Astroteilchenphysik in Deutschland - Perspektiven und Empfehlungen - Das Komitee für Astroteilchenphysik, 21. April 2016
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Astroteilchenphysik in Deutschland – Perspektiven und Empfehlungen – Das Komitee für Astroteilchenphysik, 21. April 2016
Astroteilchenphysik in Deutschland – Perspektiven und Empfehlungen Das Komitee für Astroteilchenphysik, 21. April 2016 Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsgebietes Astroteilchenphysik erkunden die fundamentalen und bemerkenswert vielfältigen Zusammenhänge zwischen den sub-atomaren Skalen und den größten Strukturen des Universums. Die Astroteilchenphysik hat sich mit großem Erfolg als eine eigenständige Disziplin etabliert, die an den Schnittflächen von Astrophysik, Kosmologie und Kern- und Teilchenphysik liegt. Auf diesem Terrain bündeln sich neben den originären Themen des Forschungsgebietes auch wesentliche Fragestellungen dieser Nachbardisziplinen, die dort häufig nur teilweise beantwortet werden können. Die Astroteilchenphysik hat über die letzten zwei Jahrzehnte großartige Erfolge vorzuweisen, angefangen von der Entdeckung der Neutrino-Oszillationen (Nobelpreis 2015), über den Beginn der detaillierten Kartierung des Universums im Licht hochenergetischer Gammastrahlung, bis hin zur Eröffnung eines völlig neuen Beobachtungsfensters zum Kosmos durch hochenergetische Neutrinos - um nur drei prägnante Beispiele zu nennen. Daneben wurden die Eigenschaften von Neutrinos und von Dunkler Materie mit 10- bis 100-mal größerer Genauigkeit eingegrenzt als dies zu Beginn dieses Jahrhunderts gegeben war. Der enorme Erkenntniszuwachs innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne demonstriert eindrucksvoll, wie stürmisch sich das Gebiet entwickelt. Die gewonnenen Erkenntnisse definieren sehr klar den Weg für aussichtsreiche zukünftige Entwicklungen des nächsten Jahrzehnts, eindrucksvoll eingeleitet von dem bahnbrechenden Nachweis von Gravitationswellen. Die gesellschaftliche Bedeutung der Forschung auf dem Gebiet der Astroteilchenphysik reicht weit über die eigentlichen wissenschaftlichen Fragestellungen hinaus: Kulturelle Aspekte des Ursprungs aller Materie, einzigartige Erforschung extremster Materieformen die nur das Universum anbietet, und darüber hinaus das Beflügeln hochtechnologischer Entwicklungen und deren Anwendung auf teilweise völlig anderen Gebieten, wie z.B. in der Bildverarbeitung oder der Medizintechnik. Diese Themen, ihre teilweise unser ganzes Weltbild neu zusammenstellenden Erkenntnisse, und schließlich die äußerst hohen technischen Herausforderungen begeistern insbesondere junge Menschen, sich intensiv mit Forschung, Entwicklung und neuen Technologien zu beschäftigen. Viele junge Menschen entscheiden sich gerade wegen dieser globalen Fragen für ein Studium im MINT-Bereich. Diese Grundlagenforschung erfolgt in Deutschland in einzigartiger Zusammenarbeit von Helmholtz-, Max-Planck und Leibniz-Instituten mit vielen Universitäten. Die Anzahl der Professuren in der Astroteilchenphysik wurde oft durch Umwidmungen bei Wiederbesetzungen und Einrichtungen neuer Professuren ausgebaut, was ein klarer unabhängiger Indikator für Erfolg, Zukunftsfähigkeit, und breite gesellschaftliche Einbettung dieses Feldes ist. Die Erfolge der jüngsten Vergangenheit wurden durch neuartige Methoden und Instrumente, sowie durch die rasante Erhöhung der Empfindlichkeit dieser Instrumente ermöglicht. Das ist auch die Richtschnur, um im nächsten Jahrzehnt wissenschaftliche Durchbrüche zu erzielen und um den Spitzenplatz Deutschlands im internationalen Wettbewerb zu sichern. In diesem Papier beleuchten wir den Stand der Astroteilchenphysik in Deutschland und sprechen Empfehlungen aus, wie die Erfolge und die wissenschaftliche Bedeutung dieses Forschungsfeldes in Deutschland weiterentwickelt werden können. 1
1) Zusammenfassung der Empfehlungen Die hier vorgeschlagenen Forschungsschwerpunkte und Empfehlungen für zukünftige Themen gründen auf einer sorgfältigen Abwägung des wissenschaftlichen Entdeckungspotentials, des fundamentalen Charakters der wissenschaftlichen Fragen, der Stärken der deutschen Gruppen in den jeweiligen Feldern, sowie auf der Berücksichtigung einer realistischen Finanzierung. Wir nennen hier stichpunktartig zu den zentralen Fragen der Astroteilchenphysik die vom KAT empfohlenen Schlüsselexperimente und -aktivitäten. Aufgrund der besonderen Förderungslandschaft in Deutschland gehen wir dabei zuerst auf spezielle Empfehlungen für die Verbundforschung 2017-2020 des BMBF ein. Empfehlung des KAT für die Verbundforschung: Natur der Dunklen Materie: u Direkte Suche mit XENON1T/nT und CRESST Intrinsische Eigenschaften von Neutrinos: u Vollständige Ausschöpfung der Empfindlichkeitspotentiale der Experimente KATRIN (Neutrinomasse) und GERDA (Teilchencharakter). u F&E für Messung der Massenhierarchie mit atmosphärischen Neutrinos (IceCube-Gen2: PINGU). Hochenergetisches Universum: u Aufbau des UHE-Gamma-Observatoriums CTA und Unterstützung der beiden Vorgängerexperimente H.E.S.S. und MAGIC bis zum Start von CTA. u Kosmische Strahlung: Fertigstellung und Inbetriebnahme von AugerPrime und Ausnutzung seiner vollen Empfindlichkeit. u Astrophysikalische Neutrinos: Ausnutzung der vollen Empfindlichkeit von IceCube und F&E für ein Neutrinoteleskop der nächsten Generation; Konzentration dabei auf IceCube-Gen2 unter Aufrechterhaltung der Alternativlösung KM3NeT für den Fall, dass IceCube-Gen2 nicht realisiert werden kann. u Gravitationswellen: experimentnahe Detektorentwicklung Theorie: u Experimentnahe theoretische Arbeiten 2
Weitere Empfehlungen des KAT: Natur der Dunklen Materie: u Alternative Suchen nach Axionen und axionartigen Teilchen, sowie sterilen keV- Neutrinos Intrinsische Eigenschaften von Neutrinos: u Ausschöpfung der Sensitivität der Oszillationsexperimente Borexino und Double Chooz. u Entwicklung neuartiger Technologien zur Neutrino-Massenbestimmung, z.B. ECHo. u Flüssigszintillator-Experimente zur Massenhierarchie (JUNO) und zur Suche nach sterilen eV-Neutrinos (SOX, STEREO) u Ausschöpfung des astrophysikalischen Potentials von JUNO. u Ein Experiment (ORCA, PINGU) zur Bestimmung der Massenhierarchie mittels der Messung atmosphärischer Neutrinos, falls dieses deutlich eher realisiert werden kann als die beschleunigerbasierten Neutrinoexperimente Hyper-Kamiokande und DUNE. Hochenergetisches Universum: u Multimessenger-Analyse (UHE Gammas, kosmische Strahlung, HE Neutrinos), auch unter Einbeziehung von Gravitationswellen u Aufrechterhaltung der deutschen Expertise bei Unterwasserteleskopen (KM3NeT) u Exploration von Gravitationswellenastronomie Astroteilchenphysik-Theorie: u Beibehaltung und Weiterentwicklung einer experimentunabhängigen Theorie in der Astroteilchenphysik u Experimentübergreifende und Multimessenger-Analysen, sowie die Unterstützung der Experimente in Planung, Bewertung, Design und Auswertung Nukleare Astrophysik: u Terrestrische Laborexperimente mit astrophysikalischer Relevanz, z.B. LUNA-MV- Beschleuniger im italienischen Untergrundlabor LNGS und der im Aufbau befindliche Beschleuniger im Dresdener Felsenkeller u Interdisziplinäre Netzwerke zur Verbindung von Kernphysik, Stern- und Supernova- Physik, und extremer Materieformen wie Neutronensternen sowie der Genese schwarzer Löcher 3
2) Zentrale Fragen der Astroteilchenphysik Die Astroteilchenphysik - ein innovatives und modernes Forschungsfeld - ergründet die fundamentalen und vielfältigen Zusammenhänge zwischen den allerkleinsten sub- atomaren Skalen und den größten Strukturen des Universums. Das dynamische Feld untersucht hochenergetische kosmische Teilchen-, Gamma- und Neutrino-Strahlung als Boten aus dem Universum mit neuartigen, äußerst empfindlichen Nachweismethoden. Bei Experimenten in Untergrundlaboren wird die kosmische Strahlung um viele Größenordnungen unterdrückt, um auf diese Weise nach extrem seltenen Ereignissen wie dem neutrinolosen doppelten Betazerfall oder der Dunklen Materie zu suchen. Astroteilchenphysik-Experimente der heutigen Generation sind extrem anspruchsvoll. Zur Durchführung sind besondere Infrastrukturen notwendig, die gemeinsam mit internationalen Partnern betrieben werden. Zur direkten Messung der Neutrinomassen etwa wird das Tritiumlabor des KIT in Karlsruhe benötigt. Zur Suche nach dunkler Materie und zur Erforschung der intrinsischen Eigenschaften von Neutrinos sind die Abschirmungseigenschaften (Faktor eine Million) des Untergrundlabors LNGS im Gran Sasso- Massiv in Italien erforderlich. Die Beobachtung von extragalaktischen Hochenergie-Neutrinos kann nur an Orten wie dem tiefen Eis an der Amundsen-Scott- Südpolstation oder in den Tiefen des Mittelmeers gelingen. Und für eine erfolgreiche Hochenergie-Gamma- Astronomie und zur Beobachtung der kosmischen Strahlung braucht es H.E.S.S. II Luft-Cherenkov-Teleskop Anordnung streulichtarme Verhältnisse und große unbewohnte Flächen, wie sie nur an wenigen Orten weltweit, etwa in Argentinien, Namibia, La Palma oder Chile zu finden sind. Die Astroteilchenphysik-Forschungsgruppen aus Deutschland genießen weltweit höchstes Ansehen. Als führende Partner auf zahlreichen Feldern der Astroteilchenphysik sind sie hervorragend positioniert in der nächsten Dekade zentrale Fragen zu beantworten. Die Schwerpunkte liegen auf Arbeiten zu Fragen i. der Natur der dunklen Materie; ii. der Eigenschaften von Neutrinos; iii. des hochenergetischen Universums. Sowohl die experimentellen als auch die theoretischen Arbeiten der drei Schwerpunkte sind eng miteinander verknüpft, und die Fragen können nur im Rahmen der bestehenden engen Koordination innerhalb der Astroteilchenphysik und ihrer angrenzenden Forschungsfelder beantwortet werden. Ein Beispiel ist der Multi-Messenger-Ansatz, der jetzt die bereits bekannten hochenergetischen Photonen, Neutrinos und Atomkerne um die gerade entdeckten Gravitationswellen erweitern muss. Die Beantwortung dieser Fragen geschieht mit einem 4
Portfolio aus anspruchsvollen Experimenten und mit Hilfe von Infrastrukturen, die i.d.R. nur gemeinsam mit den internationalen Partnern betrieben werden können. Die Flexibilität und Diversität der Methodik ist eine grundlegende Eigenschaft des Forschungsfeldes und führte maßgeblich zu den wissenschaftlichen Erfolgen. Die Erfolge der letzten Jahre, ermöglicht durch die Finanzierung durch die Verbundforschung Astroteilchenphysik des BMBF, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Europäischen Union, sowie Max- Planck Gesellschaft, Helmholtz- Gemeinschaft und Universitäten, haben zu einem stetigen Wachstum der nationalen und internationalen Gemeinschaft der Astroteilchenphysikerinnen und - physiker geführt. Wir sind bereit, uns weiteren Herausforderungen zu Modell des Doppelbetazerfalls-Experiments GERDA stellen und die nächsten Entdeckungsphasen in Angriff zu nehmen. Details des Lasersystems des Gravitationswellenexperiments GEO600 5
Natur der dunklen Materie Die bekannte Materie, die aus Atomen aufgebaut ist, macht nur etwa ein Sechstel der Materie im Universum aus. Der überwiegende Anteil ist eine uns noch unbekannte Materieform, die wir Dunkle Materie nennen. Diese Dunkle Materie bildet “Halos” um Galaxien wie unsere Milchstraße. In der Astroteilchenphysik versuchen wir die Dunkle Materie Teilchen unserer Milchstraße direkt mit technologisch neuartigen Detektoren, wie XENON1T oder CRESST, nachzuweisen, die sich tief im Erdboden in Untergrundlaboratorien unter mehr als einem Kilometer Abschirmung aus Felsen befinden. Mit Neutrino- oder Gamma-Teleskopen wie IceCube oder CTA oder mit dem AMS II-Experiment auf der ISS suchen wir indirekt nach Teilchen, die bei der Vernichtung von Dunkler Materie mit sich selbst entsteht. Diese beiden Methoden sind komplementär zur Suche nach Dunkler Materie am LHC. Bei einer Entdeckung von Kandidatenteilchen am LHC müssten weitere Messungen der Astroteilchenphysik zur Klärung durchgeführt werden, ob sie hinreichend langlebig sind und im frühen Universum in Dunkle Materie-Experiment XENON1T hinreichender Anzahl gebildet wurden. Eigenschaften von Neutrinos Neutrinos sind die häufigsten Elementarteilchen im Universum. Sie sind etwa eine Milliarde Mal zahlreicher als Atome, extrem leicht und bilden einen kleinen Teil der Dunklen Materie. Die Forschung an und mit diesen faszinierenden Teilchen wurde schon 1988, 1995 und 2002 mit Physik-Nobelpreisen ausgezeichnet, jetzt wurde die Entdeckung der Oszillation solarer und atmosphärischer Neutrinos durch Takaaki Kajita und Arthur B. McDonald und ihren Teams mit dem Nobelpreis Physik 2015 geehrt: Neutrinos besitzen andere Eigenschaften als nach dem Standardmodell der Teilchenphysik vorausgesagt. Nach dieser Entdeckung der Neutrinooszillation lauten die Fragen: Wie groß ist die Neutrinomasse, wird sie durch das Higgs-Boson genauso verursacht wie bei den anderen Elementarteilchen, oder durch einen anderen Massen- Neutrinomassen-Experiment KATRIN mechanismus? Stimmt die 6
Massenreihenfolge (Hierarchie) der Neutrinos mit der Reihenfolge ihrer geladenen Partnerteilchen überein? Welche sonstigen Eigenschaften haben Neutrinos, sind sie ihre eigenen Antiteilchen? Wie ist ihre Mischung genau, die für die Umwandlung einer Neutrinosorte in eine andere verantwortlich ist? Gibt es weitere, sterile, Neutrino-Sorten? Wie groß ist die CP- Verletzung bei den Neutrinos? Ist ihre CP-Verletzung dafür verantwortlich, dass das Universum nur aus Materie und nicht auch aus Antimaterie besteht? Mit dem KATRIN-Experiment soll die Neutrinomasse direkt kinematisch aus dem Betazerfall des Wasserstoffisotops Tritium bestimmt werden. Wenn Neutrinos identisch mit ihren Antiteilchen sind, dann tritt – äußerst selten – der neutrinolose doppelte Betazerfall auf. Aus der Halbwertszeit dieses Prozesses kann auf die Neutrinomasse geschlossen werden. Bei der Suche nach diesem sehr seltenen Zerfall steht in Deutschland das GERDA-Experiment im Vordergrund. Sein Nachweis würde gleichzeitig den Beweis liefern, dass Neutrinos zugleich Teilchen und Antiteilchen sind, was weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis hätte, warum das Universum aus Materie und nicht aber aus Antimaterie aufgebaut ist. Die Massenhierarchie der Neutrinos stellt eine der noch unbeantworteten fundamentalen Fragen der Neutrinophysik dar, deren Beantwortung u.a. auch von großer Bedeutung für die Untersuchung von CP-Verletzung im Neutrinosektor ist. Die Neutrino-Massenhierarchie kann mit den Methoden der Astroteilchenphysik untersucht werden, komplementär zu (und wahrscheinlich vor) Experimenten an Beschleunigerstrahlen (Hyper-Kamiokande und DUNE): Mit zukünftigen dicht instrumentierten Neutrinoteleskopen (PINGU als Teil von IceCube Gen2 oder ORCA, unter Auswertung der Richtungs- und Energieverteilung atmosphärischer Neutrinos) oder durch die Untersuchung der Oszillationen von Reaktorneutrinos (JUNO). Hochenergetisches Universum Aus dem Universum treffen Teilchen mit sehr viel höherer Energie auf die Erde, als sie ein irdischer Beschleuniger wie der LHC erzeugen kann. Diese kosmischen Boten sind seit über 100 Jahren bekannt und treten in Form von geladener kosmischer Strahlung, hochenergetischer Gammastrahlung und Neutrinos auf. Die Eigenschaften, Entstehungsprozesse und Wechselwirkungen dieser Botenteilchen Pierre Auger Observatorium sind so verschieden, dass durch ihre Messung “Multi- Messenger”- Informationen wesentliche Fragen des hochenergetischen Universums beantwortet werden können: Wo befinden sich die Teilchenbeschleuniger im Universum und welche Rolle spielt die kosmische Strahlung in der Entwicklung unserer Milchstraße und des Universums? Mit dem Pierre-Auger-Observatorium werden die höchstenergetischen kosmischen Teilchen gemessen, ihre Zusammensetzung bestimmt und ihre Quellen gesucht. Mit dem Neutrinoteleskop IceCube wurde im Jahre 2013 entdeckt, dass auch sehr hochenergetische Neutrinos aus dem Universum auf die Erde treffen. Mit Cherenkov-Teleskopen wie H.E.S.S. und MAGIC werden hochenergetische Gammaquanten gemessen. Damit wurden erstmals 7
Quellen hochenergetischer Gamma-Strahlung in großer Zahl nachgewiesen und z.T. bereits strukturauflösende Bilder erstellt. Mit dem Nachfolgeprojekt, dem Cherenkov Telescope Array CTA wird eine neue astronomische Disziplin mit den Methoden der Astroteilchenphysik Routine werden. Weitere hochinteressante Fragestellungen liegen im Grenzgebiet der Astroteilchenphysik zu anderen Disziplinen wie die der Gravitationswellen, die kürzlich, 100 Jahre nach ihrer Vorhersage, im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, entdeckt worden sind. Die Einbindung der Gravitationswellen in die Multimessenger-Strategie der Astroteilchenphysik bietet wichtige weitere Informationen über das hochenergetische Universum sowie auch über das frühe Universum unmittelbar nach dem Urknall. Weiterhin erforscht die Nukleare Astrophysik, welche Fusionsreaktionen im Urknall, beim Sternbrennen oder bei Sternexplosionen ablaufen, und wie nukleare Energiefreisetzung die kosmischen Objekte prägt und damit Neutrinoteleskop IceCube aus anfänglichem Wasserstoff und Helium unsere Elemente-Vielfalt entwickelt hat. Nur das Zusammenführen aller Informationen wird uns dem dem Verständnis des Universums näher bringen. Künstlerische Darstelleung der Luft-Cherenkov-Telekop Anordnung CTA 8
3) Empfehlungen Dunkle Materie Was ist die Dunkle Materie? Da die Masse der Dunkle Materieteilchen unbekannt ist, empfiehlt das KAT die folgenden komplementären Wege, die es der deutschen Astroteilchenphysik-Gemeinde erlauben wird, weiterhin führend bei der Suche und der erhofften Entdeckung der Teilchen der Dunklen Materie mitzuwirken: Bei der direkten Suche im Bereich sehr leichter WIMPs (Weakly Interacting Massive Particle) besitzt das CRESST-Experiment mit einer speziellen in Deutschland entwickelten Kryobolometer-Technologie die beste Empfindlichkeit. Das EDELWEISS-Experiment mit deutscher Beteiligung plant wie CRESST, aber mittels des Neganov-Luke-Effekts, eine wesentliche Steigerung der Empfindlichkeit, und strebt zukünftig die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen SuperCDMS-Experiment an. Im Bereich mittelschwerer und schwerer WIMPs wird der gerade eingeweihte große Zweiphasen-Xenon-Detektor XENON1T und sein Ausbau auf XENONnT in den nächsten 5-10 Jahren weltweit die führende Empfindlichkeit erreichen. Hierzu steuern deutsche Gruppen u.a. bei der entscheidenden weiteren Reduktion von Störsignalen wesentliche innovative Technologien bei. Die weiter unten genannten Experimente zum Hochenergie-Universum (CTA und IceCube) suchen komplementär nach sekundären Teilchen aus der Vernichtung eines Teilchens der Dunklen Materie mit einem anderen Zugang. Der Vergleich der mit XENON1T oder CRESST direkt gemessenen Streurate und Masse der WIMPs mit der mit CTA oder IceCube gemessenen Vernichtungsrate und -art würde wesentliche Rückschlüsse auf die Natur der Dunklen Materie erlauben. Dunkle Materie wurde bisher nicht entdeckt und die WIMP-Hypothese nicht z.B. durch Entdeckung neuer Physik am LHC gesichert. Es ist daher notwendig, die Suchen auch auf Teilchen jenseits von WIMPs auszuweiten. Die vielversprechendsten Alternativen sind Axionen und axionartige Teilchen sowie sterile keV Neutrinos. Das KAT empfiehlt, den Experimenten CRESST und XENON1T/nT die notwendigen Mittel bereitzustellen. Weiterhin empfiehlt das KAT alternative Suchen nach Axionen und axionartigen Teilchen, sowie sterilen keV-Neutrinos. Neutrinoeigenschaften Wie groß ist die Neutrinomasse? Das weltweit führende Experiment zur direkten Neutrinomassensuche ist das KATRIN-Experiment am KIT unter deutscher Führung. Sind Neutrinos identisch mit Ihren Antiteilchen? Komplementär und verbunden mit der Überprüfung, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind, ist die Suche nach dem neutrinolosen doppelten Betazerfall. Hier ist die deutsche Expertise im GERDA-Experiment gebündelt, das ebenfalls unter deutscher Führung steht. GERDA II hat gerade die Datennahme begonnen, KATRIN steht nahe davor. Nach dem Standard-Modell der Kosmologie liegen die Neutrinomassen eventuell sogar noch unterhalb dieser Empfindlichkeitsgrenzen. Daher werden in Deutschland im Rahmen möglicher weiterer Projekte innovative Technologien entwickelt, z.B. mit dem unter deutscher Leitung stehenden ECHo-Experiment, um die Empfindlichkeit mit Experimenten auf international führendem Niveau in Zukunft nochmals merklich steigern zu können. 9
Ist die Massenhierarchie der Neutrinos so wie bei den anderen Elementarteilchen und gibt es weitere, sterile Neutrinos? In der letzten Dekade wurde das Phänomen der Neutrinooszillationen in mehreren Experimenten weltweit eindrucksvoll bestätigt und Oszillationsparameter konnten mit immer höherer Präzision vermessen werden. Beiträge deutscher Gruppen wurden hier besonders in den Experimenten BOREXINO, DOUBLE CHOOZ, OPERA und T2K sichtbar. Mit dem BOREXINO Experiment im Gran-Sasso Untergrundlabor gelang die erstmalige Vermessung aller relevanten Kanäle der solaren pp- Kette und damit die Bestätigung des Materie-Effektes der Sonne auf Neutrinooszillationen. Mit Double-Chooz und den Konkurrenzexperimenten DAYA BAY, RENO konnte mittels Reaktorneutrinos der dritte Mischungswinkel Θ13 bestimmt werden, dessen Größe für die Planung künftiger Experimente von entscheidender Wichtigkeit ist. Mit OPERA gelang der direkte Nachweis der Oszillation von Myon- zu Tau-Neutrinos unter Verwendung eines Neutrinostrahls vom CERN zum Gran-Sasso-Labor. Die von deutschen Gruppen vorangetriebenen Entwicklungen der Technologie ultrasensitiver Flüssigszintillatoren bei niedrigsten radioaktiven Verunreinigungen in BOREXINO und Double-Chooz wird in dem neuen Großexperiment JUNO (Jiangmen Underground Neutrino Observatory) in China Verwendung finden, das im Jahre 2020 mit der Datennahme beginnen soll. Mit JUNO wird die Massenhierarchie mit Hilfe von Reaktorneutrinos und damit komplementär zu Beschleuniergerexperimenten untersucht und es werden weitere Aspekte der Neutrinoastrophysik bei niedrigen Energien beleuchtet Ein anderer, vielversprechender Ansatz zur Messung der Neutrinomassenhierarchie ist die Untersuchung von Oszillationen atmosphärischer Neutrinos auf ihrem Weg durch die Erde mit dicht instrumentierten Neutrinoteleskopen. Sowohl IceCube wie auch KM3NeT haben Letters of Intent für entsprechende Detektoren (PINGU bzw. ORCA) vorgelegt, wobei deutsche Gruppen maßgebliche Beiträge geleistet haben. Angesichts der hohen Neutrinoteleskop-Expertise deutscher Gruppen empfiehlt das KAT, eines dieser Projekte zu verfolgen, da sie das Potential haben, deutlich vor den Beschleunigerexperimenten Hyper-Kamiokande und DUNE in Betrieb zu gehen. Deutsche Szintillator-Technologie wird im Experiment STEREO am Forschungsreaktor ILL in Frankreich verwendet werden, und deutsche Gruppen sind entscheidend an BOREXINO/SOX beteiligt, wo mit einer künstlichen Neutrinoquelle nach dem gleichen Phänomen gesucht wird, nämlich nach Oszillationen steriler Neutrinos. Das KAT empfiehlt, KATRIN und GERDA die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um ihr Empfindlichkeitspotential möglichst vollständig ausschöpfen zu können. Das KAT empfiehlt die Beteiligung an einem Experiment (ORCA, PINGU) zur Bestimmung der Massenhierarchie mittels der Messung atmosphärischer Neutrinos, falls dieses deutlich eher realisiert werden kann, als die beschleunigerbasierten Neutrinoexperimente Hyper- Kamiokande und DUNE. Weiterhin empfiehlt das KAT, die Sensitivität der Oszillationsexperimente Borexino und Double Chooz auszuschöpfen. Das KAT empfiehlt darüber hinaus die Beteiligung an den Flüssigszintillator-Experimenten zur Massenhierarchie und weiteren astrophysikalischen Fragen (JUNO) und zur Suche nach sterilen eV-Neutrinos (SOX, STEREO). Das KAT empfiehlt ebenfalls die Entwicklung neuartiger Technologien zur Neutrino-Massenbestimmung, z.B. ECHo. Hochenergie-Universum Wo befinden sich die Teilchenbeschleuniger im Universum und wie funktionieren sie, welche Rolle spielt die kosmische Strahlung in der Entwicklung unserer Milchstraße und des Universums? Zur Untersuchung des Hochenergie-Universums werden alle drei Botenteilchen, d.h. geladene 10
kosmische Strahlung, Gamma-Strahlung und Neutrinos genutzt. Die Aktivitäten der Gamma-Astronomie konzentrieren sich auf die Datennahme mit H.E.S.S. II und MAGIC und die Vorbereitungen für den Bau von CTA, das als Großgerät des BMBF in den nächsten Jahren aufgebaut und betrieben wird. Im Rahmen der Forschungen der kosmischen Strahlung ist das Pierre-Auger-Observatorium das führende Experiment bei den höchsten Energien mit Deutschland als stärkste Einzelnation. Kürzlich wurde das internationale Abkommen für den weiteren Betrieb bis 2025 und den Ausbau zu AugerPrime unterschrieben. Dadurch werden die Voraussetzungen geschaffen, die Frage nach dem Ursprung der höchstenergetischen Teilchen zu klären, ihre Quellen durch die Methode der Protonenastronomie zu identifizieren, und spezifische teilchenphysikalische Fragestellungen bei mehr als zwanzigfacher LHC Schwerpunktsenergie zu untersuchen. Weiterhin notwendig sind F&E-Arbeiten für zukünftige Projekte in diesem aufstrebenden Forschungsfeld. IceCube hat das Thema Neutrinoastronomie eröffnet, ein internationales Memorandum of Understanding für den weiteren Betrieb wurde gerade unterzeichnet. Ein deutlich größeres Neutrinoteleskop “IceCube-Gen2“ könnte die Quellen entdecken und die kosmischen Beschleuniger untersuchen. Über dieses Gesamtprojekt unter amerikanischer Führung an der amerikanischen Südpolstation wird in den USA voraussichtlich vor 2020 entschieden werden. Parallel wird im Mittelmeer das Neutrinoteleskop KM3NeT vorangetrieben. IceCube und KM3NeT arbeiten im Rahmen des Global Neutrino Network auf vielen Gebieten und Fragestellungen zusammen. Das IceTop Array auf dem Eis über dem IceCube Gen2-Detektor erlaubt die Untersuchung der kosmischen Strahlung beim Übergang von galaktischen zu extragalaktischen Quellen komplementär zum Pierre-Auger-Observatorium. Das KAT empfiehlt den Aufbau des UHE-Gamma-Observatoriums CTA sowie die führenden Aktivitäten bei H.E.S.S. und MAGIC als Vorbereitung auf den wissenschaftlichen Betrieb von CTA. Weiterhin unterstützt das KAT Fertigstellung und Inbetriebnahme von AugerPrime und Ausnutzung seiner vollen Empfindlichkeit. Das KAT empfiehlt die deutsche Beteiligung an einem Neutrinoteleskop der nächsten Generation und sieht die Priorität in IceCube-Gen2, auch aufgrund der umfangreichen bei IceCube erworbenen Expertise deutscher Gruppen. Das KAT empfiehlt ebenfalls die Aufrechterhaltung der Alternativlösung KM3NeT insbesondere für den Fall, dass IceCube-Gen2 nicht realisiert werden kann. Weiterhin empfiehlt das KAT die Exploration der Gravitaitonswellen-Astronomie inklusive der experimentnahen Detektorentwicklung. Als notwendig sieht das KAT die Multimessenger-Analyse (UHE Gammas, kosmische Strahlung, HE Neutrinos) an, auch unter Einbeziehung von Gravitationswellen. Theorie der Astroteilchenphysik Das KAT erachtet eine starke theoretische Astroteilchenphysik als unverzichtbar für die Maximierung des wissenschaftlichen Ertrags der deutschen Investitionen in Forschungsinfrastrukturen und Experimentprogramme. Eine aktive und lebendige Theorieszene ist richtungweisend für die Experimente und sehr wichtig, um die Hochenergiesignale in kosmischer Strahlung, hochenergetischer Gamma-Strahlung und Neutrinos zu interpretieren. Ebenso notwendig ist die stark mit der Teilchen- und Kernphysik verknüpfte Theorie im Bereich von Dunkler Materie und Neutrinos. Theoriegruppen verbinden die Ergebnisse der Astroteilchenphysik auf verschiedene Weise mit denen der Teilchenphysik und Kosmologie, 11
wodurch alle experimentellen Daten in die Gesamtinterpretation einfließen. Wichtige thematische Querverbindungen zur LHC-Physik und anderen Teilchenphysikexperimenten, Kosmologie und Astrophysik tragen so zu einem optimalen Gesamtbild bei. Die Einbeziehung all dieser theoretischen Querverbindungen ist auch strategisch bedeutsam, um experimentelle Suchen zu optimieren und um die Erfolgsaussichten von neuen Projekten der Astroteilchenphysik bestmöglich einschätzen zu können, mit und ohne direktem Experimentbezug. Ohne experimentunabhängige Theorie hätten die wissenschaftlichen Erfolge der letzten Dekade nicht erreicht werden können. Das KAT empfiehlt die Förderung der experimentnahen theoretischen Arbeiten. Weiterhin unterstützt das KAT die Beibehaltung und Weiterentwicklung einer experimentunabhängigen Theorie in der Astroteilchenphysik. Das KAT erachtet die experimentübergreifenden und Multimessenger-Analysen, sowie die Unterstützung der Experimente in Planung, Bewertung, Design und Auswertung als sehr wichtig. Forschung im Grenzbereich zu anderen Disziplinen Deutschland hat eine sehr aktive Gravitationswellen-Community um das MPI in Hannover mit dem Großgerät GEO600 und der Beteiligung an internationalen Gravitationswellendetektoren. Durch die hervorragende Technologieentwicklung der deutschen Gruppen konnte die Empfindlichkeit der Gravitationswellendetektoren Advanced LIGO in den USA so gesteigert werden, dass erstmals Gravitationswellen genau 100 Jahre nach deren Vorhersage entdeckt worden sind. Die deutschen Universitätsgruppen auf diesem Gebiet haben sich eher theoretisch und auf Datenanalyse bezogen ausgerichtet Nach dieser Entdeckung der Gravitationswellen erwarten wir ein Anwachsen der Beteiligung an der instrumentellen Entwicklung von Gravitationswellendetektoren durch Universitätsgruppen. Das KAT empfiehlt hierfür die Ausschreibung in der Verbundforschung zu prüfen. Weiterhin erwarten wir zukünftig eine stärkere Vernetzung mit der Astroteilchenphysik, insbesondere bei der Erweiterung der Multimessenger-Analysen auf Gravitationswellen. Die Empfehlungen des KAT zur Unterstützung der Gravitationswellenforschung stehen im Abschnitt Hochenergie-Universum. Nukleare Astrophysik beinhaltet die Aspekte von kernphysikalischer Materiebeschreibung, astronomische Messmethoden kosmischer Nuklide von weltraumbasierten Gammastrahlen- Teleskopen bis zu Meteoritenstaub-Spektroskopie und Tiefseeproben-Analysen, sowie Experimente zu Kernreaktionen unter nachempfundenen kosmischen Bedingungen. Das KAT empfiehlt die Unterstützung terrestrischer Laborexperimente mit astrophysikalischer Relevanz, d.h. jenseits der rein kernphysikalischen und über die Hadronen- und Kernphysik geförderten Fragen. Gerade mit dem im Aufbau befindlichen Beschleuniger im Felsenkeller in Dresden und dem LUNA-MV Beschleuniger im italienischen Untergrundlabor LNGS bieten sich neue Möglichkeiten. Weiterhin unterstützt das KAT interdisziplinäre Netzwerke zur Verbindung von Kernphysik, Stern- und Supernova-Physik, und extremer Materieformen wie Neutronensternen sowie der Genese schwarzer Löcher. 12
4) Gesellschaftliche Relevanz und Anwendungen Die Astroteilchenphysik ist ein Paradebeispiel eines Feldes der Grundlagenforschung mit hoher gesellschaftlicher Relevanz und einem reichhaltigen Spektrum von Technologieentwicklungen, die weit über das eigentliche Forschungsfeld hinaus bedeutsam sind. Sie greift zudem wissenschaftliche Fragen von grundlegender Bedeutung für unser Verständnis von Entstehung, „Funktionieren“ und Gesetzmäßigkeiten des Universums auf und ist somit unverzichtbarer Teil des kulturellen Strebens nach Einsicht in unseren Ursprung. Dank ihrer faszinierenden Fragestellungen und Methoden begeistert die Astroteilchenphysik viele Bürgerinnen und Bürger für Wissenschaft und Forschung und trägt dazu bei, leistungs- und begeisterungsfähige Studierende für die Physik oder benachbarte MINT-Fächer zu gewinnen. Im Studium, während der Promotion und in der Postdoktorandenzeit erwerben diese jungen Forscherinnen und Forscher das Rüstzeug, den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland nachhaltig zu stärken. Die Experimente der Astroteilchenphysik erfordern Technologieentwicklung an der vordersten Front der Innovation. Beispiele sind der auf Nanosekunden genaue Nachweis einzelner Photonen unter extremen Bedingungen, extrem schnelle, preiswerte und energiesparende Ausleseelektronik, die präzise Synchronisation riesiger Detektor-Arrays, schnelle Verarbeitung riesiger Datenmengen, komplexe und sehr aufwändige Simulationen, die parasitäre Gewinnung von Umweltdaten bei der Kalibration der Instrumente, die fast vollständige Eliminierung radioaktiver Signale in Untergrundexperimenten und die Herstellung chemisch höchst reiner Substanzen. Viele dieser Entwicklungen finden Anwendungen in Feldern wie der Medizintechnik, industrieller Fertigung oder der IT-Branche. Einige Beispiele solcher innovativer Entwicklung und ihrer Anwendung auf anderen Gebieten sind im Anhang 3 aufgeführt. Die Experimente der Astroteilchenphysik liefern Daten, die über lange Zeit relevant bleiben und ein Vermächtnis an nachfolgende Generationen von Forscherinnen und Forscher darstellen. Die Astroteilchenphysik in Deutschland hat eine Vorreiterrolle darin, diese Daten zu konservieren und für den offenen Zugriff jedermann zur Verfügung zu stellen. Auch damit sind Entwicklungen und Expertise verbunden, die mittelfristig in unserer zunehmend informationsgeprägten Gesellschaft von hoher Relevanz sein werden. 13
5) Strategieprozess in der deutschen Astroteilchenphysik Beim Treffen des KAT in Karlsruhe im Herbst 2014 wurde ein Strategieprozess innerhalb der deutschen Astroteilchenphysik angestoßen, der auf einem Treffen der deutschen Astroteilchenphysik im November 2015 in Bad Honnef weitergeführt wurde, auf dem das vorliegende Papier beruht. Angesichts der großen wissenschaftlichen aber auch finanziellen Herausforderungen der kommenden Jahre hat sich das KAT zum Ziel gesetzt, klare Empfehlungen und Priorisierungen für die nächste Dekade der deutschen Astroteilchenphysik vorzubereiten. Sie sollen aufzeigen, wie die wissenschaftlichen Fragestellungen der stetig wachsenden deutschen Astroteilchenphysik-Gemeinschaft im Rahmen der realistisch zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und Ressourcen auch in Zukunft erfolgreich bearbeitet werden können. Der Strategieprozess findet in enger Abstimmung zwischen den Forschern an deutschen Universitäten, Helmholtz-Zentren und Max-Planck-Instituten statt und erfolgt in Diskussion mit dem BMBF. Der europäische Strategieprozess, der derzeit im Rahmen des APPEC durchgeführt wird, findet hierbei ebenso Berücksichtigung wie die globalen internationalen Entwicklungen insgesamt und nationale Interessen. Die Empfehlungen beinhalten Fortführungen von erfolgreichen bzw. kurz vor dem Start befindlichen Experimenten, wie auch eine Selektion von exzellenten neuen Experimenten (bzw. Erweiterungen derselben). Insbesondere durch die außerordentlich erfolgreiche Positionierung der deutschen Astroteilchenphysik in den letzten Jahren werden auch im nächsten Jahrzehnt wesentliche Fortschritte und weitere Durchbrüche bei der Beantwortung der genannten drei Grundfragen - Natur der dunklen Materie, intrinsische Eigenschaften von Neutrinos, hochenergetisches Universum - erwartet. Dies setzt natürlich voraus, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen für die hierzu erforderlichen innovativen, hochtechnologischen und methodischen Entwicklungen zumindest vorhanden bleiben, wenn nicht ausgebaut werden. Der Bau der hierzu erforderlichen Großgeräte und darüber hinaus gehende F&E-Arbeiten ermöglichen es nicht nur wissenschaftliches Neuland zu betreten und fundamentale Fragen zu beantworten, sondern sie schaffen auch einen hohen Mehrwert für Industrie und Gesellschaft. Die Astroteilchenphysiker und -physikerinnen in Deutschland sehen sich gut gerüstet, diesen Weg konsequent weiterzugehen. 14
Anhang 1: Astroteilchenphysikexperimente der Verbundforschung Die Tabelle gibt einen Überblick über die Beteiligung deutscher Gruppen für die zentralen Astroteilchen-Projekte der Verbundforschung. Nicht erfasst sind hier in der Astroteilchenphysik arbeitenden Theoretiker (soweit sie nicht Mitglieder großer Kollaborationen sind). Experi- Teilnehmer Teil- Gesamt Invest Institutionen in D Hardware- Besondere Zeitplan ment weltweit nehmer -invest aus D in (Leitinstitute in Aufgaben Verantwortlich- inklusive /FTE in in M€ M€ fett) deutscher keiten Doktoranden D Gruppen deutscher Gruppen AUGER 450 90 100 25 KIT, RWTH Fluoreszenztelesk Sprecher der Datennahme Aachen, U ope, Kollaboration, bis 2025, Hamburg, U Ausleseelektronik Projektbüro und Aufbau von Siegen, U für Projektmanage AugerPrime Wuppertal, U Bodenstationen ment, Science 2017 bis 2018 Bonn und Teleskope, Koordinator, Remote Control, viele Analyse vollständige und Detektor Szintillator- Detektorstationen, Radionachweis, Wetterstationen CTA 1200 140 300 50 MPIK, MPP, Project Office, Sprecher, stellv. 2017 DESY, HU Berlin, Head Quarter Vorsitz Board, Baubeginn, U Bochum, TU (angestrebt), Porjektmanager, 2018 erste Dortmund, U MSTs, LST, Projektwissensc Daten Erlangen, U Kameras, haftler, Hamburg, U Spiegelsteuerung Teilbereichsleite Heidelberg, U r Potsdam, U Tübingen, U Würzburg GERDA 120 29 14 10 MPIK, MPP, TU Ge-76 HPGe Spokesperson, GERDA II Dresden, TU detector develop- Co- Datennahme München, U ment and produc- Spokesperson, seit 12/2015 Tübingen tion, LAr instru- chair editorial mentation, lock- board, chair system & clean speaker’s room, DAQ, muon bureau, veto, cryostat and technical cryogenic infra- coordinator, structures, materi- al screening, detector integra- tion. H.E.S.S. 249 91 24 16 MPIK, HU Berlin, Aufbau und Sprecher (2004- 2004-2013 U Hamburg, U Betrieb der 2015), stellvertr. (HESS I), seit Bochum, U meisten Sprecher, OC, 2014 (HESS Heidelberg, U Experimentkompo Technischer II) Tübingen, U nenten Koordinator, Erlangen, DESY, Run U Potsdam Koordinator, mehrere Teilprojektleiter IceCube 360 90 300 30 DESY, RWTH Entwicklung und Chair Speaker IceCube ist im Aachen, U Aufbau der Digital- commit, Chair Betrieb und Bochum, U Optical-Modules Gen2 working finanziert bis Dortmund, U inklusive group, Analysis mindestens Erlangen, U Elektronik, Entwic Coordinator,Cha 2011, Gen2 Mainz, TU klung von ir Publ. Comm., R&D bis München, U akustischen und mehrere 2020, R&D Münster, U Radio-Detektoren, Taskleiter construction Wuppertal, Betrieb und line in 2020- Entwicklungen 2021 neuer Sensoren KATRIN 120 70 65 60 KIT, U Bonn, FH Aufbau und Beide Sprecher, Start Fulda, MPIK, Betrieb der Chair des Datennahme MPP, U Mainz, TU meisten Kollaboration 2016/17 München, U Experimentkompo Boards,die Münster, U nenten, meisten Wuppertal Gastgeberlabor Taskleader MAGIC 201 56 16 8 MPP, U Dortmund, Aufbau und Sprecher Seit 2005, 2. U Würzburg, Betrieb der (mehrfach), Teleskop seit DESY meisten Vorsitz Publ. 2009 Experimentkompo Board, Physik- 15
nenten Koordinator XENON1 120 20 15/15 4 /2 MPIK, U Mainz, U Xenontarget, Chair Collab. Start T/nT Münster PMT, Muonveto, Board, Chair Datennahme Gasreinigung und Publ. Comm., XENON1T –analyse mehrere 2016, Taskleiter XENONnT ab 2018/19 Anhang 2: Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter in der Astroteilchenphysik in Deutschland 16
Anhang 3: Innovation aus der Astroteilchenphysik Die Liste gibt einige ausgewählte Beispiele von Entwicklungen in der Astroteilchenphysik wieder, die Anwendungen in anderen Gebieten gefunden haben. Technologietransfer: Technology Forum APPEC 2015 17
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