Faire Erzeuger*innenpreise - in der Landwirtschaft - Bund für ...
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Faire Erzeuger*innenpreise Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. Schwedenstraße 15a 13357 Berlin Fon: 030-76 23 991-30 Fax: 030-76 23 991-59 Mail: foes@foes.de Auftraggeber: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) Kaiserin-Augusta-Allee 5 10553 Berlin Tel: 030 27 58 6 - 40 Fax: 030 27 58 6 - 440 E-Mail: bund@bund.net www.bund.net/landwirtschaft In der Broschüre werden sowohl die neutrale Schreibweise als auch das Gender-Sternchen (*) verwendet, um alle Geschlechter anzusprechen. Die Studie des FÖS wurde vom BUND e.V. beauftragt und muss nicht in allen Punkten die Position des BUND e.V. wiedergeben. Sie ist als Diskussionspapier für eine gesellschaftliche Debatte gedacht. Diese Broschüre wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit im Rahmen des Förderprojektes „GAP nach 2020: Für einen zukunftsfähigen Gesellschaftsvertrag mit der Landwirt- schaft – Umsetzung gesamtgesellschaftlicher Anforderungen“ des Bundesamtes für Naturschutz finanziert (Förderkennzeichen: 3517841400).
VORWORT Liebe Leser*innen, tagtäglich hart arbeiten, oft ohne wirkliches Wochenende Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat in ihrem Ab- und am Ende des Tages einen Lohn im Geldbeutel haben, schlussbericht2 im Sommer 2021 gefordert, dass die pau- der die Kosten nicht deckt? Lange Arbeitstage für misera- schale Flächenprämie, die momentan größtenteils wie mit ble Stundenlöhne? Ist das Ihr Alltag? Meiner nicht einer Gießkanne über Europas Äcker und Wiesen gegossen und dafür bin ich dankbar. Aber für Menschen in der Land- wird, schrittweise abgeschafft werden muss. Spätestens wirtschaft ist das oft Realität. Sei es für selbstständige 2034 soll damit Schluss sein – aus Sicht des BUND deutlich Bäuerinnen und Bauern, aber auch für ihre Angestellten früher. Gleichzeitig sind Prämien aufzubauen, um die zu- und saisonalen Arbeitskräfte. Immer weniger Menschen sätzlichen gesellschaftlichen Leistungen auf den Bauern- wollen in der Landwirtschaft arbeiten und immer mehr höfen zu honorieren. Beispielsweise für den Naturschutz, Höfe geben auf. eine bessere Tierhaltung, für den Schutz der Umwelt, der Böden, der Gewässer oder des Klimas. Die Über die viel zu niedrigen Erzeuger*innenpreise, also die Landwirt*innen müssen sich also darauf einstellen, dass Beträge, die Landwirt*innen für ihre Produkte bekommen, die pauschale Flächenprämie immer weniger zu ihrem Ein- wird schon lange diskutiert. Doch eine Lösung ist nicht kommen beitragen wird. Von der Politik können sie zu in Sicht. Landwirt*innen werden mit diesem Problem von Recht erwarten, dass sie diesen Transformationsprozess der Politik leider alleine gelassen. Märkte werden nicht so begleitet. Ein wichtiger Baustein dafür sind Rahmenbedin- geregelt, dass immer faire Preise für die Erzeuger*innen gungen für faire Erzeuger*innenpreise. gezahlt werden. Die Marktmacht des Handels wird nicht so eingegrenzt oder die Verhandlungsmacht der Erzeuger*innen Doch wie kann das gelingen? Gibt es eine Pauschallösung so gestärkt, dass dabei bessere Erzeuger*innenpreise oder muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden? herauskommen. Gleichzeitig wird betont, wie wichtig die Und was sind eigentlich faire Preise? Diese und weitere Agrarfördermittel aus Brüssel sind, um die Einkommen der Fragen haben wir dem Forum Ökologisch-Soziale Markt- Landwirt*innen zu stabilisieren. Ohne diese Gelder sähe es wirtschaft gestellt und um einen politischen Input in Form auf den Höfen ganz schön düster aus. Durchschnittlich 40 einer Studie gebeten. Diese halten Sie nun in Ihren Händen. Prozent des Einkommens kommen aus diesen Fördermitteln, Ich wünsche eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre. teilweise sogar bis zu 70 Prozent. Sind die Agrarmilliarden aus der EU-Agrarpolitik also schuld daran, dass die Politik sich gar nicht bemüht, faire Erzeuger*innenpreise zu ermöglichen? Mit freundlichen Grüßen Für einen Umweltverband mag es auf den ersten Blick selt- sam erscheinen, warum wir uns mit den Preisen, die Land- wirt*innen für ihre Waren erhalten, beschäftigen. Auf den zweiten Blick sieht man jedoch, wie Ökologie und Soziales auch hier zusammenhängen. Ich habe ein gewisses Ver- ständnis für unterbezahlte Landwirt*innen, wenn sie aus wirtschaftlichen Zwängen nicht natur- und umweltge- Olaf Bandt recht arbeiten können. Wenn Bauern und Bäuerinnen fair Vorsitzender des BUND für ihre Arbeit entlohnt werden, also auch dadurch Aner- kennung und Wertschätzung erfahren, dann wird auch Raum und die Bereitschaft entstehen, die vielfach einge- forderten gesellschaftlichen (Zusatz-)Leistungen zu erbrin- gen. Für den Klimaschutz, eine gesunde Umwelt und für 1 eine artgerechte Tierhaltung. Diese sozial-ökologischen https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/bund/bundest- agswahl/bund_zukunftsagenda_fuer_die_vielen.pdf Zusammenhänge hat der BUND in seiner „Zukunfts- agenda“1 gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrts- 2 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Landwirtschaft/abschlussber- verband aufgeschrieben. icht-zukunftskommission-landwirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=2 3
ZUSAMMENFASSUNG Derzeit liegen viele Erzeuger*innenpreise für agrar- und bieten Indikatoren dafür, dass auch in der gartenbaulichen gartenbauliche Produkte unter den Produktionskosten. Die Produktion nicht bei allen Produkten und Vermarktungs- Erzeuger*innen erhalten oftmals keine kostendeckenden formen faire Erzeuger*innenpreise erzielt werden. Es stellt Preise für ihre Produkte und sind teilweise abhängig von sich insbesondere die Frage, wie der Preis für angemessene Fördermitteln aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). In Entlohnung und Unterbringung von (temporären) Arbeits- dieser im Auftrag des BUND e.V. und vom FÖS erstellten kräften adäquat in faire Erzeuger*innenpreise integriert Untersuchung, werden an den Beispielen von Milch, Eiern werden kann. Eine Vollkostenrechnung für verschiedene und Hühnerfleisch kostendeckende Preise ermittelt. Beim gartenbauliche Produkte steht bisher noch aus. Gartenbau wird die Diskrepanz zwischen Kosten und Prei- sen qualitativ beschrieben. Darauf basierend stellen die Instrumentenmix Autor*innen Instrumente vor, mit denen faire Erzeuger*in- In der Untersuchung werden fünf Instrumentengruppen, nenpreise erzielt werden können und beleuchten mögliche die politisch genutzt werden können, um höhere Auswirkungen fairer Preise. Erzeuger*innenpreise zu erzielen, diskutiert: (1) Informa- tion, (2) freiwillige Selbstverpflichtung, (3) ökonomische Unter fairen Erzeuger*innenpreisen verstehen die Instrumente, (4) Planungsrecht und (5) Ordnungsrecht. Autor*innen Preise, die mindestens alle Produktions- kosten decken und mit denen faire Löhne gezahlt wer- (1) Informatorische Instrumente sind zwar leicht zu im- den können. plementieren, ihre Wirkung ist jedoch begrenzt. So ist das Konsum- und Ernährungsverhalten meist an Gewohnheiten, Die Gründe für zu niedrige Preise sind vielfältig. Bei einigen Tradition, Verfügbarkeit und finanzielle Mittel geknüpft. Lebensmitteln liegt das Angebot deutlich über der Nach- Dennoch sind Informationen ein wichtiges Instrument im frage und die Landwirt*innen stehen nur einer geringen politischen Werkzeugkoffer. Ohne sie wäre es nicht möglich, Zahl an Abnehmern aus Handel, Molkereien und Schlacht- eine Akzeptanz für die weiteren politischen Instrumente zu höfen gegenüber. Diese Abnehmer sind aufgrund der sehr erzielen. hohen Supermarktdichte in Deutschland bemüht, mit nied- rigen Preisen Kundschaft zu gewinnen. Das schwächt die (2) Freiwillige Selbstverpflichtungen hätten aufgrund der Verhandlungsposition der Erzeugenden, da sie ihre Ware Marktkonzentration bei den wenigen Handelsunternehmen nicht ohne Weiteres an andere Abnehmer verkaufen kön- hypothetisch ein großes Potenzial. Für eine Übereinkunft, nen. Diese komplexe Problemlage erfordert eine Vielfalt an Agrarprodukte nicht mehr unter den Produktionskosten zu Politikinstrumenten, die an verschiedenen Punkten der Pro- vertreiben, müssten nur wenige Handelsketten eingebunden duktions-Handels-Konsumkette ansetzen müssen, damit werden. Hierbei muss bedacht werden, dass dies nicht in faire Erzeuger*innenpreise erreichen werden können. Form von Preisabsprachen erfolgen darf und freiwillige Selbstverpflichtungen juristisch nicht anfechtbar sind. Schere zwischen Erzeuger*innenpreisen und Kosten Zudem ist anzunehmen, dass die Bereitschaft für solche Bevor auf die Instrumente eingegangen wird, errechnen Selbstverpflichtungen stark an die mediale Berichterstattung die Autor*innen kostendeckende Preise für die Produkte gebunden ist (wie nach den Bäuer*innenprotesten 2019/20). Milch, Eier und Hühnerfleisch und stellen diese den tat- Nimmt diese ab, könnte der Kooperationswille schnell im sächlich an die Erzeuger*innen ausgezahlten Preisen ge- Sande verlaufen und der Konkurrenzkampf weiterhin auf genüber. Mit einer Differenz von -2,58 Cent pro Kilogramm dem Rücken der Erzeuger*innen ausgetragen werden. stellt sich die Diskrepanz zwischen Kosten und Leistungen bei der Milch am gravierendsten dar. Auch beim Hühner- (3) Ökonomische Instrumente haben das Potenzial, zu hö- fleisch decken die Preise nicht die Kosten. Nur in einzelnen heren, kostendeckenden Erzeuger*innenpreisen und zeit- Fällen können für Eier Preise erzielt werden, die höher als gleich zur Realisierung höherer Tierwohl- und die tatsächlichen Kosten sind. Im Produktionsgartenbau Umweltstandards beizutragen. Durch eine Tierwohlabgabe sehen sich die Produzent*innen mit einem höheren Perso- könnten Stallumbauten finanziert und Landwirt*innen ent- nalaufwand, hohen Anforderungen an Qualität und Optik lastet werden. Alternativ wird auch die Idee einer Art EEG1- der Produkte, einem geringen Selbstversorgungsgrad – Umlage für die Landwirtschaft diskutiert. Überdies wird lediglich etwa 35 Prozent des in Deutschland konsumier- die Anhebung von Transfergeldleistungen im Sinne des So- ten Gemüses und nur 22 Prozent des Obstes werden im Inland produziert – und dadurch mit einem hohen Konkur- renzdruck konfrontiert. Qualitative Beispiele aus der Praxis 1 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 4
zialgesetzbuchs und des Mindestlohns empfohlen, da not- nahmen und umweltpolitische Instrumente wie Reglemen- gedrungene preissensible Kaufentscheidungen der Ver- tierung von Stallausbauten und Stickstoffüberschussab- braucher*innen auch als ein Grund für die niedrigen gabe von zentraler Bedeutung. Erzeuger*innenpreise angeführt werden. Die Untersuchung des FÖS bietet verschiedene Impulse, (4) Das Planungsrecht spielt in diesem Kontext eine un- wie höhere Erzeuger*innenpreise erzielt werden können. terstützende Rolle, indem es dazu beitragen soll, die po- Dabei ist ersichtlich: Ein Instrument allein reicht nicht. Not- tenziellen Nebeneffekte höherer Erzeuger*innenpreise zu wendig ist eine Mischung aus verschiedenen politischen verhindern – wie zum Beispiel Mehrproduktion. Instrumenten. Nun ist die Politik gefragt, ein sinnvolles Konglomerat aus den politischen Instrumentengruppen (5) Innerhalb des Ordnungsrechts bietet das Wettbe- anzuwenden, um den Umbau hin zu einer klima- und um- werbsrecht einen Ansatzpunkt, um den Verkauf unterhalb weltfreundlichen Landwirtschaft voranzubringen. der Erzeugungskosten zu verhindern. Mit einem erweiter- ten Kartellrecht, um die kleine Anzahl an Handelsunter- nehmen zu entflechten, könnten höhere Preise erzielt werden. Zusätzlich würde ein Werbeverbot die moralisch besonders fragwürdigen Lockangebote mit zum Beispiel tierischen Produkten unterbinden. Unter sonstige Instrumente nennen die Autor*innen noch Erzeuger*innengemeinschaften und die Direktvermarktung. Beide Instrumente können sich positiv auf Erzeuger*innen- preise auswirken. Durch den Zusammenschluss zu Erzeu- ger*innengemeinschaften können Transaktionskosten reduziert sowie das Know-how gebündelt werden, und bei der Direktvermarktung umgeht man die Abhängigkeiten von wenigen Abnehmern. Die große gesellschaftliche Bedeutung fairer Erzeu- gerpreise Faire Erzeuger*innenpreise würden Landwirt*innen und deren Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, ein ange- messenes Einkommen zu generieren, das ihren Arbeitsauf- wand honoriert und sie finanziell absichert. Darüber hinaus sollte mit fairen Preisen der Investitionsbedarf in Tierwohl- maßnahmen und in Innovationen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft wie Digitalisierung, Umwelt- und Klima- schutz gedeckt werden. Außerdem können faire Preise dazu beitragen, die Abhängigkeit von Agrarfördermitteln zu reduzieren. Denn die Reform der EU-Agrarpolitik weg von der pauschalen Ausschüttung flächengebundener Zah- lungen hin zur Honorierung von Umweltleistungen stellt eine Schlüsselkomponente auf dem Weg zu einer klima- freundlichen und nachhaltigen Landwirtschaft dar. Dies hat die Zukunftskommission Landwirtschaft in ihrem Ab- schlussbericht im Sommer 2021 deutlich gemacht. Aller- dings können die höheren Gewinnmargen wiederum zu einer Produktionsausweitung beitragen. Um dem entge- genzuwirken, sind begleitende planungsrechtliche Maß- 5
Faire Erzeuger*innenpreise Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund ................................................................................................................................................................. 8 1.1 Rahmenbedingungen – Das Subventionssystem ......................................................................................................... 8 1.2 Was kommt bei den Erzeuger*innen an? ......................................................................................................................... 9 1.3 Gründe für niedrige Erzeuger*innenpreise ..................................................................................................................... 11 1.3.1 Überproduktion...................................................................................................................................................................... 11 1.3.2 Marktmacht weniger Handelsketten und hohe Supermarktdichte................................................................. 12 1.3.3 Discounterkultur .................................................................................................................................................................... 12 1.4 Auswirkungen auf die Produzent*innen, die Natur, das Klima und die Tierhaltungsbedingungen ........ 13 1.4.1 Auswirkungen auf die Landwirt*innen ......................................................................................................................... 13 1.4.2 Auswirkungen auf Natur und Klima ............................................................................................................................... 14 1.4.3 Tierhaltungsbedingungen ................................................................................................................................................. 15 2 Faire Erzeuger*innenpreise ..................................................................................................................................... 16 2.1 Milch ................................................................................................................................................................................................. 16 2.1.1 Kostenkomponenten der Milchproduktion ............................................................................................................... 16 2.2 Eier .................................................................................................................................................................................................... 18 2.3 Hühnerfleisch ............................................................................................................................................................................... 18 2.4 Gartenbau ...................................................................................................................................................................................... 18 3 Realisierung fairer Erzeuger*innenpreise ............................................................................................................. 21 3.1 Information .................................................................................................................................................................................... 21 3.2 Freiwillige Selbstverpflichtung.............................................................................................................................................. 22 3.3 Ökonomische Instrumente..................................................................................................................................................... 23 3.3.1 Tierwohlabgabe ...................................................................................................................................................................... 23 3.3.2 EEG-Umlage für Agrarprodukte..................................................................................................................................... 24 3.3.3 Finanzielle Unterstützung für Landwirt*innen, die ihre Tierbestände abbauen ........................................ 24 3.3.4 Anheben der Transfergeldzahlungen und des Mindestlohns ............................................................................ 25 3.4 Planungsrecht .............................................................................................................................................................................. 25 3.5 Ordnungsrecht ............................................................................................................................................................................ 25 3.5.1 Verbot von tierischen Produkten als Lockangebote .............................................................................................. 26 3.5.2 Verbot von Verkaufspreisen unterhalb der Produktionskosten........................................................................ 26 3.5.3 Kartellrecht............................................................................................................................................................................... 26 3.6 Sonstiges ........................................................................................................................................................................................ 27 3.6.1 Erzeuger*innengemeinschaften ..................................................................................................................................... 27 3.6.2 Direktvermarktung stärken ............................................................................................................................................... 27 4 Wirkungen fairer Erzeuger*innenpreise ............................................................................................................... 28 4.1 Faire Entlohnung für Angestellte und Saisonarbeiter*innen ................................................................................... 28 4.2 Investitionskapital ....................................................................................................................................................................... 28 4.3 Rücklagen für Missernten ....................................................................................................................................................... 29 4.4 Anbau, Bewirtschaftung und Pflege von Agroforstsystemen, Dauergrünland und anderen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen.................................................................................................................................................................. 29 4.5 Reform des Subventionssystems ......................................................................................................................................... 29 5 Diskussion und Fazit.................................................................................................................................................. 30 5.1 Potenzial und Gefahr ................................................................................................................................................................ 30 5.2 Fazit .................................................................................................................................................................................................. 31 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................................................... 33 6
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 2 von 33 Überblick Erzeuger*innenpreise für viele Agrar- und gartenbauliche Produkte liegen unterhalb der Produktionskosten. So le- ben derzeit viele Landwirt*innen und Gärtner*innen von den Direktzahlungen aus den GAP-Subventionen statt von den Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Waren. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Im Rahmen dieser Studie wer- den Instrumente vorgestellt, die dazu beitragen sollen, faire Erzeuger*innenpreise zu erzielen. Derzeit erhalten Erzeuger*innen bei vielen Lebensmit- Ökonomische Instrumente (Kapitel 3.3) teln keinen kostendeckenden Erzeuger*innenpreis. Planungsrecht (Kapitel 3.4) Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen überschrei- Ordnungsrecht (Kapitel 3.5) und tet bei einigen Lebensmitteln das Angebot deutlich die Nachfrage, was den Angebotspreis drückt, zum ande- Sonstiges (Kapitel 3.6) ren stehen die Landwirt*innen einer sehr kleinen Zahl Anschließend wird die Wirkung fairer Erzeuger*innen- an Abnehmern (wie Handel, Molkereien, Schlachthö- preise diskutiert (Kapitel 4) und in einem abschließen- fen) gegenüber, die aufgrund der sehr hohen Super- den Fazit (Kapitel 5) die Studienergebnisse zusam- marktdichte in Deutschland bemüht sind, mit niedri- mengefasst. gen Preisen Kund*innen zu werben und an sich zu bin- den. Dies schwächt die Verhandlungsposition der Er- zeuger*innen, da sie ihre Ware nicht ohne Weiteres ei- nem anderen Abnehmer verkaufen können. Schluss- endlich sind auch die Konsument*innen durch ein sehr preisbewusstes Einkaufsverhalten an den niedrigen Lebensmittelpreisen beteiligt. Bei einer so komplexen Problemlage gibt es kein ein- zelnes Politikinstrument, mit dem das Ziel der fairen Er- zeuger*innenpreise erreicht werden könnte. Stattdes- sen muss ein Politikmix implementiert werden, der an verschiedenen Punkten der Produktions-Handels- Konsumkette ansetzt. Im Rahmen dieser Studie werden verschiedene Instru- mente aus den Bereichen Information, freiwillige Selbstverpflichtung, ökonomische Instrumente und Ordnungsrecht vorgestellt, die dazu beitragen können, dass Landwirt*innen faire Erzeuger*innenpreise erzie- len können. Hierfür werden zunächst die Rahmenbedingungen er- läutert, in denen Lebensmittel derzeit produziert wer- den. Hierzu gehört sowohl das Subventionssystem (Kapitel 1.1), als auch die Frage, welche Preisbestand- teile bei welchen Akteuren in der Produktions-Han- dels-Konsumkette anfallen (Kapitel 1.2). Anschließend wird dargestellt, warum die Erzeuger*innenpreise so niedrig sind (Kapitel 1.3). Darüber hinaus werden die Auswirkungen auf die Erzeuger*innen, Umwelt, Klima und Tierwohl benannt (Kapitel 1.4). Im zweiten Teil der Studie werden die Produktionskos- ten für ausgewählte Produkte den Erzeuger*innen- preisen gegenübergestellt (Kapitel 2). Den Kern des Papiers macht Kapitel 3 aus, in dem mög- liche Instrumente zur Erzielung fairer Erzeuger*innen- preise vorgestellt werden: Information (Kapitel 3.1) Freiwillige Selbstverpflichtung (Kapitel 3.2) Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 7
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 3 von 33 1 Hintergrund Die Direktzahlungen sollen künftig nur noch an sol- che Betriebe gezahlt werden, die bestimmte „Niedrige Preise, existenzbedrohte Bauern – Wer ist Grundanforderungen im Bereich des Umwelt- und schuld?“ 1 oder „Bauern blockieren Zentrallager von Klimaschutzes erfüllen (das Prinzip der Konditiona- Aldi: Hunderte Bauern haben gegen die Niedrigpreise lität). Mindestens drei Prozent der landwirtschaftli- für Lebensmittel in Discountern demonstriert. Die bis- chen Fläche müssen brachliegen, ebenso gilt ein lang vorgeschlagenen Maßnahmen reichen ihnen Verbot zur Umwandlung von Dauergrünland, Moo- nicht“2. Diese und ähnliche Schlagzeilen kann man seit ren und Feuchtgebieten. Jahren in den Medien lesen und hören. Das Problem 25 Prozent der Direktzahlungen werden an weitere der niedrigen Erzeuger*innenpreise, die zum Teil noch „Öko-Regelungen“ (Eco-Schemes) gekoppelt; an nicht einmal die Kosten der Lebensmittelprodu- den pestizidfreien Ackerbau oder die Anlegung zent*innen decken und zu dem „Höfesterben“, also der und Pflege von Agroforsten zur Bindung von Treib- Aufgabe besonders kleinerer Familienbetriebe maß- hausgasemissionen. geblich beitragen, ist immer wieder Thema im media- Von den derzeitigen sechs sollen ab 2022 acht Pro- len und politischen Diskurs und trotzdem ändert sich zent der Finanzmittel der ersten Säule in die zweite wenig. Säule umgeschichtet werden. Ab 2026 soll dieser Anteil sogar 15 Prozent betragen. 1.1 Rahmenbedingungen – Das Mit diesen angestrebten Reformen bleibt die pau- Subventionssystem schale Flächenprämie, also die Bindung der Direktzah- lungen an die Größe der landwirtschaftlichen Nutzflä- Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäi- che, weiterhin erhalten. Damit wird Landbesitz stärker schen Union (EU) ist mit einem Subventionsvolumen honoriert als Umwelt- und Klimaschutz. Umwelt- und von derzeit 58 Milliarden Euro jährlich der größte Naturschutzverbände sowie die Arbeitsgemeinschaft Haushaltsposten der EU. Die Subventionen sind auf bäuerliche Landwirtschaft (AbL) oder der Deutsche zwei Säulen aufgeteilt. Die erste Säule, die etwa 80 Verband für Landschaftspflege (DVL) fordern daher Prozent des Gesamtbudgets ausmacht, beinhaltet die schon länger eine schrittweise Abschaffung der pau- Direktzahlungen an die Landwirt*innen sowie Markt- schalen Flächenprämie, um dafür Umweltschutz- und maßnahmen zur Unterstützung bei Preisverfall (BMEL Tierwohlmaßnahmen stärker belohnen zu können (top 2019a). Die Direktzahlungen sind an die Größe der agrar 2019). Denn die Direktzahlungen sind vor allem landwirtschaftlichen Fläche gekoppelt. Mit den finan- zum Vorteil größerer landwirtschaftlicher Betriebe ziellen Mitteln der zweiten Säule werden Förderpro- (Heinrich Böll Stiftung 2020). Das aktuelle Modell setzt gramme für die ländliche Entwicklung oder den ökolo- zumindest aus Umweltperspektive die falschen An- gischen Landbau umgesetzt (BMEL 2019a). Für die reize. So ist es finanziell vorteilhafter, die Anbaufläche Förderperiode von 2014 bis 2020 standen in Deutsch- zu vergrößern, als in Klima- und Umweltschutzmaß- land 6,2 Milliarden Euro jährlich an EU-Mitteln für die nahmen zu investieren. erste Säule und 1,35 Milliarden Euro für die zweite Da die Lebensmittelpreise in Deutschland jedoch Säule zur Verfügung. Die Förderrichtlinien der GAP teils so niedrig sind, dass Erzeuger*innen die Pro- werden alle sieben Jahre reformiert. Bis Sommer 2021 duktionskosten nicht decken können und keinen an- liefen die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kom- gemessenen Stundenlohn für ihre Arbeit erhalten, mission, EU-Parlament und den EU-Agrarminister*in- sind viele Betriebe auf die EU-Agrarsubventionen nen für die nächste GAP-Reform, die am 1. Januar 2023 angewiesen, um ihre Betriebskosten zu decken. So in Kraft treten wird und die Verteilung der Mittel für die betrug der Anteil der Direktzahlungen am Einkommen Förderperiode 2023-2027 bestimmt (EU Parlament deutscher Landwirt*innen im Jahr 2020 im Schnitt 42 2021). Im Juni 2021 hatte der Bundestag bereits drei Prozent. Auf kleineren Höfen hingegen und bei Land- Gesetze zur nationalen Ausgestaltung der GAP be- wirt*innen mit Nebenerwerb kommen sogar 90 Pro- schlossen. Diese hatten jedoch vorläufigen Charakter zent des landwirtschaftlichen Einkommens aus Direkt- und konnten erst nach Ende der Trilog-Verhandlun- zahlungen (BLE o. J.). gen und Einigung über den endgültigen europäischen Auch unter den Betriebsformen variiert der Anteil der Rechtsrahmen in Kraft treten. Subventionen am Betriebseinkommen signifikant Wesentliche Punkte des nationalen Strategieplans (siehe Abbildung 1). Während haupterwerbliche Gar- sind: tenbaubetriebe (unter anderem Anbau von Gemüse 2 1 Bayrischer Rundfunk (14.02.2021) https://www.br.de/nach- Zeit-Online (08.12.2020) https://www.zeit.de/wirt- richten/bayern/niedrige-preise-existenzbedrohte- schaft/2020-12/protest-discounter-aldi-preispoli- bauern-wer-ist-schuld,SOoue9g tik-lebensmittel-preisverfall Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 8
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 4 von 33 und Zierpflanzen) nur einen geringen Anteil ihres Ein- Landwirt*innen einen teils erheblichen Anteil ihres kommens durch den Empfang von Subventionen er- Einkommens über die Subventionen generieren und zielen (2,1 Prozent), liegt der Anteil bei Milchviehbe- ihre Ware so sehr günstig, teils zu einem Preis trieben bei 54,2 Prozent, bei Ackerbaubetrieben bei 56 unterhalb der Produktionskosten verkaufen können Prozent und bei Betrieben, die sich auf den Anbau von und aufgrund des Preisdrucks schlussendlich auch Futtermitteln spezialisiert haben, sogar bei 99,8 Pro- müssen, hat sich wenig geändert (Tangermann 2014). zent (BMEL 2021a). Die Forderung, mehr Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zu realisieren und die Abbildung 1: Anteil der Subventionen bei Tierwohlstandards zu erhöhen, lösen bei den Haupterwerbsbetrieben am Bäuerinnen und Bauern daher zum Teil vehemente Betriebseinkommen nach Proteste aus, da die Mehrkosten gerade kleine und Betriebsform in Prozent mittlere Betriebe finanziell überlasten können. Eine 120,00% Abschaffung der Subventionen ohne begleitende Anteil der Subventionen am Maßnahmen zur Erzielung fairer Preise würde daher 100,00% das „Aus“ für viele Betriebe bedeuten. Betriebseinkommen 80,00% Eine Umstrukturierung des Subventionssystems muss daher mit einer Preispolitik sowie einer Diversifizierung 60,00% der Einnahmequellen flankiert werden, die es Land- 40,00% wirt*innen ermöglichen, von dem Verkauf ihrer Pro- dukte zu leben. Das erstrebenswertere Ziel ist es daher, 20,00% den Landwirt*innen Erzeuger*innenpreise zu zahlen, 0,00% die ihre laufenden Betriebskosten decken, um der Ab- hängigkeit von den Direktzahlungen entgegenzuwir- Gartenbau Obstbau Sonst. Futterbau Veredlung Gemischt Ackerbau Weinbau Milch Insgesamt ken. Zeitgleich könnte bei erfolgreicher Erzielung fairer Erzeuger*innenpreise die Honorierung von Umwelt- systemdienstleistungen ausgebaut werden (siehe Ka- pitel 4.5). Betriebsform 1.2 Was kommt bei den Quelle: (BMEL 2021a) Erzeuger*innen an? Ein Wegfall der Subventionen würde folglich die Mit veränderten Produktions-, Verarbeitungs-, Han- Existenz vieler, vor allem kleinerer Höfe, bedrohen. Bei dels- und Konsumgewohnheiten hat sich die Auftei- der Implementierung der GAP-Subventionen wurde lung der Erlöse auf die verschiedenen Produktions- kein Abbaupfad mitkonzipiert, sodass eine langfristige und Vertriebsakteure deutlich verschoben. Ging im Abhängigkeit nicht vermieden werden kann. Die Jahr 1970 noch ein Großteil der Verkaufserlöse an die Ausschüttungsbedingungen wurden in der Landwirt*innen, war es im Jahr 2019 bei einigen Pro- Vergangenheit zwar angepasst (früher waren sie an die duktgruppen nur noch ein Bruchteil (siehe Abbildung Menge der produzierten Güter gekoppelt, was 2; Bundesinformationszentrum Landwirtschaft o. J.). Überproduktion honoriert und zu den berühmten Ein Großteil der Gewinnmarge wird bei den verarbei- Butterbergen und Milchseen führte; heute sind sie tenden Betrieben oder im Handel abgeschöpft. flächengebunden). An dem Grundprinzip, dass Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 9
Abbildung 2: Welcher Anteil der Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel kommt bei den Landwirt*innen an? Quelle: (Bundesinformationszentrum Landwirtschaft o. J.) Am Beispiel der Milch wird in Abbildung 3 dargestellt, wie groß der Anteil des Verbraucher*innenpreises der verschiedenen beteiligten Akteure im Produktions- und Handelsprozess ist. Von den 78 Cent, zu denen im Jahr 2018 in Discountermärkten ein Liter Milch ver- kauft wurde, waren 5,1 Cent Mehrwertsteuern. 13 Cent verblieben beim Handel, der damit unter anderem La- gerung, Logistik, Handlingskosten, Kühlung und eine Gewinnmarge deckte. 1,8 Cent entfielen auf die Ent- sorgungsgebühr für den Grünen Punkt sowie weitere 8,5 Cent auf die Verpackung. Auch die Molkerei erhielt 8,3 Cent, in denen unter anderem die Kosten für Ener- gie, Wasser, Reinigungsmittel, Personal, Produktion und Abfüllanlage enthalten sind. Lager- und Logistik- kosten für den Transport zwischen Molkerei und Ein- zelhandel schlagen mit 2,5 Cent zu Buche, weitere 0,6 Cent fallen für den Verwaltungsaufwand an. Der Trans- port vom Hof zur Molkerei kostet etwa 1,4 Cent (Agrar- Heute 2018). Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 10
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 6 von 33 Abbildung 3: Zusammensetzung des Milchpreises marktdichte und auch das sehr preisbewusste Ein- kaufsverhalten der Konsument*innen, die gerne zu 90 den günstigsten Angeboten greifen. Mehrwertsteuer 1.3.1 Überproduktion 80 Die Produktion von Lebensmitteln wurde in Deutsch- land in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestei- Handelsspanne gert, beispielsweise im Fall von Fleisch: Lag die 70 Schlachtmenge in Deutschland im Jahr 1995 noch bei knapp 5,51 Millionen Tonnen, waren es im Jahr 2020 rund 8,5 Millionen Tonnen (BMEL 2021b; FÖS 2020). DSD- Die Nachfrage nahm hingegen im gleichen Zeitraum 60 Entsorgungsgeb von 5,05 Millionen Tonnen auf 4,77 Millionen Tonnen ühr Grüner leicht ab (BMEL 2021b; FÖS 2020). Punkt Abbildung 4: Schlachtmenge und Fleischkonsum 50 Lagerkosten im Vergleich 1995 zu 2020 (in Millionen Tonnen) Cent 9 40 Verpackung 8 7 in Mio. Tonnen 30 6 Molkerei 5 4 20 3 2 Transport vom Hof zur 1 10 Molkerei 0 1995 2020 Milchbetrieb Jahr 0 Milchpreis Schlachtmenge in Deutschland Fleischkonsum in Deutschland Quelle: (AgrarHeute 2018) Quelle: (BMEL 2021b; FÖS 2020) Bleiben noch rund 36 Cent, die an die Erzeuger*innen fließen. In Kapitel 2.1 werden diesem Erzeuger*innen- Bei Milch erhöhte sich die Menge der Milchanlieferung preis die Produktionskosten gegenübergestellt und in Deutschland innerhalb von 20 Jahren um 20 Pro- aufgezeigt, dass dieser nicht kostendeckend ist. zent, nämlich von 27 Millionen Tonnen (2000) auf 32,6 Millionen Tonnen (2020) (Statista 2020a; Statista 2021a). Damit übersteigt die zur Verfügung stehende 1.3 Gründe für niedrige Milchmenge deutlich die inländische Nachfrage für Erzeuger*innenpreise Konsummilch und Milchwaren. Abbildung 5 zeigt den Die Gründe für die niedrigen Erzeuger*innenpreise Selbstversorgungsgrad von Milch(waren) im Jahr 2019 von Lebensmitteln sind vielfältig und unterscheiden (das Jahr 2020 stellt aufgrund der Pandemie einen sich teilweise zwischen verschiedenen Lebensmittel- Sonderfall dar und eignet sich aufgrund des unge- gruppen. Im Folgenden werden drei Hauptgründe be- wöhnlichen Konsumverhaltens in dem Jahr nicht zur nannt und beschrieben: Die Produktionsmenge, die Analyse der Marktsituation). Wie aus der Abbildung er- bei einigen Produkten deutlich über der inländischen sichtlich wird, liegt der Selbstversorgungsgrad bei Nachfrage liegt und so den Preis drückt, die Markt- Milch sowie den meisten Milchprodukten deutlich macht der wenigen Handelsketten bei hoher Super- über 100 Prozent (BMEL 2021b). Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 11
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 7 von 33 Abbildung 5: Selbstversorgungsgrad mit Milch und ern (2020) um 16,5 Prozent zu (BLE 2020). Im Gegen- Milchprodukten in Deutschland im satz zu den anderen genannten Produkten liegt der Ei- Jahr 2019 (in Prozent) verbrauch über der Produktion, weswegen der Selbst- versorgungsgrad bei nur 71,8 Prozent liegt und 600% Deutschland auf Importe angewiesen ist (BMEL Selbstversorgungsgrad 500% 2021e). Dies trägt dazu bei, dass anders als bei Milch und Fleisch der Erzeuger*innenpreis wie in Kapitel 2.2 400% dargestellt, weitestgehend kostendeckend ist. 300% 200% 1.3.2 Marktmacht weniger Handelsketten und hohe Supermarktdichte 100% In Deutschland liegt die Marktmacht des Lebensmit- 0% telhandels in der Hand von fünf Handelsketten. Auf Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro konzentrieren sich rund 90 Prozent des Marktes (Supermarktmacht.de o. J.). Diese sehr begrenzte Zahl von Akteuren gibt ihnen eine hohe Verhandlungsmacht gegenüber Pro- duzent*innen und verarbeitender Industrie. Zeitgleich ist die Supermarktdichte in Deutschland sehr hoch. Mit 336 Lebensmittelhandelsfilialen pro Millionen Einwoh- ner*innen stehen den Konsument*innen hierzulande mehr Einkaufsmöglichkeiten zur Verfügung als in je- Produktgruppe dem anderen Land Europas (Statista 2019). Sind Kund*innen mit der Warenauswahl oder den Preisen Quelle: (BMEL 2021c) eines Supermarktes unzufrieden, können sie in vielen Regionen ohne großen Aufwand oder Kosten ihre Ein- Bei der Produktionssteigerung wurde zum Teil darauf käufe in einem anderen Supermarkt tätigen. Der spekuliert, die Ware international vermarkten zu kön- dadurch entstehende Konkurrenzdruck befeuert den nen. So wurde das Ende der Milchquote als Chance Preisdruck. propagiert und gehofft, die Milchproduktion in Deutschland deutlich steigern zu können (BMEL 2021d; Europäisches Parlament 2015). Das nun vor- 1.3.3 Discounterkultur handene Überangebot in Deutschland trägt jedoch Die Menschen in Deutschland geben mit 10,8 Prozent dazu bei, dass die Milchpreise langfristig unterhalb der im Vergleich zu vielen europäischen Nachbar*innen ei- Produktionskosten liegen. nen relativ geringen Anteil ihres Einkommens für Le- Etwas anders stellt sich die Lage im Fall von Eiern dar. bensmittel aus (Statista 2020b). Lediglich in Öster- Die Menge der in Deutschland produzierten Eier nahm reich, Irland und Luxemburg ist der Anteil der Lebens- von 13,3 Milliarden Eiern (2012) auf 15,5 Milliarden Ei- mittelausgaben geringer (Eurostat 2020). Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 12
Abbildung 6: Ausgaben für Lebensmittel in Euro und Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am Haushaltseinkommen im Jahr 2018 in Prozent 3.500 30 Anteil der Ausgaben für Lebensmittel vom Ausgaben für Lebensmittel in € 3.000 25 2.500 Haushaltseinkommen in % 20 2.000 15 1.500 10 1.000 500 5 0 0 Luxemburg Litauen Dänemark Italien Estland Spanien Irland Lettland Ungarn Niederlande Rumänien Zypern Polen Belgien Finnland Österreich Deutschland Malta Slowakei Schweden Portugal Kroatien Slowenien Tschechien Bulgarien Frankreich Griechenland Ausgaben für Lebensmittel in € Ausgaben in Anteil Haushaltseinkommen Quelle: (Statista 2020b; Statista 2021b) Dies liegt unter anderem an den hohen Einkommen in gaben 2010 nur 40 Prozent der Betriebsinhaber*innen, Deutschland (Statista 2020c), aber auch an einer Dis- die 65 Jahre oder älter waren, an, dass die Hofnach- counterkultur, die dazu führt, dass der Preis für viele folge geregelt wäre (BMEL o. J.). Bei größeren Höfen Konsument*innen den ausschlaggebenden Faktor bei ist dies häufiger der Fall. So besteht bei 52,6 Prozent der Kaufentscheidung darstellt (Handelsblatt 2015; der Betriebe mit einer Fläche von mehr als 100 Hektar Leitow 2005). ein Plan zur Übergabe, während dies bei kleinen Höfen mit einer landwirtschaftlichen Fläche von 5 bis 10 Hek- tar nur bei 21,1 Prozent der Betriebe der Fall ist (BMEL 1.4 Auswirkungen auf die o. J.). Wird keine Nachfolge gefunden, wird der Betrieb Produzent*innen, die Natur, aufgegeben und die Flächen an andere Betriebe ver- pachtet oder verkauft. das Klima und die Auch weitere Aspekte, wie der allgemeine Struktur- Tierhaltungsbedingungen wandel, ein Wandel der Ernährungsgewohnheiten Niedrige Erzeuger*innenpreise gehen zu Lasten von oder Technisierung und Digitalisierung, spielen hier Produzent*innen, Natur, Klima und Tierwohl. Diese eine Rolle (AgrarHeute 2020). Auswirkungen könnten durch faire Erzeuger*innen- Doch auch der Preisdruck durch niedrige Erzeuger*in- preise, die neben einem angemessenen Einkommen nenpreise ist nicht zu unterschätzen. So entwickelt sich für Produzent*innen und ihre Angestellten, Investitio- der Personalbedarf mit zunehmender Betriebsfläche nen in Klima-, Umweltschutz und artgerechte Hal- degressiv. Das heißt, dass pro Hektar weniger Arbeits- tungsformen ermöglichen, begrenzt werden. kräfte benötigt werden, um sie zu bewirtschaften, da große Betriebe zum Beispiel durch den Einsatz von 1.4.1 Auswirkungen auf die Landwirt*innen Maschinen effizienter arbeiten können. Tabelle 1 zeigt, wie viel Arbeitskräfte pro Hektar in einem kleinen Hof Die Gründe für das sogenannte „Höfesterben“ sind mit 7,5 Hektar Betriebsfläche eingesetzt werden und vielfältig. So findet derzeit ein Generationenwechsel wie viele auf einem Betrieb mittlerer Größe mit 35 Hek- statt, bei dem gerade die geburtenstarken Jahrgänge tar. Verrechnet man die Basis-Prämie sowie den Zu- der 1950er und 60er Jahre in den Ruhestand gehen schlag für kleinere und mittlere Betriebe, erhält der (AgrarHeute 2020). So waren 1999 nur rund 28 Pro- größere Hof 221,14 Euro GAP-Subvention pro Hektar zent der vollbeschäftigten Betriebsinhaber*innen 55 und der kleinere Betrieb 224 Euro (BMEL 2019a; ei- Jahre alt oder älter; während es im Jahr 2016 fast 42 gene Berechnung). Diese leichte Besserstellung kann Prozent waren (BMEL o. J.). In vielen Fällen ist die den personellen Mehraufwand jedoch nicht kompen- Nachfolge noch ungewiss oder nicht vorhanden. So sieren. Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 13
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 9 von 33 zum Jahre 2040 voraussichtlich mehr als halbieren wird (DZ Bank AG 2020). Von den derzeit 267.000 Tabelle 1: Arbeitskräfte pro Hektar bei einem Hof landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland würden mit einer Betriebsfläche von 7,5 dann etwa 100.000 übrig bleiben (DZ Bank AG 2020). Hektar im Vergleich zu 35 Hektar Abbildung 7 zeigt, dass besonders die Anzahl der Höfe Beschäftigte 7,5 ha 35 ha kleiner und mittlerer Größe in den vergangenen Jahren Vollbeschäftigte Familien- 0,026 0,019 deutlich abgenommen hat, während die Zahl der gro- arbeitskräfte ßen Höfe mit einer Betriebsfläche von 100 Hektar und mehr im gleichen Zeitraum um bis zu 30 Prozent zu- Teilbeschäftigte Familien- 0,180 0,029 nahm (Destatis 2021a). Durch den Preisdruck sind im- arbeitskräfte mer mehr Landwirt*innen darauf angewiesen, ihr Ein- kommen aus außerlandwirtschaftlichen Aktivitäten zu Vollbeschäftigte familien- 0,012 0,004 generieren: Im Jahr 2020 gaben rund 50 Prozent der fremde Arbeitskräfte Betriebe an, Einnahmen aus zusätzlichen Aktivitäten Nichtständige familien- 0,048 0,012 auf dem Hof zu erzielen (Destatis 2021b). Hinzu kommt fremde Arbeitskräfte ein Trend zur kapitalintensiven und wirtschaftlich orga- (BMEL o. J.) nisierten Landwirtschaft, der das Modell des bäuerli- chen Familienbetriebs langfristig aus dem Markt drän- Niedrige Erzeuger*innenpreise bedeuten daher ge- gen könnte (DZ Bank AG 2020). Denn die Realisierung rade für kleine Betriebe einen großen wirtschaftlichen von Größenvorteilen ist eine Möglichkeit, auf den stei- Druck, da sie diese weniger gut durch die Subventions- genden Kostendruck zu reagieren. So liegt die durch- zahlungen kompensieren oder durch Effizienzmaß- schnittliche Betriebsgröße in Deutschland inzwischen nahmen ausgleichen können. So tragen niedrige Er- bei 63 Hektar; laut Statistischem Bundesamt war der zeuger*innenpreise gemeinsam mit weiteren Faktoren landwirtschaftliche Durchschnittsbetrieb noch nie so dazu bei, dass sich die Zahl der Betriebe in den letzten groß (Statistisches Bundesamt 2021). zehn Jahren bereits um 35.600 verringerte und sich bis Abbildung 7: Zu- und Abnahme der Anzahl der Betriebe nach Betriebsgröße (in Hektar) zwischen 2010 und 2020 in Prozent 40 Zu- und Abnahme der Anzahl 30 der Betriebe in Prozent 20 10 0 -10 -20 -30 1.000 Größe der Betriebe in Hektar Quelle: (Destatis 2021a; eigene Darstellung). „unter dem Radar“ der Klimapolitik zu fliegen, zeichnet sich immer mehr ab, dass das 1,5 °C-Ziel (die Begren- zung der Erderhitzung um maximal 1,5 °C im Vergleich 1.4.2 Auswirkungen auf Natur und Klima zum vorindustriellen Niveau) ohne eine Agrar- und Er- Der Agrarsektor in Deutschland verursacht laut Anga- nährungswende nicht zu halten ist (Öko-Institut 2019). ben des Bundesministeriums für Ernährung und Land- Aus diesem Grund werden strengere Umweltschutz- wirtschaft (BMEL) jährlich rund 72 Millionen Tonnen richtlinien, eine Umstrukturierung des Subventions- CO2-Äquivalente (BMEL 2021f). Das sind etwa 7,6 Pro- systems und eine Reduktion der Bestandsdichte ge- zent der deutschen Gesamtemissionen. Hauptsächli- rade in Regionen mit intensiver Nutztierhaltung disku- che Quellen dieser Emissionen sind Methan aus der tiert. Doch die Widerstände sind teils groß: Als im Sep- Verdauung von Rindern sowie Lachgas aus dem Stick- tember 2019 das Agrarpaket der Bundesregierung vor- stoffeinsatz bei der Düngung und der aus der Tierhal- gestellt wurde, in dem unter anderem eine Reduktion tung anfallenden Gülle (Thünen-Institut 2019). Wäh- der Düngung zur Einhaltung der Nitrathöchstwerte rend es dem Landwirtschaftssektor lange Zeit gelang Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 14
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 10 von 33 enthalten war sowie eine Reduktion von Pflanzen- 2020 Vorschläge für ein Umbauprogramm vorgestellt, schutzmitteln und ein Verbot von Glyphosat ab 2023 welches auf breite Zustimmung stieß (siehe Kapitel (BMU 2019), folgten darauf Proteste von Bäuerinnen 3.3.1). und Bauern in ganz Deutschland (ZDF 2020). Die Proteste der Landwirt*innen richteten sich dabei nicht pauschal gegen Umweltschutzauflagen, sondern sollten verdeutlichen, dass die Landwirt*innen für die daraus entstehenden Kosten nicht allein aufkommen dürften. Denn aufgrund zu niedriger Erzeuger*innen- preise würden die Mehrkosten zur Realisierung von Umweltschutz- und Tierwohlmaßnahmen Land- wirt*innen finanziell überfordern und langfristig dazu beitragen, dass sich das „Höfesterben“ in Deutschland beschleunigt. Umweltschutzverbände wiesen auf den politischen Reformstau hin und unterstützen die Land- wirt*innen in ihrer Forderung, die Kosten nicht allein tragen zu müssen. Fest steht: Das aktuelle Preisdumping belastet Um- welt, Klima und Tierwohl, wenn entsprechende Maß- nahmen nicht umgesetzt werden können. Durch den Verzicht auf synthetischen Dünger und chemische Pflanzenschutzmittel, wie es in ökologischen Betrie- ben der Fall ist, könnten beispielsweise etwa 40 Pro- zent weniger Energie pro Hektar eingesetzt werden und damit entsprechend weniger CO2 emittiert wer- den (Ökolandbau 2018). 1.4.3 Tierhaltungsbedingungen Zu niedrige Erzeuger*innenpreise wirken sich auch auf das Wohl der Nutztiere aus. Spaltböden, enge Kasten- stände, Anbindehaltung oder wenig Beschäftigungs- möglichkeiten gefährden die Gesundheit und das Wohl der Tiere. Doch Stallumbauten oder die Reduk- tion von Tierbeständen, um mehr Platz zu schaffen, verursachen Kosten oder führen zu Mindereinnahmen, weshalb sich viele landwirtschaftliche Betriebe finanzi- ell nicht in der Lage sehen, diese Investitionen ohne Unterstützung zu tätigen (FÖS 2020). Viele Land- wirt*innen wären bereit, ihren Beitrag für mehr Tier- wohl zu leisten, doch auch hier müssen die finanziellen Weichen gestellt werden. Laut einer Studie des Thü- nen-Instituts würde ein Umbau der Nutztierhaltung in artgerechtere Haltungsformen zwischen drei und vier Milliarden Euro jährlich betragen (Thünen-Institut 2021). Der Wissenschaftliche Beirat des BMEL geht so- gar davon aus, dass jährlich rund fünf Milliarden Euro benötigt würden, um den Agrarsektor tierwohlgerecht umzubauen, Mehrkosten zu decken und Einkom- menseinbußen aufgrund reduzierter Tierbestände zu kompensieren. Umgerechnet würden die Gesamtkos- ten jedoch nur zu einem Kostenaufschlag von etwa fünf Cent pro Mahlzeit führen (Thünen-Institut 2021). Für Verbraucher*innen würde sich der finanzielle Mehraufwand dementsprechend in Grenzen halten. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, auch als „Borchert Kommission“ bekannt, hat hierzu im Februar Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 15
Faire Erzeuger*innenpreise • Seite 11 von 33 2 Faire Erzeuger*innenpreise Der Erzeuger*innenpreis wird in Cent je Kilo berechnet und besteht aus einem Grundpreis, möglichen Zu- Im Folgenden wird beispielhaft anhand der Produkte schlägen für höhere Fett- und Eiweißgehalte und der Milch, Eier und Hühnerfleisch dargestellt, welche Kos- Mehrwertsteuer. Dabei bezieht sich der Grundpreis auf ten bei der Produktion von Lebensmitteln entstehen einen Fettgehalt von 4 Prozent und einen Eiweißgeh- und wie hoch folglich faire Erzeuger*innenpreise sein alt von 3,4 Prozent (Deutscher Bundestag 2009). Die müssten. Faire Erzeuger*innenpreise bedeuten im Vollkostenauswertung von 146 niedersächsischen Be- Rahmen dieser Studie, dass mit ihnen alle Produkti- trieben weist einen durchschnittlichen Erzeuger*in- onskosten gedeckt werden und die Landwirt*innen nenpreis im Wirtschaftsjahr 2018/2019 von brutto sowie ihre Mitarbeiter*innen einen angemessenen 36,76 Cent je Kilo Milch aus (Landwirtschaftskammer Lohn für ihre Arbeit erhalten. Niedersachsen 2020). Dieser reicht nicht aus, um kos- Bei Milch wird die Vollkostenrechnung zur Veran- tendeckend wirtschaften zu können. Um neben den schaulichung ausführlich dargestellt. Dies ist das Pro- Produktionskosten auch weitere Investitionen in Tier- dukt, bei dem die Diskrepanz zwischen Erzeugungs- wohl, Klima- und Umweltschutz decken zu können, kosten und Erzeuger*innenpreis in den letzten Jahren fordern Interessenvertretungen wie der Bundesver- am gravierendsten war. Bei Eiern und Hühnerfleisch band Deutscher Milchviehhalter einen Erzeuger*in- werden die einzelnen Kostenpunkte in Oberkatego- nenpreis in Höhe von 50 Cent. Dieser liegt deutlich rien zusammengefasst. Ergänzend wird dargestellt, über dem von der Landwirtschaftskammer Nieder- welche Herausforderungen im Produktionsgartenbau sachsen errechneten Preis (siehe Kapitel 2.1). Mit ihm bestehen, da sich hier die Problemlage aufgrund des sollen aber darüber hinaus auch finanzielle Spielräume höheren Personalaufwands etwas anders darstellt als geschaffen werden, die es Produzent*innen ermögli- im Ackerbau und der Nutztierhaltung. chen, weniger zu arbeiten, um mehr Freizeit, aber auch Freiräume beispielsweise für zivilgesellschaftliches oder ehrenamtliches Engagement zu haben (BDM 2.1 Milch 2019). Zur genauen Ermittlung des kostendeckenden Erzeuger*innenpreises muss jedoch zunächst auf die Anhand einer Vollkostenauswertung aus dem Wirt- schaftsjahr 2018/2019 der Landwirtschaftskammer verschiedenen Kostenkomponenten der Milchpro- Niedersachsen wird gezeigt, wie hoch der tatsächliche duktion eingegangen werden. Erzeuger*innenpreis für das Produkt Milch ist. Das heißt, welcher Preis den Erzeuger*innen gezahlt wer- 2.1.1 Kostenkomponenten der Milchproduktion den müsste, damit ihre Produktionskosten gedeckt Die in der Molkerei anfallenden Produktions-, Verpa- sind. Im Falle der Milchproduktion ist der Erzeuger*in- ckungs- und Lagerkosten sowie die Kosten für Küh- nenpreis der Preis, den die Molkereien an die Land- lung, Lagerung und Logistik im Lebensmitteleinzel- wirt*innen entrichten. Dieser unterscheidet sich vom handel sind nicht Teil der von den Erzeuger*innen zu Verbraucher*innenpreis, welchen die Konsument*in- tragenden Produktionskosten und bleiben dement- nen im Handel für ihre Ware bezahlen und der etwa sprechend bei der Ermittlung des fairen Erzeuger*in- zweimal im Jahr zwischen den Molkereien und dem Le- nenpreises unberücksichtigt (bpb 2016). bensmitteleinzelhandel je nach Marktsituation ausge- handelt wird (BR 2016a). Die Höhe des Erzeuger*in- Die Gesamtkosten der Milchproduktion lassen sich in nenpreises wird vorrangig von der Nachfrage der Ver- folgende Kostengruppen unterteilen: braucher*innen bestimmt. Darüber hinaus ist er aber 1. Direktkosten: Die Direktkosten sind die Kos- auch von der Qualität der gelieferten Rohmilchmenge, ten, die durch das Tier verursacht werden. Sie der (regionalen) Wettbewerbssituation, politischen können je nach Region und Produktions- Entscheidungen und internationalen Handelsabkom- standort erheblich variieren. Sie belaufen sich men abhängig. So sind die Schwankungen der Milch- auf 31,92 Cent pro Kilo Milch und machen da- preise der letzten Jahre vor allem auf die EU-Agrarpo- mit 73 Prozent der Gesamtkosten aus (Land- litik zurückzuführen. Im Juni 2016 befand sich der wirtschaftskammer Niedersachsen 2020). Milchpreis mit nur 20 Cent je Kilo auf einem histori- Der größte Kostenblock sind die Futterkos- schen Tief (bpb 2016). Zukünftig ist darüber hinaus auf- ten, also die Kosten für das Grundfutter sowie grund des stetigen Bevölkerungswachstums und ver- das Zukauffutter. Zu den Direktkosten gehö- änderter Ernährungsgewohnheiten in Entwicklungs- ren darüber hinaus die Kosten für tierärztliche und Schwellenländern mit einem globalen Anstieg der Versorgung, Besamung, Versicherung, Hei- Nachfrage nach Milch und Milchprodukten und damit zung und Wasser. Da die Futterkosten vom noch stärkeren Schwankungen des Milchpreises zu Zukaufmarkt und den Witterungsbedingun- rechnen. gen abhängen, können Schwankungen bei den Direktkosten auftreten. In den vergange- nen Wirtschaftsjahren (zwischen 2016 und Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. • Green Budget Germany 16
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