Pbi Rundbrief - PBI Deutschland
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peace brigades international pbi Rundbrief Winter 2020/21 In dieser Ausgabe ISSN 1619-2621 Report: Die Arbeit von peace brigades international in Zeiten von Corona Erfahrungsbericht: Eine pbi-Freiwillige erzählt von ihrem Einsatz in Honduras making space for peace
Liebe_r Leser_in, in der pbi-Geschäftsstelle ist Bewegung: unter dem Einfluss des Virus wirken kann, Lieb gewonnene Menschen haben sich für beschreiben wir Ihnen auf den Seiten 4 bis 7. neue Wege entschieden und „neue Gesich- Doch es gibt auch gute Nachrichten: ter“ bereichern unsere Runde. In diesem Zu- Anfang des Jahres konnten wir bei pbi ein sammenhang darf ich mich Ihnen vorstellen: neues Projekt realisieren. So begleitet pbi Mein Name ist Rabea Ganz und ich werde seither nicaraguanische Aktivist_innen im zukünftig die Öffentlichkeitsarbeit bei pbi Exil in Costa Rica. Die Ausprägungen und Deutschland verantworten. Ich freue mich, Hintergründe des neuen Projekts erläutern Ihnen in diesem Zuge die ersten Worte die- wir Ihnen ab Seite 8. ses Rundbriefs aussprechen zu dürfen, und Mieke Wolter ist von ihrem Freiwilligen- Ihnen die aktuellen Inhalte vorzustellen. einsatz in Honduras zurück und unterstützt Die Corona-Pandemie hat das Weltge- pbi Deutschland seither als Projektreferen- schehen durchgerüttelt, Menschenrechte tin auf einer sogenannten Rückkehrer_in- werden zunehmend missachtet und vie- nen-Stelle. Sie hat für uns in diesem Rund- lerorts haben sich die Lebensbedingungen brief ihre Erlebnisse von ihrem Einsatz in verschlechtert. Seit März 2020 war auch Honduras niedergeschrieben und gibt Ih- unser Wirken bei pbi von der Corona-Pan- nen auf den Seiten 10 bis 13 einen Einblick in demie geprägt. So konnten beispielsweise den Aufbau und die Wirkungsweise unseres in Deutschland Workshops und Veranstal- Schutzbegleitungskonzepts. tungen nicht stattfinden, und international Für die Rundbriefredaktion agierende Freiwillige und Fachkräfte wur- Rabea Ganz den teilweise aus den Projektländern zu- rückgeholt. Wie genau unsere Arbeit seither 2 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Deutschland Meine Erfahrung als Bundesfreiwilliger bei pbi ► Gut eineinhalb Jahre habe ich als konnte ich neue Ge- Bundesfreiwilliger (BFDler) unter ander- staltungsprogramme em die Öffentlichkeitsarbeit von pbi unter- erlernen und selbst stützt. Artikel verfassen. pbi – das ist keine Organisation wie Durch die Mit jede andere. Dies habe ich schon am Beginn arbeit in der Diversi- meines BFDs erfahren. Von Anfang an bin täts-AG konnte ich für ich sehr herzlich aufgenommen worden. mich zudem einen ei- Dieser wertschätzende Umgang kommt genen Schwerpunkt nicht von ungefähr – so sind es gerade die setzen. flachen Hierarchien, der gelebte Konsens Persönlich betrachtet war die Zeit bei und die Prinzipien, die pbi zu einer einzigar- pbi für mich sehr bereichernd. So habe ich tigen Organisation machen. viele nette Menschen kennengelernt und Als „Bufdi“ habe ich vielfältige Aufga- einen Einblick in die Arbeit von Menschen- ben der Öffentlichkeitsarbeit übernommen. rechtsverteidiger_innen erhalten. So war ich beispielsweise mehrfach an der Jakob Rieder Erstellung des Rundbriefs beteiligt. Gerade die Erstellung von Print-Publikationen hat Lesen Sie den ganzen Beitrag online unter: mir stets viel Spaß bereitet, denn dabei www.pbi-deutschland.de/aktuelles/bfd AG SüdNord: Klimaschutz trifft Menschenrechte ► Weltweit mehren sich die Proteste der und dass diejenigen, die schon lange gegen Klimaaktivist_innen, die sich den Schutz die Auswirkungen der Klimaerwärmung der Umwelt und einer lebenswerten kämpfen und am meisten davon betroffen Welt auf die Fahnen geschrieben haben. sind, zu wenig Gehör finden. Gleichzeitig Innerhalb von pbi Deutschland hat sich begann bei pbi ein Umdenken dahinge- letztes Jahr die Aktionsgruppe SüdNord hend, dass nicht nur in den Projektländern, gegründet, die den Umweltaktivist_innen sondern auch in den Ländergruppen des aus dem globalen Süden mehr Gehör ver- Globalen Nordens, politischer Aktivismus schaffen will. passieren sollte. Diese zwei Entwicklungen Mit Greta Thunbergs Klimaprotest, der führten zur Idee, die Aktionsgruppe Süd- zu Fridays for Future, Extinction Rebellion Nord zu gründen, die Menschenrechtsak- und anderen Protestbewegungen führte, tivist_innen aus unseren Projektländern mit erreichte auch Deutschland ein neuer Kli- den Klimaprotesten im Globalen Norden maaktivismus, der die Protestlandschaft verknüpfen möchte. grundlegend verändert hat. Immer wieder Paul Metsch kam dabei die Kritik auf, dass diese Proteste Erfahren Sie mehr zum Thema unter: zu wenig Bezug zum Globalen Süden haben www.pbi-deutschland.de/aktuelles/klimaschutz pbi Rundbrief ► Winter 2020/21 3
Deutschland/International Die Arbeit von peace brigades international in Zeiten von Corona Im März fing es an, und plötzlich ging es ganz schnell: Schritt für Schritt kam es durch das Corona-Virus zu Einschränkungen, bis der Lockdown ausgerufen wurde. Auch die Arbeit bei pbi ist seither von der Pandemie betroffen. Welche Auswirkungen dies hat, darüber berichten wir Ihnen in diesem Beitrag. Foto: Bettina Theuerkauf 4 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Das pbi-Bildungsprojekt durchlebt seit Be- In der Freiwilligen- und Fachkräf- ginn der Corona-Pandemie eine dynamische tebegleitung waren die letzten Mona- Zeit. So wurden aufgrund des Lockdowns te aufgrund der großen Unsicherheiten zunächst alle Projekttage, Workshops und und der Ausreise vieler Fachkräfte sehr Seminare abgesagt, diese liefen auch da- arbeitsintensiv. Die Freiwilligen des pbi- nach nur zögerlich wieder an. Der Unter- Mexikoprojekts sind vollständig ausge- richt in den Schulen wurde zwar nach den reist, in den Teams in Guatemala und Sommerferien fortgesetzt, doch hat die Honduras sind jeweils nur drei Freiwillige non-formale Bildungsarbeit wie die von pbi, vor Ort und in Kolumbien sind neun Frei- durch nachzuholenden Unterrichtsstoff und willige im Einsatz (Stand Oktober 2020). Reglementierungen der Politik weiterhin Fast alle Projekte arbeiten mit „Hybrid“- kaum Zugang zum Schulwesen. Außerschu- Strukturen, was bedeutet, dass ausgereiste lische Lernorte dürfen im Regelfall noch Freiwillige die Arbeit noch zum Teil digital nicht besucht werden und bereits gebuchte fortsetzen. Einige ZFD-Fachkräfte sind aller- und vorbereitete Bildungsangebote wer- dings gerade wieder im Begriff in ihr Ein- den weiterhin, oft spontan, abgesagt. Dies satzland zurückzukehren (Guatemala und bedeutet für uns eine große Planungsun- Kolumbien) bzw. bangen um ihre Rück- sicherheit. reise (Indonesien). Zudem wird im Herbst Doch konnten wir in den vergangenen 2020 voraussichtlich ein 5-köpfiges Team im Monaten auch einige positive Erfahrungen Norden von Mexiko die Arbeit wiederauf- machen: Glücklicherweise hat die Politik die nehmen. Die Bewerbungsprozesse für Aus- Relevanz einer ausgewogenen frühkindli- landseinsätze in Honduras und Kolumbien chen Bildung erkannt und die Hygienemaß- finden ebenfalls wieder statt. nahmen dahingehend angepasst, sodass Die Arbeit der Freiwilligen- und Fach- das Bildungsprojekt wieder in der Lage ist, vermehrt Menschenrechtsbildung in Form kräftebegleitung war aufgrund der von Puppentheater-Aufführungen durch- Rückholaktionen sehr intensiv zuführen. Darüber hinaus haben wir unser Auch die Advocacyarbeit, welche die Workshop-Angebot durch neu entwickelte politische Vernetzung gewährleistet, ist Online-Formate für Jugendliche und Er- entscheidend durch die Coronakrise be- wachsene erweitert. einträchtigt worden. Bereits vereinbarte Die Arbeit in der Projektbegleitung war Gesprächstermine mit Politiker_innen und nach Ausbruch der Pandemie einige Wo- Veranstaltungen wurden spätestens Mitte chen lang von Home Office und virtueller März abgesagt oder auf unbestimmte Zeit Kommunikation geprägt. In der finanziel- verschoben. Besuchsreisen von begleiteten len Begleitung der Projekte bzw. der Beglei- Menschenrechtsverteidiger_innen wurden tung des ZFD-Programms wurde damit je- storniert; eine Planung von Projektbesu- doch das Arbeitspensum nicht weniger. Im chen kann in diesem Jahr aufgrund der Gegenteil: Die Corona-Situation und die da- Situation ebenfalls nicht stattfinden. Alter- mit verbundenen Ausreisen von einzelnen nativ werden seit Einführung der Corona- Fachkräften sowie der laufende Berichtspro- bedingten Restriktionen virtuelle Gespräche zess für Geldgeber_innen bedeuteten einen mit politischen Entscheidungsträger_innen erhöhten Arbeitsaufwand. organisiert. Der Austausch über die Ent- pbi Rundbrief ► Winter 2020/21 5
wicklung der Situation in unseren Projekt- Wasserkraftwerke zu nutzen, ansässige indi- ländern wurde insbesondere zu Beginn der genen und Bauern-Gemeinschaften werden Krise stark intensiviert und pbi erarbeitete bei diesen Plänen nicht berücksichtigt. Die Briefing-Papiere, um die internationale Ge- Gemeinschaften sowie Menschenrechtsver- meinschaft zu informieren. In den Netzwer- teidiger_innen wehren sich friedlich gegen ken, in denen pbi in Deutschland vertreten diese Vorgehensweise. Die Antwort auf ist, werden derzeit Koordinationssitzungen ihren Widerstand ist häufig repressiv. Kri- ausschließlich virtuell durchgeführt. Die di- minalisierungen und Drohungen stehen an rekte Begegnung mit Menschen anderer der Tagesordnung, Covid-19 verschärft die Organisationen und informelle Absprachen Spannungen. Die guatemaltekische Regie- kommen so zurzeit nicht zustande und rung rief aufgrund der Corona–Pandemie werden von allen Beteiligten sehr vermisst. den Notstand aus, was zu zahlreichen Frei- Gleichwohl bietet die Corona-Krise Gelegen- heitseinschränkungen führte. Die indigenen heit, andere Aktivitäten wahrzunehmen: und Bauern–Gemeinschaften spüren die So arbeitet die Advocacy zurzeit intensiv an Auswirkungen. Sie haben beispielsweise einer Publikation über die Kriminalisierung nur eingeschränkten Zugang zum Markt, von Menschenrechtsverteidiger_innen in da öffentliche Verkehrsmittel derzeit fehlen. Zentralamerika mit. (Juli 2020) Das Gesundheitssystem in Honduras ist Auswirkungen der Corona-Pandemie in einer prekären Lage. Gemäß der Daten in unseren Projektländern des „Comisionado Nacional de los Derechos Die Covid-19-Pandemie hat die Ungleich- Humanos“ (Nationaler Rat der Menschen- heiten und die Probleme der strukturellen rechte) hat Honduras ungefähr 14 Medizi- Gewalt, Korruption und Straflosigkeit ver- ner_innen und Krankenpfleger_innen pro stärkt, welche die Projektländer von pbi 10.000 Einwohner, womit es eines der Ge- seit langem prägen. Sowohl in Mexiko, Gu- sundheitssysteme mit dem wenigsten Per- atemala, Honduras, Costa Rica (Nicaragua), sonal in Mittelamerika ist. Kolumbien, wie auch in Kenia, Nepal und Die Folgen waren auch in den Regio- Indonesien sind die Projekte nachhaltig von nen spürbar, in denen pbi Honduras tätig den Auswirkungen der Pandemie betrof- ist. So schützten sich die Menschen vor Ort fen. Aktive Schutzbegleitung konnte pbi mit eigeninitiierten Maßnahmen: „Als die während der letzten Monate in Mexiko, Gu- COVID-19-Krise begann, haben sich die Ge- atemala, Honduras und Kolumbien kaum meinschaften versammelt und beschlossen, durchführen. dass wir diejenigen sein werden, die sich um In Guatemala belastet die Pandemie die die Eingangs- und Ausgangskontrollen der Konflikte zwischen indigenen und Bauern- Gemeinschaften kümmern werden“, erklärt Gemeinschaften gegenüber der Regierung Sebastián Reyes, Generalsekretär der Regio- und privaten Unternehmen zusätzlich. Die nalversammlung der „Central Nacional de Region Verapaces beispielsweise ist Schau- Trabajadores del Campo“ des Ressorts von platz zahlreicher Konflikte um Land und La Paz. Es scheint so, als ob die Maßnahmen Umwelt. Staatliche und private Akteur_in- wirksam sind: „Bis jetzt gibt es noch keinen nen zielen darauf ab, die natürlichen Res- Fall in der Gemeinschaft und wir hoffen, sourcen der Region für Großprojekte wie dass es auch weiterhin keinen geben wird, 6 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Seit Mitte August begleiten pbi-Freiwillige in Kolumbien wieder Menschenrechtsverteidiger_innen. denn das einzige Gesundheitszentrum, das Die Situation für Migrant_innen und es in der Gemeinschaft gibt, würde sich Asylsuchende ist ernst. Sie sind in Mexiko ge- nicht um die Kranken kümmern“, fügt Se- strandet. Wie die Anwältin Ana Lilia Amez- bastián hinzu. (Juni 2020) cua Ferrer schreibt, braucht es nun transpa- Auch in Mexiko stellt die Corona-Pan- rente Maßnahmen, die in der Gesellschaft demie den Gesundheits- und Migrations- Vertrauen schaffen. Menschenrechtsvertei- bereich vor große Herausforderungen. Die diger_innen sind dabei wichtige Akteur_in- Maßnahmen zur Eindämmung von Co- nen, da sie unabhängig von Regierungen vid-19 hatten gravierende Folgen für asylsu- agieren und Brücken zwischen Staat, Bevöl- chende Menschen, die auf ihrem Weg in die kerung und Migrant_innen bauen können. USA in Mexiko ausharren mussten. Die Be- So wird der Schutz der Letzteren gefördert hörden räumten staatliche Migrationszent- und das Konflikt- und Gewaltpotenzial re- ren so weit, dass Abstands- und Hygienere- duziert. (August 2020) geln durchgesetzt werden konnten, oder schlossen sie ganz. In mehreren Migrations- zentren protestierten Migrant_innen gegen Eine ausführliche Darstellung zur Situation fehlendes Schutzmaterial und forderten die in den Projektländern finden Sie unter: Rückreise in ihre Herkunftsländer. Die Na- www.pbi-deutschland.de/aktuelles/corona tionalgarde reagierte auf die Proteste mit teilweise exzessiver Gewalt. pbi Rundbrief ► Winter 2020/21 7
Costa Rica (Nicaragua) Neues pbi-Projekt unterstützt nicaraguanische Menschenrechts- verteidiger_innen im Exil in Costa Rica Als Folge einer sozialen und politischen Krise in Nicaragua sind seit April 2018 über 110.000 Nicaraguaner_innen ins Exil geflüch- tet, die Mehrzahl davon nach Costa Rica. Anfang des Jahres hat peace brigades international ein neues Projekt eröffnet, das nicaraguanische Aktivist_innen im Exil in Costa Rica begleitet. Mit dem neuen Projekt möchte pbi Ni- als auch für die im Exil lebenden Lands- caraguaner_innen unterstützen, die auf- leute. grund der eskalierten politischen Gewalt COVID-19 stellt für die Menschen im gezwungen waren, ihr Land zu verlassen, Exil eine zusätzliche Lebensbedrohung aber Verbindungen zu nicaraguanischen dar, nicht nur aufgrund des Gesund- Menschenrechtsbewegungen unterhalten heitsrisikos, sondern auch in Bezug auf und hoffen, nach einer Verbesserung der ihre Verwundbarkeit. Die Strategien zur Bedingungen zurückkehren zu können. Lebensverteidigung sind insbesondere pbi Nicaragua begleitet unter ande- der Austausch zwischen den Netzwer- rem Bäuer_innenbewegungen, Frauen ken, das Bündeln von gemeinschaft- und Jugendliche. In Workshops versu- lichen Ressourcen und die kollektive chen wir auf die psychosozialen Aus- Rückmeldung durch verbündete Orga- wirkungen eines Lebens im Exil zu rea- nisationen und Bürger_inneninitiativen. gieren. So bietet pbi den Aktivist_innen Das Projekt sowie ganz pbi bietet Workshops zu den Themen Schutzstra- Menschenrechtsverteidiger_innen wei- tegien, Selbstfürsorge und organisato- terhin Begleitung und macht dabei von rische Stärkung an. Dabei behalten wir allen sicheren Kommunikationsmitteln unsere Herangehensweise der Friedens- Gebrauch, die es erlauben mit Einzelper- stiftung bei und verfolgen einen psycho- sonen als auch Gruppen im Exil in Kon- sozialen und geschlechterspezifischen takt zu treten. Ansatz. In allen dargebotenen Räumen ver- sucht pbi nicht nur Wissen zu vermit- Covid-19 stellt für die Menschen teln, sondern auch „Erlerntes“ zu hinter- eine neue Lebensbedrohung dar fragen und die Interessen der Personen Bereits in diesem kurzen Projektzeit- zu einen, die die Menschenrechte vertei- raum hat sich ein soziales Netzwerk ge- digen und von denen wir fortwährend bildet, dass die Menschenrechte aktiv die Sehnsucht nach einem „Nicaragua einfordert, sowohl für die in Nicaragua, libre“ hören. 8 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Nicaraguanische Aktivist_innen bei einem pbi-Workshop in San José (Costa Rica). Hintergrund: Die politische Situation in Nicaragua und Costa Rica Die Unruhen in Nicaragua begannen im sich Nahrungsmittel zu verschaffen und April 2018, als die Regierung eine kontro- ein Dach über dem Kopf zu finden. verse Änderung der Sozialversicherung Personen aus der Arbeiter_innenklasse einführte. Jene sah vor, die Beiträge der sind gar in die Armut gefallen, manche Arbeitnehmer_innen zu erhöhen und schlafen auf der Straße oder in Parks. gleichzeitig die Renten zu kürzen. Dies Glücklicherweise fanden aber viele Ni- löste eine Welle von Protesten aus, die caraguaner_innen Unterschlupf bei die Polizei gewaltsam niederschlug. Prä- Verwandten, Freunden_innen, in Hotels sident Ortegas Regierung ging extrem oder bei Organisationen. Manche be- repressiv vor, was eine traurige Bilanz fürchten jedoch, dass die nicaraguani- hinterlässt: Tausende Personen wurden sche Regierung Spione nach Costa Rica verletzt, hunderte unrechtmäßig fest- geschickt hat, um die Aktivist_innen zu gehalten, verurteilt, gefoltert oder gar verfolgen. umgebracht. Seit Beginn dieser Krise flo- hen bereits mehr als 110.000 Personen aus Nicaragua, die Mehrzahl davon ins ► pbi war in der Vergangenheit in Ni- Nachbarland Costa Rica. caragua aktiv. Im Jahre 1983 interve- Der große Andrang an nicaraguani- nierten zehn pbi-Freiwillige zwischen schen Asylsuchenden in Costa Rica hat Kontras und sandinistischen Kräften in schwerwiegende Folgen. So ist der Le- Jalapa, in der Nähe zur honduranischen bensstandard für viele Geflüchtete ge- Grenze, um Gewalt zu verhindern. Diese sunken. Personen der nicaraguanischen Arbeit wurde daraufhin von Witness for Mittelklasse haben in Costa Rica Mühe, Peace weitergeführt. pbi Rundbrief ► Winter 2020/21 9
Honduras Tortilla y frijoles – ein Jahr als Freiwillige für pbi in Honduras Mieke Wolter war in Honduras als Freiwillige mit pbi im Einsatz. Nun ist sie seit einem knappen halben Jahr wieder zurück und hat bei pbi Deutschland eine sogenannte Rück- kehrer_innen-Stelle angetreten. Sie berichtet in diesem Beitrag vom Leben der Menschen vor Ort, vom beeindruckenden Engagement der Menschenrechtsverteidiger_innen und von dem, was sie aus diesem Jahr mitnimmt. 10 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Ende März 2019 bin ich als pbi-Freiwillige für ein Jahr nach Honduras gegangen. Das Haus der Freiwilligen, in dem ich gelebt und gearbeitet habe, befindet sich in der Haupt- stadt Tegucigalpa, wo auch die Büros von vier der aktuell sechs von pbi begleiteten Organisationen ihren Sitz haben. Auf der Suche nach einer weiteren sinnvollen Tätigkeit nach mehreren Jahren der Arbeit mit geflüchteten jungen Men- schen bin ich auf die Ausschreibung für das Hondurasprojekt aufmerksam geworden. Begleiten, ohne sich einzumischen, meinen Status als Europäerin nutzen, um Menschen zu schützen in einer Organisation ohne Hie- rarchien mit dem Prinzip der Gewaltfreiheit – all das hat mich geleitet, zu den vielen be- reits von mir absolvierten Freiwilligendiens- pirierend, belebend und Mut machend. Ich ten ein weiteres Jahr als Freiwillige hinzuzu- habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass fügen. eine Person, die bereits so viele Anfeindun- Zurückblickend kann ich sagen, dass ich gen von unterschiedlichen Seiten erlebt hat, sehr viel gelernt habe: über ein Land, seine noch so humorvoll und unbeirrt sein kann? Bewohner_innen und über die Missstände, Es war besonders für mich, Menschen be- denen Menschenrechtsverteidiger_innen gleiten zu dürfen, die so kraftvoll und aus- in ihrem Engagement für eine gerechtere dauernd ihren Weg entgegen aller Wider- Gesellschaft versuchen zu begegnen. Über stände beschreiten. die Gefahren, denen sie dadurch täglich Eine wesentliche Herausforderung wäh- ausgesetzt sind, die Bedrohungen und An- rend meines Einsatzes bestand für mich da- griffe, die sie aufgrund ihres Einsatzes für rin, dass die zeitliche und räumliche Freiheit die Einhaltung der Menschenrechte erlei- von uns Freiwilligen um ein Vielfaches redu- den. Darüber, wie sie mit friedlichen Mitteln ziert war. Der Lebensmittelpunkt war das trotzdem weiterarbeiten. Haus, in dem wir wohnten und arbeiteten Auch in Bezug auf das Zusammenleben – wenn die Situation es erforderte bis zu 24 und –arbeiten am selben Ort mit anderen Stunden an sieben Tagen die Woche. Selbst internationalen Freiwilligen habe ich viel ein kurzer Gang um die Ecke musste aus Si- mitgenommen. Ich habe erlebt, dass es viele cherheitsgründen mit dem Team abgespro- Faktoren gibt, die sich auf das Zusammen- chen werden. leben und die Dynamiken einer Gruppe Für unsere Arbeit war es besonders auswirken, und dass man kommunizieren wichtig, dass wir als Gruppe harmonierten. kann, ohne anzugreifen und ohne sich an- Auf struktureller Ebene ist dies klar: Ent- gegriffen zu fühlen. scheidungen werden bei pbi im Konsens Die Begleitungen von lokalen Menschen- getroffen. Dominierende und weniger rechtsverteidiger_innen waren oft sehr ins- dominante Charaktere lassen sich dadurch pbi Rundbrief ► Winter 2020/21 11
jedoch nicht aufheben. Aber eine offene, schenrechtsverteidiger_innen fand in der gewaltfreie Kommunikation kann auf viele Hauptstadt Tegucigalpa statt, es gab aber Unterschiede eingehen und diese in eine auch Anfragen nach Begleitungen aus länd- Stärke umwandeln. lichen Regionen des Landes. So erinnere ich Es gab immer wieder Rückmeldungen mich an die Begleitung der Organisation von den begleiteten Menschenrechtsvertei- CEHPRODEC (Centro Hondureño de Pro- diger_innen, dass die Präsenz von pbi sehr moción para el Desarrollo Comunitario). wertvoll ist. Oft wurde uns gesagt, dass sie CEHPRODEC bietet ländlichen und in- ohne unsere Präsenz wesentlich mehr An- digenen Gemeinschaften technische und griffen und Anfeindungen ausgesetzt wä- rechtliche Beratung an und erleichtert durch ren oder gar tot seien. Die Begleitung von ihre Arbeit Organisations-, Schulungs- und pbi schafft einen Schutzraum, in dem sich Schutzprozesse. Das große Problem vieler die Aktivist_innen für Menschenrechte in ländlicher Gemeinden in ganz Honduras ihrem Land einsetzen können. Sie erfahren besteht darin, dass Bergbauprojekte und durch das internationale Interesse, welches Staudämme oft ohne einen vorherigen ganz offensichtlich über die physische Prä- angemessenen, freien und informierten senz erkannt werden kann, eine Aufwer- Konsultationsprozess der davon betroffe- tung ihrer Arbeit für die Menschenrechte. nen Bevölkerung errichtet werden. Die ILO- Es wird deutlich, dass hier Menschenrechte Konvention 169, das einzige völkerrechtlich ernst genommen werden. verbindliche Instrument zur Durchsetzung der Rechte indigener Völker, schreibt den „Die Begleitung war inspirierend, Vertragsstaaten, darunter Honduras, je- belebend und Mut machend.“ doch eine solche vorherige Konsultation vor. Diese Befragungen der Bevölkerung, ob Neben den Begleitungen zu verschiedenen ein Unternehmen in der jeweiligen Gemein- Veranstaltungen (Kundgebungen, Gerichts- de operieren darf oder nicht, haben mich verhandlungen, etc.) und den Treffen mit nachhaltig beeindruckt. Denn Menschen, nationalen und internationalen Autoritäten die nie zuvor um ihre Meinung gebeten (Bürgermeister, Polizei, Militär, nationales wurden, konnten in diesem Rahmen von Bündnis für Menschenrechte, Botschaf- ihrem Recht Gebrauch machen und haben ten) gab es jedoch auch sehr viel Arbeit im gemerkt, dass ihre Stimme zählt. Auch Büro - dazu zählte neben aufwendigen wenn das Recht auf vorherige Konsultation Entscheidungsprozessen insbesondere das oft missachtet wird, konnte auf diese Weise akribische Festhalten von allen relevanten bereits der Rückzug einiger Unternehmen Informationen. Auch wenn ich manchmal aus ländlichen Gebieten erwirkt werden. die Geduld verlor, so sehe ich, dass damit ein Ein Konfliktfeld in Honduras hat folglich wichtiger Beitrag zu einem vollständigen mit der Frage zu tun, wem das Land gehört Bild der Situation vor Ort geleistet wird. Das und wie es genutzt wird. Die 1985 gegrün- ist auch eine der Stärken von pbi: den Infor- dete CNTC (Central Nacional de Trabaja- mationsfluss nicht abreißen zu lassen, damit dores del Campo) beispielsweise, ist eine Kontinuität bei der Begleitung durch wech- Landwirtschafts- und Gewerkschaftsorgani- selnde Freiwillige garantiert werden kann. sation, die sich für die Verteilung von Land Ein Großteil der Begleitungen von Men- einsetzt mit dem Ziel, Kleinbäuer_innenfa- 12 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Begleitung von CNTC anlässlich einer Infoveranstaltung über die Landsituation der Bäuer_innen. milien beim Zugang zu Land und Ressour- und mutig den Weg auf der Suche nach Ge- cen zu unterstützen. Darüber hinaus führt rechtigkeit gehen lässt. Ich hoffe, dass sich die CTNC Forschungen durch und über- genau diese Haltung in meiner Erinnerung wacht Rechtsfälle. Außerdem sind sie aktiv an dieses für mich kräftezehrende Jahr ver- bei Landvermessungen und Verfahren zur wurzeln kann. Ich empfinde Erstaunen dar- Legalisierung von Land. Die CNTC beglei- über, dass es Aktivist_innen gelingt in einem tet Bäuer_innen, die strafrechtlich verfolgt Land wie Honduras, in dem gefestigte ins- werden, weil sie sich weigern, das Land zu titutionelle Strukturen kaum existieren, sich verlassen, welches sie seit Jahrzehnten kul- innerhalb ihrer eigens aufgebauten Struktu- tivieren. Oft handelt es sich um Flächen, die ren für Menschenrechte zu engagieren und zum Beispiel an transnationale Energieun- somit ein Handlungsfeld zu schaffen. Und ternehmen verkauft werden sollen und die ich bin froh, dass Organisationen wie pbi mit Hilfe von privatem Sicherheitspersonal dazu beitragen, dass diese Räume erhalten oder der Polizei geräumt werden. CNTC- und geschützt werden und ich im Rahmen Mitgliedern habe wir daher oft bei Gerichts- meiner Freiwilligentätigkeit dazu beitragen prozessen begleitet. Dabei verspürte ich oft konnte. Ohnmacht, denn regelmäßig wurden Ter- Mieke Wolter mine zur Urteilsverkündigung verschoben; eine verbreitete Taktik, um Bäuer_innen weiter zu schikanieren. Sie interessieren sich als Freiwillige_r Trotz dieser frustrierenden Realitäten oder ZFD-Fachkraft in Honduras zu im eigenen Land haben die Aktivist_innen, wirken? Dann schreiben Sie uns: die ich getroffen habe, einen unerschüt- info@pbi-deutschland.de. terlichen Kampfgeist, der sie unermüdlich pbi Rundbrief ► Winter 2020/21 13
Ihr Vermächtnis für die Menschenrechte Im Laufe des Lebens stellt sich jeder Mensch auch die Fragen zum Lebensende: Was passiert, wenn ich nicht mehr bin? Was möchte ich hinterlassen? Sie haben schon mal darüber nachgedacht, wie Sie über ihr Leben hinaus pbi und die Menschenrechte unterstützen können? Durch ein Testament können Sie bestim- men, was mit ihrem Nachlass passiert. Dadurch können Sie auch ihre eigenen Werte und Überzeugungen an nachfolgende Generationen weitergeben. Bedenken Sie pbi in ihrem Testament. Dafür benötigen Sie folgende Angaben: peace brigades international - Deutscher Zweig e.V. Bahrenfelder Str. 101a, 22765 Hamburg Vereinsregister Amtsgericht Hamburg Vereinsregisternummer: VR 15628 Denn durch eine Erbschaft oder ein Vermächtnis an peace brigades international - Deutscher Zweig e.V. kann die Arbeit von pbi zukünftig gesichert werden. Da der Bedarf nach Unterstützung von Seiten der Menschenrechtsverteidiger_innen oft höher ist, als wir personell leisten können, ist eine Erbschaft eine solide finanzielle Basis für unsere Arbeit. Wir sind sehr dankbar für diese Art der Unterstützung! 14 pbi Rundbrief ► Winter 2020/21
Impressum ► peace brigades international – Deutscher Zweig e.V. Bahrenfelder Str. 101a, 22765 Hamburg Tel. 040 / 3890437 – 0 ► info@pbi-deutschland.de ► Redaktion: Alexander Weber, Jakob Rieder, Mieke Wolter, Paul Metsch, Rabea Ganz (V.i.S.d.P.) ► Bilder: Bettina Theuerkauf, pbi ► Mit freundlicher Unterstützung des Zivilen Friedensdienstes E-Newsletter abonnieren Über pbi www.pbi-deutschland.de ► peace brigades international (pbi) ist eine von den Vereinten Nationen aner- kannte Menschenrechtsorganisation und seit 1981 in Krisengebieten tätig. pbi arbeitet unabhängig von wirtschaft- lichen Interessen und hat keine bestimmte pbi Deutschland politische oder religiöse Ausrichtung. Auf in den Sozialen Medien ausdrückliche Anfrage lokaler Gruppen, die von politisch motivierter Gewalt bedroht sind, organisiert pbi eine schützende Präsenz @pbiDeutschland mithilfe internationaler Freiwilligenteams. Auf diese Weise bleiben Handlungsräume für eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung erhalten. Hierbei sind beide, Beschützte und @pbiDeutschland Begleitende, durch ein weltweites Alarm- netzwerk mit Kontakten zur Politik, Diplo- matie und Zivilgesellschaft abgesichert. @pbideutschland Spendenkonto: GLS Bank Wenn Sie mehr über pbi wissen möchten, abonnie- IBAN: DE14 4306 0967 2020 4060 00 ren Sie unseren Newsletter, folgen uns auf Facebook, BIC: GENODEM1GLS Twitter oder Instagram, rufen oder schreiben uns an. Spenden an pbi sind steuerlich absetzbar.
»Ich lebe noch dank der effektiven und rechtzeitigen Begleitung von pbi. Sie gaben dem Begriff ‚Solidarität‘ Leben und Bedeutung. Das ist absolut notwendig, wenn man das Ziel hat, weiter für die soziale Gerechtigkeit, die Würde und den Respekt der Menschenrechte zu arbeiten.« Berenice Celeyta Vorsitzende des „Vereins für soziale Forschung und Aktion“ (NOMADESC) Der Verein begleitet soziale, gewerkschaftliche, zivile, indigene und Bauernorganisationen in Kolumbien bei ihrer Arbeit und berät sie unter anderem in juristischen Fragen. making space making space for forpeace peace
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