Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
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© Oxfam / Alexa Sedgwick Oxfams Partnerorganisation Women on Farms Project organisiert regelmäßig Demonstrationen mit Arbeiter*innen, die auf Traubenfarmen arbeiten. Oxfams Partner- Frauen über ihre Rechte zu informie- Die Asociación Regional Centro organ isationen ren und sie dabei zu unterstützen, america para el Agua y el Ambiente ARCA und WFP sich gemeinsam zu organisieren und (ARCA, dt.: regionale Vereinigung Veränderungen auf politischer Mittelamerikas für Wasser und Um- Oxfams südafrikanische Partnerorga- Ebene zu bewirken. welt) ist eine zivilgesellschaft- nisation Women on Farms Project liche Organisation mit Sitz in Costa (WFP) setzt sich seit drei Jahrzehn- Ein Beispiel: Im Sommer 2021 starte- Rica, die für die Förderung neuer, ten für Farmarbeiter*innen ein – ten die Arbeiter*innen mit einem nachhaltiger und sozialerer Ent- speziell für Frauen, die auf den Wein- lautstarken Protestzug durch Wor- wicklungsmodelle einsteht. Neben farmen Südafrikas arbeiten, und cester, einem Zentrum der Wein dem landwirtschaftlichen Bereich kämpft gemeinsam mit ihnen produktion am südafrikanischen nimmt ARCA auch das Recht auf sau- für Frauenrechte, menschenwürdige Westkap. Sie forderten unter ande- beres Trinkwasser und nachhal- Arbeitsbedingungen und gegen rem ausstehende Zahlungen aus tige Stadtentwicklung in den Blick. Diskriminierung und Ausbeutung. der Arbeitslosenversicherung wäh- Ein wichtiger Fokus liegt darauf, rend der COVID-19-Pandemie.
VORWORT Colette Solomon Direktorin Women on Farms Project Südafrika In Südafrika leben schätzungsweise jegliche Unterstützung durch Gewerk- Durch diese Überweisungen tragen drei Millionen Arbeitsmigrant*innen. schaften oder Regierungsinstitutionen. sie auch effektiv zur Wirtschaft ihrer Um der anhaltenden Wirtschaftskrise Die migrationspolitischen Rahmen- Herkunftsländer bei. in ihren Heimatländern zu entgehen, bedingungen legen den Frauen zudem kommen sie hierher, viele auf die kom- zahlreiche Hindernisse in den Weg, Auffallend ist die Ähnlichkeit der in die- merziellen Wein- und Traubenfarmen sodass sie nicht frei arbeiten und leben ser Studie beschriebenen Erfahrun- in der Provinz Westkap. können, ohne Repressalien oder Ab- gen von Migrant*innen in Südafrika und schiebung fürchten zu müssen. Costa Rica, welche in den Lieferketten Die südafrikanische feministische Or- großer Supermärkte arbeiten. Dies zeigt ganisation Women on Farms Project Diese Untersuchung fand während der die strukturelle Dimension der Un- (WFP) setzt sich seit 1996 gemeinsam weltweiten COVID-19-Pandemie statt gleichheit in unserer globalen Wirt- mit Frauen, die auf den Weinfarmen und enthält daher auch Erkenntnisse schaft auf. leben und arbeiten, für menschenwür- darüber, wie Migrantinnen und ihre dige Lebens- und Arbeitsbedingungen Kinder während des strengen Lock- Regierungen, Arbeitgeber*innen und und ihre Rechte ein. Südafrikanische downs samt Ausgangssperre von jeg- diejenigen, die über Ressourcen ver- Farmbesitzer beschäftigen immer häu- lichem Sicherheitsnetz ausgeschlos- fügen, um auf einen positiven Wandel figer Migrant*innen. Auch WFP ar- sen waren. COVID-19 hat die prekären hinzuwirken, müssen zum Aufbau ei- beitet seit 2014 mit einer wachsenden Lebens- und Arbeitsbedingungen ner Migrationspolitik beitragen, welche Zahl an Arbeitsmigrantinnen zusam- von Migrantinnen in Südafrika offen- Menschen- und Arbeitsrechte von Ar- men, von denen viele davon berichten, gelegt und zugleich verschlimmert. beitsmigrant*innen schützt und stärkt. dass Arbeitsrechtsverletzungen auf den Farmen weit verbreitet sind. Was diese Studie jedoch auch zeigt, In unserer Arbeit wird deutlich: Es sind Stärke und Handlungsfähigkeit von gibt mehr Themen, die einheimische Diese Studie, für die WFP mit Oxfam Migrantinnen. Diese Frauen migrieren Arbeiterinnen mit migrantischen Deutschland zusammengearbeitet zunehmend unabhängig von Männern Arbeiterinnen verbinden als trennen. hat, ist möglicherweise die erste um- oder anderen Familienangehörigen, Solidarität und kollektives feminis fassende Untersuchung der Erfahr- sie migrieren, um missbräuchlichen tisches Handeln sind eine echte Alter- ungen von Migrantinnen auf Wein- und Beziehungen zu entkommen, und native, um den unterdrückerischen Traubenfarmen in Südafrika. Ihre Er- können sich dabei auf starke soziale und ausbeuterischen Arbeitsbedin- gebnisse machen deutlich, dass wir Netzwerke mit anderen Frauen ver- gungen entgegenzuwirken, denen erst am Anfang stehen, die ausbeu- lassen. Nicht zuletzt dank dieser Netz- Frauen, insbesondere Migrantinnen, terische Lebens- und Arbeitsverhält- werke finden sie Arbeit im neuen ausgesetzt sind – auf den Wein- nisse der migrantischen Arbeiter*in- Land, bauen sich ein Leben auf und farmen Südafrikas und generell in nen aufzudecken. Diese sind geprägt sorgen gleichzeitig durch regelmäßige globalen Lieferketten. von xenophoben Ressentiments, Geldüberweisungen in ihr Herkunfts- Diskriminierung und Ausbeutung ohne land für ihre Kinder und die Großfamilie. 3
ZUSAMMENFASSUNG Satte Gewinne auf der einen, Hunger halb sind sie besonders häufig Men- unwürdigen Arbeitsbedingungen, ins- löhne auf der anderen Seite: Die schen- und Arbeitsrechtsverletzungen besondere für Migrant*innen, an Ungleichheit entlang der Lieferketten wie Gewalt und Ausbeutung aus- gebaut werden. Entgegen gesetzlicher unserer Lebensmittel ist enorm. Das gesetzt. Dies betrifft insbesondere Vorgaben ist Akkordarbeit von mehr Jahreseinkommen einer Arbeiter*in Frauen*. als zwölf Stunden bitterer Alltag für vie- auf einer Ananasplantage in Costa le Arbeiter*innen. Viele erhalten deut- Rica verdient Lidl- und Kaufland- Für die vorliegende Studie verfolgte lich weniger als den gesetzlich vorge- Eigentümer Dieter Schwarz in sechs Oxfam gemeinsam mit dem niederländi- schriebenen Mindestlohn – auch auf Sekunden.1 Machten die deutschen schen Rechercheinstitut Profundo zertifizierten Plantagen. Da auf vielen Supermärkte während der Pandemie und Unterstützer*innen die Lieferket- Farmen Costa Ricas und Südafrikas Rekordgewinne, mussten Arbeiter*in- ten zurück – von den Regalen der Verträge mündlich geschlossen und nen auf Plantagen für Lebensmittel großen deutschen Supermarktketten Arbeitszeiten nicht dokumentiert in den Supermarktregalen für Löhne bis zu den Anbaugebieten in Costa werden, sind solche Arbeitsrechts- arbeiten, die kaum reichen, um eine Rica und Südafrika. verletzungen vor Gericht nur schwer Familie zu ernähren. nachzuweisen. Besonders prekär ist die Situation für Menschenunwürdige Bei einem Ananas-Zulieferbetrieb von Migrant*innen, die in der Landwirt Bedingungen im Ananas-, Rewe und Lidl in Costa Rica fanden schaft arbeiten. Viele Lebensmittel- Bananen-, Wein- sich Belege für die Unterdrückung von lieferketten würden ohne sie zusam- und Tafeltraubensektor Gewerkschaftsrechten: Mehrere Ge- menbrechen. Bei manchen Produkten richtsurteile zeigen die unrechtmäßige machen sie sogar die Mehrheit der Die vorliegende Studie beleuchtet Entlassung von Gewerkschaftsakti- Arbeiter*innen aus. Viele verlassen ihre die Situation von Arbeitsmigrant*innen ven. Arbeiter*innen berichteten, dass Heimat, um als Saisonarbeiter*innen anhand von vier Beispielen: dem selbst Familienangehörige von or- Geld zu verdienen. Dabei müssen sie oft Ananas- und Bananenanbau in Costa ganisierten Beschäftigten entlassen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse Rica sowie dem Wein- und Tafel- werden. in Kauf nehmen. Für viele Migrant*innen traubensektor Südafrikas. In beiden sind diese Arbeitsverhältnisse ange- Ländern führten Oxfams Partnerorga- Zudem stellen Unternehmen zuneh- sichts der schwierigen Lage in ihrem nisationen ARCA und Women on mend Feldarbeiter*innen über Herkunftsland dennoch die beste Farms Project im Frühjahr und Sommer Arbeitsvermittler ein. Diese prellen unter vielen schlechten Optionen. 2021 Interviews mit migrantischen Beschäftigte regelmäßig um ihre Arbeiter*innen. Aus Costa Rica kommen Sozialversicherungsbeiträge und zah- Für Plantagenbesitzer und Konzerne 75 Prozent der hierzulande verkauf- len Löhne weit unter dem Mindest- sind migrantische Arbeiter*innen vor ten frischen Ananas. Südafrika ist für lohn – im Falle einer Edeka- und Lidl- allem eines: billiger als einheimische Deutschland der wichtigste Wein Zulieferplantage gerade einmal 4,50€ Arbeitskräfte. Zudem ist es für Migran- exporteur außerhalb der EU. am Tag.2 t*innen, vor allem solche ohne offi- zielle Papiere, schwieriger, ihre Rechte Die Studie kommt zu dem Ergebnis, durchzusetzen, droht ihnen doch dass Ananas, Bananen, Wein und Tafel- nicht nur der Jobverlust, sondern auch die Ausweisung aus dem Land. Des- trauben, die in deutschen Super- märkten landen, unter menschen * srassismuskritische iehe Box gendersensible und Sprache auf S. 6 4
Wie in Costa Rica sind auch im süd afrikanischen Wein- und Tafeltrauben- anbau Arbeitsrechtsverletzungen und menschenunwürdige Bedingungen nachweisbar. Arbeiterinnen berich- ten, dass sie zu sexuellen Handlungen genötigt wurden, um eine Arbeits- stelle zu bekommen. Dort sind sie gifti- gen Pestiziden ausgesetzt und ha- ben während der Arbeit keinen Zugang © Oxfam / Andres Mora zu Toiletten und Trinkwasser. Die Löhne von Arbeiterinnen sind extrem niedrig. Knapp die Hälfte der für die- se Studie befragten Arbeitsmigrantin- Zoraida Trejos arbeitet auf einer Plantage in Pocora, in der Provinz Limón, Costa Rica. nen verdient weniger als den gesetz- lich vorgeschriebenen Mindestlohn von Supermärkte und Bundes- 194 Euro pro Monat. Zudem arbeiten die ihre Produkte in Deutschland ver- regierung in der Verant- viele im Akkord mit kaum erfüllbaren kaufen wollen, kommen an diesen wortung Zielvorgaben. Auch von Diskriminie- Vorgaben kaum vorbei. Denn die vier rung, Rassismus und Gewalt berichten großen Supermarktketten Rewe Die Supermarktketten sind in der Ver- Migrantinnen. Ihre Rechte einzufor- mit Penny, Aldi Süd und Nord, Edeka antwortung, etwas an diesen Zustän- dern, trauen sie sich aus Angst vor mit dem Netto-Markendiscount und den zu ändern. Dafür müssen sie an- Abschiebung meist nicht. die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und gemessene Preise zahlen, welche die Kaufland gehören, teilen sich rund Zahlung existenzsichernder Löhne er- Massiver Preisdruck 85 Prozent des deutschen Lebens- möglichen. Und auch die Bundesregie- deutscher Supermärkte mitteleinzelhandels. rung ist auf nationaler und EU-Ebene in der Pflicht: Das verabschiedete deut- Aufgrund ihrer Marktmacht haben deut- Arbeiter*innen am Anfang der Liefer- sche Lieferkettensorgfaltspflichten sche Supermärkte großen Einfluss kette werden zwischen den Interessen gesetz, nach dem sich Unternehmen auf die Arbeitsbedingungen bei ihren der exportierenden Unternehmen einer- in Deutschland ab 2023 um Men- Zulieferbetrieben und müssen des- seits und der Supermärkte andererseits schenrechte und Umweltbelange in halb Verantwortung für die Rechte von zerrieben. Während sie mit Hunger- ihrer Lieferkette kümmern müssen, Arbeiter*innen in ihren Lieferketten löhnen abgespeist werden, machen die muss nachgeschärft und ambitioniert übernehmen. Ihr Marktverhalten unter- Supermärkte auf ihre Kosten satte umgesetzt werden. Zudem muss sich miniert jedoch die Durchsetzung von Gewinne. Zum Beispiel kommen durch- die Bundesregierung für eine wirksa- Arbeitsrechten am Anfang der Liefer- schnittlich nur 1,2 Prozent vom Ver- me gesetzliche Regelung zur men- kette. Sie üben massiven Druck auf kaufspreis einer Flasche Wein aus Süd- schenrechtlichen Sorgfaltspflicht auf die Lieferanten und Produzenten aus: afrika bei den Farmarbeiter*innen EU-Ebene stark machen und Betrof- Nur wer im Einkauf billig ist, kommt an, mehr als 50 Prozent bleibt bei den fenen von Arbeitsrechtsverletzungen ins Supermarktregal. Unternehmen, Supermärkten. Zugang zu Rechtsschutz verschaffen. 5
VORGEHENSWEISE Für die vorliegende Studie führten Partnerorganisation über Lebens- und Gemeinsam mit dem niederländischen Oxfams Partnerorganisationen ARCA Arbeitsbedingungen auf den Planta- Rechercheinstitut Profundo verfolg- in Costa Rica und Women on Farms gen Costa Ricas zu sprechen. Darüber te Oxfam die Lieferkette mittels Test- Project in Südafrika Interviews mit ins- hinaus hat Oxfam gezielt Interviews käufen und Recherchen von Oxfam- gesamt 130 Arbeiter*innen im Früh- mit Arbeitsrechtsexpert*innen und Ge- Unterstützer*innen zurück – von den jahr und Sommer 2021. werkschafter*innen der Landarbei- Regalen der großen deutschen Super- ter*innengewerkschaft SITRAP3 geführt. marktketten bis zu den Plantagen In Costa Rica befragte ARCA 25 Arbei- und Anbaugebieten in Costa Rica und ter*innen – 24 von ihnen Frauen – zu In Südafrika sprachen die Mitarbei- Südafrika. Sowohl die Supermärkte Arbeits- und Lebensbedingungen auf ter*innen von Women on Farms Project also auch die produzierenden Firmen den Ananas- und Bananenplantagen. mit 105 Frauen, die auf Wein- und sowie Siegelorganisationen wurden 24 der 25 befragten Arbeiter*innen Tafeltraubenfarmen arbeiten. 44 der vorab über die Ergebnisse der Studie stammen aus Nicaragua. Sie alle leben befragten Arbeiterinnen kamen aus informiert und hatten Gelegenheit, schon seit mehr als zehn Jahren Simbabwe, 34 aus Lesotho und 27 aus Stellung zu beziehen. Diese Rückmel- in Costa Rica und haben permanente Malawi. Die Mehrheit der befragten dungen finden sich auf Seite 30. Aufenthaltsgenehmigungen, die so Arbeiterinnen lebt bereits seit mehr als genannte „Cédula de residencia“. Ihr vier Jahren in Südafrika, gut 40 Pro- rechtlich sicherer Aufenthaltsstatus zent kamen zwischen 2017 und 2020 erleichterte es ihnen, mit Oxfams ins Land. Rassismuskritische und ebenfalls um ein gesellschaftspolitisches bzw. der einzelnen Mitglieder der Perso- genders ensible Sprache Konstrukt handelt: ein rassistisches nengruppe benannt. Ist beispielsweise in dieser Studie sowie Machtverhältnis, das weißen Menschen von Arbeitsvermittlern in der männlichen V erwendung von Namen eine dominante, privilegierte Position Form die Rede, dann deshalb, weil es innerhalb diskriminierender Gesellschafts- sich bei diesen in allen Fällen, die unseren Die Autor*innen dieser Publikation ha- strukturen zuschreibt. Partnerorganisationen bekannt sind, ben sich bewusst um eine sensible, um Männer handelt. Geht aus dem Kontext Innerhalb sexistischer und patriarchaler geschlechtergerechte, rassismus- und eindeutig hervor, dass es sich nicht um Strukturen sind nicht nur Frauen, son- diskriminierungsarme Sprache bemüht. natürliche, sondern um juristische Perso- dern auch trans-, inter-, nicht-binäre und nen handelt, verzichten wir auf das Gen- In Ablehnung kolonialrassistischer Be- agender-Personen von Diskriminierung dern. So bezeichnet der Begriff Zulieferer zeichnungen nutzen wir „Schwarz“ nicht und Ausbeutung betroffen. Für die Unter- im vorliegenden Kontext ein Zuliefer- als Adjektiv, sondern schreiben diese suchungen in dieser Studie lag ein Groß- Unternehmen. politisch gewählte Selbstbezeichnung teil der Daten jedoch lediglich für die Zu- groß, um zu verdeutlichen, dass es sich schreibungen „Frauen“ und „Männer“ Mit * markierte Namen wurden geändert. hier nicht um eine biologische Eigen- vor. Mit dem Gender-Sternchen beziehen Zum Schutz der zitierten Menschen, schaft, sondern um eine gesellschaftliche, wir uns explizit auch auf inter, trans und die aufgrund ihrer Aussagen mit negativen rassistische Konstruktion handelt. Die nicht-binäre Menschen. Wird das Gender- Konsequenzen wie Arbeitsplatzverlust Bezeichnung weiß setzen wir kursiv, um Sternchen nicht genutzt, dann wird da- und Ausweisung rechnen müssen, sehen zu verdeutlichen, dass es sich hier mit eindeutig das Geschlecht der Person wir von der Namensnennung ab. 6
INHALTSVERZEICHNIS 9 EINLEITUNG 10 ARBEITSMIGRATION 13 MARKTKONZENTRATION UND MARKTMACHT IM LEBENSMITTELEINZELHANDEL 17 FALLBEISPIEL: ANANAS- UND 23 FALLBEISPIEL: WEIN- UND BANANENANBAU IN COSTA RICA TRAUBENANBAU IN SÜDAFRIKA 17 ARBEITSMIGRATION IN COSTA RICA 25 PREKÄRE ARBEITSVERHÄLTNISSE UND LEBENSBEDINGUNGEN 18 UM DEN MINDESTLOHN BETROGEN 26 AKKORDARBEIT, PESTIZIDE 19 ARBEIT, DIE KRANK MACHT UND SANITÄRE BEDINGUNGEN 20 DISKRIMINIERUNG VON FRAUEN 26 RECHTLICHER STATUS: 20 GEWERKSCHAFTEN UNERWÜNSCHT DIE ANGST VOR ABSCHIEBUNG 20 COVID-19 27 MIGRATIONSERFAHRUNGEN UND -GRÜNDE 27 RASSISMUS, DISKRIMINIERUNG UND (SEXUALISIERTE) GEWALT 29 GEWERKSCHAFTEN UND ARBEITER*INNENORGANISATIONEN 29 COVID-19 30 WIE REAGIEREN DIE UNTER- NEHMEN AUF DIESE BERICHTE? 32 PROFIT UND PREISDRUCK: DAS (MANGELNDE) ENGAGEMENT DEUTSCHER SUPERMÄRKTE FÜR MENSCHENRECHTE 35 FAZIT 7
EINLEITUNG „Lidl lohnt sich“ wirbt einer der vier großen Einzelhändler Die vorliegende Studie beleuchtet die Arbeitsbedingungen in Deutschland. „Wir lieben Lebensmittel“ heißt es bei Edeka. für Migrant*innen im Ananas- und Bananenanbau in Costa Eine Flasche Weißwein aus Südafrika, ein Kilo Bananen und Rica sowie im Wein- und Tafeltraubenanbau in Südafrika – eine frische Ananas aus Costa Rica – für nicht einmal sechs Lebensmittelsektoren, die bereits in der Vergangenheit wegen Euro landen sie alle im Einkaufskorb der Kund*innen.4 ausbeuterischer Verhältnisse in der Kritik standen. Die Arbeitsrechtsverletzungen sind keine Einzelfälle, sondern Schöner Schein, große Worte, niedrige Preise: Bei den ande- stehen beispielhaft für ein Wirtschaftssystem, in dem ren deutschen Supermärkten und Discountern sieht es Profitorientierung und Gewinnmaximierung oberste Priori- nicht anders aus. Die Supermärkte lieben ihre Lebensmittel – tät haben. für die Menschen, die diese Produkte anbauen, gilt das offenbar nicht. Für den, so die Werbung, „erfrischenden Weiß- Der Bericht knüpft dabei an zwei Oxfam-Publikationen aus wein für alle Gelegenheiten“5 und die „extra süßen“ Früch- den Jahren 2016 und 2017 an. Schon diese zeigten die te schuften Arbeiter*innen zu Hungerlöhnen am Anfang der drastischen Missstände, Menschen- und Arbeitsrechtsver- Lieferkette. Für sie lohnen sich Lidl und Co nicht. letzungen auf den Ananas-, Bananen-, Wein- und Trauben- farmen auf. Betroffene Supermarktketten reagierten mit Zu- Besonders migrantische Arbeiter*innen, die in zahlreichen sagen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Lebensmittellieferketten den Großteil der Arbeiter*innen ausmachen, sind von Ausbeutung betroffen. Auf die Arbeit Jedoch: Trotz der vollmundigen Versprechen hat sich an den auf den Farmen angewiesen, nehmen viele Migrant*innen Arbeitsbedingungen auf Obst- und Weinplantagen in den Jobs zu Hungerlöhnen an, erleben Diskriminierung, Rassis- vergangenen fünf Jahren kaum etwas geändert. Noch immer mus und Gewalt. Trotz der Hürden und Risiken sowie der produzieren Arbeiter*innen unter menschenunwürdigen Angst vor Abschiebung wehren sie sich aber auch gegen ih- Bedingungen Wein und Obst für deutsche Supermärkte – ins- re Entrechtung und organisieren sich in Gewerkschaften besondere migrantische Arbeiterinnen sind schwerwiegen- und sozialen Bewegungen – wie Oxfams Partnerorganisation den Rechtsverletzungen ausgesetzt. Women on Farms Project. 75 Prozent aller in Deutschland verkauften frischen Ananas kommen aus Costa Rica. 9
ARBEITSMIGRATION Arbeitsmigrant*innen – sie halten unser weltweites Wirt- Auch außerhalb Europas bilden Arbeitsmigrant*innen das schaftssystem aufrecht und werden dabei von den menschen- Rückgrat vieler Lebensmittellieferketten. Im thailändischen unwürdigen Bedingungen dieses Systems besonders hart Fisch- und Meeresfrüchtesektor etwa sind es Schätzun- getroffen. Viele von ihnen arbeiten informell, jenseits des gen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge offiziellen Arbeitsmarktes. Wie viele Menschen weltweit 83 Prozent – die meisten der Arbeiter*innen stammen aus ihre Heimat vorübergehend oder langfristig verlassen, um Myanmar und Kambodscha.10 anderswo ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ist nicht genau erfasst. Um diesem Phänomen stärker auf den Grund zu gehen, betrachtet diese Studie exemplarisch die Situation von Arbeitsmigration in den Arbeitsmigrant*innen in Costa Rica und Südafrika. Lebensmittellieferketten Arbeitsmigration in Costa Rica Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht weltweit von und Südafrika 169 Millionen Arbeitsmigrant*innen aus – in dieser Zahl sind jedoch nur die offiziell dokumentierten Arbeiter*innen Costa Rica ist wegen seiner politischen Stabilität schon seit einbezogen.6 Ein Großteil der Lieferketten, durch die Super- Jahrzehnten ein attraktives Einwanderungsland für Men- märkte in Deutschland versorgt werden, könnte ohne ihre schen aus den benachbarten lateinamerikanischen Ländern. Arbeitskraft nicht aufrecht erhalten werden: In Deutschland Insgesamt sind acht Prozent der fünf Millionen Einwoh- sind jährlich mehr als 300.000 Migrant*innen in der Land- ner*innen Costa Ricas keine Staatsbürger*innen des Lan- wirtschaft tätig – in der Fleischindustrie sind es je nach Tätig- des.11 Gut 70 Prozent von ihnen stammen aus Nicaragua. keit bis zu 80 Prozent, schätzen Gewerkschaften.7 In Italien Sie bilden auch die größte Gruppe der migrantischen Arbei- gibt es nach offiziellen Angaben mehr als 370.000 Arbeits- ter*innen.12 migrant*innen in der Landwirtschaft. Schätzungen, die auch nicht dokumentierte Arbeiter*innen einbeziehen, gehen In Südafrika leben Schätzungen zufolge etwa drei Millionen jedoch von bis zu 500.000 Arbeitsmigrant*innen aus, das sind Arbeitsmigrant*innen.13 Hochqualifizierte Arbeitskräfte ungefähr 50 Prozent der gesamten Beschäftigten in der erhalten eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, gering qua- italienischen Landwirtschaft.8 Ein wichtiges Phänomen ist lifizierte Arbeitnehmer*innen kommen hingegen oft ohne dabei Saisonarbeit: Immer mehr Arbeiter*innen müssen die für einen legalen Aufenthalt benötigten Papiere ins Land. regelmäßig migrieren, um beispielsweise zu Beginn des Jah- res bei der Ernte im Süden Europas zu arbeiten und im Sommer und Herbst weiter in den Norden zu ziehen, wenn dort die Erntezeit beginnt.9 10
Ausbeutung und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen Viele Migrant*innen bezahlen einen hohen Preis, um ihre lichen Krisen in der Heimatregion der Migrant*innen auch Lebenssituation und die ihrer Familien zu verbessern. Ohne Umweltkatastrophen als häufige Gründe für die Migration soziale und familiäre Netzwerke vor Ort und teilweise auch genannt.16 ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind gerade gering qualifizierte Migrant*innen gezwungen, prekäre, und oft Situation von Migrantinnen informelle Arbeitsverhältnisse einzugehen. Die menschen- unwürdigen Arbeitsbedingungen reichen von niedrigen Jüngsten Zahlen zufolge sind 42 Prozent der weltweiten oder nicht regelmäßig gezahlten Löhnen, nur kurzzeitiger An- Arbeitsmigrant*innen Frauen, in der Landwirtschaft sind es stellung, überlangen Arbeitszeiten, Gesundheitsgefähr- rund 35 Prozent.17 Häufiger als Männer müssen Frauen da- dung am Arbeitsplatz bis hin zu mangelnder Schutzkleidung, bei Tätigkeiten übernehmen, für die es nur wenige formelle Diskriminierung und fehlenden Möglichkeiten zur gewerk- Qualifikationen braucht – oft mit schlechten Arbeits- schaftlichen Beteiligung.14 bedingungen und geringer Bezahlung. Auch die Einkommens- unterschiede zwischen Männern und Frauen, der so Und: Arbeitsmigrant*innen sind im Vergleich zu anderen Ar- genannte „Gender Pay Gap“, ist in vielen Ländern bei Arbeits- beitnehmer*innen einem deutlich höheren Risiko ausge- migrantinnen noch größer als bei Frauen, die die Staats- setzt, Opfer von Zwangsarbeit zu werden. Für das Jahr 2016 angehörigkeit des Landes besitzen. Erhebungen der Inter- schätzte die ILO, dass von den 24,9 Millionen Opfern von nationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge liegt der Zwangsarbeit ein Viertel aus einem anderen Land kamen.15 monatliche Durchschnittslohn von Arbeitsmigrantinnen in 37 von 60 untersuchten Ländern mehr als 20 Prozent un- Ursachen ter dem von männlichen Migranten.18 Die Ursachen und Gründe für Arbeitsmigration sind vielfältig. Arbeitsmigration ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits Oft ist es eine Vielzahl miteinander verwobener Faktoren, die verlassen Migrant*innen ihre wirtschaftlich benachteilig- dazu führen, dass sich Menschen entscheiden, ihren Wohn- ten Heimatregionen in der Hoffnung, der strukturell bedingten ort auf der Suche nach Arbeit zu verlassen. Ein Hauptgrund Armut zu entkommen. Weltweite, nach wie vor durch den sind die mangelnden Möglichkeiten in vielen wirtschaft- Kolonialismus geprägte Ungleichheit ist somit eine der Ursa- lich benachteiligten Regionen der Welt, den eigenen Lebens- chen für Arbeitsmigration. Andererseits kann Arbeitsmigra unterhalt zu bestreiten. Die Klimakrise – verursacht vor tion Ungleichheit verringern – indem Menschen anderswo Ar- allem durch Unternehmen und wirtschaftlich privilegierte beit finden und einen Teil ihres Verdienstes an Verwandte Menschen im Globalen Norden – wird dies weiter verstärken. in den Heimatländern schicken, was auch dort die Lebens- So werden neben politischer Instabilität und wirtschaft- situation verbessert.19 11
Nicaragua Mon t Del 3 e 5 Fin ce ca O n qui t 7 hi Gru ón po Ac a C 8 1 4 Do le y ffes 2 1 F 6 p a 5 gr a l l U 3 4 A íc o a 7 8 6 5 De te l Mon 2 San José t Cí e o ta s ll r i c s B a Vi Costa Rica Vom Feld ins Ladenregal: Lieferverbindungen zu Panama deutschen Supermärkten Auf der Karte sind die für diese Studie recherchierten Liefer- verbindungen deutscher Supermärkte zu Ananas- und Bananenproduzenten in Costa Rica dargestellt. Alle Plantagen sind entweder von den Siegelorganisationen Rainforest Alliance oder GlobalGAP zertifiziert. Dabei sind die in der Karte zu den südafrikanischen Exportunternehmen belegt werden dargestellten Lieferbeziehungen nicht notwendigerweise (siehe Grafik auf S. 24). Viele von ihnen haben ihren Firmen- direkte Geschäftsbeziehungen. Oft erfolgt die Lieferung über sitz in der Region, in der auch die Befragungen stattfanden. Zwischenhändler. Zum Teil gehören zu einer Unternehmens- gruppe zahlreiche Plantagen. Im Fall der Grupo Acón etwa wird Die in dieser Studie beispielhaft aufgezeigten Missstände Rewe von der Ananas-Finca „Piña Frut“ beliefert, Lidl von sind strukturelle Probleme des Wein- und Tafeltrauben- „Piñales del Caribe“. sektors in Südafrika. Zahlreiche Studien haben bereits die Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen im Weinanbau Schwieriger nachzuverfolgen sind die exakten Lieferketten in der Provinz Westkap offengelegt.20 Diese Studien zeigen: im Falle des südafrikanischen Weins. Es mangelt an Trans- Die Rechtsverletzungen treten nicht nur punktuell auf eini- parenz: Auch auf direkte Nachfrage von Oxfam gab keine der gen Farmen auf, sondern sind ein strukturelles Problem und vier großen deutschen Supermarktketten an, von welchen dürften daher auch auf Produzenten zutreffen, die für den konkreten Farmen die zu Wein in ihrem Sortiment verarbeite- deutschen Markt anbauen. ten Trauben und die angebotenen Tafeltrauben stammen. Der Export von Wein in großen Tanks, der oft von mehreren Konkrete Lieferverbindungen konnten in einer Studie der Farmen stammt, erschwert die Rückverfolgung zusätzlich Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Jahr 2020 für einen bei (siehe Box zu Tankwein auf S. 24). Edeka angebotenen Wein nachgewiesen werden. Entlas- sung von Gewerkschafter*innen, miserable Wohnunterkünfte, Oxfams Recherchen zeigen jedoch: Alle großen deutschen schlechter Gesundheitsschutz – die Rechtsverletzungen Supermarktketten beziehen Wein aus der Region West- beim Produzenten Leeuwenkuil, einer der größten privaten kap, in denen die Interviews der vorliegenden Studie geführt Weinfarmen in Südafrika, decken sich mit den Ergebnissen wurden. Zudem konnten die Lieferketten zumindest bis dieser Studie.21 12
M ARKTKONZENTRATION UND MARKTMACHT IM L EBENSMITTELEINZELHANDEL DEUTSCHE IMPORTPREISE FÜR WEIN UND ANANAS (in €/kg) Waren es einst vor allem Fruchtkonzerne wie Dole, C hiquita, Quelle: Comtrade-Datenbank, inflationsbereinigt Fyffes und Del Monte, die die Preise und Konditionen im 3,00 Obstanbau bestimmten, so sind es heute die großen Super- marktketten, die aufgrund ihrer Marktmacht gezielt Preis- 2,50 Wein druck ausüben, um im Wettbewerb um die billigsten F rüchte die Nase vorn zu haben.22 2,00 Die vier großen Supermarktketten Rewe mit Penny, Aldi Süd und Nord, Edeka mit dem Netto-Markendiscount und die 1,50 Ananas Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, teilen sich mehr als 85 Prozent des deutschen Lebensmittel 1,00 einzelhandels.23 Mit der Insolvenz von Real hat sich die Markt- konzentration noch weiter verschärft, da Kaufland und 0,50 Edeka viele der Filialen übernehmen.24 2002 2005 2008 2011 2014 2017 2020 Sie werden damit zu „Türstehern“ für den deutschen Dem Preisdruck der deutschen Supermärkte können vor allem Markt, das heißt: Wer in Deutschland Produkte verkaufen große Firmen standhalten, weshalb in den Anbauländern will, kommt an den Supermarkt-Riesen nicht vorbei. ebenfalls einige wenige Produzenten den Markt dominieren. Diese Marktmacht nutzen die Konzerne. Sie üben auf Produk- So werden der Bananen- und der Ananassektor in Costa tions- und Lieferbetriebe einen immensen Preisdruck aus. Rica von wenigen großen Unternehmen beherrscht: 91 Pro- Nur wer kontinuierlich große Warenmengen in gleichbleiben- zent der Bananenexporte teilen sich die vier Unternehmen der Qualität und zu niedrigen Preisen liefern kann, bleibt Del Monte, Chiquita, Fyffes und Dole auf.27 Im Ananas-Sektor im Geschäft. sind Del Monte, Dole, Grupo Acón und Fyffes für etwa 70 Pro- zent der Exporte verantwortlich.28 Unlautere Handelspraktiken sind dabei eher die Regel als die Ausnahme. Beispiel Weinankauf: Weinhandel und Nicht anders sieht es beim Weinanbau in Südafrika aus: Kellereien zahlen eine Gebühr, damit sie überhaupt in die Wenige große Firmen beherrschen den Markt, wobei der mas- Liste der Zulieferbetriebe aufgenommen werden – diese sive Preisdruck, unter dem die Weinfarmen stehen, die Gebühr beträgt bis zu 28 Prozent ihres Verkaufspreises. Für Konzentration der Farmen in immer weniger Händen weiter „Regalmieten“, das heißt für einen gut sichtbaren Platz verschärft.29 im Supermarktregal, kassieren die Supermärkte zusätzlich. Ebenso für die Bewerbung der Produkte.25 Schon während der Apartheid waren die Unternehmen, aus denen 2001 die Distell Group entstand, die größten Wein- Die Importpreise von Wein aus Südafrika haben sich in den konzerne Südafrikas30, heute setzt der Konzern 40 Prozent vergangenen 20 Jahren dabei mehr als halbiert, auch des gesamten Weins in Südafrika um. Mehr als 95 Prozent die Preise für Ananas aus Costa Rica sind um fast 50 Pro- des Weins kauft Distell dabei anderen Produzent*innen ab.31 zent gefallen26 – wie die Grafik deutlich zeigt. 13
WER VERDIENT AN WEIN UND ANANAS? Anteile am Verkaufspreis von Tankwein aus Südafrika und Ananas aus Costa Rica in deutschen Supermärkten 15,9% MEHRWERT- STEUER 42,6% EINZELHANDEL 51,7% EINZELHANDEL 3,7% 10,2% 14,3% ZOLL ABFÜLLUNG IMPORT 19,2% 4,9% EXPORT PRODUKTION 1,7% FARM- 24,8% BESITZER*INNEN PRODUKTION 1,2% 9,7% LÖHNE LÖHNE Quelle: Berechnungen für Wein nach Daten von VinPro, UN Comtrade, UNCTAD, Quelle: Berechnungen für Ananas von BASIC nach Daten von Eurostat, CIRAD, OECD, DeStatis (2019) Comtrade, Sopisco (2016). Angaben zu Ananas exkl. Mehrwertsteuer. Auch Konzerne wie die Distell Group stehen unter dem Preis- Das staatliche Import-Unternehmen Systembolaget aus druck der Supermärkte, an die sie den Wein verkaufen. Schweden bezahlt beispielsweise 50 Prozent mehr als die Weniger als ein Drittel der Weinfarmen machte 2019 Gewinne.32 deutschen Importeure.35 Die Anbaufläche ist seit 2010 konstant rückläufig33. Somit sind es die Supermärkte, die am meisten an den Pro- Am Ende stehen auch hier: Arbeiter*innen, die für Hunger- dukten verdienen, die sie verkaufen. Beispiel Ananas: löhne und unter menschenunwürdigen Bedingungen die Trau- Über 42 Prozent des Verkaufspreises landet bei den Einzel- ben für den Wein aus Südafrika ernten. Während für sie – handelskonzernen, während nicht einmal 10 Prozent bei ebenso wie für Menschen andernorts – gerade im Corona-Jahr den Arbeiter*innen auf der Plantage ankommt. Vom Verkaufs- 2020 Einkünfte wegbrachen, machten die deutschen Super- preis der Bananen erhalten die Arbeiter*innen auf den märkte Rekordumsätze. Die Vermögen der Eigentümer*innen, Plantagen Costa Ricas sogar nur 6,7 Prozent. die zu den reichsten Familien Deutschlands gehören, wuchsen entsprechend.34 Nicht besser sieht es beim Wein in Südafrika aus: Vom Ver- kaufspreis im deutschen Supermarkt bleiben nur etwa Besonders Unternehmen aus Deutschland üben einen 22,1 Prozent in Südafrika, 51,7 Prozent gehen an die Super- massiven Preisdruck aus: Sie zahlen im internationalen Ver- märkte. Bei den Arbeiter*innen auf den Farmen kommen gleich extrem niedrige Preise für Wein aus Südafrika, die im Durchschnitt nur etwa 1,2 Prozent an. deutlich unter dem durchschnittlichen Exportpreis liegen. 14
Historische Wurzeln: Vom Kolonialismus zu den Freihandelsabkommen Die Ausbeutung in globalen Lieferketten reicht zurück bis zur Strukturen, die bis heute nachwirken: Häufig dominieren Kolonialzeit. Der Weinanbau in Südafrika beispielsweise wenige globale Fruchtkonzerne den Markt und bestimmen wurde im 17. Jahrhundert von Siedler*innen aus den Nieder- zusammen mit den Supermärkten die Preise und Arbeits- landen und Frankreich ins Land gebracht. Sklav*innen bedingungen. Die Rechte der Arbeiter*innen bleiben unter arbeiteten auf den Feldern der Kolonialherren. Auch später diesen Bedingungen auf der Strecke. arbeiteten auf den Weinplantagen vor allem Schwarze Menschen für Niedriglöhne. 1913 und 1936 sprachen Gesetze Neo-Kolonialismus 90 Prozent des Landes der weißen Bevölkerungsminder- heit zu. Viele Menschen mussten – ohne eigenes Land der Zementiert werden diese neo-kolonialen Strukturen zudem Möglichkeit zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft beraubt – durch die Freihandelspolitik der wirtschaftlich starken Lohnarbeit annehmen.36 Länder. Besonders in der Kritik standen etwa die Freihandels- abkommen der EU mit afrikanischen und karibischen Staa- Während der Apartheid ging die Ausbeutung der Arbeiter*in- ten (sogenannte “Economic Partnership Agreements” – EPAs), nen weiter. Dazu gehörten unmenschliche Lebensbedin- die auf eine Öffnung der Märkte der ehemaligen Kolonien gungen, Kinderarbeit und das sogenannte „Tot-System“, die zielen. Die Folge: Große, zum Teil transnationale Konzerne ver- Bezahlung der Arbeiter*innen mit Wein, was zu verbreite- drängen kleinbäuerliche Strukturen und richten die Land- tem Alkoholismus führte.37 wirtschaft auf Massenproduktion in Monokulturen und Export aus. Den Volkswirtschaften des Globalen Südens wird es Auch heute noch sind die kommerziellen Farmen und durch die Konkurrenz aus den Industrieländern erschwert, verarbeitenden Betriebe hauptsächlich in Besitz von weißen einheimische Wertschöpfungsketten aufzubauen. Ihre Menschen, 2018 gehörten lediglich 3% der Weinfarmen Abhängigkeit von Weltmarktpreisen und großen Abnehmern Schwarzen Farmer*innen.38 aus dem Norden steigt. So verbleiben die betroffenen Staaten oft in der Rolle von Agrar- und Rohstofflieferanten; Die Arbeiter*innen leben oft schon seit vielen Jahren in sehr die Produktion höherwertiger Produkte ist von ausländi- einfachen Behausungen direkt auf dem Farmgelände. Zwar schen Firmen dominiert.41 42 soll der seit 1997 geltende „Extension of Security of Tenure Act“ (ESTA) das Wohnrecht von Arbeiter*innen, die ohne In Südafrika zeigt sich dies am Phänomen des Tankweins, Eigentum auf Farmen leben verbessern, doch steht dieser als der die Abfüllung in Flaschen und damit einen Teil der Wert- unwirksam stark in der Kritik: Nach wie vor haben die Arbei- schöpfung in die Abnehmerländer des Nordens verlagert. ter*innen keine Eigentumsrechte an ihren Unterkünften und In Costa Rica dominieren nur vier Firmen 91 Prozent des Bana- können nach Vertragsende per offiziellem Gerichtsver- nenhandels.43 Das Land liefert zu 64 Prozent Agrargüter fahren zum Verlassen der Unterkunft gezwungen werden.39 nach Deutschland, während Deutschland fast ausschließlich, Erst 2019 berichtete unter anderem Oxfams Partnerorga- nämlich 96 Prozent, Industrieprodukte nach Costa Rica nisation Women on Farms Project von Vertreibungen in gro- exportiert.44 Der ungleiche Handel festigt und verschärft so ßem Stil. So gab es allein in der Gemeinde Drakenstein die ungerechten Strukturen, die bereits seit dem Koloni 1.200 Zwangsräumungsverfahren. Betroffen waren 20.000 alismus bestehen. Menschen.40 Dass von diesem Entwicklungsmodell weite Teile der Bevöl- In Costa Rica etablierten US-amerikanische Konzerne den kerung nicht profitieren, zeigen die hohen Ungleichheits Anbau von Bananen und Ananas zu Exportzwecken. Schon die indikatoren der beiden Länder: Südafrika ist das Land mit der ersten Arbeiter*innen auf den Bananenplantagen waren größten Ungleichverteilung bei Einkommen weltweit, Costa Migrant*innen, die zunächst für den Bau einer Eisenbahn- Rica liegt in Lateinamerika auf Platz fünf.45 strecke zum neu gebauten Exporthafen Puerto Limón angeworben wurden und dann auf den Farmen arbeiteten. 15
Hinter den Fassaden und dem Rewe-eigenen Label „Pro Auch Upala Agrícola, deren Ananas der Plantagen – Planet“ zertifiziert. in deutschen Edeka- und Lidl- zwei Beispiele Märkten verkauft werden, gehört zu Mit der Realität auf den Plantagen den großen Ananas-Produktions- Wer im deutschen Discounter Penny, der Unternehmensgruppe Grupo firmen des Landes. Eigentümer des der zur Rewe-Group gehört, Ananas Acón, zu der die Finca gehört, hat laut eigener Website „in Harmo- aus Costa Rica kauft, kann mittels das wenig zu tun. Die Unterneh- nie mit der Natur und unternehmeri- eines QR-Codes mehr über ihre Her- mensgruppe ist berüchtigt für die scher Verantwortung“ wirtschaf- kunft erfahren: So stammen die Sanktionierung gewerkschaftli- tenden Unternehmens ist der ehe- Früchte beispielsweise von der 3.500 cher Organisierung. Zahlreiche Ge- malige Landwirtschaftsminister Hektar großen Finca „Piña Frut“, richtsentscheidungen47 belegen, und Aufsichtsratsvorsitzender der die – so die Informationen hinter dem wie Arbeiter*innen, die sich einer Nationalbank, Alfredo Volio Pérez. QR-Code – „das Wohlbefinden der Gewerkschaft anschließen, so- Während Upala Agrícola in Costa Rica Arbeitnehmer, der Gemeinden und fort gekündigt werden und erst nach offiziell rote Zahlen schrieb und die der Umwelt in den Vordergrund langen Gerichtsverfahren wieder Arbeiter*innen Hungerlöhne erhielten stellt“ .46 Die Farm werde „in verant- angestellt werden müssen. Über (s. u.), flossen die Gewinne laut wortungsvoller Weise geführt, um Arbeitsvermittler (sogenannte Con- Pandora Papers aus dem boomenden zu einer nachhaltigen Entwicklung tratistas) angestellte Arbeiter*in- Ananas-Business in Volio Pérez’ der Gemeinschaft beizutragen nen berichteten zudem über Betrug Offshore-Firma Upala Investments und um die Lebensqualität der Mit- bei den Sozialversicherungsab- in Panama.49 arbeiter zu verbessern“. Der Be- gaben (mehr zu den Contratistas © Oxfam / Andres Mora trieb ist von der „Rainforest A lliance“ auf S. 21).48 16
FALLBEISPIEL: ANANAS- UND BANANENANBAU IN COSTA RICA ARBEITSMIGRATION IN COSTA RICA „Meine älteste Tochter arbeitete auf der Etwa drei Viertel der migrantischen Arbeiter*innen in Costa gleichen Farm wie ich und sie haben sie Rica stammt aus Nicaragua.53 Dabei sind fehlende wirt- schaftliche Perspektiven im Heimatland und die Aussicht auf rausgeworfen, weil ich Gewerkschafts- bessere Arbeit die wichtigsten Gründe für die Migration mitglied bin. Meine andere Tochter wollte nach Costa Rica, aber auch Naturkatastrophen wie Hurricanes dort auch arbeiten, aber sie haben ihr werden als Anlass genannt. Weibliche Befragte führen die Stelle nicht gegeben, weil ich in der immer wieder an, dass sie ihr Geburtsland verlassen haben, um physischer und sexueller Gewalt zu entkommen.54 Gewerkschaft bin.“ Gladys*, Arbeiterin auf einer Plantage der Grupo Acón, Offiziell können Arbeiter*innen mit einem Visum oder einer die Rewe und Lidl beliefert Arbeitserlaubnis, die für die Arbeit auf einer bestimmten Farm ausgestellt wird, nach Costa Rica kommen. Weil die offi- Auf 14,6 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ziellen Papiere teuer sind, überqueren viele Menschen die Costa Ricas werden Bananen, auf 10,6 Prozent Ananas gut 300 Kilometer lange Grenze zwischen Costa Rica und angebaut. Die Früchte gehören damit zu den wichtigsten Nicaragua abseits der drei offiziellen Grenzübergänge ohne Agrarprodukten des Landes. gültige Papiere. Costa Rica ist heute der größte Ananasexporteur weltweit, Arbeitsmigrant*innen ohne Papiere sind besonders leicht aus- 55 Prozent der exportierten Ananas kommen aus dem Land. zubeuten: Sie müssen nicht nur ständig um ihre Stelle Auch für den deutschen Markt ist Costa Rica der wich- fürchten, sondern auch um ihren Aufenthalt. Wenn sie sich tigste Ananaslieferant: Rund 75 Prozent der nach Deutsch- etwa gewerkschaftlich organisieren, um ihre Rechte ein- land importierten frischen Ananas kommen aus Costa Rica, zufordern oder sich gegen Diskriminierungen zu wehren, müs- was einem Umsatz von 77 Millionen Euro entspricht.50 Dabei sen sie fürchten, vom eigenen Arbeitgeber bei der Polizei hat die Ananas – früher noch eine in Deutschland relativ angezeigt und möglicherweise abgeschoben zu werden. Aber selten konsumierte Frucht – einen regelrechten Boom erlebt: auch das Visum bringt Migrant*innen in Abhängigkeit ihrer Zwischen 2002 und 2020 haben sich die Ananas-Importe Arbeitergeber, denn es ist mit diesem nicht erlaubt, den Ar- aus Costa Rica vervierfacht.51 beitgeber zu wechseln.55 Nach Informationen von SITRAP kommt es auf der Bananenplantage Jardín del Tigre, die über Mit Bananen aus Costa Rica wird in Deutschland jährlich ein Fyffes an Aldi Süd liefert, vor, dass Migrant*innen Dokumen- Umsatz von etwa 153 Millionen Euro gemacht. 17 Prozent te mit falschen Namen ausgestellt werden. Nach drei Monaten, der nach Deutschland importierten Bananen kommen aus wenn sie bei der Sozialversicherung angemeldet werden Costa Rica.52 müssten, erhalten sie einen anderen Namen (Reaktion des Unternehmens siehe S. 31).56 Gleichzeitig ist der Preisdruck auf die Produktionsfirmen enorm: Der Ananaspreis hat sich in den vergangenen Oft sind es Migrant*innen, die in den Niedriglohnsektoren weit 20 Jahren halbiert (vgl. Kapitel „Marktkonzentration und unter der Existenzsicherung arbeiten: Migrant*innen ver- Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel“ auf S. 13). dienen offiziellen Statistiken zufolge gerade einmal 60 Pro- zent der costa-ricanischen Beschäftigten – bei Frauen ist dieser Unterschied noch größer.57 Bei der Arbeit versuchen die Arbeiter*innen sich gegen Pestizide und Insekten zu schützen. 17
UM DEN MINDESTLOHN BETROGEN „Wir haben jetzt 17 Tage auf einer Farm MINDESTLÖHNE UND EXISTENZSICHERNDE gearbeitet – und nicht einen Peso habe LÖHNE IN COSTA RICA Quellen: Befragung von ARCA und Global Living ich nach Hause gebracht. In einer Woche Wage Coalition (2021) 672,50 € haben wir gerade mal 12.000 Colones 61 600 [ca. 18 Euro] verdient. Schon seit mehr als 400 € einem Monat konnte ich gar kein Geld 400 an meine Familie schicken.“ 245 € Juan*, der über Arbeitsvermittler (Contratistas) 200 für verschiedene Fincas gearbeitet hat 112,50 € 0 In Costa Rica gibt es einen staatlich festgelegten Mindest lohn. In der Praxis wird dieser jedoch häufig nicht bezahlt Contratista- fest Mindest- existenz- Beschäftigte*r angestellte*r lohnlevel sicherndes und von staatlicher Seite kaum durchgesetzt. Zum einen ver- Arbeiter*in Level fügt die zuständige Kontrollbehörde, die „Arbeitsinspektion“, nicht über die rechtlichen Mittel, um Bußgelder oder andere Nachgewiesen werden kann die Unterschreitung des Min- Strafen gegen Firmen zu verhängen. Zum anderen ist die destlohns ohnehin kaum, denn Verträge mit Arbeiter*innen Arbeitsinspektion mit 115 Kontrolleur*innen für die sektor- werden meist mündlich geschlossen und die Arbeitszeit übergreifend mehr als zwei Millionen Beschäftigte stark so dokumentiert, dass den Arbeiter*innen weniger Arbeitszeit unterbesetzt, Kontrollen finden besonders in den ländlichen angerechnet wird, als sie tatsächlich geleistet haben. Regionen selten statt.62 Mindestlöhne weit unter Beispiel Südafrika: 2020 lag der – Hinzu kommt: Oft müssen vom Lohn dem Existenzminimum sich jährlich leicht erhöhende – einer*s Arbeiter*in auch Kinder Mindestlohn bei 3.362 Rand monat- und andere Familienangehörige mit- In vielen Ländern existieren ge- lich, das entspricht etwa 194 Euro. versorgt werden. Berechnungen setzlich festgeschriebene Mindest- der Global Living Wage Coalition und löhne. Doch reichen diese oft zum Der existenzsichernde Lohn für eine der südafrikanischen NGO „Pieter- Leben nicht aus – das heißt, sie lie- Arbeiter*in, zuletzt im Mai 2021 maritzburg Economic Justice and gen unter den existenzsichernden von der „Global Living Wage Coalition“ Dignity“ (PMBEJD) gehen davon aus, Löhnen. Existenzsichernd ist nach berechnet, liegt für die Weinregion dass zwischen 7.462 Rand 59 und Art. 23 Abs. 3 der Allgemeinen Western Cape bei 4.596 Rand monat- 8.281 Rand 60, also etwa zwischen Erklärung der Menschenrechte von lich, also bei etwa 265 Euro 58. Da- 431 und 477 Euro benötigt wer- 1948 ein Lohn dann, wenn mit ihm mit liegt der gesetzliche Mindest- den, um einen Haushalt mit vier bis die Arbeitnehmer*in ihre Lebens- lohn deutlich unter dem Lohn, der fünf Mitgliedern zu versorgen. haltungskosten dauerhaft decken für die Existenzsicherung nötig wäre. kann. 18
ARBEIT, DIE KRANK MACHT © Oxfam / Andres Mora Zu den ausbeuterischen Löhnen hinzu kommen die gesetzes- widrigen und gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingun- gen. So leisten Arbeiter*innen während der Erntezeit oft zahl- Häuser von Arbeiter*innen in Pocora, Provinz Limón, Costa Rica. reiche Überstunden, die offiziell nirgends dokumentiert sind. Sie schuften mehr als zwölf Stunden pro Tag, obwohl Die Folge: Keine der für diese Studie befragten Arbeiter*innen gesetzlich acht Stunden und für schwere Arbeit in der im Ananassektor erhält den Mindestlohn von 10.620 Colones Landwirtschaft sechs Stunden als tägliche Höchstgrenze (etwa 16 Euro) pro Tag. Festangestellte Arbeiter*innen gaben vorgeschrieben sind. an, zwischen 5.000 und 8.000 Colones pro Tag zu bekommen, also zwischen 7,50 Euro und 12 Euro. Auch sind Arbeiter*innen gefährlichen Pestiziden aus- gesetzt – oft ohne die nötige Schutzkleidung zu erhalten. Besonders prekär ist die Situation derjenigen, die über einen Paula*, die auf einer Ananasplantage des Edeka-Liefe Arbeitsvermittler (Contratista) angestellt sind. Immer mehr ranten Cítricos Bella Vista arbeitet, berichtet: „Wir Frauen Fincas machen von diesem Modell Gebrauch, auch der Lidl- baten um Schutzkleidung, bekamen aber keine. Den Män- Zulieferbetrieb Finca Once. Manche Contratistas zahlen nur nern gaben sie Overalls. Ich empfinde das als Diskriminierung.“ 3.000 Colones (4,50 Euro) pro Tag, unter anderem berichtet Fernanda*, eine Arbeiterin auf einer Ananasplantage des das eine Arbeiterin von Edeka- und Lidl-Zulieferer Upala Rewe-Zulieferers Grupo Acón sagt: „Wir bekommen keine Agrícola. Dass es sich hierbei wahrlich um Hungerlöhne han- Handschuhe, keine Masken. Und wenn sie dir Schutz- delt, zeigt der Blick auf das existenzsichernde Niveau: handschuhe geben, müssen sie drei Monate lang genutzt Geht man von 25 Arbeitstagen aus, liegt es für die ländlichen werden.“ Gebiete Costa Ricas laut „Global Living Wage Coalition” bei knapp 446.000 Colones63 (673 Euro), bzw. bei 17.840 Colones Gesundheitliche Probleme führen Arbeiter*innen auch auf die pro Tag (26,90 Euro). Sowohl Finca Once als auch Upala giftigen Stoffe, denen sie immer wieder ausgesetzt sind, Agricola dementierten, dass bei ihnen Farmarbeiter*innen zurück. Gladys*, Arbeiterin auf einer Bananenplantage: „Ich über Contratistas beschäftigt seien und erklärten, alle habe Brustkrebs und starke Schmerzen. Außerdem leide Vorgaben zum Mindestlohn einzuhalten. ich unter Schwindel. Ich bin überzeugt, dass die Krankheiten mit meiner Arbeit zu tun haben. Denn früher habe ich auf Diese Missstände anzuzeigen, trauen sich die Arbeiter*innen Bananenplantagen ohne Schutzkleidung gearbeitet – zum meist nicht. Die Angst vor Konsequenzen spielt ebenso Beispiel beim Reinigen. Es gab dazu eine rote und eine eine Rolle wie physische Barrieren, etwa der lange Weg in die weiße Flüssigkeit, die man mit Chlor mischen musste. Man Hauptstadt, um eine Anzeige bei für Arbeitsschutz zustän- bekam Handschuhe, aber sonst keinen Schutz. Einem digen Behörde einzureichen. wurde davon schwindelig und die Augen brannten.“ 19
DISKRIMINIERUNG VON FRAUEN Ein weiteres Problem für Frauen: Sie werden immer seltener eingestellt, weil die Plantagenbesitzer befürchten, dass © Oxfam / Andres Mora ihnen im Falle einer Schwangerschaft Sozialversicherungs- kosten entstehen. Maureen Gamboa, Gewerkschaftssekre- tärin für Frauenrechte bei der Landarbeiter*innengewerk- schaft SITRAP 3, fasst zusammen: „Mutterschaft ist in der Pestizidtraktor auf einer Ananasplantage Agrarindustrie nicht gern gesehen – nicht nur des Mutter- in Pocora, Provinz Limón, Costa Rica. schutzes und der Stillzeit wegen, sondern auch in der Zeit danach, in der die Kinder betreut werden müssen.“ Da- Schließen sich die Arbeiter*innen doch einer Gewerkschaft bei hätten sich die Methoden der Unternehmen geändert: an, folgt die Entlassung häufig auf den Fuß.64 Auch Familien- Früher habe es Formulare zur Einstellung gegeben, auf denen angehörige von Gewerkschaftsaktiven sind von Kündigun- Frauen eintragen mussten, wie viele Kinder sie haben, ob gen bedroht. Oxfam liegen zahlreiche Gerichtsentscheidun- sie eine Operation zur Eileiter-Durchtrennung hatten und kei- gen aus Costa Rica vor, die die unrechtmäßige Kündigung ne Kinder mehr bekommen können – selbst der Zeitpunkt von Gewerkschafter*innen feststellen. des letzten Geschlechtsverkehrs wurde erfragt. „Heute sind die Methoden subtiler“, so Gamboa. „Die Unternehmen Besonders der Rewe- und Lidl-Zulieferer Grupo Acón fällt stellen entweder gar keine Frauen mehr für die Feldarbeit immer wieder wegen seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit auf. ein, oder sie geben nur befristete Verträge von wenigen So berichtet Didier Leiton von der Gewerkschaft SITRAP: Monaten. Wenn die Frau zu Ablauf der Frist schwanger ist, wird sie entlassen.“ „Die Grupo Acón ist radikal bei der Verfolgung von Gewerk- schaften. Dort gibt es eine gezielte Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung von Gewerkschaftsaktiven. Selbst GEWERKSCHAFTEN UNERWÜNSCHT Familienmitglieder von Arbeiter*innen, die in der Gewerk- schaft sind, werden nicht mehr eingestellt.“ Auch die Organisierung der Plantagenarbeiter*innen in Gewerkschaften versuchen die Fruchtkonzerne zu ver hindern – zum einen durch das Einstellen von Migrant*innen COVID-19 ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, die sich aus Angst vor Abschiebung seltener organisieren, zum ande- Während der COVID-19-Pandemie zeigte sich die funda ren durch die Einstellung über Contratistas. Die Arbeits mentale Rolle, die die nicaraguanischen Arbeiter*innen für vermittler lassen die Arbeiter*innen regelmäßig ihren Ein- die Landwirtschaft in Costa Rica spielen: Grenzübergänge satzort wechseln, so dass es für sie schwieriger wird, wurden geschlossen, auch abseits der Grenzübergänge wur- sich gewerkschaftlich zu organisieren. de patrouilliert. 74.000 Arbeitskräfte fehlten nach der Grenzschließung, sodass die costa-ricanische Agrarindustrie Dadurch ist in Gegenden, in denen besonders viele Arbei- darauf drängte, die Arbeitskräfte ins Land zu lassen.65 ter*innen über Contratistas angestellt sind, der gewerk- schaftliche Organisationsgrad sehr gering. So gaben 94 Pro- Auf den Plantagen werden die vorgeschriebenen Corona- zent der befragten Arbeiter*innen in der vom Ananasanbau Schutzmaßnahmen oft nicht eingehalten. So erhalten geprägten Region Huetar Norte an, nie in einer Gewerkschaft viele Arbeiter*innen keine Schutzkleidung wie Masken oder organisiert gewesen zu sein. werden trotz Kontakt mit Infizierten nicht in Quarantäne 20
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