Erstmalige beobachtung des Cno-Zyklus - neutrinos von der sonne
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DOI: 10.1002/piuz.202001599 C N O - Z y kl u s A s t r o t e i l c h e n PH Y SI K Neutrinos von der Sonne Erstmalige Beobachtung des CNO-Zyklus K ai Z uber Vor 80 Jahren schlugen Carl Friedrich von Weizsäcker und Hans Bethe den sogenannten CNO-Zyklus als mögliche Energiequelle der Sterne vor. Bis vor kurzem ließ sich dieser Fusionsmechanismus in der Sonne jedoch experimentell nicht nachweisen. Dies gelang jetzt mit dem Neutrinodetektor Borexino. W ie produziert die Sonne ihre Energie, von der wir alle leben? Diese Frage wird schon seit mehr als hundert Jahren diskutiert, da sie mit dem Alter der Erde verknüpft ist. Im 19. Jahrhundert näherte sich Lord Kelvin mit thermodynamischen Gesetzen dieser Frage. Auch an- dere Methoden wurden angewandt, allerdings mit unter- schiedlichen Ergebnissen. So entstand ein längerer Streit unter anderem mit dem amerikanischen Geologen T. C. Chamberlain, der aus Gesteinsproben und Sedimenten ein Alter der Erde zu bestimmen versuchte. Hinzu k amen wei- tere Messungen durch George H. Darwin. Das abgeschätzte Alter lag in einem Bereich von 100 bis 200 Millionen, kei- nesfalls mehr als 500 Millionen Jahren. Das lag zum Teil weit über den Zeitskalen für die Energieerzeugung in der Sonne [1]. Aufnahmen im optischen oder wie diese, mit dem Solar Dynamics Explorer im kurz- Der entscheidende Durchbruch gelang mit der Ent welligen UV-Bereich gewonnene Aufnahme, liefern Informationen aus den äußeren Schichten der Sonne. Neutrinos sind Boten aus dem Zentralbereich (Foto: SDO, NASA). deckung der Radioaktivität und assoziierter Phänomene wie der Röntgenstrahlung und der Entdeckung des Atom- kerns durch Ernest Rutherford. In dieser Zeit entwickelte der britische Physiker Francis William Aston das erste Mas- des Helium-Atoms kleiner ist als jene von 4 Wasserstoff This is an open senspektrometer. Damit identifizierte er mehr als 200 der Atomen (...) Falls auch nur 5 Prozent des Wasserstoffs eines access article under 287 natürlich vorkommenden Isotope. Aufgrund all dieser Sterns in komplexere Elemente konvertiert werden könnte, the terms of the Creative Commons bahnbrechenden Entdeckungen und Entwicklungen fand würde die Energie für uns vollkommen ausreichend sein Attribution Non- man dann recht schnell heraus, dass man mit radioaktiven und wir bräuchten nach keiner weiteren Quelle für die Commercial License, Isotopen und deren Halbwertszeiten eine Altersdatierung Energie der Sterne zu suchen.“ which permits use, der Erde vornehmen und damit auch Hinweise auf die En Die Frage nach der Energieproduktion in Sternen blieb distribution and ergieerzeugung im Innern der Sonne erlangen könnte. So jedoch bis weit in die Zeit der Quantenmechanik hinein reproduction in any medium, provided sagte etwa Lord Eddington: „Einige Studien der letzten Jahre unbeantwortet, und nicht alle Forscher haben sich mit dem the original work is (...) machen es für mich wahrscheinlich, dass eine kleine Gedanken einer Fusion von vier Wasserstoffatomen zu properly cited and is Portion der subatomaren Energie in Sternen freigesetzt einem Heliumatom anfreunden können. Selbst Niels Bohr not used for com- wird (...) Aston hat überzeugend gezeigt, dass die Masse sagte bei einem Besuch des Astrophysikers Subrahmanyan mercial purposes. © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by Online-Ausgabe unter: Wiley-VCH GmbH wileyonlinelibrary.com 2/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 73
Chandrasekhar noch im Jahre 1932 in etwa: „Ich kann Ihre der CNO-Zyklus, ein katalytischer Prozess, bei dem vier Arbeiten [die von Chandrasekhar] in der Astrophysik nicht Protonen in einer zyklischen Reaktionsfolge fusionieren wirklich wertschätzen. Die erste Frage, die ich stelle, ist, und die Elemente C, N und O als Katalysator fungieren woher die Sonne ihre Energie bezieht. Sie können mir nicht (Abbildung 1b). sagen, woher diese Energie herkommt, warum soll ich Der pp-Zyklus beginnt mit der Reaktion von zwei Pro- dann all den anderen Sachen von Ihnen glauben.“ tonen zu einem Deuteron unter Emission von einem Posit- Ein weiterer bedeutender Schritt im Verständnis der ron und einem Elektron-Neutrino: Energieerzeugung im Innern der Sonne und der Sterne war das 1913 entwickelte Hertzsprung-Russell-Diagramm. Es p + p → d + e+ + νe . verdeutlicht, dass sich Sterne nach physikalischen Größen klassifizieren lassen, und es lieferte Hinweise auf die Entwick- Dies ist eine Reaktion der schwachen Wechselwirkung un- lung von Sternen. Eine weitere wichtige Entdeckung war der ter dem Austausch eines W-Bosons. Dieser schwache Pro- quantenmechanische Tunneleffekt durch George Gamow zess ist sehr wichtig, weil damit die erste Reaktion recht im Jahr 1928. Er belegt, dass quantenmechanische Objekte langsam verläuft. Dies ermöglicht es, dass die Sonne knapp einen Potentialwall überwinden oder besser durchtunneln zehn Milliarden Jahre lang Fusionsenergie erzeugen kann. können, sofern dieser nicht unendlich hoch ist. Bereits ein Wäre die erste Reaktion bereits eine starke und damit Jahr später untersuchten Robert d’Escourt Atkinson und schnelle Wechselwirkung, dann wäre die Sonne nach kur- Fritz Houtermans diesen neuen Effekt, indem sie versuch- zer Zeit explodiert. ten, an einem Ensemble von Protonen und anderen Atom- In diesem ersten Fusionsschritt werden auch die meis- kernen mit Hilfe einer Maxwell-Boltzmann-Verteilung den ten Neutrinos der gesamten Kette emittiert. Insgesamt kom- Tunneleffekt zu analysieren. Ihre Resultate ergaben, dass men in jeder Sekunde etwa 60 Milliarden Neutrinos pro der hochenergetische Bereich der Protonen und Kerne mit Quadratzentimeter auf der Erde an. Unsere nächsten Nach- kleiner Kernladungszahl sich am besten für das Tunneln barsterne im Umkreis von 30 Lichtjahren steuern nach eignet. Damit sind die beiden grundsätzlichen Ingredien Computermodellen nur noch 20 Neutrinos pro Quadrat- zien für die Energieerzeugung in der Sonne und damit auch zentimeter bei. Nach dieser ersten Reaktion verzweigen der anderen Sterne bekannt: Es ist ein Spiel zwischen Tun- sich die Reaktionen in drei Pfade, aber in der Bilanz wird neleffekt und Maxwell-Boltzmann-Verteilung. jedes Mal aus vier Wasserstoffatomen ein Heliumatom pro- duziert. Diese Bilanzgleichung gilt auch für den CNO-Zy Die Fusionsprozesse der Sterne klus. In den Jahren 1937 bis 1939 stellten Carl Friedrich von Bei genauer Betrachtung aller kernphysikalischen As- Weizsäcker und Hans Bethe zwei grundlegende Methoden pekte stellt sich heraus, dass es abhängig von der Zentral- vor, wie Wasserstoff zu Helium fusionieren kann und dabei temperatur und der Masse des Sterns einen Energiebe- Energie freigesetzt wird: Der pp-Zyklus, eine über mehrere reich gibt, in dem er die meiste Fusionsenergie erzeugt. Reaktionszweige ablaufende Fusion (Abbildung 1a), und Hier sind zwei entgegengesetzte Exponentialfunktionen im Einsatz, die bereits oben erwähnt wurden. Auf der ei- nen Seite ist es die Maxwell-Boltzmann-Verteilung, bei der A bb. 1 p p -Kette und C NO -Z yk lu s im hochenergetischen Bereich die Anzahl der Atome ex- ponentiell abfällt. Auf der anderen Seite steigt mit der Energie der Teilchen die Tunnelwahrscheinlichkeit expo- nentiell an. Daher gibt es einen optimalen Bereich für die Kernfusion, bei der sowohl noch genug schnelle Teilchen als auch schon eine gewisse Tunnelwahrscheinlichkeit vorhanden sind. Diese Region heißt Gamow-Peak (Abbil- dung 2). Wo genau dieses Fusionsmaximum energetisch liegt, hängt von dem jeweiligen Stern ab, insbesondere von sei- ner Zentraltemperatur. Die Energieerzeugungsrate als Funk tion der Temperatur T steigt für die beiden Fusionsprozes- se sehr verschieden an, für den pp-Zyklus mit einer Abhän- gigkeit von T 4 und beim CNO-Zyklus sogar mit T 17. Im Falle der Sonne mit grob 15 Mio. K ist die Erzeugungsrate fast ganz durch den pp-Zyklus dominiert, doch bei einem Stern mit nur ein bis zwei Millionen K höherer Zentraltem- In der pp-Kette (a) fusionieren Protonen über mehrere Reaktionszweige zu Helium, peratur kommt die Energie bereits dominant aus dem CNO- im CNO-Zyklus (b) fusionieren vier Protonen in einer zyklischen Reaktionsfolge mit Zyklus (Abbildung 3). Damit ändert sich auch der Anteil der C, N und O als Katalysator. produzierten Neutrinos aus den beiden Zyklen. Deshalb © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by 74 Phys. Unserer Zeit 2/2021 (52) www.phiuz.de Wiley-VCH GmbH
C N O - Z y kl u s A s t r o t e i l c h e n PH Y SI K Abb. 2 GA MOW -PE A K A b b . 3 En e rgi e e rz e u g u ng Das Zusammenspiel von Maxwell-Boltzmann-Verteilung Der Anteil von pp-Kette und CNO-Zyklus hängt empfindlich (blaue Kurve links) und exponentieller Tunnelwahrscheinlich- von der Zentraltemperatur des Sterns ab. keit führt zu einem optimalen Bereich für die Kernfusion, Gamow-Peak genannt. bietet die Beobachtung von solaren Neutrinos eine einzig- Begeisterung groß. Aber niemand nahm Notiz von der Tat- artige Möglichkeit, die Energieproduktion im Zentrum der sache, dass Davis keine Neutrinos gefunden hatte. Sonne zu beobachten. Zu dieser Zeit war bekannt, dass es mindestens zwei Abbildung 4 zeigt einen Vergleich des solaren Neutrino- Zustände von Neutrinos geben müsste, aber man wusste Spektrums mit einer Rechnung der Neutrino-Emission des nicht, wie sie wechselwirken. Die Neutrinos aus der Sonne nahen Sterns Arktur (α Bootis) [2], der etwa 1,08 Sonnen- produzieren Elektron-Neutrinos, während in Kernreaktoren massen und eine Zentraltemperatur von 31 Mio. K besitzt. Elektron-Antineutrinos frei werden. Wie man heute weiß, Hier sieht man deutlich, dass die Neutrinos aus dem CNO- war das Davis-Experiment für letztere blind. Davis konnte Zyklus um viele Größenordnungen zahlreicher sind als aus sie gar nicht finden, und das Resultat wurde nie publiziert. dem pp-Zyklus. Wir beschränken uns nun auf die Messun- gen von solaren Neutrinos. A b b . 4 S o nne u nd A r k t u r Solare Neutrinomessungen vor Borexino Der erste Vorschlag für eine Messung solarer Neutrinos stammt von Bruno Pontecorvo, einem engen Mitarbeiter von Enrico Fermi, aus dem Jahr 1946. Er bemerkte, dass sich ein Chlor-37-Kern durch Einfang eines Neutrinos in einen Argon-37-Kern umwandeln kann. Das Nuklid Argon-37 ist radioaktiv, und über dessen Zerfall ließe sich indirekt der Strahlungsstrom an solaren Neutrinos messen. Zwei Jahre später griff der Radiochemiker Raymond Davis Jr. am Brookhaven National Laboratory (BNL) in der Nähe von New York Pontecorvos Idee auf. Da es bereits theoretische Vorhersagen gab, wie gering die Reaktionsraten mit Neut- rinos sind, war klar, dass man einen sehr großen Detektor benötigen würde. Man erwartete, dass sich nur wenige Chlor-37-Atome pro Tag in Argon-37 umwandeln würden, selbst wenn er mehrere hundert Tonnen Chlor besitzt. Die- se mussten allerdings erst gefunden werden! Davis begann mit seinen Versuchen, indem er einen Detektor, gefüllt mit Chlor, in der Nähe von Kernreaktoren aufbaute. Als Frederick Reines und Clyde L. Cowan Jr. 1956 Spektren der solaren Neutrinos von der Sonne (gestrichelt) und dem Stern Arktur erstmals Neutrinos aus einem Reaktor nachwiesen, war die (durchgezogen). © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 2/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 75
Er sagte dazu: „Das ist so, als ob ich ein Experiment be- Chlor extrahiert und in ein etwa fingergroßes Zählrohr ge- schreiben soll, um die Entfernung des Mondes von der Erde bracht werden, um das Messsignal, den Zerfall des Ar- zu messen. Hierbei steht eine Person auf einem Berg und gon-37, zu detektieren. Im Jahre 1968 veröffentlichten Da- streckt ihren Arm nach dem Mond aus. Er kommt zu dem vis und Kollegen eine erste Messung. Tatsächlich war es Resultat, dass der Mond mindestens eine Armlänge von der gelungen, Neutrinos nachzuweisen. Aber es war nur etwa Bergspitze entfernt ist, und so etwas Triviales publiziere ich ein Drittel des erwarteten Wertes! nicht.“ Das stellte die Wissenschaft auf eine schwere Probe. Ein entscheidender Anstoß für Davis, mit seinem Expe- Viele vermuteten, dass einige der wenigen Argonatome bei riment fortzufahren, kam aus der Kernphysik. R. D. Holm- der Extraktion aus dem Experiment verlorengegangen wa- gren und R. I. Johnston vom United States Navel Research ren. Doch alle Messungen der nachfolgenden Jahre kamen Laboratory, Washington DC, vermaßen im Labor die Kern- mit geringerem Fehler zu demselben Ergebnis. reaktion aus der Verschmelzung von He-3 und He-4 zu Be-7. Es gab schließlich zwei Erklärungsmöglichkeiten: Ent- Der Wert des Wirkungsquerschnitts war 1000-mal größer weder waren die Sonnenmodelle fehlerhaft, oder Neutrinos als theoretisch vorhergesagt. Das machte Davis Mut. Hinzu besitzen eine Eigenschaft, die sie für das Davis-Experiment kamen neue Sonnenmodelle, insbesondere von John Bahcall unsichtbar machen – Oszillationen in andere Flavours. in Princeton. Basierend auf diesen neuen Informationen Wenn sich ein Elektron-Neutrino auf dem Weg von der konnte man abschätzen, wie viel Chlor man benötigte, damit Sonne zur Erde beispielsweise in ein Myon-Neutrino um- ein Argon-37 pro Tag entsteht, nämlich mehrere hundert wandelt, ist es mit dem Davis-Experiment nicht nachweis- Tonnen. bar. Wenn Neutrinos oszillieren, müssen sie aber notwen- Mit großem Enthusiasmus gelang es, ein Experiment digerweise eine Ruhemasse besitzen. Bis dahin glaubte man mit 600 Tonnen Perchlorethylen in einer Goldmine in den jedoch, sie seien masselos. USA in 1,5 km Tiefe zu installieren. Trotz der großen Zahl Die Energieschwelle für die Umwandlung eines Cl-37- von Chloratomen im Tank (etwa 1030) entstanden darin nur Atoms in ein Ar-37 beträgt 814 keV. Das heißt, Davis konnte wenige Argonatome pro Tag. Eine so kleine Menge an radio- nur Elektron-Neutrinos nachweisen, die mindestens diese aktiven Atomen nachzuweisen, ist schlimmer, als die Energie besitzen. Die Neutrinos aus der fundamentalen sprichwörtliche Suche der Nadel im Heuhaufen. Nach je- pp-Reaktion gehörten nicht dazu, weil sie nur eine Energie weils etwa einem Monat wurde die Flüssigkeit aus dem von höchstens 420 keV besitzen. Daher wurden zwei wei- Tank gepumpt. In diesem Zeitraum war etwas mehr als ein tere radiochemische Experimente durchgeführt, dieses Mal Dutzend Argonatome entstanden. Diese wenigen Atome mit Gallium anstatt mit Chlor. Hierbei wurden Ga-71-Kerne mussten dann mit radiochemischen Methoden aus dem in Ge-71-Kerne umgewandelt. Diese Experimente waren in der Lage, die pp-Neutrinos zu messen, da hier die Schwelle zur Umwandlung nur 233 keV beträgt. Abb. 5 sol ares neutrinos p ektr u m Durchgeführt wurden solche Experimente von der do- minant deutsch-italienisch-französischen Kolla boration GALLEX (später weitergeführt unter dem Namen GNO) und der russisch-amerikanischen Kollaboration SAGE. Auch diese beiden Experimente detektierten weniger Neutrinos als erwartet. Hinzu kam das japanische Experiment Kamio- kande. Dessen Detektor bestand aus einem mit 3000 Ton- nen hochreinem Wasser gefüllten Tank. Umliegende Pho- tomultiplier maßen Lichtemission, die bei der Wechselwir- kung von Neutrinos mit Elektronen entsteht. Auch mit dieser gänzlich anderen Nachweistechnologie fand man nur etwa 50 % der erwarteten Neutrinos. Spätestens jetzt war nicht mehr an dem solaren Neutrinodefizit zu zweifeln. Aufgrund dieser Messungen und vielfältiger Deutungs- möglichkeiten der Ergebnisse war klar, dass ein Experiment durchgeführt werden musste, das den gesamten vorherge- sagten Neutrinofluss misst (Abbildung 5). Diese entschei- dende Messung lieferte das Sudbury Neutrino Observatory (SNO) in einer alten Nickelmine in der Nähe von Sudbury, Kanada. Es nutzt 1000 Tonnen schweres Wasser (D2O) als Tscherenkow-Detektor. Das erwartete solare Neutrinospektrum gemäß der im Innern der Sonne ablaufen- Mittlerweile wusste man, dass es drei verschiedene Ty- den Fusionsprozesse und die Empfindlichkeitsbereiche der Detektoren Borexino, pen von Neutrinos gibt, während die bisherigen Messun- Super-Kamiokande und SNO. gen weitgehend nur sensitiv auf Elektron-Neutrinos waren. © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by 76 Phys. Unserer Zeit 2/2021 (52) www.phiuz.de Wiley-VCH GmbH
C N O - Z y kl u s A s t r o t e i l c h e n PH Y SI K Aber jedes Neutrino, das mindestens die Bindungsenergie des Deuteriums (2,2 MeV) besitzt, kann Deuterium in ein Proton und ein Neutron spalten. Mit einem Neutronen detektor ließ sich diese Reaktion nachweisen. In den Jah- ren 2001 bis 2004 bestätigte das SNO-Experiment, dass der gesamte solare Neutrinofluss übereinstimmt mit den sola- ren Modellen. Aus allen Experimenten musste man nun den Schluss ziehen, dass Neutrinos oszillieren und damit eine Masse besitzen, was 2015 mit dem Nobelpreis für Physik honoriert wurde (Physik in unserer Zeit 2015, 46(1), 18; 2015, 46(6), 272). Bis dahin waren alle Experimente nur für Neutrinos aus einem bestimmten Zweig des Fusionsnetzwerks empfind- lich. Radiochemische Experimente integrierten zudem über mehrere Wochen. Das motivierte den Wunsch, möglichst alle diversen Neutrinos aus den Reaktionen zu messen, am besten sogar in Echtzeit. Hier kommt Borexino ins Spiel. Borexino Abb. 6 Der Borexino-Detektor während des Aufbaus. Man erkennt den kugel Das GALLEX-Experiment arbeitete im Untertagelabor im förmigen Nylonbehälter sowie die Photomultiplier (Foto: Borexino Coll.) Gran-Sasso-Massiv, etwa 100 km von Rom entfernt, wo es weitgehend vor der störenden kosmischen Strahlung ge- A b b . 7 B o r e x ino schützt war. Hier war auch ein ambitioniertes Großexperi- ment geplant mit einem Flüssigszintillator, der mit Bor versetzt werden sollte (BOREX). Der große Vorteil eines Flüssigszintillators besteht darin, dass man ein Ereignis in Echtzeit detektieren und dessen Energie bestimmen kann. Des Weiteren kann man zu sehr niedrigen Energien gehen, was eine Messung der pp-Neutrinos ermöglicht. Auch war – nach SNO – eine zweite Messung des absoluten solaren Neutrinoflusses geplant. Aufgrund diverser Rahmenbedingungen musste das Ex- periment allerdings kleiner dimensioniert werden als ge- plant, woraus der Name Borexino entstand. Weitere Er- kenntnisse führten dazu, dass letztendlich auch kein Bor in den Detektor eingebracht wurde, den Namen behielt man aber bei. Flüssigszintillatoren bestehen aus einer großen Menge Mineralöl und damit aus organischen Verbindun- gen, denen in kleineren Mengen weitere organische Ver- bindungen zugesetzt werden. Wenn ein Neutrino mit ei- nem Elektron wechselwirkt, verleiht es ihm einen Rück- Grafik des inneren Aufbaus von Borexino (Grafik: Borexino Coll., aus [5]). stoß, und die orga nischen Moleküle werden in einen angeregten Zustand versetzt. Nach kurzer Zeit regen sich diese Moleküle unter Emission von Licht wieder ab. Photo- ten alle eingebrachten Objekte auf Radioaktivität gemessen multiplier messen die Lichtblitze. Da diese Lichtdetektoren werden, um ungewollte Signale so klein wie möglich zu meist nur in einem gewissen Wellenlängenbereich sehr halten. Zu diesem Untergrund gehören neben der praktisch sensitiv sind, muss man unter Umständen weitere organi- in allen Materialien vorhandenen natürlichen Radioaktivität sche Moleküle einbringen, welche die Wellenlänge ver- auch die durch den Detektor fliegenden Myonen. Hier hat schieben. Dadurch arbeiten die Photomultiplier im optima- Borexino durch viele Reinigungsverfahren und Materialse- len Bereich. lektion eine fantastische Reinheit erreicht, gerade auch in Borexino enthält etwa 280 Tonnen Flüssigszintillator in der Unterdrückung der natürlichen Zerfallsketten von Uran einem Nylonbehälter mit 8,5 m Durchmesser (Abbildun- und Thorium. Da es sich bei dem Szintillator um eine orga- gen 6 und 7) [3]. Diese Kugel ist umgeben von mehr als nische Substanz handelt, ist auch das von der Radiokarbon- 2200 Photomultipliern, die im Inneren einer Stahlkugel mit datierung her bekannte Nuklid C-14 vorhanden. Es gelang, knapp 14 m Durchmesser angebracht sind. Das Wichtigste dieses Isotop um sieben Größenordnungen gegenüber der aber war die Sauberkeit des gesamte Experiments. So muss- normalen Häufigkeit zu reduzieren. © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 2/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 77
Abb. 8 CNO-NEUTR I NO RA TE Sonnensystem auch anderweitig messen, zum Beispiel in Meteoriten. Vor etwas mehr als zehn Jahren wurden neue Messun- gen und Anpassungen der Spektrallinien in der Photosphäre untersucht, wobei das neue Modell auch dreidimensonale Effekte wie Konvektion mit einbezog. Die hieraus gewon- nenen neuen Werte wichen jedoch signifikant von den bis dahin gültigen ab. Die älteren Werte besaßen einen relativ hohen Anteil an schweren Elemente (daher High Z ge- nannt) und waren in guter Übereinstimmung mit den Daten der Helioseismologie. Die neuen Untersuchungen hingegen ergaben niedrigere Häufigkeiten (Low Z) und stimmen nicht mehr so gut mit den Sonnenschwingungen überein. Dies ist für das Folgende wichtig, da die Vorhersagen über die Neutrinoflüsse davon abhängt, welches der beiden Modelle man benutzt. Der pp-Zyklus dominiert wie bereits erwähnt die Energie- Erzeugungsrate in der Sonne, der CNO-Zyklus steuert nur einen recht kleinen Beitrag bei. So war es von Anfang an Die Neutrinorate aus dem CNO-Zyklus (rote gestrichelte Kurve) im Vergleich mit klar, dass die Neutrino-Messung aus diesem Zweig eine sehr Modellen. Das blaue, violette und graue Band zeigen jeweils die 68 %-Konfidenz schwierige Aufgabe werden würde. Die Erwartung lag bei intervalle für Low-Z, High-Z und die Borexinomessung (nach [5]). etwa fünf Ereignissen pro 100 Tonnen Detektormaterial pro Tag. Weitere, neue Untergrundquellen mussten unter- drückt werden. Hierzu gehörte vor allem eine Verunreini- Alle Maßnahmen ermöglichten es 2014 zum ersten Mal, gung durch Polonium-210, das im Szintillator aus der um- Neutrinos aus der Proton-Proton-Kette in Echtzeit zu mes- gebenden Nylonhülle austrat und durch Konvektion in den sen [4]. Letztlich konnten im Laufe der Zeit alle Komponen- Zentralbereich der Szintillatorflüssigkeit gelangte, der als ten – außer den sogenannten hep-Neutrinos (Abbildung 5) – tatsächliches Detektorvolumen genutzt wird. aus dem pp-Zyklus beobachtet werden. Neben den Messun- Dieses Problem wurde gelöst, indem der gesamte Tank gen der einzelnen Neutrino-Komponenten ist es vor kurzer mit einer thermischen Isolierung eingehüllt wurde. Da- Zeit sogar gelungen, all die verschiedenen Beiträge der pp- durch blieb die Temperatur konstant, und die Konvektion Kette zusammen in einem einzigen, kohärenten Spektrum des Szintillators versiegte. Diese Maßnahme erwies sich als zu generieren. Dies war ein großartiger Erfolg. Aber was ist sehr effektiv. Hinzu kamen komplexe Analysen, um das mit dem CNO-Zyklus? kleine Signal vom Untergrund zu trennen. Alle Maßnahmen Vor gut 80 Jahren postuliert, war er noch nie experi- führten schließlich zum Erfolg: Die Anzahl der beobach mentell überprüft worden. Das schien nun mit Borexino teten Neutrinos lag bei 7,2 (+3,0, –1,7) pro Tag und pro möglich zu werden. Bevor wir aber darauf eingehen, müs- 100 Tonnen Szintillator. Damit konnte man mit einer Signi- sen wir einen kleinen Exkurs über den Aufbau und die fikanz von fünf Standardabweichungen die Existenz der Elementzusammensetzung der Sonne unternehmen. CNO-Neutrinos belegen [5]. Basierend auf den Grundgleichungen der Sternentwick- Dieses Ergebnis stimmt mit der bisherigen Schätzung lung und den dazugehörigen Zustandsgleichungen können überein, dass etwa ein Prozent der gesamten Energieerzeu- Modelle der Sonne und ihre Entwicklung recht detailliert gung im Innern der Sonne aus dem CNO-Zyklus stammt. berechnet und mit Beobachtungen verglichen werden. Auch auf die viel diskutierte Frage der Elementhäufigkeit Eine dieser Möglichkeiten bietet die Helioseismologie. Die gibt das Ergebnis einen Hinweis. Die Zentraltemperatur Sonne ist eine dreidimensionale schwingende Kugel, deren lässt sich am besten anhand der Rate der Neutrinos bestim- Schwingungsmoden sich an der Oberfläche abzeichnen men, die in einem weiteren Fusionszweig frei werden. und dort beobachtbar sind. Hieraus lässt sich auf den inne- Hierin bildet sich Bor-8, dass unter Emission eines Elektrons ren Aufbau schließen. Wenn es um die zeitliche Entwick- und eines Neutrinos zu Be-8 zerfällt. Die beiden oben be- lung der Sonne geht, wird ein weiterer Parameter bedeu- schriebenen Modelle liefern abhängig von der Elementzu- tend: die Elementhäufigkeit. Aufgrund der Häufigkeitsver- sammensetzung Temperaturwerte, die um etwa ein Prozent teilung unterteilt die Astronomie das Periodensystem in voneinander abweichen. Aus dem mit den Detektoren SNO drei Gruppen: Wasserstoff (X) mit etwa 74 %, Helium (Y) und SuperKamiokande gemessenen Bor-8-Neutrinofluss mit etwa 24 % und die restlichen Element des Periodensys- kommt man auf eine Zentraltemperatur von 15,5 Mio. K. tems (Z), oft auch etwas irreführend Metalle genannt. Die Für diesen Wert liefern Modelle abhängig von der Element- solare Häufigkeit lässt sich aus Spektren gewinnen. Zum häufigkeit unterschiedliche Werte für die Neutrinorate aus Vergleich lassen sich kosmische Häufigkeiten in unserem dem CNO-Zyklus: 4,92 ± 0,78 für das High-Z- und 3,52 ± 0,52 © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by 78 Phys. Unserer Zeit 2/2021 (52) www.phiuz.de Wiley-VCH GmbH
C N O - Z y kl u s A s t r o t e i l c h e n PH Y SI K für das Low-Z-Modell. Demnach wäre das Borexino-Ergeb- Stichwörter nis 7,2 eher mit dem High-Z-Modell verträglich (Abbil- Solare Neutrinos, pp-Fusionskette, CNO-Zyklus, Neutrino- dung 8). Allerdings reicht die Statistik noch nicht für eine Oszillationen, Raymond Davis, GALLEX, Sudbury Neutrino endgültige Entscheidung aus. Experiment, Borexino. Borexino wird weiter messen, andere Teilchenexperi- mente unter Tage werden folgen. Diese verfolgen meist Danksagung andere Ziele wie den Nachweis von Dunkle-Materie-Teil- Open Access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch chen oder des neutrinolosen Doppelbeta-Zerfalls. Sobald Projekt DEAL. aber die Detektoren eine Größe von vielen Tonnen errei- chen, kann man sie auch zur Suche nach solaren Neutrinos Literatur einsetzen. Hier gibt es immer noch viel zu entdecken. [1] G. Brent Dalrymple, The age of the Earth, Stanford University Press, 1991. [2] K. Zuber, S. A. Diaz, Astropart. Phys. 2020, 114, 1. Zusammenfassung [3] G. Alimonti et al., Nucl. Inst. Meth. A 2009, 600, 568. Die Energieerzeugung in der Sonne und den Sternen wird [4] G. Bellini et al., Nature 2014, 512, 383. schon seit weit über hundert Jahren diskutiert. Erst Carl Fried- [5] G. Bellini et al., Nature 2020, 587, 577. rich von Weizsäcker und Hans Bethe identifizierten die Kern- fusion als Energiequelle. Heute wissen wir, dass die Sonne mit Der Autor der Proton-Proton-Fusionskette den größten Teil ihrer Ener- Kai Zuber promovierte 1992 an der Universität Heidelberg, seit 2008 ist er Professor an der Tech gie produziert, während der Bethe-Weizsäcker- oder CNO- nischen Universität Dresden. Er arbeitet in mehreren Zyklus eine untergeordnete Rolle spielt. Er wird aber bei Ster- Neutrinoexperimenten mit, unter anderem GERDA, nen mit Zentraltemperaturen von mehr als 15 bis 16 Millio- COBRA, SNO+ und Borexino. nen Kelvin zunehmend dominant. Mit der ersten Messung Anschrift von solaren Neutrinos Ende der 1960er-Jahre gelang der Prof. Dr. Kai Zuber, Institut für Kern- und Nachweis des pp-Prozesses. Es brauchte ein weiteres halbes Teilchenphysik, Technische Universität Dresden, Jahrhundert, bis mit dem Neutrinodetektor Borexino auch Zellescher Weg 19, 01069 Dresden. der Nachweis des CNO-Zyklus gelang. Zuber@physik.tu-dresden.de © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 2/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 79
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