Aus dem Amerikanischen von Elena Helfrecht - Festa Verlag

Die Seite wird erstellt Stefan-Nikolai Niemann
 
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Aus dem Amerikanischen von Elena Helfrecht
Die amerikanische Originalausgabe The Complex
erschien 2015 im Verlag Thunderstorm Books als limitierte Ausgabe.
   2016 erschien die Paperback-Ausgabe im Verlag Deadite Press.
                 Copyright © 2016 by Brian Keene

                       1. Auflage März 2022
 Copyright © dieser Ausgabe 2022 by Festa Verlag GmbH, Leipzig
                      Lektorat: Katrin Hoppe
  Titelbild: unter Verwendung von Adobe Stock/Pavel Losevsky
                      Alle Rechte vorbehalten

                    ISBN 978-3-86552-991-6
                    eBook 978-3-86552-992-3
Das hier ist für Cathy und Hannah …
Danksagung

Diesmal gilt der Dank meinen Verlegern,
Paul Goblirsch und den Mitarbeitern von
Thunderstorm Books wie auch Jeff Burk
und den Mitarbeitern der Deadite Press;
den Fachberatern Kevin Foster, Abby
Wright, Patrick Freivald, Jack Rosenquist,
James Monroe, Kelly und Veronica Smith,
Scott Goforth; den Testlesern Mark Sylva,
Tod Clark und Stephen McDornell; und
meinen Freunden Bryan Smith, John
Urbancik, Geoff Cooper, Mike Oliveri,
Mikey Huyck, Mary SanGiovanni, Mike
Lombardo, Dave Thomas, Bryan J­ ohnson,
Sarah P­inborough, Chris Golden, Jim
Moore, Dallas Mayr, Tom ­Monteleone,
F. Paul Wilson, Chet W   ­ illiamson, Joe
R. Lansdale, John Skipp, David Schow,
Edward Lee, Cassandra ­Burnham und
meinen Söhnen.
Dieser Roman wurde unter hohen musi-
kalischen Dosen der nachfolgenden Bands
geschrieben: AC/DC, The Adorkables, Autopsy,
Black Sabbath, Blue Öyster Cult, Body Count,
Broken Hope, Charred Walls of the Damned,
Cypress Hill, Dot Com Intelligence, Faith
No More, Flatliner, The Gaslight Anthem,
Halestorm, Ice-­
­                 T, Kasey Lansdale, Michael
Withers, Orchid, Pentagram, The Police,
­
­Shooter Jennings, Sick of It All, Willie Nelson,
 Witch Mountain, Xander Harris und YOB.
 (Falls du einen Soundtrack brauchst.)
TEIL 1
NACHBARSTREFFEN
1
Sam: Apartment 1-­D

Sam bekommt zunächst gar nicht mit, wie sich alle
gegenseitig abschlachten. Er ist zu sehr mit den Vor-
bereitungen für seinen eigenen Tod beschäftigt. Samuel
L. Miller geht auf die 50 zu und hat noch immer mit der
Sorte Schulden zu kämpfen, die die meisten spätestens
Mitte 30 abbezahlt haben. Er lebt allein, weil ihn seine
Freundin verlassen hat und er sich keine neue leisten
kann, weil er mit keiner seiner Ex-­Frauen Kinder hat
und sein Hund letzte Woche gestorben ist.
   Sam vermisst es nicht, eine Freundin zu haben. Er war
noch nie einer, der sich gern unterhält oder besonders
gesellig ist; und falls er geil wird, gibt es online genügend
Pornos. Seine Ex-­Frauen vermisst er genauso wenig,
außer wenn er betrunken ist.
   Der Hund aber fehlt ihm.
   Sein Hund, Sergio, ist in der Leader’s-­           Heights-­
Tierklinik geblieben, wo er nach inoperablem Darm-
krebs eingeschläfert wurde, der ihn zum Schluss nichts
mehr fressen ließ, sondern nur noch Blut pissen und
scheißen. Die Tierärztin verpasste Sergio zwei Spritzen:

                                                          13
eine, die ihn beruhigte, und eine, die ihn einschläferte.
Sam ist von Beruf Schriftsteller und weiß gute Formu-
lierungen durchaus zu schätzen, aber diesen Euphemis-
mus verabscheut er. Einschläfern. Euthanasie ist das,
nichts anderes. Mord, wenn man’s weniger nett aus-
drückt.
   Nach der Injektion lächelte die Ärztin Sam traurig an,
und ihre Stimme triefte vor Anteilnahme, als sie anbot,
ihnen nun etwas Zeit allein zu geben. Dann verließ
sie den Raum und sie waren nur noch zu zweit. Sam
und Sergio. Im Schein der grellen Leuchtstoffröhren
kuschelten sie sich auf dem harten Linoleumboden
aneinander. Sergios Atem wurde träger. Er leckte Sam
über die Hand. Seine braunen Augen schlossen sich.
Dann hörte er auf zu atmen. Sam hielt ihn fest und
weinte.
   Irgendwann kam die Tierärztin zurück, sprach ihm ihr
Beileid aus und fragte Sam, wie er für die Behandlung
aufkommen wollte. Als er erfuhr, wie viel sie dafür ver-
langten, seinen Hund zu töten, erklärte Sam, er könne
erst zahlen, wenn die nächsten Tantiemen auf seinem
Konto seien. Daraufhin klärte ihn die Ärztin darüber
auf, dass er Sergio erst dann mit nach Hause nehmen
könne, wenn die Rechnung beglichen sei.
   Sam denkt darüber nach, während er fünf Hohlspitz-
geschosse in seine Taurus .357 einlegt. Wenn er sich
jetzt umbringt, wer kümmert sich dann um Sergios
Körper? Wer wird ihn begraben? Da fällt Sam auf, dass
sich diese Frage auch in Bezug auf seine eigene Leiche
stellt. Egal, beschließt er. Sam hat eine Schwester, Laura,
mit der er seit über einem Jahr nicht gesprochen hat,

14
genauso wenig mit seinem Schwager Mike und deren
Sohn Hunter. Seinen Neffen kann Sam ganz gut leiden.
Mit Kindern und Tieren konnte er schon immer gut.
Es sind die Erwachsenen, mit denen er Schwierigkeiten
hat. Sams Papierkram beinhaltet sein Testament und
seinen literarischen Nachlass, in dem er Hunter sämt-
liche Veröffentlichungsrechte überträgt. Leider würde
der gesamte Gewinn daraus zunächst für Sams aus-
stehende Schulden draufgehen, allen voran die beim
Finanzamt. Die Tantiemen nach seinem Tod würden
seinen Neffen also vermutlich nicht mal durchs College
bringen.
   Dann sind da noch Sams Eltern, beide schon älter, die
keine Gelegenheit auslassen, ihn wissen zu lassen, was
für eine Enttäuschung er für sie ist. Sei es, weil er ihnen
keine Enkel geschenkt und beide Ehen an die Wand
gefahren hat (seine Mutter hält zu seinen Ex-­Frauen
noch immer engen Kontakt) oder weil er seine Lebens-
zeit mit einer Karriere verschwendet, die ihm weder
Privatrente noch Pension oder Krankenversicherung
ermöglicht. Seine Karriere ist für seine Eltern nur in
den äußerst seltenen Fällen interessant, wenn Sam oder
seine Bücher in der New York Times oder auf FOX News
erwähnt werden. Dann geben sie plötzlich mit ihm an
und erzählen ihren Freunden, wie stolz sie sind auf ihren
Sohn, den Schriftsteller.
   Scheiß drauf, denkt Sam. Sollen die doch Sergio und
mich begraben. Die können sich drum kümmern.
   Die Kugeln wirken schwerer als gewöhnlich. Seine
Hände schwitzen, und obwohl sich die Patronen kalt
anfühlen, sind sie vom Schweißfilm an seinen Fingern

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ganz schlüpfrig. Er schafft es, eine davon in die Kammer
einzulegen.
   Die zweite Kugel gleitet ihm aus der Hand und lan­
det auf dem Teppich. Sam hält inne und überlegt.
Muss er wirklich alle fünf Kammern laden? Eine Kugel
sollte doch genügen. Es sei denn, er versaut selbst das
und schießt sich nur das halbe Gesicht weg. Von sol-
chen Patzern hat er gelesen – Leute wie er, die eine
Kugel schlucken, aber statt sich das ganze Hirn aus
dem Hinterkopf zu pusten, jagt das Projektil an der
Schädelwand entlang, tritt auf der anderen Seite aus
und lässt sie für den Rest ihres erbärmlichen Lebens
entweder als sabberndes Gemüse oder als entstellten
Freak zurück.
   Er beschließt, die ganze Trommel zu laden, nur für
den Fall.
   Also schiebt er auch Kugeln in die zweite, dritte
und vierte Kammer und lehnt sich auf der Couch
nach vorn. Die braunen Kissen sind voller Hunde-
haare, das Einzige, was von Sergio noch übrig ist. Er
hat es nicht übers Herz gebracht, sie zu entfernen. Das
Sofa ist ein Überbleibsel seiner letzten Freundin. Die
ließ sie mit allem anderen zurück, ihn eingeschlossen.
Sie hatten sich sich bei einer Signierstunde kennen-
gelernt. Sie war ein Fan seiner Arbeit gewesen. Vor
ihrem Auszug hatte sie Sam erklärt, wie verlockend
sie damals die Vorstellung fand, einen vor sich hin
brütenden, depressiven Schriftsteller zu daten, dass sie
nun aber einsehen musste, dass die Realität, nämlich
eine Beziehung mit einem hochfunktionalen Sozio-
pathen, das genaue Gegenteil war.

16
Sam kann es ihr nicht verübeln. Nicht mal er selbst
lebt gern mit sich zusammen. Und in ein paar Minuten
muss er das auch nicht mehr.
   Draußen knallt irgendetwas. Das Geräusch lässt ihn
hochfahren. Die Hand, in der er den Revolver hält, zuckt,
und er ist froh, den Finger nicht am Abzug zu haben. Es
wäre sinnlos, zu schießen, ehe das Ding in seinem Mund
steckt.
   Auf den Lärm folgt Gelächter, ein Mann und eine Frau.
Sie sind ihm vorhin schon kurz aufgefallen, ein junges
Paar in den Zwanzigern, dem Eindruck nach frisch vom
College (normalerweise ist Sam ziemlich gut darin, Leute
zu beobachten und einzuschätzen), mit einem kleinen
Kind. Sie ziehen nebenan ein und haben den großen
Miettransporter genau dort geparkt, wo sonst immer
Sams Auto steht, zumindest bis es heute Morgen wegen
ausstehender Raten abgeholt wurde.
   Sam legt die Waffe auf den Couchtisch, wie das Sofa
ein Überbleibsel seiner Ex. Auch an ihm kleben ein paar
Hundehaare.
   Aus der Ferne ertönt eine Polizeisirene. Als sie ver-
klingt, setzt eine andere ein.
   Er sucht den abgetretenen, fleckig-­braunen Tep-
pich nach der letzten Kugel ab. Wie fast alles andere
in diesem Drecksloch stammt der Teppich aus den
80ern, als der Pine-­Village-­Apartmentkomplex erbaut
wurde. Die Kücheneinrichtung und die Badarmaturen
eingeschlossen. Die Jalousien an den Fenstern sind
nur deshalb neu, weil Sam sie selbst gekauft hat. Der
Rest ist komplett veraltet und entweder kaputt oder
auf dem besten Weg dorthin. Die Fenster sind zugig,

                                                      17
der Wasserdruck ist beschissen und der Badspiegel
gesprungen. Die Fußbodenleiste im Eingangsbereich
ist lose, und die Heizung braucht ewig, um warm zu
werden. Die Wandfarbe, ein schäbiger Cremeton, ist
zwölf Schichten dick und platzt stellenweise ab. Wenn
man genauer hinsieht, kann man einzelne Haare und
Dreck unter dem letzten Anstrich erkennen, neben den
schlecht verspachtelten Nagellöchern der Vormieter.
Spinnen und Insekten sind seine nervigen Dauergäste.
Er weiß nicht, wie sie reinkommen, aber egal wie oft
er sie ausräuchert, sie tauchen immer wieder auf. Das
Management des Pine-­Village-­Apartmentkomplexes
behauptet, nichts dagegen tun zu können, außer den
Kammerjäger zu rufen, den dann aber Sam bezahlen
müsste.
   Auch außen sieht man die Verwahrlosung der Wohn-
anlage. Es gibt einen heruntergekommenen Spielplatz
mit morschen Holzplanken, hervorstehenden Nägeln
und einer rostigen Kettenschaukel. Der Bereich um die
Müllcontainer ist ein Desaster, überall auf dem Gehweg
liegen Abfall und Schutt verstreut. Die anderen Mieter
lassen permanent die Mülltonnendeckel offen, was regel-
mäßig Waschbären, Ratten, Eichhörnchen, Streuner-
katzen, Obdachlose und alle anderen Aasfresser zum
nächtlichen Buffet auf den Plan ruft.
   Nein, ist sich Sam sicher, dieses Drecksloch wird er
nicht vermissen.
   Draußen schreit jemand. Lärm ist im Pine-­Village-­
Apartmentkomplex Dauerprogramm. Er dringt durch
die Wände und die Fenster, hallt vom Parkplatz und den
anderen Apartments, Gassen und Straßen herüber. Als

18
sich der Schrei nicht wiederholt, geht er davon aus, dass
alles in Ordnung ist. Hier im Komplex gehören Schreie
zur üblichen Geräuschkulisse, genau wie Gekreische
und Gelächter, Rufe in den unterschiedlichsten Spra-
chen, laute Motoren und wummernde Subwoofer, aus
denen der Schrott dröhnt, der heutzutage als Hip-­Hop
und Country durchgeht. Sam denkt an die Zeit zurück,
als Hip-­Hop noch von Public Enemy und Ice-­T defi-
niert wurde und man bei Country an Waylon Jennings
und Johnny Cash dachte. Jetzt hören sich alle Rap-­
Songs gleich an, und Country klingt größtenteils wie
80er-­Jahre-­Pop.
   Die Polizeisirenen werden kontinuierlich lauter und
leiser, lauter und wieder leiser. Dann geht ein Autoalarm
los. Sam zieht in Erwägung, aufzustehen und nachzu-
schauen, entscheidet sich aber dagegen. Sein Wagen kann
es schließlich nicht mehr sein. Und ob nun ein Dieb das
Auto seiner Nachbarn aufbricht, wäre in ein paar Minu-
ten sowieso egal. Ihm zumindest.
   Sein Blick schweift durchs Wohnzimmer, über seine
Habseligkeiten. Der Plasmafernseher, in den sich links
oben ein Standbild eingebrannt hat, obwohl er erst
vier Jahre alt ist. Ein DVD-­Player, der neu war, als die
meisten Leute noch Videokassetten kauften. Die Sofas
und der Couchtisch seiner letzten Freundin. Ein paar
gerahmte Fotos … Sam bei einer Signierstunde, Sam in
einer Kneipe mit ein paar Schriftstellerkollegen, Sam und
seine erste Ex-­Frau, Sam und Sergio am See, Sam und
Sergio mit Sams zweiter Ex-­Frau. Und Bücher. Über 2000
Taschenbücher, Hardcovers, Ersteditionen und signierte
Sammlerausgaben stehen eng zusammengepfercht in den

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sechs billigen Regalen aus Pressspan, die er bei Walmart
gekauft und an einem langen, frustrierenden Wochen-
ende zusammengebaut hat.
   Im Schlafzimmer stehen sechs weitere, ebenfalls bis
zum Anschlag mit Büchern vollgestopft, allerdings mit
denen, die Sam geschrieben hat, zusammen mit Comics,
Magazinen, Anthologien und anderen Druckerzeug-
nissen, die seine Arbeiten vorstellen. Ein Regal enthält
seine zahlreichen Literaturpreise. Letztes Jahr wurde Sam
der Grandmaster-­Award verliehen, eine der höchsten
Auszeichnungen für einen Schriftsteller seines Genres.
Er war so stolz gewesen, auch wenn er keine 24 Stunden
später darüber nachdachte, die Trophäe auf eBay zu ver-
kaufen, um die Miete zahlen zu können. Auszeichnungen
sind schön und gut, aber Geld ist besser. Unglücklicher-
weise hatte anscheinend irgendjemand in seiner Branche
vor langer Zeit beschlossen, dass Bronze-­und Gipsbüsten
Bargeld vorzuziehen sind.
   Im Schlafzimmer steht außerdem ein billiger Schreib-
tisch, ebenfalls aus Pressspan (den Sam zusammen mit
den Regalen gekauft hat). Dieser wird von Laptop und
Drucker in Beschlag genommen, samt einem Stapel
unsortierter Belege und schmutziger Kaffeetassen. Der
Laptop liegt in den letzten Zügen. Er braucht ewig, um
hochzufahren, und wenn er nicht am Ladekabel hängt,
gibt die Batterie nach ein paar Minuten den Geist auf.
Außerdem funktioniert die Fragezeichen-­Taste nicht.
Wann immer Sam an einem Manuskript arbeitet und
ein Fragezeichen setzen will, muss er es aus dem Inter-
net kopieren und manuell ins Dokument einfügen. Sein
Bett, genauso stümperhaft zusammengeschraubt, steht

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in der Ecke und besteht nur aus einer billigen Sprung-
federmatratze auf einem noch billigeren Gestell mit
Kopfteil.
   Sam fällt auf, dass die Bücher und die Handfeuer-
waffe die einzigen Wertgegenstände sind, die er besitzt.
Alles andere ist Müll. Vermutlich wird der Revolver
nach seinem Tod von der Polizei als Tatwaffe beschlag-
nahmt. Aber was wird aus den Büchern? Werden seine
Verwandten Anspruch darauf erheben? Aber die haben
noch nie Interesse daran gezeigt, warum sollte sich das
nach seinem Tod ändern? Er nimmt an, dass alle Hab-
seligkeiten, die nicht von seinen Angehörigen abgeholt
werden, ohne Umweg vom Management des Pine-­Village-­
Apartmentkomplexes in den Müllcontainern entsorgt
werden. Das hat er schon oft beobachtet, fast wöchentlich.
Jemand bezahlt seine Miete nicht, der Sheriff klebt eine
Mahnung an die Wohnungstür. In der nächsten Nacht
hauen sie ab und lassen ihren gesamten Besitz zurück,
den das Management dann in die Container wirft. Möbel,
Bett-­und Spielzeug, sogar Elektrogeräte hat er gesehen,
die so entsorgt wurden. Was er außerdem beobachtet
hat, sind die Nachbarn, die den Container durchwühlen,
sobald das Management weg ist. Er malt sich aus, wie die
ungebildeten Bewohner auf der Suche nach DVDs oder
Videospielen seine Bücher in den Containern beiseite-
schieben, weil heutzutage kein Schwein mehr liest. Für
einen kurzen Moment reicht diese Vorstellung beinahe
aus, um Sams Entscheidung ins Wanken zu bringen.
   Aber dann zuckt er nur mit den Schultern und greift
wieder nach dem Revolver. Es hat keinen Sinn, das
Unvermeidliche noch länger aufzuschieben.

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Er fragt sich, ob es wehtun wird.
 Bevor er weitermachen kann, geht draußen das
Geschrei wieder los.
 Diesmal hört es nicht mehr auf.

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2
Terri und Caleb: Apartment 2-­D

»Caleb!«, ruft Terri. »Wo steckst du?«
   »Ich bin doch hier, Mom.«
   Der Sechsjährige stapft aus dem Truck. Das Geräusch,
das seine Schritte auf der langen Heckrampe aus Metall
erzeugen, macht ihm sichtlich Spaß. Terri fragt sich, in
welche Rolle er diesmal geschlüpft ist. Hulk vielleicht?
Oder eher ein Klonkrieger aus Star Wars? Ihrer mütter-
lichen Logik nach muss es auf jeden Fall eine Figur sein,
die stampft.
   Caleb trägt einen Pappkarton, darauf in schwarzen Filz-
stiftlinien das mühevolle Gekrakel eines Sechsjährigen,
der gerade Schreiben lernt: ›CALEBS ZIMMER‹. Er
schleppt ihn durch die offene Apartmenttür, aus der ihm
Randy entgegenkommt. Grinsend wuschelt er Caleb
durchs Haar.
   »Bist ganz schön stark, Kleiner.«
   »Weiß ich«, antwortet Caleb, ohne stehen zu bleiben
und, wie Terri bemerkt, ohne Randy anzuschauen. »Hab
meine Superkräfte von einem gammabestrahlten Arc-­
Reaktor. Jetzt bin ich Iron Hulk.«

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Tja, denkt Terri, immerhin weiß ich jetzt, wen er heute
spielt.
   Eine Polizeisirene zerreißt die Stille. Gleich darauf
ertönt eine zweite, dem Geräusch nach aus der anderen
Richtung.
   »Klingt, als wär heute Abend ganz schön was los«,
scherzt Randy.
   Caleb scheinen die Sirenen nicht zu beeindrucken.
Er kommt wieder aus dem Apartment und stampft über
den Parkplatz.
   Die Intensität seiner Vorstellungskraft begeistert Terri
jeden Tag aufs Neue. Obwohl er erst in die erste Klasse
geht, liest er bereits Texte auf Drittklässlerniveau. Im
Matheunterricht kommt er ebenfalls gut klar. Tatsächlich
ist das Einzige, womit Caleb sich schwertut, das Spielen
mit Gleichaltrigen. Es frustriert ihn, wenn die anderen
Kinder keine Lust auf seine Spiele oder Regeln haben.
Also spielt er oft allein. Und obwohl es ihm nichts aus-
macht, von kleinen Mädchen über den Spielplatz gejagt
zu werden, mag er es gar nicht, wenn sie versuchen,
seine Hand zu nehmen. Und noch weniger kann er es
ausstehen, wenn sie ihm sagen, sie würden ihn mal hei-
raten. Caleb beharrt darauf, dass das einzige Mädchen,
das er je heiraten wird, seine Mama ist. Das macht Terri
gelegentlich Sorgen. Die Phase, seine Mutter heiraten zu
wollen, mag für kleine Jungs normal sein, aber allmäh-
lich findet sie ihn dafür etwas zu alt. Auch sein Hang,
allein zu spielen, wann immer die anderen Kinder nicht
nach seiner Pfeife tanzen, bedrückt sie.
   Caleb ist ein Einzelkind, ihr einziges Kind. Seinen
Vater hat er nie kennengelernt. In Wahrheit kannte Terri

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selbst Calebs Vater nicht sonderlich gut. Er starb vor
Calebs Geburt. Terri lernte Mark, seinen Vater, im Col-
lege kennen. Nach fünf Dates war sie schwanger. Mike
war bei einem Unfall unter Alkoholeinfluss ums Leben
gekommen, bevor sie die Gelegenheit hatte, ihm davon
zu erzählen. Stattdessen nahm sie Kontakt zu seinen
Eltern auf, die aber nichts mit ihr zu tun haben woll-
ten. Über die Jahre hinweg hatte sie es noch mehrmals
versucht, damit sie ihren Enkel kennenlernen konnten,
aber sie haben nie darauf reagiert.
   Als Caleb zur Welt kam, brach Terri das College ab.
Seitdem sind sie unzertrennlich. Sie zogen bei ihrer
Mutter ein, die tagsüber auf ihn aufpasste, während Terri
zur Arbeit ging. Sobald Terri nach Hause kam, musste
ihre Mutter los zu ihrer Schicht als Nachtschwester.
Obwohl diese Lösung größtenteils angenehm gewesen
war und Terri ihrer Mutter für deren Unterstützung auf
ewig dankbar sein wird, wurde es Zeit, dass Caleb und
sie allein leben. Zuletzt war es immer mal unangenehm
geworden – kleine Reibereien –, etwa wenn ihre Mutter
Terris Erziehungsmethoden oder Regeln infrage stellte.
Außerdem ist ihre Mutter an einem Kollegen interes-
siert, einem »netten Krankenpfleger namens Dave«,
den sie schlecht daten kann, während Tochter und
Enkel bei ihr leben. In Wahrheit fällt es Terri genauso
schwer, ihr Sozialleben aufrechtzuerhalten, obwohl sie
daran eigentlich noch nie wirklich interessiert war. In
den letzten sechs Jahren drehte sich ihr Leben einzig
und allein um ihren Sohn, womit sie kein Problem hat.
Ihr kommt fast nie in den Sinn, sich mit jemandem auf
ein Date zu treffen, außer ihre Freunde melden sie bei

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einer dieser Dating-­Websites an oder versuchen, sie
mit einem Bekannten zu verkuppeln. Deren Facebook-­
Profile sind voller Bilder von sich und ihren Liebhabern
oder, was in letzter Zeit vermehrt der Fall ist, ihren Ehe-
männern. Terri postet nur Bilder von Caleb. Und ein
paar von ihrer Mutter. Aber keine von ihrem Vater. Der
starb, als sie sechs war. Sie ist größtenteils vaterlos auf-
gewachsen.
   Genau wie ihr Sohn im Moment.
   Dieser Umstand bricht ihr das Herz und bringt sie
immer wieder auf den Gedanken, sich vielleicht doch
wieder mit jemandem zu treffen. Vielleicht sollte sie die
Stelle als Vater für ihren Sohn – und nichts anderes ist
es, wenn sie ehrlich mit sich ist – endlich ausschreiben.
Tief im Inneren weiß sie, dass es genau darauf hinaus-
laufen würde. Sie kann sich nicht vorstellen, jemals
irgendwen so wie Caleb zu lieben, genauso wenig wie
jemand anders in ihrem Leben einen Platz einzuräumen,
von ihrem Herzen ganz zu schweigen. Sie braucht keinen
Mann in ihrem Leben, aber sie sorgt sich um ihren klei-
nen Jungen, der den vielleicht nötig hat. Terri erinnert
sich nur zu gut daran, wie schwierig es für sie war, ohne
Vater aufzuwachsen. Wie schwer muss es dann erst für
einen Jungen sein?
   Unbewusst verzieht sie das Gesicht, als sie daran
denkt, was ihre Feministen-­Freunde aus Collegezeiten
dazu sagen würden. Dann beschließt sie, dass ihr das
eigentlich egal ist. Ja, sie leistet gute Arbeit damit,
Caleb zu erziehen, und nein, er braucht keine Vaterfigur
in seinem Leben, aber – die Argumente von wegen
Gender, Sexismus und Patriarchat einmal beiseite – es

26
wäre trotzdem schön, wenn er eine männliche Bezugs-
person hätte.
   Randy würde alle Kriterien erfüllen. Sie sind seit
Jah­ren Freunde – beste sogar – und es ist kein Geheim-
nis, dass er sich mehr wünscht. Sie hat ihm nach dem
Ende von zwei ernsthaften Beziehungen beigestanden,
während er immer ein Ohr für ihre Sorgen hat und
für sie und Caleb da ist. Das eine Mal schliefen sie bei
einem Film sogar auf der Couch nebeneinander ein.
Zu mehr ist es bisher allerdings nie gekommen. Terri
liebt Randy so, wie man einen wirklich guten Freund
eben liebt, aber ihre Gefühle gehen einfach nicht darü­­
ber hinaus. Sie hat ihm schon oft gesagt, dass er jeden
Gedanken an etwas Romantisches zwischen ihnen
verges­­sen kann, genau wie eine Freundschaft mit
gewis­­­­sen Extras. Jedes Mal schwört Randy, dass er es
verstanden habe und es ihm nichts ausmacht, aber
manchmal zweifelt Terri, ob das wirklich stimmt. Und
manchmal fühlt sie sich auch schuldig. Dann fragt sie
sich, ob sie ihm durch irgendwas doch falsche Hoff-
nungen macht. Er versichert ihr, das tue sie nicht und
er habe im Moment nun mal keine Lust auf Dates und
verbringe seine Zeit gerade einfach lieber mit ihr und
Caleb. Aber Terri fragt sich, ob er dadurch nicht die
Chance verpasst, sich ein Leben mit jemand anders
aufzu­­bauen.
   Ab und an fragt sie sich auch, wie sie sich fühlen
würde, wenn er jemanden hätte.
   »Alles okay?«, fragt Randy, während er einen weite-
ren Schwung Kisten die Rampe herunterschleppt.
   Terri lächelt. »Ja. Tut mir leid, war kurz abgelenkt.«

                                                      27
Schulterzuckend erwidert Randy ihr Lächeln. »Kein
Ding. Du siehst fertig aus. Wir sind schon den ganzen
Tag am Schuften. Warum machst du nicht ’ne Pause?«
   »Nein.« Terri schüttelt den Kopf. »Ich will hier fertig
werden. Du hast heute Abend sicher Besseres zu tun als
mir beim Umzug zu helfen.«
   »Mir fällt nichts ein.«
   Sein Lächeln wird breiter. Er geht die letzten Schritte
zum Ende der Rampe und stolpert. Die oberste Kiste
rutscht von seinem Stapel und fällt laut scheppernd zu
Boden.
   »Scheiße! Tut mir leid, Terri.«
   »Schon okay«, versichert sie ihm ruhig. »Das ist nur
die Weihnachtsdeko von meiner Tante Hildy. Hab sie
noch nie aufgehängt, viel zu kitschig. Wenn das Zeug
jetzt kaputt ist, hast du mir ’nen Gefallen getan.«
   Randy versucht eine übertriebene Verbeugung, wobei
er fast die restlichen Kartons verliert. Als er sich wieder
gefangen hat, lachen sie beide. Kurz halten sie inne und
sehen sich an. Für einen Augenblick durchströmt Terri
ein warmes Gefühl. Sie vermutet, Randy spürt auch
etwas. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, als Caleb
aus der Wohnung kommt und zwischen sie tritt.
   »Mom, es wird dunkel.«
   Terri schaut kurz zum Himmel und stellt fest, dass
er recht hat. Noch so viel zu tun, und die Nacht bricht
schon herein. Immerhin sind die schweren Möbel bereits
ausgeladen. Ein paar ihrer Freunde haben ihnen vorhin
dabei geholfen. Aber im Truck stapeln sich noch immer
reihenweise Kisten, die reingetragen und dann auch noch
ausgepackt werden wollen, außerdem muss sie die Betten

28
aufbauen und den Miettransporter zurückbringen, damit
ihr kein weiterer Tag berechnet wird.
   »Fünf Minuten Pause«, beschließt Randy. »Caleb, du
passt auf, dass deine Mom sie einhält.«
   Caleb nickt. Er schaut Randy noch immer nicht in die
Augen, aber er grinst.
   »Mir geht’s gut«, beteuert sie. »Caleb, wenn du heute
Nacht nicht auf dem Boden schlafen willst, sollten wir
fertig werden. Außerdem müssen wir immer noch den
Truck zurückbringen, sonst zahlen wir für den nächs-
ten Tag.«
   »Darum kümmer ich mich. Mach du einfach …«
   Plötzlich verstummt er, den Blick auf etwas hinter
sie gerichtet, genau wie Caleb. Verwirrt dreht sich Terri
langsam um und begreift zunächst nicht, was sie dort
sieht. Ein schmaler Grünstreifen mit knorrigen Bäumen
und verwachsenem Gestrüpp markiert das gegenüber-
liegende Ende des Parkplatzes, der zur Wohnanlage
gehört. Hinter den Bäumen liegt eine verwahrloste Frei-
fläche vor ein paar Garagen mit abblätternder Farbe und
durchhängenden Dächern. Ein unfassbar dicker Mann
schlurft über das Grundstück in ihre Richtung. Wäh-
rend sie ihn anstarrt, erreicht er die Baumgrenze zum
Parkplatz. Erst da fällt Terri auf, dass er nackt ist. Sie
schreit überrascht auf.
   »Was zur Hölle?« Randy gerät ins Wanken, die Kisten
noch immer im Arm.
   »Ein Ticktack-­Mann«, sagt Caleb.
   Terri versteht nicht, was ihr Sohn damit meint. Zu
verblüfft ist sie vom Anblick des Fetten. Er sieht aus wie
einer dieser Typen, von denen man manchmal liest, die

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so krankhaft übergewichtig sind, dass sie bei einem medi-
zinischen Notfall von Rettungskräften und Bauarbeitern
mit einem Kran aus ihrem Haus gehievt werden müssen.
Nur ist dieser Mann im Vergleich dazu noch sichtlich
agiler, er benötigt keinen Rollator oder andere motori-
sierte Hilfsmittel. Nein, er läuft auf seinen eigenen zwei
Beinen. Diese sind so dick wie die Baumstämme, an
denen er sich gerade vorbeibewegt, und erinnern Terri an
geschwollene, glänzende Würste. Ein Anflug von Übel-
keit wäscht über sie hinweg.
    Der fette Mann schreitet zielstrebig voran. Was genau
sein Ziel ist, kann sie nicht sagen, aber er scheint es
deutlich vor Augen zu haben, als er die Bäume hinter
sich lässt und den Parkplatz betritt, wobei sein glitschi-
ger nackter Bauch fast zwischen zwei geparkten Autos
­stecken bleibt. Sein gewaltiger Hintern klatscht gegen
 eines der Fahrzeuge, ein roter Ford Focus, und der
 Alarm heult los. Doch weder das grelle Licht noch das
 schrille Hupen scheinen den Fetten zu stören.
    Aber Caleb. Er hält sich die Ohren zu und starrt den
 nackten Koloss mit offenem Mund an. Caleb hat schon
 immer empfindlich auf plötzlichen Lärm reagiert. Als er
 noch jünger war, hatte Terri die Befürchtung, das könnte
 ein Zeichen von Autismus oder Asperger sein, aber er
 wurde auf beides negativ getestet. Er mag einfach nur
 keine lauten Geräusche. Deshalb gehen sie auch nur
 selten ins Kino, die Lautstärke der Trailer bereitet ihm
 Unbehagen. Caleb wartet lieber, bis die Filme auf DVD
 erscheinen, außer bei Marvel-­Streifen. Für die traut
 er sich sogar ins Kino, weil er sonst bei seinen Schul-
 freunden nicht mitreden könnte.

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»Er ist ein Ticktack-­Mann und … Er ist nackig!«
Calebs Stimme ist schwer vor Furcht und Entsetzen.
   Der Autoalarm scheint lauter zu werden. Der Nackte
trottet weiter auf sie zu. Da versteht Terri endlich, was ihr
Sohn mit dem seltsamen Spitznamen meint. Der Kopf
des Mannes zuckt beim Laufen vor und zurück. Vor und
zurück. Wie das Pendel der Standuhr im Wohnzimmer
ihrer Mutter. Nun, da sie es bemerkt hat, kann Terri auf
nichts anderes mehr achten. Sein leerer Blick ist auf sie
gerichtet, während sein Kopf weiter hin- und herwippt.
Tick. Tack. Tick. Tack.
   »Geht rein«, zischt Randy und stellt die Kartons ab.
Terri versteht ihn durch den Alarm kaum. »Das gefällt
mir nicht.«
   Die Untertreibung des Jahres, denkt Terri. An diesem
seltsamen Eindringling gibt es absolut nichts, was einem
gefallen könnte. Sie kann sein schwerfälliges Röcheln
sogar aus dieser Entfernung hören. Der gallertartige
Körper wabbelt mit jedem seiner gezielten Schritte, glän-
zend von Schweiß. Sein Penis ist fast nicht vorhanden,
nur ein kleiner Stummel, der sich zwischen den hängen-
den Hüftspeckfalten verliert. Seine weiche, haarlose Haut
ist so blass wie ein Fischbauch, bis auf das kleine Hello-­
Kitty-­Tattoo über seinem linken Nippel. Seine ganze
Erscheinung wirkt so bizarr, dass sie beinahe lachen muss.
Bis ihr Blick auf die Machete in seiner Hand fällt. Der
Schatten der Autos hat sie vorher verborgen. Jetzt schim-
mert die Klinge im Licht der benachbarten Fenster.
   »Mami …«
   »Geh rein, Schatz.« Terri läuft zu Caleb und stellt sich
zwischen ihren Sohn und den anrollenden Fettpanzer.

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»Ihr geht beide rein«, bestimmt Randy. In seiner
Stimme liegt ein Unterton, den Terri noch nie zuvor
gehört hat. »Und ruft die Polizei.«
   »Randy, was …?«
   Ohne auf sie einzugehen, marschiert Randy auf den
Nackten zu. Der Fremde wird nicht langsamer, auch
sonst zeigt er keinerlei Reaktion. Er läuft einfach weiter,
kommt immer näher.
   »Randy!«, ruft Terri und nimmt Caleb fest an die
Hand. »Komm, Caleb. Wir gehen rein. Jetzt!«
   Caleb widerspricht nicht. Tatsächlich scheint er der-
jenige zu sein, der sie ins Apartment zieht. Terri schaut in
dem Moment zurück, als Randy den Fetten erreicht hat.
   »Hör mal, Freundchen, keine Ahnung, ob du irgend-
wie Badesalz geschnupft hast oder was, aber …«
   Er beendet den Satz nicht. Ticktack (wie er jetzt
für sie heißt) holt mit seiner Machete so weit aus, dass
die Haut um sein Hello-­Kitty-­Tattoo spannt, ehe er die
Waffe mit brutaler Wucht niedersausen lässt. Sie hört das
grässliche Knacken, mit dem die Klinge Randys Schädel
spaltet. Als sie noch klein war, kauften Terris Eltern im
Sommer oft Unmengen Krabben. Dafür breiteten sie
immer Zeitungen auf dem Picknicktisch aus, zerschlugen
die Schalen mit dem Holzhammer und brachen sie auf,
um an das Fleisch zu kommen. Randys Schädel macht
ein ähnliches Geräusch. Dann dreht sich die Machete
zur Seite, schneidet durch Randys Kopf und verlässt ihn
knapp oberhalb seines linken Ohrs.
   Randy schaut Terri direkt in die Augen. Er öffnet den
Mund, will etwas sagen. Von seinen Lippen rinnt Blut.
   »Terri … ich …«

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Ein kurzes Zittern durchfährt ihn, während sich sein
T-­Shirt mit Blut vollsaugt. Dann rutscht seine obere Kopf-
hälfte an der Schulter herunter. Er steht da und versucht
zu sprechen, blutend und sterbend, während ein Viertel
seines Kopfes fehlt. Aber er fällt nicht um.
   Terri schreit.
   Caleb kreischt.
   Ticktack schubst Randy beiseite. Randy knallt auf den
Gehweg, Arme und Beine schlaff von sich gestreckt wie
gekochte Spaghetti. Wie ein grellroter Rorschachtest aus
Haferbrei schwappt aus seinem gespaltenen Schädel das
übrige Hirn auf den Asphalt. Das Blut dampft.
   Endlich hört der Autoalarm auf.
   Terri schreit erneut, die Hände zucken hoch zu ihrem
Gesicht. Sie spürt nicht, wie sich ihre Fingernägel in die
Wangen graben. Dann wirbelt sie herum, packt Caleb
an der Hand und flüchtet in ihre Wohnung.
   Der Kopf des Fetten schwankt weiter hin und her.
Ein Grinsen verzerrt sein Gesicht, als er seine tropfende
Machete hebt und hinter ihnen herstapft.

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www.briankeene.com

BRIAN KEENE (geboren 1967 in Pennsylvania) ist
Autor von mehr als 30 Romanen. Außerdem verfasste
er Comics wie The Last Zombie oder Doom Patrol.
Seine Werke wurden mehrmals mit dem Bram Stoker
Award ausgezeichnet. Übersetzungen erschienen in vielen
Sprachen. Mehrere seiner Romane wurden auch verfilmt.

               Brian Keene bei FESTA:
            Eine Versammlung von Krähen
                    Leichenfresser
                    Urban Gothic
                    Tief begraben
                      Der Satyr
                   Der Hexerbaum
                     Der Komplex

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                 www.Festa-Verlag.de
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