft gemacht. Die neue Ini- sion erzielt – die sowjetische Dominanz über pan zum Schluss, dass die Rehabilitation des tiative kam Kritikern des als unrealistisch be- die Machtpotentiale Eurasiens wäre für die einstigen Gegners deutlich weniger riskant trachteten «Morgenthau-Plans» ebenso ent- USA politisch und strategisch nicht hinnehm- sein würde als die Neutralisierung Japans in gegen wie Isolationisten. Diese fühlten sich bar.» Hier kommt die berühmte Analyse von Kooperation mit Moskau. «Im Rahmen der von der (unrealistischen) Idee angesprochen, Halford Mackinder aus dem Jahr 1904 zum Spannungen zwischen Ost und West ist Neut- das ERP werde Europa Hilfe zur Selbsthilfe bie- Ausdruck. Der britische Vordenker der ralität eine Illusion», wie Acheson Ende 1949 ten und damit einen Rückzug Amerikas hinter Geostrategie hatte die Kontrolle der Ressour- erklärte: «Die Sowjets würden nurmehr ihre den Atlantik ermöglichen. cen Eurasiens durch eine Landmacht als töd- Infiltration fortsetzen und Japan dadurch Doch die Veränderung der strategischen liche Bedrohung der westlichen Seemächte letztlich in eine aggressive militärische Bedro- Landschaft allein erklärt diese radikalen Inno- beschrieben. Dies konnte für Mackinder in hung verwandeln.» vationen der amerikanischen Aussenpolitik Form einer Allianz zwischen Russland und Angefangen bei dem enormen Wachstum nicht. Hier kam der Glücksfall einer Konstella- Deutschland geschehen. Deutschlands und Japans lässt eine Betrach- tion von Persönlichkeiten ins Spiel, die der da- Aber natürlich sah Moskau ebenfalls eine tung der Machtverhältnisse zwischen beiden maligen Krise ebenbürtig waren. Wäre er noch «rote Linie» im Hinblick auf amerikanische Blöcken in Europa und Nordostasien am Ende am Leben gewesen, hätte Roosevelt seine «One Dominanz. In Europa lief eine solche durch des Kalten Krieges eigentlich nur einen Schluss World»-Vision angesichts zunehmender Span- Deutschland. Stalin liess daran keine Zweifel, zu: Die amerikanische Strategie war ein Erfolg. nungen mit den Sowjets vermutlich aufgege- als er Verbündeten in Bulgarien und Jugosla- 40 Jahre nach der Einsicht Achesons, Amerika ben. Aber er hätte Untergebenen wohl kaum wien erklärte: «Ganz Deutschland muss unser sei mit Verbündeten besser gedient denn mit derart grosse Handlungsspielräume gegeben sein – also sowjetisch, kommunistisch.» Sein neutralen Zonen, waren die nach 1946 ge- wie Truman. Und während der engstirnige Vorgehen in Polen und in der Tschechoslowa- schlossenen Allianzen weiterhin intakt. Der Morgenthau und der später als Sowjetspion kei machte deutlich, wie ernst es Stalin damit Ostblock brach derweil auseinander. Im Okto- entlarvte Harry Dexter White die Wirtschafts- war. In Europa konnte nur Deutschland fähig ber 1947 hatte der republikanische Senator aussenpolitik von 1934 bis 1945 dominierten, sein, Stalins mit so schweren Opfern errun- Henry Cabot Lodge, Jr. seinem Fraktionskolle- hält ihre Statur keinen Vergleich mit der Inte- gene Pufferzone im Westen zu zerschlagen. gen Vandenberg geschrieben: «Die Erholung grität und Urteilsfähigkeit von Diplomaten wie Diese Satellitenstaaten konnten wiederum Westeuropas stellt eine Aufgabe für die kom- George Marshall, Dean Acheson, George Ken- nur durch eine ständige Bedrohung mit Ge- menden 25 bis 50 Jahre dar… Die von uns über nan und Will Clayton aus, der als Vizeaussen- walt zusammengehalten werden. Wie ernst es die kommenden drei oder vier Jahre geleistete minister für Wirtschaftsfragen 1944 bis 1947 beiden Seiten mit ihren Rechten und Interes- Hilfe wird uns noch in ferner Zukunft starke als ein Gründervater der Europäischen Union sen in Deutschland war, wurde mit der Ber- Freunde in Übersee schaffen.» Vandenberg betrachtet werden sollte. Dazu kamen Offizi- liner Blockade 1948/49 deutlich. Letztlich hat gab diese ebenso scharfsinnige wie bedeut- elle vor Ort in Europa wie Lucius Clay und Ro- der Marshall-Plan damit aber auch die politi- same Einsicht an Marshall weiter. Das Con- bert Murphy in Berlin, Lewis Douglas in Lon- sche Teilung des Landes als einzige Alterna- tainment sollte über vier Jahrzehnte einen don sowie Jefferson Caffery und Harriman in tive zu einem «heissen Krieg» forciert und so erfolgreichen Balanceakt zwischen Krieg und Paris, die für eine kompetente und durchgrei- eine Stabilisierung Europas gebracht. Appeasement gewährleisten. Keine Initiative fende Umsetzung der neuen Strategie Ameri- hat mehr zur Einigung des Westens für diesen kas sorgten. Zudem ist fraglich, ob Roosevelt Das ERP im Rückblick: Konflikt beigetragen als der Marshall-Plan. einen so engen Kontakt zu den Republikanern Modell oder Ausnahme? Viele der heute als selbstverständlich betrach- im Kongress hätte entwickeln können wie Tru- Wie bereits erwähnt, wurde der Marshall-Plan teten Institutionen der liberalen Nachkriegs- man und sein Team zu Senator Arthur Van- nur ein Pfeiler der amerikanischen Contain- ordnung – die Europäische Union, die NATO denberg, dem Meister politischen Taktierens ment-Strategie zu Beginn des Kalten Krieges. oder die Welthandelsorganisation – wurden auf konservativer Seite. Ohne diese überpar- Ein wirtschaftlicher Aufbau wurde indes unter amerikanischer Führung während der teiliche Partnerschaft wäre auch der beste Plan rasch zum wichtigsten Werkzeug Washing- frühen Jahre des ERP geschaffen. eben nur dies geblieben – ein Plan. Am Ende des Kalten Kriegs hatte der Mar- Aber auch hier liefen problematische Kos- shall-Plan längst einen ikonischen Status er- ten auf: Um Kongressmehrheiten für den Mar- shall-Plan zu finden, griff die Truman-Regie- «Von daher sollte es rungen, wie der deutsche Wirtschaftshistori- ker Werner Abelshauser schon 1991 formuliert rung zu einer aggressiven antikommunisti- nicht überraschen, dass hat: «Praktisch jede Krise weltweit bedarf in schen Rhetorik, die bei Marshall und den den Augen westlicher Beobachter eines neuen meisten Diplomaten erhebliches Unbehagen amerikanische ‹Marshall-Plans›.» Selbst Laien betrachten das auslöste. Der Kampf gegen den Kommunis- mus wurde damit zu einer Prestigefrage und Entwicklungshilfen für ERP als Synonym für eine selbstlose und kluge aussenpolitische Intervention, um Elend zu brachte die USA vollends auf einen Konfronta- Gesellschaften mit beseitigen, Konflikte zu beruhigen und Hoff- tionskurs mit Moskau und kommunistischen nung zu säen. Peer Steinbrueck schlug einen Bewegungen weltweit. schweren Kriegsschäden neuen Marshall-Plan als weise Alternative zur So stellt sich hier einmal mehr die Frage: Hätte der Kalte Krieg verhindert werden kön- in jüngerer Zeit Austeritätspolitik Europas nach 2008 vor. George Soros wollte die Ukraine auf diese nen? Der Marshall-Plan hat den Ost-West-Kon- flikt beschleunigt und verschärft. Doch letzt- weitgehend Weise gegen den Zugriff Russlands wappnen. Auch für Gaza, Griechenland, Nordafrika und lich muss die Antwort wohl lauten: nein. fehlgeschlagen sind.» die USA selbst riefen wohlmeinende Stim- 13
men nach einer Neuauflage. Die Auslandinves- titionen Pekings wurden als «chinesischer Marshall-Plan» eingestuft. Auch die Klimak- rise oder Arbeitslosigkeit weltweit sollten eine Kur nach diesem Vorbild finden. Dass es nie zu einer Neuauflage gekommen ist, zeigt aller- dings, wie einzigartig die Ausgangslage für den realen Marshall-Plan damals war. Dennoch bleibt ein Blick auf den Erfolg des ERP aufschlussreich. Dieser liegt über das fi- nanzielle Volumen hinaus in der wirksamen Verknüpfung von Bedingungen an Hilfen, die seitens der Empfänger dann auch in Form po- litischer Massnahmen relativ zuverlässig er- füllt wurden. Grundsätzlich gilt für Hilfspro- gramme: mit deren Volumen steigt die Macht von Gebern, Regierungen einzusetzen oder an der Macht zu halten, die für den Erfolg der Pro- gramme notwendige politische Entscheidun- gen treffen. Gleichzeitig aber stehen Empfän- ger stets vor eigenen, den Wünschen von Gebern entgegengesetzten Notwendigkeiten und Hürden. So verstanden Nachkriegsregie- rungen in Frankreich, dass die Amerikaner auf einer Reindustrialisierung Deutschlands und dem Ausschluss der Kommunisten aus Koalitionen in Paris bestehen würden. Frank- reich übernahm diese Vorgaben nicht allein, sondern trieb 1950 mit dem «Schuman-Plan» Von daher sollte es nicht überraschen, dass Männer mit Plan: US-Aussenminister für die Fusion der Kohle- und Stahlindustrien amerikanische Entwicklungshilfen für Ge- George C. Marshall, links, und Staatssekretär Deutschlands und Frankreichs die Integra- sellschaften mit schweren Kriegsschäden in Robert Lovett im Jahr 1947. tion der europäischen Wirtschaft sogar noch jüngerer Zeit weitgehend fehlgeschlagen sind. voran (Acheson hatte den französischen Aus- So haben die USA allein 210 Milliarden Dollar tegie verständlich sind und wirksam werden senminister Robert Schuman dazu ermutigt). direkt in humanitäre Hilfen und den Wieder- konnten. Bis heute sind den USA keine mögli- Gleichzeitig aber ging Paris in der Wirt- aufbau von Irak und Afghanistan gesteckt, chen Nutzniesser begegnet, die sowohl die schaftspolitik im Lande selbst weitgehend ei- also 50 Prozent mehr als den heutigen Wert geostrategische Bedeutung für derart massive gene Wege und ignorierte die Amerikaner. des ERP. Aber die dortigen Regierungen konn- Investitionen als auch die für die Umsetzung Dies löste in Washington Unmut aus, schmä- ten nicht einmal die Kontrolle ihres eigenen von Hilfsprogrammen über viele Jahre hinaus lerte den Erfolg des ERP aber kaum. Frank- Territoriums sichern und müssen sich bis notwendigen inneren Voraussetzungen mit- reich war bereits ein reiches Land und brachte heute gegen bewaffnete Gegner im Lande und bringen. mit einer Marktwirtschaft und einer bürokra- jenseits ihrer Grenzen wehren. Während die Schliesslich aber sind kleinere Staaten kei- tischen Infrastruktur solide Voraussetzungen ERP-Empfänger letztlich doch aus eigener neswegs bereit, Hilfen als Teil einer von Gross- für die Implementierung des Marshall-Plans Kraft wieder auf die Beine kamen, sind die mächten wie den USA unternommenen regio- mit. Die Hilfen konnten daher erfolgreich für Volkswirtschaften Iraks und Afghanistans nalen Integration auf wirtschaftlicher, poli- die Behebung der schwersten Schäden von weiter im Kollaps begriffen. Ihnen fehlen kom- tischer oder der Sicherheitsebene zu akzeptie- Krieg und Besatzung eingesetzt werden. petente und unabhängige Behörden mit Eige- ren. Ein solches Unterfangen mag durchaus Weniger entwickelte Länder werden dage- ninitiative und Handlungsspielräumen. Zu- als Bedrohung wahrgenommen werden. Bei gen in der Regel von Regierungen geführt, de- dem sind dortige Regierungen keineswegs rivalisierenden Grossmächten wie Russland nen die Fähigkeit und allzu oft schlicht das natürliche Verbündete der USA mit einem wird daraus Gewissheit: Moskau hat auf die Verlangen fehlen, das Wohl der Öffentlichkeit tiefen Fundus gemeinsamer Interessen. In Ausweitung der NATO und der EU nach Ost- zu mehren. Wie der Nobel-Ökonom Angus Nahost steht nicht zuletzt der Konflikt europa hinein seit dem vorgeblichen Ende des Deaton verdeutlicht hat, tragen Auslandhilfen Washingtons mit Iran einem friedlichen Wie- Kalten Kriegs 1990 jedenfalls mit entschiede- unter derartigen Voraussetzungen kaum je- deraufbau in den Nachbarstaaten Irak und nem Widerstand reagiert. So stehen wir im mals zu einer Entwicklung lokaler Kapazitä- Afghanistan im Wege. Kurz gesagt: für erfolg- Westen heute erneut vor der Herausforderung, ten bei – und allzu oft werden diese dann so- reiche Projekte wie das ERP braucht es ganz diese Turbulenzen auf friedliche Weise, nun gar noch weiter geschwächt. Nun ist es zwar bestimmte und historisch selten gegebene aber auch ohne die Aufopferung der vor 30 denkbar, Hilfen so zu strukturieren, dass Voraussetzungen. Jahren errungenen Unabhängigkeit und Frei- diese an Regierungen vorbei direkt Bevölke- Aus strategischer Sicht hat der Historiker heit Osteuropas, zu bewältigen. rungen zugutekommen. Aber auch damit John Lewis Gaddis argumentiert, der Erfolg bleibt die Tatsache bestehen, dass funktionie- des von George Kennan formulierten «Con- Benn Steil ist Direktor des Bereichs für interna- rende staatliche Verwaltungen unabdingbar tainment» beruhe einzig auf Grundlage der tionale Wirtschaftsfragen und Historian in Re- für den Erfolg von Hilfsprogrammen sind. Das besonderen Umstände nach dem Zweiten sidence am Council on Foreign Relations in New FOTO: KEYSTONE US-Aussenministerium unter George C. Weltkrieg und sei kaum auf andere Umstände York City. Steil hat vielbeachtete Bücher über Marshall ging schlicht von der Existenz sol- übertragbar. Dies gilt auch für die massiven amerikanische Nachkriegsplanungen publi- cher Bürokratien aus – und wurde in dieser US-Hilfen unter dem Marshall-Plan, die eben ziert, zuletzt «The Marshall Plan: Dawn of the Annahme nicht enttäuscht. nur als Teil der grösseren Containment-Stra- Cold War». 14
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