Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses - OpenEdition Journals

Die Seite wird erstellt Linda Arndt
 
WEITER LESEN
Trajectoires
                          Travaux des jeunes chercheurs du CIERA
                          13 | 2020
                          Intrus

Frankreich als negativer Lernort des deutschen
Bevölkerungsdiskurses
Demografisches Wissen und Nationalismus, 1860–1940

Philipp Kröger

Édition électronique
URL : http://journals.openedition.org/trajectoires/5117
ISSN : 1961-9057

Éditeur
CIERA - Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne

Référence électronique
Philipp Kröger, « Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses », Trajectoires
[Online], 13 | 2020, Online erschienen am: 30 März 2020, besucht am 01 April 2020. URL : http://
journals.openedition.org/trajectoires/5117

Ce document a été généré automatiquement le 1 avril 2020.

Trajectoires est mis à disposition selon les termes de la licence Creative Commons Attribution - Pas
d’Utilisation Commerciale - Partage dans les Mêmes Conditions 4.0 International
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   1

    Frankreich als negativer Lernort des
    deutschen Bevölkerungsdiskurses
    Demografisches Wissen und Nationalismus, 1860–1940

    Philipp Kröger

1   Die Gefahr lauerte im Osten, so eine zentrale Aussage des deutschen
    Bevölkerungsdiskurses der 1920er und 30er Jahre. Hier war der „deutsche Volksboden
    aufs stärkste gefährdet“ durch „polnische Unterwanderung“ (Burgdörfer, 1929: 30). Als
    bedrohlich wurde die Berechnung der im Vergleich zur deutschen Nation höheren
    Geburtenzahl der östlichen Nachbarvölker wahrgenommen: Deutschland galt als
    „Zentrum des demographischen Tiefdruckgebietes“ und grenzte im „Osten unmittelbar
    an die breite Front des demographischen Hochdruckgebiets“ (Burgdörfer, 1934: 411).
2   Diese zentrale Blickrichtung nach Osten1 kann jedoch nicht in Gänze verstanden
    werden, ohne auch den Blick der Wissenschaftler nach Frankreich zu analysieren –
    denn sehen gelernt, so die These dieses Aufsatzes, hatten diese Wissenschaftler im
    Westen. Frankreich wurde um 1900 zum negativen Lernort der deutschen
    Bevölkerungswissenschaft: Hier zeigte sich das Phänomen des Geburtenrückgangs und
    damit der berechneten demografischen Bedrohung durch die Einwanderung der aus
    Sicht der Wissenschaftler Fremder schon einige Jahrzehnte früher. Das Bild
    Frankreichs, das auf Basis statistischer Daten entstand, wurde so in der ersten Hälfte
    des 20. Jahrhunderts zu einer Chiffre für eine Entwicklung, die es für Deutschland zu
    verhindern galt.
3   Es liegt somit eine wechselseitige Transfergeschichte eines „in sich vernetzten
    Konstitutionsprozess[es]“ (Werner und Zimmermann, 2002: 619) dieser demografischen
    Bilder vor, derer hier zwei Komponenten hervorgehoben werden sollen. Erstens
    wurden nationale Imaginationen und Bedrohungsszenarien im transnationalen
    Wissensraum, der im 19. und insbesondere 20. Jahrhundert entstehenden
    Bevölkerungswissenschaft produziert. Es entstand somit keine spezifisch deutsche
    Perspektive aus sich selbst heraus, sondern das, was als deutsche Perspektive entstand
    und nicht selten auch das, was als deutsch galt, war Produkt jener hier untersuchten
    Verflechtung (Conrad, 2002: 148). Und nicht zuletzt stellten deutsche Wissenschaftler

    Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   2

    nationale Vorstellungen auf Basis von Daten her, die etwa der französische Staat erhob.
    Zweitens, und auch hier wird diese Verflechtung deutlich, überschrieben
    Beobachtungen, die beim Blick deutscher Wissenschaftler nach Westen entstanden, den
    deutschen Blick nach Osten und vice versa.
4   Mit dieser Feststellung lässt sich auch der Gegenstand dieser Untersuchung eingrenzen.
    Es geht nicht darum, die Entstehung des Phänomens und Deutungsmusters des
    Geburtenrückgangs nachzuzeichnen (Ferdinand, 2011; Ferdinand, 2007; Reinecke, 2005;
    Weipert, 2006: 33-75), sondern um die transnational verflochtene Produktion
    nationaler Imaginationen auf der Basis wissenschaftlichen Wissens und dessen
    Mobilisierung als symbolische Ressource des Nationalen. Wissenschaftliches Wissen
    wird dementsprechend nicht auf seinen Wahrheitswert untersucht, sondern im Sinne
    einer kulturgeschichtlich inspirierten Wissens(chafts)geschichte als symbolische
    Ressource der Sinnproduktion verstanden.
5   Der dieser Untersuchung zugrunde gelegte Quellenkorpus besteht aus Monografien
    und Aufsätzen, die zwischen den 1860er und 1930er Jahren von deutschsprachigen
    Wissenschaftlern    publiziert   wurden.    Damit    fällt   der    Beginn     des
    Untersuchungszeitraumes mit einer verstärkten Forschungs- und Publikationstätigkeit
    deutscher Statistiker sowie einer disziplinären Ausdifferenzierung der Statistik
    zusammen.2 Das Ende des Untersuchungszeitraumes bildet der Zweite Weltkrieg.
    Insbesondere dessen Ende bedeutete einen, wenn auch zumeist nicht personellen, so
    doch in Hinsicht auf den hier im Zentrum stehenden demografischen Blick nach
    Westen und Osten ideologischen Bruch.
6   Die hier untersuchten Wissenschaftler lassen sich dabei der im Untersuchungszeitraum
    erst entstehenden Disziplin der Bevölkerungswissenschaft beziehungsweise
    Demografie zuordnen, die sich innerhalb dieses Zeitraums jedoch nicht durch scharfe
    Disziplingrenzen auszeichnete. Während deutschsprachige Statistiker zwar den Fokus
    dieser Untersuchung bilden, geraten somit auch Wissenschaftler anderer Disziplinen,
    etwa Nationalökonomen, ins Blickfeld. Mit wenigen Ausnahmen lassen sich diese
    Wissenschaftler unter dem Begriff der „völkischen Wissenschaften“ (Fahlbusch, Haar
    und Pinwinkler 2017) subsumieren. Es handelt sich also um Wissenschaftler, die sich in
    ihrer Forschung auch von völkisch-nationalistischer Ideologie leiten ließen und
    zugleich mit ihrem wissenschaftlichen Wirken völkische Ideologie produzierten wie
    verbreiteten. Dabei waren sie jedoch trotz oder zum Teil auch gerade wegen ihrer
    radikalen Ansichten nicht Teil eines lunatic fringe, sondern als Universitätsprofessoren
    anerkannte Wissenschaftler oder auch Beamte in führenden Positionen innerhalb
    staatlicher Institutionen wie statistischen Ämtern.

    Von „Eigenthümlichkeiten“ zu „Schicksalsfragen“ –
    der Blick gen Westen
7   Im Verlauf des 19. Jahrhunderts stagnierte die Bevölkerungsentwicklung Frankreichs,
    während sie in anderen europäischen Staaten anstieg. War Frankreich um 1800 noch
    das einwohnerreichste Land Europas, so wurde es im 19. Jahrhundert vom Deutschen
    Reich nicht nur ein-, sondern überholt (Le Bras 1993: 9). Die Deutungen dieser
    Entwicklung unterlagen einem Wandel: Wurde von der unterschiedlichen
    Bevölkerungsentwicklung um 1860 durch einen der bekanntesten deutschsprachigen
    Statistiker des 19. Jahrhundert, Richard Boeckh, noch auf „Eigenthümlichkeiten“ der

    Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   3

     Nationen beziehungsweise Völker geschlossen (Boeckh, 1866: 330), so sah der
     Bevölkerungswissenschaftler Hans Harmsen 1925 nicht mehr Eigenheiten, sondern
     „bedrohliche Entwicklungen“, die für die „Völkergruppen in gleicher Weise zu
     Schicksalsfragen geworden sind“ (Harmsen, 1925a: 339). Diesen Wandel gilt es
     nachzuzeichnen und zu fragen, wie Frankreich in der ersten Hälfte des 20.
     Jahrhunderts zum negativen Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses wurde.
8    Vor dem Hintergrund einer gegenüber Frankreich wachsenden Bevölkerungszahl –
     dieser Parameter wurde als „Volkskraft“ (Fircks, 1875) ideologisch überformt – war es
     deutschen Statistikern um die Jahrhundertmitte möglich, Imaginationsinhalte
     deutscher Identität zu produzieren. Der Blick auf Frankreich zeigte den
     Wissenschaftlern ex negativo, was die deutsche Nation auszeichnete. Ein Vergleich der
     „Fruchtbarkeit“ offenbarte dem am Königlich Preußischen Statistischen Bureau (KPSB)
     arbeitenden Boeckh „einen hellen Einblick in den Volkscharakter“ (Boeckh, 1866: 282).
     Der Nationalökonom Adolph Wagner, ab 1870 ebenfalls am KPSB, verwies auf die Größe
     der „deutsche[n] Nation“, die „im Gegensatz zu den Franzosen hinlänglich innere
     Vermehrungskraft“ aufwies (Wagner, 1867: 550). Der Direktor des Königlich
     Bayerischen Statistischen Bureaus, Georg von Mayr, sprach von den Deutschen als
     „jugendkräftige[m] Volk“, während Frankreich „statistisch recht eigentlich als das
     Land der Greise bezeichnet werden“ könne (Mayr, 1871: 11–12). Noch drastischer
     drückte es der KPSB-Statistiker Arthur von Fircks aus: Die Daten über die französische
     Bevölkerungsentwicklung ergaben das Bild eines „abgelebten Volks“ (Fircks, 1875: 64).
9    Auf Basis der als objektiv wahrgenommenen statistischen Daten wurden so ethnisierten
     Kollektiven Eigenschaften wie einer hohen „Volkskraft“ zugeschrieben, die als
     symbolische Ressource des Nationalen mobilisiert werden konnten. Dabei übersetzten
     die hier betrachteten Wissenschaftler offensichtlich das Konzept des
     Durchschnittsmenschen, des homme moyen, des belgischen Statistikers Adolphe
     Quetelet und wandten es auf ethnisierte Kollektive an (Desrosières, 2005: 208–209).
     Quetelets Konzept basierte auf dem mathematischen Modell der Normalverteilung:
     Vermessene Werte wie Körpergröße, das Gewicht aber auch moralische Eigenschaften
     wie Sittlichkeit streuten sich demnach um Mittelwerte. Letztere galten Quetelet als
     „quasi natürliche ‚Eigenschaften des mittleren Menschen‘“ (Bonß, 1982: 92). Deutsche
     Statistiker wie Boeckh entnahmen dieses Konzept, das bereits selbst einem
     methodischen Nationalismus unterlag, den internationalen wissenschaftlichen
     Debatten und transformierten es zu „Völkerindividuen“ mit einem spezifischen
     „Volkscharakter“.3 Diese Völkerindividuen samt ihren Eigenschaften wurden auf Basis
     statistischer Vermessungen sichtbar. Gerade bei deutschen Statistikern leistete somit
     die statistische Denkweise des 19. Jahrhunderts und mit ihr das Konzept des
     Durchschnittsmenschen einem holistischen Gemeinschaftsverständnis Vorschub – das
     Ganze galt als mehr als die Summe seiner Teile und transzendierte die Individuen auf
     einer durch die Statistik sichtbar gemachten Stufe höherer Realität (Nikolow, 2002:
     240).
10   Diese angenommene Natürlichkeit und Ahistorizität der Gemeinschaftsentwürfe um die
     Jahrhundertmitte lässt verstehen, warum der um 1900 auch im Deutsche Reich
     einsetzende Geburtenrückgang, bald auch als „Volkstod“ bezeichnet, eine solch
     einschneidende Wirkung entfaltete. Die Aufrechterhaltung des Selbstbildes einer
     hohen deutschen „Volkskraft“ war vor dem Hintergrund der gemessenen
     Bevölkerungsentwicklung nicht mehr möglich. „Schon bald nach der

     Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   4

     Jahrhundertwende“, so Hans Harmsen, „wurde offenbar, daß die Erscheinung des
     Geburtenrückgangs, die man ehemals für eine französische Eigentümlichkeit hielt, sich
     bei allen Völkern des westeuropäischen Kulturkreises mehr oder weniger bemerkbar
     machte.“ Man sah sich nun selbst der „Gefahr einer Schrumpfung [des]
     Volksbestandes“ ausgesetzt (Harmsen, 1935: 3–4). Ganz ähnlich sah es auch Friedrich
     Burgdörfer,     ein     insbesondere    im     Nationalsozialismus    einflussreicher
     Bevölkerungswissenschaftler: Der Geburtenrückgang sei im 19. Jahrhundert als „eine
     spezifisch französische Angelegenheit betrachtet“ worden, nun zeige er sich jedoch im
     „ganzen abendländischen Kulturkreis“ (Burgdörfer, 1937: 11). Die französische
     Bevölkerungsentwicklung war nun nicht mehr Spiegel deutscher Suprematie, sondern
     wurde als Bild einer möglichen, aber ungewollten Zukunft zum Bedrohungsszenario für
     die deutsche Nation.
11   An Frankreich lasen die Wissenschaftler ab, was Deutschland bei einer stagnierenden
     oder gar rückläufigen Bevölkerungszahl drohte. Georg von Mayr wies bereits 1897 auf
     die mit dem Geburtenrückgang zusammenhängende Frage des „Fremdenzuflusses“ hin,
     denn „das Vacuum, welches der Geburtenrückgang schafft […], bedingt mit der
     Nothwendigkeit eines Naturgesetzes den Ersatz durch Fremden-Einströmung“. Mayr
     berechnete, dass etwa das „Nord-Departement nicht weniger als 17 Proz. Fremde
     zählt“, im „Departement der Seealpen sogar […] 25 Proz.“ (Mayr, 1897: 110). Auch
     Nationalökonom Karl Oldenberg warnte 1911 vor einer „drohenden Entvölkerung“.
     Diese kleide sich „in die Form einer zunehmenden Mischung mit eingewanderten
     Fremdelementen, wie sie in Deutschland, Frankreich und anderswo schon begonnen
     hat“ (zit. n. Ferdinand, 2011: 168). Zwar beobachteten deutsche Wissenschaftler auch
     die bevölkerungspolitischen Maßnahmen, die Frankreich ergriff und hoben diese zum
     Teil lobend hervor – Burgdörfer sprach etwa vom „Verdienst“ Frankreichs, die
     Familienstatistik als erster Staat „in Angriff genommen zu haben“ (Burgdörfer, 1917:
     218).4 Doch war es vor allem das Bild des negativen Lernorts, das sich innerhalb des
     deutschen Bevölkerungsdiskurses verfestigen sollte.
12   Dieses Bild Frankreichs ging nach der Jahrhundertwende mit einem Wandel nationaler
     Identitätsentwürfe auf Basis des statistischen und demografischen Wissens einher.
     Nicht mehr das „Volksindividuum“ als den Einzelnen transzendierendes Ganzes wurde
     aus den statistischen Daten abgelesen. Vielmehr erhielten statistische Aufnahmen nun
     eine anamnestische Funktion, der Zensus wurde zur Krankenakte des Nationalen. Der
     Geburtenrückgang wurde dabei auf den fehlenden Willen zur Reproduktion der zur
     Nation oder Volk gerechneten Individuen zurückgeführt. Burgdörfer attestierte auf
     Basis der französischen Familienstatistik, dass der „Rückgang der französischen
     Natalität in dem Willen der Familienhäupter […] begründet ist“ (Burgdörfer, 1914: 153).
     Der Nationalökonom Julius Wolf widerlegte in seiner populären Studie Der
     Geburtenrückgang die Annahme, dass die „Verschiedenheit der ‚Rasse‘ die Gründe
     größerer oder geringerer Nativität“ seien (Wolf, 1912: 154). Damit wurde das Nationale
     zu einem biopolitisch regulierbaren Kollektiv innerhalb dessen in der Tat der Sex zum
     „Scharnier“ (Foucault, 1977: 173) zwischen Individuum und Gemeinschaft wurde.
13   Die zukünftige Entwicklung der deutschen Nation lag somit nicht mehr in einem
     ahistorischen Wesen begründet, sondern im Handeln der Individuen selbst: Der
     Leipziger Professor für Statistik und Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, Ernst
     Hasse, machte dies in Die Zukunft des deutschen Volkstums deutlich: Während es für
     Frankreich schon zu spät und dessen „Volkszahl […] nur noch durch einen Ueberschuß

     Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   5

     der Einwanderer über die Auswanderer aufrecht zu erhalten“ sei, könne der für die
     „Bevölkerungsvermehrung“ maßgeblich „menschliche Wille“ in Deutschland noch
     beeinflusst werden, um so „auf planmäßigem Wege die Volkszahl zu vermehren“
     (Hasse, 1907: 25). Wollte man also Deutschland vor „französischen Zuständen“
     (Burgdörfer, 1915: 159) bewahren, galt es bessere (familien)statistische Aufnahmen
     einzuführen und eine darauf begründete Bevölkerungspolitik zu lancieren.
14   Dieser bevölkerungswissenschaftliche Blick verstetige sich nach dem Ersten Weltkrieg
     zusehends. In der Zwischenkriegszeit hatten andere europäische Staaten Frankreich
     aus zeitgenössischer Perspektive bei „seinem biologischen Abwärtsweg nicht nur
     eingeholt, sondern zum Teil noch überholt“ (Burgdörfer, 1943: 131) – darunter das
     Deutsche Reich. Dabei war es insbesondere das von Mayr und Hasse bereits vor dem
     Ersten Weltkrieg skizzierte Szenario einer durch den Geburtenrückgang ausgelösten
     Migrationsbewegung, die als Bedrohung betont wurde. Diese Migrationsbewegung
     wurde aus Sicht der deutschen Wissenschaftler durch eine über den Rückgang der
     Bevölkerung ausgelöste Sogwirkung sich entleerender Räume bedingt. Besonders
     eindringlich zeichnete Hans Harmsen dieses Bild. Dabei sei Frankreich gezwungen
     gewesen, den im Zuge des Geburtenrückgangs einsetzenden Arbeitskräftemangel durch
     Einwanderung zu kompensieren. Harmsen bilanzierte den „Zusammenbruch des
     französischen Volkstums“: Ein „buntes Völkergemisch leistete die landwirtschaftliche
     und industrielle Arbeit. Chinesen und Anamiten arbeiteten vorzugsweise in den
     Bergwerken, Kabylen, Marokkaner, Tunesier und Malgachen als landwirtschaftliche
     Arbeiter in Mittelfrankreich, Spanier, Italiener, Portugiesen und Griechen im Süden an
     der Küste.“ Als Bedrohung sah er dabei insbesondere die Einwanderung aus den
     afrikanischen Kolonien. Es käme so zur „Verniggerung“ und „Rassenverschlechterung
     durch die Mischung mit den afrikanischen Völkern“. Europa stünde an der Schwelle
     einer „neuen Völkerwanderung“: „Fremde Völker rücken in das verödende Frankreich
     […] ein“ (Harmsen, 1925a: 347–349).
15   Mit dieser Beschreibung des drohenden Zusammenbruchs des „französischen
     Volkstums“ war Harmsen in den 1920er und 1930er Jahren nicht allein. Auch in
     populärwissenschaftlichen Abhandlungen lässt sich ein ähnliches Bild Frankreichs
     ausmachen. Unter der Überschrift „Die Folgen für das deutsche Volk“ blickte Reinhold
     Lotze, Verfasser des Kosmos-Bändchens Volkstod?, zunächst nach Westen. Sei
     Frankreich in Europa „mit dem Geburtenrückgang vorausgegangen“, so würden sich an
     dessen Bevölkerungsentwicklung „eine ganze Reihe von Folgen [zeigen], die
     Deutschland noch bevorstehen können.“ Der leichte Zuwachs der französischen
     Bevölkerung zwischen 1925 und 1931 sei nicht aus der „eigenen Kraft des Volkes“
     erfolgt, sondern im Zuge der „starken Einwanderung“ – die „Zahl der Fremden in
     Frankreich wird heute auf 6 Millionen geschätzt.“ Gerade die „entvölkerten
     Landschaften Südfrankreichs“ stünden unter „stärkstem Bevölkerungsdruck“. Dabei
     würden die so entstanden leeren Räume nicht nur durch Europäer, sondern auch mit
     „Menschen fremder Rasse“ gefüllt. Insgesamt zeichnete Lotze das Bild einer drohenden
     „Umvolkung“ durch „Einwanderung fremden Blutes“ – „eine bedrohliche Gefahr für
     das Volkstum“ (Lotze, 1932: 52–53).
16   Die aus statistischen Aufnahmen gewonnenen Größen wie der „Volkskraft“ oder auch
     der „Volkszahl“ wurden in der Zwischenkriegszeit zu einem Wechsel auf die Zukunft –
     aus feststehenden Eigenschaften wurden dynamische Werte, die Schwankungen
     unterlagen. Würde der nun auch für Deutschland berechnete Geburtenrückgang nicht

     Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   6

     aufgehalten, so drohte das, was deutsche Wissenschaftler an Frankreich bereits zu
     beobachten glaubten: „Umvolkung“ und Zusammenbruch des „Volkstums“. Und
     obwohl die Geburtenzahl im nationalsozialistischen Deutschland wieder stieg und man
     sich dem „Volkstod“ entkommen sah,5 blieb das Bild Frankreichs auch in den 1940er
     Jahren noch als Drohung bestehen. Ein einschlägiges Beispiel hierfür ist der in der
     Schriftenreihe der NSDAP erschienene Band Sterbendes Frankreich? Ein Warnruf über die
     Grenzen. Gewarnt wurde im Umfang ganzer Kapitel über die „Entvölkerung des Landes“,
     die „wachsende Überfremdung“ und die „farbige Gefahr“ (Hieronimi, 1940: 31– 63).

     Völkische Bevölkerungswissenschaft und der Blick
     nach Osten
17   Wird Bevölkerungsdiskurs als „Schule des Sehens“ (Etzemüller, 2007: 14) begriffen, so
     lässt sich verstehen, warum der bevölkerungswissenschaftliche Blick nach Frankreich
     sich so und nicht anders verfestigte. Bevölkerungswissenschaftler sahen nicht, wie es
     ihr positivistisches Wissenschaftsverständnis sie selbst glauben ließ, ein einfaches
     Abbild realer Verhältnisse in den Zahlen entstehen. Die Wissenschaftler sahen
     Bevölkerung auf eine bestimmte Art und Weise und machten so Bevölkerung auf eine
     bestimmte Art und Weise erst sichtbar. Dieses Sehen war überformt. Es wurde durch
     andere Wissensformationen geprägt und vermischte sich mit ihnen. Zwei dieser
     Formationen sollen hier hervorgehoben werden: Erstens die im Vergleich deutlich
     stärkere     Prävalenz    völkischen     Denkens      innerhalb    der     deutschen
     Bevölkerungswissenschaft. Zweitens hatte die Ostgrenze als „zentraler Ort der
     Konstruktion der deutschen Nation“ (Conrad, 2006: 130) einen starken Einfluss auf den
     Bevölkerungsdiskurs.
18   Die meisten der hier betrachteten Akteure waren nicht nur Wissenschaftler, sondern
     zugleich „ethnopolitical entrepreneurs“: Sie lebten nicht nur von, sondern auch für die
     ‚Nation‘ (Brubaker, 2002: 166). Um dies anhand einiger Beispiele zu zeigen: Richard
     Boeckh widmete sein Hauptwerk nicht nur Ernst Moritz Arndt, sondern war zugleich
     „geistiger Schöpfer“ (Brocke, 1998: 414) des völkischen Allgemeinen Deutschen
     Schulvereins zur Erhaltung des Deutschtums im Ausland, später Verein für das
     Deutschtum im Ausland. Von 1894 bis 1899 war Boeckh dessen Vorsitzender. Zudem
     publizierte er um die Jahrhundertwende auch in der Deutschen Erde, einer aus
     zeitgenössischer Perspektive wissenschaftlichen Publikation des völkischen
     Alldeutschen Verbands (Boeckh, 1906). Georg von Mayr war Mitherausgeber jener
     Deutschen Erde und saß im Verwaltungsrat des Deutschen Ausland Instituts. Ernst Hasse
     war bis zu seinem Tod 1908 Vorsitzender des Alldeutschen Verbands. Friedrich
     Burgdörfers Verstrickungen in die nationalsozialistische Herrschaft sind bereits
     weitestgehend erforscht und bedürfen hier keiner weiteren Ausführung. 6
19   Zu einem zentralen Ideologem und damit Paradigma dieser völkischen Wissenschaftler
     stieg das Konzept des „Volksbodens“ auf. Entschieden geprägt wurde es durch den
     Statistiker Hasse um die Jahrhundertwende,7 der Geograf Albrecht Penck popularisierte
     es in der Zwischenkriegszeit. Letzterer lieferte auch folgende Definition: „Wo deutsches
     Volk siedelt, ist deutscher Volksboden“ (Penck, 1925: 62). Jenes Territorium, das als
     deutsch gedacht wurde, war also in der völkischen Vorstellungswelt nicht durch
     Staats-, sondern durch ethnisch konzipierte Volksgrenzen bestimmt.

     Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   7

20   Vor dem Hintergrund dieses Paradigmas lässt sich besser verstehen, warum Frankreich
     zu jenem Zeitpunkt, als der Geburtenrückgang auch der deutschen Bevölkerung
     attestiert wurde, zum negativen Lernort des Bevölkerungsdiskurses wurde. Denn die an
     Frankreich beobachteten Phänomene des „Fremdenzuflusses“ oder auch der
     „Umvolkung“ wurden als direkte Bedrohung der territorialen Integrität
     wahrgenommen. In den imaginierten Zukünften Deutschlands, von denen eine
     mögliche      Variante    die    Entwicklung     Frankreichs    war,     sahen    die
     Bevölkerungswissenschaftler also nicht nur einen weiteren Rückgang der
     Bevölkerungszahl, sondern eine dadurch bedingte, nach Deutschland gerichtete
     Migrationsbewegung von Nichtdeutschen, an dessen Ende ein Verlust an „Volksboden“
     drohte. Es ist somit nicht verwunderlich, dass sich die völkischen Wissenschaftler in
     einem kriegsähnlichen Zustand wähnten: „Was den Grenzkampf vom eigentlichen
     Krieg unterscheidet“, so Max Hildebert Boehm, „ist die Tatsache, daß er auch im
     ‚Frieden‘ seinen Fortgang nimmt. […] Er ist ein Kampf um die Scholle, ein Wettbewerb
     der Geburten und damit der Volksvermehrung und des relativen
     Bevölkerungsgewichtes“ (Boehm, 1934: 30).
21   Dieser von Boehm ausgerufene „Kampf um die Scholle“ als „Wettbewerb der Geburten“
     war jedoch nicht nur an Frankreich zu beobachten, sondern fand in dieser
     Vorstellungswelt im ausgehenden 19. Jahrhundert auch im Deutschen Reich
     beziehungsweise auf deutschem „Volksboden“ statt . Denn die Entdeckung des
     Geburtenrückganges in Deutschland fiel mit einer weiteren Sichtbarmachung
     zusammen: Statistiker und Bevölkerungswissenschaftler sahen eine demografische
     Bedrohung an der Ostgrenze entstehen. Und in Form der 1886 gegründeten
     preußischen Ansiedlungskommission, deren Aufgabe vor allem darin bestand, in den
     preußischen Grenzregionen polnischen Landbesitz in deutschen umzuwandeln,
     materialisierte sich der „Kampf um die Scholle“ auch bereits in ersten ethnopolitischen
     Eingriffen (Lerp, 2016: 162-169). Das Zusammenfallen dieser statistischen
     Sichtbarmachungen – Geburtenrückgang und demografische Bedrohung im Osten –
     erklärt, warum sich Frankreich als negativer Lernort im Verlauf des 20. Jahrhunderts
     derart verfestigte. Im Osten sah man in Anfängen das, was in Frankreich bereits
     eingetreten sei: entleerte Räume und die dadurch bedingte Einwanderung Fremder.
22   Ernst Hasse verwies so in seiner Schrift Die Polenfrage auf die Bedeutung der
     „Volkszahl“ als entscheidendem Kriterium des zukünftigen Einflusses der „Völker“ und
     zeigte anschließend, dass Frankreich keine Zukunft unter den „europäischen
     Kulturvölkern“ (Hasse, 1894: 4) habe. Gleichzeitig warnte er dabei vor dem
     Bevölkerungswachstum Russlands und sah im Osten eine „Verschiebung der
     Volksgrenzen zu Ungunsten des deutschen Volkstums“ im Zuge einer „polnischen
     Rückflutung“ (Hasse, 1894: 9–10). Vor einer „steigenden slawischen Flut“ (Burgdörfer,
     1917: 29) warnte auch Friedrich Burgdörfer in seiner Dissertationsschrift, die sich im
     Besonderen mit der französischen Familienstatistik und Bevölkerungspolitik
     beschäftigte. Und auch hier findet sich der Zusammenhang von Bevölkerungswachstum
     und territorialer Ausdehnung: „jedes tüchtige Volk“ schaffe „sich seinen
     Nahrungsspielraum selbst“ (Burgdörfer, 1917: 4).
23   Dabei waren die Analysen der Bevölkerungsentwicklung vor und während des Ersten
     Weltkriegs noch durchaus ambivalent: Einerseits kündigte sich zwar eine Bedrohung
     an, zugleich schien jedoch die Möglichkeit territorialer Expansion auf. Nach der
     Kriegsniederlage änderte sich dies, es kam zu einer deutlicheren Betonung des

     Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   8

     Bedrohungsszenarios. So sah Hans Harmsen an der Ostgrenze das, was er in einem
     fortgeschrittenen Stadium auch bereits an Frankreich meinte beobachten zu können.
     Er verwies auf eine „Völkerwanderung“, die er als „Ost-Westbewegung“ beschrieb: „Sie
     gibt im Osten deutschen Siedlungsboden fremden Volkstum preis“ (Harmsen, 1931: 14).
     Eine eindrückliche Beschreibung der Lage an der Ostgrenze lieferte dann auch
     Burgdörfer, der in seinem Hauptwerk Volk ohne Jugend vom „biopolitische[n] Kampf um
     den deutschen Volksboden“ sprach, wobei die „Gefährdung an den östlichen Grenzen“
     am höchsten sei (Burgdörfer, 1934: 429). Durch den Geburtenrückgang, der
     insbesondere in Großstädten auszumachenden sei, die wie „Saugpumpen auf die
     Landbevölkerung wirken“, sah er, dass „das platte Land, ähnlich wie in Frankreich,
     weitgehend veröden“ würde. Er beschwor zugleich die Gefahr der „Unterwanderung
     durch volksfremde Elemente“ im Osten (Burgdörfer, 1934: 432).
24   Die demografische Bedrohung, die deutsche Bevölkerungswissenschaftler in der ersten
     Hälfte des 20. Jahrhunderts an der Ostgrenze des deutschen Reiches sahen, war, so
     konnte es gezeigt werden, auch ein Produkt des sich schon früher formierenden Blickes
     dieser Wissenschaftler nach Westen. Das bei diesem Blick auf Basis statistischer Daten
     entstandene Bild Frankreichs unterlag dabei um 1900 einem erstaunlichen Wandel. Aus
     der im ausgehenden 19. Jahrhundert noch vorherrschenden Vorstellung der Franzosen
     als Volk ohne „innere Vermehrungskraft“, die ex negativo gewendet auf positive
     Eigenschaften einer hohen „Volkskraft“ der Deutschen verwies, wurde Frankreich
     unter dem nun auch in Deutschland auszumachenden Geburtenrückgang zum
     negativen Lernort. Die französische Bevölkerungsentwicklung bildete damit nicht mehr
     die Kontrastfolie deutscher Suprematie, sondern verwies auf eine bedrohliche
     Entwicklung, die es zu verhindern galt. In der durch völkische Ideologeme grundierten
     Vorstellung der hier untersuchten Wissenschaftler entstanden aufgrund der niedrigen
     Geburtenziffer innerhalb des französischen Staatsgebietes leere Räume, die dann durch
     Migrationsbewegungen gefüllt würden – einen Prozess, den deutsche Wissenschaftler
     als „Umvolkung“ beschrieben und der in ihren Augen eine „Bedrohung des […]
     Volkstums“ darstelle.
25   Die hier vorgenommene Perspektive ermöglicht dabei ein besseres Verständnis dieses
     deutschen bevölkerungswissenschaftlichen Blickes: Gerade weil die französische
     Bevölkerungsentwicklung      schon     früh    beobachtet     wurde,    hatte     die
     Geburtenrückgangsdiskussion und damit die gesehene demografische Bedrohung in
     Osten ab der Jahrhundertwende eine solche einschneidende Wirkung. Beide statistisch-
     demografischen Bilder stützten sich dabei gegenseitig: Während der Blick auf
     Frankreich zeigte, was nun an der deutschen Ostgrenze selbst drohte, konnte auf Basis
     dieser gesehenen Bedrohung Frankreich als negativer Lernort und damit als
     symbolische Ressource des Nationalen noch bis in den zweiten Weltkrieg hinein als
     wirkmächtige Warnung und bevölkerungspolitischer Appell mobilisiert werden.

     Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   9

BIBLIOGRAPHIE
Quellen

Boeckh, Richard (1906): Die Ermittelung des Volkstums der Einwanderer in die Vereinigten
Staaten. Ein Beitrag zur Kenntnis des Anteils der Deutschen, in: Deutsche Erde, 5, S. 95–101, 132–
137.

Boeckh, Richard (1869): Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den europäischen Staaten, Berlin.

Boeckh, Richard (1866): Die statistische Bedeutung der Volkssprache als Kennzeichen der
Nationalität, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, 4, S. 259–402.

Boehm, Max Hildebert (1935): Volkstheorie und Volkstumspolitik der Gegenwart, Berlin.

Boehm, Max Hildebert (1934): Was ist Volkslehre?, Stuttgart.

Burgdörfer, Friedrich (21943): Bevölkerungsentwicklung in Deutschland, Frankreich und England,
in: Reichs- und Reichsfeinde, Bd. 2, Hamburg, S. 129–158.

Burgdörfer, Friedrich (21937): Völker am Abgrund, München/Berlin.

Burgdörfer, Friedrich (21934): Volk ohne Jugend. Geburtenschwund und Überalterung des deutschen
Volkskörpers. Ein Problem der Volkswirtschaft – der Sozialpolitik der nationalen Zukunft, Berlin.

Burgdörfer, Friedrich (1929): Die schwindende Wachstumsenergie des deutschen Volkes im
europäischen Raum, in: Harmsen, Hans; Loesch, Karl Christian C. (Hg.): Die deutsche
Bevölkerungsfrage im europäischen Raum, Berlin, S. 9–30.

Burgdörfer, Friedrich (1917): Das Bevölkerungsproblem, seine Erfassung durch Familienstatistik und
Familienpolitik mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Reformpläne und der französischen
Leistungen, München.

Burgdörfer, Friedrich (1914): Die französische Familienstatistik von 1906, in: Allgemeines
Statistisches Archiv, 8, S. 153–159.

Fircks, Arthur von (1875): Die Volkskraft Deutschlands und Frankreich. Statistische Skizze, Berlin.

Harmsen, Hans (1935): Bestandsfragen der deutschen Volksgruppen im osteuropäischen Raum, Berlin.

Harmsen, Hans (1931): Praktische Bevölkerungspolitik. Ein Abriß ihrer Grundlagen, Ziele und Aufgaben,
Berlin.

Harmsen, Hans (1925a): Bevölkerungsprobleme Frankreichs, in: Loesch, Karl Christian von (Hg.):
Volk unter Völkern, Breslau, S. 339-349.

Harmsen, Hans (1925b): Die französische Sozialgesetzgebung im Dienste der Bekämpfung des
Geburtenrückgangs, Berlin.

Hasse, Ernst (1907): Die Zukunft des deutschen Volkstums, München.

Hasse, Ernst (1905): Die Besiedelung des deutschen Volksbodens, München.

Hieronimi, Martin (1940): Sterbendes Frankreich? Ein Warnruf über die Grenzen, Berlin.

Lotze, Reinhold (1932): Volkstod?, Stuttgart.

Mayr, Georg von (1897): Statistik und Gesellschaftslehre, Bd. 2: Bevölkerungsstatistik, Freiburg.

Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   10

Mayr, Georg von (1871): Zahl und Sprachgebiet der Deutschen. Volksthümlicher Vortrag gehalten am 19.
Januar 1871, München.

Penck, Albrecht (1925): Deutscher Volks- und Kulturboden, in: Loesch, Karl Christian von (Hg.):
Volk unter Völkern, Breslau, S. 62–73.

Wagner, Adolph (1867): Die Entwickelung der europäischen Staatsterritorien und das
Nationalitätenprinzip. Eine Studie im Gebiete der vergleichenden Annexions- und
Nationalitätenstatistik, Erster Artikel, in: Preußische Jahrbücher, 19, S. 540–579.

Wolf, Julius (1912): Der Geburtenrückgang. Die Rationalisierung des Sexuallebens in unserer Zeit, Jena.

Literatur

Aly, Götz; Roth, Karl Heinz (22005): Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im
Nationalsozialismus, Frankfurt/Main.

Bonß, Wolfgang (1982): Die Einübung des Tatsachenblicks. Zur Struktur und Veränderung empirischer
Sozialforschung, Frankfurt/Main.

Brocke, Bernhard vom (1998): Bevölkerungswissenschaft – Quo vadis? Möglichkeiten und Probleme einer
Geschichte der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland, Opladen.

Brubaker, Rogers (2002): Ethnicity without Groups, in: European Journal of Sociology, 43, S. 163–189.

Bryant, Thomas (2007): „Volk ohne Jugend“ als „demographisches Drama“. Der
Bevölkerungsstatistiker Friedrich Burgdörfer im Wechselspiel zwischen wissenschaftlicher
Publizistik und popularisierter Wissenschaft (1909-1933), in: Krassnitzer, Patrick; Overath, Petra
(Hg.): Bevölkerungsfragen. Prozesse des Wissenstransfers in Deutschland und Frankreich (1870–1939),
Köln/Weimar/Wien, S. 47–66.

Conrad, Sebastian (2006): Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München.

Conrad, Sebastian (2002): Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale
Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 28, S. 145-168.

Desrosières, Alain (2005): Die Politik der großen Zahlen. Eine Geschichte der statistischen Denkweise,
Berlin u.a.

Etzemüller, Thomas (2007): Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im
20. Jahrhundert, Bielefeld.

Fahlbusch, Michael; Haar, Ingo; Pinwinkler, Alexander (Hg.) (2017): Handbuch der völkischen
Wissenschaften, 2 Bde., Berlin/Boston.

Ferdinand, Ursula (2011): Das Gespenst des Geburtenrückgangs im (deutschen) ‚Denken über
Bevölkerung‘ im 20. Jahrhundert, in: Overath, Petra (Hg.): Die vergangene Zukunft Europas.
Bevölkerungsforschung und -prognosen im 20. und 21. Jahrhundert, Köln u.a., S. 163–184.

Ferdinand, Ursula (2007): Geburtenrückgangstheorien und „Geburtenrückgangs-Gespenster“
1900 – 1930, in: Ehmer, Josef; Ferdinand, Ursula; Reulecke, Jürgen (Hg.): Herausforderung
Bevölkerung. Zur Entwicklung des modernen Denkens über die Bevölkerung vor, im und nach dem „Dritten
Reich“, Wiesbaden, S. 77–98.

Foucault, Michel (1977): Der Wille zum Wissen, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, Frankfurt/Main.

Kröger, Philipp (2019): Die Entdeckung der „Völkermischzone“. Ostmitteleuropa im Blick
deutscher Statistiker und die Berechnung bevölkerungspolitischer Programme in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 68, S. 223–248.

Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   11

Le Bras, Hervé (1993): Marianne et les lapins. L’obsession démographique, Paris.

Lerp, Dörte (2016): Imperiale Grenzräume. Bevölkerungspolitiken in Deutsch-Südwestafrika in den
östlichen Provinzen Preußens 1884–1914, Frankfurt/Main.

Nikolow, Sybilla (2002): Die Nation als statistisches Kollektiv. Bevölkerungskonstruktionen im
Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Jessen, Ralph; Vogel, Jakob (Hg.): Wissenschaft und
Nation in der europäischen Geschichte, Frankfurt/Main, S. 235–259.

Reinecke, Christiane (2005): Krisenkalkulationen. Demographische Krisenszenarien und
statistische Expertise in der Weimarer Republik, in: Föllmer, Moritz; Graf, Rüdiger (Hg.): Die
„Krise“ in der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt/Main, S. 209–240.

Schneider, Michael C. (2013): Wissensproduktion im Staat. Das königlich preußische statistische Bureau
1860–1914, Frankfurt/Main.

Weipert, Matthias (2006): „Mehrung der Volkskraft“: Die Debatte über Bevölkerung, Modernisierung und
Nation 1890–1933, Paderborn.

Werner, Michael; Zimmermann, Bénédicte (2002): Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz
der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft,
28, S. 607–636.

NOTES
1. Zur zentralen Blickrichtung deutscher Statistiker nach Osten aus einer anderen Perspektive
auch (Kröger, 2019).
2. Hier sei auf das Königlich Preußische Statistische Bureau verwiesen, das nicht nur – 1805
gegründet – das erste in einem deutschen Staat war: Es gilt mit der Übernahme des
Direktorenposten durch den Statistiker Ernst Engel im Jahr 1860 zugleich auch als „eines der
einflussreichsten im deutschen Sprachraum“ (Schneider 2013: 10).
3. Besonders deutlich wird dies bei einer Überlegung in Boeckhs Hauptwerk, demnach sich die
„Gemeinschaft der Abstammung“ nur für „Völkerindividuen im Ganzen“ zeige, während die
Individuen mehr oder weniger aus Mischungen „abweichender Art“ bestünden (Boeckh, 1869: 4).
4. Ähnlich, wenn auch bereits nach dem Ersten Weltkrieg erschienen: (Harmsen, 1925b).
5. Das „deutsche Volk“ hätte sich, so Burgdörfer, mit der Machtübernahme „biologisch vom
Abgrund zurückgerissen“ (Burgdörfer, 1943: 151).
6. Zu Burgdörfers „völkischer Bevölkerungspolitik“ bereits vor 1933 (Bryant, 2007: 47–66, insb.
51–55). Zur NS-Verstrickung Burgdörfers u.a. (Aly und Roth, 2005: 36–38).
7. In der Forschung wird das „Volksboden“-Paradigma langläufig auf Penck zurückgeführt, dabei
hatte der Begriff schon bei Ernst Hasse dieselbe Bedeutung als auch Funktion. So findet sich der
Begriff im Titel einer Monografie Hasses wieder (Hasse, 1905). Nach einem der zentralen
völkischen Wissenschaftler der Zwischenkriegszeit, Max Hildebert Boehm, hätte der Begriff in
dieser Schrift „die konkrete Bedeutung des völkischen Siedlungs- und Wohngebietes“ gewonnen
und sei so zu einem „Zentralbegriff der völkischen Erdkunde“ geworden (Boehm, 1935: 40).

Trajectoires, 13 | 2020
Frankreich als negativer Lernort des deutschen Bevölkerungsdiskurses   12

RÉSUMÉS
Im Rahmen dieses Aufsatzes wird demografisches Wissen als symbolische Ressource des
Nationalen begriffen und analysiert, wie auf Basis statistischer Daten nationale Imaginationen
entstanden. Im Mittelpunkt steht dabei das Bild Frankreichs, das deutsche Statistiker im 19. und
20. Jahrhundert zeichneten. Um 1900 wurde das zunächst Frankreich attestierte Phänomen des
„Geburtenrückgangs“ auch in Deutschland sichtbar und vermehrt als nationales
Bedrohungsszenario mobilisiert. Zugleich berechneten Statistiker eine demografische Bedrohung
an der Ostgrenze des deutschen Reiches – dieser Blick nach Osten, so wird argumentiert, war
jedoch vom statistischen Blick nach Westen überschrieben.

Concevant le savoir démographique comme une ressource symbolique pour le discours national,
cet article analyse la façon dont les données statistiques ont produit des imaginaires nationaux. Il
interroge pour cela le tableau que les statisticiens allemands ont peint de la France au XIXe et
XXe siècle. Autour de 1900, une baisse du taux de natalité, phénomène que l'on croyait français,
est identifiée en Allemagne et nourrit alors un scénario de menace nationale. Dans un même
temps, les statisticiens mesurent une menace démographique à la frontière orientale du Reich
allemand. L’article défend l'idée selon laquelle ce regard tourné vers l’est est façonné par le
regard statistique sur l’ouest.

INDEX
Index géographique : France, Allemagne, Europe
Schlüsselwörter : Demografie, Statistik, Geburtenrückgang, Nationalismus
Mots-clés : démographie, statistique, dénatalité, nationalisme
Index chronologique : 19e siècle, 20e siècle

AUTEUR
PHILIPP KRÖGER
Doctorant en histoire, Universität Augsburg, philipp.kroeger@philhist.uni-augsburg.de

Trajectoires, 13 | 2020
Sie können auch lesen