Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 Der globale Handel und die Handelspolitik in Zeiten von COVID-19 - FIW
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Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 Der globale Handel und die Handelspolitik in Zeiten von COVID-19 Harald Oberhofer Wirtschaftsuniversität Wien (WU) Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) Der Welthandel wird von COVID-19 stärker betroffen sein als die Gesamtproduktion von Waren und Dienstleistungen. Aktuelle Studien gehen von einem Rückgang der globalen Handelsströme von 11% bis 30% für das Jahr 2020 aus. Für Österreich als kleine offene Volkswirtschaft führt dies zu zusätzlichen Herausforderungen. Dieses Policy Brief gibt einen Überblick über die möglichen Handelseffekte von COVID-19 für die globale und österreichische Wirtschaft und betrachtet insbesondere den Warenhan- del, die Tourismusbranche und die ausländischen Direktinvestitionen. In einem weiteren Abschnitt wird ein Überblick über die handelspolitischen Entwicklungen während der COVID-19-Pandemie gegeben und ein besonderer Fokus auf sensible Produkte aus dem Gesundheitsbereich und auf Lebensmittel gelegt. Aus den Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie können Lehren für die internationale Han- delspolitik und die EU gezogen werden. Wie diese Lehren aussehen und welche Politikmaßnahmen er- griffen werden könnten, wird in einem abschließenden Kapitel behandelt und diskutiert. Ebene beschlossen. So wurden etwa innerhalb der Eu- 1.1 Einleitung ropäischen Union (EU) und dem Schengen-Raum Grenzen geschlossen, der Flugverkehr eingestellt und Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat den Groß- auch Warenkontrollen im grenzüberschreitenden Han- teil der globalen Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Mit del eingeführt. Darüber hinaus wurden z.B von den USA China, Japan, den USA, Brasilien und Europa hat die oder Deutschland auch Exportbeschränkungen für Pandemie die größten Volkswirtschaften der Welt zu medizinische Schutzausrüstung eingeführt. Andere Län- unterschiedlichen Zeitpunkten erfasst. Die überwälti- der wie etwa Polen und Tschechien beschlagnahmten gende Mehrheit der betroffenen Länder hat restriktive Schutzmaterialen sogar im Transitbereich. Erst Anfang Ausgangs- und Verkehrsbeschränkungen eingeführt. Juni begannen die restriktiven Einschränkungen des Vielen Wirtschaftsbereichen – darunter vor allem den europäischen Binnenmarkts durch Öffnungsschritte ab- (persönlichen) Dienstleistungen – wurde die Geschäfts- zunehmen. grundlage gesetzlich auf einer temporären Basis entzo- Politische Überlegungen zur Rückverlagerung von Pro- gen. Bis Mai entspannte sich die Situation in einer Viel- duktionen in sensiblen Bereichen wurden von einigen zahl der asiatischen und einigen europäischen Staaten Staaten angeregt, auch ausländische Investitionsbe- in medizinischer Hinsicht soweit, dass diese Länder die schränkungen wurden in Kraft gesetzt. Viele dieser inländische Wirtschaft langsam wieder hochfahren Maßnahmen sind mit einer zeitlichen Befristung verse- konnten. hen, könnten allerdings die Erholung der Wirtschaft Die Konsequenzen der COVID-19-Schutzmaßnahmen nach der überstandenen COVID-19-Pandemie beein- für die globale Wirtschaft und den internationalen Han- trächtigen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche del wurden vor allem in der Akutphase der Pandemie Lehren man aus der COVID-19-Krise für die Gestaltung in der wirtschaftspolitischen Debatte fast gänzlich aus- des globalen Handelssystems ziehen kann und welche geblendet. Die gesundheitspolitischen Maßnahmen notwendigen Anpassungen in der Handelspolitik wurden fast ausschließlich auf nationalstaatlicher dadurch notwendig werden. FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 1
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19 Dieses Policy Brief diskutiert auf Basis von aktuell verfüg- eine Einschätzung der möglichen COVID-19-Folgen baren Daten und Zahlen sowie bereits bestehender abgeben zu können, kommen in den verfügbaren Ar- Szenarioanalysen die möglichen Konsequenzen der beiten so genannte Szenarioanalysen zum Einsatz. In COVID-19-Pandemie für den internationalen Handel diesen werden unterschiedliche Tiefen sowie Zeitdi- sowie die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) und mensionen der COVID-19-Pandemie unterstellt und legt dabei einen Fokus auf Österreich. In einem weite- daraus die Folgen für den internationalen und den ös- ren Schritt sollen die aktuellen handelspolitischen Maß- terreichischen Außenhandel oder den Tourismus abge- nahmen, welche als Reaktion der COVID-19-Krise um- leitet. Dieses Policy Brief bezieht sich auf diese Szena- gesetzt worden sind, systematisiert und ökonomisch rien und gibt einen Überblick über mögliche (kurzfris- bewertet werden. Im letzten Abschnitt wird ein Ausblick tige) Auswirkungen von COVID-19 für die österreichi- darauf gegeben, wie eine Post-COVID-19-Handels- sche Außenwirtschaft. politik auf der globalen und der EU-Ebene aussehen könnte. 2.1 Außenhandelseffekte der COVID-19-Pandemie 2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von Bereits das Jahr 2019 war durch eine relativ gedämpfte Entwicklung der Weltwirtschaft, der globalen Handels- COVID-19 ströme und der österreichischen Exporte und Importe geprägt. Die Hauptursachen hierfür waren die Han- Eine Einschätzung der gesamten ökonomischen Folgen delskonflikte der USA mit China sowie der EU und die der COVID-19-Pandemie für die Weltwirtschaft und die Unsicherheit über den Brexit, also den Austritt des Ver- Handels- und FDI-Beziehungen ist zum aktuellen Zeit- einigten Königreichs aus der EU (Oberhofer et al., 2020). punkt mit Risiko und Unsicherheit behaftet. Zum einen erlaubt es die aktuelle Datenlage nur sehr bedingt, die 2.1.1 COVID-19 und die globalen bereits realisierten Rückgänge in den internationalen Wertschöpfungsketten Handelsströmen vollständig abzubilden. Offizielle Da- ten von Statistik Austria zur Entwicklung des österreichi- Mit dem Ausbruch von COVID-19 am Beginn des Jah- schen Außenhandels liegen aktuell zum Beispiel nur für res 2020 und der zunächst regional begrenzten Betrof- das erste Quartal 2020 und somit nur teilweise für die fenheit Asiens, vor allem Chinas, änderte sich das Risi- Monate mit starken Wirtschaftsbeschränkungen vor. 1 koumfeld. Es stellte sich die Frage, wie stark die globa- len Wertschöpfungsketten durch die Stilllegung der Zum anderen herrscht aktuell eine große Unsicherheit Produktion in der Region Wuhan und anderen Teilen über die Dauer und die Tiefe der globalen Rezession, Chinas und Asiens negativ beeinflusst werden und da- die durch COVID-19 verursacht wird (Wolfmayr, 2020B). mit zu einer Abnahme der internationalen Handelstä- Die gängigen Indikatoren zur Bewertung von ökonomi- tigkeit führen können. scher Unsicherheit erreichten im März 2020 Werte, die das Niveau während der Finanzmarktkrise oder der eu- Für diesen Effekt von COVID-19 liegt auf Grund des zeit- ropäischen Staatsschuldenkrise deutlich überstiegen lichen Ablaufs bereits aggregiertes Datenmaterial vor. (Baker et al., 2020). Entscheidende Unsicherheitsfakto- So zeigen aktuelle Zahlen von Eurostat, dass die Im- ren sind hier etwa, ob, und wenn ja, welche Länder von porte und Exporte mit Drittstaaten von Jänner bis März einer "zweiten Infektionswelle" getroffen werden und 2020 zurückgegangen sind. So belief sich der saisonbe- wie stark sich die Einkommen infolge der Krise verrin- reinigte Gesamtwarenhandel (Importe plus Exporte) gern werden. Die Nachfrage nach Investitionsgütern, der EU mit allen Drittstaaten außerhalb der EU im Jän- die für den österreichischen Export besondere Bedeu- ner 2020 auf 252 Mrd. € und reduzierte sich im März tung aufweisen, wird darüber hinaus maßgeblich von 2020 auf 228 Mrd. €. 2 Dies entspricht einem saisonberei- der Dauer der Krise bestimmt werden (Wolfmayr, nigten Rückgang des Extra-EU-Handels um rund 9,5%. 2020B). Auch kann aktuell nur grob abgeschätzt wer- Besonders stark eingebrochen ist (in absoluten Werten den, wie sich der Tourismus in den nächsten Monaten betrachtet) der Handel mit Maschinen und Fahrzeu- und darüber hinaus entwickeln wird (siehe Kapitel 2.2). gen (Exporte -20%, Importe -15%) sowie mit anderen In- Diese Kombination von kaum verfügbaren Echtzeitindi- dustrieprodukten (Exporte und Importe jeweils -16%). katoren für die aktuelle globale und außenwirtschaftli- Die vorläufigen österreichischen Handelsdaten von che Lage und einem ungewöhnlich hohen Maß an Statistik Austria für Jänner und Februar 2020 zeigen ein wirtschaftlicher Unsicherheit verunmöglicht die Anwen- ähnliches Bild. 3 So haben sich die österreichischen Im- dung klassischer Prognoseverfahren für die Abschät- porte aus den Nicht-EU-Ländern in diesen beiden Mo- zung der Entwicklung im heurigen Jahr. Um trotzdem naten im Jahresvergleich um 9,4% reduziert. Im Februar 2https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-eurostat-news/- 1 http://www.statistik.at/web_de/presse/123371.html. /DDN-20200522- 1?inheritRedirect=true&redirect=%2Feurostat%2Fde%2Fhome. 3 https://www.statistik.at/web_de/presse/123070.html. 2 FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19 war der Rückgang stärker ausgeprägt und belief sich eingeführt sowie Ausgangs- und Reisebeschränkungen auf 16%. Die Daten für Österreich belegen jedoch verhängt. Der grenzüberschreitende Güterverkehr auch, dass der Intra-EU-Handel ebenfalls bereits in den wurde erschwert, der Personenverkehr (fast) zur Gänze ersten beiden Kalendermonaten des Jahres 2020 untersagt. Die aktuell verfügbaren Handelsdaten für durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt wurde. Österreich und von Eurostat können den Einfluss des eu- So sanken im Jahresvergleich die österreichischen Im- ropäischen "Lockdowns" nur in einem beschränkten porte aus den EU-Mitgliedsländern um 4,7%, die Ex- Ausmaß erfassen. porte um 4,9%. Dieses Ergebnis mag auf den ersten Die gesundheitspolitischen Maßnahmen, die durch Blick überraschen, war die EU zu diesem Zeitpunkt ja COVID-19 notwendig wurden, führten im Wirtschafts- noch nicht direkt vom SARS-CoV-2 Virus betroffen. Teil- system zu einem simultanen – und in dieser Dimension weise kann der Rückgang im Intra-EU-Handel mit gro- vermutlich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs nicht ßer Wahrscheinlichkeit mit dem negativen Einfluss der mehr bekannten – Angebots- und Nachfrageschock stockenden Lieferketten und den ausbleibenden Vor- (Baldwin – Weder di Mauro, 2020). Die ökonomische produkten aus China und anderen asiatischen Volks- Unsicherheit und die gesetzlich deutlich beschränkten wirtschaften für die Produktion in der EU erklärt werden. Konsummöglichkeiten dämpften die Nachfrage mas- Ob noch andere Faktoren, etwa ein auch in Europa siv. Gleichzeitig wurden auch die Produktionsmöglich- möglicherweise stattgefundener Anstieg der ökonomi- keiten weitgehend beschränkt, was zu einem negati- schen Unsicherheit, ebenfalls eine Rolle spielte, kann ven Angebotsschock führte. Beide Kanäle wirken sich auf Basis der verfügbaren aggregierten Information negativ auf den internationalen Handel aus und so nicht direkt beantwortet werden. kann davon ausgegangen werden, dass die internati- Die aktuellsten Außenhandelsdaten der Statistik Aus- onalen Handelsrückgänge stärker ausfallen werden als tria berücksichtigen das gesamte erste Quartal und so- der Einbruch der Gesamtwirtschaftsleistung. mit zusätzlich auf den März. Für die Hälfte dieses Mo- Diese theoretischen Überlegungen liefern die Basis für nats waren die restriktiven Ausgangs- und Reisebe- eine Reihe von Szenarioanalysen, die sich mit den schränkungen sowie Grenzkontrollen in Kraft. Im Vor- möglichen Folgen der COVID-19-Pandemie für den in- jahresvergleich sind im März 2020 die Importe um 8% ternationalen Handel im Allgemeinen (IWF, 2020; WTO, und die Exporte um 5,2% geringer ausgefallen. Über- 2020A) und den Auswirkungen auf den österreichi- durchschnittlich stark sanken in diesem Monat die Im- schen Warenhandel im Speziellen (Wolfmayr, 2020B) porte aus der EU (-9,4%) sowie die Exporte in Drittstatten beschäftigen. Übersicht 1 stellt die unterschiedlichen (-7,9%). Hieraus lässt sich ableiten, dass die gesund- Szenarien dar, die den einzelnen Studien zugrunde ge- heitspolitischen Maßnahmen vor allem die Einfuhr von legt werden. Die ersten drei Studien fokussieren auf die Waren aus unseren Nachbarstaaten und wichtigsten Handelseffekte von COVID-19. Die letzten beiden be- Handelspartner erschwert haben. Die Rückgänge der schäftigen sich schwerpunktmäßig mit dem Tourismus Ausfuhren in Drittstaaten könnte mit der rückläufigen und der Entwicklung der ausländischen Direktinvestitio- ausländischen Nachfrage sowie der eingeschränkten nen. Produktionsmöglichkeiten im Inland in Zusammen ste- hen. Für die Monate April und Mai ist auf Grund der Ge- Die verwendeten Szenarien unterscheiden sich jeweils samtsituation und den verschärften europa- und welt- nach Tiefe und Länge der angenommenen (weltwei- weiten Lockdown-Maßnahmen von einem noch stär- ten) Rezession. In Bezug auf die Länge werden unter- keren Handelsrückgang auszugehen. Prognosen der schiedliche Rezessionsformen unterstellt, wobei ein V- österreichischen Nationalbank gehen etwa von (unbe- förmiger Verlauf des Ab- und Aufschwungs als optimis- reinigten) Rückgängen im Vorjahresvergleich von mehr tisches Szenario, eine U-Form als weniger optimistisch als 25% im April und circa 20% im Mai aus. 4 Die tatsäch- und die L-Form als pessimistisches Szenario klassifiziert lich realisierten Zahlen liegen jedoch erst in Wochen werden (siehe z. B. WTO, 2020B). beziehungsweise Monaten vor. Für die Abschätzung der möglichen weltweiten Han- delseffekte durch die COVID-19-Pandemie stützt sich 2.1.2 Der COVID-19-Lockdown in Europa und der die WTO (2020A) hauptsächlich auf zwei dieser Szena- grenzüberschreitende Handel rien. Das erste ist optimistischer, geht von einem schar- fen Einbruch des Welthandels in der ersten Jahreshälfte Noch schwieriger ist die Einschätzung der direkten Han- und dem Beginn der Erholung ab Jahresmitte 2020 aus. delseffekte der COVID-19-Pandemie in Europa. Ab Hierzu wird unterstellt, dass die Lockdown-Maßnahmen spätestens Mitte März waren viele Mitgliedstaaten der für drei Monate in Kraft bleiben und dann eine V-för- EU, darunter auch die größten Volkswirtschaften wie mige Erholung einsetzt. Das U-förmige Szenario nimmt Deutschland, Frankreich und vor allem Italien, massiv an, dass der Aufschwung erst verzögert einsetzt und die von der Gesundheitskrise betroffen. Die meisten Länder Wirtschaft nach dem Einbruch für eine kürzere Zeit auf haben in der Folge Beschränkungen für die nationale dem niedrigeren Niveau verharrt. Das pessimistische Produktion und vor allem die Dienstleistungserbringung Szenario unterstellt, dass die Lockdown-Maßnahmen 4 https://www.oenb.at/Geldpolitik/Konjunktur/prognosen-fuer-oester- reich/oenb-exportindikator.html. FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 3
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19 bis Ende des Jahres in Kraft bleiben und es 2021 nur zu Nordamerika am stärksten negativ betroffen sein einer geringen Erholung der Weltwirtschaft kommen dürften. kann. Aktuell bewertet scheint das letzte Szenario zu • Komplexe und auf Basis von globalen Zulieferbezie- negativ zu sein, wobei man im Moment kaum abschät- hungen hergstellteProdukte sowie Dienstleistungen zen kann, ob ein neuerlicher großflächiger Lockdown werden von den Handelsbeschränkungen stärker im Laufe der nächsten Monate aus gesundheitspoliti- betroffen sein. scher Sicht notwendig werden wird. Auch der Internationale Währungsfonds hat seine Übersicht 1: Vergleich unterschiedlicher Szenarien Prognose für die Entwicklung der Weltwirtschaft in sei- Quelle Szenarien Annahmen Auswirkungen Auswirkungen global Österreich nem "World Economic Outlook" im April dieses Jahres Scharfer Einbruch im ersten Halbjahr 2020, Beginn der massiv revidiert (IWF, 2020). In seinem Basisszenario Szenario I Erholung ab Jahresmitte; geht der Bericht von ähnlichen Annahmen wie die Lockdown-Maßnahmen 3 Monate WTO aufrecht und anschließend V- Welthandel (2020) -12% bis -33% Welthandelsorganisation in ihrem optimistischen Sze- nario aus. Demnach konzentrieren sich die Lockdown- förmige Erholung Lockdown-Maßnahmen bis Ende Szenario II 2020, 2021 kommt es nur zu einer geringen Erholung Maßnahmen vor allem auf das zweite Quartal 2020 Lockdown-Maßnahmen vor allem BIP und können ab dem Sommer schrittweise gelockert -3% (2020), +5,8% (2021); Basisszenario im II. Quartal 2020, Lockerungen ab dem Sommer Welthandel werden. Dieses Basisszenario wird drei Alternativszena- Lockdown-Maßnahmen bleiben -11% (2020), +8,4% (2021) rien gegenübergestellt. Das erste nimmt an, dass die Alternativszenario I IWF 2020 zeitlich 50% länger in Kraft Basisszenario für 2020 mit Lockdown-Maßnahmen zeitlich um 50% länger in Kraft Alternativszenario II zweitem Ausbruch 2021 (2/3 der bleiben müssen. Das zweite Alternativszenario geht für Schärfe des Jahres 2020) Alternativszenario III Pandemie dauert 2020 50% länger 2020 von den Annahmen des Basisszenarios aus, unter- und 2. Infektionswelle 2021 BIP (2020) Marktwachstum stellt jedoch einen zweiten Ausbruch der Szenario I (Haupt- variante WIFO- Erste Erholung ab dem II. Quartal Euro-Raum -6,1%, Zielmärkte (2020) COVID-19-Pandemie im Jahr 2021. In Bezug auf die ökonomische Dimension wird angenommen, dass die- USA -5,2%, China -1%; -9,5% Mittelfristprognose 2020 Welthandel (2020) Exporte Ö (2020) April 2020) -9% BIP (2020) -12% Marktwachstum ser zweite Ausbruch zwei Drittel der Schärfe des Aus- WIFO Szenario II (An- Erholung ab Jahresmitte 2020; tieferer Einbruch; langsamerer Euro-Raum -8%, USA -6%, China -2,2%; Zielmärkte (2020) -12,4% bruchs im Jahr 2020 annimmt. Das letzte Alternativsze- (Wolfmayr) nahmen des IWF) Erholungspfad Welthandel (2020) Exporte Ö (2020) nario verbindet die beiden Alternativen: Die Pandemie -11% -17% BIP (2020) Marktwachstum 2020 dauert um 50% länger und 2021 wird die Weltwirt- Szenario III (Oxford Noch tiefere und länger andauernde Rezession bis ins III. Euro-Raum -12,4%, USA -10,8%, China -5,9%; Zielmärkte (2020) -15,2 bis -22,5% schaft von einer zweiten Infektionswelle erfasst. Economics, pess.) Quartal 2020 Welthandel (2020) Exporte Ö (2020) -14% bis -30% -21,5% bis -28% In der Basisvariante prognostiziert der IWF (2020) für das Schließung von Beherber- gungsbetrieben bis Ende Mai 2020, Jahr 2020 einen Rückgang der globalen Wirtschaftsleis- Szenario I/1 Nachfrage im Juni zöger-lich, Juli tung um 3%. Da sich die Weltwirtschaft ab Mitte 2020 in und August deutliche Erholung; Inlandsnachfrage übersteigt dann diesem Szenario zu erholen beginnt, könnte das Welt- BIP im Jahr 2021 um 5,8% steigen und somit auf der glo- allmählich das Vorjahresniveau balen Ebene die Verluste aus 2020 wettmachen. In den Schließung von Beherber- Anzahl der gungsbetrieben bis Ende Mai 2020, Nächtigungen (2020) WIFO Szenario I/2 Nachfrage im Juni zöger-lich, Juli und August deutliche Erholung; -32% bis -44%; Umsatzverluste meistentwickelten Ländern der Welt wird der Ab- schwung mit 6,1% deutlich stärker ausfallen und kann (Fritz) Inlandsnachfrage juli +5%, bis größer als November +20% mengenmäßige Szenario I/1, zusätzliche Erho- Reduktionen auch mit dem berechneten Wachstum für 2021 nicht Szenario II/1 lung des deutschen Quell- marktes, bleibt nur 5% unter dem vollständig kompensiert werden. In den Wachstums- Vorjahresniveau) Szenario I/2, zusätzliche Erho- und Entwicklungsländern sollte die Rezession mit 1% Szenario II/2 lung des deutschen Quell- vergleichsweise moderat ausfallen. Für 2021 unterstellt marktes, bleibt nur 5% unter dem Vorjahresniveau) der internationale Währungsfonds unter dem Basissze- In den nächsten 2-3 Monaten Pandemie kontrollierbar, Be- Ende 2021 wird das Vorkrisenniveau des BIP nario für diese Volkswirtschaften ein Wachstum von Optimistisch handlungsmethoden werden erreicht; 6,6%. gefunden, Ausweitung der FDI-Ströme Testkapazitäten, wirtschafts- politische Maßnahmen effektiv -30% bis -40% (2020), +30% bis +40% (2021) Für die Weltwirtschaft bedeutet diese Rezession im Ba- OECD Lokal begrenzte weitere neuer- FDI-Ströme sisszenario einen Rückgang des internationalen Han- liche Ausbrüche, Politik- Mittel maßnahmen regional unter- -35% bis -45% (2020), Erholung 2021 geringer dels um 11%, was in etwa den Ergebnissen aus dem op- timistischen Szenario der Welthandelsorganisation ent- schiedlich effektiv Länger anhaltende Reze- Maßnahmen reichen nicht aus, das Pessimistisch Virus einzudämmen; ssion; mehr Insolvenzen FDI-Sröme spricht. Durch die Ähnlichkeit der Szenarien ist dies nicht sehr überraschend. Für 2021 geht der Internatio- wirtschaftspolitische Maßnah- mehr als -40%, leichte men teilweise ineffizient; Erholung 2021 nale Währungsfonds im Basisszenario von einem Q: WIFO-Zusammenstellung. Wachstum um rund 8,4% aus. Dies bedeutet, dass das Die beiden WTO-Hauptszenarien (optimistisch und pes- Prä-COVID-Welthandelsniveau nicht vor 2022 wieder simistisch) ) liefern folgende Ergebnisse für den Einfluss erreicht werden könnte. Die drei erwähnten Alternativ- von COVID-19 auf den grenzüberschreitenden Welt- varianten weisen ebenfalls wenig überraschend zum handel: Teil deutlich stärkere negative Effekte der • Der gesamte Welthandel schrumpft im Jahr 2020 im COVID-19-Pandemie auf. Ein neuerlicher Ausbruch im Vorjahresvergleich um 12% bis 33%. Jahr 2021 mit einem um ein Drittel "milderen" Verlauf würde etwa das mögliche Wachstum im Jahr 2021 • Auf allen Kontinenten sinkt der grenzüberschrei- ebenfalls fast zur Gänze zunichtemachen und somit zu tende Handel um mindestens 10%, wobei Asien und 4 FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19 einem dauerhaften und allgemeinen Produktionsrück- Abbildung 1: Wachstum der österreichischen Exportmärkte gang führen. Dies hätte weitere negative Folgen für und der realen Warenexporte Österreichs 2020 – den Welthandel über das Jahr 2020 hinaus. Alternativszenarien im Vergleich Für den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf den öster- Deutschland Italien Frankreich Übrige Intra-EU-27 reichischen Warenaußenhandel liegen seit kurzem USA Schweiz erste Szenarioanalysen des Österreichischen Instituts für Übrige Extra-EU-27 Österreichs Marktwachstum 1) Österreichs Exportprognose 1) Wirtschaftsforschung (WIFO) für das Jahr 2020 vor (Wolf- 0 mayr, 2020B). Die Berechnungen beruhen wiederum -1 auf drei unterschiedlichen Szenarien. "Szenario I" beruht -2 auf der Hauptvariante der aktuellsten WIFO-Mittelfrist- -3 Intra-EU27 -5,6 prognose vom April 2020 (Baumgartner et al., 2020). -4 Intra-EU27 -5 -7,8 Diese Variante unterstellt eine erste Erholung vom Lock- Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten -6 down noch im 2. Quartal 2020 und jährliche Wachs- -7 Extra-EU27 Intra-EU27 tumsraten des jeweiligen realen BIP im Euro-Raum von -8 -3,9 -9,0 -6,1%, in den USA von -5,2% und in China von -1%. Der -9 Extra-EU27 Warenwelthandel reduziert sich in diesem Szenario real -10 -9,5 -4,6 -11 um 9%. "Szenario II" folgt den bereits weiter oben ge- Extra-EU27 -12 nannten Annahmen des Internationalen Währungs- -13 -12,0 -6,2 -12,4 fonds (IWF, 2020). Diese implizieren Wachstumsraten für -14 den Euro-Raum, die USA und China von -8%, -6% -15 und -2,2%. Der globale Warenaushandel sinkt im -16 -15,2 (-22,5) -17 IWF-Szenario, wie oben erwähnt, um 11%. Das letzte -18 -17,0 "Szenario III" in Wolfmayr (2020B) beruht auf dem pessi- -19 mistischen Szenario von Oxford Economics (Slater, -20 -21,5 (-28,0) 2020). In diesem Szenario beginnt die Erholung der -21 Weltwirtschaft nicht vor dem 4. Quartal 2020. Das BIP -22 Szenario I Szenario II Szenario III des Euro-Raums würde sich demnach im Jahr 2020 um 12,4%, das US-amerikanische um 10,8% und das chine- Q: Wolfmayr (2020B), WIFO Mittelfristprognose (Baumgartner et al., 2020); Oxford sische um 5,9% verringern. Für den Warenwelthandel Economics, 8. April 2020; IWF, World Economic Outlook, 15, April 2020, WTO (2020). – 1) Veränderung gegen das Vorjahr in %. geht "Szenario III" von einem Einbruch um 15% aus, lässt jedoch eine große Bandbreite bis zu 30% zu. Dieses Sze- In qualitativen Aspekten ähneln sich die Ergebnisse aus nario entspricht somit am ehesten dem pessimistischen allen drei Szenarien. Das Marktwachstum in den Ziel- Szenario der WTO (2020). märkten für die österreichischen Exporte bricht durch die COVID-19-Pandemie zwischen 9,5% (Szenario I) und Abbildung 1 fasst die Ergebnisse für die österreichi- 15,2% (Szenario III) ein. In allen drei Szenarien sind die schen Handelseffekte aus diesen drei Szenarien zusam- negativen Beiträge aus den Volkswirtschaften inner- men. Die schwarzen Kreise bezeichnen das Markt- halb der EU größer als die Beiträge aus Drittstaaten. Das wachstum für die österreichischen Exportmärkte, wel- ist für Österreich zusätzlich belastend, da die österrei- ches in den Balken nach den Beiträgen aus einzelnen chischen Warenexporte zu einem überwiegenden Teil Wirtschaftsräumen aufgeschlüsselt dargestellt wird. Die in andere EU-Mitgliedsländer gehen. 2018 betrug der roten Kreise zeigen die auf Basis der Szenarien berech- Anteil der österreichischen Exporte in die damals noch neten Exportprognosen für Österreich für das Jahr 2020 28 EU-Mitgliedsländer fast 70% (Oberhofer et al., 2020). und geben Auskunft über die Betroffenheit der österrei- Der größte negative Wachstumsbeitrag einer einzel- chischen Exportwirtschaft von COVID-19. nen Volkswirtschaft kommt wenig überraschend aus Deutschland, als Österreichs wichtigster Destination für den Warenaußenhandel. In Szenario I trägt das Schrumpfen der deutschen Volkswirtschaft mit 2,8 Pro- zentpunkten zum Gesamtrückgang von 9,5% bei (Wolf- mayr, 2020B). Dieser Negativbeitrag erhöht sich auf mehr als 4% im Szenario III, welches die negativsten An- nahmen trifft. In Bezug auf die prognostizierten Exporteffekte der COVID-19-Pandemie liegen die Ergebnisse aus den drei Szenarien für Österreich innerhalb der Bandbreite, wie sie von IWF (2020) und WTO (2020) angegeben wer- den. Die neuesten Berechnungen der OECD (2020C) ergeben für Österreich etwas geringere negative Han- delseffekte. In dieser Studie kommen zwei Szenarien zum Einsatz, welche sich dadurch unterscheiden, ob ein Land von einer zweiten Welle getroffen wird oder nicht. Auf Basis dieser Szenarien geht die OECD (2020C) FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 5
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19 für heuer von einem Rückgang der österreichischen Ex- Abbildung 2: Bewertung der aktuellen Exportaufträge und porte (von Waren und Dienstleistungen) von 8,7% bis Einschätzung der zukünftigen Entwicklung 11,9% aus. Beurteilung der Exportaufträge 1) (sb., li. Achse in %) Median der letzten 15 Jahre (li. Achse) Im WIFO-Mittelfristprognoseszenario schrumpfen die ös- Erwartung der Exportaufträge 2) (sb., re. Achse in %-Punkten) Median der letzten 15 Jahre (re. Achse) 110 20 terreichischen Exporte 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 12%. Szenario II basiert auf den Annahmen des IWF 100 10 (2020) und weist für Österreich einen Exportrückgang 90 0 von 17% aus. Die Berechnungen von Wolfmayr (2020B) 80 -10 zeigen somit, dass Österreich als kleine offene Volkswirt- 70 -20 schaft stärker negativ im Export betroffen ist, als dies für den (durchschnittlichen) Welthandel insgesamt gilt. Im 60 -30 dritten Szenario könnte der österreichische Warenhan- 50 -40 del um mehr als 20%, unter der Annahme eine Reduk- 40 -50 tion des Welthandels um 25% sogar um 28%, einbre- chen. 30 -60 IV.Qu.2015 IV.Qu.2016 IV.Qu.2017 IV.Qu.2018 IV.Qu.2019 II.Qu.2015 II.Qu.2016 II.Qu.2017 II.Qu.2018 II.Qu.2019 II.Qu.2020 III.Qu.2015 III.Qu.2016 III.Qu.2017 III.Qu.2018 III.Qu.2019 I.Qu.2015 I.Qu.2016 I.Qu.2017 I.Qu.2018 I.Qu.2019 I.Qu.2020 Die vorliegende Szenarioanalyse von Wolfmayr (2020B) für die Entwicklung der österreichischen Exporte im Jahr 2020 ordnet sich in den Berechnungen in die internati- Q: WIFO-Konjunkturtest, Wolfmayr (2020B). - 1) Anteil der Unternehmen, die ihre Ex- portaufträge als "ausreichend" oder "mehr als ausreichend" beurteilen. - 2) Anteil onalen Studien ein. Die gewählten Szenarien sind na- der Unternehmen, die in den kommenden 3 Monaten steigende Exportaufträge türlich allesamt mit großer Unsicherheit behaftet, wobei erwarten, minus Anteil der Unternehmen, die in den kommenden 3 Monaten sin- kende Exportaufträge erwarten. das Basisszenario der WIFO-Mittelfristprognose relativ optimistisch ist. Dieses und das IWF-Szenario können aus Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass auf heutiger Sicht die aktuellen Entwicklungen relativ gut Basis der vorliegenden Zahlen und Berechnungen die abbilden. Szenario III und die Alternativszenarien des In- COVID-19-Pandemie massive negative Folgen für die ternationalen Währungsfonds sind deutlich pessimisti- Weltwirtschaft, den globalen und österreichischen Au- scher, könnten jedoch im Falle des Auftretens einer ßenhandel verursacht, welche in dieser Dimension ein- großflächigen zweiten Ansteckungswelle relevant wer- zigartig erscheinen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, den. welche die jeweiligen Volkswirtschaften soweit als möglich stabilisieren, erlauben es, den Abschwung zu Unabhängig von der konkreten Wahl des Szenarios zei- abzuschwächen. Jedoch erscheint es notwendig, zu- gen sich jedoch mindestens zwei allgemeine Trends. sätzlich handelspolitisch zu agieren, um die ökonomi- Erstens wird der Welthandel und der der österreichische schen Kosten von COVID-19 zu reduzieren. Außenhandel stärker schrumpfen als die Wirtschaftsleis- tung insgesamt. Dieses Phänomen konnte während der Finanzkrise ebenfalls beobachtet werden (Bems et 2.2 COVID-19 und der österreichische al., 2013). Zweitens wird die österreichische Außenwirt- Tourismus schaft überdurchschnittlich negativ von der COVID-19-Pandemie betroffen sein. Dieses Ergebnis Der Tourismus bildet eine der wichtigsten Komponen- spiegelt sich auch im WIFO-Konjunkturtest wider (Hölzl ten des Dienstleistungshandels und ist gleichzeitig ein et al., 2020). Garant für eine trotz einer traditionell negativen Waren- Abbildung 2 stellt den Verlauf der aktuellen Exportauf- verkerhsbilanz ausgeglichene österreichische Leis- tragslage der österreichischen Warenexporteure tungsbilanz. 2018 war die Tourismuswirtschaft darüber (blaue Linie) sowie die Erwartung hinsichtlich der zu- hinaus mit einem direkten und indirekten Wertschöp- künftigen Entwicklung der Exportaufträge (grüne Linie) fungsanteil von mehr als 8% einer der wichtigsten Sek- über die Zeit dar. Die Erwartungen beziehen sich auf toren für das österreichische BIP (Fritz, 2020A). Die eine Einschätzung über die Entwicklung der Auftrags- Nächtigungszahlen im Tourismus und der Besuch von lage über die nächsten drei Monate. Die Abbildung ausländischen Gästen in Österreich haben sich, ähn- zeigt einen massiven Einbruch sowohl hinsichtlich der lich wie der Warenaußenhandel, bereits 2019 weniger aktuellen Exportauftragslage jedoch noch stärker in dynamisch entwickelt als in den Jahren davor (Ober- Bezug auf die kurzfristigen Erwartungen. Der Erwar- hofer et al., 2020). Die Wintersaison 2019/20 verlief je- tungsindikator, welcher als Saldo von positiven und ne- doch bis zum den verordneten Betriebsschließungen gativen Erwartungen gebildet wird, brach im April 2020 mit einem Nächtigungsplus von 7,2% von November auf einen Wert von -50,4 ein. Dieser Einbruch übersteigt 2019 bis Februar 2020 sehr erfolgreich (Fritz, 2020A). alle Werte, die im Zuge der Finanzkrise jemals gemes- Die COVID-19-Pandemie stellt die österreichische Tou- sen wurden. rismuswirtschaft jedoch vor besondere Herausforderun- gen und wird diesen Wirtschaftszweig überproportional treffen. Abgesehen von der Imageproblematik, ausge- löst durch die in der Öffentlichkeit bekannt geworde- nen Ansteckungsketten aus Schigebieten und Après- Ski-Lokalen in Tirol, stellen die im Rahmen des Lock- 6 FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19 downs verhängten Ausgangs- und Reisebeschränkun- das sich gegen Ende des Jahres und der beginnenden gen sowie die für touristische Zwecke verhängten Be- Wintersaison wieder abschwächt, wofür sich der tretungsverbote für Unternehmen des Beherbergungs- Imageschaden durch die Verbreitung des SARS-CoV-2 wesens und der Gastronomie und anderer Bereiche Virus in Tirol verantwortlich zeigt. Die unterschiedlichen der österreichischen Tourismuswirtschaft eine existenti- Versionen des zweiten Szenarios gleichen in Bezug auf elle Bedrohung dar. Für die Entwicklung vor allem der die Entwicklung der Inlandsnachfrage dem ersten Sze- ausländischen Tourismusnachfrage ist nicht nur die Si- nario, erlauben jedoch eine zusätzliche Erholung der tuation in Österreich, sondern auch die in den Quellen- Nachfrage aus dem deutschen Quellmarkt, die letzt- ländern entscheidend. Die kürzlich beschlossenen Aus- endlich für den Rest des Jahres in der optimistischsten und Einreisebestimmungen für die meisten EU-Staaten Variante um lediglich 5% unter dem Vorjahrsniveau ver- sind für den Tourismus von großer Bedeutung. Wären bleibt (Fritz, 2020B). Können die aktuellen Wiederöff- diese Öffnungen nicht erfolgt oder müssten sie zurück- nungsmaßnahmen im grenzüberschreitenden Perso- genommen werden, könnten Touristen aus diesen Ge- nenverkehr aufrecht erhalten bleiben, dürfte Variante bieten nicht in Österreich einreisen, auch wenn sich im 2 tendenziell die Realität besser abbilden können. Inland die Infektionslage weiter entspannt (Fritz, Die Hauptergebnisse aus internen WIFO-Berechnungen 2020A). von Ende April 2020 für die unterschiedlichen Szenarien Seit Anfang April 2020 hat das WIFO laufend Einschät- können wie folgt zusammengefasst werden: zungen zur Entwicklung der Nächtigungszahlen in Ös- • Im Vorjahresvergleich sinkt die Anzahl an Nächti- terreich für das Jahr 2020 abgegeben (Fritz, 2020B). Hier gungen in österreichischen Beherbergungsstätten gilt Ähnliches wie für den Warenhandel. Die zwischen 32% (im optimistischsten Szenario) und COVID-19-Pandemie sorgt für ein zu hohes Maß an Un- 44%. sicherheit, um klassische Prognosen anstellen zu kön- nen. Aus diesem Grund hat das WIFO zur Abschätzung • Die Umsatzverluste der Beherbergungsstätten wer- der COVID-19-Folgen für die Anzahl an Nächtigungen den durch zu erwartende Preisreduktionen sowie in Österreich auf unterschiedliche Szenarien zurückge- den Ausfall zahlungskräftiger Gäste aus Fernmärk- griffen, die auf den 2019 realisierten Anteilen der Näch- ten größer ausfallen als die mengenmäßigen Rück- tigungen nach Quellmärkten in den Bundesländern gänge. basieren. Diese Szenarien gehen prinzipiell davon aus, • Im Falle einer zweiten Ansteckungswelle oder nega- dass die behördliche Schließung von Beherbergungs- tiverer Entwicklungen in den wichtigsten Quellmärk- betrieben bis Ende Mai andauert, sich die Nachfrage ten könnte der Rückgang jedoch wesentlich stärker im Juni sehr zögerlich, über die Monate Juli und August ausfallen. dann etwas deutlicher erholt, aber auch danach die Die Ergebnisse der vorhandenen WIFO-Berechnungen Vorjahresniveaus noch nicht wieder erreicht werden dokumentieren die massive Betroffenheit des Tourismus können (Fritz 2020B). Dabei ist jedoch wichtig zu be- durch die COVID-19-Pandemie. Die Rückgänge im rücksichtigen, dass die Entwicklung der Nachfrage ausländischen Tourismus werden die Leistungsbilanz schon aufgrund des unsicheren Verlaufs der Pandemie Österreichs verschlechtern und ordnen sich insgesamt in anderen Ländern und den damit einhergehenden in die negative Entwicklung des österreichischen Wa- Reisebeschränkungen schwer abschätzbar bleibt, wo- ren- und Dienstleistungsaußenhandels ein. Wirtschafts- bei die aktuellen Lockerungen der Reisebeschränkun- politische Maßnahmen und die bereits größtenteils er- gen für den Tourismus positiv zu werden sind. folgten koordinierten Grenzöffnungen auf EU-Ebene Aus diesem Grund verwendet Fritz (2020B) zwei unter- werden notwendig sein, um den bereits entstandenen schiedliche Annahmen hinsichtlich der Erholung der ökonomischen Schaden nicht weiter anwachsen zu Nachfrage. Das erste Szenario unterstellt, dass die Erho- lassen. lung der Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben von der inländischen Nachfrage getragen wird. So- 2.3 Ausländische Direktinvestitionen in lange in Österreich relativ restriktive Ausreisebestim- mungen für die südlichen Urlaubsdestinationen wie Zeiten von COVID-19 etwa Italien und Spanien gelten, und auch die Unsi- cherheit über das Ansteckungsrisiko im Ausland hoch Auch ausländische Direktinvestitionen (FDI) sind von bleibt, dürfte mit höherer inländischer Nachfrage in ös- der COVID-19-Pandemie betroffen. In wirtschaftlich un- terreichischen Sommerurlaubsdestinationen zu rech- sicheren Zeiten meiden Unternehmen typischerweise nen sein. Die erste Variante von Szenario 1 geht, wie langfristige Investitionen und Beteiligungen. So werden bereits erwähnt, von einem massiven Rückgang der strategische und langfristig ausgerichtete Investitions- Übernachtungen bis Ende Juli aus, danach aber von projekte verschoben. Dies betrifft zum einen, wie oben einer stetigen Erholung der Inlandsnachfrage, welche beschrieben, den Handel mit Investitionsgütern, aber das Vorjahresniveau allmählich übersteigt. Eine opti- auch die Ansiedlungsentscheidungen von Unterneh- mistische Variante dieses Szenarios geht alternativ da- men. von aus, dass sich die Inlandsnachfrage bereits im Juli Auf der anderen Seite hat die COVID-19-Krise gewisse im Vorjahresvergleich um 5% erhöht. Bis November wird Schwachstellen in den globalen Wertschöpfungsket- ein doch deutliches Wachstum der inländischen Nach- ten sichtbar gemacht. Konkret scheinen manche Pro- frage von bis zu 20% im Vorjahresvergleich unterstellt, FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 7
3. Handelspolitik in Zeiten von COVID-19 duktionsprozesse zu wenig diversifiziert zu sein. Eine Ab- SARS-CoV-2 Virus im Laufe des Jahres 2021 leicht. In ei- hängigkeit von nur wenigen Zulieferbetrieben, die regi- nem Regionalvergleich zeigen alle Szenarien eine stär- onal vielleicht auch noch "geclustered" sind, birgt das kere Betroffenheit der Entwicklungsländer. Für diese Risiko eines Totalausfalls der Vorleistungsproduktion in würden die einströmenden Direktinvestitionen noch sich. Das gilt übrigens auch für rein nationale Produkti- stärker sinken und somit die wirtschaftliche Situation onsnetzwerke (Bonadio et al., 2020). Im Nachgang zur weiter verschärft werden. Auf Basis der vorliegenden COVID-19-Krise könnte es somit zu einer vermehrten Di- Berechnungen geht die OECD davon aus, dass auslän- versifikation in Produktionsnetzwerken kommen, was zu dische Direktinvestitionen eine wichtige Rolle für den einem Anstieg von ausländischen Direktinvestitionen Aufschwung nach der überwundenen COVID-19- Pan- führen könnte. demie spielen werden und es dazu investitionsfreundli- Aktuell dominiert jedoch die Unsicherheit und führt zu che politische Rahmenbedingungen benötigen wird. einem starken Rückgang der ausländischen Direktin- vestitionen. Die OECD (2020A) widmet sich in einem ak- 3. Handelspolitik in Zeiten von tuellen Bericht den möglichen kurz- und mittelfristigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie für die auslän- COVID-19 dischen Direktinvestitionsaktivitäten und verwendet ebenfalls drei unterschiedliche Szenarien (optimistisch, Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat (nicht nur) mittel, pessimistisch): 5 in Europa zu handelspolitischen Reaktionen geführt. Zum einen wurden durch die nationalen gesundheits- Das optimistische Szenario unterstellt, dass sich das politischen Maßnahmen strikte Reisebeschränkungen SARS-CoV-2 Virus im Laufe der nächsten zwei bis drei in Kraft gesetzt. Diese nachvollziehbaren und notwen- Monate kontrollieren lässt, effektive Behandlungsme- digen Maßnahmen schränken jedoch die Funktionsfä- thoden gefunden, die Testkapazitäten massiv ausge- higkeit des Binnenmarktes und die Personenfreizügig- weitet werden und die wirtschaftspolitischen Maßnah- keit deutlich ein. In Österreich und Deutschland haben men insofern effektiv sind, dass keine strukturellen Schä- diese Beschränkungen zum Beispiel für Tätigkeiten in den in den betroffenen Volkswirtschaften entstehen. In der 24-Stunden-Pflege sowie in der Frühjahrsernte diesem Szenario würde bereits Ende 2021 das Vorkri- durch fehlende Fach- und Arbeitskräfte (vor allem) aus senniveau des BIP erreicht werden können. Das mittlere den osteuropäischen Ländern zu Problemen geführt. 6 Szenario geht von lokal begrenzten weiteren und neu- Die eingeführten Grenzkontrollen beeinträchtigen dar- erlichen Ausbrüchen von COVID-19 aus und unterstellt, über hinaus den Warenhandel innerhalb des Binnen- dass die Politikmaßnahmen damit regional unter- marktes, obwohl der Gütertransport der erste Bereich schiedlich effektiv sind. Im pessimistischen Szenario war, in dem man sich auf gemeinsame Lockerungen geht die OECD (2020A) davon aus, dass die gesetzten einigte. Die verfügbare Evidenz aus der früheren Schlie- Maßnahmen nicht ausreichen, um das Virus vollständig ßung von einzelnen Binnenmarktgrenzen im Zuge der einzudämmen. Darüber hinaus reichen die wirtschafts- "Flüchtlingskrise" belegt, dass die Einführung von Grenz- politischen Maßnahmen nicht aus, um strukturelle Ef- kontrollen innerhalb des Binnenmarktes ökonomische fekte in den Volkswirtschaften zu vermeiden. Es kommt Kosten verursacht (Felbermayr et al., 2016). Im Ver- in diesem Szenario zu vermehrten Insolvenzen und einer gleich zu den Grenzschließungen der Jahre 2015/16 länger andauernden Rezession. waren die Reisebeschränkungen in der Hochphase der Im optimistischen Szenario geht die OECD (2020A) von COVID-19 Pandemie deutlich restriktiver, was wiede- einem Rückgang der weltweiten FDI-Ströme um 30% bis rum deutlich größere ökonomische Kosten dieser Maß- 40% im Jahr 2020 aus, bevor sie im Jahr 2021 um ein nahmen erwarten lässt. ähnliches Ausmaß wiederum ansteigen würden. So Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie führten könnte bis Ende 2021 das Vorkrisenniveau an Nettoin- viele Länder Exportbeschränkungen für medizinische vestitionen erreicht werden. Dieses Niveau läge dann Produkte ein. Bis zum 25. April 2020 galten bereits in 75 jedoch immer noch unter dem des Jahres 2015, da die Ländern Ausfuhrbeschränkungen für medizinische FDI-Ströme in den letzten Jahren generell rückläufig Schutzbekleidung, Masken, Beatmungsgeräte und waren (siehe dazu auch Hunya - Schwarzhappel, 2018 ähnliche Produkte aus dem Gesundheitsbereich für die CESEE-Region). (Evenett, 2020A). Diese 75 Länder sind insgesamt für Im mittleren Szenario gehen die ausländischen Direktin- 122 neue und zusätzliche Beschränkungen in diesem vestitionsströme um 35% bis 45% zurück. Die Erholung im Bereich verantwortlich (Evenett, 2020A). Einige Länder, Jahr 2021 ist in diesem Szenario weniger stark ausge- darunter die USA, Frankreich und Indien, haben meh- prägt und das Niveau an FDI-Strömen wäre Ende rere Ausfuhrbeschränkungen verhängt oder diese im nächsten Jahres im Vorkrisenvergleich um etwa ein Drittel niedriger. Im pessimistischen Szenario schrump- fen die FDI-Ströme um mehr als 40% und erholen sich erst mit der Verfügbarkeit einer Impfung gegen das 5 Siehe auch McKinsey (2020). 6 Siehe z. B. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oester- reich/2058202-Korridorzuege-fuer-Pfleger-und-Erntehelfer-aus-Rumae- nien.html. 8 FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
3. Handelspolitik in Zeiten von COVID-19 Zeitablauf verschärft. Auch innerhalb des Binnenmark- im Jahr 2019 persönliche Schutzausrüstung im Waren- tes haben Exportbeschränkungen zu (temporär) verzö- wert von 119,3 Mio. € aus China und von 31,5 Mio. € gerten Exporten und politischen Irritationen geführt. 7 aus den USA (Wolfmayr, 2020A). Mit 51,5% an den ge- Gleichzeitig blieben während der COVID-19-Pandemie samten Extra-EU-Importen dieses Gutes dominiert we- tarifäre und nichttarifäre Importbeschränkungen für nig überraschend China als wichtigster Handelspartner Gesundheitsprodukte und Seifen großteils aufrecht außerhalb der EU. Die USA folgt mit 13,6% auf dem zwei- (Evenett, 2020B). Insgesamt führten die zusätzlichen ten Platz. Ausfuhrbeschränkungen bei gleichbleibenden Einfuhr- Die COVID-19-Pandemie zeigt, dass ein Virus nationale bestimmungen zu einer Zunahme der Handelsbarrieren Grenzen relativ leicht überwinden kann und eine mas- für Produkte aus dem Gesundheitsbereich. sivere Ausbreitung von COVID-19 in einem Nachbar- Für die Bewältigung der Gesundheitsfolgen von land (auch außerhalb der EU) die Krise innerhalb der EU COVID-19 könnten die neuen Handelsbarrieren vor al- verstärken kann. Mit dem Abschneiden von Nachbar- lem für Entwicklungsländer zu einem ernsthaften Prob- ländern von den notwendigen Gesundheitsprodukten lem werden (Espita et al., 2020). Den Berechnungen zur Reduktion der Fallzahlen kann somit auch eine Ge- dieser Weltbankstudie zur Folge steigen die Weltmarkt- fahr für das eigene Gesundheitssystem entstehen preise für medizinische Schutzmasken zum Beispiel (Wolfmayr, 2020A). Eine schnelle Eindämmung der durch die Exportbeschränkungen um rund 20%, bei ei- Pandemie kann darüber hinaus nur dann effektiv gelin- ner gleichzeitigen Reduktion der Verfügbarkeit solcher gen, wenn den "Hotspots" die größtmögliche Unterstüt- Masken. Die Gesundheitssysteme der meisten Entwick- zung und Hilfe zuteil wird. Exportbeschränkungen kön- lungsländer werden durch die Preiserhöhungen und nen demnach kontraproduktiv sein. die Angebotsverknappung auf den internationalen Im Bereich der Lebensmittelversorgung kam es in eini- Märkten schneller an ihre Grenzen stoßen und könnten gen europäischen und anderen Ländern zu "Hamster- bei ähnlichen Verläufen wie in den USA oder einigen käufen", bei denen gewisse Produkte überproportional europäischen Ländern vollständig kollabieren. Aktuelle stark nachgefragt wurden. In früheren Krisensituatio- Zahlen geben im Moment jedoch Hoffnung, dass zu nen, wie etwa der Finanzmarktkrise, haben einige Län- mindest auf dem afrikanischen Kontinent ein milderer dern mit Handelsbeschränkungen auf die gesteigerte Verlauf der Pandemie möglich sein könnte. 8 Nachfrage reagiert, und so bestand auch in der aktu- Die EU hat auf die Ausfuhrbeschränkungen von Ge- ellen COVID-19-Krise die Sorge vor einer ähnlichen Ent- sundheitsausrüstung innerhalb des Binnenmarktes mit wicklung. Während der Finanzmarktkrise konnten etwa einer Verordnung reagiert (für Details siehe z. B. Wolf- 45% und 30% des Anstiegs der Weltmarktpreise für Reis mayr, 2020A). Diese Verordnung sollte den unbe- und Weizen auf restriktive handelspolitische Maßnah- schränkten Handel von medizinischen Produkten inner- men zurückgeführt werden (Sinabell, 2020). Teilweise halb der EU garantieren, schrieb jedoch eine Geneh- wurden diese Fehler auch im Zuge der COVID-19-Pan- migungsnotwendigkeit für Exporte in Drittstaaten vor demie wiederholt. 35 Länder haben bis Ende April 2020 und beschränkte die Ausfuhren in Drittstaaten auf 26% Exportbeschränkungen für Nahrungsmittel verhängt aller Exporte der betroffenen Produkte. 9 Sie war zeitlich (Baldwin - Evenett, 2020), obwohl die historischen Er- befristet und ist mit 28. Mai 2020 ausgelaufen. fahrungen belegen, dass diese Maßnahmen inneffek- tiv und oftmals sogar kontraproduktiv sind. Die Ausfuhr- In einer aktuellen WIFO-Untersuchung weist Wolfmayr beschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie (2020A) auf die Gefahren durch unbeabsichtigte Ne- sind auch insofern überraschend, als im Vergleich zu beneffekte einer Exportbeschränkungspolitik hin. Zum den Preissteigerungen von Lebensmitteln zwischen den einen spielen die globalen Wertschöpfungsketten und Jahren 2006 bis 2008 aktuell die (globale) Versorgungs- internationale Verteilernetzwerke für die Bereitstellung und Produktionslage relativ günstig ist (Martin - Glau- von Gesundheitsprodukten eine wichtige Rolle. Han- ber, 2020). delsbeschränkungen können auf der "Gegenseite" durch andere handelsbeschränkende Maßnahmen Ein weiteres handelspolitisches Thema, welches auch in beantwortet werden. Das kann zum Stocken der Wert- Österreich im Zuge der COVID-19-Pandemie verstärkt schöpfungskette führen und damit auch die Produk- diskutiert wurde, betrifft die gesetzlichen Rahmenbe- tion für den EU-Markt drosseln (Evenett, 2020B). Auch dingungen von ausländischen Unternehmensinvestitio- können Importe von medizinischen Fertigprodukten nen in Form von Beteiligungen bzw. Übernahmen. In aus Drittstaaten ebenfalls mit Exportbeschränkungen der letzten Maiwoche hat die Bundesregierung einen belegt werden und so das Angebot für die notwendige Gesetzesentwurf zu Investitionskontrollen vorgelegt, Versorgung im Binnenmarkt schmälern (Bown, 2020; welcher die Umsetzung einer bereits vor längerer Zeit Wolfmayr, 2020A). Österreich importierte zum Beispiel beschlossenen EU-Verordnung im österreichischen Recht sicherstellen soll. 10 Demnach sollen ausländische 7 Siehe z. B. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oester- 9https://eur-lex.europa.eu/legal-con- reich/2054858-Fast-eine-Staatsaffaere-um-Masken.html. tent/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32020R0402&from=DE. 8 https://orf.at/stories/3167492/. 10https://www.derstandard.at/story/2000117752180/schramboeck- will-genehmigungspflicht-fuer-unternehmenskaeufe-ueber-25-prozent . FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 9
4. Handelspolitik in der Post-COVID-19-Ära Unternehmensübernahmen (durch Unternehmen aus Drittstaaten) ab einer Beteiligungsgrenze von 25% ge- 4. Handelspolitik in der nehmigungspflichtig werden. In definierten sensiblen Post-COVID-19-Ära Bereichen, wie etwa der Arzneimittelproduktion, der Wasserversorgung oder der digitalen Infrastruktur, soll Die COVID-19-Pandemie hat gewisse Schwachstellen die Genehmigungsschwelle mit einem Anteil von 10% im internationalen Handelssystem sichtbar gemacht niedriger angesetzt werden. Das Gesetz soll mit Som- und zu einigen teilweise auch unerwarteten handels- mer oder spätestens Herbst in Kraft treten. Nach aktu- politischen Reaktionen geführt. Aus der aktuellen Krise eller Rechtslage besteht bisher lediglich eine Melde- sollten für die Weiterentwicklung des Binnenmarktes pflicht von Beteiligungen von mindestens 25%, wenn und des globalen Handelssystems die richtigen diese von Unternehmen aus Drittstaaten gehalten wer- Schlüsse gezogen und notwendige Anpassungen vor- den. Österreich gehört mit diesen Maßnahmen zu einer genommen werden. Gruppe von 14 EU-Mitgliedsländern, welche Investiti- Die aktuellen Vorschläge aus der Literatur betonen, onskontrollen bereits gesetzlich vorgeschrieben haben dass ein verstärkter Protektionismus und eine Abschot- (Kowalski, 2020). 11 Von diesen EU-Ländern haben ei- tung von den Weltmärkten die negativen Folgen der nige wie etwa Deutschland, Niederlande und Frank- COVID-19-Krise wahrscheinlich verstärken würden reich im Zuge der COVID-19-Krise die entsprechenden (siehe z. B. Baldwin - Evenett, 2020; OECD, 2020B). Auch Investitionskontrollengesetze bereits verschärft. Italien historische Episoden sprechen dagegen, dass sich eine ging sogar noch einen Schritt weiter und hat die Inves- weltweite Wirtschaftskrise durch restriktive Handelspoli- titionskontrollen auf Investoren aus der EU ausgeweitet. tik effektiv kurieren lässt. So hat etwa nach Ansicht von Diese scharfen Regelungen dürfte wohl nicht durch Wirtschaftshistorikern der "Smoot-Hawley Tariff Act" des das EU-Recht gedeckt sein. Auch außerhalb der EU US-amerikanischen Kongresses, in welchem im Juni kann eine Tendenz zu verstärkten Investitionskontrollen, 1930 eine drastische Erhöhung von Einfuhrzöllen be- etwa im Vereinigten Königreich und Australien, beob- schlossen wurde, die Rezession nach der Weltwirt- achtet werden. schaftskrise von 1929 weiter (massiv) verschärft und ver- In der aktuellen Krisensituation verfolgen Investitions- längert (siehe z. B. Grossman, 2013). kontrollen das Ziel, unverschuldet in Probleme gerate- Grundsätzlich geht die Wirtschaftspolitik mit vielleicht nen Unternehmen vor unfreiwilligen Übernahmen zu ganz wenigen Ausnahmen nicht davon aus, durch pro- schützen. Temporär begrenzt und mit Augenmaß an- tektionistische Maßnahmen bzw. Handelsrestriktionen gewendet erscheinen diese Kontrollen vertretbar, so- die COVID-19-Krise erfolgreich bekämpfen zu können. lange sie sich auf Drittstaaten außerhalb der EU be- Die COVID-19-Pandemie als Gesundheitskrise hat aller- schränken. Mittelfristig betrachtet können solche Kon- dings einige Schwachstellen in der EU und dem globa- trollen jedoch als Standortfaktor für internationale In- len Wirtschaftssystem aufgezeigt, die adressiert werden vestoren abschreckend wirken. Darüber hinaus könn- sollten. Erstens hat sich in der EU gezeigt, dass bei Poli- ten die Kontrollen das Konkursrisiko in Unternehmen in tikfeldern, die in der alleinigen nationalen Kompetenz ausländischer Miteigentümerschaft erhöhen, falls diese verblieben sind, die Koordinierung der Mitgliedsländer ihre Anteile nicht erhöhen dürfen. Das höhere Konkurs- nicht sehr gut funktioniert. Die Einzelstaaten trafen ihre risiko könnte sicher wiederum negativ auf die Kapital- gesundheitspolitischen Maßnahmen vor allem auf Basis kosten der Unternehmen auswirken und den österrei- der jeweiligen nationalen Situationseinschätzungen. chischen Kapitalmarkt insgesamt schwächen. Sollte es Das führte im Ergebnis jedoch zu unkoordinierten hierdurch zu einem Rückgang an Investitionen kom- Grenzschließungen und anderen Behinderungen inner- men, könnte sich dies dämpfend auf die Produktivitäts- halb des Binnenmarktes. Auch hat es relativ lange ge- entwicklung der österreichischen Wirtschaft in der dauert, bis den stark betroffenen Mitgliedsländern in Post-COVID-19-Zeit auswirken. Zwar geht die Literatur koordinierter Art und Weise geholfen wurde. Eine Lehre davon aus, dass der Produktivitätseffekt von ausländi- aus der COVID-19-Pandemie könnte die Entwicklung schen Investitionen in hochentwickelteren Ländern eines EU-weiten Pandemieplans sein, der die Koopera- schwächer ausgeprägt ist (siehe z. B. Weyerstraß, tion der einzelnen Mitgliedstaaten klarer strukturiert und 2018), jedoch kann aktuell noch nicht seriös abge- eine koordinierende Rolle einnimmt. Gesundheitspoliti- schätzt werden, wie wichtig ausländische Investitionen sche Agenden werden wohl auch in Zukunft eine Kom- für eine schnelle und nachhaltige Erholung der heimi- petenz der Nationalstaaten bleiben, jedoch zeigt sich, schen Wirtschaft und die Sicherung der Wettbewerbs- dass eine mangelnde gesundheitspolitische Abstim- fähigkeit von inländischen Unternehmen sein werden. mung innerhalb der EU in einer Krisensituation den Bin- nenmarkt unter Druck setzen kann und so zusätzliche Probleme für die europäische Wirtschaft verursacht. In Zusammenhang mit den gesundheitspolitisch notwe- nigen Grenzschließungen und Kontrollen hat sich ein 11 Eine laufend aktualisierte Liste aller EU-Mitgliedsländer mit Investiti- onskontrollen findet sich unter https://trade.ec.europa.eu/do- clib/docs/2019/june/tradoc_157946.pdf. 10 FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
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