Policy Brief Nr. 46, Juni 2020 Der globale Handel und die Handelspolitik in Zeiten von COVID-19 - FIW

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Policy Brief Nr. 46, Juni 2020

 Der globale Handel und die Handelspolitik in
 Zeiten von COVID-19
 Harald Oberhofer
 Wirtschaftsuniversität Wien (WU)
 Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)

 Der Welthandel wird von COVID-19 stärker betroffen sein als die Gesamtproduktion von Waren und
 Dienstleistungen. Aktuelle Studien gehen von einem Rückgang der globalen Handelsströme von 11%
 bis 30% für das Jahr 2020 aus. Für Österreich als kleine offene Volkswirtschaft führt dies zu zusätzlichen
 Herausforderungen. Dieses Policy Brief gibt einen Überblick über die möglichen Handelseffekte von
 COVID-19 für die globale und österreichische Wirtschaft und betrachtet insbesondere den Warenhan-
 del, die Tourismusbranche und die ausländischen Direktinvestitionen. In einem weiteren Abschnitt wird
 ein Überblick über die handelspolitischen Entwicklungen während der COVID-19-Pandemie gegeben
 und ein besonderer Fokus auf sensible Produkte aus dem Gesundheitsbereich und auf Lebensmittel
 gelegt. Aus den Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie können Lehren für die internationale Han-
 delspolitik und die EU gezogen werden. Wie diese Lehren aussehen und welche Politikmaßnahmen er-
 griffen werden könnten, wird in einem abschließenden Kapitel behandelt und diskutiert.

                                                             Ebene beschlossen. So wurden etwa innerhalb der Eu-
1.1   Einleitung                                             ropäischen Union (EU) und dem Schengen-Raum
                                                             Grenzen geschlossen, der Flugverkehr eingestellt und
Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat den Groß-             auch Warenkontrollen im grenzüberschreitenden Han-
teil der globalen Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Mit      del eingeführt. Darüber hinaus wurden z.B von den USA
China, Japan, den USA, Brasilien und Europa hat die          oder Deutschland auch Exportbeschränkungen für
Pandemie die größten Volkswirtschaften der Welt zu           medizinische Schutzausrüstung eingeführt. Andere Län-
unterschiedlichen Zeitpunkten erfasst. Die überwälti-        der wie etwa Polen und Tschechien beschlagnahmten
gende Mehrheit der betroffenen Länder hat restriktive        Schutzmaterialen sogar im Transitbereich. Erst Anfang
Ausgangs- und Verkehrsbeschränkungen eingeführt.             Juni begannen die restriktiven Einschränkungen des
Vielen Wirtschaftsbereichen – darunter vor allem den         europäischen Binnenmarkts durch Öffnungsschritte ab-
(persönlichen) Dienstleistungen – wurde die Geschäfts-       zunehmen.
grundlage gesetzlich auf einer temporären Basis entzo-       Politische Überlegungen zur Rückverlagerung von Pro-
gen. Bis Mai entspannte sich die Situation in einer Viel-    duktionen in sensiblen Bereichen wurden von einigen
zahl der asiatischen und einigen europäischen Staaten        Staaten angeregt, auch ausländische Investitionsbe-
in medizinischer Hinsicht soweit, dass diese Länder die      schränkungen wurden in Kraft gesetzt. Viele dieser
inländische Wirtschaft langsam wieder hochfahren             Maßnahmen sind mit einer zeitlichen Befristung verse-
konnten.                                                     hen, könnten allerdings die Erholung der Wirtschaft
Die Konsequenzen der COVID-19-Schutzmaßnahmen                nach der überstandenen COVID-19-Pandemie beein-
für die globale Wirtschaft und den internationalen Han-      trächtigen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche
del wurden vor allem in der Akutphase der Pandemie           Lehren man aus der COVID-19-Krise für die Gestaltung
in der wirtschaftspolitischen Debatte fast gänzlich aus-     des globalen Handelssystems ziehen kann und welche
geblendet. Die gesundheitspolitischen Maßnahmen              notwendigen Anpassungen in der Handelspolitik
wurden fast ausschließlich auf nationalstaatlicher           dadurch notwendig werden.

                                                                         FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020       1
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19

Dieses Policy Brief diskutiert auf Basis von aktuell verfüg-            eine Einschätzung der möglichen COVID-19-Folgen
baren Daten und Zahlen sowie bereits bestehender                        abgeben zu können, kommen in den verfügbaren Ar-
Szenarioanalysen die möglichen Konsequenzen der                         beiten so genannte Szenarioanalysen zum Einsatz. In
COVID-19-Pandemie für den internationalen Handel                        diesen werden unterschiedliche Tiefen sowie Zeitdi-
sowie die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) und                   mensionen der COVID-19-Pandemie unterstellt und
legt dabei einen Fokus auf Österreich. In einem weite-                  daraus die Folgen für den internationalen und den ös-
ren Schritt sollen die aktuellen handelspolitischen Maß-                terreichischen Außenhandel oder den Tourismus abge-
nahmen, welche als Reaktion der COVID-19-Krise um-                      leitet. Dieses Policy Brief bezieht sich auf diese Szena-
gesetzt worden sind, systematisiert und ökonomisch                      rien und gibt einen Überblick über mögliche (kurzfris-
bewertet werden. Im letzten Abschnitt wird ein Ausblick                 tige) Auswirkungen von COVID-19 für die österreichi-
darauf gegeben, wie eine Post-COVID-19-Handels-                         sche Außenwirtschaft.
politik auf der globalen und der EU-Ebene aussehen
könnte.                                                                 2.1       Außenhandelseffekte der
                                                                                  COVID-19-Pandemie
2. Die Handels- und
   Direktinvestitionseffekte von                                        Bereits das Jahr 2019 war durch eine relativ gedämpfte
                                                                        Entwicklung der Weltwirtschaft, der globalen Handels-
   COVID-19                                                             ströme und der österreichischen Exporte und Importe
                                                                        geprägt. Die Hauptursachen hierfür waren die Han-
Eine Einschätzung der gesamten ökonomischen Folgen                      delskonflikte der USA mit China sowie der EU und die
der COVID-19-Pandemie für die Weltwirtschaft und die                    Unsicherheit über den Brexit, also den Austritt des Ver-
Handels- und FDI-Beziehungen ist zum aktuellen Zeit-                    einigten Königreichs aus der EU (Oberhofer et al., 2020).
punkt mit Risiko und Unsicherheit behaftet. Zum einen
erlaubt es die aktuelle Datenlage nur sehr bedingt, die                 2.1.1       COVID-19 und die globalen
bereits realisierten Rückgänge in den internationalen                               Wertschöpfungsketten
Handelsströmen vollständig abzubilden. Offizielle Da-
ten von Statistik Austria zur Entwicklung des österreichi-              Mit dem Ausbruch von COVID-19 am Beginn des Jah-
schen Außenhandels liegen aktuell zum Beispiel nur für                  res 2020 und der zunächst regional begrenzten Betrof-
das erste Quartal 2020 und somit nur teilweise für die                  fenheit Asiens, vor allem Chinas, änderte sich das Risi-
Monate mit starken Wirtschaftsbeschränkungen vor. 1                     koumfeld. Es stellte sich die Frage, wie stark die globa-
                                                                        len Wertschöpfungsketten durch die Stilllegung der
Zum anderen herrscht aktuell eine große Unsicherheit
                                                                        Produktion in der Region Wuhan und anderen Teilen
über die Dauer und die Tiefe der globalen Rezession,
                                                                        Chinas und Asiens negativ beeinflusst werden und da-
die durch COVID-19 verursacht wird (Wolfmayr, 2020B).
                                                                        mit zu einer Abnahme der internationalen Handelstä-
Die gängigen Indikatoren zur Bewertung von ökonomi-
                                                                        tigkeit führen können.
scher Unsicherheit erreichten im März 2020 Werte, die
das Niveau während der Finanzmarktkrise oder der eu-                    Für diesen Effekt von COVID-19 liegt auf Grund des zeit-
ropäischen Staatsschuldenkrise deutlich überstiegen                     lichen Ablaufs bereits aggregiertes Datenmaterial vor.
(Baker et al., 2020). Entscheidende Unsicherheitsfakto-                 So zeigen aktuelle Zahlen von Eurostat, dass die Im-
ren sind hier etwa, ob, und wenn ja, welche Länder von                  porte und Exporte mit Drittstaaten von Jänner bis März
einer "zweiten Infektionswelle" getroffen werden und                    2020 zurückgegangen sind. So belief sich der saisonbe-
wie stark sich die Einkommen infolge der Krise verrin-                  reinigte Gesamtwarenhandel (Importe plus Exporte)
gern werden. Die Nachfrage nach Investitionsgütern,                     der EU mit allen Drittstaaten außerhalb der EU im Jän-
die für den österreichischen Export besondere Bedeu-                    ner 2020 auf 252 Mrd. € und reduzierte sich im März
tung aufweisen, wird darüber hinaus maßgeblich von                      2020 auf 228 Mrd. €. 2 Dies entspricht einem saisonberei-
der Dauer der Krise bestimmt werden (Wolfmayr,                          nigten Rückgang des Extra-EU-Handels um rund 9,5%.
2020B). Auch kann aktuell nur grob abgeschätzt wer-                     Besonders stark eingebrochen ist (in absoluten Werten
den, wie sich der Tourismus in den nächsten Monaten                     betrachtet) der Handel mit Maschinen und Fahrzeu-
und darüber hinaus entwickeln wird (siehe Kapitel 2.2).                 gen (Exporte -20%, Importe -15%) sowie mit anderen In-
Diese Kombination von kaum verfügbaren Echtzeitindi-                    dustrieprodukten (Exporte und Importe jeweils -16%).
katoren für die aktuelle globale und außenwirtschaftli-                 Die vorläufigen österreichischen Handelsdaten von
che Lage und einem ungewöhnlich hohen Maß an                            Statistik Austria für Jänner und Februar 2020 zeigen ein
wirtschaftlicher Unsicherheit verunmöglicht die Anwen-                  ähnliches Bild. 3 So haben sich die österreichischen Im-
dung klassischer Prognoseverfahren für die Abschät-                     porte aus den Nicht-EU-Ländern in diesen beiden Mo-
zung der Entwicklung im heurigen Jahr. Um trotzdem                      naten im Jahresvergleich um 9,4% reduziert. Im Februar

                                                                        2https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-eurostat-news/-
1   http://www.statistik.at/web_de/presse/123371.html.
                                                                        /DDN-20200522-
                                                                        1?inheritRedirect=true&redirect=%2Feurostat%2Fde%2Fhome.
                                                                        3   https://www.statistik.at/web_de/presse/123070.html.

2                  FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19

war der Rückgang stärker ausgeprägt und belief sich                   eingeführt sowie Ausgangs- und Reisebeschränkungen
auf 16%. Die Daten für Österreich belegen jedoch                      verhängt. Der grenzüberschreitende Güterverkehr
auch, dass der Intra-EU-Handel ebenfalls bereits in den               wurde erschwert, der Personenverkehr (fast) zur Gänze
ersten beiden Kalendermonaten des Jahres 2020                         untersagt. Die aktuell verfügbaren Handelsdaten für
durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt wurde.                     Österreich und von Eurostat können den Einfluss des eu-
So sanken im Jahresvergleich die österreichischen Im-                 ropäischen "Lockdowns" nur in einem beschränkten
porte aus den EU-Mitgliedsländern um 4,7%, die Ex-                    Ausmaß erfassen.
porte um 4,9%. Dieses Ergebnis mag auf den ersten                     Die gesundheitspolitischen Maßnahmen, die durch
Blick überraschen, war die EU zu diesem Zeitpunkt ja                  COVID-19 notwendig wurden, führten im Wirtschafts-
noch nicht direkt vom SARS-CoV-2 Virus betroffen. Teil-               system zu einem simultanen – und in dieser Dimension
weise kann der Rückgang im Intra-EU-Handel mit gro-                   vermutlich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs nicht
ßer Wahrscheinlichkeit mit dem negativen Einfluss der                 mehr bekannten – Angebots- und Nachfrageschock
stockenden Lieferketten und den ausbleibenden Vor-                    (Baldwin – Weder di Mauro, 2020). Die ökonomische
produkten aus China und anderen asiatischen Volks-                    Unsicherheit und die gesetzlich deutlich beschränkten
wirtschaften für die Produktion in der EU erklärt werden.             Konsummöglichkeiten dämpften die Nachfrage mas-
Ob noch andere Faktoren, etwa ein auch in Europa                      siv. Gleichzeitig wurden auch die Produktionsmöglich-
möglicherweise stattgefundener Anstieg der ökonomi-                   keiten weitgehend beschränkt, was zu einem negati-
schen Unsicherheit, ebenfalls eine Rolle spielte, kann                ven Angebotsschock führte. Beide Kanäle wirken sich
auf Basis der verfügbaren aggregierten Information                    negativ auf den internationalen Handel aus und so
nicht direkt beantwortet werden.                                      kann davon ausgegangen werden, dass die internati-
 Die aktuellsten Außenhandelsdaten der Statistik Aus-                 onalen Handelsrückgänge stärker ausfallen werden als
tria berücksichtigen das gesamte erste Quartal und so-                der Einbruch der Gesamtwirtschaftsleistung.
mit zusätzlich auf den März. Für die Hälfte dieses Mo-                Diese theoretischen Überlegungen liefern die Basis für
nats waren die restriktiven Ausgangs- und Reisebe-                    eine Reihe von Szenarioanalysen, die sich mit den
schränkungen sowie Grenzkontrollen in Kraft. Im Vor-                  möglichen Folgen der COVID-19-Pandemie für den in-
jahresvergleich sind im März 2020 die Importe um 8%                   ternationalen Handel im Allgemeinen (IWF, 2020; WTO,
und die Exporte um 5,2% geringer ausgefallen. Über-                   2020A) und den Auswirkungen auf den österreichi-
durchschnittlich stark sanken in diesem Monat die Im-                 schen Warenhandel im Speziellen (Wolfmayr, 2020B)
porte aus der EU (-9,4%) sowie die Exporte in Drittstatten            beschäftigen. Übersicht 1 stellt die unterschiedlichen
(-7,9%). Hieraus lässt sich ableiten, dass die gesund-                Szenarien dar, die den einzelnen Studien zugrunde ge-
heitspolitischen Maßnahmen vor allem die Einfuhr von                  legt werden. Die ersten drei Studien fokussieren auf die
Waren aus unseren Nachbarstaaten und wichtigsten                      Handelseffekte von COVID-19. Die letzten beiden be-
Handelspartner erschwert haben. Die Rückgänge der                     schäftigen sich schwerpunktmäßig mit dem Tourismus
Ausfuhren in Drittstaaten könnte mit der rückläufigen                 und der Entwicklung der ausländischen Direktinvestitio-
ausländischen Nachfrage sowie der eingeschränkten                     nen.
Produktionsmöglichkeiten im Inland in Zusammen ste-
hen. Für die Monate April und Mai ist auf Grund der Ge-               Die verwendeten Szenarien unterscheiden sich jeweils
samtsituation und den verschärften europa- und welt-                  nach Tiefe und Länge der angenommenen (weltwei-
weiten Lockdown-Maßnahmen von einem noch stär-                        ten) Rezession. In Bezug auf die Länge werden unter-
keren Handelsrückgang auszugehen. Prognosen der                       schiedliche Rezessionsformen unterstellt, wobei ein V-
österreichischen Nationalbank gehen etwa von (unbe-                   förmiger Verlauf des Ab- und Aufschwungs als optimis-
reinigten) Rückgängen im Vorjahresvergleich von mehr                  tisches Szenario, eine U-Form als weniger optimistisch
als 25% im April und circa 20% im Mai aus. 4 Die tatsäch-             und die L-Form als pessimistisches Szenario klassifiziert
lich realisierten Zahlen liegen jedoch erst in Wochen                 werden (siehe z. B. WTO, 2020B).
beziehungsweise Monaten vor.                                          Für die Abschätzung der möglichen weltweiten Han-
                                                                      delseffekte durch die COVID-19-Pandemie stützt sich
2.1.2     Der COVID-19-Lockdown in Europa und der                     die WTO (2020A) hauptsächlich auf zwei dieser Szena-
          grenzüberschreitende Handel                                 rien. Das erste ist optimistischer, geht von einem schar-
                                                                      fen Einbruch des Welthandels in der ersten Jahreshälfte
Noch schwieriger ist die Einschätzung der direkten Han-               und dem Beginn der Erholung ab Jahresmitte 2020 aus.
delseffekte der COVID-19-Pandemie in Europa. Ab                       Hierzu wird unterstellt, dass die Lockdown-Maßnahmen
spätestens Mitte März waren viele Mitgliedstaaten der                 für drei Monate in Kraft bleiben und dann eine V-för-
EU, darunter auch die größten Volkswirtschaften wie                   mige Erholung einsetzt. Das U-förmige Szenario nimmt
Deutschland, Frankreich und vor allem Italien, massiv                 an, dass der Aufschwung erst verzögert einsetzt und die
von der Gesundheitskrise betroffen. Die meisten Länder                Wirtschaft nach dem Einbruch für eine kürzere Zeit auf
haben in der Folge Beschränkungen für die nationale                   dem niedrigeren Niveau verharrt. Das pessimistische
Produktion und vor allem die Dienstleistungserbringung                Szenario unterstellt, dass die Lockdown-Maßnahmen

4 https://www.oenb.at/Geldpolitik/Konjunktur/prognosen-fuer-oester-
reich/oenb-exportindikator.html.

                                                                                   FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020           3
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19

bis Ende des Jahres in Kraft bleiben und es 2021 nur zu                                                                           Nordamerika am stärksten negativ betroffen sein
einer geringen Erholung der Weltwirtschaft kommen                                                                                 dürften.
kann. Aktuell bewertet scheint das letzte Szenario zu                                                                         •   Komplexe und auf Basis von globalen Zulieferbezie-
negativ zu sein, wobei man im Moment kaum abschät-                                                                                hungen hergstellteProdukte sowie Dienstleistungen
zen kann, ob ein neuerlicher großflächiger Lockdown                                                                               werden von den Handelsbeschränkungen stärker
im Laufe der nächsten Monate aus gesundheitspoliti-                                                                               betroffen sein.
scher Sicht notwendig werden wird.
                                                                                                                              Auch der Internationale Währungsfonds hat seine
Übersicht 1: Vergleich unterschiedlicher Szenarien
                                                                                                                              Prognose für die Entwicklung der Weltwirtschaft in sei-
    Quelle    Szenarien                            Annahmen                      Auswirkungen              Auswirkungen
                                                                                     global                  Österreich       nem "World Economic Outlook" im April dieses Jahres
                                         Scharfer Einbruch im ersten
                                          Halbjahr 2020, Beginn der
                                                                                                                              massiv revidiert (IWF, 2020). In seinem Basisszenario
              Szenario I
                                           Erholung ab Jahresmitte;                                                           geht der Bericht von ähnlichen Annahmen wie die
                                       Lockdown-Maßnahmen 3 Monate
     WTO                                 aufrecht und anschließend V-
                                                                               Welthandel (2020)
                                                                                  -12% bis -33%
                                                                                                                              Welthandelsorganisation in ihrem optimistischen Sze-
                                                                                                                              nario aus. Demnach konzentrieren sich die Lockdown-
                                               förmige Erholung
                                       Lockdown-Maßnahmen bis Ende
              Szenario II              2020, 2021 kommt es nur zu einer
                                              geringen Erholung
                                                                                                                              Maßnahmen vor allem auf das zweite Quartal 2020
                                       Lockdown-Maßnahmen vor allem
                                                                                      BIP                                     und können ab dem Sommer schrittweise gelockert
                                                                            -3% (2020), +5,8% (2021);
              Basisszenario            im II. Quartal 2020, Lockerungen
                                                ab dem Sommer
                                                                                  Welthandel                                  werden. Dieses Basisszenario wird drei Alternativszena-
                                        Lockdown-Maßnahmen bleiben
                                                                            -11% (2020), +8,4% (2021)
                                                                                                                              rien gegenübergestellt. Das erste nimmt an, dass die
              Alternativszenario I
      IWF                              2020 zeitlich 50% länger in Kraft
                                          Basisszenario für 2020 mit
                                                                                                                              Lockdown-Maßnahmen zeitlich um 50% länger in Kraft
              Alternativszenario II    zweitem Ausbruch 2021 (2/3 der                                                         bleiben müssen. Das zweite Alternativszenario geht für
                                           Schärfe des Jahres 2020)

              Alternativszenario III
                                       Pandemie dauert 2020 50% länger                                                        2020 von den Annahmen des Basisszenarios aus, unter-
                                          und 2. Infektionswelle 2021

                                                                                   BIP (2020)             Marktwachstum
                                                                                                                              stellt  jedoch     einen    zweiten    Ausbruch     der
              Szenario I (Haupt-
              variante WIFO-           Erste Erholung ab dem II. Quartal
                                                                               Euro-Raum -6,1%,          Zielmärkte (2020)    COVID-19-Pandemie im Jahr 2021. In Bezug auf die
                                                                                                                              ökonomische Dimension wird angenommen, dass die-
                                                                             USA -5,2%, China -1%;             -9,5%
              Mittelfristprognose                     2020
                                                                               Welthandel (2020)          Exporte Ö (2020)
              April 2020)
                                                                                      -9%
                                                                                  BIP (2020)
                                                                                                               -12%
                                                                                                          Marktwachstum
                                                                                                                              ser zweite Ausbruch zwei Drittel der Schärfe des Aus-
     WIFO     Szenario II (An-
                                        Erholung ab Jahresmitte 2020;
                                        tieferer Einbruch; langsamerer
                                                                                Euro-Raum -8%,
                                                                             USA -6%, China -2,2%;
                                                                                                         Zielmärkte (2020)
                                                                                                               -12,4%
                                                                                                                              bruchs im Jahr 2020 annimmt. Das letzte Alternativsze-
(Wolfmayr)    nahmen des IWF)
                                                 Erholungspfad                 Welthandel (2020)          Exporte Ö (2020)    nario verbindet die beiden Alternativen: Die Pandemie
                                                                                      -11%                     -17%
                                                                                   BIP (2020)             Marktwachstum       2020 dauert um 50% länger und 2021 wird die Weltwirt-
              Szenario III (Oxford
                                            Noch tiefere und länger
                                        andauernde Rezession bis ins III.
                                                                               Euro-Raum -12,4%,
                                                                            USA -10,8%, China -5,9%;
                                                                                                         Zielmärkte (2020)
                                                                                                          -15,2 bis -22,5%    schaft von einer zweiten Infektionswelle erfasst.
              Economics, pess.)
                                                 Quartal 2020                  Welthandel (2020)          Exporte Ö (2020)
                                                                                  -14% bis -30%            -21,5% bis -28%    In der Basisvariante prognostiziert der IWF (2020) für das
                                          Schließung von Beherber-
                                       gungsbetrieben bis Ende Mai 2020,
                                                                                                                              Jahr 2020 einen Rückgang der globalen Wirtschaftsleis-
              Szenario I/1
                                       Nachfrage im Juni zöger-lich, Juli                                                     tung um 3%. Da sich die Weltwirtschaft ab Mitte 2020 in
                                        und August deutliche Erholung;
                                       Inlandsnachfrage übersteigt dann                                                       diesem Szenario zu erholen beginnt, könnte das Welt-
                                                                                                                              BIP im Jahr 2021 um 5,8% steigen und somit auf der glo-
                                        allmählich das Vorjahresniveau

                                                                                                                              balen Ebene die Verluste aus 2020 wettmachen. In den
                                          Schließung von Beherber-                                          Anzahl der
                                       gungsbetrieben bis Ende Mai 2020,                                Nächtigungen (2020)

     WIFO     Szenario I/2
                                       Nachfrage im Juni zöger-lich, Juli
                                        und August deutliche Erholung;
                                                                                                           -32% bis -44%;
                                                                                                          Umsatzverluste
                                                                                                                              meistentwickelten Ländern der Welt wird der Ab-
                                                                                                                              schwung mit 6,1% deutlich stärker ausfallen und kann
    (Fritz)
                                         Inlandsnachfrage juli +5%, bis                                      größer als
                                                November +20%                                             mengenmäßige

                                        Szenario I/1, zusätzliche Erho-
                                                                                                            Reduktionen       auch mit dem berechneten Wachstum für 2021 nicht
              Szenario II/1
                                           lung des deutschen Quell-
                                       marktes, bleibt nur 5% unter dem
                                                                                                                              vollständig kompensiert werden. In den Wachstums-
                                               Vorjahresniveau)
                                        Szenario I/2, zusätzliche Erho-
                                                                                                                              und Entwicklungsländern sollte die Rezession mit 1%
              Szenario II/2
                                           lung des deutschen Quell-                                                          vergleichsweise moderat ausfallen. Für 2021 unterstellt
                                       marktes, bleibt nur 5% unter dem
                                               Vorjahresniveau)                                                               der internationale Währungsfonds unter dem Basissze-
                                         In den nächsten 2-3 Monaten
                                         Pandemie kontrollierbar, Be-
                                                                               Ende 2021 wird das
                                                                            Vorkrisenniveau des BIP
                                                                                                                              nario für diese Volkswirtschaften ein Wachstum von
              Optimistisch
                                         handlungsmethoden werden                   erreicht;                                 6,6%.
                                          gefunden, Ausweitung der                FDI-Ströme
                                        Testkapazitäten, wirtschafts-
                                        politische Maßnahmen effektiv
                                                                              -30% bis -40% (2020),
                                                                              +30% bis +40% (2021)
                                                                                                                              Für die Weltwirtschaft bedeutet diese Rezession im Ba-
    OECD
                                        Lokal begrenzte weitere neuer-
                                                                                  FDI-Ströme                                  sisszenario einen Rückgang des internationalen Han-
                                           liche Ausbrüche, Politik-
              Mittel
                                         maßnahmen regional unter-
                                                                              -35% bis -45% (2020),
                                                                             Erholung 2021 geringer
                                                                                                                              dels um 11%, was in etwa den Ergebnissen aus dem op-
                                                                                                                              timistischen Szenario der Welthandelsorganisation ent-
                                              schiedlich effektiv
                                                                            Länger anhaltende Reze-
                                       Maßnahmen reichen nicht aus, das

              Pessimistisch
                                              Virus einzudämmen;
                                                                            ssion; mehr Insolvenzen
                                                                                  FDI-Sröme
                                                                                                                              spricht. Durch die Ähnlichkeit der Szenarien ist dies
                                                                                                                              nicht sehr überraschend. Für 2021 geht der Internatio-
                                        wirtschaftspolitische Maßnah-
                                                                             mehr als -40%, leichte
                                           men teilweise ineffizient;
                                                                                 Erholung 2021
                                                                                                                              nale Währungsfonds im Basisszenario von einem
Q: WIFO-Zusammenstellung.
                                                                                                                              Wachstum um rund 8,4% aus. Dies bedeutet, dass das
Die beiden WTO-Hauptszenarien (optimistisch und pes-                                                                          Prä-COVID-Welthandelsniveau nicht vor 2022 wieder
simistisch) ) liefern folgende Ergebnisse für den Einfluss                                                                    erreicht werden könnte. Die drei erwähnten Alternativ-
von COVID-19 auf den grenzüberschreitenden Welt-                                                                              varianten weisen ebenfalls wenig überraschend zum
handel:                                                                                                                       Teil    deutlich   stärkere  negative   Effekte    der
•       Der gesamte Welthandel schrumpft im Jahr 2020 im                                                                      COVID-19-Pandemie auf. Ein neuerlicher Ausbruch im
        Vorjahresvergleich um 12% bis 33%.                                                                                    Jahr 2021 mit einem um ein Drittel "milderen" Verlauf
                                                                                                                              würde etwa das mögliche Wachstum im Jahr 2021
•       Auf allen Kontinenten sinkt der grenzüberschrei-                                                                      ebenfalls fast zur Gänze zunichtemachen und somit zu
        tende Handel um mindestens 10%, wobei Asien und

4                                FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19

einem dauerhaften und allgemeinen Produktionsrück-          Abbildung 1: Wachstum der österreichischen Exportmärkte
gang führen. Dies hätte weitere negative Folgen für         und der realen Warenexporte Österreichs 2020 –
den Welthandel über das Jahr 2020 hinaus.                   Alternativszenarien im Vergleich

Für den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf den öster-                                                   Deutschland                                        Italien
                                                                                                        Frankreich                                         Übrige Intra-EU-27
reichischen Warenaußenhandel liegen seit kurzem                                                         USA                                                Schweiz
erste Szenarioanalysen des Österreichischen Instituts für                                               Übrige Extra-EU-27                                 Österreichs Marktwachstum 1)
                                                                                                        Österreichs Exportprognose 1)
Wirtschaftsforschung (WIFO) für das Jahr 2020 vor (Wolf-                                           0
mayr, 2020B). Die Berechnungen beruhen wiederum                                                    -1
auf drei unterschiedlichen Szenarien. "Szenario I" beruht                                          -2

auf der Hauptvariante der aktuellsten WIFO-Mittelfrist-                                            -3                        Intra-EU27
                                                                                                                                 -5,6
prognose vom April 2020 (Baumgartner et al., 2020).                                                -4
                                                                                                                                                        Intra-EU27
                                                                                                   -5                                                       -7,8
Diese Variante unterstellt eine erste Erholung vom Lock-

                                                             Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten
                                                                                                   -6
down noch im 2. Quartal 2020 und jährliche Wachs-                                                  -7                        Extra-EU27                                               Intra-EU27
tumsraten des jeweiligen realen BIP im Euro-Raum von                                               -8
                                                                                                                                 -3,9                                                     -9,0

-6,1%, in den USA von -5,2% und in China von -1%. Der                                              -9
                                                                                                                                                        Extra-EU27
Warenwelthandel reduziert sich in diesem Szenario real                                            -10
                                                                                                                 -9,5                                       -4,6
                                                                                                  -11
um 9%. "Szenario II" folgt den bereits weiter oben ge-                                                                                                                                Extra-EU27
                                                                                                  -12
nannten Annahmen des Internationalen Währungs-                                                    -13           -12,0
                                                                                                                                                                                          -6,2
                                                                                                                                            -12,4
fonds (IWF, 2020). Diese implizieren Wachstumsraten für                                           -14
den Euro-Raum, die USA und China von -8%, -6%                                                     -15

und -2,2%. Der globale Warenaushandel sinkt im                                                    -16                                                                 -15,2 (-22,5)
                                                                                                  -17
IWF-Szenario, wie oben erwähnt, um 11%. Das letzte
                                                                                                  -18                                       -17,0
"Szenario III" in Wolfmayr (2020B) beruht auf dem pessi-                                          -19
mistischen Szenario von Oxford Economics (Slater,                                                 -20
                                                                                                                                                                     -21,5 (-28,0)
2020). In diesem Szenario beginnt die Erholung der                                                -21

Weltwirtschaft nicht vor dem 4. Quartal 2020. Das BIP                                             -22
                                                                                                              Szenario I                  Szenario II                 Szenario III
des Euro-Raums würde sich demnach im Jahr 2020 um
12,4%, das US-amerikanische um 10,8% und das chine-         Q: Wolfmayr (2020B), WIFO Mittelfristprognose (Baumgartner et al., 2020); Oxford
sische um 5,9% verringern. Für den Warenwelthandel          Economics, 8. April 2020; IWF, World Economic Outlook, 15, April 2020, WTO (2020).
                                                            – 1) Veränderung gegen das Vorjahr in %.
geht "Szenario III" von einem Einbruch um 15% aus, lässt
jedoch eine große Bandbreite bis zu 30% zu. Dieses Sze-     In qualitativen Aspekten ähneln sich die Ergebnisse aus
nario entspricht somit am ehesten dem pessimistischen       allen drei Szenarien. Das Marktwachstum in den Ziel-
Szenario der WTO (2020).                                    märkten für die österreichischen Exporte bricht durch
                                                            die COVID-19-Pandemie zwischen 9,5% (Szenario I) und
Abbildung 1 fasst die Ergebnisse für die österreichi-       15,2% (Szenario III) ein. In allen drei Szenarien sind die
schen Handelseffekte aus diesen drei Szenarien zusam-       negativen Beiträge aus den Volkswirtschaften inner-
men. Die schwarzen Kreise bezeichnen das Markt-             halb der EU größer als die Beiträge aus Drittstaaten. Das
wachstum für die österreichischen Exportmärkte, wel-        ist für Österreich zusätzlich belastend, da die österrei-
ches in den Balken nach den Beiträgen aus einzelnen         chischen Warenexporte zu einem überwiegenden Teil
Wirtschaftsräumen aufgeschlüsselt dargestellt wird. Die     in andere EU-Mitgliedsländer gehen. 2018 betrug der
roten Kreise zeigen die auf Basis der Szenarien berech-     Anteil der österreichischen Exporte in die damals noch
neten Exportprognosen für Österreich für das Jahr 2020      28 EU-Mitgliedsländer fast 70% (Oberhofer et al., 2020).
und geben Auskunft über die Betroffenheit der österrei-     Der größte negative Wachstumsbeitrag einer einzel-
chischen Exportwirtschaft von COVID-19.                     nen Volkswirtschaft kommt wenig überraschend aus
                                                            Deutschland, als Österreichs wichtigster Destination für
                                                            den Warenaußenhandel. In Szenario I trägt das
                                                            Schrumpfen der deutschen Volkswirtschaft mit 2,8 Pro-
                                                            zentpunkten zum Gesamtrückgang von 9,5% bei (Wolf-
                                                            mayr, 2020B). Dieser Negativbeitrag erhöht sich auf
                                                            mehr als 4% im Szenario III, welches die negativsten An-
                                                            nahmen trifft.
                                                            In Bezug auf die prognostizierten Exporteffekte der
                                                            COVID-19-Pandemie liegen die Ergebnisse aus den
                                                            drei Szenarien für Österreich innerhalb der Bandbreite,
                                                            wie sie von IWF (2020) und WTO (2020) angegeben wer-
                                                            den. Die neuesten Berechnungen der OECD (2020C)
                                                            ergeben für Österreich etwas geringere negative Han-
                                                            delseffekte. In dieser Studie kommen zwei Szenarien
                                                            zum Einsatz, welche sich dadurch unterscheiden, ob
                                                            ein Land von einer zweiten Welle getroffen wird oder
                                                            nicht. Auf Basis dieser Szenarien geht die OECD (2020C)

                                                                                                                     FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020                                            5
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19

für heuer von einem Rückgang der österreichischen Ex-               Abbildung 2: Bewertung der aktuellen Exportaufträge und
porte (von Waren und Dienstleistungen) von 8,7% bis                 Einschätzung der zukünftigen Entwicklung
11,9% aus.                                                                                                                           Beurteilung der Exportaufträge 1) (sb., li. Achse in %)
                                                                                                                                          Median der letzten 15 Jahre (li. Achse)
Im WIFO-Mittelfristprognoseszenario schrumpfen die ös-                                                                               Erwartung der Exportaufträge 2) (sb., re. Achse in %-Punkten)
                                                                                                                                          Median der letzten 15 Jahre (re. Achse)
                                                                     110                                                                                                                                                                                                                                                                                                20
terreichischen Exporte 2020 im Vergleich zum Vorjahr
um 12%. Szenario II basiert auf den Annahmen des IWF                 100                                                                                                                                                                                                                                                                                                10

(2020) und weist für Österreich einen Exportrückgang                  90                                                                                                                                                                                                                                                                                                0

von 17% aus. Die Berechnungen von Wolfmayr (2020B)                    80                                                                                                                                                                                                                                                                                                -10
zeigen somit, dass Österreich als kleine offene Volkswirt-
                                                                      70                                                                                                                                                                                                                                                                                                -20
schaft stärker negativ im Export betroffen ist, als dies für
den (durchschnittlichen) Welthandel insgesamt gilt. Im                60                                                                                                                                                                                                                                                                                                -30

dritten Szenario könnte der österreichische Warenhan-                 50                                                                                                                                                                                                                                                                                                -40

del um mehr als 20%, unter der Annahme eine Reduk-                    40                                                                                                                                                                                                                                                                                                -50
tion des Welthandels um 25% sogar um 28%, einbre-
chen.                                                                 30                                                                                                                                                                                                                                                                                                -60

                                                                                                                  IV.Qu.2015

                                                                                                                                                                      IV.Qu.2016

                                                                                                                                                                                                                          IV.Qu.2017

                                                                                                                                                                                                                                                                              IV.Qu.2018

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  IV.Qu.2019
                                                                                       II.Qu.2015

                                                                                                                                           II.Qu.2016

                                                                                                                                                                                               II.Qu.2017

                                                                                                                                                                                                                                                   II.Qu.2018

                                                                                                                                                                                                                                                                                                       II.Qu.2019

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           II.Qu.2020
                                                                                                    III.Qu.2015

                                                                                                                                                        III.Qu.2016

                                                                                                                                                                                                            III.Qu.2017

                                                                                                                                                                                                                                                                III.Qu.2018

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    III.Qu.2019
                                                                           I.Qu.2015

                                                                                                                               I.Qu.2016

                                                                                                                                                                                   I.Qu.2017

                                                                                                                                                                                                                                       I.Qu.2018

                                                                                                                                                                                                                                                                                           I.Qu.2019

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               I.Qu.2020
Die vorliegende Szenarioanalyse von Wolfmayr (2020B)
für die Entwicklung der österreichischen Exporte im Jahr
2020 ordnet sich in den Berechnungen in die internati-              Q: WIFO-Konjunkturtest, Wolfmayr (2020B). - 1) Anteil der Unternehmen, die ihre Ex-
                                                                    portaufträge als "ausreichend" oder "mehr als ausreichend" beurteilen. - 2) Anteil
onalen Studien ein. Die gewählten Szenarien sind na-                der Unternehmen, die in den kommenden 3 Monaten steigende Exportaufträge
türlich allesamt mit großer Unsicherheit behaftet, wobei            erwarten, minus Anteil der Unternehmen, die in den kommenden 3 Monaten sin-
                                                                    kende Exportaufträge erwarten.
das Basisszenario der WIFO-Mittelfristprognose relativ
optimistisch ist. Dieses und das IWF-Szenario können aus            Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass auf
heutiger Sicht die aktuellen Entwicklungen relativ gut              Basis der vorliegenden Zahlen und Berechnungen die
abbilden. Szenario III und die Alternativszenarien des In-          COVID-19-Pandemie massive negative Folgen für die
ternationalen Währungsfonds sind deutlich pessimisti-               Weltwirtschaft, den globalen und österreichischen Au-
scher, könnten jedoch im Falle des Auftretens einer                 ßenhandel verursacht, welche in dieser Dimension ein-
großflächigen zweiten Ansteckungswelle relevant wer-                zigartig erscheinen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen,
den.                                                                welche die jeweiligen Volkswirtschaften soweit als
                                                                    möglich stabilisieren, erlauben es, den Abschwung zu
Unabhängig von der konkreten Wahl des Szenarios zei-
                                                                    abzuschwächen. Jedoch erscheint es notwendig, zu-
gen sich jedoch mindestens zwei allgemeine Trends.
                                                                    sätzlich handelspolitisch zu agieren, um die ökonomi-
Erstens wird der Welthandel und der der österreichische
                                                                    schen Kosten von COVID-19 zu reduzieren.
Außenhandel stärker schrumpfen als die Wirtschaftsleis-
tung insgesamt. Dieses Phänomen konnte während
der Finanzkrise ebenfalls beobachtet werden (Bems et                2.2                 COVID-19 und der österreichische
al., 2013). Zweitens wird die österreichische Außenwirt-                                Tourismus
schaft     überdurchschnittlich    negativ    von   der
COVID-19-Pandemie betroffen sein. Dieses Ergebnis                   Der Tourismus bildet eine der wichtigsten Komponen-
spiegelt sich auch im WIFO-Konjunkturtest wider (Hölzl              ten des Dienstleistungshandels und ist gleichzeitig ein
et al., 2020).                                                      Garant für eine trotz einer traditionell negativen Waren-
Abbildung 2 stellt den Verlauf der aktuellen Exportauf-             verkerhsbilanz ausgeglichene österreichische Leis-
tragslage der österreichischen Warenexporteure                      tungsbilanz. 2018 war die Tourismuswirtschaft darüber
(blaue Linie) sowie die Erwartung hinsichtlich der zu-              hinaus mit einem direkten und indirekten Wertschöp-
künftigen Entwicklung der Exportaufträge (grüne Linie)              fungsanteil von mehr als 8% einer der wichtigsten Sek-
über die Zeit dar. Die Erwartungen beziehen sich auf                toren für das österreichische BIP (Fritz, 2020A). Die
eine Einschätzung über die Entwicklung der Auftrags-                Nächtigungszahlen im Tourismus und der Besuch von
lage über die nächsten drei Monate. Die Abbildung                   ausländischen Gästen in Österreich haben sich, ähn-
zeigt einen massiven Einbruch sowohl hinsichtlich der               lich wie der Warenaußenhandel, bereits 2019 weniger
aktuellen Exportauftragslage jedoch noch stärker in                 dynamisch entwickelt als in den Jahren davor (Ober-
Bezug auf die kurzfristigen Erwartungen. Der Erwar-                 hofer et al., 2020). Die Wintersaison 2019/20 verlief je-
tungsindikator, welcher als Saldo von positiven und ne-             doch bis zum den verordneten Betriebsschließungen
gativen Erwartungen gebildet wird, brach im April 2020              mit einem Nächtigungsplus von 7,2% von November
auf einen Wert von -50,4 ein. Dieser Einbruch übersteigt            2019 bis Februar 2020 sehr erfolgreich (Fritz, 2020A).
alle Werte, die im Zuge der Finanzkrise jemals gemes-               Die COVID-19-Pandemie stellt die österreichische Tou-
sen wurden.                                                         rismuswirtschaft jedoch vor besondere Herausforderun-
                                                                    gen und wird diesen Wirtschaftszweig überproportional
                                                                    treffen. Abgesehen von der Imageproblematik, ausge-
                                                                    löst durch die in der Öffentlichkeit bekannt geworde-
                                                                    nen Ansteckungsketten aus Schigebieten und Après-
                                                                    Ski-Lokalen in Tirol, stellen die im Rahmen des Lock-

6             FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
2. Die Handels- und Direktinvestitionseffekte von COVID-19

downs verhängten Ausgangs- und Reisebeschränkun-            das sich gegen Ende des Jahres und der beginnenden
gen sowie die für touristische Zwecke verhängten Be-        Wintersaison wieder abschwächt, wofür sich der
tretungsverbote für Unternehmen des Beherbergungs-          Imageschaden durch die Verbreitung des SARS-CoV-2
wesens und der Gastronomie und anderer Bereiche             Virus in Tirol verantwortlich zeigt. Die unterschiedlichen
der österreichischen Tourismuswirtschaft eine existenti-    Versionen des zweiten Szenarios gleichen in Bezug auf
elle Bedrohung dar. Für die Entwicklung vor allem der       die Entwicklung der Inlandsnachfrage dem ersten Sze-
ausländischen Tourismusnachfrage ist nicht nur die Si-      nario, erlauben jedoch eine zusätzliche Erholung der
tuation in Österreich, sondern auch die in den Quellen-     Nachfrage aus dem deutschen Quellmarkt, die letzt-
ländern entscheidend. Die kürzlich beschlossenen Aus-       endlich für den Rest des Jahres in der optimistischsten
und Einreisebestimmungen für die meisten EU-Staaten         Variante um lediglich 5% unter dem Vorjahrsniveau ver-
sind für den Tourismus von großer Bedeutung. Wären          bleibt (Fritz, 2020B). Können die aktuellen Wiederöff-
diese Öffnungen nicht erfolgt oder müssten sie zurück-      nungsmaßnahmen im grenzüberschreitenden Perso-
genommen werden, könnten Touristen aus diesen Ge-           nenverkehr aufrecht erhalten bleiben, dürfte Variante
bieten nicht in Österreich einreisen, auch wenn sich im     2 tendenziell die Realität besser abbilden können.
Inland die Infektionslage weiter entspannt (Fritz,          Die Hauptergebnisse aus internen WIFO-Berechnungen
2020A).                                                     von Ende April 2020 für die unterschiedlichen Szenarien
Seit Anfang April 2020 hat das WIFO laufend Einschät-       können wie folgt zusammengefasst werden:
zungen zur Entwicklung der Nächtigungszahlen in Ös-         •   Im Vorjahresvergleich sinkt die Anzahl an Nächti-
terreich für das Jahr 2020 abgegeben (Fritz, 2020B). Hier       gungen in österreichischen Beherbergungsstätten
gilt Ähnliches wie für den Warenhandel. Die                     zwischen 32% (im optimistischsten Szenario) und
COVID-19-Pandemie sorgt für ein zu hohes Maß an Un-             44%.
sicherheit, um klassische Prognosen anstellen zu kön-
nen. Aus diesem Grund hat das WIFO zur Abschätzung          •   Die Umsatzverluste der Beherbergungsstätten wer-
der COVID-19-Folgen für die Anzahl an Nächtigungen              den durch zu erwartende Preisreduktionen sowie
in Österreich auf unterschiedliche Szenarien zurückge-          den Ausfall zahlungskräftiger Gäste aus Fernmärk-
griffen, die auf den 2019 realisierten Anteilen der Näch-       ten größer ausfallen als die mengenmäßigen Rück-
tigungen nach Quellmärkten in den Bundesländern                 gänge.
basieren. Diese Szenarien gehen prinzipiell davon aus,      •   Im Falle einer zweiten Ansteckungswelle oder nega-
dass die behördliche Schließung von Beherbergungs-              tiverer Entwicklungen in den wichtigsten Quellmärk-
betrieben bis Ende Mai andauert, sich die Nachfrage             ten könnte der Rückgang jedoch wesentlich stärker
im Juni sehr zögerlich, über die Monate Juli und August         ausfallen.
dann etwas deutlicher erholt, aber auch danach die
                                                            Die Ergebnisse der vorhandenen WIFO-Berechnungen
Vorjahresniveaus noch nicht wieder erreicht werden
                                                            dokumentieren die massive Betroffenheit des Tourismus
können (Fritz 2020B). Dabei ist jedoch wichtig zu be-
                                                            durch die COVID-19-Pandemie. Die Rückgänge im
rücksichtigen, dass die Entwicklung der Nachfrage
                                                            ausländischen Tourismus werden die Leistungsbilanz
schon aufgrund des unsicheren Verlaufs der Pandemie
                                                            Österreichs verschlechtern und ordnen sich insgesamt
in anderen Ländern und den damit einhergehenden
                                                            in die negative Entwicklung des österreichischen Wa-
Reisebeschränkungen schwer abschätzbar bleibt, wo-
                                                            ren- und Dienstleistungsaußenhandels ein. Wirtschafts-
bei die aktuellen Lockerungen der Reisebeschränkun-
                                                            politische Maßnahmen und die bereits größtenteils er-
gen für den Tourismus positiv zu werden sind.
                                                            folgten koordinierten Grenzöffnungen auf EU-Ebene
Aus diesem Grund verwendet Fritz (2020B) zwei unter-        werden notwendig sein, um den bereits entstandenen
schiedliche Annahmen hinsichtlich der Erholung der          ökonomischen Schaden nicht weiter anwachsen zu
Nachfrage. Das erste Szenario unterstellt, dass die Erho-   lassen.
lung der Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben
von der inländischen Nachfrage getragen wird. So-           2.3     Ausländische Direktinvestitionen in
lange in Österreich relativ restriktive Ausreisebestim-
mungen für die südlichen Urlaubsdestinationen wie
                                                                    Zeiten von COVID-19
etwa Italien und Spanien gelten, und auch die Unsi-
cherheit über das Ansteckungsrisiko im Ausland hoch         Auch ausländische Direktinvestitionen (FDI) sind von
bleibt, dürfte mit höherer inländischer Nachfrage in ös-    der COVID-19-Pandemie betroffen. In wirtschaftlich un-
terreichischen Sommerurlaubsdestinationen zu rech-          sicheren Zeiten meiden Unternehmen typischerweise
nen sein. Die erste Variante von Szenario 1 geht, wie       langfristige Investitionen und Beteiligungen. So werden
bereits erwähnt, von einem massiven Rückgang der            strategische und langfristig ausgerichtete Investitions-
Übernachtungen bis Ende Juli aus, danach aber von           projekte verschoben. Dies betrifft zum einen, wie oben
einer stetigen Erholung der Inlandsnachfrage, welche        beschrieben, den Handel mit Investitionsgütern, aber
das Vorjahresniveau allmählich übersteigt. Eine opti-       auch die Ansiedlungsentscheidungen von Unterneh-
mistische Variante dieses Szenarios geht alternativ da-     men.
von aus, dass sich die Inlandsnachfrage bereits im Juli     Auf der anderen Seite hat die COVID-19-Krise gewisse
im Vorjahresvergleich um 5% erhöht. Bis November wird       Schwachstellen in den globalen Wertschöpfungsket-
ein doch deutliches Wachstum der inländischen Nach-         ten sichtbar gemacht. Konkret scheinen manche Pro-
frage von bis zu 20% im Vorjahresvergleich unterstellt,

                                                                           FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020           7
3. Handelspolitik in Zeiten von COVID-19

duktionsprozesse zu wenig diversifiziert zu sein. Eine Ab-   SARS-CoV-2 Virus im Laufe des Jahres 2021 leicht. In ei-
hängigkeit von nur wenigen Zulieferbetrieben, die regi-      nem Regionalvergleich zeigen alle Szenarien eine stär-
onal vielleicht auch noch "geclustered" sind, birgt das      kere Betroffenheit der Entwicklungsländer. Für diese
Risiko eines Totalausfalls der Vorleistungsproduktion in     würden die einströmenden Direktinvestitionen noch
sich. Das gilt übrigens auch für rein nationale Produkti-    stärker sinken und somit die wirtschaftliche Situation
onsnetzwerke (Bonadio et al., 2020). Im Nachgang zur         weiter verschärft werden. Auf Basis der vorliegenden
COVID-19-Krise könnte es somit zu einer vermehrten Di-       Berechnungen geht die OECD davon aus, dass auslän-
versifikation in Produktionsnetzwerken kommen, was zu        dische Direktinvestitionen eine wichtige Rolle für den
einem Anstieg von ausländischen Direktinvestitionen          Aufschwung nach der überwundenen COVID-19- Pan-
führen könnte.                                               demie spielen werden und es dazu investitionsfreundli-
Aktuell dominiert jedoch die Unsicherheit und führt zu       che politische Rahmenbedingungen benötigen wird.
einem starken Rückgang der ausländischen Direktin-
vestitionen. Die OECD (2020A) widmet sich in einem ak-       3. Handelspolitik in Zeiten von
tuellen Bericht den möglichen kurz- und mittelfristigen
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie für die auslän-              COVID-19
dischen Direktinvestitionsaktivitäten und verwendet
ebenfalls drei unterschiedliche Szenarien (optimistisch,     Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat (nicht nur)
mittel, pessimistisch): 5                                    in Europa zu handelspolitischen Reaktionen geführt.
                                                             Zum einen wurden durch die nationalen gesundheits-
Das optimistische Szenario unterstellt, dass sich das
                                                             politischen Maßnahmen strikte Reisebeschränkungen
SARS-CoV-2 Virus im Laufe der nächsten zwei bis drei
                                                             in Kraft gesetzt. Diese nachvollziehbaren und notwen-
Monate kontrollieren lässt, effektive Behandlungsme-
                                                             digen Maßnahmen schränken jedoch die Funktionsfä-
thoden gefunden, die Testkapazitäten massiv ausge-
                                                             higkeit des Binnenmarktes und die Personenfreizügig-
weitet werden und die wirtschaftspolitischen Maßnah-
                                                             keit deutlich ein. In Österreich und Deutschland haben
men insofern effektiv sind, dass keine strukturellen Schä-
                                                             diese Beschränkungen zum Beispiel für Tätigkeiten in
den in den betroffenen Volkswirtschaften entstehen. In
                                                             der 24-Stunden-Pflege sowie in der Frühjahrsernte
diesem Szenario würde bereits Ende 2021 das Vorkri-
                                                             durch fehlende Fach- und Arbeitskräfte (vor allem) aus
senniveau des BIP erreicht werden können. Das mittlere
                                                             den osteuropäischen Ländern zu Problemen geführt. 6
Szenario geht von lokal begrenzten weiteren und neu-
                                                             Die eingeführten Grenzkontrollen beeinträchtigen dar-
erlichen Ausbrüchen von COVID-19 aus und unterstellt,
                                                             über hinaus den Warenhandel innerhalb des Binnen-
dass die Politikmaßnahmen damit regional unter-
                                                             marktes, obwohl der Gütertransport der erste Bereich
schiedlich effektiv sind. Im pessimistischen Szenario
                                                             war, in dem man sich auf gemeinsame Lockerungen
geht die OECD (2020A) davon aus, dass die gesetzten
                                                             einigte. Die verfügbare Evidenz aus der früheren Schlie-
Maßnahmen nicht ausreichen, um das Virus vollständig
                                                             ßung von einzelnen Binnenmarktgrenzen im Zuge der
einzudämmen. Darüber hinaus reichen die wirtschafts-
                                                             "Flüchtlingskrise" belegt, dass die Einführung von Grenz-
politischen Maßnahmen nicht aus, um strukturelle Ef-
                                                             kontrollen innerhalb des Binnenmarktes ökonomische
fekte in den Volkswirtschaften zu vermeiden. Es kommt
                                                             Kosten verursacht (Felbermayr et al., 2016). Im Ver-
in diesem Szenario zu vermehrten Insolvenzen und einer
                                                             gleich zu den Grenzschließungen der Jahre 2015/16
länger andauernden Rezession.
                                                             waren die Reisebeschränkungen in der Hochphase der
Im optimistischen Szenario geht die OECD (2020A) von         COVID-19 Pandemie deutlich restriktiver, was wiede-
einem Rückgang der weltweiten FDI-Ströme um 30% bis          rum deutlich größere ökonomische Kosten dieser Maß-
40% im Jahr 2020 aus, bevor sie im Jahr 2021 um ein          nahmen erwarten lässt.
ähnliches Ausmaß wiederum ansteigen würden. So
                                                             Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie führten
könnte bis Ende 2021 das Vorkrisenniveau an Nettoin-
                                                             viele Länder Exportbeschränkungen für medizinische
vestitionen erreicht werden. Dieses Niveau läge dann
                                                             Produkte ein. Bis zum 25. April 2020 galten bereits in 75
jedoch immer noch unter dem des Jahres 2015, da die
                                                             Ländern Ausfuhrbeschränkungen für medizinische
FDI-Ströme in den letzten Jahren generell rückläufig
                                                             Schutzbekleidung, Masken, Beatmungsgeräte und
waren (siehe dazu auch Hunya - Schwarzhappel, 2018
                                                             ähnliche Produkte aus dem Gesundheitsbereich
für die CESEE-Region).
                                                             (Evenett, 2020A). Diese 75 Länder sind insgesamt für
Im mittleren Szenario gehen die ausländischen Direktin-      122 neue und zusätzliche Beschränkungen in diesem
vestitionsströme um 35% bis 45% zurück. Die Erholung im      Bereich verantwortlich (Evenett, 2020A). Einige Länder,
Jahr 2021 ist in diesem Szenario weniger stark ausge-        darunter die USA, Frankreich und Indien, haben meh-
prägt und das Niveau an FDI-Strömen wäre Ende                rere Ausfuhrbeschränkungen verhängt oder diese im
nächsten Jahres im Vorkrisenvergleich um etwa ein
Drittel niedriger. Im pessimistischen Szenario schrump-
fen die FDI-Ströme um mehr als 40% und erholen sich
erst mit der Verfügbarkeit einer Impfung gegen das

5   Siehe auch McKinsey (2020).                              6 Siehe z. B. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oester-
                                                             reich/2058202-Korridorzuege-fuer-Pfleger-und-Erntehelfer-aus-Rumae-
                                                             nien.html.

8                  FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
3. Handelspolitik in Zeiten von COVID-19

Zeitablauf verschärft. Auch innerhalb des Binnenmark-                    im Jahr 2019 persönliche Schutzausrüstung im Waren-
tes haben Exportbeschränkungen zu (temporär) verzö-                      wert von 119,3 Mio. € aus China und von 31,5 Mio. €
gerten Exporten und politischen Irritationen geführt. 7                  aus den USA (Wolfmayr, 2020A). Mit 51,5% an den ge-
Gleichzeitig blieben während der COVID-19-Pandemie                       samten Extra-EU-Importen dieses Gutes dominiert we-
tarifäre und nichttarifäre Importbeschränkungen für                      nig überraschend China als wichtigster Handelspartner
Gesundheitsprodukte und Seifen großteils aufrecht                        außerhalb der EU. Die USA folgt mit 13,6% auf dem zwei-
(Evenett, 2020B). Insgesamt führten die zusätzlichen                     ten Platz.
Ausfuhrbeschränkungen bei gleichbleibenden Einfuhr-                      Die COVID-19-Pandemie zeigt, dass ein Virus nationale
bestimmungen zu einer Zunahme der Handelsbarrieren                       Grenzen relativ leicht überwinden kann und eine mas-
für Produkte aus dem Gesundheitsbereich.                                 sivere Ausbreitung von COVID-19 in einem Nachbar-
Für die Bewältigung der Gesundheitsfolgen von                            land (auch außerhalb der EU) die Krise innerhalb der EU
COVID-19 könnten die neuen Handelsbarrieren vor al-                      verstärken kann. Mit dem Abschneiden von Nachbar-
lem für Entwicklungsländer zu einem ernsthaften Prob-                    ländern von den notwendigen Gesundheitsprodukten
lem werden (Espita et al., 2020). Den Berechnungen                       zur Reduktion der Fallzahlen kann somit auch eine Ge-
dieser Weltbankstudie zur Folge steigen die Weltmarkt-                   fahr für das eigene Gesundheitssystem entstehen
preise für medizinische Schutzmasken zum Beispiel                        (Wolfmayr, 2020A). Eine schnelle Eindämmung der
durch die Exportbeschränkungen um rund 20%, bei ei-                      Pandemie kann darüber hinaus nur dann effektiv gelin-
ner gleichzeitigen Reduktion der Verfügbarkeit solcher                   gen, wenn den "Hotspots" die größtmögliche Unterstüt-
Masken. Die Gesundheitssysteme der meisten Entwick-                      zung und Hilfe zuteil wird. Exportbeschränkungen kön-
lungsländer werden durch die Preiserhöhungen und                         nen demnach kontraproduktiv sein.
die Angebotsverknappung auf den internationalen                          Im Bereich der Lebensmittelversorgung kam es in eini-
Märkten schneller an ihre Grenzen stoßen und könnten                     gen europäischen und anderen Ländern zu "Hamster-
bei ähnlichen Verläufen wie in den USA oder einigen                      käufen", bei denen gewisse Produkte überproportional
europäischen Ländern vollständig kollabieren. Aktuelle                   stark nachgefragt wurden. In früheren Krisensituatio-
Zahlen geben im Moment jedoch Hoffnung, dass zu                          nen, wie etwa der Finanzmarktkrise, haben einige Län-
mindest auf dem afrikanischen Kontinent ein milderer                     dern mit Handelsbeschränkungen auf die gesteigerte
Verlauf der Pandemie möglich sein könnte. 8                              Nachfrage reagiert, und so bestand auch in der aktu-
Die EU hat auf die Ausfuhrbeschränkungen von Ge-                         ellen COVID-19-Krise die Sorge vor einer ähnlichen Ent-
sundheitsausrüstung innerhalb des Binnenmarktes mit                      wicklung. Während der Finanzmarktkrise konnten etwa
einer Verordnung reagiert (für Details siehe z. B. Wolf-                 45% und 30% des Anstiegs der Weltmarktpreise für Reis
mayr, 2020A). Diese Verordnung sollte den unbe-                          und Weizen auf restriktive handelspolitische Maßnah-
schränkten Handel von medizinischen Produkten inner-                     men zurückgeführt werden (Sinabell, 2020). Teilweise
halb der EU garantieren, schrieb jedoch eine Geneh-                      wurden diese Fehler auch im Zuge der COVID-19-Pan-
migungsnotwendigkeit für Exporte in Drittstaaten vor                     demie wiederholt. 35 Länder haben bis Ende April 2020
und beschränkte die Ausfuhren in Drittstaaten auf 26%                    Exportbeschränkungen für Nahrungsmittel verhängt
aller Exporte der betroffenen Produkte. 9 Sie war zeitlich               (Baldwin - Evenett, 2020), obwohl die historischen Er-
befristet und ist mit 28. Mai 2020 ausgelaufen.                          fahrungen belegen, dass diese Maßnahmen inneffek-
                                                                         tiv und oftmals sogar kontraproduktiv sind. Die Ausfuhr-
In einer aktuellen WIFO-Untersuchung weist Wolfmayr                      beschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie
(2020A) auf die Gefahren durch unbeabsichtigte Ne-                       sind auch insofern überraschend, als im Vergleich zu
beneffekte einer Exportbeschränkungspolitik hin. Zum                     den Preissteigerungen von Lebensmitteln zwischen den
einen spielen die globalen Wertschöpfungsketten und                      Jahren 2006 bis 2008 aktuell die (globale) Versorgungs-
internationale Verteilernetzwerke für die Bereitstellung                 und Produktionslage relativ günstig ist (Martin - Glau-
von Gesundheitsprodukten eine wichtige Rolle. Han-                       ber, 2020).
delsbeschränkungen können auf der "Gegenseite"
durch andere handelsbeschränkende Maßnahmen                              Ein weiteres handelspolitisches Thema, welches auch in
beantwortet werden. Das kann zum Stocken der Wert-                       Österreich im Zuge der COVID-19-Pandemie verstärkt
schöpfungskette führen und damit auch die Produk-                        diskutiert wurde, betrifft die gesetzlichen Rahmenbe-
tion für den EU-Markt drosseln (Evenett, 2020B). Auch                    dingungen von ausländischen Unternehmensinvestitio-
können Importe von medizinischen Fertigprodukten                         nen in Form von Beteiligungen bzw. Übernahmen. In
aus Drittstaaten ebenfalls mit Exportbeschränkungen                      der letzten Maiwoche hat die Bundesregierung einen
belegt werden und so das Angebot für die notwendige                      Gesetzesentwurf zu Investitionskontrollen vorgelegt,
Versorgung im Binnenmarkt schmälern (Bown, 2020;                         welcher die Umsetzung einer bereits vor längerer Zeit
Wolfmayr, 2020A). Österreich importierte zum Beispiel                    beschlossenen EU-Verordnung im österreichischen
                                                                         Recht sicherstellen soll. 10 Demnach sollen ausländische

7 Siehe z. B. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oester-   9https://eur-lex.europa.eu/legal-con-
reich/2054858-Fast-eine-Staatsaffaere-um-Masken.html.                    tent/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32020R0402&from=DE.
8   https://orf.at/stories/3167492/.                                     10https://www.derstandard.at/story/2000117752180/schramboeck-
                                                                         will-genehmigungspflicht-fuer-unternehmenskaeufe-ueber-25-prozent
                                                                         .

                                                                                        FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020               9
4. Handelspolitik in der Post-COVID-19-Ära

Unternehmensübernahmen (durch Unternehmen aus
Drittstaaten) ab einer Beteiligungsgrenze von 25% ge-
                                                                              4. Handelspolitik in der
nehmigungspflichtig werden. In definierten sensiblen                             Post-COVID-19-Ära
Bereichen, wie etwa der Arzneimittelproduktion, der
Wasserversorgung oder der digitalen Infrastruktur, soll                       Die COVID-19-Pandemie hat gewisse Schwachstellen
die Genehmigungsschwelle mit einem Anteil von 10%                             im internationalen Handelssystem sichtbar gemacht
niedriger angesetzt werden. Das Gesetz soll mit Som-                          und zu einigen teilweise auch unerwarteten handels-
mer oder spätestens Herbst in Kraft treten. Nach aktu-                        politischen Reaktionen geführt. Aus der aktuellen Krise
eller Rechtslage besteht bisher lediglich eine Melde-                         sollten für die Weiterentwicklung des Binnenmarktes
pflicht von Beteiligungen von mindestens 25%, wenn                            und des globalen Handelssystems die richtigen
diese von Unternehmen aus Drittstaaten gehalten wer-                          Schlüsse gezogen und notwendige Anpassungen vor-
den. Österreich gehört mit diesen Maßnahmen zu einer                          genommen werden.
Gruppe von 14 EU-Mitgliedsländern, welche Investiti-
                                                                              Die aktuellen Vorschläge aus der Literatur betonen,
onskontrollen bereits gesetzlich vorgeschrieben haben
                                                                              dass ein verstärkter Protektionismus und eine Abschot-
(Kowalski, 2020). 11 Von diesen EU-Ländern haben ei-
                                                                              tung von den Weltmärkten die negativen Folgen der
nige wie etwa Deutschland, Niederlande und Frank-
                                                                              COVID-19-Krise wahrscheinlich verstärken würden
reich im Zuge der COVID-19-Krise die entsprechenden
                                                                              (siehe z. B. Baldwin - Evenett, 2020; OECD, 2020B). Auch
Investitionskontrollengesetze bereits verschärft. Italien
                                                                              historische Episoden sprechen dagegen, dass sich eine
ging sogar noch einen Schritt weiter und hat die Inves-
                                                                              weltweite Wirtschaftskrise durch restriktive Handelspoli-
titionskontrollen auf Investoren aus der EU ausgeweitet.
                                                                              tik effektiv kurieren lässt. So hat etwa nach Ansicht von
Diese scharfen Regelungen dürfte wohl nicht durch
                                                                              Wirtschaftshistorikern der "Smoot-Hawley Tariff Act" des
das EU-Recht gedeckt sein. Auch außerhalb der EU
                                                                              US-amerikanischen Kongresses, in welchem im Juni
kann eine Tendenz zu verstärkten Investitionskontrollen,
                                                                              1930 eine drastische Erhöhung von Einfuhrzöllen be-
etwa im Vereinigten Königreich und Australien, beob-
                                                                              schlossen wurde, die Rezession nach der Weltwirt-
achtet werden.
                                                                              schaftskrise von 1929 weiter (massiv) verschärft und ver-
In der aktuellen Krisensituation verfolgen Investitions-                      längert (siehe z. B. Grossman, 2013).
kontrollen das Ziel, unverschuldet in Probleme gerate-
                                                                              Grundsätzlich geht die Wirtschaftspolitik mit vielleicht
nen Unternehmen vor unfreiwilligen Übernahmen zu
                                                                              ganz wenigen Ausnahmen nicht davon aus, durch pro-
schützen. Temporär begrenzt und mit Augenmaß an-
                                                                              tektionistische Maßnahmen bzw. Handelsrestriktionen
gewendet erscheinen diese Kontrollen vertretbar, so-
                                                                              die COVID-19-Krise erfolgreich bekämpfen zu können.
lange sie sich auf Drittstaaten außerhalb der EU be-
                                                                              Die COVID-19-Pandemie als Gesundheitskrise hat aller-
schränken. Mittelfristig betrachtet können solche Kon-
                                                                              dings einige Schwachstellen in der EU und dem globa-
trollen jedoch als Standortfaktor für internationale In-
                                                                              len Wirtschaftssystem aufgezeigt, die adressiert werden
vestoren abschreckend wirken. Darüber hinaus könn-
                                                                              sollten. Erstens hat sich in der EU gezeigt, dass bei Poli-
ten die Kontrollen das Konkursrisiko in Unternehmen in
                                                                              tikfeldern, die in der alleinigen nationalen Kompetenz
ausländischer Miteigentümerschaft erhöhen, falls diese
                                                                              verblieben sind, die Koordinierung der Mitgliedsländer
ihre Anteile nicht erhöhen dürfen. Das höhere Konkurs-
                                                                              nicht sehr gut funktioniert. Die Einzelstaaten trafen ihre
risiko könnte sicher wiederum negativ auf die Kapital-
                                                                              gesundheitspolitischen Maßnahmen vor allem auf Basis
kosten der Unternehmen auswirken und den österrei-
                                                                              der jeweiligen nationalen Situationseinschätzungen.
chischen Kapitalmarkt insgesamt schwächen. Sollte es
                                                                              Das führte im Ergebnis jedoch zu unkoordinierten
hierdurch zu einem Rückgang an Investitionen kom-
                                                                              Grenzschließungen und anderen Behinderungen inner-
men, könnte sich dies dämpfend auf die Produktivitäts-
                                                                              halb des Binnenmarktes. Auch hat es relativ lange ge-
entwicklung der österreichischen Wirtschaft in der
                                                                              dauert, bis den stark betroffenen Mitgliedsländern in
Post-COVID-19-Zeit auswirken. Zwar geht die Literatur
                                                                              koordinierter Art und Weise geholfen wurde. Eine Lehre
davon aus, dass der Produktivitätseffekt von ausländi-
                                                                              aus der COVID-19-Pandemie könnte die Entwicklung
schen Investitionen in hochentwickelteren Ländern
                                                                              eines EU-weiten Pandemieplans sein, der die Koopera-
schwächer ausgeprägt ist (siehe z. B. Weyerstraß,
                                                                              tion der einzelnen Mitgliedstaaten klarer strukturiert und
2018), jedoch kann aktuell noch nicht seriös abge-
                                                                              eine koordinierende Rolle einnimmt. Gesundheitspoliti-
schätzt werden, wie wichtig ausländische Investitionen
                                                                              sche Agenden werden wohl auch in Zukunft eine Kom-
für eine schnelle und nachhaltige Erholung der heimi-
                                                                              petenz der Nationalstaaten bleiben, jedoch zeigt sich,
schen Wirtschaft und die Sicherung der Wettbewerbs-
                                                                              dass eine mangelnde gesundheitspolitische Abstim-
fähigkeit von inländischen Unternehmen sein werden.
                                                                              mung innerhalb der EU in einer Krisensituation den Bin-
                                                                              nenmarkt unter Druck setzen kann und so zusätzliche
                                                                              Probleme für die europäische Wirtschaft verursacht.
                                                                              In Zusammenhang mit den gesundheitspolitisch notwe-
                                                                              nigen Grenzschließungen und Kontrollen hat sich ein

11 Eine laufend aktualisierte Liste aller EU-Mitgliedsländer mit Investiti-
onskontrollen findet sich unter https://trade.ec.europa.eu/do-
clib/docs/2019/june/tradoc_157946.pdf.

10                 FIW-Policy Brief Nr. 46, Juni 2020
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