Sind Tiere 'schwer von Begriff'?

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Sind Tiere ‘schwer von Begriff’?
                                            Achim Stephan

                Der Eigendünkel ist unsere natürliche Erbkrankheit. Das jämmerlichste, zerbrechlichste
                Geschöpf unter allen ist der Mensch und zugleich das hochmütigste. ... Es ist durch den
                Dünkel dieser Einbildung, daß es sich ... göttliche Eigenschaften anmaßt; daß es sich von
                dem großen Haufen der übrigen Geschöpfe absondert und auswählt ...       (de Montaigne)

1. Einleitung

Ist - ideengeschichtlich betrachtet - das Interesse an der ‘Vernunft’ der Tiere vor allem durch
die anthropologische Frage nach dem Status des Menschen in der Natur motiviert,1 so stellen
die kognitiven Fähigkeiten der Tiere in der zeitgenössischen Debatte ein eigenständiges For-
schungsziel dar. Denn das Verhalten vieler Tiere scheint sich einfach besser beschreiben,
erklären oder prognostizieren zu lassen, wenn wir sie als ‘intentionale Systeme’ betrachten.
Dazu gehört insbesondere, Tieren die Fähigkeit zuzuschreiben, Überzeugungen und Absichten
zu haben und damit auch: über Begriffe zu verfügen. Als ein durchaus gewünschter
Nebeneffekt könnte sich ergeben, daß uns eine Einsicht in die komplexen Fähigkeiten der
Tiere auch einiges über die kognitive Entwicklung beim Menschen lehrt.
          Gleichwohl gibt es starke Intuitionen, wonach es für Tiere nicht nur ‘schwer’ sein
dürfte, über Begriffe zu verfügen, sondern geradezu unmöglich. Die pointierteste Position hat
in dieser Hinsicht Donald Davidson vertreten. Mit einer Darstellung seiner und einiger
konkurrierender Ansichten über die ‘richtigen’ Kriterien für das Haben von intentionalen
Einstellungen und Begriffen werde ich mich im nächsten Abschnitt befassen. Um die Debatte
jedoch nicht nur in einem theoretischen Rahmen zu lassen, wende ich mich im darauf
folgenden Abschnitt verschiedenen Beispielen aus der Verhaltensforschung zu, um an diesen
die zuvor vorgestellten Kriterien zu erproben. Im abschließenden Resümee präsentiere ich
dann einen eigenen Vorschlag zur Strukturierung des Gebietes.

2. Davidsons ‘Münchhausen-Theorie’ der Überzeugung

1
    Vgl. dazu den von Hans-Peter Schütt herausgegebenen Band „Die Vernunft der Tiere“
(1990).
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Obzwar Davidson durchaus einräumt, daß wir manchmal kaum anders können, als bei der
Interpretation tierlichen Verhaltens intentionales Vokabular zu verwenden (vgl. 1985, 477 und
1995, 4 f.), ist er entschieden der Ansicht, daß es der Sache nach keinen Grund gibt, Tieren
propositionale Einstellungen oder das Verfügen über Begriffe zuzuschreiben. Denn unter den
vielen mutmaßlichen Überzeugungen und Absichten, die nahezu inflationär anderen Kreaturen
zugeschrieben werden, erfülle nur ein kleiner Teil die Kriterien für ein wirkliches Beherrschen
von Begriffen und Haben von Überzeugungen.
        Von den verschiedenen Anforderungen, die nach Davidson an genuine Überzeugungen
bzw. an deren potentielle Träger zu stellen sind, möchte ich zwei näher erörtern: (i) die These,
daß durch jede Zuschreibung einer propositionalen Einstellung ein intensionaler Kontext
geschaffen wird, und (ii) die These, daß nur solche Systeme Überzeugungen und andere
propositionale Einstellungen haben können, die auch über den Begriff von einer Überzeugung
verfügen.
        Unter propositionalen Einstellungen verstehen Philosophen so verschiedene mentale
Befindlichkeiten wie     ZU ERWARTEN,      daß es einen warmen Sommer geben wird,   ZU HOFFEN,

daß sich noch zwei Flaschen Lemberger im Weinkeller befinden, oder        ZU BEFÜRCHTEN,    daß
sich das Leib-Seele-Problem als unlösbar erweisen wird. Diesen unterschiedlichen
Einstellungen ist gemeinsam, daß sie über ihren jeweiligen propositionalen Gehalt identifiziert
werden, der im Deutschen in der Regel durch einen ‘daß’-Satz zum Ausdruck gebracht wird.
Unter den verschiedenen Typen propositionaler Einstellungen nehmen Überzeugungen und
Wünsche in unseren alltagspsychologischen Erklärungen und Prognosen einen besonders
prominenten Platz ein. Viele der übrigen Einstellungen enthalten jene als ihren Kern, der je
nach Situation emotional weiter gefärbt sein kann.
        Ein wesentliches Merkmal jeder zugeschriebenen Überzeugung ist deren Opakheit oder
Intensionalität. Darunter ist zu verstehen, daß es stets auf die Beschreibung ankommt, unter
der von jemandem gesagt wird, er glaube etwas. Das Wort ‘intensional’ bildet das Gegenstück
zu ‘extensional’, und beide Begriffe spielen in der Semantik, Logik und in der Philosophie des
Geistes eine wichtige Rolle; im letzteren Falle besonders in Verbindung mit Sätzen, mit denen
propositionale Einstellungen zugeschrieben werden. Betrachten wir den Satz „Christian glaubt,
daß Hans-Peter Schütt das Buch Die Vernunft der Tiere herausgegeben hat“. Der in diesem
Bericht über Christians Überzeugung enthaltene Satz „Hans Peter Schütt hat das Buch Die
Vernunft der Tiere herausgegeben“ ist ohne Zweifel wahr. Da Hans-Peter Schütt zugleich der
zuletzt an die Universität Karlsruhe berufene Philosophie-Professor ist, kann man seinen
Namen in jenem Satz ohne weiteres durch die extensionsgleiche definite Beschreibung
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ersetzen, ohne dadurch die Extension des Satzes, d. h. seinen Wahrheitswert, zu ändern. Denn
der Satz „Der zuletzt an die Universität Karlsruhe berufene Philosophie-Professor hat das Buch
Die Vernunft der Tiere herausgegeben“ ist ebenfalls wahr. Wenn solche Ersetzungen den
Wahrheitswert eines Satzes nicht verändern, dann konstituiert der Satz, in dem die Ersetzung
vorgenommen wird, einen ‘extensionalen’ Kontext. Christian freilich mag nicht wissen, daß
Hans-Peter Schütt der zuletzt an die Universität Karlsruhe berufene Philosophie-Professor ist;
daher wäre es schlicht falsch zu sagen: „Christian glaubt, daß der zuletzt an die Universität
Karlsruhe berufene Philosophie-Professor das Buch Die Vernunft der Tiere herausgegeben
hat“. Denn dies ist nicht, was er glaubt. Die Tatsache, daß in diesem Falle die Ersetzung des
Autoren-Namens durch einen extensionsgleichen Ausdruck den Wahrheitswert des Satzes, also
seine Extension, nicht erhält, bedeutet, daß dieser Satz einen ‘intensionalen’ Kontext konsti-
tuiert. ‘Intensionale Kontexte’ werden im übrigen durch alle Sätze erzeugt, mit deren Hilfe
Überzeugungen, oder noch allgemeiner: propositionale Einstellungen zugeschrieben werden.
         Einen größeren Stellenwert für Davidsons Position haben jedoch seine starken Intuitio-
nen bezüglich der Frage, ob eine Kreatur überhaupt Überzeugungen haben kann, wenn sie
nicht zugleich den Begriff von einer Überzeugung hat. In „Thought and Talk“ gab er nur die
lapidare Antwort: „It seems to me it cannot“(1975; 1984, 170). In späteren Aufsätzen hat er es
jedoch unternommen, seinen Standpunkt ausführlicher zu verdeutlichen, ohne freilich in einem
strengen Sinne dafür zu argumentieren.
         Davidson behauptet, daß ein Geschöpf, oder sagen wir allgemeiner: ein System, nur
dann wirklich eine Überzeugung haben kann, wenn es zugleich einen Begriff von einer Über-
zeugung hat. Aber was heißt es, einen Begriff von etwas zu haben? Betrachten wir eines von
Davidsons Beispielen:2

         „Um den Begriff von einer Katze zu haben, muß man den Begriff von einem Tier oder
         wenigstens den von einem kontinuierlichen physikalischen Objekt haben; den Begriff
         von etwas, das sich in bestimmter Weise verhält, sich frei in seiner Umgebung bewegen
         kann und Sinnesempfindungen hat. Es gibt keine festgelegte Liste von Dingen, die man
         über Katzen wissen muß oder mit ihnen assoziieren sollte; aber wenn man nicht eine
         ganze Menge von Überzeugungen darüber hat, was eine Katze ist, dann hat man keinen
         Begriff von einer Katze“ (1997, 154; leicht modifizierte Übers.).

         Übertragen auf den Begriff von einer Überzeugung bedeutet das: Den Begriff von einer
Überzeugung zu haben, heißt, z. B. den Begriff von einer propositionalen Einstellung zu

2
    Man vgl. auch den Übersichtsartikel von Georges Rey über „Concepts“ (1994, 185-193).
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haben, zu verstehen, daß das, was man glaubt, auch falsch sein könnte, was bedeutet, den
Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum zu begreifen, also auch den Unterschied zwischen
zutreffenden und falschen Überzeugungen zu kennen. Ohne folglich eine ganze Menge von
Überzeugungen darüber zu haben, was eine Überzeugung eigentlich ist, kann man keinen
Begriff von einer Überzeugung und damit überhaupt keine Überzeugung haben.
        Daraus folgt zugleich, daß man - ohne den Begriff von einer Überzeugung zu haben -
auch nicht über irgendeinen Begriff verfügen kann. Denn ohne zahlreiche Überzeugungen zu
haben, hat man keinen Begriff. Das aber bedeutet: Ohne den Begriff von einer Überzeugung zu
haben, hat man weder Überzeugungen noch Begriffe.
        Davidson hat für diesen von ihm so charakterisierten Sachverhalt das Etikett des
‘Holismus des Mentalen’ vorgesehen, etwas despiktierlich könnte man auch von Davidsons
‘Münchhausen-Theorie der Begriffe und Überzeugungen’ sprechen: Am Schopfe eines Begriffs
zweiter Stufe, nämlich dem der Überzeugung, werden alle übrigen ‘Begriffe’ und ‘Überzeugun-
gen’ aus dem Sumpfe des Prä-Mentalen gezogen.
        Seine Theorie will Davidson allerdings nicht so verstanden wissen, daß nur diejenigen
mentalen Zustände genuine Überzeugungen sind, bei denen wir uns im Augenblicke ihres
Habens auch zugleich ihres Charakters als einer Überzeugung bewußt sind. Es genüge, wenn
ein System prinzipiell dazu in der Lage sei, über den Begriff der Überzeugung zu verfügen,
sich also über den Charakter seiner Einstellung bewußt werden könne (vgl. 1985, 479). Im
anderen Falle würden selbst wir viele unserer vermeintlichen Überzeugungen einbüßen.
        Aber auch die gemäßigtere Position hat weitreichende Konsequenzen: Es scheint klar
zu sein, daß Tiere, Kleinkinder und demente Erwachsene aus der Menge der Systeme heraus-
fallen, die in Davidsons eigentlichem Sinn des Wortes über Begriffe verfügen und
Überzeugungen haben können. Denn von welchem Tier und von welchem Kleinkind ließe sich
begründet sagen, es verfüge über den Begriff einer Überzeugung als einer propositionalen
Einstellung, die auch fehlgehen könne.
        Während Davidson durch seine starken Kriterien verdeutlicht, was als eine notwendige
Bedingung für das Haben und damit auch für ein berechtigtes Zuschreiben von Überzeugungen
und Begriffen anzusehen ist, macht er zugleich deutlich, was keinesfalls als hinreichend für
das Beherrschen eines Begriffes angesehen werden sollte, nämlich ein eventuell
konstatierbares Diskriminationsvermögen.

        „Ein Lebewesen verfügt nicht schon deshalb über den Begriff von einer Katze, weil es
        Katzen von anderen Dingen in seiner Umgebung unterscheiden kann. Soviel ich weiß,
        können Mäuse Katzen sehr gut von Bäumen, Löwen und Schlangen unterscheiden.
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        Allein, die Fähigkeit, Katzen von anderen Dingen unterscheiden zu können, bedeutet
        nicht, den Begriff von einer Katze zu haben“ (1997, 153; modif. Übers., meine Hvh.).

        Damit richtet sich Davidson im besonderen gegen alle behavioristischen, aber auch ge-
gen verschiedene post-behavioristische Tendenzen, das beobachtete Diskriminationsverhalten
eines Tieres bereits als dessen Beherrschen eines Begriffes zu deuten. Stellvertretend für viele
seien die Tauben-Experimente von Herrnstein genannt, die er und seine Forschungsgruppe
unter dem Titel „Natural Concepts in Pigeons“ (1976) veröffentlichte. Herrnstein zufolge sind
Tauben in der Lage, auf unterschiedliche Futtergeber zu picken, je nachdem, ob ein gezeigtes
Bild zu einer bestimmten Kategorie, z. B. der eines Baumes, gehört oder nicht. Ich stimme mit
Davidson und anderen Kritikern wie Allen und Hauser (vgl. 1996, 50 f.) überein, daß solche
Experimente nicht zeigen, daß die untersuchten Tiere über irgendwelche Begriffe verfügen.
        Die für mich entscheidende Frage ist nun weniger, ob Davidson eine plausible Katego-
rie von Systemen ausgezeichnet hat, die in einem starken Sinne Überzeugungen und Begriffe
haben - denn diese Systeme gibt es zweifellos, wir sind z. B. solche -, sondern vielmehr, ob es
andere plausible Kategorien des ‘Intentionalen’ gibt, die zwischen dem starken Haben von
Überzeugungen und Begriffen einerseits und einem bloßen Diskriminationsvermögen anderer-
seits angesiedelt werden können.
        Marcia Cavell, die ihre geistige Nähe zu Davidson nicht verheimlicht, scheint diesen
‘Zwischenraum’ jedenfalls für eine leere Menge zu halten:

        „Man kann von einem Geschöpf nicht sagen, es glaube auf eine Art, die wir als ‘harten’
        Sinn dieses Wortes bezeichnen könnten - in einem Sinn, der reflexartiges und
        instinktives Verhalten von intentionalem Verhalten unterscheidet -, wenn es nicht einen
        Begriff des Glaubens als etwas hat, das wahr oder falsch sein kann. ... Gefordert ist ein
        Erfassen dieser Begriffe, um zwischen unterscheidendem Reagieren ... und eigentlicher
        Intentionalität unterscheiden zu können“ (1993, 38; 1997, 64; modif. Übers.).

        Cavell schreibt hier intentionales Verhalten nur den Organismen oder Systemen zu, die
Überzeugungen und Begriffe in Davidsons starkem Sinne haben; alles andere Verhalten
basiere allein auf einem basalen Unterscheidungsvermögen, das ihrer Ansicht nach Säuglinge,
Sonnenblumen und Thermostate (sic!) in offenbar hinreichend ähnlicher Weise zeigten.
Davidson selbst diagnostiziert lediglich unsere Unfähigkeit, diesen ‘Zwischenbereich’
begrifflich angemessen zu erschließen.
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         „Betrachten wir die Natur als geistlos, so stehen uns viele Möglichkeiten offen, sie zu
         beschreiben; ebenso verfügen wir über mentalistische Ausdrücke zur Beschreibung von
         Gedanken und intentionalem Handeln; was uns fehlt, ist ein Vokabular für den Bereich
         dazwischen. Dies wird besonders deutlich, wenn wir von den ‘Intentionen’ und
         ‘Wünschen’ einfacher Tiere sprechen; wir haben keine besseren Möglichkeiten, das,
         was sie tun, zu erklären“ (1995, 4; 1997, 158 f.; modif. Übers.).

         Was in Davidsons Worten eher beiläufig anklingt, daß wir häufig keine besseren als die
sogenannten ‘intentionalen’ Erklärungen für das Verhalten von Tieren zur Verfügung haben,
ist für manch anderen ein hinreichendes Kriterium dafür, jenen Kreaturen das Haben von
Überzeugungen und Absichten zuzuschreiben. Stephen Stich faßt diese Position, ohne sie aller-
dings selbst vertreten zu wollen, wie folgt zusammen:

         „Wenn Tiere Überzeugungen haben, dann wird ihr Verhalten am besten durch eine
         psychologische Theorie erklärt, die größtenteils eine Weiterentwicklung und Verfeine-
         rung unserer inoffiziellen Wunsch-Überzeugungs-Theorie darstellt. Umgekehrt, wenn
         unsere intuitive Theorie eine akzeptable erste Näherung an eine korrekte Theorie ist,
         dann haben Tiere Überzeugungen“ (1979, 17; meine Übersetzung).3

         Davidson könnte diesen Ansatz jedoch als ‘question begging’ zurückweisen: Denn
wenn es gute Gründe dafür gibt, daran zu zweifeln, daß jene Systeme im ‘eigentlichen’ Sinne
des Wortes überhaupt intentionale Zustände haben können, dann können Erklärungen, die auf
solche Zustände rekurrieren, nicht die besten Erklärungen sein. Bestenfalls wären sie heuri-
stisch akzeptable ‘Quasi-Erklärungen’. Umgekehrt ließe sich erwidern, daß es sehr plausibel
ist, von der Existenz derjenigen Entitäten und Vorkommnisse auszugehen, auf die die theore-
tischen Termini einer erfolgreichen Theorie verweisen.
         Einen ganz anderen Vorschlag, unsere ‘terra incognita’ zu vermessen, hat unterdessen
Colin Allen (1997) unterbreitet.
         Danach ist man dann berechtigt, einem System       S   das Haben eines Begriffes   X   zuzu-
schreiben, wenn S (i) in systematischer Weise Xe von nicht-Xen unterscheiden kann, (ii) eigene
Unterscheidungsfehler erkennen und dadurch (iii) lernen kann, besser zwischen Xen und nicht-
Xen   zu unterscheiden.
         Bevor wir uns jedoch weiter in theoretischen Betrachtungen verstricken und beispiels-
weise prüfen, ob Allens Kriterien wirklich ausreichen, einem System das Verfügen über

3
    Vgl. dazu auch Gordon Brittan (1997).
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Begriffe zuzuschreiben, möchte ich für eine Weile die Ebene der Betrachtung wechseln und
mich einigen markanten Beispielen aus der neueren Verhaltensforschung zuwenden. Ich habe
die Beispiele so gewählt, daß sie auf verschiedene Fähigkeiten der darin involvierten Tiere
Bezug nehmen und es damit erlauben, eine Stufenfolge von Fertigkeiten zu erkennen, wobei
wir uns in jedem Einzelfall überlegen können, was eher für und was eher gegen die
Zuschreibung von Begriffen und propositionalen Einstellungen spricht.

3. Grabwespen, Vögel und Meerkatzen

Bornierte Grabwespen

Daniel Dennett hat in mehreren Aufsätzen die Grabwespe auch unter Philosophen berühmt
gemacht: Nach ihrer Befruchtung graben die Weibchen dieser auch als ‘Heuschreckenjäger’
bekannten Wespenart einen Stollen in die Erde, suchen nach einer Heuschrecke, die sie para-
lysieren und bringen diese anschließend zu ihrem Bau. Bevor sie die Heuschrecke in den Bau
legen, wo sie später den Wespenlarven als lebende Konserve zur Verfügung stehen wird, inspi-
zieren sie den Stollen auf mögliche Parasiten. Ist alles in Ordnung, verschließen die Wespen
den Bau, um ihre Nachkommenschaft sich selbst zu überlassen. Das Verhalten der Grabwespe
ist ihren Lebensverhältnissen hervorragend angepaßt und sehr erfolgreich. In der Regel legen
sie nicht mehr als zehn Eier. Im Experiment kann ihr Verhaltenszyklus jedoch leicht gestört
werden: Verschiebt man, während die Wespe ihren Bau inspiziert, die Heuschrecke auch nur
um wenige Zentimeter, so wird jene ihre Beute nach der Besichtigung nicht mehr, wie sonst
üblich, in den Bau bringen, sondern sie wieder am Eingang ablegen und erneut im Stollen
nachsehen. Und das wiederholt sie, ein ums andere Mal.
        Obwohl die Grabwespe in zahlreichen Situationen ein beachtliches Erinnerungs-,
Orientierungs- und Diskriminationsvermögen zeigt - sie erkennt z. B. Heuschrecken und findet
den von ihr gegrabenen Bau auch aus größerer Distanz wieder -, scheint sie in dem für sie
unnatürlichen experimentellen Setting ausgesprochen ‘schwer von Begriff’ zu sein: Sie merkt
nichts und sie merkt sich nichts. Es findet kein Lernen statt. Sie kann sich auf die - zumindest
aus unserer Sicht - nur marginal geänderten Bedingungen nicht adäquat einstellen, da sie
keinen Einfluß auf die Mechanismen hat, die ihr Verhalten steuern.
        Ihr Verhalten zeigt eine Borniertheit, die die Zuschreibung von propositionalen Einstel-
lungen geradezu ausschließt. Denn hätte sie Überzeugungen über den Zustand ihres Baues und
wünschte sie, die Heuschrecke als Nahrungsquelle für ihre Nachkommen zu deponieren, so
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wäre es bizarr, würde sie ihren Bau ein ums andere Mal inspizieren (bei Wesen, denen man
sonst intentionales Handeln zuschreiben kann, würde man in einem solchen Falle von
Zwangshandlungen sprechen). Die Annahme eines rigiden Mechanismus, der nur für
bestimmte Auslöser sensitiv ist, erklärt das Verhalten der Wespe einfach besser als eine
intentionale Erklärung, denn er erklärt alles, was es zu erklären gibt.4

Von Übelkeit geplagte Vögel

Das nächste Beispiel, das ich betrachten möchte, stammt von Fred Dretske. Er schildert eine
einfache Vemeidungsreaktion eines Futter suchenden Vogels, die es bereits erlaube, dem
Vogel intentionale Einstellungen zuzuschreiben. Die Geschichte geht so:
         Ein Nahrung suchender Vogel probiert einen Monarchen, einen Schmetterling, dessen
Raupen sich von den Blättern der giftigen Wolfsmilch ernähren, was dazu führt, daß auch der
Schmetterling unbekömmlich ist. Sein Verzehr verursacht bei Vögeln Übelkeit und Erbrechen.
Eine einzige Mahlzeit genügt, und der Vogel vermeidet künftig Schmetterlinge mit dem Aus-
sehen des Monarchen. Einen Tag später trifft der Vogel auf einen Viceroy, einen Schmetter-
ling, der in seinem Aussehen dem Monarchen stark ähnelt, allerdings nicht giftig ist. Der
Vogel sieht den Viceroy und fliegt weg.
         Dretske fragt, weshalb der Futter suchende Vogel eine bekömmliche Mahlzeit ver-
schmäht hat. Warum hat er den Viceroy nicht gefressen? Bei der Antwort sollten wir, so
Dretske, unsere Worte sorgfältig wählen; sein Vorschlag lautet so:

         „Wenn das Insekt, das er sah, ein unbekömmlicher Monarch gewesen wäre, hätten wir
         sagen können, er habe den Schmetterling als eines dieser widerlich schmeckenden
         Insekten wiedererkannt und vermieden, weil er nicht nochmals krank werden wollte.
         Aber das, was er sah, war kein widerlich schmeckendes Insekt. Es fand kein
         Wiedererkennen statt. Hier gab es kein Wissen. Wir benötigen ein anderes Wort. Wie
         nennen wir (Philosophen) Wahrnehmungszustände, bei denen es sich um ein
         Wiedererkennen oder Wissen handeln würde, wäre es nur wahr? Glaube! Also, der

4
    Über die Unangemessenheit intentionaler Erklärungen im Falle der Grabwespe besteht im
übrigen keine Kontroverse unter den Fachleuten; auch Dennett verwendet dieses Beispiel, um
zu zeigen, daß es Situationen gibt, in denen eine mechanistische Erklärung eine intentionale
Erklärung ausschließt, selbst wenn man eine intentionale Einstellung gegenüber dem
betrachteten System einnehmen wollte (vgl. 1978, 65). Die ausführlichste und geradezu
‘klassische’ Darstellung des Verhaltens der Grab- und Sandwespen gibt Baerends (1941).
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        Vogel glaubt, daß das von ihm gesehene Insekt schlecht schmeckt. Das ist es, was er
        denkt (1997, 5; meine Übersetzung).

        So weit Dretske. Aber sollten wir wirklich sagen, der Vogel wolle nicht, daß ihm
wieder übel werde, und glaube, der vor ihm tänzelnde Schmetterling sei ein Exemplar jener
Brechreiz auslösenden Spezies? Wären wir wirklich bereit, im kontrafaktischen Falle des
Zusammentreffens mit einem echten Monarchen zu sagen, der Vogel wisse, daß es sich um
eine für ihn unbekömmliche Nahrung handele?
        Ohne Zweifel zeigt der Vogel ein gegenüber dem ‘Heuschreckenjäger’ erweitertes
Diskriminations- und Lernvermögen. Die einmal getroffene Einordnung einer möglichen
Nahrungsquelle als ‘unbekömmlich’ ist jedoch ihrerseits rigide und kaum noch modifizierbar.
Unter evolutionären Gesichtspunkten ist das auch sinnvoll, ebenso wie die Tendenz zur
Übergeneralisierung: Im Zweifelsfalle ist es für den Vogel besser, ab und zu eine bekömmliche
Nahrung zu vermeiden, als sich ein weiteres Mal zu vergiften. Nur im Falle einer großen
Futterknappheit könnte diese Strategie ungünstigere Konsequenzen haben. Die bei dem Vogel
feststellbaren Mechanismen sind daher - wie kaum anders zu erwarten - im Tierreich weit
verbreitet. Sie laufen jedoch sämtlich subkortikal ab, basieren also auf Gehirnarealen, die
gemeinhin nicht mit Denkvorgängen in Verbindung gebracht werden. Selbst eine einfache
Gartenschnecke kann eine Nahrungsaversion nach einem einmaligen Versuch erlernen und
behalten (vgl. Reichert 1990, 364).
        Aufgrund unserer Kennntis der bei einer Nahrungsaversion auftretenden Mechanismen
halte ich es auch in dem von Dretske beschriebenen Fall für unangemessen, dem Vogel propo-
sitionale Einstellungen, gleich welcher Art, zuzuschreiben. Auch hier sind nicht-intentionale
Erklärungen, zum Beispiel funktionale Erklärungen, dem Sachverhalt angemessener.
        Daß das Vermeidungsverhalten von Vögeln gegenüber unbekömmlicher Nahrung nicht
intentional erklärt werden sollte, bedeutet jedoch nicht, daß es kein Verhalten gibt, das Vögeln
gegenüber eine ‘intentionale Einstellung’ rechtfertigen würde. Auch Menschen zeigen bis-
weilen Verhaltensweisen, die man besser nicht intentional erklärt.

Die Brutpflege des Regenpfeifers

        Carolyn Ristau hat umfangreiche Feldstudien über den Regenpfeifer durchgeführt und
dabei insbesondere sein Verhalten gegenüber Eindringlingen in seinen Brutbereich untersucht:
Am auffälligsten ist das sogenannte ‘broken wing display’, das Vortäuschen eines lahmen Flü-
gels. Dabei hüpft der Regenpfeifer ins Blickfeld des Eindringlings, zieht dessen Aufmerksam-
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keit auf sich und bewegt sich in der Folge stets weiter weg von seinem Nest oder seinen
Jungen, wobei er den potentiellen Nesträuber während der ganzen Zeit nicht aus den Augen
läßt. Je nach dessen Verhalten modifiziert der Regenpfeifer seine eigenen Bewegungen. Folgt
ihm der Eindringling nach, so fliegt er, wenn der Abstand zum Nest groß genug geworden ist,
oder wenn ihm der Eindringling zu nahe kommt, davon. Folgt ihm der Eindringling nicht, so
fliegt er wieder in dessen Gesichtsfeld, um erneut dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
         Ähnlich bemerkenswert wie das ‘broken wing display’ ist die Variationsbreite im Ver-
halten gegenüber verschiedenen Eindringlingen: Im Unterschied zu Katzen zeigen Kühe wenig
Interesse an Eiern oder jungen Nestflüchtern. Sie trampeln allerdings manchmal versehentlich
auf die Brut und sind insofern auch eine Gefahr für den Nachwuchs. Nähert sich ein Rind, so
zeigt der Regenpfeifer, pfiffig wie er ist, keineswegs das für die Kuh belanglose ‘broken wing
display’; stattdessen bleibt er in der Nähe seines Nestes sitzen und fliegt, sollte die Kuh zu
nahe kommen, dieser auffällig flatternd vors Gesicht. In der Regel wendet sich diese dann ab,
so daß die Gefahr eines versehentlichen Fehltritts gebannt ist.
         Je nach eindringendem Individuum und spezifischer Veränderung der Situation modifi-
ziert der Regenpfeifer demnach sein eigenes Verhalten,5 wobei dieses jeweils in optimaler
Weise dem Schutz der Nachkommenschaft zu dienen scheint. In dem Maße, in dem die Vielfalt
im Verhalten des Regenpfeifers dessen Erklärbarkeit durch einfache Mechanismen und
bedingte Reflexe erschwert, in dem Maße legt seine offenkundige Zielgerichtetheit die Über-
nahme einer ‘intentionalen Einstellung’ nahe. Nach Ristaus eigenen Angaben, hat sie erst
dadurch, daß sie den Regenpfeifer als ein intentionales System ansah, eine Reihe ihrer ein-
drucksvollen Ergebnisse erzielen können.
         Sollten wir aufgrund der unbestrittenen heuristischen Fruchtbarkeit der Übernahme
einer intentionalen Einstellung gegenüber dem Regenpfeifer, diesem deshalb aber auch schon
Überzeugungen oder gar das Verfügen über Begriffe, z. B. über verschiedene Typen von Ein-
dringlingen, zuschreiben? Ristau selbst ist zurückhaltend (vgl. 1996, 88).6

5
    Regenpfeifer zeigen sogar gegenüber einzelnen Personen, die sich bezüglich ihres Nestes ver-
schieden verhalten haben, unterschiedliche Reaktionen (vgl. Allen und Bekoff 1997, 119 f.).
6
    Eventuell bietet sich eine Erklärung unter Rekurs auf ein neuronales Netz an, in der ein sehr
komplexes Schema eine Rolle spielt: Kommt ein Eindringling in die Nähe des Nestes, so wird
das ‘Nest-Schutz’-Schema aktiviert; allerdings nur, wenn entweder Eier oder Junge im Nest-
bereich sind. Je nach Eindringling werden verschiedene motorische Sub-Schemata aktiviert,
die dann spezifischere Reaktionen vorsehen; z. B. das ‘broken-wing display’ bei Katzen, plötz-
liches Hochfliegen bei Kühen usw.
Achim Stephan: Sind Tiere ‘schwer von Begriff’?                                         11

        Aber auch wenn Regenpfeifer keinen Begriff von einer Überzeugung haben, scheint es
bei der Komplexität des von ihnen gezeigten Verhaltens plausibel zu sein, diesen Tieren
zumindest solche internen Zustände zuzuschreiben, die bei uns einfachen Überzeugungen und
Absichten entsprechen. Untersuchungen über ihre eventuelle Fähigkeit, Diskriminationsfehler
zu erkennen und künftig zu vermeiden, stehen noch aus, könnten aber zu interessanten Ergeb-
nissen führen.

Meerkatzen

Sowohl in der Verhaltensforschung als auch in der Philosophie spielen die Untersuchungen,
die Seyfarth und Cheney an Meerkatzen im Amboseli-Nationalpark durchführten, eine
wichtige Rolle. Meerkatzen vollbringen drei bemerkenswerte Leistungen (Seyfarth, Cheney
und Marler 1980):
        Erstens sind sie in der Lage, sich gegenseitig durch spezifische Lautäußerungen vor
verschiedenen Raubfeinden zu warnen. Bei der Annäherung von Leoparden (und anderen
Raubkatzen) geben sie den sogenannten ‘Leoparden-Alarm’. Hören Artgenossen diesen Ruf,
so fliehen sie auf nahegelegene Bäume, auf denen sie vor Leoparden sicher sind. Vernehmen
Meerkatzen den sogenannten ‘Adler-Alarm’, so blicken sie häufig zum Himmel empor, um
gegebenenfalls in stark belaubte Büsche zu flüchten, denn Adler können Affen sowohl am
Boden als auch in den oberen Baumregionen jagen. Zwei weitere Alarmrufe wurden von
Cheney und Seyfarth als ‘Schlangen’ bzw. ‘Pavian-Alarm’ klassifiziert.
        Zweitens verbessert sich die ‘Treffergenauigkeit’ eines Alarmrufs offenbar mit wach-
sender Lebenserfahrung: Während junge Meerkatzen auch bei gefahrlosen Vögeln und sogar
bei herabfallenden Blättern den ‘Adler-Alarm’ gaben, lernen die Heranwachsenden nach und
nach die richtigen Unterscheidungen zu treffen; dies geschieht offenbar durch Verstärkungen
von Seiten der erwachsenen Gruppenmitglieder (vgl. Allen und Bekoff 1997, 121).
        Und schließlich werden Situationen berichtet, in denen Tiere anscheinend absichtlich
einen Fehlalarm gaben, um sich oder ihrer Gruppe einen Vorteil zu verschaffen. So sei bei
einem Streit zweier Meerkatzengruppen über die Grenze ihrer Territorien ein Tier aus der
unterlegenen Gruppe auf einen nahegelegenen Baum geklettert und habe ‘Leoparden-Alarm’
gegeben, obwohl kein Leopard in der Nähe war. Der Alarmruf brachte die streitenden Meer-
katzen dazu, auf die Bäume zu fliehen, wodurch der Streit beendet und die ursprüngliche
Gruppengrenze wieder hergestellt war.
        Da aber auch beobachtet wurde, daß auf Tiere, die mehrmals einen Fehlalarm gegeben
hatten, nicht mehr reagiert wurde, spricht vieles dafür, daß Meerkatzen die Äußerungen ihrer
Achim Stephan: Sind Tiere ‘schwer von Begriff’?                                           12

Artgenossen mit dem tatsächlichen Zustand der Welt vergleichen und auf ihre Stimmigkeit
prüfen. Sie scheinen also zwischen dem Zutreffen oder Nichtzutreffen einer Gefahr-Meldung
unterscheiden zu können.
        Meerkatzen erfüllen, wie das Beispiel des erworbenen ‘richtigen’ Gebrauchs des Adler-
Rufes zeigt, eindeutig Allens Kriterium für das Haben von Begriffen. Ebenso klar ist, daß wir
kaum auf intentionale Erklärungen verzichten können, wollen wir z. B. ihr Täuschungsverhal-
ten angemessen erklären. Fraglich ist dagegen, ob es eine bestimmte Beschreibung gibt, unter
der von den Meerkatzen gesagt werden kann, sie hätten eine propositionale Einstellung. Und
ebenso fraglich ist, ob sie in Davidsons starkem Sinne über den Begriff von einer Überzeugung
verfügen, obwohl es so aussieht, als stünde ihnen durch ihr Erkennen ‘falscher’ Alarmrufe eine
rudimentäre Form dieses Begriffs zur Verfügung.

Kanzi

Herkömmliche Studien über den Gebrauch von Symbolen durch Tiere sind noch immer durch
behavioristische Lern-Rituale kontaminiert. Da es für die ‘richtige’ Antwort - je nach unter-
suchtem Tier - eine Banane, einen Fisch oder einen Regenwurm zur Belohnung gibt, erfährt
man wenig über über die kommunikativen Absichten der Tiere; denn deren Bestreben ist es
primär, ihr Futter zu bekommen.
        Sue Savage-Rumbaugh hat aus dieser Einschätzung weitreichende Konsequenzen für
ihren eigenen Umgang mit Bonobos gezogen. Sie versuchte, die Art und Weise zu simulieren,
in der ein Kind normalerweise die Sprache seiner Eltern erwirbt: nämlich nicht durch Beloh-
nung mit einem Zuckerstückchen, sondern durch Teilhabe an Lebenssituationen, in denen
kommuniziert wird.
        Infolgedessen waren die jungen Bonobos mit Betreuern zusammen, die regelmäßig mit
ihnen über ihre alltäglichen Erlebnisse - wie Ausflüge in den Wald, Fang- und Kitzelspiele
oder Besuche bei anderen Primaten - sprachen, wobei sie gleichzeitig auf entsprechende
Symbol-Tasten eines Keyboards zeigten. Von den Bonobos wurde nicht verlangt, das
Keyboard zu gebrauchen, um irgend etwas zu bekommen. Stattdessen sprachen die Betreuer
darüber, was sie gerade zusammen taten und was sie als nächstes tun würden. Nach einer
Weile begannen die Bonobos jedoch, von einigen der Symbole Gebrauch zu machen. Wie bei
Kindern waren ihre ersten ‘Worte’ nicht gleich, obwohl es auch Überschneidungen gab. Auf
eine Phase bloßen Benennens der Situationen, in denen sie sich gerade befanden, folgte später
ein aktiverer Gebrauch der Symbole, um über eigene Wünsche zu kommunizieren.
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        An Kanzi, dem ‘Musterschüler’ Savage-Rumbaughs, ist besonders bemerkenswert, daß
er neue Kombinationen von Zeichen erfand, für die er keine Vorerfahrungen hatte. Beispiels-
weise äußerte er einmal ‘Auto Wohnwagen’ (‘car trailer’), um anzuzeigen, daß er wünschte,
mit dem Auto zum Wohnwagen gebracht zu werden. Den Gebrauch der Symbole unterstrich er
durch eine zeigende Geste in Richtung des Wohnwagens. Als er (auf Englisch) gefragt wurde,
ob er mit dem Auto zum Wohnwagen gefahren werden wolle, reagierte er mit deutlichen Zei-
chen der Zustimmung. Savage-Rumbaugh fügt kommentierend hinzu:

        Hätte Kanzi nur ‘Auto’ gesagt, so wäre diese einzelne Symbol-Äußerung als eine
        Bemerkung interpretiert und anerkannt worden, daß sie sich gerade im Auto befänden.
        Hätte er nur ‘Wohnwagen’ gesagt, so hätte dies der Betreuer wahrscheinlich zum Anlaß
        genommen, auszusteigen und mit Kanzi zum Wohnwagen zu gehen, denn es handelte
        sich nur um eine sehr kurze Wegstrecke. Mit seiner Äußerung ‘Auto Wohnwagen’
        brachte Kanzi jedoch eine neue Bedeutung hervor und löste damit eine Ereignisfolge
        aus, zu der es sonst kaum gekommen wäre (1996, 280; meine Übersetzung).

        Der kreative Einsatz der gelernten Symbole in neuen Kombinationen ist ein deutliches
Zeichen dafür, daß Kanzi einen kognitiven Zugang zu seinen Befürfnissen hat und diese intern
repräsentieren kann. Darüber hinaus ist er in der Lage, seine Wünsche angemessen zu
artikulieren. Verfügt Kanzi damit aber schon über einen Begriff von einer Überzeugung oder
eines Wunsches? Erzeugen die Zuschreibungen intentionaler Einstellungen aufgrund seines
Symbol- Gebrauchs einen ‘intensionalen Kontext’? Zumindest die letzte Frage ist meines
Erachtens zu bejahen. Denn in weiteren Untersuchungen könnten Kanzis Betreuer in
verschiedenen, aber extensionsgleichen Worten Kanzis vermeintlichen Wunsch wiederholen
und durch Kanzis Reaktionen feststellen, unter welcher Beschreibung er etwas wünscht bzw.
nicht wünscht.

4. Abschließende Bewertung

Ich komme zu einer abschließenden Einschätzung.
        Bezüglich der Grabwespe und dem Schmetterlinge vermeidenden Vogel ist die Über-
nahme einer intentionalen Einstellung unangemessen; keine der vorgeschlagenen Kriterien, die
es erlauben könnten, einem System propositionale Einstellungen oder Begriffe zuzuschreiben,
Achim Stephan: Sind Tiere ‘schwer von Begriff’?                                            14

sind bei ihnen erfüllt. Beide zeigen zwar Diskriminationsfähigkeiten, aber keine Plastizität in
ihrem weiteren Verhalten.
        Im Gegensatz dazu sind für das Nest-Schutz-Verhalten des Regenpfeifers intentionale
Erklärungen sehr hilfreich. Auch wenn er nicht Davidsons Kriterium für das Haben von Be-
griffen erfüllt, könnte er doch Allens Kriterium erfüllen; aber das müssen weitere Feld-Studien
erst noch zeigen. Die propositionalen Einstellungen, die wir dem Regenpfeifer zuschreiben,
möchte ich als intensionslose Einstellungen charakterisieren. Von solchen sollte man dann
sprechen, wenn zwar der ‘Schluß auf die beste Erklärung’ die Annahme von intentionalen
Einstellungen nahelegt, es aber zugleich unplausibel ist anzunehmen, durch die Zuschreibung
der Einstellungen würde ein intensionaler Kontext erzeugt. Im Falle des Regenpfeifers gibt es
keine Beschreibung, unter der dieser Überzeugungen hat. Regenpfeifer glauben, wenn sie
glauben, nicht unter Beschreibungen.
        Das Verhalten der Meerkatzen läßt sich hingegen kaum noch ohne die Übernahme einer
intentionalen Einstellung erklären. Allens Kriterium für ein gerechtfertigtes Zuschreiben von
Begriffen ist eindeutig erfüllt, das Täuschungsverhalten erlaubt zwar keinen Schluß auf eine
‘theory of mind’ seitens der Meerkatzen, ist jedoch ein deutliches Zeichen für Absichten erster
Stufe. Sogar ein Teil von Davidsons Forderungen für das Haben von Überzeugungen scheint
erfüllt, denn Meerkatzen können offenbar zwischen dem Zutreffen und dem Nichtzutreffen
eines Alarm-Signals unterscheiden. Insofern könnten sie nach Allens Kriterium sogar über den
Begriff von einer zutreffenden bzw. nicht-zutreffenden Meldung verfügen. Dagegen ist auch
bei den Meerkatzen nicht zu sehen, unter welcher Beschreibung von ihnen gesagt werden
kann, sie beabsichtigten oder glaubten etwas. Nach Chater und Heyes (1994) muß es empirisch
unbestimmt bleiben, ob einer ihrer Alarmrufe: ‘Vorsicht, Leoparden!’, ‘Vorsicht, Raubkatzen!’
oder ‘Vorsicht, 98er Leoparden, denen wir gut schmecken!’ bedeutet. Hier kann man wie
zuvor antworten, daß den Meerkatzen zumindest intensionslose, vielleicht auch nur intensions-
unbestimmbare propositionale Einstellungen zugeschrieben werden können. Da wir keinen
kommunikativen Kontakt mit ihnen haben, scheint es keine Möglichkeit zu geben, mehr über
ihre intentionalen Einstellungen zu erfahren.
        Im Unterschied zu den zuvor diskutierten Tieren befindet sich Kanzi in kommunikati-
ven Situationen: Er hat nicht nur Wünsche und Meinungen, sondern kann diese auch mitteilen.
Darüber hinaus ist er in der Lage, nach angemessenen Symbolisierungen für komplizierter mit-
teilbare Wünsche zu suchen, womit ein beachtliches Maß an Reflektiertheit einhergeht. Auch
zeigen Kanzis Reaktionen auf die Interpretationsangebote seines Betreuers große Ähnlichkeit
mit unserem Verhalten in fremden Sprachgemeinschaften - auch bei uns ist der passive Wort-
schatz jeweils größer als der aktive. Kanzis passiver Wortschatz reicht jedoch aus, um etwas
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über die Intension von Kanzis intentionalen Zuständen zu erfahren. Auch wenn seine Sprache
noch etwas einsilbig ist, erfüllt Kanzi damit eine von Davidsons Bedingungen für ‘True
Believers’. Es würde mich sehr wundern, hätte Kanzi nicht auch ein Verständnis über das
Zutreffen bzw. Fehlgehen von Mitteilungen entwickelt. Insofern betrachte ich Kanzi als einen
empirischen Fall, der zwar nicht gegen Davidsons Kriterien, aber gegen eine Interpretation
spricht, nach der nur Menschen in der Lage sind, jene zu erfüllen.
        Auch wenn die überwiegende Zahl der Tiere nicht über Begriffe verfügt, sind doch nur
wenige ‘schwer von Begriff’.

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