Energie- und Wasserwirtschaft - Ausführliches Branchenbild aus dem Risikoobservatorium der DGUV - Deutsche Gesetzliche ...

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Energie- und Wasserwirtschaft
Ausführliches Branchenbild aus dem Risikoobservatorium der DGUV

1      Hintergrund

Deutschland befindet sich mitten in der Energiewende: Der heimische Steinkohlenbergbau endete
2018; bis Ende 2022 soll der Ausstieg aus der Kernenergie und bis Ende 2038 aus der Kohle-
verstromung erfolgen [1]. Treibhausgasemissionen sollen 2050 um 80 % bis 95 % im Vergleich zu
1990 gesunken sein und die Erderwärmung gemäß dem Übereinkommen von Paris auf deutlich
unter zwei Grad Celsius begrenzt werden [2].

Die Energiewende setzt zum einen auf eine höhere Energieeffizienz. Diese erleichtert bei zuneh-
mender Integration Erneuerbarer Energien (EE) den Erhalt der Versorgungssicherheit [2; 3]. Zum
anderen sollen EE energieeffizient, d. h. möglichst ohne Umwandlung in Strom zum Einsatz
kommen, z. B. Solarthermie zur Warmwasserbereitstellung, Geothermie zum Heizen. Der Ausbau
der EE soll vorangetrieben werden und in die weitgehende Dekarbonisierung aller Sektoren münden
[3]. Gas soll zukünftig klimaneutral erzeugt werden [4]. Ein weiteres Ziel der Energiewende ist die
Senkung des Energieverbrauchs in allen Sektoren.

Gewollt ist eine „integrierte Energiewende“, d. h. ein ganzheitlicher Ansatz, der laut Deutscher
Energie-Agentur „… die verschiedenen technischen Anlagen, Infrastrukturen und Märkte aus den
unterschiedlichen Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr aufeinander … [abstimmt] und
in ein optimiertes und intelligentes Energiesystem überführt…“ [2]. Diese Sektorkopplung setzt eine
stärkere Verknüpfung der vorhandenen Infrastrukturen für Wärme, Strom und Gas voraus [5] und
eine „optimierte Integration von EE, Speichertechnologien und Stromnachfrage“ [6]. Grenzüber-
greifende Kooperation und eine intelligente Steuerung der Energieverteilung zwischen den euro-
päischen Staaten sollen die integrierte Energiewende ermöglichen [2; 7].

Die Bevölkerung ist zwar vermehrt bereit, in Verkehr, Haushalt und an Gebäuden Energie einzu-
sparen [8]. Dennoch gibt es immer wieder starke Einwände und Vorbehalte gegenüber der Ein-
richtung von Windenergieanlagen (WEA) und Stromübertragungsleitungen [2]. Bei Photovoltaik-
(PV)-Anlagen ist die Akzeptanz höher. 60 % der 1,7 Millionen PV-Anlagen in Deutschland sind
Kleinanlagen, die Leistungen unterhalb 10 kW erzeugen [9].

Die Digitalisierung macht Effizienzsteigerungen möglich und befeuert so die Dynamik der Energie-
wende [3; 7; 8]. Sie zieht außerdem branchenfremde Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen in
den Energiemarkt [10]: Vermittlungs- und Vergleichsportale, die über die Preistransparenz einen
steigenden Preisdruck erzeugen, Wetter- und Leistungsprognoseanbieter oder gemeinsame Platt-
formen von Energieversorgern und Industrieunternehmen, die der Optimierung von Lastmanage-
mentprozessen dienen, oder Telekommunikationsanbieter, die mit den Energieversorgern im Markt
der Smart Homes konkurrieren [8]. Die branchenfremden Unternehmen erzeugen einerseits mehr
Wettbewerb, andererseits bringen sie auch die notwendige Unterstützung zur Realisierung der
Energiewende mit.

Im Jahr 2020 betätigten sich etwa 2 250 Unternehmen auf dem deutschen Energiemarkt. Darunter
fallen eine ganze Reihe großer Unternehmen und mehr als zwei Drittel kleine und mittlere Energie-
versorger ̶ mehrheitlich sogenannte Stadtwerke in kommunaler Hand [11]. Überwiegend handelt es
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sich um Querversorger, d. h. Unternehmen, die ihrer Kundschaft Strom, Erdgas, Fernwärme und oft
auch Wasser anbieten [11].

Unternehmen der Energiewirtschaft befassen sich mit Energiequellen (Energieträgern und
-wandlern), -erzeugung, -speicherung, -übertragung und -handel sowie mit Vertrieb, Abrechnung
und Energiesicherheit. 2019 arbeiteten 192 580 Menschen bei den deutschen Energieversorgern,
davon 138 000 in der Strom-, 39 180 in der Gas- und 15 400 in der Wärme-/Kälteversorgung [12].

In Deutschland verbraucht jeder Einwohner durchschnittlich täglich 123 Liter Trinkwasser [13].
Stadtwerke, Gemeinden oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften sind für die Versorgung mit
Trinkwasser und die Entsorgung der Abwässer zuständig. Hierbei handelt es sich um „Kernaufgaben
der öffentlichen Daseinsvorsorge“ [14]. 2016 waren in Deutschland 5 845 Unternehmen in der
öffentlichen Wasserversorgung tätig [15]. 2019 arbeiteten 39 400 Menschen in Deutschland in
ebendieser [16] und 42 600 in der Abwasserbeseitigung [17]. 447 Betriebe der Wasserversorgung
(mit insgesamt 27 811 Beschäftigten) hatten 2019 mehr als 20 Beschäftigte [18].

Hygienisch einwandfreies Trinkwasser jederzeit in ausreichender Menge für die Bevölkerung zur
Verfügung zu haben, erfordert umfassenden Ressourcenschutz, die Einhaltung von Umwelt-
auflagen, Wasserentnahme- und Einleitrechten sowie hohen technischen Standards, auch in der
Abwasserentsorgung [14]. Aufgaben von Unternehmen der Wasserwirtschaft sind „die Gewässer-
unterhaltung, die Talsperren[-] … [und] Regenwasserbewirtschaftung, der Schutz der Gewässer, der
Landschaftswasserhaushalt, Maßnahmen zur Reduzierung der Gefahren des Klimawandels und der
Küsten- und Hochwasserschutz“ [14]. Die Aufgaben umfassen damit den Schutz der Ökosysteme
und der Biodiversität [19]. Aufgaben der Unternehmen in der Abwasserentsorgung sind „… die
Abwasserableitung über die Kanalnetze oder Abwasser-Pumpwagen … und die Abwasser-
behandlung in Kläranlagen.“ [19]. In Deutschland gibt es mehr als 9300 öffentliche Kläranlagen und
ein 575 580 km langes öffentliches Kanalnetz [19].

Die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) versichert
Beschäftigte in Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft in den Bereichen Stromversorgung,
Gasversorgung, Biogas, Fernwärmeversorgung, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und
Bäder [20]. Die Mineralölversorgung und die Sparte der Bäder werden in diesem Branchenbild
ausgeklammert. Beschäftigte von Gemeinden und Verbänden sind über die Unfallkassen oder die
BG ETEM gesetzlich unfallversichert.

Tabelle 1 zeigt, welche aktuellen Trends und Entwicklungen die Branche Energie- und Wasser-
wirtschaft hinsichtlich der Sicherheit und Gesundheit in der nahen Zukunft beeinflussen werden.
Diese Einschätzungen wurden im Rahmen des Risikoobservatoriums der Deutschen Gesetzlichen
Unfallversicherung (DGUV) erhoben und stammen von Aufsichtspersonen und anderen Präventions-
fachleuten der gesetzlichen Unfallversicherung 1.

1 Es gibt zwei Befragungsstufen. Die Präventionsfachleute bewerten in Stufe 1 die Bedeutung von circa 40 Entwicklungen
ihrer Branche auf einer Skala von 1 bis 9. Durch statistische Berechnungen (Bildung von Konfidenzintervallen um die
Mittelwerte), die berücksichtigen, wie eng die Bewertungen einzelner Entwicklungen beieinanderliegen, werden die
bedeutendsten Entwicklungen extrahiert. Ihre Anzahl kann je nach Branche (deutlich) variieren. In Stufe 2 bilden die
Präventionsfachleute aus diesen wichtigsten Entwicklungen eine endgültige Rangreihe.
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Tabelle 1: Rangreihung der bedeutsamsten Entwicklungen im Hinblick auf den Arbeitsschutz der nahen
Zukunft in der Branche „Energie- und Wasserwirtschaft“ als Ergebnis der Befragungsstufe 2 des Risiko-
observatoriums der DGUV, 2019

 Rang Entwicklung

 1       Demografischer Wandel und unausgewogene Altersstruktur

 2       Fachkräftemangel

 3       Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energien und zur CO2-Reduzierung

 4       Veränderung und Ausbau des Energienetzes

 5       UV-Strahlung

 6       Naturkatastrophen und extreme Wetterlagen

 7       Cyberangriffe auf digitalisierte Systeme

2       Relevante Entwicklungen für Sicherheit und Gesundheit in der Branche „Energie- und
        Wasserwirtschaft“

2.1     Veränderung und Ausbau des Energienetzes und für die Energiewirtschaft relevante
        Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energien und zur CO2-Reduzierung

Erneuerbare Energien hatten in Deutschland 2019 den höchsten Anteil an der Bruttostrom-
erzeugung mit 39,9 % (Windenergie 20,9 %, Solarenergie 7,8 %, Biomasse und biogene Abfälle
8,2 %, Wasserkraft 3,3 %), gefolgt von Braunkohle (18,6 %), Erdgas (14,9 %), Kernenergie (12,3 %),
Steinkohle (9,5 %), Mineralöl (0,8 %) und Sonstige (4,2 %) [1]. Bis 2030 soll der Anteil der Erneue-
rbaren Energien am Stromverbrauch von 38 % in 2020 auf 65 % steigen [25]. Dazu ist die Abkehr
von einer verbrauchsorientierten Erzeugung hin zu einem erzeugungsorientierten Verbrauch
notwendig [10; 21]. Ebenfalls wird dazu wie im Folgenden beschrieben weitere Infrastruktur benötigt.
Dabei gilt das „NOVA-Prinzip“: Netz-Optimierung vor Verstärkung vor Ausbau [22].

Viele der beschriebenen neuen Technologien (z. B. Elektromobilität, Power-to-X) sind nur mit Strom
aus Erneuerbaren Energien klimafreundlich umsetzbar. Daher sollten diese Technologien parallel
zur Ausweitung des Anteils von und entsprechend der verfügbaren Menge von Strom aus EE
eingeführt werden [23]. Stromspeichertechnologien erhöhen die Flexibilität im Netz und reduzieren
die Notwendigkeit des Ausbaus des Energienetzes und die damit verbundenen Investitionen [24].

2.1.1   Energiegewinnung aus Biomassen
A) Biogaserzeugung, Verstromung von Faulgasen und Verwertung fester Biomassen

Biomassen sind ein Allrounder unter den Erneuerbaren Energien. Mit ihnen kann über den Prozess
der Methanisierung Strom, Wärme und Kraftstoff erzeugt werden [25]. In Deutschland gibt es etwa
9500 Biogaserzeugungsanlagen, in denen u. a. eine Vergärung von Biomasse erfolgt [26].
Anbaubiomasse kann aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes (Wasser, Belegung von Anbau-
flächen) nur eine Interimslösung sein [27]. Der Zubau von EE muss aus Windenergie und Photo-
voltaik erfolgen [2].

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Auch Faulgasgewinnung aus Klärschlamm trägt zur CO2-Emissionsreduzierung und Energieeffizienz
bei: Beim anaeroben Abbau organischer Bestandteile des Klärschlamms entsteht Methan, das
zwecks Stromerzeugung aufgefangen und verbrannt wird. Die aus Faulgas erzeugte Strommenge
deckte 2015 ein Drittel des Stromverbrauchs von Kläranlagen [19]. Biogas wird auch in moderni-
sierten Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)-Anlagen eingesetzt, die die fluktuierende Einspeisung von
Strom aus PV- und Windenergieanlagen (WEA) ausgleichen [10]. Mit Stand April 2020 wurden
zudem etwa 220 Anlagen zur Aufbereitung von Biogas auf Erdgasqualität mit einer Aufbereitungs-
kapazität von 133.734 Nm³/h betrieben [28].

Biogase bestehen im Wesentlichen aus Kohlenstoffdioxid und Methan; Faulgase zusätzlich aus
Schwefelwasserstoff und Ammoniak [29; 30]. Da Methan hochentzündlich ist, besteht Explosions-
und Brandgefahr, z. B. wenn offene Flammen, Funken oder heiße Oberflächen von Arbeitsmitteln
mit dem Biogas oder feinen Biomassestäuben in Kontakt kommen [30-32]. Erstickungsgefahr
besteht, da Methan und Kohlenstoffdioxid Luftsauerstoff verdrängen können [30]. Gaswarneinrich-
tungen und Messungen sind zur Vorbeugung von Explosionen und Erstickung bei Arbeiten in
gefährdenden Bereichen von Biogasanlagen – insbesondere umschlossenen Räumen – unerlässlich
[30].

Beim Arbeiten an Biogasanlagen und in Bereichen der Faulgasgewinnung (z. B. bei Arbeiten in
Gärbehältern) können weitere Gesundheitsgefährdungen (z. B. Vergiftungen, Kopfschmerzen,
Schwindel, Reizung des Atemtraktes und der Schleimhäute, Erbrechen) durch chemische Risiken
entstehen, d. h. durch hohe Konzentrationen an Schwefelwasserstoff, Ammoniak, Kohlenstoffdioxid
und ihre Kombinationen [29]. Körperliche Beeinträchtigungen durch diese Gase können Abstürze
begünstigen [29]. Schutz vor den genannten chemischen Risiken bieten auch hier Gaswarneinrich-
tungen sowie das Tragen von Atemschutzgeräten [30].

Feste Biomasse (zu vergärendes Substrat oder Gärreste) enthält Mikroorganismen, die bei Auf-
nahme in sehr hohen Konzentrationen sensibilisierend und/oder toxisch wirken und Infektions-
krankheiten auslösen können. Hygienemaßnahmen, Arbeits- und Schutzkleidung sowie Persönliche
Schutzausrüstung (PSA) schützen die Beschäftigten [30; 32].

Weitere Gefahren beim Arbeiten in Biogasanlagen sind Abstürze in ungesicherte Gruben mit
Biomasse oder in hohe überirdische Gärbehälter, z. B. bei Überwachungsprozessen und Probe-
nahmen, das Risiko, in Schneckenförderer, Pressen, Zentrifugen o. Ä. gezogen zu werden, Verbren-
nungen (z. B. an Heizeinrichtungen, die feste oder flüssige Biomasse für den Prozess der
Methanisierung aufwärmen oder an Rohren, die die gewonnene Wärmeenergie transportieren),
elektrische Risiken, Lärmbelastungen sowie Kollisionsrisiken im innerbetrieblichen Verkehr (z. B.
zwischen Spezialfahrzeugen, Lkw und Fußgängern) [31].

Viele der genannten Risiken treten bei Arbeiten auf Biogasanlagen kombiniert auf. Bei ungeplanten
Instandsetzungsarbeiten aufgrund von Systemausfällen oder -fehlern herrscht zudem i. d. R. Eile,
um die Anlage zügig wieder in Betrieb nehmen zu können [31]. Unter Zeitdruck steigt die Wahr-
scheinlichkeit für Fehler und Unfälle. Die große Zahl oft zeitgleich bestehender Gefährdungen bedarf
besonderer, kontinuierlicher Anstrengungen zur Unterweisung und Sensibilisierung der Beschäf-
tigten.

B) Holzverwertung in Großfeuerungsanlagen

Im Rahmen einer zukünftigen nachhaltigen Energieversorgung liegt ein Augenmerk auch auf
regional vorhandenen Ausbaupotenzialen für erneuerbare Energien. Darunter fällt auch die
energetische Biomasse-Nutzung in Form von Holz.

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Beim Betrieb von Wärmekraftwerken und Heizwerken kann für den Arbeitsschutz die von der DGUV
veröffentlichte Regel 103-009 herangezogen werden, die Gefährdungen hinsichtlich der Anlagen
aufzeigt und geeignete Schutzmaßnahmen anbietet. Thermische wie auch mechanische Gefähr-
dungen stehen bei diesen Anlagen im Allgemeinen im Fokus. Daher ist eine effektive Organisation
des Arbeitsschutzes unabdingbar, z. B. durch wirksame Freigabeverfahren (vgl. Technische Regel
für Betriebssicherheit (TRBS) 1112)).

Beim Transport und der Lagerung von Harthölzern (z. B. Buchen- und Eichenholz) und insbe-
sondere bei der Befeuerung durch Holzpartikel-Beschickungssysteme (z. B. Einblassysteme) ist
darauf zu achten, dass die anfallenden Stäube eine kanzerogene Wirkung auf den Menschen haben
können (vgl. Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 553).

Stäube (Holzstäube, Mehlstäube, etc.), gelten als hochentzündlich, insbesondere, wenn sie aufge-
wirbelt werden. Es besteht Explosions- und Brandgefahr, wenn z. B. offene Flammen, Funken oder
heiße Oberflächen von Arbeitsmitteln mit den Stäuben in Kontakt kommen (vgl. TRBS 2152 Teil 1
bzw. TRBS 2152 Teil 2 Nummer 2.6).

Des Weiteren können die Hölzer (z. B. bei Holzhackschnitzeln) Mikroorganismen enthalten, die bei
Aufnahme in sehr hohen Konzentrationen sensibilisierend und/oder toxisch wirken und
Infektionskrankheiten auslösen können. Hygienemaßnahmen, Arbeits- und Schutzkleidung sowie
Persönliche Schutzausrüstung (PSA) schützen die Beschäftigten.

Es ist zu prüfen, ob eine arbeitsmedizinische Vorsorge der Versicherten erforderlich ist.

Auch die Wartung der Anlagen (Revision) und Reststoffentsorgung ist arbeitsschutztechnisch zu
beurteilen.

2.1.2   Windkraft und Ausbau des Übertragungsnetzes
Mit dem Umstieg auf EE verändern sich die Standorte der Stromproduktion: Strom aus Windkraft
entsteht in Windenergieanlagen (WEA) im Meer („offshore“) und an Land („onshore“), vorwiegend in
der Nordsee und den nordwestlichen und nordöstlichen Landesteilen. Von dort muss er in den
Westen und Süden transportiert werden, da dort aufgrund der Dichte der Industriebetriebe und der
Stilllegung von Atom- und Kohlekraftwerken der höchste Strombedarf besteht [9; 21].

Vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) teilen sich das ca. 37 000 Kilometer lange Netz aus Höchst-
spannungsleitungen: 50Hertz (Norden und Osten), Amprion (Westen und Südwesten), TransnetBW
(Baden-Württemberg) und TenneT (bundesweit) [11]. Das Übertragungsnetz transportiert Strom
über Umspannanlagen zu den Verteilnetzen in den Regionen und verbindet das deutsche Stromnetz
mit denen unserer Nachbarstaaten [33]. Der Ausbau des Übertragungsnetzes mit neuen Strom-
trassen ist erforderlich, um steigende Mengen aus Windenergie erzeugten Stroms ins Netz ein-
speisen und transportieren zu können und Netzengpässe zu vermeiden [9; 21].

Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) entwickeln möglichst innovative und ressourcenschonende
Lösungen, um Strom sicher und verlustarm in ihren Netzen zu transportieren. Beispielsweise wird
über das „Ultranet“ „… erstmals weltweit … Gleich- und Wechselstrom mit einer Spannung von 380
Kilovolt auf denselben Masten [Hybridmasten] übertragen …“ [34]. Für die Gleichstromübertragung
braucht es am Start- und Endpunkt der Gleichstromübertragung Konverter, die den Wechsel- in
Gleichstrom und wieder zurück wandeln. Der Energietransport ist in beide Richtungen möglich.
Ultranet erfordert stellenweise Umbauten, den Tausch einzelner Masten sowie flächendeckend auf
der Trasse Isolatoren, die für Gleich- und Wechselstrom geeignet sind [34]. Freileitungsmonteu-

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rinnen und -monteure übernehmen den Tausch der Isolatoren, stehen aber vor der Heraus-
forderung, dass ihnen in den wenigsten Fällen technische Einrichtungen wie Aufzugsanlagen,
Bühnen mit Seitenschutz, Gerüste oder Personenaufnahmemittel zur Verfügung stehen. I. d. R.
steigen sie durch PSA gegen Absturz (PSAgA) gesichert an Zugangswegen mit Steigschutz-
einrichtungen auf die Masten. Voraussetzungen für Arbeiten in hoher Höhe sind, neben körperlicher
Fitness, Schwindelfreiheit und der Eignung für den jeweiligen Gefahrenbereich sichere Kenntnisse
und Anwendung der Abläufe im Gefahrenfall, der Sicherungs-, Evakuierungs- und Rettungs-
techniken sowie der ersten Hilfe [35; 36].

Neben den Beschäftigten der ÜNB, die direkt an der Trasse arbeiten, gibt es aber auch die, die den
hochkomplexen Trassenausbau vorbereiten, planen und koordinieren. Die ÜNB müssen Planungs-
und Koordinationsarbeit eigenständig, in Kooperation untereinander oder mit externen Partnern und
der Politik leisten. Ein Trassenausbau erfordert eine umfassende und häufig langwierige Vorbe-
reitung, die u. a. intensiv von Forschungs- und Technologieentwicklungsprojekten sowie Bürger-
dialogen und Akzeptanzstudien flankiert wird.

Dem Trassenbau gehen also vielfältige Abstimmungsprozesse voran (z. B. Korridorfindung,
Flächenakquise, Bauplanung). Wie bei allen Abstimmungsprozessen kommt es immer wieder zu
konkurrierenden Interessen der beteiligten Parteien, in denen involvierte Beschäftigte diplomatisch
verhandeln und ihre eigenen Interessen möglichst kostengünstig durchsetzen müssen. Das kann
insbesondere in Kombination mit Arbeitsverdichtung psychisch sehr beanspruchend sein. Vor dem
Hintergrund einer Zunahme von Planungs-, Abstimmungs-, Kooperations- und Koordinations-
anforderungen in der Energiewirtschaft durch die Energiewende (s. auch Kapitel 2.1.3) sollten
psychische Belastungen in der Energiewirtschaft eine stärkere Berücksichtigung in der betrieblichen
Prävention finden.

Dafür sprechen auch die Ergebnisse einer Befragung durch den Deutschen Gewerkschaftsbund
(DGB) im Rahmen des DGB-Index Gute Arbeit. Demnach leistet nämlich nicht nur die eben ange-
sprochene Gruppe von leitenden Angestellten, sondern mit 43 % fast die Hälfte der Beschäftigten
der Energieversorgung, Wasserversorgung, Entsorgung sehr häufig oder oft Interaktionsarbeit, d. h.
arbeitet im direkten Kontakt mit der Kundschaft bzw. anderen Menschen und kann dabei psychische
Belastungen erfahren [37]. Die gesetzliche Unfallversicherung kann durch Information und Beratung
für psychische Belastungen durch Interaktionsarbeit sensibilisieren und sich für die Aufnahme von
Interaktionsarbeit in die Gefährdungsbeurteilung in der Energie- und Wasserwirtschaft einsetzen.

In Leitwarten überwachen die Betreibergesellschaften jede Windenergieanlage eines Windparks
hinsichtlich Fehlern oder Ausfällen und senden Personal zur Instandsetzung aus, wenn die Daten
der Detektoren auf einen gestörten Betrieb hinweisen [35].

Zum Schutz der Beschäftigten in der Wartung und Instandsetzung von Windenergieanlagen stehen
von Seiten der gesetzlichen Unfallversicherung ausreichend Informationsmaterialien, Unterwei-
sungshilfen, Vorschriften oder Schulungsangebote bereit. Der Schwerpunkt der Prävention liegt
auch hier auf der Einübung und Einhaltung sicherer Routinen. Denn bei der Wartung und Instand-
setzung von WEA können Risiken einzeln und in Wechselwirkung auftreten [38]. Das Arbeiten in
großer Höhe ist bei den bis zu deutlich über 100 Metern hohen WEA ein vorrangiges Risiko [39].
Moderne WEA verfügen über Aufzugsanlagen; bei älteren Modellen wird das Maschinenhaus über
Sprossenleitern erklommen [40]. Arbeiten an den Rotorblättern können entweder mithilfe von
Seiltechniken erfolgen, je nach Höhe des Turms, Beschaffenheit des Untergrunds und Zufahrts-
möglichkeiten über auf Lkw platzierte Hubarbeitsbühnen oder über Plattformen, die an den Turm der
WEA angebracht und von dort hochgefahren werden. Mit ihnen kann jedes einzelne Rotorblatt
sukzessive gewartet und repariert werden [39]. In jedem Fall ist PSAgA erforderlich [41].

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Bei der Instandhaltung von Windenergieanlagen sind Beschäftigte auch elektrischen Gefährdungen
(Körperdurchströmungen, Lichtbögen) ausgesetzt, da sie in den Mittelspannungsräumen an Mittel-
und Niederspannungs-Schaltanlagen, Transformatoren und Mittelspannungskabeln arbeiten und in
WEA auch Hochspannungskabel verbaut sind [38]. In engen Räumen und/oder in Bereichen mit
leitfähiger Umgebung ist das Risiko für Körperdurchströmungen besonders hoch [38]. Eine Elektro-
fachkraft oder elektrotechnisch unterwiesene Person muss die Arbeiten anleiten und überwachen
[41].

Oft liegen Windparks auf Anhöhen. Damit spielen auch meteorologische Risiken eine wichtige Rolle
für Beschäftigte in der Instandhaltung und Wartung von WEA. Zur Vermeidung solcher Risiken
werden planbare Instandhaltungsarbeiten i. d. R. in die wärmeren Jahreszeiten gelegt [35; 38].

Häufig betreuen Betreibergesellschaften mehrere Windparks an verschiedenen Standorten. Daher
muss das Wartungs- und Instandsetzungspersonal u. U. lange Wegstrecken im Straßenverkehr
zurücklegen und ist damit verbundenen Risiken ausgesetzt, einschließlich herabgesetzter Wach-
samkeit und Müdigkeit. Eine wegstreckenoptimierte Planung der Einsätze, die Möglichkeit Pausen
einzulegen und Verkehrssicherheitstrainings können die Gefahren im Straßenverkehr mindern [35;
42]. Sind die Beschäftigten durch die Wegstrecken weniger gestresst und erschöpft, hat das auch
positive Effekte auf die Sicherheit bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten an den WEA.

Weitere Gefährdungen können durch die Exposition gegenüber Gefahrstoffen (z. B. aus Reinigungs-
mitteln) in engen Räumen, Lärm, Muskel-Skelett-Belastungen, schlechte Beleuchtung, mechanische
Einwirkungen (z. B. durch unkontrolliert bewegte Maschinenteile und scharfe Kanten), Brände mit
und ohne Explosionsgefahr sowie Zeitdruck entstehen [38]. Die häufigsten Unfälle bei Arbeiten an
WEA sind Stolper-, Sturz- und Rutschunfälle (SSR-Unfälle) und Unfälle beim Benutzen von Hand-
werkzeug (z. B. durch fallendes Werkzeug), von Messern zum Abisolieren (Schnittwunden) sowie
von Luken und Klappen (Quetschungen, Prellungen) [38].

2.1.3   Photovoltaik, Elektromobilität und Modernisierung und Ausbau der Verteilnetze
Zukünftig steigt die Anzahl dezentraler Stromerzeuger z. B. durch die vermehrte Installation von
Aufdach-PV-Anlagen bei Privatpersonen. Für die Verteilnetzbetreiber (VNB) steigt damit ihr
technisch operativer Aufwand für Netzanschlüsse [43]. Die Montage der PV-Anlagen übernimmt das
Handwerk (s. Branchenbilder „Dachdeckerei, Zimmerei“, „Elektrohandwerke“, „Gas-, Wasser-,
Heizungs- sowie Lüftungs- und Klimainstallation“) in Abstimmung mit dem zuständigen Energie-
versorgungsunternehmen (EVU). Bundesweit sind mehr als 98 % der PV-Anlagen an das dezentrale
Niederspannungsnetz angeschlossen. Ende des Jahres 2016 waren Privatpersonen schon zu
33,1 % Eigentümer an der betriebenen PV-Kraftwerksleistung; auf Energieversorger entfielen nur
5,5 % [9].

Gleichzeitig steigt perspektivisch die Anzahl dezentraler Stromverbraucher durch die Umstellung auf
Elektromobilität. Bis 2030 sollen laut Klimaschutzprogramm 7 bis 10 Millionen Elektrofahrzeuge in
Deutschland fahren und eine Million Ladepunkte aufgebaut sein [44]. Am 1.1.2021 waren bundes-
weit 309 083 Elektroautos zugelassen, das sind 0,6 % von insgesamt 48,3 Millionen Pkw; davon
kamen allein 172 466 im Jahr 2020 neu hinzu [45; 46]. Von April 2019 auf April 2020 nahm die
Anzahl der Ladestationen um 60 % auf 27 730 zu [11].

Eine Technologie zur Elektrifizierung des schweren Straßengüterfernverkehrs sind Oberleitungs-
hybrid-Lkw. In Kalifornien, Schweden und Deutschland (auf der A1 und der A5) gibt es erste Test-
strecken [2]. Da die Güterverkehrsleistung in Deutschland zu etwa der Hälfte durch Straßen-
fahrzeuge erbracht wird, die außerhalb Deutschland zugelassen sind, besteht auch hier Abstim-

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mungsbedarf. Die europäischen Partner müssen gemeinsam über den Aufbau eines grenzüber-
schreitenden Oberleitungssystems entscheiden und dieses ggf. auf den Weg bringen.

Die Verteilnetze sind aktuell noch nicht für die durch die Elektromobilität entstehenden neuen Last-
vorgänge ausgerichtet. Lastspitzen und Netzüberlastungen drohen [47; 48]. Zur Ertüchtigung der
Verteilnetze für den vollständigen Umstieg auf Elektromobilität müssen die VNB prüfen, an welchen
Stellen Ausbaubedarf besteht und den Ausbau voranbringen [47].

Der Wegfall konventioneller Kraftwerke, die größere Volatilität der Stromerzeugung aus erneuer-
baren Energien und die wachsende Dezentralität der Stromerzeugung (z. B. durch PV-Anlagen) und
des Stromverbrauchs (z. B. durch Ladestationen für Elektromobilität, Wärmepumpen) erhöhen die
Störanfälligkeit des elektrischen Energieversorgungssystems und führen für die Netzbetreiber zu
technischen Herausforderungen z. B. in der Spannungshaltung. Die zunehmenden dezentralen
Vorgänge und deren Wechselwirkungen steigern die Komplexität der Netz- und Betriebsführung für
die Netzbetreiber [43]. Damit steigen auch die kognitiven Anforderungen an die Beschäftigten der
Netzleitstellen. Mehr Informationen müssen gleichzeitig beachtet und verarbeitet werden, die eine
schnelle Reaktion oder Regulierung erfordern [49].

Ein Modernisierungsbedarf der bestehenden Verteilnetze entsteht [47]. Der Ausbaubedarf verringert
sich durch eine verbrauchsgerechte Verteilung dezentraler Stromerzeuger und wenn Echtzeit-
informationen über Netzzustandsdaten (aktueller Verbrauch und Einspeiseleistung dezentraler
Erzeuger) berücksichtigt werden können [9; 21], d. h. wenn der Netzausbau und Systeme zum
intelligenten Verteilnetz-Management kombiniert werden [21]. Zur Ertüchtigung der Verteilnetze
bedarf es neben dem Bau neuer Leitungen, der Erneuerung der Ortsnetzstationen und der Verstär-
kung von Kabeln und Transformatoren [47] also auch einer Ertüchtigung der Ortsnetzstationen,
neuralgischer Netzknoten und ausgewählter Einspeiser mit Kommunikations-, Mess-, Regel- und
Automatisierungstechnik [50]. Die Ertüchtigung der Verteilnetze erfordert den Einsatz qualifizierter
Fachkräfte der Energieversorger selbst und/oder von externen Anbietern. Die Energieversorgungs-
unternehmen müssen ihre Beschäftigten durch Qualifizierung und fachlichen Austausch für Inno-
vationen begeistern und vor Überforderung schützen und auf etwaige Schwierigkeiten eingehen, die
für die Beschäftigten durch die Veränderungen ihrer Arbeitswelten entstehen mögen.

Infolge der Ertüchtigung mit Kommunikations-, Mess-, Regel- und Automatisierungstechnik entsteht
ein höherer Automatisierungsgrad der Betriebsführung, der die Beschäftigten der Netzleitstellen
entlastet [50]. Werden zu steuernde Netze oder Anlagen immer größer und komplexer und erfolgt
die Betriebsführung teilautomatisiert, wird es für Beschäftigte in den Netzleitstellen immer schwerer,
die Zusammenhänge im Netz bzw. der Anlage tiefgreifend zu verstehen und zu überblicken. Das
kann mit dem Gefühl der Entfremdung, des Kompetenzverlusts und/oder der Überforderung einher-
gehen. Schulungen können diesen Effekt vermindern, jedoch nicht verhindern, wenn die Steuerung
immer stärker durch Künstliche Intelligenz (KI) erfolgt.

Zum Ausbau der Verteilnetze bedarf es auch eines intensivierten Datenaustauschs und einer inten-
sivierten Kooperation zwischen den VNB untereinander und mit den ÜNB [2; 43]. Die Netzbetreiber
müssen gemeinsam „operative Prozesse … konkretisieren … und … einheitlich umsetzbare
Lösungen und Abwicklungsprozesse … entwickeln.“ [43]. Folglich spielt die Interaktion mit anderen
auch bei der Planung und Abstimmung des Verteilnetzausbaus und der Koordination des Daten-
austauschs eine wesentliche Rolle. Auch hier kann es zu psychischen Belastungen der in diesem
Arbeitsfeld Beschäftigten der Energieversorgung durch Interaktionsarbeit und beispielsweise
etwaige Interessenskonflikte kommen.

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2.1.4   Speicher zum Ausgleich der durch EE erzeugten Volatilität
Die Erzeugung von Wind- und Solarstrom ist wetterabhängig und volatiler als die Stromerzeugung
durch konventionelle Kern- und Braunkohlekraftwerke. Stehen diese nicht mehr zur Verfügung,
müssen Speicherkapazitäten zur Überbrückung einer mehrwöchigen Dunkelflaute (d. h., des gleich-
zeitigen Auftretens von Windflaute und Dunkelheit) vorgehalten werden.

Flexibilisierungsoptionen entstehen durch die Langzeitspeicherfähigkeit gasförmiger und flüssiger
Energieträger. Power-to-X-Technologien können Strom aus EE in lagerfähige Energieträger wandeln
[9]. Nicht alle der nachfolgend beschriebenen Technologien haben bereits Marktreife. Alle stellen sie
aber die Branche, ihre Beschäftigten und den Erhalt ihrer Sicherheit und Gesundheit schon jetzt
oder in naher Zukunft vor neue Herausforderungen: Vor allem gilt es, die Zusammenarbeit der Netz-
betreiber über die verschiedenen Sparten (Strom, Gas, Fernwärme) und Zuständigkeiten hinweg zu
koordinieren [51], Markt- und Technologieentwicklungen voranzutreiben und Marktsegmente erfolg-
reich zu besetzen [52]. Beispielsweise wollen auch Automobilkonzerne Anteile am Markt der Elektro-
mobilität und Energiespeichertechnologien gewinnen. Dieser Prozess erfordert aktuell und zukünftig
hohe Kooperationsanstrengungen und verstärkte Lobbyarbeit und führt in weiten Teilen der Branche
zu Arbeitsverdichtung und strukturellen Anpassungen bei den Energieversorgern. Bereits 2011
gaben bei einer Befragung im Rahmen des DGB-Index Gute Arbeit 48 % der Beschäftigten in der
Energieversorgung an, sich häufig oder oft bei der Arbeit gehetzt zu fühlen und unter Zeitdruck zu
stehen; 55 % hatten damals schon den Eindruck, in den letzten Jahren immer mehr in der gleichen
Zeit schaffen zu müssen [53]. Die BIBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 bestätigte die
Zunahme von Stress in der Energieversorgung, eine überdurchschnittliche Konfrontation mit neuen
Aufgaben sowie ein überdurchschnittliches Vorkommen von Multitasking und Arbeitsunterbre-
chungen. Sie bescheinigte der Energieversorgung ebenfalls ein überdurchschnittliches Risiko dafür,
dass kleine Fehler zu großen finanziellen Verlusten führen können [54]. Es ist davon auszugehen,
dass diese psychischen Gefährdungen mit der zunehmenden konkreten Umsetzung der Energie-
wende weiter deutlich zugenommen haben.

Power-to-Heat (PtH)
Power-to-Heat-(PtH)-Anlagen sind hybride Systeme (z. B. Wärmepumpen), die über eine konven-
tionelle Wärmeerzeugung z. B. mittels konventionellem Strom oder Erdgas verfügen, aber bei über-
schüssiger erneuerbarer Energie letztere zur Wärmeerzeugung einsetzen. PtH ist marktreif [55] und
unterstützt die Energiewende, da der thermische Energiebedarf in Deutschland den Strombedarf
deutlich übersteigt [5].

Power-to-Gas (PtG)
Unter Power-to-Gas (PtG) versteht man die Umwandlung von Wind- und Solarstrom in Wasserstoff
und Methan. Der grüne Wasserstoff kann direkt oder nach Methanisierung anteilig ins bestehende
Gasnetz aufgenommen werden [10].

Das Umweltbundesamt befürwortet die Substitution der fossilen Wasserstoffwirtschaft durch PtG,
empfiehlt allerdings – aufgrund der Ineffizienz im Vergleich zu Wasserstoff – den Verzicht auf eine
„… Substitution fossilen Erdgases durch PtG-Methan…“ [55]. Grüner Wasserstoff kann in den
verschiedenen Sektoren (Wärme, Mobilität, Industrie) eingesetzt werden und ist damit eine
„Schlüsseltechnologie der Sektorkopplung“ [56]. Ende 2019 waren allein knapp die Hälfte aller
Bestandswohnungen in Deutschland mit einer Gasheizung ausgestattet [1]. Der hier und in den
anderen Sektoren entstehende Wasserstoffmarkt bietet den Unternehmen der Energieversorgung
die Möglichkeit, sich z. B. in der Erzeugung grünen Wasserstoffs durch den Betrieb von Elektro-
lyseuren, im Handel von Wasserstoff oder in der Transport- und Verteilinfrastruktur zu positionieren

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[57]. Die Reallabore der Energiewende, an denen sich Unternehmen der Energiewirtschaft
beteiligen, unterstützen die Weiterentwicklung und Umsetzung der Technik [56].

Auskünfte zu Risiken und zur Arbeitssicherheit beim Betrieb von Gasanlagen gibt die DGUV
Information 203-092 [58]. In gefährdeten Bereichen von Wasserstoffanlagen besteht erhöhte
Explosions- und Brandgefahr, da Wasserstoff – auch im Gemisch mit Luft – extrem leicht entzündbar
ist. Bei sehr hohen Gaskonzentrationen und der Verdrängung von Luftsauerstoff droht zudem
Erstickungsgefahr [59].

Power-to-Liquids (PtL)
Power-to-Liquids (PtL) meint die Umwandlung von Wind- und Solarstrom in synthetische Kraftstoffe.
Ihr Einsatz bietet sich langfristig im Flugverkehr, aber auch im dieselbetriebenen Schienenverkehr
sowie im Schiffs- und Straßengüterfernverkehr an, da dort die energieeffizientere Elektromobilität an
ihre Grenzen stößt [55; 56]. Da PtL-Verfahren Wasserstoff oder Synthesegas benötigen, kann der in
PtG-Technologien hergestellte grüne Wasserstoff als Basis für das PtL-Verfahren dienen [60-62].

Synthetische Kraftstoffe sind „drop-in“-fähig, d. h. die bestehenden Infrastrukturen für konventionelle
Treibstoffe (Tankstellen, Transport der Treibstoffe, Tanks und Motoren in Fahrzeugen) könnten ohne
Umbauten und Anpassungen übernommen werden [55; 60-62]. Die Marktreife scheitert an noch zu
kleinen Versuchsanlagen, an der fehlenden industriellen Verfügbarkeit synthetischer Treibstoffe und
dem aktuell deutlich zu geringen Überschuss an erneuerbaren Energien in Deutschland [55].

2.1.5   Digitale Infrastruktur und damit einhergehende Veränderungen im Energienetz
Neben dem Elektrizitätsnetz an sich wird aktuell eine Infrastruktur geschaffen, durch die alle
Elemente innerhalb des Stromnetzes so gesteuert und aufeinander abgestimmt werden können,
dass maximale Energieeffizienz und Versorgungssicherheit erreicht wird, auch bei zunehmendem
Anteil erneuerbarer Energien. Grundvoraussetzung hierfür ist die digitale Vernetzung aller
Systembestandteile, die das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende regelt [63; 64].

Die Einführung der digitalen Infrastruktur ist ein Technologiesprung im Energiesystem, der gemanagt
und umgesetzt werden muss. Damit einher gehen zunächst Unsicherheiten, teils Veränderungen der
Arbeitstätigkeiten und Qualifikationsbedarfe auf Seiten der Beschäftigten. Nach gelungener
Umsetzung ergeben sich aber auch Arbeitserleichterungen (s. folgende Abschnitte). Ziel der
Bundesregierung ist es „… bis 2030 möglichst viele Messstellen (stromintensive Industrieprozesse
und Haushalte) mit Smart-Meter-Gateways auszustatten und möglichst viele energiewenderelevante
Anwendungen über sichere Gateways laufen zu lassen.“ [51]. Das Rollout der intelligenten Mess-
systeme bei der Kundschaft (ab 6000 kWh bis 100 000 kWh Jahresverbrauch) hat bereits 2020
begonnen [65]. Der Personalbedarf steigt durch das Rollout. Es erfordert zudem besser qualifiziertes
Personal, da die Zählermonteure und -monteurinnen in der Lage sein müssen, den Zähler per
Laptop zu parametrieren [66]. Zunächst dürfte das in Anbetracht alternder Belegschaften und
fehlender Fachkräfte (s.u.) zu Mehrarbeit und zusätzlichem Druck für die betroffenen Beschäftigten
in der Zählermontage führen.

Smart Grid
Das „Smart Grid“ ist ein intelligentes Stromnetz, das moderne Informations- und Kommunikations-
technologien (IKT) sowie „Mess-, Steuer-, Regel- und Automatisierungstechnik“ nutzt [21]. Netz-
zustände können dadurch in Echtzeit erfasst werden und es ergeben sich Möglichkeiten der
vorausschauenden Instandhaltung, die zur Einsparung von Wartungszyklen und damit zu weniger
Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten führen [66]. Die flächendeckende Nutzung intelligenter
Technik z. B. auch in Ortsnetzstationen erlaubt eine beschleunigte Entstörung durch eine genauere

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und schnellere Eingrenzung der gestörten Stelle [34]. Auch möglich ist die automatische Entstörung,
d. h. die automatische Umgehung der gestörten Stelle durch automatische Umschaltung auf einen
anderen Stromkreis. Das ermöglicht dem Entstördienst ein zielgerichteteres Arbeiten und nimmt
Stress und Zeitdruck. Bei automatischer Entstörung muss weniger Personal im Bereitschaftsdienst
eingesetzt werden, da die Störung nicht unmittelbar behoben werden muss [66]. Andererseits
steigen durch die erhöhte Komplexität des Stromnetzes und seine vielen Bestandteile die Anfor-
derungen an die Beschäftigten der Netzleitstellen der Energieversorger (s. o.).

Smart Meter und Smart-Meter-Gateway-Kommunikationsplattform
Das intelligente Messsystem (Smart Meter) besteht aus einer modernen Messeinrichtung (mMe) und
einem Smart-Meter-Gateway (SMGW). Die mMe ermöglicht mittelfristig Mehrspartenmessungen des
Strom-, Gas-, Wärme- und Wasserverbrauchs [67]. Eine App zeigt den aktuellen Verbrauch im
Haushalt an. Für die Betriebe der Energie- und Wasserwirtschaft ist das SMGW eine „… gesicherte
Schnittstelle für die Kommunikation zwischen den Stromverbrauchern und -erzeugern mit den
Betreibern der Stromnetze und den Energielieferanten.“ [67]. So erhalten beispielsweise ÜNB
Informationen über die gegenwärtigen und zukünftigen Netzzustände und Einspeise- und
Verbrauchsdaten (Kraftwerkeinsatzplanungsdaten). Dadurch werden sie in die Lage versetzt, die
Netzbetriebsführung der kommenden Stunden zu planen und durch Steuerung und Regelung des
Smart Grids kurzfristig Gefahren abzuwehren [68]. Smart Meter erlauben der Branche eine
marktbeeinflusste Steuerung der Stromerzeugung und ein Lastmanagement. Dabei erfolgt die
Bepreisung des Stroms in Abhängigkeit von der vorhandenen Energiemenge. Für solche dyna-
mischen Tarife ist Kostentransparenz zwingend notwendig. Allerdings bedarf es zuvor noch der
Weiterentwicklung des Rechtsrahmens zur netzorientierten Steuerung [65] und neuer Regelungen
zur Einbindung bisher nicht berücksichtigter Stromerzeugungsanlagen und Verbrauchseinrichtungen
in das Smart Grid [51], damit das Rollout auch auf diese Anlagen und Verbrauchseinrichtungen
ausgeweitet werden kann, Lastspitzen zuverlässig abgemildert und Kosten für den notwendigen
Netzausbau verringert werden können. Die Unternehmen der Energiewirtschaft bringen sich
direkt und/oder über ihre Verbände in die genannten Prozesse ein. Auch hier steht also die
erfolgsorientierte Interaktionsarbeit mit ihren möglicherweise psychisch fordernden Eigen-
schaften im Vordergrund. Zudem könnte es in der Kundenbetreuung zu verstärkten Nachfragen
der Kundschaft kommen und die Beschäftigten in der Öffentlichkeitsarbeit dürften hinsichtlich der
Aufklärung stärker gefordert sein, da sich 2019 erst 5 % der Haushaltskunden sehr gut über die
Smart-Meter-Einführung informiert fühlten [41].

2.2    Cyberangriffe auf digitalisierte Systeme

Die Energie- und Wasserwirtschaft gehört mit ihren Unterbranchen Elektrizität, Gas, Fernwärme,
öffentliche Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zu den kritischen Infrastrukturen für das
staatliche Gemeinwesen. Die oben beschriebene zunehmende Digitalisierung und Vernetzung in der
Energie- und Wasserwirtschaft lässt auch das Risiko für Cyberangriffe steigen und erhöht die Anfor-
derungen an die IT- und Datensicherheit. Ausfälle und signifikante Beeinträchtigungen können
„erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen“ nach sich ziehen
[69]. Daher wurde 2015 das Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme
(IT-Sicherheitsgesetz, IT-SiG) verabschiedet. Betreibende kritischer Infrastrukturen sind seither
verpflichtet „angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Störungen ihrer informations-
technischen Systeme, Komponenten und Prozesse“ nach dem „Stand der Technik“ zu treffen (§ 8a
Abs. 1 BSIG) und Nachweise darüber zu erbringen, z. B. an das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI). Obwohl sich das Sicherheitsniveau kritischer Infrastrukturen schon

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verbessert hat, fehlt dennoch häufig beispielsweise noch ein Managementsystem für Informations-
sicherheit (ISMS) [70].

Für den Schutz und die Vertrauenswürdigkeit von SMGWs arbeitet das BSI in Kooperation mit allen
relevanten Akteuren an einer Standardisierung und fortwährenden Weiterentwicklung von Schutz-
profilen und technischen Richtlinien [64].

Auch die Wasserwirtschaft arbeitet mit dem BSI zusammen: Das BSI erkannte im Juni 2017 den
branchenspezifischen IT Sicherheitsstandard Wasser/Abwasser an, den der Deutsche Verein des
Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) und die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall e. V. (DWA) zuvor gemeinsam erarbeitet hatten [14].

Denn die Digitalisierung hebt auch in der Wasserwirtschaft Effizienzpotenziale. Durch die
Ausstattung von Anlagenkomponenten (z. B. Wasserbehälter, Pumpen) und Leitungsnetzen mit
Sensorik können Prozesse intelligent gesteuert werden. Zum Beispiel ermöglicht die sensorische
Überwachung von Wasserverlusten eine zielgerichtete Planung von Instandhaltungsarbeiten und
notwendigen Investitionen in das Leitungsnetz; Event-Detektionssysteme erfassen zeitnah Verän-
derungen der Wasserqualität. Zudem bietet die Digitalisierung neue Wege der Interaktion mit der
Kundschaft [14].

Zudem setzt sich die Energie- und Wasserbranche [65] für einen exklusiven digitalen Funk-
Frequenzbereich ein, um eine autarke, geschützte und drahtlos betriebene Kommunikations-
infrastruktur zu gewährleisten und damit die Energieversorgung gegen Cyberangriffe, Terrorismus,
Sabotage und Katastrophen bestmöglich abzusichern [71].

Trotz dieser wirksamen Initiativen zum Schutz vor Cyberkriminalität in den sensiblen Bereichen der
Branche steht zu befürchten, dass die potenziell dramatischen Folgen solcher Angriffe eine
psychische Belastung für alle Beschäftigten darstellen, die relevante Netzwerke betreuen. Dem gilt
es, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung Rechnung zu tragen.

Neben technischen Maßnahmen (Anwendung aktueller Sicherheitsprodukte und -standards) und
organisatorischen Neuerungen (Meldewesen für Sicherheitsvorfälle) ist außerdem die Sensibili-
sierung aller Mitarbeitenden essenziell für die Verhinderung und Abwehr von Cyberangriffen: Die
gesamte Belegschaft muss die Gefahren des Social Engineering kennen, d. h. die Möglichkeit
psychologischer Manipulation durch Kriminelle, die Beschäftigte eines Unternehmens zur Heraus-
gabe sensibler Daten bringen; alle Beschäftigten müssen in der Abwehr von CEO-Fraud und
Ransom-Ware und im sicheren Umgang mit Daten geschult werden [72]. 82,4 % der Beschäftigten
in der Energieversorgung waren bereits 2016 von der Digitalisierung betroffen [73]. Die gesetzliche
Unfallversicherung kann eine frühzeitige Sensibilisierung für IT-Sicherheit unterstützen, indem sie
Unternehmen zur IT-Sicherheit berät, Schulungen zum Thema anbietet und sich für eine verbesserte
IT-Ausbildung in den Energie- und wasserwirtschaftlichen Berufen und Studiengängen ausspricht.

2.3    Extreme Wetterlagen und Naturkatastrophen

Klimamodelle lassen zukünftig häufiger Stürme, Starkregen, Dauerregen mit Hochwasserfolge und
Hitze-/Trockenperioden in Deutschland erwarten [74; 75]. Das erfordert verstärkt auch Konzepte
zum Schutz der Beschäftigten in der Energie- und Wasserwirtschaft. Zudem muss die Energie-
versorgung sich durch energieträgerspezifische Maßnahmen wappnen und auf dezentrale, diversi-
fizierte und sich ergänzende Energieerzeugungsstrukturen bauen, um die Versorgungssicherheit
zuverlässig gewährleisten und sich an veränderte Strombedarfe (z. B. verstärkte Nutzung von Klima-
anlagen in Hitzeperioden) anpassen zu können [75; 76]. Herausforderungen für die Wasser-
wirtschaft sind vor allem Trocken- und Hitzeperioden, die lokal vermehrt zu Höchstauslastungen der
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Trinkwasserversorgung und Beanspruchungen der Ökosysteme führen sowie Starkregen- und
Hochwasserereignisse, die Höchstauslastungen des Abwassernetzes verursachen und bauliche
Anpassungsmaßnahmen erfordern [14].

2.3.1   Frühwarnsysteme zum Schutz von Beschäftigten
Plötzlich auftretende Starkregenereignisse können bei Arbeiten im Kanal extrem gefährlich werden.
Beschäftigte müssen den Kanal sofort verlassen [77]. Auch bei Arbeiten an WEA, Freileitungen oder
anderen hochgelegenen Stellen können kritische Wetterlagen (z. B. Schnee, Eis, Sturm, Gewitter)
lebensbedrohlich sein. App-gesteuerte und/oder über die Leitwarten koordinierte Schnellwarn-
systeme sind bereits im Einsatz. Ihre Zuverlässigkeit wird angesichts des Klimawandels immer
bedeutsamer. Denn sie helfen bei der Einschätzung von Wetterlagen und dabei, bei akuten
Gefährdungen einen sofortigen Abbruch der Arbeiten und die Evakuierung herbeizuführen [35; 38].
Als Entscheidungsgrundlage dient ein im Unternehmen abgestimmtes Handlungskonzept.

2.3.2   Austausch und Sanierung technischer Komponenten im Energienetz
Immer wieder verursachen Stürme oder Gewitter Stromausfälle. Ursächlich sind oft Bäume, die in
Stromleitungen stürzen und Kurzschlüsse auslösen oder direkte Blitzeinschläge in Versorgungs-
leitungen, die zu Schäden an Generatoren, Kabeln oder Schaltstationen führen [z. B. 78; 79; 80].
Wetterbeständige Anlagen und Einrichtungen der Stromversorgung sind deshalb ein wichtiger
Beitrag zu Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten in der Energiebranche, weil sie entschei-
dend zur Stabilität des Netzes beitragen und dadurch nicht nur Erleichterungen in der Netzsteuerung
für die Beschäftigten der Leitwarten bringen, sondern auch gefahrbringenden Reparatureinsätzen
unter Zeitdruck vorbeugen.

So werden alte und bruchgefährdete Masten aus weniger wetterrobustem Thomasstahl seit Jahren
im Rahmen von Sanierungsprogrammen und laufenden Inspektionen nach und nach ersetzt [81;
82]. Auch Solar- und Windkraftanlagen sollten bereits jetzt so widerstandsfähig konzipiert werden,
dass sie den zukünftig häufiger zu erwartenden Starkwinden problemlos standhalten [75].

Hilfreich ist auch, dass die Erdverkabelung, d. h. die unterirdische Verlegung von Stromleitungen,
seit dem Jahr 2015 durch das Gesetz zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energie-
leitungsbaus im Fall von Hoch- und Höchstspannungsleitungen erleichtert wurde [76; 83]. Ein
weiteres Beispiel ist das Freileitungsmonitoring. Es sorgt dafür, dass die Übertragungsleistung jedes
einzelnen Leiterseils temperaturabhängig angepasst wird [22]. Eine Verknüpfung des Freileitungs-
monitorings mit KI wird aktuell erprobt. [84].Daneben sind Hochtemperaturleiterseile eine Lösung,
die Temperaturen von über 80 °C vertragen und höhere Übertragungskapazitäten aufweisen [22].

2.3.3   Hitze, Dürre, Starkregen und Hochwasser
Hitze-/Dürreperioden führen saisonal zu einem höheren Arbeitsaufwand in der Wasserwirtschaft, da
Niedrigwasserstände und Wassererwärmungen von Oberflächengewässern infolge erhöhter Nähr-
und Schadstoffkonzentrationen zeitlich begrenzte zusätzliche Probenahmen und Aufbereitungs-
maßnahmen erfordern können [75; 85].

Folgen von Hitze-/Dürreperioden sind zudem Interessenskonflikte von Energie-, Land- und Wasser-
wirtschaft: Zum einen steigt zur Beregnung von Feldern der Wasserbedarf der Landwirtschaft. Zum
anderen können Hitze-/Dürreperioden aufgrund von Niedrigwasserständen oder bereits zu stark
erwärmtem Wasser dazu führen, dass kein Wasser zur Kühlung von thermischen Kraftwerken (z. B.
Kohle-, Erdgas- und Kernkraftwerken) aus Flüssen, Seen oder Talsperren entnommen werden kann
oder darf [19]. In den Hitze-/Dürreperioden 2003, 2006 und 2018 kam es dadurch in einzelnen
deutschen Kraftwerken zu Einschränkungen der Stromproduktion [49] – auch infolge von Engpässen

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in der Rohstoffversorgung nach Einstellung des Schiffverkehrs [75]. Aufgrund der Energiewende
werden thermische Kraftwerke aber an Bedeutung verlieren und der zunehmende Anteil von Wind-
und Solarenergie trägt auch der knapper werdenden Verfügbarkeit von Wasser als Kühlwasser
Rechnung. In Hitze-/Dürreperioden muss die Wasserwirtschaft den Vorrang der öffentlichen Trink-
wasserversorgung verteidigen [14]. Dies ist ein weiteres Beispiel für die hohen Abstimmungs- und
Regelungsbedarfe der Branche, die sich auch in der Umsetzung der Energiewende zeigen und die
darauf hindeuten, dass psychische Belastungen in der Branche sicher eine Rolle spielen und stärker
beachtet werden sollten.

In Städten kommt es zu einer besonders starken Flächenversiegelung (55 bis 85 %). Das verhindert
eine ausreichende Grundwasserneubildung. Gleichzeitig prognostizieren Klimamodelle abnehmende
Sommerniederschläge in ganz Deutschland und eine Zunahme der heißen Tage mit über 30 °C. Zur
Deckung der Wasserspitzenbedarfe werden regionale Anpassungen zur besseren Wasser-
speicherung und -förderung (Talsperren, Speichern, Brunnen, Pumpen) notwendig, genauso wie
einen verantwortungsvolleren Umgang mit Wasser in der industriellen, landwirtschaftlichen,
öffentlichen und privaten Nutzung [14; 86].

Bei Starkregenereignissen muss der in kurzer Zeit gefallene Niederschlag aufgrund der starken
Flächenversiegelung in Städten im Wesentlichen über die Kanalisation abgeführt werden. Da diese
nicht für extreme Niederschläge ausgelegt ist, kommt es in der Folge zu Überflutungen. Extreme
Witterungsereignisse erhöhen auch insofern die Einsätze im Rahmen der Bereitschaftsdienste [87].

Auch die Hochwasserwahrscheinlichkeit im Winter wird zukünftig durch zunehmende Winternieder-
schläge und wärmere Winter steigen [75; 85]. Hochwässer verschlechtern oft die Wasserqualität,
wenn die Überflutung Industrie- und Kläranlagen betrifft oder kontaminierte Sedimente umlagert [75].
Extreme Wind- und Niederschlagsereignisse begünstigen auch Erosionen, durch die Schadstoffe,
z. B. aus der Landwirtschaft, in das Grund- und Oberflächenwasser gelangen können [75]. Gewäs-
serbelastungen entstehen auch bei Starkregen und Mischkanalisation, d. h., wenn Regen- und
Schmutzwasser über eine gemeinsame Kanalisation und Abwasserpumpwerke ins Klärwerk laufen.
Bei Starkregen erreichen Abwasserpumpwerke oft ihre Kapazitätsgrenzen – und Schmutzwasser
wird mit Regenwasser verdünnt direkt in Gewässer eingeleitet [19].

Wasserverfügbarkeit, Regenwasserrückhaltung und Umweltschutz sind gesamtgesellschaftliche
Aufgaben. Die Branche ist deshalb gefordert, an der Entwicklung eines ganzheitlichen Wasser-
managements mit Bund, Ländern und Kommunen mitzuwirken [86]. Auch muss die Wasser-
wirtschaft zunehmend „… Instrumente des Sicherheits-, Risiko- und Krisenmanagements in ihre
betriebliche Organisation …“ etablieren [14] und mit für den Katastrophenschutz zuständigen
Behörden und Institutionen kooperieren. Hierfür und auch für Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit
werden vermehrt personelle Kapazitäten benötigt. Gelingt ein Personalausbau z. B. aus wirtschaft-
lichen Gründen nicht, müssen diese Arbeiten durch vorhandenes Personal übernommen werden
und führen zu Arbeitsverdichtung. Grundsätzlich ist vorstellbar, dass der Klimawandel und seine
Folgen von denen als besonders belastend empfunden werden, die sich durch ihre Tätigkeit in der
Wasserwirtschaft in einer speziellen Verantwortung sehen. Gleichzeitig steigen mit Extremwetter-
ereignissen gefahrenträchtige Noteinsätze und die notwendigen Anpassungen der Infrastruktur
verursachen zusätzlichen Arbeitsdruck in einer bereits gut ausgelasteten Branche.

2.4    Demografischer Wandel

In Deutschland besteht ein anhaltender Trend zu kleineren Haushalten. Insbesondere Einpersonen-
haushalte nehmen deutschlandweit bis 2040 zu; durchschnittlich leben zwei Personen in einem
Haushalt [1; 11; 88]. Obwohl die Bevölkerung insgesamt bis 2040 um ca. eine Millionen auf 82,1
Millionen schrumpfen wird, nimmt die Bevölkerung der Großstädte überproportional zu [88]. Zudem
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