Schulverweigerung in Österreich - Recherchebericht SPI Schriften 2007

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Fachbereich Pädagogik | Sozialpädagogisches Institut

                SPI Schriften 2007

Schulverweigerung in Österreich

          Recherchebericht

                         Innsbruck, 2007
Jahr: 2007
Herausgeber: Sozialpädagogisches Institut, Fachbereich Pädagogik, SOS-Kinderdorf
                                                       Autorin: Maga. Cornelia Veith
                                       Auftraggeberin: Maga. Romana Hinteregger
                                             e-mail: sos-kinderdorf.spi@sos-kd.org
                                           web: http://paedagogik.sos-kinderdorf.at
                                                        http://www.sos-kinderdorf.at

                                           grafische Gestaltung: medienwerkstatt.cc
1        Die Recherche                                                4
1.1      Ausgangssituation                                            4
1.2      Zielsetzung und Fragen                                       4

2        Ergebnisse der Literaturrecherche                            5
2.1      Begriffsdefinitionen                                         5
2.1.1    Definitionen                                                 5
2.1.2    Schlussfolgerung                                             6
2.2      Aktuelle Forschungsprojekte                                  9
2.2.1    Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur       9
         Barbara Riepl: Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik
         und Sozialforschung
         “Jugendliche SchulabbrecherInnen in Österreich.
         Ergebnisse einer Literaturstudie (2004)
2.2.2    Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur       9
         Helga Kittl-Satran in Zusammenarbeit mit Andrea Mayr,
         Barbara Schiffer und Josef Scheipl
         “Schulschwänzen - Verweigern - Abbrechen“. Eine Studie
         zur Situation an Österreichs Schulen (2006)
2.2.3    Schreiber-Kittl Maria & Schröpfer Haike: Abgeschrieben?     12
         Ergebnisse einer empirischen Untersuchung über
         Schulverweigerer (2002)
2.2.4    Zusammenfassung                                             14

3        ExpertInnenbefragung                                        16
3.1      Die Kontakte                                                16
3.2      Zusammenfassung                                             17
3.3      Empfehlung für die weitere Vorgehensweise                   18

4        Literatur                                                   19

3 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
1 Die Recherche
1.1        Ausgangssituation
Schulverweigerung (gemeint als Sammelbegriff für verschiedene Formen des
unerlaubten Fernbleibens von der Schule) wird sowohl in der öffentlichen
Diskussion, in Fachkreisen sowie auch im Jugendwohlfahrtsbereich immer
mehr zum Thema.

Das Problem des unerlaubten Fernbleibens von der Schule ist kein Neues, die
Folgen jedoch sind gegenwärtig gravierender denn je, denn Kinder und
Jugendliche, die aufgrund ihres häufigen Fehlens keinen
Pflichtschulabschluss erreichen, geraten schnell in die dauerhafte
Arbeitslosigkeit. In weiterer Folge ist somit ihre berufliche und auch soziale
Integration sehr stark gefährdet.1

Aufgrund der Brisanz dieses Themas hat das Jugendhaus Graz vor, eine so
genannte Heilstättenschule einzurichten, in der Kinder und Jugendliche im
Pflichtschulalter, die die Schule verweigern oder vom Schulbesuch
ausgeschlossen wurden, beschult werden und ein sozialpädagogisches,
therapeutisches und ähnliches Zusatzangebot erhalten. Dieses Angebot soll
für Kinder und Jugendliche des Jugendhauses mit dieser Problematik ebenso
gelten, wie für schulverweigernde Kinder und Jugendliche, die in ihrem
Herkunftssystemen in Graz und Umgebung leben (ambulantes Angebot).

1.2        Zielsetzung und Fragen
Ziel der Recherche “Schulverweigerung in Österreich“ ist es, das Phänomen
der Schulverweigerung in Österreich (speziell in der Steiermark, Graz und
Umgebung: Weiz, Leibnitz, Voitsberg) anhand von Zahlen und mittels
Definitionen sichtbar zu machen. Sollten in Österreich keine Zahlen
vorhanden sein, so sollen vergleichbare Zahlen aus Deutschland recherchiert
werden.

Fragen

       ¾ Wie wird das Phänomen der Schulverweigerung definiert?
       ¾ Welche ähnlichen oder weiteren Begriffe und Definitionen gibt es zu
         diesem Themenkreis?
       ¾ Wie viele Kinder/Jugendliche sind in Österreich und speziell in der
         Steiermark (Graz und Umgebung: Weiz, Leibnitz, Voitsberg) vom
         Phänomen der Schulverweigerung betroffen?

1
    Kittl-Satran, 2006; Schreiber-Kittl & Schröpfer, 2002

                                                    SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 4
2 Ergebnisse der
  Literaturrecherche
2.1. Begriffsbestimmungen
In der Fachliteratur, in der Praxis und in den Medien wird eine Vielzahl von      begriffliche Vielfalt
Begriffen verwendet, um das allgemeine Phänomen des unerlaubten
Fernbleibens von der Schule zu beschreiben und zu analysieren. Die Vielfalt
der Begrifflichkeiten reicht von Schulschwänzen, Schulmüdigkeit,
Schulverweigerung, Schuldistanzierung, Schulflucht, Schulabsentismus,
Schulversäumnis, unregelmäßiges Schulbesuchsverhalten bis hin zu
Schulverdrossenheit, Schulaversion, Schulangst und Schulphobie.2

2.1.1 Definitionen

Müller unterteilt das Thema in Schulschwänzen, Schulverweigerung und              unterschiedliche
Schulphobie:                                                                      Definitionen
Die Schulphobie beschreibt die Autorin als klinische Sonderform der
Schulverweigerung, die einer psychiatrischen Behandlung bedarf.
Schulverweigerung und Schulschwänzen unterscheidet sie hinsichtlich
verschiedener Merkmale: Laut Ansicht der Autorin findet Schulschwänzen in
der Regel ohne Wissen der Eltern statt und ist meist mit Lügen gegenüber
Eltern und Lehrern verbunden. Kinder und Jugendliche, die die Schule
schwänzen, halten sich in der Regel außer Haus auf und sind
psychopathologisch eher unauffällig. Sie versuchen in erster Linie durch das
Fernbleiben von der Schule unangenehmen Situationen und Erlebnissen
auszuweichen. Unter Schulverweigerung meint Müller eher die offene
Verweigerung von Kindern und Jugendlichen, die nach außen sichtbar ist. Die
Eltern wissen – laut Autorin – meistens über das schulische Fernbleiben
Bescheid.3

Oelsner & Lehmkuhl unterteilen Schulverweigerung in drei Kategorien:              Oelsner & Lehmkuhl
Schulangst, Schulphobie und Schuleschwänzen. Schulangst ist – nach
Ansicht der Autoren – durch eine starke Angst vor Leistungsnachweisen und
subtiler oder offensiver Ablehnung durch MitschülerInnen bzw. Lehrpersonen
gekennzeichnet. Häufig kommen noch psychosomatische Probleme dazu,
dissoziale Verhaltensweisen hingegen kommen im Allgemeinen nicht vor.
Schulphobie hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass in den betroffenen
Kindern und Jugendlichen durch den Schulalltag starke Trennungsängste von
Familie bzw. einzelnen Familiemitgliedern aktiviert werden. Ähnlich wie bei der
Schulangst wissen die Eltern über das Fernbleiben ihrer Kinder Bescheid.
Auch hier kann es zu psychosomatischen Beschwerden kommen, dissoziale
Verhaltensweisen kommen nicht vor. Diese Form der Störung ist meistens
schwer zu erkennen und wird oft von anderen Problemen verdeckt. In der
Regel haben diese Kinder und Jugendlichen keine Schwierigkeiten mit
Leistung.

2
    Gentner, 2006, S.213
3
    Müller, 1991

5 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
Beim Schulschwänzen wissen die Eltern nichts von den Abwesenheiten ihrer
                    Kinder in der Schule. Weiters kommt es bei den betroffenen Kindern und
                    Jugendlichen zu aggressiven und normbrechenden Verhaltensweisen. Auch
                    Drogen und Alkoholmissbrauch kommen üblicherweise vor.4

Schreiber-Kittl &   Schreiber-Kittl & Schröpfer sprechen von Schulverweigerung, wenn
       Schröpfer    SchülerInnen wiederholt und über längere Zeit dem Unterricht fernbleiben
                    sowie nach einiger Zeit den Schulunterricht fast überhaupt nicht mehr
                    besuchen.5

        Schulze     Schulze nimmt wieder eine andere Einteilung vor. Die Autorin geht vom
                    Oberbegriff Unterrichtsmeidung aus und unterteilt ihn in drei Unterkategorien:
                    Schulabsentismus, Unterrichtsabsentismus und Unterrichtsverweigerung.
                    Schulabsentismus bedeutet, dass die SchülerInnen in der Schule nicht
                    anwesend sind. Der Begriff beinhaltet Schulschwänzen, angstinduziertes
                    Fernbleiben (z. B. schul- und elterninduzierte Ängste), Zurückhalten (z. B. aus
                    religiösen Gründen) und Zurückgehalten werden (z. B. um Misshandlungen zu
                    verbergen).
                    Unterichtsabsentismus meint den Aufenthalt der Schülerinnen in der Schule,
                    aber außerhalb des Unterrichts. Der Begriff wird unterteilt in partielle
                    Anwesenheit im Unterricht (schülerintendiert, lehrerintendiert), innerer
                    Rückzug, Zu-spät- kommen und sich aufhalten an einem anderen Ort.
                    Unterrichtsverweigerung meint, dass die SchülerInnen im Unterricht
                    grundsätzlich anwesend sind, ihn jedoch aktiv stören bzw. durch bewusste
                    Nichtbeteiligung passiv verweigern.6

         Ricking    Für Ricking ist Schulabsentismus der passende Oberbegriff und er unterteilt
                    ihn in drei Kategorien: Schulschwänzen, Schulverweigerung und
                    Zurückhalten.
                    Schulschwänzen beruht auf der Initiative der Kinder und Jugendlichen selbst,
                    die dann während der Schulzeit einer anderen, angenehmeren Beschäftigung
                    nachgehen.
                    Schulverweigerung ist nach Ansicht des Autors eine internalisierende,
                    emotionale Störungsform, deren Ursache massive Ängste sind
                    (Trennungsangst, Angst vor Mitschülern). Kinder oder Jugendliche, die die
                    Schule verweigern, suchen im Gegensatz zu SchulschwänzerInnen keine
                    außerschulische Zerstreuung, sondern die Sicherheit des eigenen Zuhauses,
                    um in der Nähe ihrer Bezugsperson zu sein.
                    Zurückhalten geht auf Verhaltensweisen der Erziehungsberechtigten zurück,
                    die die SchülerInnen vom Schulunterricht zurückhalten (beispielsweise
                    aufgrund allgemeiner Gleichgültigkeit, Desinteresse an der Schule,
                    psychischer Störungen…).7

                    2.1.2 Schlussfolgerung

keine eindeutige    Wie sehr leicht ersichtlich und in der Literatur auch beschrieben, gibt es in
       Definition   diesem komplexen und vielfältigen Forschungsfeld bislang keine eindeutige
                    und allgemein gültige Definition.

                    4
                      Oelsner & Lehmkuhl, 2002
                    5
                      Schreiber-Kittl & Schröpfer, 2002, S.35
                    6
                      Schulze, 2003
                    7
                      Ricking, 2004

                                                                SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 6
Die einzelnen Begriffe werden uneinheitlich und teilweise widersprüchlich                  begriffliche
verwendet und gleiche Begriffe werden von den AutorInnen mit                               Verwirrung
unterschiedlichem Inhalt gefüllt, was zu Verwirrungen und Irritationen führen
kann.8

In diesem Zusammenhang führt Ricking an, dass beispielsweise im
deutschsprachigen Raum der Begriff Schulverweigerung auf der einen Seite
als Oberbegriff für alle unerlaubten Schulversäumnisse verwendet wird, auf
der anderen Seite findet er aber auch als eine Unterkategorie Verwendung.9

Der Autor stellt in seiner Arbeit: “Schulabsentismus als Forschungs-
gegenstand – Eine narrative Metaanalyse zum Schulabsentismus“ ein großes
Durcheinander in der Verwendung der Begrifflichkeiten fest und meint, dass
ein Vergleich der empirischen Studien in dem Forschungsfeld daher kaum
möglich ist. Er schreibt:

“Die Nutzung der Terminologie in diesem Feld […] zeigt wenig Kohärenz,                     Missverständnisse
bringt die eklatanten Differenzen bei Meinungen und Ansichten unter den
Forschern zum Ausdruck und fördert in bedenklicher Weise
Missverständnisse sowie Kommunikationsprobleme unter den Forschern
sowie im Kontakt zwischen Praktikern und Theoretikern. […] Ohne eine
explizit vermittelte Definition der genutzten Begriffe hinsichtlich der Zielgruppe
ist in diesem Bereich keine Studie eindeutig zu verstehen.“10

Auf einen weiteren, sehr wichtigen Aspekt, weist Popp in ihrem Artikel hin. Die            verschiedene
Autorin macht darauf aufmerksam, dass je nach Wissenschaftsgebiet                          Wissenschaftsgebiete
(Pädagogik, Psychologie, Medizin, Recht) der Blickwinkel auf das Phänomen                  – verschiedene
Schulverweigerung ein anderer ist, unterschiedliche Teilbereiche fokussiert                Perspektiven
werden und somit auch in den Definitionen unterschiedliche Schwerpunkte
gesetzt werden. Erschwerend kommen noch unterschiedliche Sichtweisen der
einzelnen Schulen in den jeweiligen Wissenschaftsgebieten hinzu. Popp
meint, dass eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen
Berufsgruppen, ein stärkeres Interesse für andere Wissenschaftsgebiete und
ihre Zugangsweisen zu neuen Überlegungen in der Arbeit mit
schulverweigernden Kindern und Jugendlichen führen könnte.11

Schreiber-Kittl & Schröpfer weisen darauf hin, dass die Beschreibungen von
Kindern und Jugendlichen, die die Schule verweigern, in der Literatur zwar
sehr verschieden sind, die meisten Autoren bei den verschiedenen Formen
der Verweigerung aber zwischen einer “passiven“ und “aktiven“
Verweigerungsform unterscheiden.
Zur passiven Verweigerungsform werden in der Literatur jene SchülerInnen                   passive und aktive
gezählt, die zwar im Unterricht (körperlich) anwesend sind, sich aber geistig              Verweigerungsform
den schulischen Anforderungen entziehen. Diese SchülerInnen sind
unauffällig im Unterricht, träumen vor sich hin oder klinken sich aus. Eine
weitere Form der passiven Verweigerung meint SchülerInnen, die sozusagen
“verdeckt“ die Schule schwänzen. Sie legen Entschuldigungen von ÄrztInnen,

8
  vergl. Gentner, 2006, S.213; Schreiber-Kittl & Schröpfer 2002, S.34; Popp, 2006, S.163
9
  Ricking, 2003, S.114
10
   Ricking, 2003, S.195
11
   Popp, 2006, S.163

7 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
passive   Eltern oder anderen Personen vor und verdecken damit die
 Schulverweigerung      Verweigerungshaltung, die dahinter liegt.
oft erst spät erkannt   Da die Formen der passiven Schulverweigerung kaum
                        Verhaltensauffälligkeiten erkennen lassen, werden diese Formen der
                        Verweigerung von LehrerInnen und Erziehungsberechtigten oft erst recht spät
                        erkannt.
                        Die AutorInnen weisen darauf hin, dass die passive Verweigerungsform zwar
                        in der Literatur beschrieben wird, die meisten Untersuchungen zum
                        Phänomen der Schulverweigerung sich aber mit der aktiven
                        Verweigerungsform befassen.
                        Die SchülerInnen, die aktiv den Schulunterricht verweigern, weisen ein
                        Verhalten auf, das nach außen gerichtet ist und das die Aufmerksamkeit ihrer
                        Umwelt erregt. Viele AutorInnen unterscheiden bei der aktiven
                        Verweigerungsform zwei Gruppen: Die erste Gruppe meint die SchülerInnen,
             aktive     die das Fernbleiben vom Unterricht als eine Lösungsmöglichkeit für ihre
 Schulverweigerung      Probleme betrachten. Die Intensität des Fernbleibens ist dabei sehr
             erregt     unterschiedlich und reicht von einzelnen Stunden über Tage und Wochen bis
Aufmerksamkeit der      hin zu dauerhafter Abwesenheit. Die zweite Gruppe meint SchülerInnen, die
           Umwelt       zwar den Unterricht besuchen, aber durch aggressives und/oder destruktives
                        Verhalten gegenüber LehrerInnen und MitschülerInnen ihre Ablehnung und
                        Verweigerung zum Ausdruck bringen.

Schulverweigerung       Schulverweigerung hat viele Gesichter und aus diesem Grund ist es vor allem
hat viele Gesichter     für Lehrer nicht so einfach, Verweigerungstendenzen zu erkennen. Die
                        AutorInnen meinen aber, dass eine frühzeitige Erkennung sehr wichtig ist, um
                        angemessen reagieren zu können. Sie befürworten schulinterne Fortbildungen
                        für LehrerInnen zum Thema Schulverweigerung und halten es für
                        unverzichtbar, die Fehlzeiten von SchülerInnen systematisch zu erfassen und
                        auszuwerten.12

                        Laut Reißig ist Schulverweigerung eine schleichende Entwicklung, die nicht
                        von heute auf morgen auftritt. Die Entwicklung erstreckt sich häufig über
                        Jahre.13

  Kritik am Begriff     Abschließend ist es wichtig an dieser Stelle noch darauf hinzuweisen, dass
Schulverweigerung       der Begriff “Schulverweigerer“ in der Fachliteratur durchaus kritisch diskutiert
                        wird, da er den SchülerInnen eine bewusste Entscheidung gegen den
                        Schulbesuch unterstellt. Besonders Rademacker setzt sich in seinem Beitrag:
                        “Verweigerung oder Ausgrenzung? Schulversäumnisse, öffentliche Schule
                        und das Recht auf Bildung für alle“ differenziert mit dem Begriff
                        Schulverweigerung auseinander und spricht sich für die Verwendung
                        beschreibender Begrifflichkeiten, wie Schulversäumnis oder
                        Schulabsentismus aus.14

                        12
                           Schreiber-Kittl & Schröpfer, 2002, S.38
                        13
                           Reißig, 2001, S. 9
                        14
                           Rademacker, 2006

                                                                     SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 8
2.2      Aktuelle Forschungsprojekte
2.2.1. Auftraggeber: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft
       und Kultur
       “Jugendliche SchulabbrecherInnen in Österreich“. Ergebnisse
       einer Literaturstudie (2004)

         Barbara Riepl: Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und
         Sozialforschung, Wien

Ziel dieser Studie war es, die aktuelle deutschsprachige Literatur zum Thema     Literaturstudie
jugendliche SchulabbrecherInnen zusammenfassend darzustellen, um einen
Überblick über das Thema geben zu können und um auf Forschungslücken
hinweisen zu können. Da Schulverweigerung eng mit Schulabbruch
zusammenhängt, wurde auch auf das Thema Schulverweigerung
eingegangen.

In diesem Bericht werden schulverweigernde Jugendliche als Jugendliche
definiert, deren Ausmaß an Abwesenheit von der Schule noch während der
Schulpflicht, das Erreichen eines Schulabschlusses gefährdet.

Ausgewählte Ergebnisse

Häufigkeit von Schulverweigerung

Die Autorin fasst zusammen, dass im Hinblick auf die Häufigkeit von              keine Daten zur
Schulverweigerung in Österreich im Rahmen dieser Studie keine Daten              Häufigkeit von
gefunden wurden. Die Abwesenheiten von SchülerInnen werden an den                Schulverweigerung
Schulen zwar vermerkt, sie werden jedoch nicht statistisch aufbereitet und
ausgewertet. Weiters wurde auch keine österreichische Studie gefunden, die
sich mit dem Ausmaß von Schulverweigerung befasst.

Bezogen auf das Ausmaß von Schulverweigerung in Deutschland wird auf die
Arbeit von Schreiber-Kittl & Schröpfer (2002) zurückgegriffen, die in weiterer
Folge noch dargestellt wird.

Empfehlungen

Die Autorin meint, dass Abwesenheiten größeren Ausmaßes wohl für mehrere         mögliche weitere
Schulen ein Problem darstellen würden. Es wäre hilfreich, Daten über die         Vorgehensweise
Größenordnung zu gewinnen. Sie schlägt daher vor, die Fehlzeiten der
SchülerInnen einzelner Klassen, die per Zufallsstichprobe aus dem gesamten
Bundesgebiet ausgewählt werden, übergreifend auszuwerten.

2.2.2 Auftraggeber: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft
      und Kultur
      „Schulschwänzen – Verweigern – Abbrechen“. Eine Studie zur
      Situation in Österreich (2006)

         Hg.: Helga Kittl-Satran in Zusammenarbeit mit Andrea Mayr,
         Barbara Schiffer und Josef Scheipl

9 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
Ausmaß,    Ziel dieser Studie war es, Informationen über das Ausmaß, die Ursachen/
  Ursachen/Beding-   Bedingungen und die Auswirkungen von Schulabsentismus und Schulabbruch
         ungen und   in Österreich zu gewinnen.
 Auswirkungen von    Entsprechend der drei Fragestellungen wurden an 48 österreichischen
 Schulverweigerung   Schulen Dokumentationen zu Fehlstunden von SchülerInnen der 7. bis 10.
                     Schulstufe durchgeführt, 1 701 SchülerInnen und 100 LehrerInnen mittels
                     Fragebogen zum Thema Schulabsentismus befragt und Interviews mit
                     SchulabbrecherInnen und SchulschwänzerInnen geführt.

                     In dieser Studie wird Schulabsentismus als Oberbegriff verwendet, der
                     Schulschwänzen, Schulverweigerung, angstinduziertes Fernbleiben und
                     Zurück- oder Fernhalten als spezifische Formen impliziert.

                     Bezogen auf das Ausmaß von Schulabsentismus in Österreich waren
                     folgende Fragen von Interesse:

 Forschungsfragen       ¾ Wie oft und wie lange fehlen Jugendliche an Österreichs Schulen?
                        ¾ Wie oft und für wie lange bleiben die SchülerInnen der Schule
                          unentschuldigt fern?
                        ¾ Können hinlänglich des Ausmaßes und des Umfangs der Fehlzeiten
                          geschlechtsspezifische Unterschiede beobachtet werden?
                        ¾ Sind in diesem Kontext Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und
                          ohne Migrationshintergrund feststellbar?
                        ¾ In welchen Schultypen und Schulstufen sind das Ausmaß und der
                          Umfang der Schulversäumnisse besonders hoch?

        Stichprobe   Als Zielgruppe für die Erhebung des Ausmaßes von Schulabsentismus und für
                     die Fragebogenerhebung zu den Ursachen/Bedingungen wurden
                     SchülerInnen der 7. bis 10. Klasse folgender Schulen gewählt: 9
                     Hauptschulen (HS), 9 Polytechnische Schulen (PTS), 12 Allgemeinbildende
                     Höhere Schulen (AHS), 6 Berufsbildende Mittlere Schulen (BMS) und 5
                     Berufsbildende Höhere Schulen (BHS) sowie 9 Berufsbildende Pflichtschulen.
                     Es wurden somit in 48 Schulen in neun Bundesländern (vorwiegend in den
                     Hauptstädten) Daten erhoben. Jeweils eine Klasse pro Schule wurde der
                     schriftlichen Befragung unterzogen.

                     Um das tatsächliche Ausmaß von Schulabsentismus in Österreich erfassen zu
                     können, wäre eine repräsentative Stichprobe notwendig gewesen. Dazu
                     hätten eine große Anzahl von Österreichs Schulen die Aufzeichnungen über
                     Fehlstunden ihrer SchülerInnen zur Verfügung stellen müssen. Da das nicht
                     möglich war (begrenzter zeitlichen Rahmen, erheblichen Aufwand für
                     Lehrpersonen, unterschiedliche Dokumentationspraxis) wurde dieselbe
                     Stichprobe, wie sie für die 2. Fragestellung (Ursachen/Bedingungen) gezogen
                     wurde, gewählt und vor Ort die Fehlstunden dieser Klassen dokumentiert. Das
                     Ausmaß der entschuldigten und unentschuldigten Fehlstunden wurde – sofern
                     die Daten aufgezeichnet und zur Verfügung gestellt wurden – mittels
Dokumentenanalyse    Dokumentenanalyse erhoben und in einen Raster übertragen, der dazu
                     diente, die Aufzeichnungen der LehrerInnen systematisch zu erfassen. Mit der
                     Erhebung dieser Daten sollte das Ausmaß von Schulabsentismus in den
                     untersuchten Schulen festgestellt werden. Mittels der Dokumentenanalyse
                     wurden in 4 245 Fällen Informationen über Fehlstunden erhoben.

                                                            SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 10
Ausgewählte Ergebnisse

Ausmaß versäumter Unterrichtstunden (Dokumentenanalyse)

    ¾ 89 % aller SchülerInnen verzeichnen Fehlstunden
    ¾ Mädchen fehlen signifikant häufiger als Jungen, Jugendliche mit           mehr Mädchen als
      Migrationshintergrund fehlen häufiger als Jugendliche ohne                Jungen
      Migrationshintergrund und RepetentInnen häufiger als Nicht-
      RepetentInnen.
    ¾ Im Weiteren sind die Fehlzeiten von Mädchen signifikant länger als die
      der Burschen. Dieser Geschlechtsunterschied ist auch in der Gruppe
      der Schülerinnen mit Migrationshintergrund und in der Gruppe der
      RepetentInnen festzustellen.
    ¾ 70,2 % der SchülerInnen versäumen in einem Halbjahr eine Stunde bis
      etwa zwei Wochen. 13,7 % fehlen zwei bis vier Wochen und 5,2 %
      mehr als 4 Wochen.
    ¾ Die Anzahl der versäumten Stunden steigt bis zur 9. Schulstufe und ist
      in der 10. Schulstufe wieder im Abnehmen begriffen.
    ¾ Den höchsten Anteil an SchülerInnen mit Fehlstunden haben die
      Polytechnische Schulen (94 %) und die Berufsbildenden Mittleren
      Schulen (94 %), den niedrigsten Anteil die Hauptschulen (84,8 %).         niedrigster Anteil in
    ¾ 26,4 % der versäumten Unterrichtsstunden sind unentschuldigt. Es          Hauptschulen
      besteht eine signifikante Korrelation zwischen dem Ausmaß an
      Fehlstunden und den unentschuldigten Stunden. Steigt die Anzahl der
      Fehlstunden, so steigt auch der prozentuelle Anteil der
      unentschuldigten Fehlstunden. Bleiben die SchülerInnen bis zu zwei
      Wochen der Schule fern, bringen 22,6 % von ihnen keine
      Entschuldigung, bleiben sie zwei bis vier Wochen der Schule fern sind
      51 % der Fehlstunden unentschuldigt und bleiben sie vier Wochen und
      länger der Schule fern sind 70 % der Fehlstunden nicht entschuldigt.

Weitere interessante Ergebnisse

Insgesamt wurden Daten von 1 701 SchülerInnen mittels Fragebogen
erhoben. Sie wurden unter anderem allgemein zu ihren Erfahrungen bzgl.
schwänzen befragt.

Ausmaß und Dauer von Schulabsentismus (Fragebogenerhebung)

    ¾ Ungefähr 43 % der SchülerInnen haben im letzten Halbjahr die Schule       43 % der
      geschwänzt.                                                               SchülerInnen haben
    ¾ Im Gegensatz zu anderen Studien haben in dieser Untersuchung              im letzten Halbjahr
      SchülerInnen der Allgemein Höheren Schulen und der Berufsbildenden        die Schule
      Mittleren Schulen signifikant öfter angegeben, im letzten Halbjahr        geschwänzt
      geschwänzt zu haben, als SchülerInnen der Hauptschulen.
    ¾ SchülerInnen mit passivem Rückzugsverhalten (im Unterricht träumen
      oder nicht aufpassen, manchmal oder oft unpünktlich zum Unterricht
      kommen oder den Unterricht vorzeitig verlassen), haben im letzten
      Halbjahr signifikant öfter die Schule geschwänzt als jene, die aktiv am
      Unterricht teilnehmen.

Je nach Dauer und Häufigkeit der Abwesenheit vom Unterricht wurde
unterschieden in NichtschwänzerInnen (haben noch nie geschwänzt),
GelegenheitsschwänzerInnen (haben Stunden und/oder tageweise

11 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
geschwänzt) und DauerschwänzerInnen (wiederholtes Schwänzen und
                       längere Fehlzeiten)

   etwa 5 % haben         ¾ Etwa 34 % der SchülerInnen schwänzen hauptsächlich stundenweise,
           längere          ca. 24 % tageweise und beinahe 5 % bleiben der Schule für längere
    Abwesenheiten           Perioden fern.

                       2.2.3. Abgeschrieben? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
                              über Schulverweigerer (2002)

                              Maria Schreiber-Kittl; Haike Schröpfer

                       Schreiber-Kittl & Schröpfer stellen in ihrem Buch nicht nur die Ergebnisse ihrer
                       Untersuchung vor sondern geben unter anderem auch eine Übersicht über
                       den Umfang von Schulverweigerung und den bis dato durchgeführten Studien
                       zum Thema Schulverweigerung in Deutschland.

                       Umfang von Schulverweigerung

auch in Deutschland    Die Autorinnen weisen darauf hin, dass es für Deutschland bundesweit keine
              keine    repräsentativen Untersuchungen zum Umfang von Schulverweigerung gibt.
    repräsentativen    Zahlen zur An- und Abwesenheit von SchülerInnen werden nicht systematisch
   Untersuchungen      erfasst und ausgewertet. Im besten Falle gibt es Auswertungen auf der Ebene
                       einzelner Schulen, nicht jedoch auf Schulamts- oder Länderebene.

                       Meistens wird in der Schule auch nicht zwischen entschuldigtem (mündliche
                       oder schriftliche Mitteilung der Erziehungsberechtigten und/oder ärztliches
                       Attest) und unentschuldigtem Fehlen unterschieden. Die Einteilung in
                       „entschuldigt“ und „nicht entschuldigt“ ist auch nicht sehr zufriedenstellend, da
                       sie von der Lehrperson abhängig ist (Trägt die Lehrperson regelmäßig ein?
                       Nach welcher Klassifizierung?).

                       Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, dass es bisher noch keine eindeutige
                       Definition von Schulverweigerung gibt. In den durchgeführten Untersuchungen
                       wird das Phänomen der Schulverweigerung ganz unterschiedlich definiert und
   keine eindeutige    die Ergebnisse können somit nicht miteinander verglichen werden. Eine
          Definition   genaue Definition ist – laut den beiden Autorinnen – nicht zuletzt deshalb
                       schwierig, weil der Ermessensspielraum, wann und von wem ein Fernbleiben
                       vom Unterricht als Schwänzen oder Verweigerung definiert wird, auch von
                       LehrerInnen und SchulleiterInnen unterschiedlich gehandhabt wird.

  keine mehrjährige    Es gibt meistens auch keine mehrjährige Erfassung von entsprechenden
         Erfahrung     Daten der einzelnen SchülerInnen. Auch die Anzahl der Bußgeldbescheide
                       kann nicht herangezogen werden, um das tatsächliche Ausmaß von
                       Schulverweigerung abzubilden.

                       Obwohl fundierte Daten über das Phänomen Schulverweigerung in
                       Deutschland fehlen, gibt es – laut Schreiber-Kittl & Schröpfer – eine Reihe von
      Schätzungen      Schätzungen, die jedoch alle spekulativ sind und wenig gemeinsam haben. So
                       schätzt beispielsweise das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland, dass es
                       bundesweit 70 000 Kinder und Jugendliche gibt, die die Schule verweigern.
                       Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen schätzt, dass es in

                                                                 SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 12
Deutschland ca. 5 % „massive“ SchulschwänzerInnen (= mehr als fünf Tage
unentschuldigtes Fehlen im Schulhalbjahr) gibt.15

Wie groß das tatsächliche Ausmaß von Schulverweigerung in Deutschland ist,
lässt sich – laut Schreiber-Kittl & Schröpfer – aus den obigen, erwähnten
Gründen fundiert nicht belegen.

Studien zu Schulverweigerung

Die Autorinnen stellen einige Studien vor, die zum Thema Schulverweigerung
durchgeführt wurden. Es handelt sich dabei um zwei internationale Studien
(EG- Studie EURIDICE 1994 und Pisa 2000) und neun Studien aus
verschiedenen Ländern Deutschlands.

       ¾ Schulverweigerung am Beispiel von Köln (1999)                           Studien aus
       ¾ Schulschwänzen und delinquentes Verhalten Jugendlicher in Rostock       Deutschland
         (2000)
       ¾ Delinquenz und Schulabsentismus Jugendlicher in Delmenhorst (2000)
       ¾ Schülergewalt und Schulschwänzen in Hessen (1999)
       ¾ Schulaversives Verhalten in Mecklenburg-Vorpommern (2001)
       ¾ Schulverweigerung in Brandenburg (1993)
       ¾ Schulschwänzen in Thüringen (1998)
       ¾ Schulschwänzen in Sachsen Anhalt (2000)
       ¾ Schulverweigerungstendenzen bei Teilnehmern des “Freiwilligen
         sozialen Trainingsjahres“ (2001).

Die angeführten Studien weisen große Unterschiede bzgl. ihres Designs, ihrer
Methodik und ihrer Definition von Schulverweigerung auf, dennoch lassen sich
für die Autorinnen einige Übereinstimmungen – bezogen auf den Umfang von
Schulverweigerung – zusammenfassen:

       ¾ Die EG-Studie EURIDICE (1994) stellt fest, dass jedes Jahr in Ländern   internationale Studie
         mit sehr unterschiedlichen Bildungssystemen wie Deutschland,
         Frankreich, England, Spanien, und Italien 70 000 bis 100 000
         Jugendliche das Bildungssystem ohne jeglichen berufsqualifizierenden
         Abschluss verlassen. Die Autorinnen gehen davon aus, dass diese
         Werte für Deutschland zutreffen, wenn man sich die
         Schulabgängerstatistik betrachtet (Anteil der SchülerInnen, die nach
         Erfüllung der Schulpflicht die Schule ohne Hauptschulabschluss
         verlassen).

Aus den bundesweiten Studien halten die Autorinnen zum Umfang von
Schulverweigerung folgendes fest:
(Um die Ergebnisse im Folgenden richtig lesen zu können, muss noch kurz
erwähnt werden, dass die Autorinnen unter Schulschwänzen kürzere
Abwesenheiten und unter Schulverweigerung wiederholte und längere
Abwesenheiten verstehen.)

       ¾ Ungefähr die Hälfte der SchülerInnen hat die Schule im Laufe ihrer
         Schullaufbahn schon ein- oder mehrmals geschwänzt. Für die meisten
         fängt dies mit Eckstundenschwänzen (erste bzw. letzte Stunde) und
         mit dem Boykott bestimmter Fächer und LehrerInnen an.

15
     Schreiber-Kittl & Schröpfer, 2002, S.33

13 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
¾ Schulverweigerung und ihre Vorläufer (Schulmüdigkeit, zeitweiliges
                             Schulschwänzen) beginnen zum Teil schon in der Grundschule und
                             verfestigen sich häufig im 12. Lebensjahr.
                           ¾ Schulverweigerung ist vom Alter abhängig: Je jünger die SchülerInnen,
                             desto geringer ist die Verweigerungsquote. Das Einstiegsalter liegt bei
                             ca. 13 Jahren, der Höhepunkt zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr.
    größter Anteil in      ¾ Je höher das Bildungsniveau der Schule, desto geringer fallen die
      Hauptschulen           Fehlzeiten aus. In den Hauptschulen gibt es den größten Anteil an
                             Kindern und Jugendlichen, die die Schule schwänzen, gefolgt von den
                             Sonderschulen.
                           ¾ Je höher die soziale Kontrolle durch Eltern und Lehrkräfte, desto
                             weniger oft wurde die Schule in den untersuchten Regionen
                             geschwänzt.
                           ¾ Die Ausprägungen von Schulverweigerung unterscheiden sich deutlich
                             zwischen Mädchen und Jungen. So tendieren Mädchen eher zum
                             Rückzug von Gleichaltrigen, Jungen hingegen suchen eher den
                             Kontakt.
   mehr Jungen als         ¾ Es verweigern mehr Jungen die Schule als Mädchen.
         Mädchen           ¾ Übereinstimmend wird geschätzt, dass bundesweit etwa 5 % - 10 %
                             aller SchülerInnen aktiv die Schule schwänzen.
  5 % - 10 % aktive        ¾ Aufgrund fehlender Daten kann nicht davon ausgegangen werden,
 Schulverweigerung           dass die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die die Schule
                             verweigern, in den letzten Jahren angestiegen ist.

                        Auf die interessanten Ergebnisse der Untersuchung von Schreiber-Kittl &
                        Schröpfer wird im Rahmen dieser Recherche nicht weiter eingegangen. Die
                        Ergebnisse sind für die hier interessierende Fragestellung (Ausmaß von
                        Schulverweigerung in Österreich, Vergleichszahlen aus Deutschland) nicht so
                        brauchbar, da der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Erforschung der
                        Ursachen, den verschiedenen Formen und dem Verlauf von
                        Schulverweigerung liegt.

                        2.2.4 Zusammenfassung

     keine fundierte    Aus den vorliegenden österreichischen Studien geht deutlich hervor, dass
  Aussage über das      keine fundierte Aussage getroffen werden kann, wie viele Kinder und
       Ausmaß von       Jugendliche in Österreich im Allgemeinen und im Speziellen in der Steiermark
 Schulverweigerung      (Graz und Umgebung) vom Phänomen der Schulverweigerung betroffen sind,
       in Österreich    da bundesweit keine Daten existieren.
            möglich
                        Die Studie von Kittl-Satran basiert nicht auf einer repräsentativen Stichprobe,
                        da sie ausgewählte Schulstandorte behandelt hat (selektive Stichprobe).
                        Insofern geben die Ergebnisse zwar Hinweise auf mögliche Tendenzen, sie
                        lassen sich aber nicht auf die Gesamtheit der schulverweigernden Kinder und
                        Jugendlichen in Österreich übertragen.
                        Erwähnenswert ist, dass in der Studie der Anteil der DauerschwänzerInnen
                        (bleiben der Schule wiederholt und für längere Zeit fern) beinahe 5 % beträgt.

auch in Deutschland     Auch für Deutschland ist das Ausmaß von Schulverweigerung bisher nicht
                 wird   statistisch erfasst worden. Es liegen bundesweit keine repräsentativen
 Schulverweigerung      Untersuchungen zum Phänomen der Schulverweigerung vor. Vereinzelt gibt
    nicht statistisch   es auf lokaler oder regionaler Ebene Untersuchungen, die sich jedoch
             erfasst    hinsichtlich Untersuchungsdesign, Definition von Schulverweigerung und
                        Methodik unterscheiden, so dass die Ergebnisse nicht miteinander

                                                                 SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 14
vergleichbar sind. In einigen zentralen Ergebnissen lassen sich doch
Übereinstimmungen feststellen. So wurde für Deutschland übereinstimmend
in verschiedenen Studien geschätzt, dass zwischen 5 % - 10 % aller
SchülerInnen aktive SchulschwänzerInnen sind.

Ergänzend soll an dieser Stelle noch ein Forschungsbericht von Schreiber-     10 % - 15 % der
Kittl angeführt werden, der die Erfahrungen und Stellungnahmen von            SchülerInnen sind
ExpertInnen in und außerhalb der Schule zum Thema Schulverweigerung           schulmüde
beinhaltet: Die ExpertInnen schätzen, dass in jeder Klasse etwa fünf Kinder
oder ca. 10 % - 15 % der SchülerInnen schulmüde sind.16

16
     Schreiber-Kittl, 2001, S. 13

15 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
3       ExpertInnenbefragung
                       Im Rahmen dieser Recherche wurden auch telefonische Kontakte und E- Mail
                       Kontakte mit Personen geführt, die mit dem Thema Schulverweigerung auf
                       unterschiedliche Art und Weise befasst sind:

Telefon und E-Mail     - Mag.a Doris Kölbl, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
          Kontakte     - Univ.-Ass. Mag.a Dr.in Helga Kittl-Satran, Herausgeberin der Studie
                         “Schulschwänzen – Verweigern – Abbrechen“. Eine Studie zur Situation an
                         Österreichs Schulen, 2006
                       - BezirksschulinspektorInnen von Graz, Leibnitz, Weiz, Voitsberg
                       - Mag. Ulrich Sommer, Leiter des Diagnose- und Therapiezentrums
                          “Bienenhaus“, Niederösterreich, SOS-Kinderdorf
                       - Dr.in Barbara Eder, Psychotherapeutin, Heilpädagogische Station des
                          Landes Steiermark.

                       3.1     Die Kontakte
                       Nachfolgend sind die einzelnen Kontakte aufgelistet:

 Mag.a Doris Kölbl     Mag.a Doris Kölbl vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und
                       Kultur erteilt die Auskunft, dass es zum Thema Schulverweigerung in
                       Österreich bundesweit keine Daten gibt. Auch nicht an den einzelnen Schulen.
                       Mag.a Kölbl versuchte im Vorjahr die Drop-out Zahlen zu erheben, was nicht
                       gelungen ist und – ihrer Einschätzung nach – “auch mit größtem Aufwand nur
                       Größenordnungen“ ergeben könnte.
                       (E-Mail vom 16.03.07)

 Univ.-Ass. Mag.a      Frau Univ.-Ass. Mag.a Dr.in Helga Kittl-Satran betont, dass es sich in der
  Dr.in Helga Kittl-   Studie um eine selektive Stichprobe handelt. Um das tatsächliche Ausmaß
            Satran     von Schulabsentismus in Österreich erheben zu können schlägt sie vor,
                       SchülerInnen einer repräsentativen Stichprobe, aus allen Schulen und
                       Schultypen, über eine große Fragebogenaktion zu erfassen und zum Thema
                       Schulabsentismus zu befragen. Momentan sei aber kein Nachfolgeprojekt
                       geplant. (Telefonat am 28.03.07)

          Bezirks-     Johannes Lickl, Bezirksschulinspektor von Graz (Bereich I) meint, dass der
 schulinspektoren      Bezirksschulinspektor nur bei größeren Abwesenheiten, wenn viele Stunden
         von Graz      unentschuldigt sind und auch ein Gespräch mit den Erziehungsberechtigten
                       erfolglos geblieben ist, eingeschaltet wird. Ansonsten wird das Problem vor
                       Ort in den Schulen geregelt. (Telefonat am 26.03.07)

                       Josef Lang, Bezirksschulrat von Graz (Bereich II) bestätigt, dass es zum
                       Thema Schulverweigerung keine offizielle Statistik gibt. (E-Mail vom 29.03.07)

          Bezirks-     Heinz Zechner, Bezirksschulinspektor von Leibnitz (Bereich I) kann sich in den
schulinspektor von     letzten fünf Jahren an drei bis vier Fälle von Schulverweigerung erinnern
          Leibnitz     (bezogen auf 7 000 SchülerInnen). Der Bezirksschulinspektor ist der
                       Auffassung, es seien nicht alltägliche Phänomene, sondern eher
                       herausragende Erscheinungen. Aktuell wird ein Screening an den Schulen
                       zum Thema “Verdacht der Schulverweigerung und Verwahrlosung“
                       durchgeführt, an dem acht von sechzig Schulen teilnehmen. Die Daten sind
                       noch nicht ausgewertet. (Telefonate am 21.03.07 und am 27.03.07)

                                                               SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 16
Die Bezirkschulinspektorinnen von Weiz, Juliane Müller und Anneliese Riedl        Bezirks-
schreiben, dass es derzeit in ihrem Bezirk keine schulverweigernden Kinder        schulinspektorinnen
oder Jugendlichen gibt. (E-Mail vom 21.03.07). Bezirksschulinspektorin            von Weiz
Juliane Müller hatte seit 2002 nur mit einem schulverweigernden Kind im
Bezirk Weiz I zu tun.
(E-Mail vom 27.03.07)

Rudolf Reiter, Bezirksschulinspektor von Voitsberg berichtet, dass es im          Bezirks-
Bezirk Voitsberg “partiell“ Schulverweigerung gebe. Diese Verweigerung            schulinspektor von
betrifft nur Teile des Schuljahres (z.B. einige Monate), nicht das ganze          Voitsberg
Schuljahr. Herr Reiter schätzt, dass er im Jahr durchschnittlich mit einem Fall
von Schulverweigerung konfrontiert ist. (Telefonat am 26.3.07)

Mag. Ulrich Sommer, Leiter des Diagnose- und Therapiezentrums                     Bienenhaus
“Bienenhaus“ in Niederösterreich, spricht in den letzten drei Jahren von
ungefähr zehn Kindern und Jugendlichen mit der Thematik
Schulverweigerung, die in der Einrichtung betreut wurden. Ein großer Teil
kommt aus der Steiermark und aus Niederösterreich. Es gibt eine große
Streuung zwischen Mädchen und Buben und auch in der Dauer der
Schulverweigerung herrscht eine große Bandbreite. Das “Bienenhaus“ arbeitet
derzeit an einem Projekt, in dem sie ihre Erfahrungen mit Kindern und
Jugendlichen, die die Schule verweigern, in Form einer Broschüre der
Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollen. Sie unterscheiden zwischen
Schulverweigerung, bei der die Leistungsproblematik, und Schulverweigerung,
bei der die Beziehungsproblematik im Vordergrund steht. Aufgrund ihrer
Erfahrungen scheint es so zu sein, dass die Fälle, in denen eine
Beziehungsproblematik im Hintergrund ist, die hartnäckigsten Fälle sind.
(Telefonat am 28.03.07)

Drin. Barbara Eder, Psychotherapeutin an der Heilpädagogischen Station des        Heilpädagogische
Landes Steiermark, verfügt über keine statistischen Daten bzgl. der Anzahl        Station des Landes
von schulverweigernden Kindern und Jugendlichen. Sie betont, dass                 Steiermark
Schulverweigerung oft mit anderen Diagnosen gekoppelt ist und die
Symptomatik alleine nicht besteht. (Telefonat am 28.3.07)

Die Liste mit dem Thema befassten Personen könnte noch weiter fortgesetzt
werden, die gemachten Aussagen können aber auch nur ungefähre Angaben
und Einschätzungen zum Thema Schulverweigerung sein und nicht dazu
beitragen, aussagekräftige Daten zu gewinnen.

3.2.      Zusammenfassung
Alle befragten Personen bestätigen, dass ihnen derzeit keine konkreten            subjektive
Zahlen über das Ausmaß von Schulverweigerung bekannt sind und sie nicht           Einschätzungen –
sagen können, wie viele Kinder und Jugendliche, vor allem in der Steiermark,      keine konkreten
vom Phänomen der Schulverweigerung betroffen sind. Die Angaben, die sie           Zahlen
machen, beruhen auf subjektiven Erfahrungen und Einschätzungen. Das Bild,
das sich nach den Aussagen der BezirksschulinspektorInnen zeichnen lässt,
scheint dafür zu sprechen, dass das Thema Schulverweigerung in Graz und
den umliegenden Bezirken eher ein Randproblem ist. Wichtig ist hier aber zu
berücksichtigen, dass die BezirksschulinspektorInnen nur in wirklich
gravierenden Fällen verständigt werden. Die “weniger gravierenden“ Fälle

17 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
werden von der Schule selbst geregelt und kommen in den Angaben nicht
                    zum Ausdruck.

                    3.3.   Empfehlung für die weitere Vorgehensweise
       mögliches    Um fundierte Aussagen darüber treffen zu können, wie viele Kinder und
Forschungsprojekt   Jugendliche in der Steiermark (Graz und Umgebung) vom Phänomen der
                    Schulverweigerung betroffen sind, erscheint es notwendig, dementsprechende
                    Daten zu erheben. Empfehlenswert und durchführbar schiene ein
                    Forschungsprojekt in Graz und ausgewählten Bezirken (flächendeckend und
                    repräsentativ). Hierzu würde sich eine Zusammenarbeit zwischen dem SOS-
                    Kinderdorf in Graz, dem SPI (Sozialpädagogisches Institut von SOS-
                    Kinderdorf Österreich), dem Landesschulrat Steiermark, dem Bundes-
                    ministerium und der Universität Graz anbieten.

                                                          SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 18
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                                         SOS-Kinderdorf / Sozialpädagogisches Institut / 20
Notizen

21 / Schulverweigerung in Österreich / Recherchebericht
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