Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland

Die Seite wird erstellt Damian Kohler
 
WEITER LESEN
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten
deutscher Supermärkte
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
© Oxfam / Alexa Sedgwick

Oxfams Partnerorganisation Women on Farms Project organisiert regelmäßig
­Demonstrationen mit Arbeiter*innen, die auf Traubenfarmen arbeiten.

Oxfams Partner­-                            Frauen über ihre Rechte zu informie-                   Die Asociación Regional Centro­
orga­n isationen                            ren und sie dabei zu unterstützen,                     america para el Agua y el Ambiente
ARCA und WFP                                sich gemeinsam zu organisieren und                     (ARCA, dt.: regionale Vereinigung
                                            Veränderungen auf politischer                          Mittelamerikas für Wasser und Um-
Oxfams südafrikanische Partner­orga-        ­Ebene zu bewirken.                                    welt) ist eine zivilgesellschaft-
nisation Women on Farms Pro­ject                                                                   liche Organisation mit Sitz in Costa
(WFP) setzt sich seit drei Jahrzehn-        Ein Beispiel: Im Sommer 2021 starte-                   Rica, die für die Förderung neuer,
ten für Farmarbeiter*innen ein –            ten die Arbeiter*innen mit einem                       nachhaltiger und sozialerer Ent-
speziell für Frauen, die auf den Wein-      lautstarken Protestzug durch Wor-                      wicklungsmodelle einsteht. Neben
farmen Südafrikas arbeiten, und             cester, einem Zentrum der Wein­                        dem landwirtschaftlichen Bereich
kämpft gemeinsam mit ihnen                  produktion am südafrikanischen                         nimmt ARCA auch das Recht auf sau-
für Frauenrechte, menschenwürdige           Westkap. Sie forderten unter ande-                     beres Trinkwasser und nachhal-
Arbeitsbedingungen und gegen                rem ausstehende Zahlungen aus                          tige Stadtentwicklung in den Blick.
Diskriminierung und Ausbeutung.             der Arbeitslosenversicherung wäh-
Ein wichtiger Fokus liegt darauf,           rend der COVID-19-Pandemie.
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
VORWORT

Colette Solomon
Direktorin Women on Farms Project
Südafrika

In Südafrika leben schätzungsweise       jegliche Unterstützung durch Gewerk-        Durch diese Überweisungen tragen
drei Millionen Arbeitsmigrant*innen.     schaften oder Regierungsinstitutionen.      sie auch effektiv zur Wirtschaft ihrer
Um der anhaltenden Wirtschaftskrise      Die migrationspolitischen Rahmen-           Herkunftsländer bei.
in ihren Heimatländern zu entgehen,      bedingungen legen den Frauen zudem
kommen sie hierher, viele auf die kom-   zahlreiche Hindernisse in den Weg,          Auffallend ist die Ähnlichkeit der in die-
merziellen Wein- und Traubenfarmen       sodass sie nicht frei arbeiten und leben    ser Studie beschriebenen Erfahrun-
in der Provinz Westkap.                  können, ohne Repressalien oder Ab-          gen von Migrant*innen in Südafrika und
                                         schiebung fürchten zu müssen.               Costa Rica, welche in den Lieferketten
Die südafrikanische feministische Or-                                                großer Supermärkte arbeiten. Dies zeigt
ganisation Women on Farms Project        Diese Untersuchung fand während der         die strukturelle Dimension der Un-
(WFP) setzt sich seit 1996 gemeinsam     weltweiten COVID-19-Pandemie statt          gleichheit in unserer globalen Wirt-
mit Frauen, die auf den Weinfarmen       und enthält daher auch Erkenntnisse         schaft auf.
leben und arbeiten, für menschenwür-     darüber, wie Migrantinnen und ihre
dige Lebens- und Arbeitsbedingungen      Kinder während des strengen Lock-           Regierungen, Arbeitgeber*innen und
und ihre Rechte ein. Südafrikanische     downs samt Ausgangssperre von jeg-          diejenigen, die über Ressourcen ver-
Farmbesitzer beschäftigen immer häu-     lichem Sicherheitsnetz ausgeschlos-         fügen, um auf einen positiven Wandel
figer Migrant*innen. Auch WFP ar-        sen waren. COVID-19 hat die prekären        hinzuwirken, müssen zum Aufbau ei-
beitet seit 2014 mit einer wachsenden    Lebens- und Arbeitsbedingungen              ner Migrationspolitik beitragen, welche
Zahl an Arbeitsmigrantinnen zusam-       von Migrantinnen in Südafrika offen-        Menschen- und Arbeitsrechte von Ar-
men, von denen viele davon berichten,    gelegt und zugleich verschlimmert.          beitsmigrant*innen schützt und stärkt.
dass Arbeitsrechtsverletzungen auf
den Farmen weit verbreitet sind.         Was diese Studie jedoch auch zeigt,         In unserer Arbeit wird deutlich: Es
                                         sind Stärke und Handlungsfähigkeit von      gibt mehr Themen, die einheimische
Diese Studie, für die WFP mit Oxfam      Migrantinnen. Diese Frauen migrieren        Arbeiterinnen mit migrantischen
Deutschland zusammengearbeitet           zunehmend unabhängig von Männern            Arbeiterinnen verbinden als trennen.
hat, ist möglicherweise die erste um-    oder anderen Familienangehörigen,           Solidarität und kollektives feminis­
fassende Untersuchung der Erfahr-        sie migrieren, um missbräuchlichen          tisches Handeln sind eine echte Alter-
ungen von Migrantinnen auf Wein- und     Beziehungen zu entkommen, und               native, um den unterdrückerischen
Traubenfarmen in Südafrika. Ihre Er-     können sich dabei auf starke soziale        und ausbeuterischen Arbeitsbedin-
gebnisse machen deutlich, dass wir       Netzwerke mit anderen Frauen ver-           gungen entgegenzuwirken, denen
erst am Anfang stehen, die ausbeu-       lassen. Nicht zuletzt dank dieser Netz-     Frauen, insbesondere Migrantinnen,
terische Lebens- und Arbeitsverhält-     werke finden sie Arbeit im neuen            ausgesetzt sind – auf den Wein-
nisse der migrantischen Arbeiter*in-     Land, bauen sich ein Leben auf und          farmen Südafrikas und generell in
nen aufzudecken. Diese sind geprägt      sorgen gleichzeitig durch regelmäßige       globalen Lieferketten.
von xenophoben Ressentiments,            Geldüberweisungen in ihr Herkunfts-
Diskriminierung und Ausbeutung ohne      land für ihre Kinder und die Großfamilie.

                                                                                                                              3
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
ZUSAMMENFASSUNG

Satte Gewinne auf der einen, Hunger­       halb sind sie besonders häufig Men­-     unwürdigen Arbeitsbedingungen, ins-
löhne auf der anderen Seite: Die           schen- und Arbeitsrechtsverletzungen     besondere für Migrant*innen, an­
Ungleichheit entlang der Lieferketten      wie Gewalt und Ausbeutung aus-           gebaut werden. Entgegen gesetzlicher
unserer Lebensmittel ist enorm. Das        gesetzt. Dies betrifft insbesondere      Vorgaben ist Akkordarbeit von mehr
Jahreseinkommen einer Arbeiter*in          Frauen*.                                 als zwölf Stunden bitterer Alltag für vie-
auf einer Ananasplantage in Costa                                                   le Arbeiter*innen. Viele erhalten deut-
Rica verdient Lidl- und Kaufland-          Für die vorliegende Studie verfolgte     lich weniger als den gesetzlich vorge-
Eigentümer Dieter Schwarz in sechs         Oxfam gemeinsam mit dem niederländi-     schriebenen Mindestlohn – auch auf
Sekunden.1 Machten die deutschen           schen Rechercheinstitut Profundo         zertifizierten Plantagen. Da auf vielen
Supermärkte während der Pandemie           und Unterstützer*innen die Lieferket-    Farmen Costa Ricas und Südafrikas
Rekordgewinne, mussten Arbeiter*in-        ten zurück – von den Regalen der         Verträge mündlich geschlossen und
nen auf Plantagen für Lebensmittel         großen deutschen Supermarktketten        Arbeitszeiten nicht dokumentiert
in den Supermarktregalen für Löhne         bis zu den Anbaugebieten in Costa        werden, sind solche Arbeitsrechts-
arbeiten, die kaum reichen, um eine        Rica und Südafrika.                      verletzungen vor Gericht nur schwer
Familie zu ernähren.                                                                nachzuweisen.

Besonders prekär ist die Situation für
                                           Menschenunwürdige                        Bei einem Ananas-Zulieferbetrieb von
Migrant*innen, die in der Landwirt­        ­Bedingungen im Ananas-,                 Rewe und Lidl in Costa Rica fanden
schaft arbeiten. Viele Lebensmittel-        Bananen-, Wein-                         sich Belege für die Unterdrückung von
lieferketten würden ohne sie zusam-         und Tafeltraubensektor                  Gewerkschaftsrechten: Mehrere Ge-
menbrechen. Bei manchen Produkten                                                   richtsurteile zeigen die unrechtmäßige
machen sie sogar die Mehrheit der          Die vorliegende Studie beleuchtet        Entlassung von Gewerkschaftsakti-
Arbeiter*innen aus. Viele verlassen ihre   die Situation von Arbeitsmigrant*innen   ven. Arbeiter*innen berichteten, dass
Heimat, um als Saisonarbeiter*innen        anhand von vier Beispielen: dem          selbst Familienangehörige von or-
Geld zu verdienen. Dabei müssen sie oft    Ananas- und Bananenanbau in Costa        ganisierten Beschäftigten entlassen
ausbeuterische Arbeitsverhältnisse         Rica sowie dem Wein- und Tafel-          werden.
in Kauf nehmen. Für viele Migrant*innen    traubensektor Südafrikas. In beiden
sind diese Arbeitsverhältnisse ange-       Ländern führten Oxfams Partnerorga-      Zudem stellen Unternehmen zuneh-
sichts der schwierigen Lage in ihrem       nisationen ARCA und Women on             mend Feldarbeiter*innen über
Herkunftsland dennoch die beste            Farms Project im Frühjahr und Sommer     Arbeitsvermittler ein. Diese prellen
unter vielen schlechten Optionen.          2021 Interviews mit migrantischen        Beschäftigte regelmäßig um ihre
                                           Arbeiter*innen. Aus Costa Rica kommen    Sozialversicherungsbeiträge und zah-
Für Plantagenbesitzer und Konzerne         75 Prozent der hierzulande verkauf-      len Löhne weit unter dem Mindest-
sind migrantische Arbeiter*innen vor       ten frischen Ananas. Südafrika ist für   lohn – im Falle einer Edeka- und Lidl-
allem eines: billiger als einheimische     Deutschland der wichtigste Wein­         Zulieferplantage gerade einmal 4,50€
Arbeitskräfte. Zudem ist es für Migran-    exporteur außerhalb der EU.              am Tag.2
t*innen, vor allem solche ohne offi-
zielle Papiere, schwieriger, ihre Rechte   Die Studie kommt zu dem Ergebnis,
durchzusetzen, droht ihnen doch            dass Ananas, Bananen, Wein und Tafel-
nicht nur der Jobverlust, sondern auch
die Ausweisung aus dem Land. Des-
                                           trauben, die in deutschen Super-
                                           märkten landen, unter menschen­
                                                                                    * srassismuskritische
                                                                                        iehe Box gendersensible und
                                                                                                          Sprache auf S. 6

4
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
Wie in Costa Rica sind auch im süd­
afrikanischen Wein- und Tafeltrauben-
anbau Arbeitsrechtsverletzungen
und menschenunwürdige Bedingungen
nachweisbar. Arbeiterinnen berich-
ten, dass sie zu sexuellen Handlungen
genötigt wurden, um eine Arbeits­-
stelle zu bekommen. Dort sind sie gifti-
gen Pestiziden ausgesetzt und ha-
ben während der Arbeit keinen Zugang

                                                                                                                                      © Oxfam / Andres Mora
zu Toiletten und Trinkwasser.

Die Löhne von Arbeiterinnen sind extrem
niedrig. Knapp die Hälfte der für die-
se Studie befragten Arbeitsmigrantin-      Zoraida Trejos arbeitet auf einer Plantage in
                                           Pocora, in der Provinz Limón, Costa Rica.
nen verdient weniger als den gesetz-
lich vorgeschriebenen Mindest­lohn von                                                     Supermärkte und Bundes-
194 Euro pro Monat. Zudem arbeiten         die ihre Produkte in Deutschland ver-           regierung in der Verant-
viele im Akkord mit kaum erfüllbaren       kaufen wollen, kommen an diesen                 wortung
Zielvorgaben. Auch von Diskriminie-        Vorgaben kaum vorbei. Denn die vier
rung, Rassismus und Gewalt berichten       großen Supermarktketten Rewe                    Die Supermarktketten sind in der Ver-
Migrantinnen. Ihre Rechte einzufor-        mit Penny, Aldi Süd und Nord, Edeka             antwortung, etwas an diesen Zustän-
dern, trauen sie sich aus Angst vor        mit dem Netto-Markendiscount und                den zu ändern. Dafür müssen sie an-
Abschiebung meist nicht.                   die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und             gemessene Preise zahlen, welche die
                                           Kaufland gehören, teilen sich rund              Zahlung existenzsichernder Löhne er-
Massiver Preisdruck                        85 Prozent des deutschen Lebens-                möglichen. Und auch die Bundes­regie-
­deutscher Supermärkte                     mitteleinzelhandels.                            rung ist auf nationaler und EU-Ebene
                                                                                           in der Pflicht: Das verabschiedete deut-
Aufgrund ihrer Marktmacht haben deut-      Arbeiter*innen am Anfang der Liefer-            sche Lieferkettensorgfaltspflich­ten­
sche Supermärkte großen Einfluss           kette werden zwischen den Interessen            gesetz, nach dem sich Unternehmen
auf die Arbeitsbedingungen bei ihren       der exportierenden Unternehmen einer-           in Deutschland ab 2023 um Men-
Zulieferbetrieben und müssen des-          seits und der Supermärkte andererseits          schen­rechte und Umweltbelange in
halb Verantwortung für die Rechte von      zerrieben. Während sie mit Hunger-              ihrer Lieferkette kümmern müssen,
Arbeiter*innen in ihren Lieferketten       löhnen abgespeist werden, machen die            muss nachgeschärft und ambitioniert
übernehmen. Ihr Marktverhalten unter-      Supermärkte auf ihre Kosten satte               umgesetzt werden. Zudem muss sich
miniert jedoch die Durchsetzung von        Gewinne. Zum Beispiel kommen durch-             die Bundesregierung für eine wirksa-
Arbeitsrechten am Anfang der Liefer-       schnittlich nur 1,2 Prozent vom Ver-            me gesetzliche Regelung zur men-
kette. Sie üben massiven Druck auf         kaufspreis einer Flasche Wein aus Süd-          schenrechtlichen Sorgfaltspflicht auf
die Lieferanten und Produzenten aus:       afrika bei den Farmarbeiter*innen               EU-Ebene stark machen und Betrof-
Nur wer im Einkauf billig ist, kommt       an, mehr als 50 Prozent bleibt bei den          fenen von Arbeitsrechtsverletzungen
ins Supermarktregal. Unternehmen,          Supermärkten.                                   Zugang zu Rechtsschutz verschaffen.

                                                                                                                                 5
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
VORGEHENSWEISE

Für die vorliegende Studie führten               Partnerorganisation über Lebens- und            Gemeinsam mit dem niederländischen
Oxfams Partnerorganisationen ARCA                Arbeitsbedingungen auf den Planta-              Rechercheinstitut Profundo verfolg-
in Costa Rica und Women on Farms                 gen Costa Ricas zu sprechen. Darüber            te Oxfam die Lieferkette mittels Test-
Project in Südafrika Interviews mit ins-         hinaus hat Oxfam gezielt Interviews             käufen und Recherchen von Oxfam-
gesamt 130 Arbeiter*innen im Früh-               mit Arbeitsrechtsexpert*innen und Ge-           Unterstützer*innen zurück – von den
jahr und Sommer 2021.                            werkschafter*innen der Landarbei-               Regalen der großen deutschen Super-
                                                 ter*innengewerkschaft SITRAP3 geführt.          marktketten bis zu den Plantagen
In Costa Rica befragte ARCA 25 Arbei-                                                            und Anbaugebieten in Costa Rica und
ter*innen – 24 von ihnen Frauen – zu             In Südafrika sprachen die Mitarbei­-            Südafrika. Sowohl die Supermärkte
Arbeits- und Lebensbedingungen auf               ter*innen von Women on Farms Project            also auch die produzierenden Firmen
den Ananas- und Bananenplantagen.                mit 105 Frauen, die auf Wein- und               sowie Siegelorganisationen wurden
24 der 25 befragten Arbeiter*innen               Tafeltraubenfarmen arbeiten. 44 der             vorab über die Ergebnisse der Studie
stammen aus Nicaragua. Sie alle leben            befragten Arbeiterinnen kamen aus               informiert und hatten Gelegenheit,
schon seit mehr als zehn Jahren                  Simbabwe, 34 aus Lesotho und 27 aus             Stellung zu beziehen. Diese Rückmel-
in Costa Rica und haben permanente               Malawi. Die Mehrheit der befragten              dungen finden sich auf Seite 30.
Aufenthaltsgenehmigungen, die so                 Arbeiterinnen lebt bereits seit mehr als
genannte „Cédula de residencia“. Ihr             vier Jahren in Südafrika, gut 40 Pro-
rechtlich sicherer Aufenthaltsstatus             zent kamen zwischen 2017 und 2020
erleichterte es ihnen, mit Oxfams                ins Land.

    Rassismuskritische und                        ebenfalls um ein gesellschaftspolitisches     bzw. der einzelnen Mitglieder der Perso-
    gender­s ensible Sprache                      Konstrukt handelt: ein rassistisches          nengruppe benannt. Ist beispielsweise
    in dieser Studie sowie                        Machtverhältnis, das weißen Menschen          von Arbeitsvermittlern in der männlichen
    ­V erwendung von Namen                        eine dominante, privilegierte Position        Form die Rede, dann deshalb, weil es
                                                  innerhalb diskriminierender Gesellschafts-    sich bei diesen in allen Fällen, die unseren
    Die Autor*innen dieser Publikation ha-        strukturen zuschreibt.                        Partnerorganisationen bekannt sind,
    ben sich bewusst um eine sensible,                                                          um Männer handelt. Geht aus dem Kontext
                                                  Innerhalb sexistischer und patriarchaler
    geschlechtergerechte, rassismus- und                                                        eindeutig hervor, dass es sich nicht um
                                                  Strukturen sind nicht nur Frauen, son-
    diskriminierungsarme Sprache bemüht.                                                        natürliche, sondern um juristische Perso-
                                                  dern auch trans-, inter-, nicht-binäre und
                                                                                                nen handelt, verzichten wir auf das Gen-
    In Ablehnung kolonialrassistischer Be-        agender-Personen von Diskriminierung
                                                                                                dern. So bezeichnet der Begriff Zulieferer
    zeichnungen nutzen wir „Schwarz“ nicht        und Ausbeutung betroffen. Für die Unter-
                                                                                                im vorliegenden Kontext ein Zuliefer-
    als Adjektiv, sondern schreiben diese         suchungen in dieser Studie lag ein Groß-
                                                                                                Unternehmen.
    politisch gewählte Selbstbezeichnung          teil der Daten jedoch lediglich für die Zu-
    groß, um zu verdeutlichen, dass es sich       schreibungen „Frauen“ und „Männer“            Mit * markierte Namen wurden geändert.
    hier nicht um eine biologische Eigen-         vor. Mit dem Gender-Sternchen beziehen        Zum Schutz der zitierten Menschen,
    schaft, sondern um eine gesellschaftliche,    wir uns explizit auch auf inter, trans und    die aufgrund ihrer Aussagen mit negativen
    rassistische Konstruktion handelt. Die        nicht-binäre Menschen. Wird das Gender-       Konsequenzen wie Arbeitsplatzverlust
    Bezeichnung weiß setzen wir kursiv, um        Sternchen nicht genutzt, dann wird da-        und Ausweisung rechnen müssen, sehen
    zu verdeutlichen, dass es sich hier           mit eindeutig das Geschlecht der Person       wir von der Namensnennung ab.

6
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
INHALTSVERZEICHNIS

 9 EINLEITUNG

10 ARBEITSMIGRATION

13	­MARKTKONZENTRATION
		 UND MARKTMACHT IM ­
		LEBENSMITTELEINZELHANDEL

17 FALLBEISPIEL: ANANAS- UND        23 FALLBEISPIEL: WEIN- UND
		 BANANENANBAU IN COSTA RICA       		 TRAUBENANBAU IN SÜDAFRIKA
17 ARBEITSMIGRATION IN COSTA RICA    25 PREKÄRE ARBEITSVERHÄLTNISSE
                                    		 UND LEBENSBEDINGUNGEN
18 UM DEN MINDESTLOHN BETROGEN
                                     26 AKKORDARBEIT, PESTIZIDE
19 ARBEIT, DIE KRANK MACHT
                                    		 UND SANITÄRE BEDINGUNGEN
20 DISKRIMINIERUNG VON FRAUEN
                                     26 RECHTLICHER STATUS:
20 GEWERKSCHAFTEN UNERWÜNSCHT       		 DIE ANGST VOR ABSCHIEBUNG

20 COVID-19                          27 MIGRATIONSERFAHRUNGEN
                                    		 UND -GRÜNDE

                                     27 RASSISMUS, DISKRIMINIERUNG
                                    		 UND (SEXUALISIERTE) GEWALT

                                     29 GEWERKSCHAFTEN UND ­
                                    		ARBEITER*INNENORGANISATIONEN

                                     29 COVID-19

                                    30 WIE REAGIEREN DIE UNTER-
                                    		 NEHMEN AUF DIESE BERICHTE?

                                    32 PROFIT UND PREISDRUCK:
                                    		 DAS (MANGELNDE) ENGAGEMENT
                                    		 DEUTSCHER SUPERMÄRKTE
                                    		 FÜR MENSCHENRECHTE

                                    35 FAZIT

                                                                      7
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
8
© Alexandra Weltz-Rombach / Oxfam
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
EINLEITUNG

„Lidl lohnt sich“ wirbt einer der vier großen Einzelhändler     Die vorliegende Studie beleuchtet die Arbeitsbedingungen
in Deutschland. „Wir lieben Lebensmittel“ heißt es bei Edeka.   für Migrant*innen im Ananas- und Bananenanbau in Costa
Eine Flasche Weißwein aus Südafrika, ein Kilo Bananen und       Rica sowie im Wein- und Tafeltraubenanbau in Südafrika –
eine frische Ananas aus Costa Rica – für nicht einmal sechs     Lebensmittelsektoren, die bereits in der Vergangenheit wegen
Euro landen sie alle im Einkaufskorb der Kund*innen.4           ausbeuterischer Verhältnisse in der Kritik standen. Die
                                                                Arbeitsrechtsverletzungen sind keine Einzelfälle, sondern
Schöner Schein, große Worte, niedrige Preise: Bei den ande-     stehen beispielhaft für ein Wirtschaftssystem, in dem
ren deutschen Supermärkten und Discountern sieht es             Profitorientierung und Gewinnmaximierung oberste Priori-
nicht anders aus. Die Supermärkte lieben ihre Lebensmittel –    tät haben.
für die Menschen, die diese Produkte anbauen, gilt das
offenbar nicht. Für den, so die Werbung, „erfrischenden Weiß-   Der Bericht knüpft dabei an zwei Oxfam-Publikationen aus
wein für alle Gelegenheiten“5 und die „extra süßen“ Früch-      den Jahren 2016 und 2017 an. Schon diese zeigten die
te schuften Arbeiter*innen zu Hungerlöhnen am Anfang der        drastischen Missstände, Menschen- und Arbeitsrechtsver-
Lieferkette. Für sie lohnen sich Lidl und Co nicht.             letzungen auf den Ananas-, Bananen-, Wein- und Trauben-
                                                                farmen auf. Betroffene Supermarktketten reagierten mit Zu-
Besonders migrantische Arbeiter*innen, die in zahlreichen       sagen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Lebensmittellieferketten den Großteil der Arbeiter*innen
ausmachen, sind von Ausbeutung betroffen. Auf die Arbeit        Jedoch: Trotz der vollmundigen Versprechen hat sich an den
auf den Farmen angewiesen, nehmen viele Migrant*innen           Arbeitsbedingungen auf Obst- und Weinplantagen in den
Jobs zu Hungerlöhnen an, erleben Diskriminierung, Rassis-       vergangenen fünf Jahren kaum etwas geändert. Noch immer
mus und Gewalt. Trotz der Hürden und Risiken sowie der          produzieren Arbeiter*innen unter menschenunwürdigen
Angst vor Abschiebung wehren sie sich aber auch gegen ih-       Bedingungen Wein und Obst für deutsche Supermärkte – ins-
re Entrechtung und organisieren sich in Gewerkschaften          besondere migrantische Arbeiterinnen sind schwerwiegen-
und sozialen Bewegungen – wie Oxfams Partnerorganisation        den Rechtsverletzungen ausgesetzt.
Women on Farms Project.

    75 Prozent aller in Deutschland verkauften
frischen Ananas kommen aus Costa Rica.

                                                                                                                          9
Arbeitsmigrant*innen in den Lieferketten deutscher Supermärkte - Oxfam Deutschland
ARBEITSMIGRATION

Arbeitsmigrant*innen – sie halten unser weltweites Wirt-            Auch außerhalb Europas bilden Arbeitsmigrant*innen das
schaftssystem aufrecht und werden dabei von den menschen-           Rückgrat vieler Lebensmittellieferketten. Im thailändischen
unwürdigen Bedingungen dieses Systems besonders hart                Fisch- und Meeresfrüchtesektor etwa sind es Schätzun-
getroffen. Viele von ihnen arbeiten informell, jenseits des         gen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge
offiziellen Arbeitsmarktes. Wie viele Menschen weltweit             83 Prozent – die meisten der Arbeiter*innen stammen aus
ihre Heimat vorübergehend oder langfristig verlassen, um            Myanmar und Kambodscha.10
anderswo ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ist nicht
genau erfasst.                                                      Um diesem Phänomen stärker auf den Grund zu gehen,
                                                                    betrachtet diese Studie exemplarisch die Situation von
Arbeitsmigration in den                                             Arbeitsmigrant*innen in Costa Rica und Südafrika.
Lebensmittellieferketten
                                                                    Arbeitsmigration in Costa Rica
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht weltweit von      und Südafrika
169 Millionen Arbeitsmigrant*innen aus – in dieser Zahl
sind jedoch nur die offiziell dokumentierten Arbeiter*innen         Costa Rica ist wegen seiner politischen Stabilität schon seit
einbezogen.6 Ein Großteil der Lieferketten, durch die Super-        Jahrzehnten ein attraktives Einwanderungsland für Men-
märkte in Deutschland versorgt werden, könnte ohne ihre             schen aus den benachbarten lateinamerikanischen Ländern.
Arbeitskraft nicht aufrecht erhalten werden: In Deutschland         Insgesamt sind acht Prozent der fünf Millionen Einwoh-
sind jährlich mehr als 300.000 Migrant*innen in der Land-           ner*innen Costa Ricas keine Staatsbürger*innen des Lan-
wirtschaft tätig – in der Fleischindustrie sind es je nach Tätig-   des.11 Gut 70 Prozent von ihnen stammen aus Nicaragua.
keit bis zu 80 Prozent, schätzen Gewerkschaften.7 In Italien        Sie bilden auch die größte Gruppe der migrantischen Arbei-
gibt es nach offiziellen Angaben mehr als 370.000 Arbeits-          ter*innen.12
migrant*innen in der Landwirtschaft. Schätzungen, die auch
nicht dokumentierte Arbeiter*innen einbeziehen, gehen               In Südafrika leben Schätzungen zufolge etwa drei Millionen
jedoch von bis zu 500.000 Arbeitsmigrant*innen aus, das sind        Arbeitsmigrant*innen.13 Hochqualifizierte Arbeitskräfte
ungefähr 50 Prozent der gesamten Beschäftigten in der               erhalten eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, gering qua-
italienischen Landwirtschaft.8 Ein wichtiges Phänomen ist           lifizierte Arbeitnehmer*innen kommen hingegen oft ohne
dabei Saisonarbeit: Immer mehr Arbeiter*innen müssen                die für einen legalen Aufenthalt benötigten Papiere ins Land.
regelmäßig migrieren, um beispielsweise zu Beginn des Jah-
res bei der Ernte im Süden Europas zu arbeiten und im
Sommer und Herbst weiter in den Norden zu ziehen, wenn
dort die Erntezeit beginnt.9

10
Ausbeutung und menschenunwürdige
Arbeitsbedingungen
Viele Migrant*innen bezahlen einen hohen Preis, um ihre         lichen Krisen in der Heimatregion der Migrant*innen auch
Lebenssituation und die ihrer Familien zu verbessern. Ohne      Umweltkatastrophen als häufige Gründe für die Migration
soziale und familiäre Netzwerke vor Ort und teilweise auch      genannt.16
ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind gerade gering
qualifizierte Migrant*innen gezwungen, prekäre, und oft         Situation von Migrantinnen
informelle Arbeitsverhältnisse einzugehen. Die menschen-
unwürdigen Arbeitsbedingungen reichen von niedrigen             Jüngsten Zahlen zufolge sind 42 Prozent der weltweiten
oder nicht regelmäßig gezahlten Löhnen, nur kurzzeitiger An-    Arbeitsmigrant*innen Frauen, in der Landwirtschaft sind es
stellung, überlangen Arbeitszeiten, Gesundheitsgefähr-          rund 35 Prozent.17 Häufiger als Männer müssen Frauen da-
dung am Arbeitsplatz bis hin zu mangelnder Schutzkleidung,      bei Tätigkeiten übernehmen, für die es nur wenige formelle
Diskriminierung und fehlenden Möglichkeiten zur gewerk-         Qualifikationen braucht – oft mit schlechten Arbeits­-
schaftlichen Beteiligung.14                                     bedingungen und geringer Bezahlung. Auch die Einkommens-
                                                                unterschiede zwischen Männern und Frauen, der so
Und: Arbeitsmigrant*innen sind im Vergleich zu anderen Ar-      genannte „Gender Pay Gap“, ist in vielen Ländern bei Arbeits-
beitnehmer*innen einem deutlich höheren Risiko ausge-           migrantinnen noch größer als bei Frauen, die die Staats-
setzt, Opfer von Zwangsarbeit zu werden. Für das Jahr 2016      angehörigkeit des Landes besitzen. Erhebungen der Inter-
schätzte die ILO, dass von den 24,9 Millionen Opfern von        nationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge liegt der
Zwangsarbeit ein Viertel aus einem anderen Land kamen.15        monatliche Durchschnittslohn von Arbeitsmigrantinnen in
                                                                37 von 60 untersuchten Ländern mehr als 20 Prozent un-
Ursachen                                                        ter dem von männlichen Migranten.18

Die Ursachen und Gründe für Arbeitsmigration sind vielfältig.   Arbeitsmigration ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits
Oft ist es eine Vielzahl miteinander verwobener Faktoren, die   verlassen Migrant*innen ihre wirtschaftlich benachteilig-
dazu führen, dass sich Menschen entscheiden, ihren Wohn-        ten Heimatregionen in der Hoffnung, der strukturell bedingten
ort auf der Suche nach Arbeit zu verlassen. Ein Hauptgrund      Armut zu entkommen. Weltweite, nach wie vor durch den
sind die mangelnden Möglichkeiten in vielen wirtschaft-         Kolonialismus geprägte Ungleichheit ist somit eine der Ursa-
lich benachteiligten Regionen der Welt, den eigenen Lebens-     chen für Arbeitsmigration. Andererseits kann Arbeitsmigra­
unterhalt zu bestreiten. Die Klimakrise – verursacht vor        tion Ungleichheit verringern – indem Menschen anderswo Ar-
allem durch Unternehmen und wirtschaftlich privilegierte        beit finden und einen Teil ihres Verdienstes an Verwandte
Menschen im Globalen Norden – wird dies weiter verstärken.      in den Heimatländern schicken, was auch dort die Lebens-
So werden neben politischer Instabilität und wirtschaft-        situation verbessert.19

                                                                                                                           11
Nicaragua                                   Mon t

                                                                Del
                                                                                                                                                   3

                                                                                  e
                                                                              5

                                                                                                                                             Fin

                                                                                                                                                        ce
                                                                                                                                              ca
                                                                                                                                                       O

                                                                                                                                                    n
                                                                             qui t                                                       7
                                                                        hi

                                                                                                                              Gru

                                                                                                                                             ón
                                                                                                                                  po Ac

                                                                                  a
                                                                    C
                                                                             8
                   1                                                                                                                                4
                                                                                                                                                   Do
                                                                                                                                                        le
                                                                        y ffes
                                 2                                                                                                   1

                                                                    F
                                                                              6                                               p      a
                                                     5                                                                       gr a l l

                                                                                                                              U
                                           3 4

                                                                                                                            A
                                                                                                                                íc o

                                                                                                                                         a
                                                         7 8
                                                     6                                                                                             5

                                                                                                                                             De

                                                                                                                                                        te
                                                                                                                                              l
                                                                                                                                                   Mon

                                                                                                                                 2
                                          San José
                                                                                                                             t

                                                                                                                          Cí e
                                                                                                                                    o

                                                                                                                                     ta s
                                                                                                                            ll r i c s

                                                                                                                           B
                                                                                                                               a Vi
                                                 Costa Rica

Vom Feld ins Ladenregal:
Lieferverbindungen zu
                                                                                                              Panama
deutschen Supermärkten

Auf der Karte sind die für diese Studie recherchierten Liefer-
verbindungen deutscher Supermärkte zu Ananas- und
Bananenproduzenten in Costa Rica dargestellt. Alle Plantagen
sind entweder von den Siegelorganisationen Rainforest
Alliance oder GlobalGAP zertifiziert. Dabei sind die in der Karte             zu den südafrikanischen Exportunternehmen belegt werden
dargestellten Lieferbeziehungen nicht notwendigerweise                        (siehe Grafik auf S. 24). Viele von ihnen haben ihren Firmen-
direkte Geschäftsbeziehungen. Oft erfolgt die Lieferung über                  sitz in der Region, in der auch die Befragungen stattfanden.
Zwischenhändler. Zum Teil gehören zu einer Unternehmens-
gruppe zahlreiche Plantagen. Im Fall der Grupo Acón etwa wird                 Die in dieser Studie beispielhaft aufgezeigten Missstände
Rewe von der Ananas-Finca „Piña Frut“ beliefert, Lidl von                     sind strukturelle Probleme des Wein- und Tafeltrauben-
„Piñales del Caribe“.                                                         sektors in Südafrika. Zahlreiche Studien haben bereits die
                                                                              Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen im Weinanbau
Schwieriger nachzuverfolgen sind die exakten Lieferketten                     in der Provinz Westkap offengelegt.20 Diese Studien zeigen:
im Falle des südafrikanischen Weins. Es mangelt an Trans-                     Die Rechtsverletzungen treten nicht nur punktuell auf eini-
parenz: Auch auf direkte Nachfrage von Oxfam gab keine der                    gen Farmen auf, sondern sind ein strukturelles Problem und
vier großen deutschen Supermarktketten an, von welchen                        dürften daher auch auf Produzenten zutreffen, die für den
konkreten Farmen die zu Wein in ihrem Sortiment verarbeite-                   deutschen Markt anbauen.
ten Trauben und die angebotenen Tafeltrauben stammen.
Der Export von Wein in großen Tanks, der oft von mehreren                     Konkrete Lieferverbindungen konnten in einer Studie der
Farmen stammt, erschwert die Rückverfolgung zusätzlich                        Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Jahr 2020 für einen bei
(siehe Box zu Tankwein auf S. 24).                                            Edeka angebotenen Wein nachgewiesen werden. Entlas-
                                                                              sung von Gewerkschafter*innen, miserable Wohnunterkünfte,
Oxfams Recherchen zeigen jedoch: Alle großen deutschen                        schlechter Gesundheitsschutz – die Rechtsverletzungen
Supermarktketten beziehen Wein aus der Region West-                           beim Produzen­ten Leeuwenkuil, einer der größten privaten
kap, in denen die Interviews der vorliegenden Studie geführt                  Wein­farmen in Südafrika, decken sich mit den Ergebnissen
wurden. Zudem konnten die Lieferketten zumindest bis                          dieser Studie.21

12
­M ARKTKONZENTRATION
 UND MARKTMACHT IM
­L EBENSMITTELEINZELHANDEL

                                                                  DEUTSCHE IMPORTPREISE
                                                                  FÜR WEIN UND ANANAS (in €/kg)
Waren es einst vor allem Fruchtkonzerne wie Dole, C
                                                  ­ hiquita,      Quelle: Comtrade-Datenbank, inflationsbereinigt

Fyffes und Del Monte, die die Preise und Konditionen im           3,00
Obstanbau bestimmten, so sind es heute die großen Super-
marktketten, die aufgrund ihrer Marktmacht gezielt Preis-         2,50
                                                                                   Wein
druck ausüben, um im Wettbewerb um die billigsten F ­ rüchte
die Nase vorn zu haben.22
                                                                  2,00

Die vier großen Supermarktketten Rewe mit Penny, Aldi Süd
und Nord, Edeka mit dem Netto-Markendiscount und die              1,50          Ananas
Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, teilen
sich mehr als 85 Prozent des deutschen Lebensmittel­              1,00

einzelhandels.23 Mit der Insolvenz von Real hat sich die Markt-
konzentration noch weiter verschärft, da Kaufland und             0,50
Edeka viele der Filialen übernehmen.24                                   2002       2005         2008         2011   2014   2017        2020

Sie werden damit zu „Türstehern“ für den deutschen                Dem Preisdruck der deutschen Supermärkte können vor allem
Markt, das heißt: Wer in Deutschland Produkte verkaufen           große Firmen standhalten, weshalb in den Anbauländern
will, kommt an den Supermarkt-Riesen nicht vorbei.                ebenfalls einige wenige Produzenten den Markt dominieren.

Diese Marktmacht nutzen die Konzerne. Sie üben auf Produk-        So werden der Bananen- und der Ananassektor in Costa
tions- und Lieferbetriebe einen immensen Preisdruck aus.          Rica von wenigen großen Unternehmen beherrscht: 91 Pro-
Nur wer kontinuierlich große Warenmengen in gleichbleiben-        zent der Bananenexporte teilen sich die vier Unternehmen
der Qualität und zu niedrigen Preisen liefern kann, bleibt        Del Monte, Chiquita, Fyffes und Dole auf.27 Im Ananas-Sektor
im Geschäft.                                                      sind Del Monte, Dole, Grupo Acón und Fyffes für etwa 70 Pro-
                                                                  zent der Exporte verantwortlich.28
Unlautere Handelspraktiken sind dabei eher die Regel als
die Ausnahme. Beispiel Weinankauf: Weinhandel und                 Nicht anders sieht es beim Weinanbau in Südafrika aus:
­Kellereien zahlen eine Gebühr, damit sie überhaupt in die        Wenige große Firmen beherrschen den Markt, wobei der mas-
 Liste der Zulieferbetriebe aufgenommen werden – diese            sive Preisdruck, unter dem die Weinfarmen stehen, die
 Gebühr beträgt bis zu 28 Prozent ihres Verkaufspreises. Für      Konzentration der Farmen in immer weniger Händen weiter
 „Regalmieten“, das heißt für einen gut sichtbaren Platz          verschärft.29
 im Supermarktregal, kassieren die Supermärkte zusätzlich.
 Ebenso für die Bewerbung der Produkte.25                         Schon während der Apartheid waren die Unternehmen, aus
                                                                  denen 2001 die Distell Group entstand, die größten Wein-
Die Importpreise von Wein aus Südafrika haben sich in den         konzerne Südafrikas30, heute setzt der Konzern 40 Prozent
vergangenen 20 Jahren dabei mehr als halbiert, auch               des gesamten Weins in Südafrika um. Mehr als 95 Prozent
die Preise für Ananas aus Costa Rica sind um fast 50 Pro-         des Weins kauft Distell dabei anderen Produzent*innen ab.31
zent gefallen26 – wie die Grafik deutlich zeigt.

                                                                                                                                   13
WER VERDIENT AN WEIN UND ANANAS?
Anteile am Verkaufspreis von Tankwein aus Südafrika
und Ananas aus Costa Rica in deutschen Supermärkten

                                                      15,9%
                                                    MEHRWERT-
                                                      STEUER
                                                                                    42,6%
                                                                                 EINZELHANDEL
            51,7%
        EINZELHANDEL
                                                                                                                                         3,7%
                                                         10,2%                     14,3%
                                                                                                                                           ZOLL
                                                        ABFÜLLUNG                   IMPORT

        19,2%                                                                                                                            4,9%
                                                                                                                                          EXPORT
      PRODUKTION                                          1,7%
                                                         FARM-                       24,8%
                                                     BESITZER*INNEN                 PRODUKTION

                           1,2%                                                                                        9,7%
                            LÖHNE                                                                                       LÖHNE

Quelle: Berechnungen für Wein nach Daten von VinPro, UN Comtrade, UNCTAD,   Quelle: Berechnungen für Ananas von BASIC nach Daten von Eurostat, CIRAD,
OECD, DeStatis (2019)                                                       ­Comtrade, Sopisco (2016). Angaben zu Ananas exkl. Mehrwertsteuer.

Auch Konzerne wie die Distell Group stehen unter dem Preis-                 Das staatliche Import-Unternehmen Systembolaget aus
druck der Supermärkte, an die sie den Wein verkaufen.                       Schweden bezahlt beispielsweise 50 Prozent mehr als die
Weniger als ein Drittel der Weinfarmen machte 2019 Gewinne.32               deutschen Importeure.35
Die Anbaufläche ist seit 2010 konstant rückläufig33.
                                                                            Somit sind es die Supermärkte, die am meisten an den Pro-
Am Ende stehen auch hier: Arbeiter*innen, die für Hunger-                   dukten verdienen, die sie verkaufen. Beispiel Ananas:
löhne und unter menschenunwürdigen Bedingungen die Trau-                    Über 42 Prozent des Verkaufspreises landet bei den Einzel-
ben für den Wein aus Südafrika ernten. Während für sie –                    handelskonzernen, während nicht einmal 10 Prozent bei
ebenso wie für Menschen andernorts – gerade im Corona-Jahr                  den Arbeiter*innen auf der Plantage ankommt. Vom Verkaufs-
2020 Einkünfte wegbrachen, machten die deutschen Super-                     preis der Bananen erhalten die Arbeiter*innen auf den
märkte Rekordumsätze. Die Vermögen der Eigentümer*innen,                    Plantagen Costa Ricas sogar nur 6,7 Prozent.
die zu den reichsten Familien Deutschlands gehören,
wuchsen entsprechend.34                                                     Nicht besser sieht es beim Wein in Südafrika aus: Vom Ver-
                                                                            kaufspreis im deutschen Supermarkt bleiben nur etwa
Besonders Unternehmen aus Deutschland üben einen                            22,1 Prozent in Südafrika, 51,7 Prozent gehen an die Super-
massiven Preisdruck aus: Sie zahlen im internationalen Ver-                 märkte. Bei den Arbeiter*innen auf den Farmen kommen
gleich extrem niedrige Preise für Wein aus Südafrika, die                   im Durchschnitt nur etwa 1,2 Prozent an.
deutlich unter dem durchschnittlichen Exportpreis liegen.

14
Historische Wurzeln: Vom Kolonialismus
zu den Freihandelsabkommen

Die Ausbeutung in globalen Lieferketten reicht zurück bis zur   Strukturen, die bis heute nachwirken: Häufig dominieren
Kolonialzeit. Der Weinanbau in Südafrika beispielsweise         wenige globale Fruchtkonzerne den Markt und bestimmen
wurde im 17. Jahrhundert von Siedler*innen aus den Nieder­-     zusammen mit den Supermärkten die Preise und Arbeits-
landen und Frankreich ins Land gebracht. Sklav*innen            bedingungen. Die Rechte der Arbeiter*innen bleiben unter
arbeiteten auf den Feldern der Kolonialherren. Auch später      diesen Bedingungen auf der Strecke.
arbeiteten auf den Weinplantagen vor allem Schwarze
Menschen für Niedriglöhne. 1913 und 1936 sprachen Gesetze       Neo-Kolonialismus
90 Prozent des Landes der weißen Bevölkerungsminder-
heit zu. Viele Menschen mussten – ohne eigenes Land der         Zementiert werden diese neo-kolonialen Strukturen zudem
Möglichkeit zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft beraubt –       durch die Freihandelspolitik der wirtschaftlich starken
Lohnarbeit annehmen.36                                          Länder. Besonders in der Kritik standen etwa die Freihandels-
                                                                abkommen der EU mit afrikanischen und karibischen Staa-
Während der Apartheid ging die Ausbeutung der Arbeiter*in-      ten (sogenannte “Economic Partnership Agreements” – EPAs),
nen weiter. Dazu gehörten unmenschliche Lebensbedin-            die auf eine Öffnung der Märkte der ehemaligen Kolonien
gungen, Kinderarbeit und das sogenannte „Tot-System“, die       zielen. Die Folge: Große, zum Teil transnationale Konzerne ver-
Bezahlung der Arbeiter*innen mit Wein, was zu verbreite-        drängen kleinbäuerliche Strukturen und richten die Land-
tem Alkoholismus führte.37                                      wirtschaft auf Massenproduktion in Monokulturen und Export
                                                                aus. Den Volkswirtschaften des Globalen Südens wird es
Auch heute noch sind die kommerziellen Farmen und               durch die Konkurrenz aus den Industrieländern erschwert,
verarbeitenden Betriebe hauptsächlich in Besitz von weißen      einheimische Wertschöpfungsketten aufzubauen. Ihre
Menschen, 2018 gehörten lediglich 3% der Weinfarmen             Abhängigkeit von Weltmarktpreisen und großen Abnehmern
Schwarzen Farmer*innen.38                                       aus dem Norden steigt. So verbleiben die betroffenen
                                                                Staaten oft in der Rolle von Agrar- und Rohstofflieferanten;
Die Arbeiter*innen leben oft schon seit vielen Jahren in sehr   die Produktion höherwertiger Produkte ist von ausländi-
einfachen Behausungen direkt auf dem Farmgelände. Zwar          schen Firmen dominiert.41 42
soll der seit 1997 geltende „Extension of Security of Tenure
Act“ (ESTA) das Wohnrecht von Arbeiter*innen, die ohne          In Südafrika zeigt sich dies am Phänomen des Tankweins,
Eigentum auf Farmen leben verbessern, doch steht dieser als     der die Abfüllung in Flaschen und damit einen Teil der Wert-
unwirksam stark in der Kritik: Nach wie vor haben die Arbei-    schöpfung in die Abnehmerländer des Nordens verlagert.
ter*innen keine Eigentumsrechte an ihren Unterkünften und       In Costa Rica dominieren nur vier Firmen 91 Prozent des Bana-
können nach Vertragsende per offiziellem Gerichtsver-           nenhandels.43 Das Land liefert zu 64 Prozent Agrargüter
fahren zum Verlassen der Unterkunft gezwungen werden.39         nach Deutschland, während Deutschland fast ausschließlich,
Erst 2019 berichtete unter anderem Oxfams Partnerorga-          nämlich 96 Prozent, Industrieprodukte nach Costa Rica
nisation Women on Farms Project von Vertreibungen in gro-       exportiert.44 Der ungleiche Handel festigt und verschärft so
ßem Stil. So gab es allein in der Gemeinde Drakenstein          die ungerechten Strukturen, die bereits seit dem Koloni­
1.200 Zwangsräumungsverfahren. Betroffen waren 20.000           alismus bestehen.
Menschen.40
                                                                Dass von diesem Entwicklungsmodell weite Teile der Bevöl-
In Costa Rica etablierten US-amerikanische Konzerne den         kerung nicht profitieren, zeigen die hohen Ungleichheits­
Anbau von Bananen und Ananas zu Exportzwecken. Schon die        indikatoren der beiden Länder: Südafrika ist das Land mit der
ersten Arbeiter*innen auf den Bananenplantagen waren            größten Ungleichverteilung bei Einkommen weltweit, Costa
Migrant*innen, die zunächst für den Bau einer Eisenbahn-        Rica liegt in Lateinamerika auf Platz fünf.45
strecke zum neu gebauten Exporthafen Puerto Limón
angeworben wurden und dann auf den Farmen arbeiteten.

                                                                                                                            15
Hinter den Fassaden                        und dem Rewe-eigenen Label „Pro       Auch Upala Agrícola, deren Ananas
     der Plantagen –                            Planet“ zertifiziert.                 in deutschen Edeka- und Lidl-
     zwei Beispiele                                                                   Märkten verkauft werden, gehört zu
                                                Mit der Realität auf den Plantagen    den großen Ananas-Produktions-
     Wer im deutschen Discounter Penny,         der Unternehmensgruppe Grupo          firmen des Landes. Eigentümer des
     der zur Rewe-Group gehört, Ananas          Acón, zu der die Finca gehört, hat    laut eigener Website „in Harmo-
     aus Costa Rica kauft, kann mittels         das wenig zu tun. Die Unterneh-       nie mit der Natur und unternehmeri-
     eines QR-Codes mehr über ihre Her-         mensgruppe ist berüchtigt für die     scher Verantwortung“ wirtschaf-
     kunft erfahren: So stammen die             Sanktionierung gewerkschaftli-        tenden Unternehmens ist der ehe-
     Früchte beispielsweise von der 3.500       cher Organisierung. Zahlreiche Ge-    malige Landwirtschaftsminister
     Hektar großen Finca „Piña Frut“,           richtsentscheidungen47 belegen,       und Aufsichtsratsvorsitzender der
     die – so die Informationen hinter dem      wie Arbeiter*innen, die sich einer    Nationalbank, Alfredo Volio Pérez.
     QR-Code – „das Wohlbefinden der            Gewerkschaft anschließen, so-         Während Upala Agrícola in Costa Rica
     Arbeitnehmer, der Gemeinden und            fort gekündigt werden und erst nach   offiziell rote Zahlen schrieb und die
     der Umwelt in den Vordergrund              langen Gerichtsverfahren wieder       Arbeiter*innen Hungerlöhne erhielten
     stellt“ .46 Die Farm werde „in verant-     angestellt werden müssen. Über        (s. u.), flossen die Gewinne laut
     wortungsvoller Weise geführt, um           Arbeitsvermittler (sogenannte Con-    Pandora Papers aus dem boomenden
     zu einer nachhaltigen Entwicklung          tratistas) angestellte Arbeiter*in-   Ananas-Business in Volio Pérez’
     der Gemeinschaft beizutragen               nen berichteten zudem über Betrug     Offshore-Firma Upala Investments
     und um die Lebensqualität der Mit-         bei den Sozialversicherungsab-        in Panama.49
     arbeiter zu verbessern“. Der Be-           gaben (mehr zu den Contratistas
                                                                                                                              © Oxfam / Andres Mora

     trieb ist von der „Rainforest A
                                   ­ lliance“   auf S. 21).48

16
FALLBEISPIEL: ANANAS-
UND BANANENANBAU
IN COSTA RICA
                                                              ARBEITSMIGRATION IN COSTA RICA

„Meine älteste Tochter arbeitete auf der                      Etwa drei Viertel der migrantischen Arbeiter*innen in Costa
gleichen Farm wie ich und sie haben sie                       Rica stammt aus Nicaragua.53 Dabei sind fehlende wirt-
                                                              schaftliche Perspektiven im Heimatland und die Aussicht auf
rausgeworfen, weil ich Gewerkschafts-
                                                              bessere Arbeit die wichtigsten Gründe für die Migration
mitglied bin. Meine andere Tochter wollte                     nach Costa Rica, aber auch Naturkatastrophen wie Hurricanes
dort auch arbeiten, aber sie haben ihr                        werden als Anlass genannt. Weibliche Befragte führen
die Stelle nicht gegeben, weil ich in der                     immer wieder an, dass sie ihr Geburtsland verlassen haben,
                                                              um physischer und sexueller Gewalt zu entkommen.54
Gewerkschaft bin.“
Gladys*, Arbeiterin auf einer Plantage der Grupo Acón,        Offiziell können Arbeiter*innen mit einem Visum oder einer
die Rewe und Lidl beliefert
                                                              Arbeits­erlaubnis, die für die Arbeit auf einer bestimmten
                                                              Farm ausgestellt wird, nach Costa Rica kommen. Weil die offi-
Auf 14,6 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche      ziellen Papiere teuer sind, überqueren viele Menschen die
Costa Ricas werden Bananen, auf 10,6 Prozent Ananas           gut 300 Kilometer lange Grenze zwischen Costa Rica und
angebaut. Die Früchte gehören damit zu den wichtigsten        Nicaragua abseits der drei offiziellen Grenzübergänge ohne
Agrarprodukten des Landes.                                    gültige Papiere.

Costa Rica ist heute der größte Ananasexporteur welt­weit,    Arbeitsmigrant*innen ohne Papiere sind besonders leicht aus-
55 Prozent der exportierten Ananas kommen aus dem Land.       zubeuten: Sie müssen nicht nur ständig um ihre Stelle
Auch für den deutschen Markt ist Costa Rica der wich-         fürchten, sondern auch um ihren Aufenthalt. Wenn sie sich
tigste Ananaslieferant: Rund 75 Prozent der nach Deutsch-     etwa gewerkschaftlich organisieren, um ihre Rechte ein-
land importierten frischen Ananas kommen aus Costa Rica,      zufordern oder sich gegen Diskriminierungen zu wehren, müs-
was einem Umsatz von 77 Millionen Euro entspricht.50 Dabei    sen sie fürchten, vom eigenen Arbeitgeber bei der Polizei
hat die Ananas – früher noch eine in Deutschland relativ      angezeigt und möglicherweise abgeschoben zu werden. Aber
selten konsumierte Frucht – einen regelrechten Boom erlebt:   auch das Visum bringt Migrant*innen in Abhängigkeit ihrer
Zwischen 2002 und 2020 haben sich die Ananas-Importe          Arbeitergeber, denn es ist mit diesem nicht erlaubt, den Ar-
aus Costa Rica vervierfacht.51                                beitgeber zu wechseln.55 Nach Informationen von SITRAP
                                                              kommt es auf der Bananen­plantage Jardín del Tigre, die über
Mit Bananen aus Costa Rica wird in Deutschland jährlich ein   Fyffes an Aldi Süd liefert, vor, dass Migrant*innen Dokumen-
Umsatz von etwa 153 Millionen Euro gemacht. 17 Prozent        te mit falschen Namen ausgestellt werden. Nach drei Monaten,
der nach Deutschland importierten Bananen kommen aus          wenn sie bei der Sozialver­sicherung angemeldet werden
Costa Rica.52                                                 müssten, erhalten sie einen anderen Namen (Reaktion des
                                                              Unternehmens siehe S. 31).56
Gleichzeitig ist der Preisdruck auf die Produktionsfirmen
enorm: Der Ananaspreis hat sich in den vergangenen            Oft sind es Migrant*innen, die in den Niedriglohnsektoren weit
20 Jahren halbiert (vgl. Kapitel „­Marktkonzentration und     unter der Existenzsicherung arbeiten: Migrant*innen ver-
Marktmacht im ­Lebensmitteleinzelhandel“ auf S. 13).          dienen offiziellen Statistiken zufolge gerade einmal 60 Pro-
                                                              zent der costa-ricanischen Beschäftigten – bei ­Frauen ist
                                                              dieser Unterschied noch größer.57
  Bei der Arbeit versuchen die Arbeiter*innen sich
gegen Pestizide und Insekten zu schützen.

                                                                                                                         17
UM DEN MINDESTLOHN BETROGEN

„Wir haben jetzt 17 Tage auf einer Farm                                 MINDESTLÖHNE UND EXISTENZSICHERNDE
gearbeitet – und nicht einen Peso habe                                  LÖHNE IN COSTA RICA
                                                                        Quellen: Befragung von ARCA und Global Living
ich nach Hause gebracht. In einer Woche                                 Wage Coalition (2021)                                       672,50 €
haben wir gerade mal 12.000 Colones 61
                                                                        600
[ca. 18 Euro] verdient. Schon seit mehr als
                                                                                                                        400 €
einem Monat konnte ich gar kein Geld                                    400
an meine Familie schicken.“                                                                        245 €
Juan*, der über Arbeitsvermittler (Contratistas)                        200
für verschiedene Fincas gearbeitet hat                                         112,50 €

                                                                        0
In Costa Rica gibt es einen staatlich festgelegten Mindest­
lohn. In der Praxis wird dieser jedoch häufig nicht bezahlt                    Contratista-         fest­               Mindest-     existenz-
                                                                              Beschäftigte*r    angestellte*r           lohnlevel   sicherndes
und von staatlicher Seite kaum durchgesetzt. Zum einen ver-                                      Arbeiter*in                           Level
fügt die zuständige Kontrollbehörde, die „Arbeitsinspektion“,
nicht über die rechtlichen Mittel, um Bußgelder oder andere             Nachgewiesen werden kann die Unterschreitung des Min-
Strafen gegen Firmen zu verhängen. Zum anderen ist die                  destlohns ohnehin kaum, denn Verträge mit Arbeiter*innen
Arbeitsinspektion mit 115 Kontrolleur*innen für die sektor-             werden meist mündlich geschlossen und die Arbeitszeit
übergreifend mehr als zwei Millionen Beschäftigte stark                 so dokumentiert, dass den Arbeiter*innen weniger Arbeitszeit
unterbesetzt, Kontrollen finden besonders in den ländlichen             angerechnet wird, als sie tatsächlich geleistet haben.
Regionen selten statt.62

     Mindestlöhne weit unter                       Beispiel Südafrika: 2020 lag der –               Hinzu kommt: Oft müssen vom Lohn
     dem Existenzminimum                           sich jährlich leicht erhöhende –                 einer*s Arbeiter*in auch Kinder
                                                   Mindestlohn bei 3.362 Rand monat-                und andere Familienangehörige mit-
     In vielen Ländern existieren ge-              lich, das entspricht etwa 194 Euro.              versorgt werden. Berechnungen
     setzlich festgeschriebene Mindest-                                                             der Global Living Wage Coalition und
     löhne. Doch reichen diese oft zum             Der existenzsichernde Lohn für eine              der südafrikanischen NGO „Pieter-
     Leben nicht aus – das heißt, sie lie-         Arbeiter*in, zuletzt im Mai 2021                 maritzburg Economic Justice and
     gen unter den existenzsichernden              von der „Global Living Wage Coalition“           Dignity“ (PMBEJD) gehen davon aus,
     Löhnen. Existenzsichernd ist nach             berechnet, liegt für die Weinregion              dass zwischen 7.462 Rand 59 und
     Art. 23 Abs. 3 der Allgemeinen                Western Cape bei 4.596 Rand monat-               8.281 Rand 60, also etwa zwischen
     Erklärung der Menschenrechte von              lich, also bei etwa 265 Euro 58. Da-             431 und 477 Euro benötigt wer-
     1948 ein Lohn dann, wenn mit ihm              mit liegt der gesetzliche Mindest-               den, um einen Haushalt mit vier bis
     die Arbeitnehmer*in ihre Lebens-              ­lohn deutlich unter dem Lohn, der               fünf Mitgliedern zu versorgen.
     haltungskosten dauerhaft decken                für die Existenzsicherung nötig wäre.
     kann.

18
ARBEIT, DIE KRANK MACHT
© Oxfam / Andres Mora

                                                                                          Zu den ausbeuterischen Löhnen hinzu kommen die gesetzes-
                                                                                          widrigen und gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingun-
                                                                                          gen. So leisten Arbeiter*innen während der Erntezeit oft zahl-
                        Häuser von Arbeiter*innen in Pocora, Provinz Limón, Costa Rica.   reiche Überstunden, die offiziell nirgends dokumentiert
                                                                                          sind. Sie schuften mehr als zwölf Stunden pro Tag, obwohl
                        Die Folge: Keine der für diese Studie befragten Arbeiter*innen    gesetzlich acht Stunden und für schwere Arbeit in der
                        im Ananassektor erhält den Mindestlohn von 10.620 Colones         Landwirtschaft sechs Stunden als tägliche Höchstgrenze
                        (etwa 16 Euro) pro Tag. Festangestellte Arbeiter*innen gaben      vorgeschrieben sind.
                        an, zwischen 5.000 und 8.000 Colones pro Tag zu bekommen,
                        also zwischen 7,50 Euro und 12 Euro.                              Auch sind Arbeiter*innen gefährlichen Pestiziden aus­-
                                                                                          gesetzt – oft ohne die nötige Schutzkleidung zu erhalten.
                        Besonders prekär ist die Situation derjenigen, die über einen     Paula*, die auf einer Ananasplantage des Edeka-Liefe­
                        Arbeitsvermittler (Contratista) angestellt sind. Immer mehr       ranten Cítricos Bella Vista arbeitet, berichtet: „Wir Frauen
                        Fincas machen von diesem Modell Gebrauch, auch der Lidl-          baten um Schutzkleidung, bekamen aber keine. Den Män-
                        Zulieferbetrieb Finca Once. Manche Contratistas zahlen nur        nern gaben sie Overalls. Ich empfinde das als Diskriminierung.“
                        3.000 Colones (4,50 Euro) pro Tag, unter anderem berichtet        Fernanda*, eine Arbeiterin auf einer Ananasplantage des
                        das eine Arbeiterin von Edeka- und Lidl-Zulieferer Upala          Rewe-Zulieferers Grupo Acón sagt: „Wir bekommen keine
                        Agrícola. Dass es sich hierbei wahrlich um Hungerlöhne han-       Handschuhe, keine Masken. Und wenn sie dir Schutz-
                        delt, zeigt der Blick auf das existenzsichernde Niveau:           handschuhe geben, müssen sie drei Monate lang genutzt
                        Geht man von 25 Arbeitstagen aus, liegt es für die ländlichen     werden.“
                        Gebiete Costa Ricas laut „Global Living Wage Coalition” bei
                        knapp 446.000 Colones63 (673 Euro), bzw. bei 17.840 Colones       Gesundheitliche Probleme führen Arbeiter*innen auch auf die
                        pro Tag (26,90 Euro). Sowohl Finca Once als auch Upala            giftigen Stoffe, denen sie immer wieder ausgesetzt sind,
                        Agricola dementierten, dass bei ihnen Farmarbeiter*innen          zurück. Gladys*, Arbeiterin auf einer Bananenplantage: „Ich
                        über Contratistas beschäftigt seien und erklärten, alle           habe Brustkrebs und starke Schmerzen. Außerdem leide
                        Vorgaben zum Mindestlohn einzuhalten.                             ich unter Schwindel. Ich bin überzeugt, dass die Krankheiten
                                                                                          mit meiner Arbeit zu tun haben. Denn früher habe ich auf
                        Diese Missstände anzuzeigen, trauen sich die Arbeiter*innen       Bananenplantagen ohne Schutzkleidung gearbeitet – zum
                        meist nicht. Die Angst vor Konsequenzen spielt ebenso             Beispiel beim Reinigen. Es gab dazu eine rote und eine
                        eine Rolle wie physische Barrieren, etwa der lange Weg in die     weiße Flüssigkeit, die man mit Chlor mischen musste. Man
                        Hauptstadt, um eine Anzeige bei für Arbeitsschutz zustän-         bekam Handschuhe, aber sonst keinen Schutz. Einem
                        digen Behörde einzureichen.                                       wurde davon schwindelig und die Augen brannten.“

                                                                                                                                                      19
DISKRIMINIERUNG VON FRAUEN
Ein weiteres Problem für Frauen: Sie werden immer seltener
eingestellt, weil die Plantagenbesitzer befürchten, dass

                                                                                                                                © Oxfam / Andres Mora
ihnen im Falle einer Schwangerschaft Sozialversicherungs-
kosten entstehen. Maureen Gamboa, Gewerkschaftssekre-
tärin für Frauenrechte bei der Landarbeiter*innengewerk-
schaft SITRAP 3, fasst zusammen: „Mutterschaft ist in der       Pestizidtraktor auf einer Ananasplantage
Agrarindustrie nicht gern gesehen – nicht nur des Mutter-       in Pocora, Provinz Limón, Costa Rica.
schutzes und der Stillzeit wegen, sondern auch in der
Zeit danach, in der die Kinder betreut werden müssen.“ Da-      Schließen sich die Arbeiter*innen doch einer Gewerkschaft
bei hätten sich die Methoden der Unternehmen geändert:          an, folgt die Entlassung häufig auf den Fuß.64 Auch Familien-
Früher habe es Formulare zur Einstellung gegeben, auf denen     angehörige von Gewerkschaftsaktiven sind von Kündigun-
Frauen eintragen mussten, wie viele Kinder sie haben, ob        gen bedroht. Oxfam liegen zahlreiche Gerichtsentscheidun-
sie eine Operation zur Eileiter-Durchtrennung hatten und kei-   gen aus Costa Rica vor, die die unrechtmäßige Kündigung
ne Kinder mehr bekommen können – selbst der Zeitpunkt           von Gewerkschafter*innen feststellen.
des letzten Geschlechtsverkehrs wurde erfragt. „Heute sind
die Methoden subtiler“, so Gamboa. „Die Unternehmen             Besonders der Rewe- und Lidl-Zulieferer Grupo Acón fällt
stellen entweder gar keine Frauen mehr für die Feldarbeit       immer wieder wegen seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit auf.
ein, oder sie geben nur befristete Verträge von wenigen         So berichtet Didier Leiton von der Gewerkschaft SITRAP:
Monaten. Wenn die Frau zu Ablauf der Frist schwanger ist,
wird sie entlassen.“                                            „Die Grupo Acón ist radikal bei der Verfolgung von Gewerk-
                                                                schaften. Dort gibt es eine gezielte Politik der Ausgrenzung
                                                                und Diskriminierung von Gewerkschaftsaktiven. Selbst
GEWERKSCHAFTEN UNERWÜNSCHT                                      Familienmitglieder von Arbeiter*innen, die in der Gewerk-
                                                                schaft sind, werden nicht mehr eingestellt.“
Auch die Organisierung der Plantagenarbeiter*innen in
Gewerkschaften versuchen die Fruchtkonzerne zu ver­
hindern – zum einen durch das Einstellen von Migrant*innen      COVID-19
ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, die sich
aus Angst vor Abschiebung seltener organisieren, zum ande­-     Während der COVID-19-Pandemie zeigte sich die funda­
ren durch die Einstellung über Contratistas. Die Arbeits­       mentale Rolle, die die nicaraguanischen Arbeiter*innen für
vermittler lassen die Arbeiter*innen regelmäßig ihren Ein-      die Landwirtschaft in Costa Rica spielen: Grenzübergänge
satzort wechseln, so dass es für sie schwieriger wird,          wurden geschlossen, auch abseits der Grenzübergänge wur-
sich gewerkschaftlich zu organisieren.                          de patrouilliert. 74.000 Arbeitskräfte fehlten nach der
                                                                Grenzschließung, sodass die costa-ricanische Agrarindustrie
Dadurch ist in Gegenden, in denen besonders viele Arbei-        darauf drängte, die Arbeitskräfte ins Land zu lassen.65
ter*innen über Contratistas angestellt sind, der gewerk-
schaftliche Organisationsgrad sehr gering. So gaben 94 Pro-     Auf den Plantagen werden die vorgeschriebenen Corona-­
zent der befragten Arbeiter*innen in der vom Ananasanbau        Schutzmaßnahmen oft nicht eingehalten. So erhalten
geprägten Region Huetar Norte an, nie in einer Gewerkschaft     viele Arbeiter*innen keine Schutzkleidung wie Masken oder
organisiert gewesen zu sein.                                    werden trotz Kontakt mit Infizierten nicht in Quarantäne

20
Sie können auch lesen