Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit - Dokumentation des 10. Innovationsforums der Daimler und Benz Stiftung
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MACHT Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Dokumentation des 10. Innovationsforums der Daimler und Benz Stiftung
Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit 2 Machtverhältnisse und Innovationsfähigkeit von Prof. Dr. Eckard Minx 4 Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit von Ulrich Klotz 16 Too big to innovate? von Wolfgang Wopperer 24 Die Gore-Kultur – einmaliges Erfolgsrezept oder Blaupause für Unternehmen der Zukunft? von Dr. Sabine Martin 30 Interaktive Wertschöpfung: Willkommen in der Maker Economy von Frank Piller 36 Zwischen Freiheit und Zensur: Was kann und darf das Internet? von Martina Gauder 40 Programm des 10. Innovationsforums
Machtverhältnisse und Innovationsfähigkeit Wenn innovative Ideen ausgebremst werden oder technologische Neuerungen auf unfruchtbaren Boden fallen, stehen oftmals problematische Machtverhältnisse in Organisationen dahinter. Nach Ulrich Klotz, dem wissenschaftlichen Leiter unseres 10. Innovationsforums, spielt Macht bei Innovationen eine Schlüsselrolle, denn Innovation ist kein technischer Vorgang, sondern ein komplexer sozialer Prozess. Um solch anspruchsvolle Themenfelder sowohl in theoretischen Ansätzen als auch in praktischen Erfahrungen durchleuchten zu können, stellt die Daimler und Benz Stiftung eine geeignete Plattform zur Verfügung: Auch im abschließenden Teil dieser besonderen Trilogie des Innovationsforums beschäftigten sich die Teilneh- mer mit Macht und Innovationsfähigkeit. Die Wissenschaftler und Manager aus unterschiedlichen Branchen analysierten und bewerteten Organisationstheorien und Managementkonzepte. Dabei standen mögliche Strategien zur Überwindung von Innovationsbarrieren zur Diskussion. Eingefahrene Strukturen, Angst vor Fehlern, hemmende Bürokratien, aufkeimende Konflikte oder unterschiedlich ausgeprägte Unternehmenskulturen gehörten zum persönlichen Erleben der Einzelnen. Ziel der Daimler und Benz Stiftung ist ein unmittelbarer Erkenntnisgewinn für alle Teilnehmer, der in den Berufsalltag weiter transportiert wird und sich langfristig positiv niederschlägt. Mit der vorliegenden Publikation sollen Gedanken des Innovationsforums festgehalten, Einblicke gewährt und zukunftsweisende Ideen multipliziert werden. Wir möchten Impulse für Wissen setzen – mit nachhaltiger Wirkung für den Menschen und die Gesellschaft. Prof. Dr. Eckard Minx Vorstandsvorsitzender der Daimler und Benz Stiftung
3 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Prof. Dr. Eckard Minx Weitere Informationen: www.daimler-benz-stiftung.de
Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit von Ulrich Klotz »Menschen mit einer neuen Idee gelten haben. Zum einen die mikroelektronische so lange als Spinner, bis sich die Sache Revolution mit der Entwicklung des durchgesetzt hat.« Mark Twain Mikroprozessors (1971), ohne den unsere heutige Welt gar nicht mehr vorstellbar Als ich der Daimler und Benz Stiftung das wäre. Parallel dazu vollzog sich eine Thema »Macht und Innovation« vorschlug, sozio-kulturelle Umwälzung, deren hatte ich auch Episoden aus meinem Keimzellen ebenfalls im Kalifornien der eigenen Berufsleben im Hinterkopf. Einige 1960er Jahre lagen. Die amerikanische davon werde ich hier in der gebotenen Gegenkultur war ja auch ein Vorläufer Kürze schildern, weil die darin erkennbaren der europäischen Studentenbewegung. Wechselwirkungen zwischen Macht und Innovation unverändert aktuell sind. Am Verschmelzungsort dieser beiden Trends – also dort, wo Hippies und Ich kam 1968 nach West-Berlin und landete Alternativ-Freaks die Potenziale der an der Technischen Universität recht bald in aufkommenden Mikrocomputer- einer Gruppe kritischer Technik-Studenten, technik entdeckten – keimte nicht die sich »Rotzkybel« nannte (Rote Zelle nur ein technischer, sondern vor Kybernetik Elektrotechnik). In dieser allem auch ein kultureller Paradigmen- Zeit bahnten sich zwei große Umbrüche wechsel in der Informatik auf. Dessen an, die unsere Welt nachhaltig verändert spätere Wirkungen auf Wirtschaft und
Gesellschaft sind durchaus vergleichbar mit eines Kleinstcomputers – heute würde fundamentalen Umwälzungen, wie sie etwa man das PC nennen. Dabei erlebte ich zum die Erfindung des Buchdrucks nach sich zog. ersten Mal, dass der Weg von der Idee zur praktischen Innovation ziemlich steinig In jener Zeit kursierte Stewart Brands und nicht selten völlig versperrt ist. »Whole Earth Catalogue«, den Steve Jobs später als die »Bibel der Gegenkultur« be- Solche Ideen waren zu jener Zeit bei Nixdorf zeichnete. Mit seinem Slogan: »Computer- überhaupt nicht durchsetzbar. Noch Anfang Power to the People!« inspirierte er den der 1980er Jahre verwarf der Firmengrün- legendären »Homebrew Computer Club«, der Heinz Nixdorf ähnliche Konzepte, wie in dem blutjunge Leute wie Adam Osborne, auch eine damals mögliche Kooperation Steve Jobs, Bill Gates und andere mit ersten mit dem PC-Pionier Apple. »Wir bauen Bastelübungen in die Welt der Computer Lastwagen, keine Mopeds«, lautete seine eintauchten. Die Vorstellung, sich einen ablehnende Reaktion, die später in die eigenen Computer bauen zu können, hatte Sammlung berühmter Fehleinschätzungen damals für viele eine ungeheure Faszination. einging. Kaum zehn Jahre später war das ehemalige Vorzeigeunternehmen am Ich hatte das Glück, einen frühen Mikro- Ende. Im Grunde genommen war dies prozessor von Intel zu ergattern und konnte der Beginn des späteren Niedergangs der damit 1974/75 als Diplomarbeit einen gesamten europäischen Computerindustrie. der ersten universell einsetzbaren Mikro- computer in Deutschland realisieren, der Ende der 1970er Jahre arbeitete ich in heute im Nixdorf Computer Museum steht. einem Forschungsprojekt der Universität Später arbeitete ich im Forschungszentrum Hamburg mit der Traub AG, damals der damals sehr erfolgreichen Nixdorf Weltmarktführer bei Drehmaschinen. Computer AG. Neben unserer offiziellen Projektziel war eine CNC-Steuerung, die Tätigkeit im Systemsoftwaredesign ver- der Facharbeiter in der Werkstatt selbst folgten wir in einer Gruppe gleichgesinnter programmieren konnte, um Kopf- und Kollegen ziemlich konspirativ die Idee Handarbeit wieder zusammen zu führen.
7 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Als wir vorschlugen, einen Bildschirm in stritten. Seit den Erfahrungen der 1970er die Steuerung zu integrieren, stieg die Jahre, als im Gefolge der Mikroelektronik Geschäftsführung aus – es hieß: »Eine binnen kurzer Zeit zahllose Arbeitsplätze Werkstatt ist doch keine Videospielhölle!« in der Uhrenindustrie und Feinmechanik Bildschirme weckten solche Assoziationen, verschwanden, traten viele Gewerkschafter denn es gab damals erste Videospiele, aber bei neuer Technik erst einmal kräftig auf noch kaum Computer-Monitore. Etwa zehn die Bremse. Besonders der Computer wurde Jahre später eroberten japanische Hersteller in Gewerkschaftskreisen bis weit in die mit genau solchen Bildschirm-CNC-Steue 1990er Jahre pauschal als »Job- und Quali- rungen den Markt. Die Traub AG hatte fikationskiller« verteufelt und bekämpft. dem nichts entgegenzusetzen und ging dann Mitte der 1990er Jahre in Konkurs. Diese Beratungsstelle wurde in Hamburg angesiedelt, weil die Hansestadt auf der Obwohl das Unternehmen mit unserem Suche nach neuen Beschäftigungsfeldern Konzept zunächst wenig anzufangen wusste, war. Denn im Zuge eines Niedergangs von machte unser aus dem BMFT-Programm Schiffbau und Zulieferindustrie hatten »Humanisierung des Arbeitslebens« geför- massenhaft Facharbeiter aus Werften und dertes Projekt in arbeitswissenschaftlichen Maschinenbau ihre Arbeitsplätze verloren. und gewerkschaftlichen Kreisen Furore. Denn mit diesem Projekt wurde zum Parallel zu dieser Strukturkrise ent ersten Mal deutlich, dass Software eine wickelte sich eine neue Bewegung, die Schlüsselrolle für die Gestaltung von Arbeit in Gesellschaft und Wirtschaft ebenfalls und Arbeitsorganisation spielt. Es wurde vieles nachhaltig verändern sollte: die zum Vorzeigeprojekt, weil damit praktisch Ökologie-Bewegung, unter anderem bewiesen wurde, dass eine Humanisierung manifestiert durch die Gründung der der Arbeit auch betriebswirtschaftliche Grünen im Jahr 1980. Auch hier war Vorteile bringen kann, was zu jener Zeit von ich wieder sehr früh involviert, weil wir Arbeitgebern oft pauschal bestritten wurde. ein Landhaus in der Nähe von Gorleben hatten und in und um Hamburg herum die Als Folge davon erhielt ich 1978 einen Anruf Auseinandersetzung um den geplanten Bau aus der IG Metall-Zentrale mit der Frage, ob eines Atomkraftwerks in Brokdorf tobte. ich in einem BMFT-geförderten Pilotprojekt eine Innovations-Beratungsstelle der IG Insofern war es naheliegend, dass wir Metall in Hamburg aufbauen wolle. Da uns in der Beratungsstelle auf sozial mich Neues stets reizte, sagte ich zu, ohne und ökologisch nützliche Innovationen zu ahnen, worauf ich mich da einlassen konzentrierten. Vor allem von neuen, würde. Zu jener Zeit war der Begriff ressourcenschonenden und regenerativen »Innovation« noch wenig verbreitet und Energietechniken erhofften wir uns außerdem bei Gewerkschaften heftig um- viele neue Arbeitsplätze im Handwerk und
Pro-Atomkraft-Demonstrationen, auf denen beispielsweise der IG Metall- Vorsitzende Loderer die atomare Entsor- gungsfrage als bereits gelöst erklärte. Auch hier war die Zeit noch nicht reif für unsere Innovationen. Umweltschützer wurden pauschal als Jobkiller verteufelt, auch Bundeskanzler Helmut Schmidt Metall-Bereich. Gemeinsam mit einer rasch spottete damals: »Von blauer Luft über wachsenden Zahl von neu zur IG Metall der Alster kann niemand leben.« Als ich gekommenen Ingenieuren und Technikern damals junge grüne MdBs bei forschungs- bauten die Mitglieder unseres IGM-Energie- politischen Themen unterstützte, waren Arbeitskreises in ihrer Freizeit sogar erste solche Kontakte bei der IG Metall noch Prototypen von Solar-, Biogas- und Kraft- strikt verboten. All dies führte im Lauf Wärme-Koppelungsaggregaten. Unterstützt der Zeit zu eskalierenden Konflikten mit durch progressive Stadtwerke wie Flensburg dem IG Metall-Vorstand. Brokdorf wurde und Heidenheim, die schon damals Erfah- bekanntlich gebaut und viele unserer Ideen rungen mit Techniken wie Kraft-Wärme- und Konzepte wurden erst Jahre, wenn Kopplung besaßen, mündete das Ganze nicht gar Jahrzehnte später salonfähig. in der Entwicklung eines alternativen Energiekonzepts für Hamburg, bei dem wir Nach diesen negativen Erfahrungen mit zusammen mit fortschrittlichen Stadtpla- Gewerkschaften und Innovation verließ ich nern das Ziel verfolgten, die für Brokdorf 1984 die Beratungsstelle und wechselte zur geplanten drei Milliarden DM in unseres neu gegründeten Technischen Universität Erachtens sinnvollere Projekte umzuleiten. Hamburg-Harburg, wo ich als Oberinge- nieur den Bereich Arbeitswissenschaft mit Man muss sich allerdings vergegenwärtigen, aufbauen konnte. Auch dort erprobten wir dass in jener Zeit die Hamburger Elektri- Neues; mit einer frühen Sun-Workstation zitätswerke (HEW) und die lokale Politik realisierten wir einen der ersten deutschen noch auf Atomkurs waren. Hamburg war Internet-Zugänge. Ausgehend von einem damals mit elektrischen Nachtspeicher- 1985 beschafften Apple Macintosh, dessen heizungen zugepflastert und die gesamte revolutionäres Interaktionskonzept uns Unterelberegion sollte mit einem Dutzend damals begeisterte, konzentrierten wir Atomkraftwerken, Schnellen Brütern und uns auf die Entwicklung von Systemen energieintensiven Aluminium-, Stahl- und für zeitgemäße Bürokommunikation. Kupferfabriken industrialisiert werden. Die Gewerkschaften organisierten in diesen 1987 erhielt ich erneut aus der IG Metall- Jahren von der Industrie unterstützte Zentrale die Anfrage, ob ich in einem
9 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Projekt zur Realisierung neuer Kommu- che Firma DEC dann tatsächlich am Ende. nikations- und Organisationsstrukturen Die IG Metall hat, wie übrigens auch andere in der IG Metall mitarbeiten wolle. Auch Gewerkschaften, Parteien, Verbände, diese Herausforderung reizte mich. Behörden und viele Unternehmen, auf Ich hoffte, einiges von unseren neuen ihrem Weg in solche technologischen Sack- Bürokonzepten praktisch umsetzen und gassen nicht nur viele Hundert Millionen später auch mit Hilfe der IG Metall DM verloren, wenn man die verdeckten weithin bekannt machen zu können. Kosten mit einrechnet. Sie hat vor allem auch an Reputation eingebüßt, weil sie mit Es folgten jedoch mehrjährige, teilweise mit ihrem anachronistischen Büro-Projekt bei harten Bandagen geführte Auseinander- PC-erfahrenen jungen Leuten und in IT- setzungen um unterschiedliche technische Kreisen rasch zum Branchengespött wurde. Systeme und Vorstellungen von Büroarbeit. Am Ende konnte ich fast alle meine Ideen Vor allem in diesem letzten Innovationskon- begraben, weil einige Schlüsselfiguren in flikt lernte ich viel über Wechselwirkungen der IG Metall sich schon frühzeitig auf ein zwischen Organisation und Innovation. anachronistisches Timesharing-System Ausgehend von diesen Erfahrungen begann festgelegt hatten. Dieses System von DEC ich in den 1990er Jahren zu diesen Themen konterkarierte alle gewerkschaftlichen zu publizieren. Einige dieser Texte riefen Arbeitsgestaltungsforderungen und war ein großes Echo hervor, wurden vielfach aufgrund seiner Inflexibilität letztlich nachgedruckt und trugen mir sogar einen nur ein praktischer Beleg für das damals Literaturpreis und eine Stiftungsprofessur vieldiskutierte »Produktivitäts-Paradox«. ein. Vor allen in Diskussionen nach Vor Nach der Installation des Systems sank trägen wurde oft deutlich, dass das, was ich die Produktivität im Bürobereich, weil hier mit Beispielen andeute, in vielen heuti- allein seine komplizierte Bedienung gen Unternehmen und Institutionen durch- immens viel Arbeitszeit verschlang. aus eher die Regel als die Ausnahme ist. Schon während meiner Wiedereinstellung Innovation ist kein tech- prophezeite ich 1987 dem IG Metall-Vor- nischer Vorgang, sondern ein stand, dass er in eine technische Sackgasse investiere, weil der damals weltweit zweit- komplexer sozialer Prozess größte Computerhersteller DEC ähnlich wie Nixdorf wichtige Trends versäumt Ich will nun versuchen, einige Muster hatte. Vom DEC-Gründer Ken Olsen gibt es und Charakteristika praktischer Innova ebenfalls ein berühmtes Zitat aus dem Jahr tionsprozesse herauszuarbeiten. Zunächst 1977: »Es gibt gar keinen Grund dafür, dass wird klar, dass gute Ideen allein wenig irgend jemand einen Computer zu Hause nützen – man muss sie auch zur richtigen haben will«. 1998 war die einstmals glorrei- Zeit und dazu auch die Macht haben, diese
Ideen um- und durchzusetzen. Machtbesitz innovationshemmend, die vor allem in ist also auch eine Voraussetzung für Inno- Klein- und Mittelunternehmen (KMU) vationen – an dieser Stelle wird vielleicht heute noch bedeutsamer sind. Angesichts mancher stutzig, da im Titel unserer der wachsenden Komplexität und Dynamik Veranstaltung Macht als »Innovationskiller« wissenschaftlich-technischer Entwick- bezeichnet wird. In all meinen Beispielen lungen sowie neuartiger Verflechtungen spielt Macht eine Schüsselrolle und ich eigenständiger Wissenschaftsgebiete, behaupte heute, dass dies bei Innova etwa die Verknüpfung von Biologie und tionsprozessen generell der Fall ist, denn Informatik, wird vor allem für KMU die Innovation ist kein technischer Vorgang, Aufnahme und Einbindung externen sondern ein komplexer sozialer Prozess. Wissens in den eigenen Innovationsprozess immer bedeutsamer. Dies bereitet jedoch Ein weit verbreitetes vielen KMU erhebliche Probleme, denn sie verfügen nicht (mehr) über die Vorausset- Innovationshemmnis: zungen, um technologische Entwicklungen der eigene Erfolg beizeiten wahrnehmen, beurteilen und deren Chancen erkennen zu können. Vielen Im Fall Nixdorf (ähnlich auch DEC) zeigte KMU fehlen oft Andockpunkte für externes sich ein weit verbreitetes Innovations- Wissen – ihnen fehlt die »Absorptive hemmnis: Das ist der eigene Erfolg. Erfolg Capacity«. Bei der Traub AG gab es damals ist ein Feind des Wandels, er macht oft viele klassische Maschinenbau-Ingenieure, hochnäsig und blind. Dann besteht die aber so gut wie niemanden, der sich Gefahr, dass Killer-Innovationen gar nicht mit Informationstechnik auskannte. erkannt werden, weil sie außerhalb der eigenen Wahrnehmungsmuster liegen. Dabei wurde noch ein weiteres Innova Nixdorf und viele andere untergegangenen tionshemmnis deutlich: das Denken in Computerfirmen wie Sperry, Burroughs, traditionellen Kategorien. Maschinenbauer Honeywell, Prime, Control Data, Data Ge- beispielsweise denken in Hardware-Katego- neral, DEC oder Univac verkannten damals rien. Soll eine neue Funktion realisiert Entwicklungstrends vor allem deshalb, werden, wird klassisch konstruiert, ent- weil diese Entwicklungen nicht mehr wie wickelt und eingebaut. Die Vorstellung, zuvor aus dem militärisch-industriellen neue Funktionen per Software zu imple- Komplex kamen, sondern aus einer Gras- mentieren, ging damals nicht in die Köpfe wurzelbewegung – und deshalb zunächst der Konstrukteure. Dieses Problem ist bis überhaupt nicht ernst genommen wurden. heute verbreitet – ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Nokia Corporation, der Im Fall der Traub AG lag es weniger am dieses Denken in Hardware nun zum eigenen Erfolg, denn der lag schon etwas Verhängnis geworden ist. Nokia brachte zurück. Hier wirkten andere Faktoren bekanntlich in dichter Folge neue Mobil
11 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit telefone auf den Markt, deren neue Funk heimliche Regeln, etwa: »Fehler machen ist tionen in Hardware realisiert waren, etwa gefährlich, Fehler zugeben ist tödlich.« In durch neue Tastenanordnungen oder der Praxis zeigt sich dann, dass viele Fehler Design. Apple zeigte dann mit dem iPhone, aus Angst vor Fehlern gemacht werden. wie es per Software einfacher geht. Für Erkannte Fehler werden oft nicht korrigiert, eine neue Funktion ist lediglich eine neue sondern lediglich kaschiert – oft mit immer App erforderlich – die Hardware bleibt neuen Fehlern. Wo Fehler bestraft und nicht unverändert. als Chancen begriffen werden, werden neue Ideen häufig als bedrohliche Hinweise Bei den Konflikten der Hamburger Bera- auf frühere Fehler missverstanden. tungsstelle waren die Innovationsbremsen ziemlich banaler Natur. Innovativen Ideen Aus Angst, ja nichts falsch zu machen, fielen wurden nicht als Chancen, sondern seitens bei der IG Metall frühe Systementschei- der HEW allenfalls als potenzielle Bedro- dungen zugunsten eines großen, scheinbar hung für die eigenen Geschäftsfelder wahr- sicheren Herstellers. Obwohl zumindest genommen. Fachleuten bald klar war, dass diese Entscheidungen schlicht überholt waren, Im Fall der Gewerkschaft, die von neu hatten alle daran Beteiligten Angst, damit geschaffenen Arbeitsplätzen und dem zugeben zu müssen, dass man schon einige Zulauf motivierter Techniker hätte Millionen in den Sand gesetzt hatte. Statt profitieren können, verhielt es sich anders. den Entscheidungsträgern die Wahrheit Die örtliche IG Metall wurde damals vom zu sagen, wurde der IG Metall-Vorstand Betriebsrat der HEW regelrecht erpresst, von der Projektleitung jahrelang in die Irre der damit drohte, zur ÖTV zu wechseln, geführt. Noch in den 1990er Jahren konnte wenn die IG Metall den Atomkurs der HEW man in Vorstandsvorlagen lesen, dass nicht mehr mitmachen würde. Die HEW PCs in der Bürokommunikation keinerlei war damals der mitgliederstärkste Betrieb Zukunft hätten und grafische Oberflächen in der Hamburger IG Metall. Hier führte lediglich Spielkram seien, der im Büro somit ein schlichter Machtkampf zum Ende nichts zu suchen habe. Dazu kamen immer aller Debatten – dagegen waren auch noch wieder für viele IT-Projekte typische so gute Ideen und Konzepte chancenlos. Kostenkalkulationen, mit denen durch das Weglassen der verdeckten Nebenkosten, Beim Fall Bürokommunikationsprojekt also 70 bis 80 Prozent der Gesamtkosten, die der IG Metall-Zentrale war ein vor allem in eigenen Konzepte schöngerechnet wurden. hierarchischen Organisationen verbreitetes Phänomen wesentlich für die Verhinderung Friedrich Weltz schildert in seiner aller innovativen Ansätze: der unproduk Arbeit »Aus Schaden dumm werden« die tive Umgang mit eigenen Fehlern. In Lernschwäche von Verwaltungen bei bürokratischen Strukturen existieren IT-Projekten, bei denen ein unproduk-
tiver Umgang mit eigenen Fehlern vor setzte die IG Metall Nachfolgeprojekte auf allem zu wachsendem Personalaufwand ähnliche Weise in den Sand und leidet bis führt. Die IG Metall hatte deshalb heute unter den Folgen dieser Fehlentwick- zeitweilig mehr EDV-Mitarbeiter als die lungen. Das alles ist den Entscheidungs- Frankfurter Flughafen AG, immerhin die trägern aber bis heute nicht bewusst. größte Arbeitsstätte in Deutschland. Fritz B. Simon erläutert im Vortrag zur Solche Innovationskonflikte und Macht- Psychopathologie der Macht, warum die kämpfe sind auch heute noch in ungezähl- Mitglieder des Zentralkomitees der SED ten Unternehmen und IT-Projekten zu wahrscheinlich als Letzte gemerkt haben, beobachten. Denn es geht auch um Ressort dass es die DDR nicht mehr gibt. Mich egoismus und Abhängigkeit. Je komplizier- erinnerte vieles an den Sommer 1989, als ter, intransparenter und zentralistischer Erich Honecker in seiner berühmten Rede ein IT-System ist, desto unabkömmlicher den ersten 32-Bit-Mikroprozessor aus und größer wird die eigene IT-Abteilung. DDR-Produktion hochhielt und verkündete, dass die DDR nun den Anschluss an das Nach Abschluss des Projektes gab der Weltniveau erreicht hat und weder Ochs Vorstand eine Projekt-Evaluation in Auftrag, noch Esel den Sozialismus in seinem die dem Ganzen die Krone aufsetzte. Die Lauf aufhalten. Wo man vorwiegend von beauftragten Berater verfassten auf der Jasagern und Schönfärbern umgeben ist, Basis ungeprüfter Projektdaten ein Gefällig verliert die Spitze einer Organisation früher keitsgutachten, das der IG Metall einen oder später den Kontakt zur Wirklichkeit. erfolgreichen Projektverlauf bestätigte. Das hat der Vorstand gerne geglaubt. Hinweise Solche Scheinwelten, in denen von unten auf Fehlentwicklungen und das, was man nach oben bevorzugt Erfolgsmeldungen heute »Whistleblowing« nennt, wurden weitergegeben werden, waren ja nicht seitens des Vorstandes stets ignoriert oder nur in der DDR gang und gäbe. Ähnliches Kritiker wurden mundtot gemacht. Da finden wir bei uns vor allem in Verbänden, man Fehler nicht produktiv verarbeitete, Parteien und Behörden, wo nicht nur sondern »aus Schaden dumm« wurde, Fachleute, sondern auch Funktionäre
13 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit das Sagen haben. Denn hier kommt noch liche Veränderung ist oft gar nicht gewollt. die kognitive Verzerrung hinzu, die als Aus solchen Gründen wurden die Chancen Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet wird: zahlloser deutscher Inventionen nicht Weniger kompetente Menschen neigen dazu, beizeiten ergriffen – von der Halbleiterdiode ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen über das Faxgerät und den Tintenstrahl- und Unwissenheit führt oft zu mehr Selbst- drucker bis hin zum MP3-Player. Solche vertrauen als Wissen. Eines der Schlüs- verpassten Innovationen – »In Deutschland selprobleme in solchen Organisationen erdacht, woanders gemacht« – können wir ist die Verwechslung oder Gleichsetzung uns künftig nicht mehr erlauben. Deshalb von Fach- und Entscheidungskompetenz, gilt es, den oft tabuisierten Innovations- also wenn jemand in einem Bereich als killer Macht beim Namen zu nennen und kompetent gilt, weil ihm die entsprechende seine fatalen Wirkungen zu erhellen. Stelle oder Funktion übertragen wurde. Das führt – vor allem im Zeitalter der Wissens- Macht ist per se ein kommunikativer arbeit – oftmals zu vollkommen absurden Sündenfall, denn sie verzerrt die Kommuni Verhältnissen. Projekte wie der Flughafen kation. Wer in eine Machtposition gelangt Schönefeld oder die Hamburger Elbphilhar- ist, erhält kaum noch spontanen Wider- monie, aber auch Fälle wie der ADAC zeigen, spruch, sondern ihm wird bevorzugt das wohin die Psychopathologie der Macht erzählt, was er vermeintlich hören will. in derartigen Strukturen führen kann. Alles andere wird »nach oben« verschwie- gen. Die Schwerfälligkeit hierarchischer Allgemeiner formuliert: Innovative Ideen Organisationen resultiert vor allem aus haben es überall dort besonders schwer, wo der Tatsache, dass sich hier Loyalität meist Menschen anderen Menschen sagen können, mehr auf den jeweiligen Vorgesetzten was sie zu tun oder zu lassen haben und wo richtet als auf die Organisation. Menschen Angst vor Machtausübung oder Machtverlust haben. In Hierarchien stoßen Macht verändert Menschen, leider meist innovative Ideen auf Hindernisse, weil in zum Schlechten. Wenn Macht zu Kopf steigt, dieser Organisationsform Macht durch wird aus Machtgebrauch oft Machtmiss- Monopolisierung von Information ausgeübt brauch. Die Absicherung der eigenen Kar- wird. »Wissen ist Macht«, sagte schon Francis riere wird wichtiger als das Voranbringen Bacon. Innovationen sind neues Wissen, das des Unternehmens. Dann werden fähige altes Wissen entwertet und damit bestehen- Mitarbeiter als Konkurrenten identifiziert de Machtverhältnisse gefährdet. Deshalb und abgesägt und schlechte Leute einge- werden Neuerungen, die zwar gut für das stellt, um die eigene Position zu verbessern. Unternehmen, aber (vermeintlich) schlecht für das Management sind, oft unterdrückt Natürlich wünschen sich auch in einer oder behindert. In Bürokratien wird viel Hierarchie die Führungskräfte viele Ideen, über Innovation geredet, aber die eigent- doch was passiert, wenn sie diese auch gelie-
fert bekommen? Wenn Vorgesetzte über die Bodenhaftung und reagieren auf äußere Ideen ihrer Mitarbeiter urteilen, wird das Einflüsse wie auch auf interne Hinweise Prinzip »Wissen ist Macht« oft ins Gegenteil nicht mehr adäquat. Nixdorf, AEG, Grundig, verkehrt: Macht wird dann zur Möglichkeit, Borgward aber auch die DDR sind typische bessere Argumente zu ignorieren. Wo der Beispiele für solche Entwicklungen. In Erhalt der eigenen Macht Priorität hat, einem Satz zusammengefasst: Innovations- werden neue Ideen oft nicht als Chance, prozesse sind in der Regel Bottom-up- sondern als Bedrohung empfunden und Prozesse, die es in top-down geführten deshalb vielfach vorschnell verworfen. Strukturen prinzipiell sehr schwer haben. Innovation ist das Erdenken und Auspro- Widerspruch ist das, was bieren des heute noch Unbekannten. Was in vielen Unternehmen fehlt. man noch nicht kennt, kann man auch Vorbilder und Vorgesetzte nicht per Zielvereinbarung verordnen. Ideen lassen sich weder befehlen noch erzeugen Imitation statt gibt es sie für Geld. Was man noch nicht Innovation kennt, kann man – schon aus Gründen der Logik – nicht systematisch fördern oder gar Hierarchien fördern intern vor allem »managen«. Innovationen lassen sich nicht Anpassung, also das genaue Gegenteil von systematisch erzeugen, sondern sie sind wie Innovation. Wo sich der Wert einer Aufgabe zarte Pflanzen auf ein bestimmtes Klima durch den Nutzen für den Vorgesetzten angewiesen, in dem Menschen miteinander definiert, wird häufig Opportunismus zum umgehen: Innovationen gedeihen am Qualifikationsersatz: Um Karriere zu besten in offenen Unternehmenskulturen, machen, reicht es völlig, stets nur das zu in denen Minderheiten, abweichende tun, was dem Vorgesetzen gefällt. Wo das Meinungen und Querdenker als wertvolles eigene Fortkommen vom Urteil eines Vorge- Ideenpotenzial geschätzt werden und setzten abhängt, ist aufgrund der internen Schutz, Freiräume und Förderung genießen. Selektionsmechanismen die Führung früher Eine bunte Mischung unterschiedlicher oder später vorwiegend von pflegeleichten Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, Jasagern umgeben. Dann ist es zum Erfahrungen, Traditionen, Kulturen und »Management by Potemkin« (Friedrich Ansichten ist der beste Nährboden für Ideen. Weltz), dem Aufbau schöner Scheinwelten, meist nicht mehr weit. In einer sich rasch Doch Widerspruch ist das, was in vielen wandelnden Umwelt werden solche Struk- Unternehmen fehlt. Vorbilder und Vorge- turen zwangsläufig Opfer ihrer selbst er- setzte erzeugen Imitation statt Innovation. zeugten Verhaltensmuster. Die Organisation Hat man einmal begriffen, dass Machtaus- geht immer mehr ihrer eigenen Selbstdar- übung der zentrale Misserfolgsfaktor für stellung auf den Leim, die Spitzen verlieren Innovationen ist, wird klar, dass radikaler
15 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit festangestellten Menschen keine Zukunft haben, weil diese hier immer in irgendeiner Weise an der Entfaltung ihrer Fähigkeiten gehindert werden. Ideen und Innovationen entstehen dort, wo Menschen das tun dürfen, was sie können und wollen – wir hingegen vergeuden in unseren traditionellen Strukturen viel mehr Potenziale als wir tatsächlich nutzen. Auf jeden Fall werden sich im Innova tionswettbewerb stehende Unternehmen stärker öffnen müssen, um Talente jenseits der Unternehmensgrenzen in die eigenen Innovationsprozesse einzubeziehen. Bill Joy, eine Ikone des Silicon Valley, sagte einmal: »Es gibt immer mehr kluge Leute Hierarchieabbau die wahrscheinlich effek- außerhalb der Organisation als innerhalb.« tivste Form eines »Innovationsmanage- ments« ist. Hier mag man einwenden, so etwas sei Zukunftsmusik oder Utopie, weil wir alle Vor diesem Hintergrund ging ich im wissen, wie zählebig Institutionen sind. Rahmen meiner späteren Tätigkeiten für Andererseits gibt es aber heute neue, hoch- das BMBF bei Konzeption und Begleitung innovative Strukturen, in denen Menschen von Forschungsprogrammen zum Thema anders miteinander und mit ihren Ideen »Arbeit und Innovation« oft den Fragen umgehen: wo zum Beispiel Wertschöpfung nach: Worin unterscheiden sich innovative vor allem auf gegenseitiger Wertschätzung von weniger innovativen Organisationen? basiert. Wir finden innovative Wertschöp- Wie müssen Arbeitsstrukturen beschaffen fungsformen heute vor allem im Internet, sein, damit Ideen gute Entfaltungs- und etwa in zahlreichen Open Source Projekten. Durchsetzungsbedingungen erhalten? Hier können Unternehmen einiges darüber Wenn Wettbewerb immer mehr zum lernen, was Menschen motiviert und wie Innovationswettbewerb wird – wie eine junge Generation arbeiten will, die in sieht dann die Arbeit der Zukunft oder und mit dem Internet ohnehin eine andere die Zukunft der Arbeit aus? Kommunikationskultur lebt, als etablierte Institutionen sie praktizieren. Unter- Manche Organisationsforscher prog- nehmen, die diese Generation gewinnen nostizieren sogar, dass Unternehmen in und halten wollen, müssen sich ohnehin ihrer heutigen Struktur mit abhängig radikal, das heißt von Grund auf, ändern.
Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Too big to innovate? von Wolfgang Wopperer Reflexionen über Größe und Skalierung von chen – ganz im Gegenteil. Die Stoffwechsel- Lebewesen, Städten und Unternehmen, über rate steigt langsamer als die Masse, betrach- Strukturen und ihre Macht – und über das tet man zunehmend größere Tiere. Größere Verhältnis von Größe und Struktur zu Tiere sind also effizienter als kleine! Innovation Kleibers Formel für dieses Gesetz lautet 1. Größe und Skalierung S ~ M¾ – die Stoffwechselrate ist direkt Um Größe und ihre Folgen zu verstehen, proportional zur Körpermasse hoch ¾. Den lohnt sich ein Blick in das größte und älteste resultierenden langsameren Anstieg der Ökosystem, zu dem wir Zugang haben: abhängigen Variable, wie hier des Stoff- Wie funktionieren Größenwachstum und wechsels, nennt man Sublineare Skalierung. Skalierung eigentlich in der Natur? Max Weil das bei Lebewesen so gut funktioniert, Kleiber, ein Schweizer bzw. US-Biologe, fragten sich der Komplexitätsforscher entdeckte in den 1930er Jahren eine faszi- Geoffrey West und seine Kollegen am ameri- nierende Gesetzmäßigkeit. Es gibt ein festes, kanischen Santa Fe Institute zu Beginn der vom Einzeller bis zum Elefanten für alle 1990er Jahre: Lassen sich diese Forschungs- Tiere gleiches, Verhältnis von Stoffwechsel- ergebnisse auch auf größere Gebilde über- rate (gemessen zum Beispiel in Energie- tragen, etwa auf Städte? Das erstaunliche verbrauch pro Zeit) zu Größe, ausgedrückt Ergebnis lautet: Ja! Je größer die Stadt, in Körpermasse: »Kleiber’s Law«, ein mathe- desto geringer der Energieverbrauch je matisch formulierbares empirisches Gesetz, Größeneinheit und desto effizienter die das berechenbar macht, welche Stoffwech- Stadt. Wie aber sieht es aus mit Metriken, selrate ein Tier von einer bestimmten Größe die andere Aspekte von Effizienz, Produkti- hat. Das heißt nicht, dass alle Tiere gleich vität und Innovation messen? Auch dazu viel Energie je Einheit Körpermasse verbrau- haben West und Kollegen Städte untersucht.
17 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Wolfgang Wopperer
Das Ergebnis ist noch überraschender: uns ansehen, woraufhin Unternehmen Innovativität, gemessen durch die Anzahl optimieren, wenn sie wachsen bzw. warum von Patentanmeldungen pro Jahr, steigt sie überhaupt auf Wachstum als Optimie- deutlich schneller als Größe, ausgedrückt in rungsstrategie setzen. der Einwohnerzahl. Konkret ist also bei- spielsweise eine Stadt, die 50mal so groß ist Optimierungsziel 1: Produktionseffizienz wie eine andere, 130mal so innovativ wie Naheliegend und im Kern der gleiche Effekt die kleinere. Das bedeutet, die Anzahl von wie bei der Stoffwechselrate von Lebewesen: Innovationen pro Einwohner wächst mit der Größere Einheiten können oft effizienter Größe der Stadt – Städte werden immer produzieren. Das klassische Beispiel für innovativer, je größer sie werden. solche Effizienzgewinne sind Skaleneffekte durch Massenproduktion. Da liegt natürlich die Frage nahe, wie es sich in puncto Größe und Innovation bei Optimierungsziel 2: Transaktionskosten- Unternehmen verhält. Das (etwas enttäu- effizienz schende) Forschungsergebnis: wie beim Folgt man dem Coase-Theorem, dann Stoffwechsel von Tieren. Innovativität wachsen Unternehmen immer so weit, wie skaliert sublinear mit der Unternehmens- es günstiger für sie ist, Aufgaben intern zu größe. Je größer ein Unternehmen ist, koordinieren statt über den Markt. Das desto weniger Innovation pro Mitarbeiter heißt der Organisationsaufwand bestimmt gibt es – Unternehmen werden immer die Größe der Organisation. Die Transak- weniger innovativ, je größer sie werden. tionskostenstruktur ist dabei von techni- schen Rahmenbedingungen abhängig – die Illustriert an Beispielen aus der Informa- optimale Größe einer Organisation verän- tionstechnologie- bzw. Hightech-Industrie dert sich, wenn eine »bessere« Technologie und dargestellt in einer Linearskala sieht zur Verfügung steht. man, was sublineare Skalierung wirklich bedeutet: eine stetig sinkende Zunahme Optimierungsziel 3: Rationalität von Patenten mit der Größe von Unterneh- Schon Max Webers Rede vom »stahlharten men, ein Abflachen der Innovativitätskurve. Gehäuse der Bürokratie« sollte illustrieren, Es gibt bei Unternehmen offenbar ein dass Transparenz über Regeln, Ziele und oberes Limit für Innovativität. Verantwortlichkeiten Institutionen aus der Abhängigkeit von Gutdünken und Willkür 2. Wachstum und Innovation lösen kann – und dass dafür neben einer Wie erklären wir uns das? Warum sind bestimmten Organisationsgröße rigide größere Unternehmen nicht innovativer, Strukturen notwendig seien. genau wie große Städte? Wie also hängen bei Unternehmen Wachstum und Innova- Das alles findet seine Verkörperung im tion zusammen? Das wird klarer, wenn wir klassischen Konzept des Scientific
19 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Management – in anderen Worten: des heißt auch, dass ihr Potenzial verglichen Taylorismus. Dieser beschreibt und fordert mit hoch optimierten Bestandstechnologien Organisationsstrukturen und Steuerungs- noch nicht ausgereizt wird. Dieser Rück- mechanismen, die sehr gut an großmaß- stand führt dazu, dass eine neue Technolo- stäbliche, also industrielle Produktion und gie unattraktiv erscheint und nicht weiter- deren Anforderungen an Produktionseffi- verfolgt wird. zienz, Kosteneffizienz und Rentabilität sowie Transparenz und Steuerbarkeit Woher aber kommt diese Fehleinschätzung angepasst sind. genau? Die gängige Hypothese dazu lautet: Die Ursache ist ein Versagen der Metriken Städte werden immer im Fall disruptiver Innovation, die bei Ska- innovativer, je größer lierung (Effizienz, Rentabilität) sehr gut funktionieren. Diese messen nämlich nur sie werden das Gap in der initialen Performance und Wenn diese Strukturen besonders gut Effizi- lassen die Neuerung daher wirtschaftlich enz, Rentabilität und Planbarkeit herstellen unattraktiv erscheinen. Was dabei gänzlich können, dann heißt das auf die Weiter übersehen wird, ist das Potenzial, das in entwicklung von Produkten bezogen: Sie dieser Neuerung steckt. Schon zu einem beherrschen sehr gut die so genannte frühen Zeitpunkt ist eine neue Technologie Sustaining Innovation, also die Optimie- oft bereit für den Low End Market: Disrup rung bestehender Technologien und Pro- tive Technologien funktionieren tatsächlich dukte. Dass diese Strategie Diminishing oft erst einmal nur für niedrigere Ansprüche, Returns in der Performance-Steigerung der schaffen damit aber ganz neue Märkte. Produkte erzeugt – einen sinkenden Grenz- nutzen von weiteren Verbesserungen –, das Je größer ein Unternehmen nimmt man in Kauf. ist, desto weniger Innovation In Sachen Optimierung des Bestehenden pro Mitarbeiter gibt es leistet ein tayloristisches System also Eini- ges. Aber wie sieht seine Fähigkeit aus, gänz- Und da die neue Technologie – verglichen lich neue Technologien zu entdecken und zu mit der abflachenden Performance- nutzen? Technologien, die »neu ansetzen«, Steigerungskurve der alten Technologie – um Dinge ganz anders und viel besser zu idealerweise auch noch ein größeres machen? Wie gut kann der Taylorismus also Entwicklungspotenzial hat, dauert es oft disruptive Innovation? Nicht besonders gut, weniger lange als aus den Erfahrungen mit weil es zur Zeit der Innovation oft einen den Bestandstechnologien extrapoliert, bis Performance-Rückstand des neuen Produkts die neue Technologie auf High End-Niveau im Vergleich mit dem alten Produkt gibt. angekommen ist – und zwar zu deutlich Dass disruptive Technologien neu ansetzen, niedrigeren Kosten. Das bedeutet, dass die
Artenbildung Divergenz Millionen Jahre Abbildung 1: Kontinuierliche Evolution Instrumente, mit denen wir sehr erfolgreich Varianten bereithält für den Moment, in evolutionäre Verbesserung, inkrementelle dem sie benötigt werden. Bis dahin gibt es oder Sustaining Innovation steuern, syste- möglichst wenig Einschränkung der Varia- matisch das Erkennen, die angemessene bilität – denn sonst wäre ja kein »Vorrat« an Bewertung und die Förderung von disruptiv Varianten verfügbar. Schnelle Variation Neuem erschweren, wenn nicht gar unmög- ohne sicheres Ergebnis nennt man in der lich machen. Innovationsforschung »the fuzzy frontend of innovation«, also den wilden, ungeordne- 3. Evolution und Revolution ten, unscharfen Anfang von Innovation. Welches Verständnis von Veränderung und Wie aber kann ein solcher unscharfer Innovation steckt hinter diesen Metriken Anfang in der wirtschaftlichen Realität und was wäre ein angemessenerer Blick auf aussehen? disruptive Veränderung? Auch hier hilft ein Blick in die Natur. Das herkömmliche Bild Zum Beispiel wie das Projekt Palomar5, in der Evolution besagt: Kleinteilige Variation dem die Deutsche Telekom viel Geld ausgab, und stetige Anpassung ergeben einen ku- um 25 Menschen unter 25 Jahren aus aller mulativen Veränderungseffekt, bis dann Welt sechs Wochen lang völligen Freiraum irgendwann das Neue da ist. Tatsächlich zu geben, alles Mögliche zu erfinden und funktioniert die Evolution anders: Der auszuprobieren. Es kam zwar kein Produkt »Normalfall« ist die schnelle, geradezu für die Telekom heraus, dafür aber ein wilde Variation innerhalb weniger Genera Interface-Innovator am MIT MediaLab, eine tionen, die sich bei gleichbleibenden Rah- NGO, die über Satelliten Breitband-Internet menbedingungen langfristig »ausmittelt«. in die so genannte Dritte Welt bringen will, Neues entsteht also dadurch, dass Bildungsinnovationen, Unternehmensgrün- dauernde, schnelle Variation »passende« dungen, Maker Spaces in Ägypten, der
21 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Artenbildung Divergenz Millionen Jahre Abbildung 2: Sprunghafte Evolution Startup Compass im Silicon Valley und tion, Nischenmärkte – oft genug garniert dergleichen mehr. mit der Attitüde des Anti-Taylorismus. Es sind zwei Welten, zwischen denen kaum 4. Mind the gap! eine Verbindung besteht und die ganz unter- Da liegt natürlich die Frage nahe, ob man schiedliche Stärken in ihrer Beziehung zur ein solches Fuzzy Frontend nicht überall Umwelt haben: Dem »stahlharten Gehäuse« einbauen kann. Erinnern wir uns an die mit seiner Rationalität und Vorhersagbar- skalierungsorientierten, tayloristischen keit stehen Anpassbarkeit und Innovativität Strukturen »konventioneller« Unternehmen der informellen Strukturen gegenüber. und deren Kennzahlen, liegt die Antwort Deutlicher können Inkompatibilitäten kaum Nahe: Nein, das Fuzzy Frontend ist prima ausfallen. facie inkompatibel mit dem Backend einer tayloristischen Struktur. Denn diese zeichnet 5. Dimensionen und Differenzen sich aus durch Hierarchien in der Organisa- So muss die nächste Frage lauten: Was ist der tionsstruktur und in den Arbeitsbeziehungen, Kern dieser Inkompatibilitäten, was sind feste Grenzen zwischen Unternehmen, hinter den Oberflächenphänomenen die defi- eigentumsförmige Organisation der produ- nierenden Merkmale der beiden konträren zierten und gehandelten Güter, Mitarbeit Modelle? Oder anders gefragt: In welchen auf Basis extrinsischer Motivation (Geld!) Dimensionen kann man die Natur dieser und einen Massenmarkt, für den entwickelt Modelle begreifen und wie sind sie jeweils und produziert wird. ausgeprägt? Mein Vorschlag wäre es, drei Dimensionen näher zu betrachten. Dem steht am »unscharfen Ende« ein ganz anderer Entwurf gegenüber: offene Netz- Dimension 1: Strukturen werke, Gemeingüter, intrinsische Motiva Wie ist (Zusammen-)Arbeit im jeweiligen
Modell organisiert und formalisiert – for- scheidung: neue Unternehmen ausgründen, mell, rigide, hierarchisch oder informell, die disruptive Technologien unbehindert flexibel, netzwerkartig? von der »alten« Struktur entwickeln können. Dimension 2: Anreize und Anreizsysteme Option 2: »Podularisierung« Welches Verhalten wird jeweils belohnt? Von David Gray in The Connected Company Vorhersagbarkeit oder Kreativität, Fehler- skizziert: statt einer Gesamt-Hierarchie vermeidung oder Mut? Welche (Partikular-) autonome, cross-funktionale Einheiten Interessen werden wie bedient oder geför- (»Pods«) rund um (neue) Produkte etablie- dert? Wie begrenzt (»bounded«) ist die von ren und diese Einheiten nur lose und netz- Weber geforderte und intendierte Rationali- werkartig verknüpfen. tät im jeweiligen System? Wie weit driften individuell-rationale Nutzenmaximierung Option 3: Social Capital und Structural und die Maximierung des Gesamt- bzw. Holes nutzen Unternehmensnutzens auseinander? Vorgeschlagen von Ronald S. Burt: Wenn Innovation durch Verknüpfung unterschied- Das führt auch zu Dimension 3: licher Perspektiven entsteht, dann helfen Menschen! Personen, die diese Verbindung herstellen. Mit wem und für wen arbeitet man? Welcher Diese Broker zwischen unterschiedlichen Typ Mitarbeiter setzt sich durch, welcher ist Netzwerken sollte man suchen und fördern. die Norm? Und genauso wichtig sind die individuellen Beiträge Einzelner. So entste- Option 4: »Bunte Zettel und wilde hen durch und während Skalierung ganz Methoden« unterschiedlich innovationsfreudige Syste- Aus dem Fundus von Lean Startup, Agile me und Erfindungskontexte – durch Struk- Development und Design Thinking: Metho- turen, Anreizsysteme und Menschen. den und Arbeitsweisen, die rigide Denk- strukturen aufbrechen und mit denen man 6. Trotz allem: Lösungen Lernen lernt. Wie dann mit diesen unterschiedlichen Systemen und Kontexten umgehen? Wie als Option 5: Arenen gewachsenes, skaliertes, großes Unterneh- Arenen, die als geschützter Raum die unter- men auch disruptive Innovation möglich schiedlichen Kulturen in einen Austausch machen und fördern, statt sie zu ersticken? bringen und experimentelle Verknüpfungen Ist das überhaupt möglich? Vielleicht ja – schaffen, und die man dann auch außerhalb ein paar Optionen sollte man sich zumin- nutzen kann, beispielsweise als Teil von dest genauer ansehen. Open-Innovation-Prozessen. Option 1: Spin-Offs Option 6: Immersion Vorschlag von Clayton Christensen, dem Selbst in das Fuzzy Frontend eintauchen, »Erfinder« der sustaining/disruptive-Unter- um wie ein Austauschschüler Kultur und
23 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Sprache unmittelbar zu erleben und nach- und Muster-Entrepreneur Elon Musk als haltig zu lernen. Wenn das mehr sein soll Hauptproblem wachsender Unternehmer als Theater oder Urlaub, dann erfordert ein beschreibt: »A lot of companies, typically solcher Ansatz aber ein ernsthaftes Sich- as they get bigger, tend to have a risk/ Einlassen und mutige Protagonisten. reward asymmetry: failure is severely pu- nished and success is moderately awarded. 7. Urbanität und Unternehmen That’s not a good idea if you want to be Warum sollten diese Optionen funktionie- innovative because by its very nature inno- ren? Was haben sie gemeinsam, das sie vation will result in many attempts that aussichtsreich macht dafür, Wachstum und don’t work.« Innovativität zusammen zu bringen? Und das heißt am Ende: Was haben sie mit Und im Hinblick auf Menschen: Sie leisten Städten gemeinsam? sich mehr Perspektiven, Lebensentwürfe, Individualisten und am Ende mehr Spinner! Im Hinblick auf Strukturen: Sie sind netz- Denn auch wenn wir noch lange nicht genug werkartig und informell statt hierarchisch über die Mechanismen hinter Innovation und und rigide organisiert und fördern damit Skalierung wissen, können wir mit Geoffrey Vielfalt. West zumindest einen wesentlichen Unter- schied zwischen Städten und Unternehmen Im Hinblick auf Anreizsysteme: Sie beloh- benennen. Auf die Frage, warum größere nen Kreativität und haben einen Fokus auf Städte immer innovativer werden, Unter- Erfolgsbelohnung statt Fehlervermeidung. nehmen aber nicht, antwortet er: »Cities So entgehen sie dem, was PayPal-Prodigy tolerate crazy people. Companies don’t.«
Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Die Gore-Kultur – einmaliges Erfolgsrezept oder Blaupause für Unter- nehmen der Zukunft? von Dr. Sabine Martin Seit der Gründung im Jahr 1958 durch Bill Inzwischen sind mehr als 10.000 Gore, einem bis dahin bei DuPont beschäf Mitarbeiter (darunter über 1.000 Wissen- tigten Chemiker, und seine Frau Vieve schaftler und Techniker) an circa 30 hat sich das Unternehmen W. L. Gore & Standorten auf vier Kontinenten für Gore Associates als Innovationsführer mit einer im Einsatz. Sie engagieren sich dafür, auf Vielzahl von Produkten auf der Basis von neue Herausforderungen von Kunden PTFE (Teflon®) und anderen Fluorpoly adäquate Antworten zu finden – ständige meren etabliert. Neben den in der breiteren Innovation ist ein Kernelement der DNS Öffentlichkeit vor allem bekannten Marken von Gore. Gore-Tex® und Windstopper® für Outdoor- Bekleidung bietet Gore auch Produkte für Zum Selbstverständnis des Unternehmens den Medizinsektor und die Industrie an, oft gehört eine Unternehmenskultur, die »den in den Markt eingeführt als Lösungen, die Menschen in den Mittelpunkt stellt«. Von völlig neue Maßstäbe setzten und die Spiel- Anfang an war es den Gründern ein Anlie- regeln im Markt nachhaltig veränderten gen, im Unternehmen ein Arbeitsumfeld zu (disruptive Technologien). schaffen, das zu einem Menschenbild passt,
25 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Dr. Sabine Martin
wie es seinerzeit etwa von D. McGregor, werden vom ersten Tag an für Associates MIT, als »Theorie Y (vs. Theorie X)« pro- spürbar, erwartet, trainiert und gefördert. pagiert wurde: statt ständigem Anweisen, Antreiben und damit einhergehenden Nun ist Unternehmenskultur kein Selbst- Kontrollen, Sanktionen (um ein Maximum zweck bei W. L. Gore & Associates, ebenso an Leistung aus grundsätzlich für faul und wenig wie bei allen anderen Unternehmen. desinteressiert gehaltenen Untergebenen Bedenkt man, dass sie laut A. Kieser der herauszuholen) weitreichende Entfaltungs- wichtigste Einflussfaktor für Innovation ist, und Selbstbestimmungsmöglichkeiten für der das Innovationspotenzial im Unterneh- Mitstreiter (»Associates«), die sich mit men sowohl fördern als auch einschränken Sachverstand und Freude an der Arbeit oder gar ganz zum Erliegen bringen kann, (»make money and have fun doing so«) für so wird verständlich, dass bei Gore als die gemeinsamen Belange (»alle im selben einem technologiegetriebenen Unter Boot«) einsetzen. nehmen die Suche nach der passenden Unternehmenskultur von Anfang an ein Dieses Leitbild ist bei Gore nicht auf die wesentliches Thema war. Denn wie schafft typischen kreativen bzw. innovativen man es, innovationsstarke Mitarbeiter Funktionsbereiche wie Forschung und anzuziehen (und zu halten) und ihr Innova- Entwicklung beschränkt. Vielmehr gelten tionspotenzial optimal zu nutzen? Oder die daraus abgeleiteten Prinzipien und umgekehrt gefragt: Was motiviert helle weiteren Elemente der Unternehmenskul- Köpfe, ins Unternehmen zu kommen und tur ausnahmslos für alle Beschäftigten und dort ihr Bestes zu geben?
27 Macht | Vom Innovationskiller Macht zur Zukunft der Arbeit Nach H.-J. Warnecke geht es beim Thema Lieferanten etc. fair zu verhalten – das Unternehmenskultur um drei Grundfragen: betrifft den Umgangsstil (direkte, offene • Wie sind die Arbeitsbedingungen? Kommunikation) ebenso wie zum Beispiel • Wie wird geführt? die Ausgestaltung von Verträgen mit exter- • Wie geht man miteinander um? nen Partnern. Auf diese Fragen hat Bill Gore mit der Commitment Aufstellung von vier Grundprinzipien Statt Aufträge zugeteilt zu bekommen, legt geantwortet. Was bedeuten sie für jeden jeder Associate selbst seine Aufgaben fest – Einzelnen im Unternehmen? unter Berücksichtigung der Anforderungen des Geschäfts neben den individuellen Freiheit Fähigkeiten und Interessen. Und, ganz Jeder Associate darf (und sollte nach Mög- entscheidend, er verpflichtet sich, diese lichkeit) sein Wissen vergrößern und seinen Commitments einzuhalten. Verantwortungsbereich erweitern – aus Unternehmenssicht die Voraussetzung für Waterline Kreativität und Innovation. Was es nicht Bei allen Aktionen, die den guten Ruf, den heißt: Jeder kann tun und lassen, was ihm Erfolg oder die Existenz des Unternehmens beliebt. schwer schädigen bzw. gefährden könnten, wird vom Associate erwartet, dass er sich Fairness – nach innen wie nach außen mit fachkundigen anderen Associates berät. Jeder im Unternehmen ist gehalten, sich Einerseits wird das individuelle Handeln gegenüber anderen Associates und Kunden, durch dieses Prinzip begrenzt, andererseits
wird der Einzelne bei schwierigen Entschei- dungen entlastet, da die Verantwortung nicht allein auf seinen Schultern ruht. Die Umsetzung dieser Prinzipien im Unter- nehmensalltag – ständige Forderung und Herausforderung an jeden Einzelnen – ist der Schlüssel zum Erfolg von Gore. Das heißt, zur Verwirklichung der strategischen Unternehmensziele • kontinuierlich neue, einzigartige und hochwertige Produkte für die Kunden zu entwickeln, • den Ruf von Gore als High-Tech-Unterneh- men weiter auszubauen, • alles zu tun, dass Gore die geeigneten Mitar- beiter hat – heute und in der Zukunft – und • dafür zu sorgen, dass Gore für jeden Asso- ciate ein »Great Place to Work« ist. • Personal development plan • »Sweet spot«-Ansatz bei Festlegung der Die Praxis: »Great Place to Work« Commitments • dicht vernetzte, gitterähnliche Organi- sation Die Gore-Unternehmenskultur ist weder • direkte 1:1-Kommunikation ein einmaliges Erfolgsrezept noch eine • »No ranks, no titles« Blaupause, die man einfach 1:1 auf andere • kleine Werke (maximal 200 Associates) Organisationen übertragen kann. Aber sie • kleine Teams kann als Inspirationsquelle für andere • Teambüros, offene (Glas-)Türen Unternehmen dienen, die angesichts von • »Natural leaders« statt Chefs Herausforderungen wie Mitarbeitergewin- • selbst gewählte Sponsoren für jeden nung und Innovationsfähigkeit nach neuen Associate Wegen suchen. Manche der bei Gore erprob- • »Contribution & compensation process« ten Kulturelemente lassen sich sicherlich mit Peer-Ranking ohne große Probleme auch in anderen • DIY-/Hands-on-Kultur (z. B. keine persön- Unternehmen einführen und können relativ lichen Assistentinnen) rasch Wirkung zeigen (»low hanging fruit«): • Common Sense / Augenmaß-Prinzip • Eigen-/Teamverantwortung: z. B. Arbeits- • »Travel investment reports« platz-, -zeitorganisation, Vertrauens- • Vertrauensarbeitszeit arbeitszeit • 10-15 Prozent frei gestaltbare Zeit • direkte Kommunikation: passende Begeg-
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