AUSGEWÄHLTE FÄLLE DER ANLASSGESETZGEBUNG IM ÖSTERREICHISCHEN STRAFRECHT IM ZUGE DER STRAFGESETZNOVELLE - JKU ePUB
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AUSGEWÄHLTE FÄLLE DER Eingereicht von ANLASSGESETZGEBUNG Jakob Karlinger Angefertigt am IM ÖSTERREICHISCHEN Institut für Strafrechtswissenschaften STRAFRECHT IM ZUGE Beurteiler / Beurteilerin Ass. Prof.in Mag.a Dr.in Ingrid Mitgutsch DER Jänner 2020 STRAFGESETZNOVELLE 2017 Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Ort, Datum Linz, 20.01.2020 Unterschrift 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 2/47
Inhaltsverzeichnis I. Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................... 5 II. Einleitung.............................................................................................................................. 7 III. Der Begriff „Anlassgesetzgebung“ ........................................................................................ 8 IV. § 91a ivm § 83 Abs 3 StGB................................................................................................. 10 1. Gesetzestexte .............................................................................................................. 10 2. Entstehungsgeschichte ................................................................................................ 10 3. Tatbestand des § 91a StGB ......................................................................................... 11 4. Tatbestand des § 83 Absatz 3 StGB ............................................................................ 13 5. Kritik............................................................................................................................. 14 a) Systematische Einordnung ................................................................................... 15 b) Einzig schützenswerte Personengruppe? ............................................................. 16 c) Strafdrohung ......................................................................................................... 17 6. Zwischenfazit und Ausblick .......................................................................................... 19 V. § 247a StGB ....................................................................................................................... 21 1. Gesetzestext ................................................................................................................ 21 2. Entstehungsgeschichte ................................................................................................ 22 3. Tatbestand des § 247a StGB ....................................................................................... 23 4. Kritik............................................................................................................................. 28 a) Erforderlichkeit der Norm ...................................................................................... 29 b) Unbestimmtheit der Norm ..................................................................................... 31 c) Vorverlagerung der Strafbarkeit ............................................................................ 34 d) Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art 10 EMRK?..................... 35 5. Zwischenfazit und Ausblick .......................................................................................... 36 VI. § 218 Abs 2a StGB ............................................................................................................. 38 1. Gesetzestext ................................................................................................................ 38 2. Entstehungsgeschichte ................................................................................................ 38 3. Tatbestand des § 218 Abs 2a StGB ............................................................................. 39 4. Kritik............................................................................................................................. 41 a) Strafdrohung ......................................................................................................... 41 b) Vorsatzgrad .......................................................................................................... 43 5. Zwischenfazit und Ausblick .......................................................................................... 44 VII. Fazit ................................................................................................................................... 45 VIII. Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 46 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 3/47
1. Lehrbücher................................................................................................................... 46 2. Kommentare ................................................................................................................ 46 3. Aufsätze in Zeitschriften ............................................................................................... 47 IX. Judikaturverzeichnis ........................................................................................................... 47 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 4/47
I. Abkürzungsverzeichnis aA anderer Ansicht Abs Absatz aF alte Fassung AI Amnesty International AnwBl Anwaltsblatt Art Artikel BGBl Bundesgesetzblatt BlgNR Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrats BMI Bundesministerium für Inneres BT Besonderer Teil des Strafgesetzbuches bzw beziehungsweise Dr Doktor/in EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EisBG Eisenbahngesetz 1957 EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ErläutRV Erläuternde Anmerkungen zur Regierungsvorlage EU Europäische Union f folgend ff fortfolgend FN Fußnote GP Gesetzgebungsperiode hA herrschende Ansicht idgF In der geltenden Fassung insb insbesondere iSd Im Sinne des iVm in Verbindung mit JSt Journal für Strafrecht KflG Kraftfahrliniengesetz ME Ministerialentwurf Nr Nummer OGH Oberster Gerichtshof ÖIF Österreichischer Integrationsfonds OStA Oberstaatsanwaltschaft Pkt Punkt RIS Rechtsinformationssystem des Bundes 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 5/47
RIV Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter Rsp Rechtsprechung RV Regierungsvorlage Rz Randziffer SbgK Salzburger Kommentar SchFG Schiffahrtsgesetz SN Stellungnahme SPG Sicherheitspolizeigesetz StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung ua unter anderem UK United Kingdom of Great Britian and Northern Ireland Univ Prof Universitätsprofessor USA Vereinigte Staaten von Amerika Z Ziffer zB zum Beispiel 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 6/47
II. Einleitung Verfolgt man die Medienlandschaft in Österreich, so ist immer wieder zu erkennen, dass gewisse Themen über einen vermeintlich nicht enden wollenden Zeitraum die Schlagzeilen des Landes beherrschen. Handelt es sich dabei um Fälle von strafrechtlicher Relevanz, werden in der Gesellschaft oftmals sehr schnell Stimmen laut, die ein härteres und strengeres Vorgehen des Staates fordern. Der österreichische Gesetzgeber kommt solchen Forderungen immer wieder nach.1 Speziell in naher Vergangenheit wurde in Änderungen des österreichischen Strafgesetzbuches immer wieder eine bloße Reaktion auf eine allgemeine, gesellschaftliche Empörung gesehen. 2017 gab es in Österreich eine Strafgesetznovelle,2 welche einige neue Änderungen im StGB mit sich brachte. Mit ihr wollte man, unter anderem, auf vermehrt auftauchende Angriffe gegenüber Lenkern und Kontrolleuren von öffentlichen Verkehrsmitteln3 oder das sehr stark zunehmende Phänomen der Staatsverweigerer4 reagieren. Zusätzlich sollte auch im Bereich der Sexualdelikte einigen bedenklichen Entwicklungen entgegengewirkt werden.5 Es sei vorweggenommen, dass Produkte solcher Reaktionen des Gesetzgebers auf neu auftauchende Phänomene in der österreichischen Gesellschaft nicht immer die sachlich vertretbarste Lösung darstellen. Zumeist sind solche Gesetzesvorhaben bereits im Rahmen ihrer Entstehung mit starker Kritik konfrontiert und werden von Grund auf in Frage gestellt. Diese Arbeit soll deshalb zum Ziel haben, anhand ausgewählter Fälle zu erläutern, warum und von wem die jeweiligen Erneuerungen kritisiert werden. Darüber hinaus soll versucht werden herauszufinden, inwieweit die Kritik berechtigt ist und wie die Entwicklung der jeweiligen Straftatbestände im österreichischen Strafgesetzbuch in Zukunft aussehen wird. 1 Als Beispiel hierzu kann etwa die Einführung des § 218 Abs 1a StGB genannt werden. Die Rsp subsumierte vor Einführung dieses Tatbestandes etwa ein Streicheln am Gesäß oder an den Oberschenkeln einer anderen Person nicht unter eine sexuelle Belästigung iSd § 218 StGB (RIS--Justiz RS0095204). Nach großem medialem Aufschrei wurde § 218 Abs 1a StGB, welcher nun diese Fälle erfasst, mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (BGBl I Nr 112/2015) eingefügt. 2 Strafgesetznovelle 2017 BGBl I Nr 117/2017. 3 § 91a iVm § 83 Abs 3 StGB. 4 § 247a StGB. 5 Vor allem sexuelle Übergriffe an Frauen im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen oder das unter Jugendlichen immer mehr auftauchende Phänomen des „Sexting“ sollten mit der Novelle bekämpft werden. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 7/47
III. Der Begriff „Anlassgesetzgebung“ Durchsucht man die juristische Fachliteratur, ist es schwer eine einheitliche und klare Definition des Begriffes der Anlassgesetzgebung zu finden. Dies ist in gewisser Weise überraschend, da der Begriff sowohl in juristischen Texten6 als auch in den Medien7 immer wieder verwendet wird. Einen ausführlichen Versuch, diesen Begriff terminologisch einzuordnen, unternimmt die österreichische Rechtsanwaltskammer in ihrem elektronisch geführtem Rechtswörterbuch. Demnach bezeichnet Anlassgesetzgebung eine „durch Hektik geprägte, überstürzte und damit meist unsystematische gesetzgeberische Reaktion unter dem Einfluss einer durch ein auslösendes Ereignis hervorgerufenen öffentlichen Diskussion und massiver Medienberichterstattung zu diesem Thema.“8 Auffallend ist, dass in erwähntem Rechtswörterbuch im Anschluss an die genannte Definition sofort Kritik an einem derartigen gesetzgeberischen Vorgehen geübt wird. Dem Gesetzgeber wird vorgeworfen, in derartigen Situationen undurchdacht zu handeln oder lediglich die öffentliche Empörung in diesen Fällen zu befriedigen. Darüber hinaus wäre man bei einer objektiveren und sachlicheren Betrachtung des Themas zu einer negativen Beurteilung der jeweiligen Gesetzesänderung gekommen.9 Diese kritische Einstellung gegenüber Ergebnissen solcher „Schnellschüsse“ des Gesetzgebers besteht jedoch nicht nur bei den Anwälten in der Praxis, sondern zieht sich auch durch die Politik des Landes Österreich. 2015 gab es unter dem damaligen Justizminister Univ. Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter eine Strafgesetznovelle,10 deren Ziel es sein sollte, den Veränderungen in den Werthaltungen der Allgemeinheit, die in gewisser Weise die Strafdrohungen des gerichtlichen Strafrechts wiederspiegeln, nicht punktuell nach Art einer Anlassgesetzgebung entgegenzuwirken.11 Das Bemühen, zumindest im Strafrecht, einer Anlassgesetzgebung in Zukunft aus dem Weg zu gehen, kann der Politik hier somit nicht ganz abgesprochen werden. Dennoch erscheint die Kritik weiterhin als berechtigt, da die Vergangenheit bereits gezeigt hat, dass solche Gesetzesänderungen, die als Reaktion auf große öffentliche Empörung Einzug in das StGB erhielten, in weiterer Folge wieder entfernt 6 Mitgutsch, Die "Kampfhunderegelung" des § 81 Abs 1 Z 3 StGB --– ein Fall unnötiger Anlassgesetzgebung?, JSt 2005, 111;; Moser/Matejka, Justiz zeitgemäß gestalten, AnwBl 2018, 230. 7 https://www.diepresse.com/3897684/stgb--2015--weniger--haftstrafen--zu--erwarten, 2014 zuletzt abgerufen 10.12.2019;; https://www.derstandard.at/story/2000059546457/zweifel--an--strafrechtsaenderungen, 2017 zuletzt abgerufen 10.12.2019. 8 Rechtswörterbuch der österreichischen Rechtsanwälte, http://www.rechtsanwaelte.at/buergerservice/infocorner/rechtswoerterbuch//definition/anlassgesetzgebung/, zuletzt abgerufen 08.12.2019. 9 Siehe FN 7. 10 Strafrechtsänderungsgesetz 2015 BGBl I Nr 112/2015. 11 ErläutRV 689 BlgNR 25. GP 1. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 8/47
wurden, da diese, wie sich in der Entwicklung nach in Kraft treten der Norm herausstellte, nur wenig Praxisrelevanz aufwiesen.12 Zwei Jahre nach der Strafgesetznovelle 2015 erhielten mit der Strafgesetznovelle 201713 erneut einige Straftatbestände Einzug in das StGB, die sich den Vorwurf einer Anlassgesetzgebung gefallen lassen müssen. Somit wurden die Bemühungen und Versprechen der Novelle 2015 in dieser Hinsicht nicht umgesetzt.14 Wenig überraschend wurde einigen der angesprochenen Tatbestände von den verschiedensten Seiten mit harscher Kritik begegnet. Im Folgenden werden die angesprochenen neuen Tatbestände systematisch aufgelistet. Zunächst wird ein kurzer Blick auf den Gesetzestext und die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Norm geworfen. Anschließend werden die Voraussetzungen einer Strafbarkeit des betroffenen Tatbestandes erläutert. Danach werden die Stimmen der verschiedenen Kritiker an diesen zusammengetragen und unterteilt. Darüber hinaus soll noch eruiert werden, ob sich die behandelten Straftatbestände im österreichischen Strafgesetzbuch in Zukunft behaupten können. 12 So wurde zum Beispiel die Qualifikation des § 81 Abs 1 Z 3 aF StGB, welche im Jahr 2001, aufgrund von sich häufenden Angriffen durch Hunde auf Kinder zu dieser Zeit, ihren Einzug ins StGB erlangte (BGBl I Nr 130/2001), im Zuge der Strafgesetznovelle 2015, mit der der Tatbestand des § 81 aF StGB grundlegend geändert wurde, entfernt. Argumentiert wurde damit, dass die bisherige Z 3 dieser Strafnorm aufgrund mangelnder Relevanz in der Praxis entfallen könne (ErläutRV 689 BlgNR 25. GP 7). 13 Siehe FN 2. 14 Pilnacek, Standard vom 20.06.2017, https://www.derstandard.at/story/2000059546457/zweifel--an-- strafrechtsaenderungen, zuletzt abgerufen 08.12.2019. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 9/47
IV. § 91a iVm § 83 Abs 3 StGB 1. Gesetzestexte Um beim Lesen der Arbeit den herausgearbeiteten Kritikpunkten folgen zu können, empfiehlt es sich zunächst einen Blick auf die Gesetzestexte der zu behandelnden Normen zu werfen. Diese lauten wie folgt: Körperverletzung § 83. (1) Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt oder an der Gesundheit schädigt. (3) Wer eine Körperverletzung nach Abs. 1 oder 2 an einer Person, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist, während oder wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit begeht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Tätlicher Angriff auf mit bestimmten Aufgaben betraute Bedienstete einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt § 91a. (1) Wer eine Person, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist, während der Ausübung ihrer Tätigkeit tätlich angreift, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Der Täter ist nach Abs. 1 nicht zu bestrafen, wenn die Person zu der Kontroll- oder Lenkungstätigkeit ihrer Art nach nicht berechtigt ist oder diese gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt. 2. Entstehungsgeschichte Mit der Strafgesetznovelle 2017 wurden mit § 83 Abs 3 und § 91a StGB an zwei Stellen des StGB Tatbestände eingefügt, die Personen, welche mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut sind, besonders schützen sollen. Zum einen wurde mit § 83 Abs 3 StGB eine Qualifikation im Rahmen des Körperverletzungstatbestandes in § 83 StGB geschaffen, welche mit § 84 Abs 2 StGB vergleichbar ist,15 zum anderen wurde mit § 91a StGB eine neue Norm eingefügt, die den vorsätzlichen, tätlichen Angriff auf das in § 91a StGB genannte Tatobjekt16 pönalisiert. Genannte Norm bildet zugleich Vorsatz-- und schlichtes Tätigkeitsdelikt.17 Der Gesetzgeber wollte mit diesen Bestimmungen einen strafrechtlichen 15 Birklbauer/Hilf/Tipold,Strafrecht Besonderer Teil I4 § 83 Rz 25. 16 Siehe dazu Pkt IV. 3. Tatbestand des § 91a StGB. 17 B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 1. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 10/47
Schutz vor stetig steigender Gewaltbereitschaft gegenüber diesen Personen erreichen18 und darauf reagieren, dass in der Vergangenheit vermehrt tätliche Übergriffe auf mit der Lenkung oder Kontrolle betraute Personen in Massenbeförderungsmitteln vorgekommen sind.19 Die Rechtfertigung, einen derart hohen Schutz für gerade diese Berufsgruppe zu installieren, wurde darin gesehen, dass die von Aggressionen betroffenen Mitarbeiter in solchen Situationen zumeist auf sich allein gestellt und weitgehend schutzlos seien. Dazu würde kommen, dass bei Tätigkeiten in Massenbeförderungsmitteln oftmals keine Möglichkeit einer schnellen Intervention durch Exekutivkräfte möglich wäre.20 § 91a und § 83 Abs 3 StGB traten mit 01.09.2017 in Kraft.21 3. Tatbestand des § 91a StGB Nach § 91a StGB macht sich jemand strafbar, der eine Person, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder die mit der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist, während der Ausübung ihrer Tätigkeit tätlich angreift. Als Tatobjekt kommt somit eine Person in Frage, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist. Vereinfacht gesagt unterliegen dem Schutzbereich dieser Norm Fahrer und Kontrolleure eines Massenverkehrsmittels.22 Um als Fahrer in den Genuss des Schutzes dieser Strafbestimmung zu kommen, ist vorausgesetzt, dass ein Beförderungsmittel gelenkt wird. Unter dem Lenken eines Beförderungsmittels ist die Führung und Steuerung, also die Bestimmung der Fahrtrichtung oder der Geschwindigkeit des Beförderungsmittels zu verstehen.23 Das Lenken umfasst nicht nur die Inbetriebnahme und mit dem Betrieb regelmäßig verbundene Tätigkeiten des Beförderungsmittels, sondern auch notwendige Vor-- und Nachbereitungsarbeiten des Lenkers.24 Da es auch schienen-- und seilgebundenen Verkehr gibt (Zug, Lifte, Seilbahnen), muss hier dem Begriff des Lenkens ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt werden. Es ist nicht vorausgesetzt, dass der Lenker an Bord des Beförderungsmittels tätig wird, vielmehr reicht es aus, wenn die Person einen Lift oder eine Seilbahn von einer Station aus bedient.25 Folgerichtig 18 ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 1. 19 ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 2. 20 Siehe FN 18. 21 BGBl I Nr 117/2017. 22 Tipold in Birklbauer/Hilf/Konopatsch/Messner/Schwaighofer/Seiler/Tipold, StGB Strafgesetzbuch Praxiskommentar (2018) § 91a Rz 3;; B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 3. 23 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch 2 (2018) § 91a Rz 20. 24 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 91a Rz 21. 25 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 91a Rz 20. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 11/47
können auch solche Personen als mit der Lenkung eines Beförderungsmittels iSd § 91a StGB betraut angesehen werden. Bei einem Kontrolleur iSd § 91a StGB handelt es sich um eine Person, die mit der Überprüfung der Beförderungsbedingungen26 beauftragt ist. Hierbei ist zusätzlich die aktive Einflussnahme des Kontrolleurs darauf umfasst, dass diesen Bestimmungen auch entsprochen wird.27 Schutzwürdig im Rahmen dieser Bestimmung sind die Lenker und Kontrolleure jedoch nur, wenn der Angriff zu einem Zeitpunkt geschieht, in dem sie ihre Tätigkeiten auch tatsächlich ausüben. Es wird ein gewisser zeitlicher Zusammenhang mit den Eigenschaften und Tätigkeiten als Lenker und Kontrolleur verlangt.28 Erfolgt beispielsweise ein tätlicher Angriff auf einen Fahrer während seiner kurzen Pause an einer Haltestelle, so würde man hier den erwähnten zeitlichen Zusammenhang annehmen und eine Strafbarkeit des Täters bejahen.29 Unter einem Massenbeförderungsmittel sind Verkehrseinrichtungen zu verstehen, die unabhängig von individuellen Bedarfslagen auf im Voraus festgelegten Strecken Personentransporte durchführen, welche grundsätzlich von jedermann in Anspruch genommen werden können.30 Um zu ermitteln, ob im konkreten Fall ein Unternehmen im Rahmen eines öffentlichen Personenverkehrs tätig wird, sind die einschlägigen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen. Aus diesen Vorschriften lassen sich grundsätzlich zwei Charakteristika eines öffentlichen Personenverkehrs ableiten. Zum einen wird eine 31 Beförderungspflicht gegenüber der Allgemeinheit, zum anderen eine verpflichtende Veröffentlichung eigener Beförderungsbedingungen32 für die Unternehmen normiert. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist eine Tätigkeit im Rahmen des öffentlichen Personenverkehrs iSd § 91a StGB gegeben. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei einer individuellen Bereitstellung von Personentransporten für einzelne oder für Gruppen zur Deckung eines spezifischen Beförderungsbedarfes (zB Taxis oder die Anmietung von Bussen für Reisegruppen) nicht um die Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt.33 26 In Österreich sind für die Erbringung von Leistungen des öffentlichen Personenverkehrs vom jeweiligen Anbieter Beförderungsbedingungen zu erstellen, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Für den Kraftfahrlinienverkehr werden diese gem § 46 Z 4 Kraftfahrliniengesetz BGBl I Nr 203/1999 vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie als Verordnung erlassen. 27 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 91a Rz 15. 28 Tipold in B/H/K/M/S/S/T, StGB Praxiskommentar § 91a Rz 4;; Bertel/Schwaighofer/Venier, Österreichisches Strafrecht, Besonderer Teil I14 § 91a Rz 3. 29 B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 4. 30 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 91a Rz 9. 31 § 2 Eisenbahngesetz 1957 BGBl Nr 60/1957;; § 84 Abs 3 Schiffahrtsgesetz BGBl I Nr 62/1997;; § 1 Abs 1 Kraftfahrliniengesetz BGBl I Nr 203/1999. 32 §§ 22 ff EisbG;; § 84 Abs 2 SchFG;; § 32 KflG. 33 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 91a Rz 11. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 12/47
Die Tathandlung ist das tätliche Angreifen. Darunter wird eine gegen den Körper gerichtete Tätlichkeit, die dem Opfer Schmerzen bereitet oder bereiten soll, verstanden. 34 Dabei muss es nicht zu einer unmittelbaren Berührung zwischen Angreifer und Opfer kommen, sondern es ist ausreichend, dass die Tätlichkeit mittelbar erfolgt.35 Somit liegt ein tätlicher Angriff auch bereits dann vor, wenn Gegenstände nach dem Fahrer oder Kontrolleur geworfen werden.36 Die Tätlichkeit ist bereits mit dem Angriff vollendet. Aufgrund der Ausgestaltung des § 91a StGB als schlichtes Tätigkeitsdelikt kommt es im Rahmen dieser Bestimmung nicht auf einen Erfolgseintritt an.37 Kommt es zu einer Verletzung und somit zu einem Erfolgseintritt so haftet der Angreifer nach § 83 Abs 2 und 3 StGB, weil der vorsätzliche tätliche Angriff eine vorsätzliche Misshandlung darstellt.38 Hinsichtlich der subjektiven Tatseite wird beim Täter zumindest bedingter Vorsatz auf den tätlichen Angriff und die Eigenschaft des Opfers, dass dieses im Tatzeitpunkt ihrer Tätigkeit als Lenker oder Kontrolleur nachkommt, verlangt.39 4. Tatbestand des § 83 Absatz 3 StGB Die Normen des § 91a StGB und des § 83 Abs 3 StGB sind eng miteinander verbunden. Wie oben erwähnt kommt es bei erstgenannter Norm nicht darauf an, dass ein Verletzungserfolg eintritt. Hat der tätliche Angriff dennoch eine Körperverletzung zur Folge, so tritt § 91a StGB im Wege einer Konsumtion gegenüber § 83 Abs 2, Abs 3 StGB zurück.40 Handelt der Täter jedoch mit Verletzungsvorsatz, so kommt nur eine Strafbarkeit nach § 83 Abs 1, Abs 3 StGB in Betracht.41 Grundvoraussetzung für eine Strafbarkeit nach der Qualifikation des § 83 Abs 3 StGB ist somit immer eine Körperverletzung iSd § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB.42 Hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale kann auf die Ausführungen zu § 91a StGB verwiesen werden.43 Auch die Qualifikation des § 83 Abs 3 StGB verlangt als Tatobjekt eine Person, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist. Die Kriterien, ob das Lenken eines Massenbeförderungsmittels oder die Kontrolle der Einhaltung der 34 B/S/V, Österreichisches Strafrecht BT I14 § 91a Rz 3. 35 Tipold in B/H/K/M/S/S/T, StGB Praxiskommentar § 91a Rz 6. 36 B/S/V, Österreichisches Strafrecht BT I 14 § 91a Rz 3;; B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 6. 37 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht Allgemeiner Teil15 Z 9, Rz 14. 38 Tipold in B/H/K/M/S/S/T, StGB Praxiskommentar § 91a Rz 6;; B/S/V, Österreichisches Strafrecht BT I14 § 91a Rz 3;; B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 6. 39 B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 7;; B/S/V, Österreichisches Strafrecht BT I 14 § 91a Rz 4. 40 RIS-Justiz RS0092960;; B/H/T, Strafrecht BT I4 § 91a Rz 6. 41 Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 91a Rz 37. 42 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 83 Rz 41. 43 Siehe dazu Pkt IV. 3. Tatbestand des § 91a StGB. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 13/47
Beförderungsbedingungen im Rahmen einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt erfolgen, sind dieselben. Zusätzlich muss die Tat genauso während oder wegen der Ausführung der Tätigkeit des Lenkers oder des Kontrolleurs ausgeübt werden. Als subjektives Erfordernis muss für eine Strafbarkeit nach § 83 Abs 3 StGB jedoch entweder Verletzungs-- oder Misshandlungsvorsatz im Stärkegrad des dolus eventualis gegeben sein. Zusätzlich wird auch hier der Vorsatz auf die Tätigkeit der Person als Lenker oder Kontrolleur und den Zusammenhang dieser Eigenschaft mit der Ausführung ihrer Tätigkeit verlangt.44 5. Kritik Der Ursprung der Strafgesetznovelle 2017 liegt, wie bei grundsätzlich den meisten Gesetzesnovellierungen, in einem Ministerialentwurf. Ein solcher entsteht in einem Ministerium. Bevor der Ministerrat dem Entwurf zustimmt und dieser im Rahmen einer Regierungsvorlage zur Behandlung an den Nationalrat gelangt, durchläuft er grundsätzlich ein Begutachtungsverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens wird jeglichen Interessensvertretungen aus den unterschiedlichsten Bereichen die Möglichkeit eingeräumt, Stellungnahmen zu dem Entwurf abzugeben. Zum Ministerialentwurf, welcher der Strafgesetznovelle 2017 zugrunde liegt, sind mit Ende der Begutachtungsfrist am 03.04.2017 68 Stellungnahmen fristgerecht eingelangt. 45 Allein diese hohe Anzahl an Stellungnahmen lässt die Annahme zu, dass viele der vorgeschlagenen Änderungen, die im Zuge der Novelle passieren sollten, durchaus auf Gegenstimmen stießen. Sehr viele dieser Stellungnahmen bezogen sich auf die im Ministerialentwurf vorgeschlagene Einfügung eines neuen § 270a StGB im 19. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB. Um sofort jegliche Verwirrung im Keim zu ersticken muss erwähnt werden, dass besagter § 270a StGB im Ministerialentwurf dem Sinn nach jener Bestimmung entsprach,46 die bereits in der dem ME folgenden Regierungsvorlage unter § 91a StGB angeführt47 wurde. Aufgrund der starken Kritik hinsichtlich der Einordnung im StGB und der damit einhergehenden Systemwidrigkeit wurde der Platz der Norm im StGB dementsprechend geändert.48 Dieser Vorgang allein zeigt, dass sich ein überstürztes Vorgehen des Gesetzgebers zwangsläufig nicht nur zu Lasten der Qualität, bezogen auf Sachlichkeit und Objektivität einer 44 B/H/T, Strafrecht BT I4 § 83 Rz 26;; B/S/V, Österreichisches Strafrecht BT I14 § 83 Rz 11;; Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 83 Rz 46;; Tipold in B/H/K/M/S/S/T, StGB Praxiskommentar § 83 Rz 19. 45 ME Strafgesetznovelle 2017, 294/ME 25. GP. 46 294/ME 25. GP 2. 47 RV 1621 BlgNR 25. GP 1. 48 Siehe dazu Pkt IV. 5. a) Systematische Einordnung. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 14/47
Norm auswirken kann, sondern auch und vor allem auf die Systematik eines ganzen Gesetzes. Im Wesentlichen wurde dem Entwurf der neuen Norm in drei großen Punkten Mangelhaftigkeit vorgeworfen. Diese betreffen die systematische Einordnung, die geschützte Personengruppe und die Höhe der Strafdrohung der Norm. a) Systematische Einordnung Einen ersten Kritikpunkt rund um die Einführung des § 91a StGB stellte die systematische Einordnung der Norm in das österreichische Strafgesetzbuch dar.49 Wie zuvor bereits erwähnt sollte die Norm laut Ministerialentwurf zunächst in den 19. Abschnitt des BT eingebettet werden.50 Es sollte ein neuer § 270a StGB mit dem Titel „Tätlicher Angriff auf ein mit der Kontrolle oder Lenkung eines Massenbeförderungsmittels betrautes Organ“ nach § 270 StGB eingefügt werden.51 Die Kritik bezieht sich im Wesentlichen darauf, dass im 19. Abschnitt des BT die Delikte gegen die Staatsgewalt geregelt sind. Ein Massenbeförderungsmittel wird jedoch keinesfalls von der Staatsgewalt betrieben. Eine Einordnung des Tatbestandes wie im ME sei somit jedenfalls verfehlt.52 Primäres Ziel der Bestimmung sei es, die körperliche Integrität der Lenker und Kontrolleure zu schützen und nicht die Staatsgewalt. Schließlich handle es sich bei den genannten Personen gerade nicht um staatliche Organe, denen Hoheitsbefugnisse zukommen oder welche Gesetze oder Verordnungen vollziehen.53 In der Regel handelt es sich um Mitarbeiter ausgelagerter Unternehmen, die vom Staat beherrscht werden. Dies sei aber keine Situation, die mit den anderen Delikten des 19. Abschnitts vergleichbar wäre.54 Der Großteil der Stimmen forderte daher geschlossen die Einordnung dieser Norm in den Bereich des StGB, in dem der Schutz der körperlichen Integrität im Vordergrund steht. 55 Sollte somit eine derartige Norm überhaupt in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden, so müsste sie irgendwo im Bereich der Körperverletzungsdelikte ihren Platz finden. Schließlich sei ein übersichtliches, möglichst einfach verständliches und in seinen Wertungen konsistentes Strafgesetzbuch ein hohes Gut.56 Die hier dargestellten Überlegungen zeigen gut, welchen Aufschrei ein überschnelles Handeln in einem Ministerium hervorrufen kann. Wie wichtig eine solche Intervention für die Systematik des österreichischen Strafrechts ist, zeigt sich genau anhand dieses Beispiels. Die geplante 49 Tipold, Strafgesetznovelle 2017, Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, JSt 2017, 183. 50 Siehe dazu Pkt IV. 5. Kritik. 51 294/ME 25. GP 2. 52 Tipold, JSt 2017, 183;; Gießer 6/SN--294/ME 25. GP 8. 53 Epicenter Works, 7/SN--294/ME 25. GP 11;; OSta Innsbruck, 20/SN-294/ME 25. GP 6;; StA Wien 59/SN--294/ME 25. GP 6. 54 Tipold, 2/SN--294/ME 25. GP 7. 55 Tipold, 2/SN--294/ME 25. GP 8;; Epicenter Works, 7/SN--294/ME 25. GP 10 f;; Reindl--Krauskopf 47/SN--294/ME 25. GP 7. 56 Epicenter Works, 7/SN--294/ME 25. GP 11. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 15/47
Einordnung des § 270a StGB im Bereich der Delikte gegen die Staatsgewalt fand schließlich nicht statt. Vielmehr wurde der zahlreichen Kritik entsprochen und der Schutz von Lenkern und Kontrolleuren im Bereich der Delikte gegen Leib und Leben im ersten Abschnitt des BT, in Gestalt der § 91a und § 83 Abs 3 StGB, eingefügt.57 b) Einzig schützenswerte Personengruppe? Schon bei der Betrachtung des Gesetzestextes der § 91a und § 83 Abs 3 StGB könnte man sich die Frage stellen, warum genau die darin erwähnten Personen einem höheren Schutz im österreichischen Strafrecht unterworfen werden.58 Genau diese Überlegung bot eine sehr breite Angriffsfläche für weitere Kritik an den vorgesehenen Änderungen im ME. Auffallend ist vor allem, dass aus dem Bereich der Justiz gerade vor dieser Einschränkung sehr stark und eindringlich gewarnt wurde. Demnach würde eine Zunahme der Gewaltbereitschaft und Aggression im öffentlichen Raum auch andere Berufsgruppen betreffen.59 Es wurde somit speziell vor einer Überfrachtung der Strafgesetze mit anlassbezogenen Sonderstraftatbeständen gewarnt und darauf hingewiesen, dass Gewalt und Aggression mit den bereits zur Verfügung stehenden Straftatbeständen ausreichend bekämpft werden kann.60 Auch Vertreter der Wissenschaft schlugen in dieselbe Kerbe.61 Durchforstet man die einzelnen Stellungnahmen weiter, kann durchaus festgestellt werden, dass gar nicht so sehr die inhaltliche Ausgestaltung des neuen Tatbestandes im Vordergrund der Kritik stand. Man stellte teilweise sogar ausdrücklich außer Streit, dass die betroffene Personengruppe der Lenker und Kontrolleure im Alltag durchaus mit Gewalt oder Aggressionen konfrontiert wäre.62 Im Vordergrund der Kritik stand vielmehr die Sinnhaftigkeit einer derartigen Norm an sich, und zwar im Hinblick auf die Auswirkungen, die die Schaffung eines derartigen Tatbestands mit sich bringen könnte. Man hatte die Befürchtung, dass man durch eine derartige Änderung in gewisser Weise eine Büchse der Pandora öffnen werde und in Zukunft damit rechnen müsse, dass viele andere Berufsgruppen einen ähnlichen Sonderopferstatus fordern werden.63 Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich bereits während des Gesetzgebungsprozesses. Im selben Begutachtungsverfahren wurden von diversen Interessensvertretungen Stellungnahmen eingebracht, die eine Begrenzung der erhöhten Opferstellung auf die in § 91a und § 83 Abs 3 57 Tipold, Strafgesetznovelle 2017 --– Die Regierungsvorlage, JSt 2017, 278. 58 Siehe dazu Pkt IV. 2. Entstehungsgeschichte. 59 OSta Innsbruck, 20/SN--294/ME 25. GP 6 mit der Bezugnahme auf Lehrpersonal, Klinikpersonal, Handelsangestellte, Taxilenker, Briefträger oder Strom-- und Gasableser;; StA Wien 20/SN--294/ME 25. GP 6 mit Bezugnahme auf Ärzte in Psychiatrien oder Frauen, die alleine in der Nacht die U--Bahn benützen. 60 OSta Innsbruck, 20/SN-294/ME 25. GP 6;; OLG Graz 37/SN--294/ME 25. GP 3. 61 Tipold, JSt 2017, 183 f;; Pichler 61/SN--294/ME 25. GP 2. 62 OStA Wien 59/SN--294/ME 25. GP 5. 63 Pichler 61/SN--294/ME 25. GP 2. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 16/47
StGB genannten Personengruppen in Frage stellten und ihrerseits Forderungen nach erhöhtem Schutz durch das Strafgesetzbuch äußerten.64 Der Gesetzgeber hat sich hier offensichtlich nicht mit einer möglichen Forderung nach Erweiterung dieser Tatbestände auf andere Personengruppen auseinandergesetzt und muss daher damit rechnen, auch in Zukunft mit derartigen Anregungen verschiedenster Institutionen konfrontiert zu sein. Dies kann durchaus in einen unendlich erscheinenden Erweiterungsprozess der jeweiligen Normen im Strafgesetzbuch führen. An dieser Stelle kann durchaus noch erwähnt werden, was sich aus logischem Umkehrschluss ergibt. Natürlich werden die genannten Normen speziell von jener Seite gelobt, die in den Genuss der jeweiligen Bestimmungen kommen. Auffallend dabei ist jedoch, dass selbst die befürwortenden Interessensvertretungen zusätzlich für eine weitere Ausdehnung des Tatbestandes plädieren. So sollen beispielsweise vom Schutzbereich der § 91a und § 83 Abs 3 StGB, zusätzlich zu den Personen, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder die mit der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut sind, auch im Bahnhofbereich tätige Personen mitumfasst werden.65 c) Strafdrohung Im ME wurde für die Einführung des § 270a StGB zunächst eine Strafdrohung von bis zu zwei Jahren vorgesehen.66 Auch hinsichtlich dieses Vorhabens hagelte es von mehreren Seiten harsche Kritik. Ein großes Thema war erneut die Systematik, vor allem zur Frage, ob eine derart hohe Strafdrohung im Vergleich zu anderen, vergleichbaren, bereits existierenden Normen im StGB sachgerecht erscheint. Speziell eine Gegenüberstellung zu einer bestehenden, ähnlichen Norm des StGB würde zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen führen. So ist etwa in § 91 Abs 1 StGB (Raufhandel) auch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen, jedoch unter der objektiven Bedingung des Todeseintrittes des Opfers. Bei der Annahme einer Gleichwertigkeit des tätlichen Angriffs in § 91a StGB und der tätlichen Teilnahme in § 91 Abs 1 StGB wäre es äußerst fraglich, ob eine Kontrolleurstellung des Opfers einerseits, mit dem Tod des Opfers im Rahmen des § 91 Abs 1 andererseits, auch als gleichwertig angesehen werden kann.67 Zudem erscheint es wenig sachgerecht, einen Schwarzfahrer, welcher in der Hitze des Gefechts dem Kontrolleur einen Stoß verpasst, mit einer Strafdrohung von zwei Jahren 64 ÖIF, 8/SN--294/ME 25. GP 4 schlägt die Erweiterung auf Mitarbeiter des Österreichischen Integrationsfonds vor. Ebenso unter Bezugnahme auf ihre Mitarbeiter ÖGB 22/SN--294/ME 25. GP 2 und Österreichischer Bundesfeuerwehrverband 58/SN--294/ME 25. GP 1 f. 65 ÖBB--Holding AG 13/SN-294/ME 25. GP 1;; vida 12/SN-294/ME 25. GP 1 f;; BMI 44/SN--294/ME 25 GP 3. 66 ME Strafgesetznovelle 2017, 294/ME 25. GP 2 f. 67 Tipold, JSt 2017, 183;; Epicenter works 7/SN--294/ME 25. GP 9;; Ökobüro 11/SN--294/ME 25. GP 4. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 17/47
Freiheitsstrafe zu konfrontieren.68 Ein solches Szenario scheint mit der Einführung des § 91a StGB durchaus möglich zu sein. Da die geplante Norm weder den Eintritt des Todes oder einer Verletzung, sondern lediglich einen tätlichen Angriff des Täters voraussetzt, ist die angestrebte Strafdrohung im Vergleich zu anderen Normen, die dies fordern, schlicht zu hoch.69 Eine weitere Frage, die durch eine Erhöhung der Strafdrohung in diesem Fall aufgeworfen wird, ist jene der Konkurrenzen. So müsste folgerichtig, aufgrund der höheren Strafdrohung des neu vorgesehenen § 270a StGB, dieser allenfalls in Idealkonkurrenz zu § 83 StGB treten, sofern der tätliche Angriff auf einen Lenker oder Kontrolleur eine Körperverletzung iSd § 83 StGB nach sich zieht.70 An ein möglicherweise auftauchendes Konkurrenzproblem haben die Verfasser des ME hier somit ebenfalls nicht gedacht. Die Kritik hinsichtlich der Höhe einer Strafdrohung mag für einen durchschnittlichen Bürger Österreichs nicht verständlich sein. Dies wurzelt in einem Irrglauben, welcher zur Annahme verleitet, dass eine höhere Strafdrohung im Gegenschluss auch zu weniger Straftaten führen müsste. Das Argument, welches dabei vorgebracht wird ist, dass ein Täter sich seine Tat, bei einer höherer Strafdrohung, mit Sicherheit zweimal überlegen würde. Der eben beschriebene Gedankengang ist jedoch nicht nur in der breiten Masse der Gesellschaft stark verwurzelt, sondern treibt seit langem auch die staatlichen Versuche, Kriminalität durch Androhung von Strafen zu unterdrücken.71 Die Kriminalpolitik geht heute noch davon aus, dass die zu erwartende Strafe vor allem dann geeignet ist, kriminelles Handeln zu verhindern, wenn diese härter und vor allem möglichst zeitnah ausfällt.72 Auch im Zuge des konkreten Vorhabens sprachen sich das österreichische Finanzministerium sowie das Innenministerium ganz klar für die geplante Novelle aus.73 Diese Denkweise muss auch den Verfassern des ME unterstellt werden. Die Tatsache, dass die betroffenen Personen im Tatzeitpunkt eines tätlichen Angriffs auf sich allein gestellt wären und eine rasche Intervention durch Exekutivorgane zumeist nicht möglich sei,74 wird sich durch eine Erhöhung des Strafmaßes nicht ändern lassen. Da die Kontrolleure und Lenker zumeist Opfer spontaner Übergriffe im Alltag werden, blieben sie auch in Zukunft, unabhängig von einer hohen Strafdrohung, im Tatzeitpunkt auf sich alleine gestellt.75 Der Argumentation, die in der RV vorgebracht wurde, kann somit entgegengehalten werden, 68 Pichler 61/SN--294/ME 25. GP 2. 69 Reindl--Krauskopf 47/SN-294/ME 25. GP 7;; OStA Innsbruck 20/SN--294/ME 25. GP 6. 70 OStA Wien 59/SN--294/ME 25. GP 5. 71 Kury, Zur (Nicht--)Wirkung von Sanktionen: Ergebnisse internationaler empirischer Untersuchungen, Soziale Probleme 2013, 11;; Hirtenlehner, Differentielle Abschreckbarkeit --– Über den Stand der modernen Abschreckungsforschung, JSt 2017, 144. 72 Hirtenlehner, JSt 2017, 145. 73 BMF, 17/SN-294/ME 25. GP 2;; BMI, 44/SN--294/ME 25. GP 2. 74 ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 2. 75 Tipold, JSt 2017, 184. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 18/47
dass die Lösung nicht in der Festlegung einer hohen Strafdrohung liegen kann.76 Vielmehr sollten die Arbeitgeber der betroffenen Personen über geeignete Schutzmaßnahme nachdenken und sich nicht auf ein Bundesgesetz verlassen.77 Dass die Erhöhung von Strafdrohungen nicht zu einer geringeren Anzahl an Straftaten führt, entspricht darüber hinaus auch dem generellen Tenor des Forschungsbereiches, welcher die Auswirkungen der Generalprävention auf die Absenkung der Kriminalitätsrate untersucht.78 Das aktuelle Bild des Strafgesetzbuches zeigt auch hier, dass die angeführte Kritik mehr als nur berechtigt ist. Bereits in der RV zur Strafgesetznovelle 2017 wurde reagiert und die Strafdrohung von bis zu zwei Jahren über Bord geworfen.79 § 91a StGB sieht in der aktuellen Fassung eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen und somit eine deutlich niedrigere Strafdrohung gegenüber Tatbeständen, die den Eintritt des Todes oder eine Verletzung für eine Strafbarkeit voraussetzen (§ 83 Abs 3 StGB, § 91 Abs 1 und 2 StGB), vor. 6. Zwischenfazit und Ausblick Generell lässt sich aus den zahlreichen Stellungnahmen zum behandelten ME die Kritik an der heutigen Norm des § 91a StGB strukturiert anhand der drei behandelten Punkte darstellen. Die Bemängelung an der Systematik der Einfügung dieses Tatbestandes in den Bereich der Delikte der Staatsgewalt im 19. Abschnitt des StGB wurde akzeptiert und der damit einhergehenden Forderung der Verankerung im Bereich der Delikte gegen Leib und Leben entsprochen. Kein Einlenken der gesetzgebenden Organe gab es bei den Anregungen hinsichtlich der Erweiterung des Tatbestandes auf andere, ähnlich schützenswerte Personen. Das österreichische StGB spricht im Jahr 2019 in seinem § 91a somit nur Personen, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut sind und Opfer eines tätlichen Angriffs werden, eine Sonderopferrolle zu. Abschließend wurde die Höhe der Strafdrohung von den vorgesehenen zwei Jahren auf eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer alternativen Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen herabgesetzt. Ohne dieses Einlenken der Verfasser des ME wäre es zu unsachlichen Ergebnissen dahingehend gekommen, dass der Täter eines tätlichen Angriffs, welcher keine Verletzung oder den Tod des Opfers herbeiführt, mit einer Strafdrohung 76 Die österreichischen Rechtsanwälte 28/SN--294/ME 25. GP 4 hier wird der ME zusätzlich als Anlassgesetzgebung abgestempelt;; Schwaighofer/Venier 4/SN-294/ME 25. GP 5;; Tipold, JSt 2017, 184. 77 Tipold, JSt 2017, 278. 78 Hirtenlehner, JSt 2017, 152 f;; Kury, Soziale Probleme 2013, 11, 31 ff. 79 RV 1621 BlgNR 25. GP 1. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 19/47
konfrontiert wäre, die in dieser Höhe grundsätzlich nur bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen zur Anwendung käme. Das aufgeworfene Konkurrenzproblem80 zu § 83 StGB konnte so auch aus der Welt geschafft werden. Mit 01.09. 2017 trat § 91a StGB trotz der zahlreichen Gegenargumente in Kraft. Spannend hierbei ist, dass der Oberste Gerichtshof in diesem Fall der Politik und der Gesetzgebung den Rücken stärkt und festhält, dass zu jederzeit und sehr wohl auch im Strafrecht auf gesellschaftspolitische Veränderungen mit neuen Gesetzen zu reagieren wäre.81 Dem Kern dieser Aussage kann grundsätzlich beigepflichtet werden, jedoch eröffnen die Einführung von neuen Normen wie der des § 91a StGB ein breites Betätigungsfeld für Lobbying durch andere Interessensvertretungen.82 Etwas mehr als zwei Jahre später bestätigten sich diese Befürchtungen bereits. Mit 01.01.2020 wird § 91a StGB bereits erweitert und auf neue Berufsgruppen ausgedehnt. Ab diesem Zeitpunkt werden in einem neuen Absatz zwei des § 91a StGB Personen, die in einem gesetzlich geregelten Gesundheitsberuf, für eine anerkannte Rettungsorganisation oder in der Verwaltung im Bereich eines solchen Berufs, insbesondere einer Krankenanstalt, oder als Organ der Feuerwehr tätig sind, vor tätlichen Angriffen geschützt.83 Mit dieser Änderung wurde somit einigen Forderungen, die bereits im Begutachtungsverfahren zur Novelle 2017 eine Ausdehnung des Tatbestandes zum Inhalt hatten,84 entsprochen. Es kann somit beobachtet werden, dass die seinerzeit vorgezeigte Konsequenz hinsichtlich der Begrenzung auf gewisse geschützte Personengruppen85 nicht weitergetragen wurde. Zieht man nun die Lehren daraus, kann durchaus bezweifelt werden, ob es bei dieser einzelnen Ausdehnung des Tatbestandes bleibt. Wird in Zukunft eine Person einer gefährdeten Berufsgruppe während ihrer Tätigkeit tätlich angegriffen, und erreicht dieser Fall aufgrund wiederholter Berichterstattung in den zahllosen Medien des Landes einen hohen Grad an Empörung, so kann definitiv nicht ausgeschlossen werden, dass erneut Forderungen nach einer Erweiterung des erwähnten Tatbestandes laut werden. Mit der Schaffung dieses Tatbestandes hat sich der Gesetzgeber, allem Anschein nach, für die Zukunft sehr viel Arbeit aufgebürdet, und auch die Politik wird mit weiteren aufgebrachten Interessensvertretungen verschiedenster Berufsgruppen, die einen gleichartigen Schutz verlangen, konfrontiert sein. Dieser Tatsache müssen sich die Vertreter der gesetzgebenden Institution und die jeweils amtierende Bundesregierung bewusst sein. 80 Siehe dazu Pkt IV. 5. c) Strafdrohung. 81 OGH, 40/SN--294/ME 25. GP 1. 82 Tipold, JSt 2017, 278. 83 Gewaltschutzgesetz 2019, BGBl I Nr 105/2019. 84 Siehe FN 62. 85 Siehe dazu Pkt IV. 1. Gesetzestexte, wo § 91a StGB idgF ausschließlich auf Personen Bezug nimmt, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen oder die mit der Lenkung eines Beförderungsmittels einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut sind. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 20/47
V. § 247a StGB 1. Gesetzestext Paragraf 247a StGB wurde mit der Strafgesetznovelle 201786 in das österreichische StGB eingefügt. Wie bereits bei § 91a StGB und § 83 Abs 3 StGB, empfiehlt es sich auch hier, zuerst wieder einen Blick auf den Gesetzeswortlaut der Norm zu werfen, um der später behandelten Argumentation der verschiedenen Kritiker an diesem Tatbestand folgen zu können: Staatsfeindliche Bewegung § 247a (1) Wer eine staatsfeindliche Bewegung gründet oder sich in einer solchen führend betätigt, ist, wenn er oder ein anderer Teilnehmer eine ernstzunehmende Handlung ausgeführt oder zu ihr beigetragen hat, in der sich die staatsfeindliche Ausrichtung eindeutig manifestiert, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. (2) Wer an einer solchen Bewegung mit dem Vorsatz teilnimmt, dadurch die Begehung von staatsfeindlichen Handlungen zu fördern, oder sie mit erheblichen Geldmitteln oder sonst in erheblicher Weise unterstützt, ist unter der Bedingung des Abs. 1 mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen. (3) Eine staatsfeindliche Bewegung ist eine Gruppe vieler Menschen, die darauf ausgerichtet ist, die Hoheitsrechte der Republik Österreich (Bund, Länder, Gemeinden oder sonstige Selbstverwaltung) rundweg abzulehnen oder sich fortgesetzt die Ausübung solcher oder behaupteter Hoheitsrechte selbst anzumaßen, und deren Zweck es ist, fortgesetzt auf eine Weise, durch die sich die staatsfeindliche Ausrichtung eindeutig manifestiert, gesetzwidrig die Vollziehung von Gesetzen, Verordnungen oder sonstigen hoheitlichen Entscheidungen der Behörden zu verhindern oder die angemaßten oder behaupteten Hoheitsrechte durchzusetzen. (4) Der Täter ist nach Abs. 1 und 2 nicht zu bestrafen, wenn die Tat nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist. (5) Nach Abs. 1 und 2 ist nicht zu bestrafen, wer sich freiwillig und bevor die Behörde von seinem Verschulden erfahren hat, aus der Bewegung in einer Weise zurückzieht, die eindeutig zu erkennen gibt, dass die staatsfeindliche Ausrichtung nicht mehr unterstützt wird. 86 Siehe FN 2. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 21/47
2. Entstehungsgeschichte Innerhalb der österreichischen Gesellschaft hat sich in der jüngeren Vergangenheit ein immer stärker zunehmendes, neues Phänomen manifestiert. Bereits seit Mitte des Jahres 2014 bestehen Bestrebungen einzelner Bewegungen, die Hoheitsrechte der Republik Österreich abzulehnen.87 Der Regierungsvorlage, die der Strafgesetznovelle 2017 vorausging, kann entnommen werden, dass in Österreich bereits eine hohe Anzahl solcher Gruppierungen existiert. Zu deren Anhänger gehören ua Freeman, souveräne Bürger, Terranier, Reichsbürger, Erdenmenschen, Anhänger des „One People Public Trust“ (OPPT) oder der „Verfassungsgebenden Versammlung“ (VGV).88 Diese Verbindungen verfolgen grundsätzlich ein einheitliches Ziel. In ihren Vorstellungen wird die Legitimation der Nationalstaaten strikt abgelehnt, und es werden eigene vermeintliche Rechte und Befugnisse über die Hoheitsbefugnisse des österreichischen Staates gestellt. Diese Bewegungen versuchen, eine Parallelwelt zu erschaffen und dadurch den Verpflichtungen des Einzelnen, die ein funktionierendes soziales Zusammenleben bedingen, zu entgehen. Die ablehnende Einstellung betrifft beispielsweise die Einhaltung österreichischer Gesetze wie die Straßenverkehrsordnung, zivilrechtliche Vorschriften und die Entrichtung von Steuern.89 In den daran anschließenden Verfahren gegen diese Personen werden die Behörden mit unsinnigen Eingaben überhäuft, und mithilfe diverser Tricks90 wird versucht, die Verfahren in die Länge zu ziehen oder Gegenforderungen zu stellen.91 Aufgrund der kontinuierlich steigenden Teilnehmerzahlen92 und der Häufung von Konflikten zwischen Anhängern dieser Verbindungen mit den Repräsentanten des abgelehnten Systems sah sich der österreichische Gesetzgeber gezwungen, einen neuen Tatbestand ins StGB aufzunehmen,93 um diesen Entwicklungen in der Gesellschaft entgegenzuwirken. 87 ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 5;; Salimi/Tipold in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch § 247a Rz 2. 88 ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 5;; Salimi/Tipold in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, SbgK § 247a Rz 2. 89 ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 5;; Salimi/Tipold in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, SbgK § 247a Rz 2. 90 Es wurde versucht, mit dem sogenannten „Malta-Trick“ erfundene Schulden am Gerichtsstand Malta einzuklagen. Trägt man Schulden in das Onlinehandelsregister Uniform Commercial Code (UCC) in den USA ein und lässt sich diese Forderung auf ein dafür errichtetes Inkassounternehmen auf Malta abtreten, so lässt sich ein maltesischer Exekutionstitel erwirken, welcher aufgrund der Zugehörigkeit Maltas zur EU theoretisch auch in einem anderen europäischen Staat exekutierbar ist (https://www.justiz.gv.at/home/home/presse/pressemitteilungen/pressearchiv/pressemitteilungen--2016/justizminister-- brandstetter--trifft--maltesischen--amtskollegen--in--bruessel--zu--bilateralem--gespraech--betreffend-- reichsbuerger~2c94848b582a715a0158e2f4b9561274.de.html?highlight=true, 2016 zuletzt abgerufen am 11.01.2020). 91 Adensamer, Überschießende Kriminalisierung als Gefahr für die Demokratie, Kritik an § 247a StGB „Staatsfeindliche Bewegung“, juridikum 2017, 149;; Bachner/Foregger in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 247a Rz 1. 92 In Österreich soll es bereits über 1100 Personen geben, die sich den oben genannten oder anderen vergleichbaren Verbindungen angeschlossen haben (ErläutRV 1621 BlgNR 25. GP 5). 93 Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil II 13 § 247a Rz 1. 27. Jänner 2020 Jakob Karlinger 22/47
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